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Full text of "Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik"

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J  a  h  r  b  ü  c  h  e  r 


für 


wisseniä  chaftliche    Kritik 


Herausgegeben 


von  der 


üocletAt   fflr    wlBseiifiieliaftllcIie  Kritik 


zu 


1    i 


Jahrgang  1839, 

Zweiter    Band. 


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B    e    r    1    i    D) 
Verlag  voki  Dniicker  and  Hmublot. 

18  3  9. 

VerantwoitUoher  RedÄctenr:    der  General  •Secretair  der  Sooiet&t,  Prpfess'or  von  Henning. 


•THE  HEW  YOfi» 

POBUC  LIBRARY 


MRHt  tSNOZ  MtD 
TtLDBM  TOUNOATIOMS 


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wissen 


^1. 

Jahrbücher 

f  u  t 

s  c  h  a  f  1 1  i  c  h  e 


Juli  1839. 


Kritik. 


\)  Die  retigiSge  EigenthSmlicKkeit  der  lutheri- 
schen und  der  reformirten  Kirche.  Versuch 
einer  geschichtlichen  Vergleichung  von  Mao; 
Oöbel,  Predigtamtskßndidaten.  Bonn,  1837. 
bei  Adolph  Marcus.  XXIV.  n.  321  8. 
2)  Befermßtion^  Lutherthum  und  Union,  Eine 
•  historisch^ dogmaiisehe  Apologie  der  lutheri- 
schen Kirche  und  ihres  I^ehrhegriffs  von  Dr. 
A.  O.  Rudelbachj  Consistorialrath  und  Su- 
periniendent.  Leipzigs  1839.  Druc%  und  Ver- 
lag von  Beruh.  Tauchnitz  jun.  XIII.  u.  672  jS. 

Die  in  der  neuesten  Zeit  entstandenen^  Tielfaohen 
Trennungen ,  in  der  evangelisohen  JCirohei  die  Anfein- 
-dvngen  delr  UniiMiBBafihe  kann  man  ohne  Zweifel  %vm 
^rofsen  Tbeii  aus  einer  wek  verbreiteten  Verkeannng 
dier  refermirten  Kirche  herleiten*  '  Diese  Verkennung 
war  aber  eine  natiiitiehe  Folge  d^  rea§^readen  Wea- 
duig  Ui  den  religiösen  Ansiobteui  und  sie  wurde  sogar 
liesilnstigt  dwoh  eine  noch  allgemeinere  Tendena^  ^s» 
iwtorisohe  Recht  über  das  ideale  Recht  hocib  zu  erh^- 
lieii.  In  dielier  Richtung  mophte  man  nicht  sympathi- 
«r^n  mit  den  MUkrtjrw»»  mit  dem  Blute  decer,  die 
unt  des  Wortes  Gottes  wiUen  erwürget  sind,  und  n«oh 
4er  Apokalypse  (K.  Q)  unter  dem  Altare  der  ewigen 
Kirche  begcahen  liegen;  man  betrachtete  sie  als  ein 
durch  VoreiUgkeit  gefisUenes  SehiUsches  Corps  im 
Glwhensgeb&et,  und  so  fiel  denn  auch  auf  die  Kirche, 
welche  so  reich  au  Märtyrern  ist  ,,sie  wie  #r  roU  scfaö- 
mest  Schmach**  dar  «t&rkste  Schatten.  M^p  ▼jsvmiiirte 
in  der  reUgiöseu  Reaktion  das  reiche  QereiQoniell  in 
d^r  evangelischea  Kirche,  und  du  erschicin  idcnn  aller- 
4i0gs  die  reformirte  als,  die  am  meisten  verarmte.  Wefl 
'BMW  sich  die  spezifische  Erhabenheit  der  Gewissens- 
Dreiheit  über  jede  andre  Art  menschlicher  Freiheit  hatte 

Jahrh.  /.  «riiMiueA,  KfUik.  J.  1839.  II.  Bd. 


Tcrdunkeln  lassen,  so  erschien  die  Refsnnatbn  in  ej- 
ner  trflben  Verwandtschaft  mit  der  Revolution,  und 
ganz  natürlich  war  nun  die  refomkirte  die  revolutio^ 
nftrste  KirchCii  Ganz  becfonders  aber  mufste  ne  den 
Vorwurf  des  Rationalisirens  erdidden,  weil  sie  die  Deu- 
tung ißt  mysterLSsen  Abenilmahlsworte  versucht  hatte; 
nnd  namentlich  Zwingli  wurde  als  der  trockne,  gemfith- 
lose  Rationalist  des  Reformatiousperiode  mit  der 
sißhwersten  Schmach  beladen.  Und  doch  hat  er  gerade, 
nuur  erlaube  mir,  diers  vorab  an  nehmen,  mit  seiner 
Auslegung  der  Abeodmahlslehre  ein  nnsterblicbea.  Ver- 
dienst} oder  vielmehr,  er  ist  von  Gott  gewürdigt  wor- 
den, in  diesem  Punkte  das  uitgemäfse,  reformatori- 
adie  Losungswort  auszusprechen«  Man  wolle  uns  mcht 
voreilig  die  AbsurditSt  zuschreiben,  wir  beabsichtigten 
Zwingli^s  Lehre  vom  Abendmahl,  als  die  bessere  gegdn 
die^  lutherische,  zu  vertheidigen.  Unsere  Ao%abe  ist 
die,  sie  als  die  spsxjfiseh  reformeftorisehe  neben  der 
lutherischen  geltend  zu  machen.  Für  den  Jetzigen 
Standpunkt  der  Tfa^logie  können  die  Auslegungen  der 
beidjen  Refiormatoren  nur  als  Momente  einer  und  der- 
selben Lehre  betrachtet  werdw.  Die  Reihenfolge  der 
Momente  ist  wohl  diese.  Brod  und  Weih  ist  vor  der 
Feier  des  Abendmahls  da,  und  ist  in  diesem  Stadium 
eben  nicht  der  Leib  und  das  Blut  Christi.  Diese  Vor- 
etnfe  der  AbendmaUslebre  muis  mit  beueichnet  wer- 
den, um  die  spütare  Alterimng  der  Lriire  zu  verhü- 
ten. Nun  wird  Brod  und  Wein  fcooasfcrirt  sAm  Ge- 
djlcbtnib  des  Todes  Jesu,  und  bedeutet  jetzt  seinen 
Leib  und  sein  Blnt  DieGi  ist  das  Zwlnglische  Mo- 
^ment.  Seipe  Nothwendigkdt  liegt  in  dem  Umstände, 
jdaTs  das  Abendmahl  keine  $Mue  und  0mdt0  Erlöanng 
ßlr  sich  ist,  sondern  dab  es  nur  Heil  bringt  In  semer 
lebendigen  Beziehung  zu  dem  Opfer  des  Leibes  und 
Blutes  Christi  am  Kreuz.  Wer  das  Abendmahl  ganz 
als  eine  HeiUgabe  för  sich  bebandelt,  und  von  der 
Bedeutung  absolut  abstrahirt,   der  verfielt  mit  den 


3  C  hri»  t li  e  k 

m 

Mefsgläubigen  der  SuperstitioD.  Der  Ql&u|;ige  tritt 
also  im  Gieiste  durch  die  Hülfe  de^  Zeichen  unter  das 
Kreuz  Christi.  Hier  aber  ergreift  }hn  der  versöhnende 
und  triuni£hirende  Geist  Christi,  und  zieht  sein  Herz 
in  den.  Himmel  empor^  so  dafs  er  mit  dem  yerklärten 
Leibe  Christi  geistlich  vereinigt  vird.  Diefs  ist  das 
Moment  der  Calvipischen  Abendmahlslehre.  Aber  Chri- 
stuB  gibt  dem  CoJEnmunizirenden  den  Geist  in  der  Kraft 
seines  gotünenschliohen  Lebens.  Mit  seinem  Geisjte 
gebt  eine  Kraft  von  ihm  aus;  der  Geist  ist  nimmer 
allein;  auch  der  Geist  Christi  kommt  mit  dem  Leibe 
und  Blute  Christi,  in,  mit  uod  unter  dem  Brod  und 
Weine  zu  dem  Communikanten.  Auch  der  Ungläu- 
bige wird  TOD  diesem  Leben  frappbrt,  berührt  —  zum 
Gerichte.  Diefs  ist  das  lutherische  Moment.  Und 
nun—*  wird  das  gesegnete  Brod  und  der  gesegnete 
Kelch  verwandelt  in  das  Leben  des  Christen  und/  so- 
fern der  neue  Mensch  in  ihm  herrscht»  sofern  Christus 
in  ihm  lebt,  in  den  Leib  und  das  Blut  Christi.  Diefs 
ist  ist  gesunde  Sinn  des  katholischen  Momentes  in  der 
Abendmahlslehre,  in  seiner  Befreiung  von  dem  Aber- 
glauben der  Transsubstantiationstheorie  *).  Indem  wir 
über  Luther  hinausgehen  müssen,  ist  es  ausgemacht, 
dlifs  wir  nicht  bei  Zwingli  stehen  bleiben.  Und  das 
ist  der  Torwurf,  der  Zwingli's  Behauptung  seiner  Lehre 
mit  Recht  treffen  mufs,  dafs  er  sich  gegen  die  fol- 
genden Momente  verschlofs.  Er  ist  aber  dadurch  im 
Yerhältnir«  zu  Luther  entschuldigt,  dafs  dieser  die 
reformatorisoh^  Kraft  des  Zwinglischen  Momentes  nicht 
erkennen  mochte;  Die  Abendmahlslehre  war  zu  seiner 
Zeit  in  eine  absolute  Satzung  erstarrt,  woran  die  le- 
bendife  Einsicht  keinen  Theil  hatte.  Das  Mefsopfer 
war  eine  Gottheit  für  sioh,  ein  Heil  für  sich,  eine  Ver- 
söhnung für  isich.  Nun  handelte  es  sich  um  einen  gold- 
nen  Wundersehlüssel,  diese  durch  die  Superstition 
verzauberte  Burg  wieder  auizuschliefsen.  Diesen  Wun- 
dersehlüssel hat  nun  Gottes  Gnade  dem  Zwingli  an- 
. vertraut,  .dem  armeu,  trocknen' Sehweitzerpastor.  EJr 
fuMe  mi'tseinem  Worte  ,^«  hedeutet^  die  Christenheit 
von  dem  Abendmahle  zu  dem  wirklichen  Kreuze  Chri« 
sti,  und  so  zu  dem  Geiste  Christi,  seines  Opfertodes 
und  semes  Abendmahls'  zurück.  Wenuc  ein  Dogma 
durch  Superstitjon  für  •  die  Einsicht .  rein  verschlossen, 


^)  8.  Bayijioffiery  die  Ides  dea  Chmtenthüma. .  Marburg;,  1836* 
S.  76. 


e    S  y  m  b  o  n  k\.  4 

und  ein  absolut  Positives  gewordeil  ist,  so  ist  einst- 
*  weilen  die  magerste  und  trockenste  Einsicht  besser, 
als  die  reichste,  durch  die  Satzung  gebundne  Ahnung^ 
^  wenn  sie  anders  den  Eingangspunkt  richtig  getroffea 
hat,  und  sofern  sie  sich  nicht  hinterher  in  sieh  selber 
abschUefst  gegen  die  Geheimnisse,  welche  der  wirkli* 
che  Eingang  vermittelt.  Das  Wort  ei  bedeutet  war 
zu  seiner  Zeit  em  Lichtblitz  der  göttlichen  Erbarmung 
,fur  die  Christenheit  Da  aber  Zwingli  in  seiner  Mensch- 
lichkeit nicht  in  das  Innerste  des  Heiligthums  mit  sei« 
nem  Schlüssel  hineinkam,  so  blieb  Luther  berechtigt 
in  seiner  Verwahrung  des  Mysteriums.  So  gewinnen 
die  beiden  Reformatoren  erst  in  ihrer  Union  das  apo» 
stolische  Maafs.  Die  reformirte  Kirche  hat  ihre  Abg^ 
schlossenheit  in  der  abstrakten  Sphäre  ihres  „Abend* 
mahlstisches"  gebüfst,  aber  sie  hat  doch  den  Leib  und 
das  Blut  Christi  über  Bitten  und. Verstehen  genossen; 
die  lutherische  Kirche  hat  ihre  Abgeschlossenheit  .ge- 
büfst in  dem  vielbeklagten  Aberglauben,  womit  sich 
ihre  Sterbenden  ohne  Unterschied  das  Abendmahl  za 
'einem  Vademecum  machten  $  aber  sie  hat  sich  doch 
fort  und  fort  nach  der  Kraft  ihrer  am  innigsten  ergri£» 
fenen  Rechtfertigungslehre  in  Bufse  und  Glauben  ge- 
gründet« 

Was  in  dem  vorliegenden  Falle  geschah,  das  ge- 
schah in  allen  wesentlichen  Differenzpunkten.  Die  re* 
formirte  Kirche  ergriff  ihren  Beruf  in  der  RücMeht»- 
losigkeit  des  christlich  idealen,  die  lutherische  in  der 
Pietät  des  christlich  historischen  Rechtes.  Die  erstere 
bewegte  sich  mit  alier  Kühnheit  der  Gewissensfreibeif^ 
die  andre  mit  aUer  Zartheit  der  Gewissensschonung« 
Die  eine  machte  einen  absoluten  Bruch  mit  dem  Anti- 
christlichen,  die  andere  hielt  treu  zusammen  mit  dem 
Christlichen  in  der  katholischen  Kirche.  Die\eine 
stürzte  sich  mit  begeisterter  Verwegenheit  in  das  3ad 
der  Erfrischung  und  Erneuerung,  die  andere  ging  mn- 
thig  und  dennoch  sorgsam  hinein  nach  den  Regeln  der 
Diät.  Diese  Eigenthümlichkeit  der  reformirlen  Kird^ 
gibt  ihr  allerdings  einen  schwärmerischen  Zug,  aber 
sie  ist  keine  Schwärmerin,  denn  sie  hat  sioh  in  dte 
Grundprinzipien  des  Christentbums  'tief  beruhigt  und 
auferbaut    Ihr  sind  aus  dem  Grunde  des  christlichen 

* 

Lebens,  des  christlichen  Geistes,  des  Wortes  Gottes 
Kinder  geboren  worden,  wie  der  Thau  der-MorgenrS- 
the;  es  ist  vorzugsweise  die  Kirche  der  tiefgeheitten, 
geheiligten- Individuen,    die  ohne  kirchliche  Vermitte- 


6    .  Christlich 

long;  mit  Christo  und  mit  sich  allein  f^hiÄy  die  in  dem 
Haupte  ;der  Kir<^be  die  ganze  Kirche  haben.    Die  la- 
therisehie  Kirobe  hat  einen  Zng  des  Ceremoniös-Andäch- 
tig«i  bebalten,  veil  sie  aber  ans  dem  Grunde  der  Recht- 
fertignng  geschöpft,  und  doch  das  Historisch-Kirchliche 
nicht  unwerth  gehalten  hat,  so  ist  sie  die  Kirche  ge- 
worden der  acht  christlichen  Familien^  und  Staatsbil- 
dnng,  und  ihr  sind  anvertraut  worden  die  Schulen,  die 
'  Wissenschaften,  die  Künste,    die  Gesänge  im  Reiche 
Christi  $  sie  hat  in  der  Kirche  und  ihren  Gliedern  das 
Haopt  wieder  gefunden«    Die  reformirte  Kirche  ist  ihr 
ebenbürtig,  lutherisch  in  ihrem  Grunde,  denn  da  hat 
sie  die  Posaunen  des  Gesetzes,  die  Bilder  des  Wortes, 
die  Mystik  des  Abendmahls.    Die  lutherische  Kirche  . 
ist  aber  ebensowohl  reformirt  ini  Grunde,  denn  da  ist 
ihr  die  Rechtfertigui^  mit  der  Gewissensfreiheit  iden- 
tisch^ wie  diese  Identität  ausgedruckt  ist  in  dem  Worte : 
Wer  wiU  Terdammen?  Christus  ist  hier!  Die  Erstere 
fand  das  ganze  erscheinende  Christentbum  vom  Aber^ 
glauben  infizirt    Auch  die  Orgeln,  auch  die  Glocken 
nahmen  damals  die  Geister  unter  den  Irrthum  werkhei- 
liger Andächtigkeit  mitgefangen.    Darum  that  sie  alles 
bei  Seit,  und  badete  sich  im  tiefen,  stillen  Grande  des 
Wortes.    Aber  sie  verirrte  sich,  indem  sie  einen  Werth 
auf  diese  Abstinenz  legte,  -  und  die  christlichen  Prinzi« 
pien  mit  dem  christlichen  Erschdnungsleben  in  Wider- 
sprach setzte.    Das  Recht   der  historischen  Erschei- 
noDg  wurde  an  ihr  selber  gerächt.    Sie  ging  hinein  in 
dais^  Prinzip  der  AUemherrschaft  des  Wortes  Gottes. 
Weil  sie  aber  aas  dem  Worte  Gottes  eine  dogmati- 
sehe  Wissenschaft  zu  schöpfen  wenig  Fleifs  zeigte,  so 
spielte  das  Bediirfnifs  des  Wissens  in  allegorisirenden 
Deuteleien  um  die  Worte  der  Bibel  herum»    Sie  ver- 
seokte  sich  tief  in  dei|  Trost  der  Gnade  bis  auf  den 
RathschluTs  der  Erwählang.    Weil  sie  aber  die  Bedin- 
gongen,  *die  Yermittelungen ,    die  Erscheinuag  dieses 
Trostes  in  dem  Ldben  der  Wiedergebomen  nicht  mit 
diesem  Tröste  zusammenfafste,  so  kam  sie,  indem,  sie 
sich  .darin,  gefiel,  in  dem  heiligen  Dunkel  zu  verharren, 
iB  einzelnen  Aeufserungen .  auf  das  unheilige  decretum 
borribile.    Sie  jwar  nun   einmal  von  der. Politik   des 
Bapstthums  .  frei  geworden ,   und  weil  sie  freie  Hand 
bekommen  hatte,  so.  begründete  sie  ein  biblisch  conse- 
qoentes  Kirehenwesen. .  Aber  sie  verfiel  dem. hiatori- 
aohen  Er^cheinungslebe'n  auf  die  empfindlichste  Weise, 
indem  sie.es.am  meisten  in  semer  Verkehrtheit  zumei«- 


e    Symbolik.     ^  6 

den  glaubte.  Indem  sie  das  alte  Testament  in  seiner 
.  Gültigkeit  als  gleichbeirechtigt  mit  dem  neuen  genom^ . 
men  hatte,  wandte,  sie  den  mosaischen  Canon,  nach 
welchem  die  Gotteslästerer  mit  dem  Tode  bestraft  wer« 
den  sollten,  auf  den  Servet  an,  und  so  zuckte  ein 
Blitzstrahl  dps  Papstthums  gerade  aus  ihrer  schwär- 
merisch tingirten  Idealität  und  Bibelgründlichkeit  em- 
por, weil  sie  die  Unterschiede  der  Zeiten,  der  Oekono- 
mien,  mit  einem  Worte  das  JRecht  der  christlichen 
Historie  verkannt  hatie^  nach  welchem  keiner  mehr 
um  des  Vorwurfs  der  Gotteslästerung  allein  willen  hin- 
gerichtet werden  soll,  weil  Christus  selber  unter  die- 
sem Vorwurf  ist  gekreuzigt  worden,  und  weil  das 
Endurtheil  über,  diese  Rechtsfrage  nun  in  das  Weltge- 
richt verlegt  ist  Uebrigens  hat  die  reformirte  Kirche 
trotz  dieser  Extravaganzen  doch  den  Segen  prinzipiel- 
ler Gründlichkeit  behaltep.  Ihre  unbedingte  Vertiefung 
in  das  Wort  Gottes  brachte  die  Frucht  einer  reichen^ 
emphatischen  Exegese  zu  Tage.  Ihre  Erwählubgslebre 
war  darin  bevorzugt,  dafs^  sie  die  Erwählung  mit  dem 
Rathschlufs  vor  der  Schöpfuog  identifizirte,  da(s  sie 
dieselbe  in  der  Natur,  des  Auserwäblten,-  in  Christo, 
und  in  den  substantiellen  Naturgaben  der  Auserwähl- 
ten  verwirklicht  fand, .  während  sie  durch.  VoreiUgkeit 
den  Gegensatz  der  Verworfenen  in  sdiwärmerischer 
Consequenz  fingirte,  statt  die  Gradationen  in  der  gött- 
lichen Heilsökonomie  z\\  erkennen«  Zum  Theil  aber 
wa^en  an  diesem  Irrthum  beide  Kirchen  betheiligt,  in- 
dem sie  die  Zeit  des  Heils  für  alle  Menschen  mit  dem 
zeitlichen  Tode  definitiv ;  iibschlossen.  Im  Grunde  er- 
gab sich  die  faktische  Prädestination  auch  für  die  lu- 
therische Kirche  aus  diesem  Abschlufs..^  Aiich  schlich 
sich  ohnehin  »die  Pxädestinationslehre  in  das  lutherische 
System  vermöge  semer  Zirkelnatur  wieder  hinein.  Die 
Lutheraner  bedingten  die  Prädestijaation  durch  die 
PdLscienz  Gottes.  Gott  hat  also  die  Gläubigen  er* 
wählt  in  der  Voraussicht  ihres  Glaubens.  Von  der 
Gabe  des  Glaubens  jedoch  ist  die  menschliche  Mitwir-  - 
kung,  der  Synergismus  ausgeschlossen.  An.  dieser 
Stelle  fällt  also  die^  Prädestination  wieder  in  den  Zir- 
kel herein;,  nur  ungedügend  geHiildert  durch  die  Lehre 
von  der  Gratia  resistibilis , ,  weil  diese  Beschränkung 
den  Nichtohristea  nicht  zu.  Gute  .  kommt.  Der  Trost 
der  Erwählung  gehört  allerdings  in  diese  praktisohe 
Sphäre  hinein;  aber  der  dogmatische  Ort  der  Erwäh- 
lung .  fällt .  nach  reformirter  Fassung  in .  die  Gmndle*: 


7  '  ChriMttiehe 

gODg  der  Welt  Die  lutheriscke  Kirohe  würde  bei  alle 
dem  die  reformirte  epezifisdi  fiberragen^  wenn  sie  m 
ihrer  AistoriseAen  Pietät-  nicht  ebensawohl  einen 
tfiermS/Ugen  Aecent  auf  Beibehaltungen^  Wie  die- 
refarmirte  auf  Abschaffungen  gelegt  hätte.  Aoeli 
sie  blieb  nicht  in  der  Harmonie  des  Aenfieren  nnd  In- 
neren.  Unter  der  kirchlich  fixirten  Oberfläche  trieb 
der  Fortschritt  sein  Wesen^  bis  er  theilweise  aus  den 
Prinzipien  weit  hinauskam.  Da  gab  es  allmälig  in  der 
Kirche  eine  formnla  concordiae^  und  in  deh  Gemütbera 
dagegen  eine  schleichende  ^oncordiQ  discors,  ttberall 
aufzuckende  Kryptokalviniemen.  Da  wurden  die  Re- 
formirten  vertrieben  aus  den  Intherisehen  Städten^  md 
Sozinianer  stahlen  sich  auf  die  lutherischen  Kanzeln. 
Da  wurde  das  Abendmahl  gefeiert  mit  allem  Rigoris- 
mus alterthumlicher  Observanz,  aber  nltrazwingliscb« 
Auffassungen'  drangen  ein  in  die  Abendmahislebre. 
Man  intonirte  die  Liturgie,  man  predigte  etwa  im  wei- 
fsen  Chorrock,  aber  die  Predigt  selber  diente  vielfäl- 
tig der  falschen  Aufklärung  des  Unglaubens.  Man 
gerieth  bei  allem  Reichtfaum  herrlteher  Lieder  hinein 
tu  die  „GesangbQchsnoth'*  und  sang  bisweilen  gereimte 
Weltmoral,  während  sich  die  reformirte  Kirebe  in  gro«  . 
fsen  Strichen  neben  den  Psalmen  und  rinigen  andern 
Liedern  an  Luthers  nnd  Paul  Gerhards  Gesängen 
erbaute.  Freitich  war  diese  Letztere  in  ihrer  kireUi- 
ehett  Erscheinung  noch  nicht  zum  neuen  Glänze  aufer- 
standen, und  der  einzige  liturgische  Lebenssehimmer, 
den  sie  hatte,  war  zuletzt  der  verdorbne  Kanzelpatbos 
ihrer  Prediger.  Aber  sie  hat  ihren  Kern  bewahrt;  sie 
hat  ihn  in  vielen  Gliedern  nnd  Gemeinen  durch  die 
Zeit  der  sdiwersten  Prüfung  hindurohgerettet.  Die 
lutherische- Kirche  aber  hat  sieh  ans  der  abgestorb- 
nen kirchlichen  Verhttllnng  wieder  in  ihren  tiefen  Grand 
versenkt.  Und  in  diesem  Grunde  haben  eich  beide 
Kirchen  als  Eine  erkannt,  und  zusammengefunden.  ^  Sie 
haben  einander  die  Hand  gereicht  !n  ihrer  Armuth, 
Imd  so  haben  sie  sich  plötslich  wieder  bereidiert  ge- 
sehen durch  -ihr  gemeinsames,  historisches  Erbe.  Als 
die  Union  formell  verkündigt  und  empfohlen  wurde, 
da  war  sie  im  Leben  längst  vollzogen.  Man  hat  die 
Union  vielAltig  gescholten,  als  ein  Werk  des  Indiffe- 
rentismns.  Auch  läfst  sich  nicht  läugnen,  dab  der  In- 
differentismus mannigfach  an  ihr  betheiligt  ist.  Allein 
'den  Indifferenti^mos  gegen  die  Meinnngshitze  der  Vlr 


SymbaliJk.  8 

ter  kann  man  wohl  lobenswertf^  finden,  hdiffsrentis» 
mns  gegen  die  Braderliebe  wird  es  wohl  bifgend  ge- 
wesen sein.  Der  Indifferentisnins  gegen  die  SfmMm 
der  beiden  'Kirchen  allein  macht  keine  Union.  Macht 
sie  aber  der  Indifferentismus  gegen  die  Unterschiede 
der  Symbole,  so  lasse  man  diefsmal  den  dunklen  Glan* 
ben'an  das  Mysterium  ihrer  wesentliohen  Einheit  wal- 
ten zum  heilbringenden  Frieden,  wie  man  ehedem  fiber 
den  HaarspitEea  ihrer  äufserlichen  Differenz  die  zer- 
trennenden Exkommunikationen  vollsogea  hat.  Wenn 
der  gemeinsame  Indifferentismus  fnr  die  Union  ist,  folgt 
daraus,  dafs  der  gemeinsame  Glaube  an  den  Erlöse 
und  an  alle  Grundlehren  des  Heils  gegen  die  Union 
sein  sollf  Sollen  wir  einander  exkommnniziren ,  nnd 
uns  defsbalb  Belobangen  ertheilenf  Es  scheint  in  der 
That  so,  dafs  manehe  Reformirte  nnd  manche  Lu- 
theraner sich  in  diesen  Widersprach  dogmati^her  Veiv 
zweiflung  versenken,  dafs  sie  sich  nniren  woUen  in  der 
Disunion. 

Die  evangelische  Kirche  findet  sich  unauflöslich 
unirt  in  der  Verschmelzung  der  lutherischen  und  r^oxw 
mirten  Eigenthümliehkeit  Sie  war  immer  reformirt  im 
tiefsten  Grande,  daher,  wie  man  es  nannte,  kryptocal» 
vioistisch.  Sie  war  Immer,  so  zu  sagen,  lutheriseh  in 
der  Ekitfaltnng  ihres  GkMibenslebens;  Luthers  eige»- 
thömliche  Fassung  deff  Rechtfertigungsglaubens,  Lii* 
thers  Bibelüberset^ng,  Luthers  Lieder,  Intheriacbc 
fiildnng  nnd  liinsseBsebaft  gingen  weit  und  brctt 
durch  die  reformirte  Kirdie.  Was  nnn  Gott  durch 
drei  Jahrhunderte  immer  mebr  cusammengefllget  hat, 
das  soll  heute  kem  Mensch  wieder  scheiden.  Maa- 
che  wollen  heut  zu  Tage  die  alleinige  Geltung,  die 
Aussehlieisliohkeit  der  lutherischen  Kirche  feststdüen, 
nnd  verwerfen  die  Union  aus  dogmatischen  Gründen. 
Mögen  sie  sich  besinnen,  <ih  sie  den  Geist  Christi  in 
der  retbrmirten  und  unirten  Kirche  so  verwegen  Ter- 
läugnen  dürfen,  ohne  zur  Strafe  in  fleischliches  Trei- 
ben zu  verfallen.  Sie  werden  nachgerade  commoni»- 
ren  mit  allerlei  Volk  unter  dem  Bimmel,  wenn  es  nvr 
in  der  lutherischen  Kirche  nach  der  Tradition  g^aoft 
ist,  wäbrend  sie  den  innigsten  Glftnbigen  aus  der  re- 
formirten  Kirche  die  Communion  versagen.  Dafs  die 
Verwerftmg  der  Uniod  aus  dogmatisch -konfessioneilea 
Grfinden  eine  Exkommunikation  ist,  liegt  am  Tage. 


(Die  Fortsetzmig  folgt.) 


J  a  h  r  b  fi  c  h  er 

'     "  »  für 

wissenschaftliche   K  r  i  t  i  k. 


Juli  1839. 


*    #. 


1)  Die  r€l^;wse  EigenthumUchkeit  der  lutheri- 
schen und  der  reformirten  Kirche*     Versuch 

> 

einer  geschichtlichen  Vergleichung  ton  Mas 
Oöbel. 

9 
*  % 

2)  Reformation^  Lutherthum  und  Union.  Eine 
historisch' dogmatische  Apologie  der  lutheri- 
schen Kirfihe  und  ihres  Lehrbegriffs  van  Dr. 
A.  O.  Rudelbaoh. 

(Fortsetzung.) 

Ihr  al80>  Eifirer  f&r  die  latharische  Rechtgliubigw 
keit^  exkornrnrnifeirt  die  unirtey  ond  in  ihr  die  refofw 
mirte  Earohe^  oline  su  fragen,  ob 'sie  nicht  den  ganzen 
Gehalt  des  Lntberthnms  in  sich  an%enonunen.  Ihr 
lieruft  xor  Communion  den  ganaeen  traditionellen  luthe-^ 
riechen  Norden,  ohne  euch  Torzusehn  gegen  die  Krjp- 
tocalyinismen  —  oder  gar  gegen  die  Neologismen,  wel- 
che ihn  überall  durchdrangen  haben»  Aber  ihr  seht 
«ach  freilich  vor,  indem  ihr  ench  Ton  derStaatskirohe 
yöUig  losreifst,  indem  ihr  euch  independent  macht  nnd 
die  strengste  Kirchenzocht  und  Presbyterialverfassnog 
•mter  euch  einführt  Aber  Intherische  Independenten  ^^ 
das  ist  nou  $  es  ist  vielmehr  eine  ultrarefontoirte  Ei«-, 
m^toinnng«  .Lostrennnng  vom  Staat,  anf  blofse  PrA* 
enmtienen  hin,  strenge,  apostolische  ELirchenzucht,  bi« 
bliaeii^  Presbyter,  alles  das  ringeführt,  ohne  irgendwel- 
idie  lutherische  Piet&t  gegen  die  historische  GegenWart« 
das  sind  zum  Theil  nitrareformirte,  som  Theil  llchtr^ 
formirte  Erscheinangen.  Und  nun  fassra  wir  diesseits 
bei  den  Reformirten  das  Lutherische  und  *  Ultralothe» 
riache  in's  Auge.  Hier  erscheiiien  iü  reformirten  Stri- 
cken Bltttben  des  Antinomismus*  •  Sind  sie  reformirt 
oAggt  lutherisch  f  Sie -beziehen  sich  freilicli  zunächst 
asif  die  Prädestination.  Aber  die  altreformirte  Präp. 
ieetinationslehre  war  von  aller  Streoge  alttesta» 
flsentlicher  Gottesfurcht,  biblischer  Gesetzlichkeit  um» 
*  JsAr6./.  wtupttek.  Knäk.  J.  1839.  IL  Bd. 


zäunt ;  der  Antinomismns  ist  ein  Aufflackern  nltralnthe- 
rischer  Eigenthfimnchkeit  in  Mifsdeutungen  der  Lehre 
von  der  Rechtfertigung  durdi  dem  Glauben»  Hier  wird 
die  Agende  aufgenommen,  obwohl  sie  die  Formulare 
des  lutherischen  Typus  mitbringt  Die  Grade  der  Be- 
geisterung sind  sehr  verschieden,  sie  sinken  an  ein- 
zehien  Stellen  bis  zum  Gefrierpunkt  und  tiefer  hinab;' 
aber  man  nimmt  die  Agende  dennoch  an  um^  ihres 
Glaubensgehaltes  willen,  wegen  der  kirchlichen  Ueber- 
einstimmung  mit  dem  evangelischen  Alterthum,  und 
der  gesummten  Staatskirche,  ist  diels  nicht  ein  acht 
lutherisclies  Motiv,  wie  es  fikr  die'  altlutherische  Kirche 
in  ihrem  Zusammenhalten  mit  dem  kirchlichen  Alter- 
thum und  mit  drtn  Staate  hnmer  bestimmend  und  ent- 
scheidend gewesen  ist  f  So  sehr  also  hat  uns  die  Union 
durchdrungen,  dafs  jetzt  beide  Confessionen  unbewufst 
ihre  Rollen  wechseln.  Sehet  euch  vor,  dafs  ihr  nicht 
in  uns  euren  Glauben  exkommunisirt,  und  zudem  euer 
Bekenntnifs,  die  Augsbu^ische  Confession,  Eure  Ge- 
aänge,  Luthers  Lied^,  eure  Begeisterung,  das  Bild 
des  gefeierten  Glaubenszeugen,  eure  Liebe,  nämlich 
die  Liebe  Christi.  Und  ndthigt  uns  nicht  durch  'die 
furchtbare  Kraft  der  Exkommunikation,  welche  ihren 
Gegensatz  fast  mit  Nothwendigkeit  hervorruft,  das 
Unsrige  zu  exkommuniziren.  Aber  die  reformirte  Ge- 
wissensfreiheit, die  Berufung  svi  den  Grund  der  Schrift 
und  des  Heils  exkommuuizirt  kein  Reformirter,  kein 
Unirter^  kein  evangelischer  Christ  $  wo  aber  eine  Beru- 
fung dieser  Art  ohne  Beruf  erschallt,  in  schiefen, 
schwärmerischen,  selbstgemachten  Gegensätzen,  da 
hat  er  nur  zu  wonsch«!,  dafs  dem  hohen,  evangeli- 
schen Rechtsgefiihl ,  auch  in  seiner  kanrikirten  Er- 
scheinung, ein  gerütteltes  und  geschütteltes  Maab 
derimgesprochnen  Gewissensfreiheit  werde,  damit  die 
Eiferer  in  der  Stille  und  Besinnung  inne  werden,  wie 
sie  bereits  nach  Genf  gekommen  sind,  während  sie 
eben  meinten,  den  zudringlichen  Genfem  Wittenbergs 

2 


11  CirtttlieA 

m 

Thore  xa  TerscUiefiien;  dafs  die  Union  unobänderlioh 
vollzogen  ist. 

Der  Verfasser  der  ersteä  tod  den  beiden  obenge- 
nannten Schriften  hat  von  dem  Standpunkte  der  Union 
aus  die  beiden,  evangeliscben  Kitchen  mit  einander  yer- 
glichen;  und  so  ist  denn  auch  das  Resultat  der  Ver- 
gleichung  ein  entschiedenes  Zeugnifs   für  die   Union. 
Aber  er  erklärt  sich  nicht  für  diejenige  Union,  i?elohe 
'  die  Eigenthilmlichkeiteu  und  Verschiedenheiten  der  bei- 
den Kirchen  Torlängnet  oder  verwisdit  (unio  tempera- 
tivi^9  nicht  für '  diejenige^  ^reiche  eine  Kirche  in  der 
andeta  mit. ihrer  Eigeiitbftmlichkeit  Terschwioden  läfst 
-(unto^absorptiva),    sendem  für  diejenige,  welche  die 
Eigenthümlichkeiten  4er  beiden  Kirchen  in  ihrer  e?anu 
■gelischen  Einheit  zusammenfafst,  so  dafa  nun  jede  die 
Vorzüge   der  andern  mitgewinnt  in    der  >  Vereinigung 
(unio  coDservativa)..    Weil  es  aber  diese  letztereFas- 
•sung  der  Union  ala  die.  richtige  sich  angeeignet  hat,  so 
war  er  auch  im  Stande,  die  beiden  Kirchen  in  ihren 
Eigentfaümlichkeiten  zn  yerstdin,  and  unpartheiisch  zu 
würdigen.    Beides  ist  ihm.  in  einem  hohen  Grade  ge- 
lingen;' er 'hat.  mit  Fleifs  und  Tüchtigkeit,  mit  christ- 
'Uchem.  Ernst  und  wissenschaftlichem  Sinne,   mit  einer 
schönen  Gombinalionsgabe,  welche  aus  guten  Vorstur' 
dien  die  charakteristischen  Merkmale  wohl  aufzugreifen 
gl^wufst  hat,    die  Grundziige  der  beiden  Kirchen  ge- 
zeichnet.   So  enthält  denn  seine  Schrift  viel  Belehren- 
des und  Anregendes^  in  den  Combinatienen -sogar  Neues* 
und  Ueberraschendes ;   sie  ist  eine  willkpaimene  Er- 
scheinung,   und   liefert  einen  dankenswerthen  Beitrag 
zur  Verständigung  der  beiden  Kirchen,  über  sich  selbst, 
und  über  ihre  innelre  Einheit.    Zwar  kann  ilian  freilich' 
nicht-  sagen,,  dafs  die  Zusammenstellung  mit  einer  be- 
friedigenden, wissenschaftlichen  Ergründung  der  Diffe- 
renzen  beider  Kirchen,  'U^d  ihrer  tiefliegenden   und 
überwiegenden  Einheit  vollzogen  sei.    Wir  werden  Ge- 
legenheit  finden,   dieses  Urtheil^  za  beweisen.    Auch 
waren«  die-  eigentlichen  Lebenskeiaie   des  Verständnia» 
ses  in  dieser  Sehrift  bereits   sehen  in  Schriften  und 
Andeutungen  Torhanden,  und  was  dieses  Ueberkommene 
anlangt,  so  bekennt  der^  Verfiuser  in  ^jder  Zueignung 
seiner  Sehrift,  wie  yiel  er 'in  dieser  Beziehung  seinen 
Lehrein,  Dr.  Ititzsch  and  Dr.  Rothe  verdanke.    Aber 
es  bleibt  ihnv  das  Verdienst,,  mitvsinnigem  Geiste- die 
Anregungen  entwickelt  und  verarbeite^^  die  ersten  Li- 
neamente  weiter  durobgefiihrt^  verbunden  und.  auag& 


•    Symbolik.  la 

ftllt  zu  haben.  Der  "Verf.  hat  seiner  Schrift  ansdräd^* 
lieh  die  Tendenz  gegeben,,  das  Werk  der  UnioB  so 
fll^rdem.  Bei  diesem  Zwecke  ist  es  nicht  consequent^ 
wenn  er  sich  mit  andern  Aeufserungen  auf  die  Aufgabe 
beschränkt,  die  confessionellen  Verschiadenheiten  dw 
beiden  Kirchen  darzustellen«  Wenn  er  die  Darstellung 
der  Aehnlichkeiten  ausschliefsen  wollte,  wenn  er  nicht 
auf  diie  Erfassung  der  wesentlichen  und  siegreichen 
Einheit  beider  Kirchen  ausgehen  mochte,  so  konnte  er 
ja  nicht  erwarten,  aus  derSummirung  der  Differenzen 
das  Facit  der  Einheit  oder  der  Einigung  herausznbriii* 
gen.  Darum  haben  auch  seine  Unionsgedanken,  wo 
sie  hervortreten,  mehr  den  Optativen  Ausdruck  der  * 
christlichen  Liebe,  als  den  imperativen  der  cbristlichoi 
Wahrheit  erhalten. 

In  der  Vorrede  erzählt  der  Verf.  die  Entstehung 
semer  Schrift.  Die  Veraulassnng  ist  eine  so  iohjte^ 
als  möglich.  Er  hatte  am  Schlüsse  seines  zweijähri- 
gen Aufenthaltes  im  Prediger -Seminar  zu  Wittenberg 
als  Mitglied  eines  theologisdien  Vereins  eine  schriftli- 
che Arbeit  zu  liefern.  Das  BewuCstsein'  des  Giegen*  • 
Satzes,  und  das  Gefühl  brüderlicher  Einheit,  womit  er^ 
ein  unirter  Christ  aus  den  reformirten  Rbetngegett'den^ 
mit  vorherrschend  rcfformirter  Eigenthttmlichkeit  begabt, 
dort  unter  Lutheranern  lebte,  führte  ihn  sehr  natura 
,  geniäfs  auf  dieses  Thema.  Später  >  bildete  sich  der 
Aufsatz  durch  mehrfache  Anregungen  zu  dem  voriie» 
genden  Werke  aus. 

Die  Einleitung  ist  den  oben  erwähnten  Verband* 
langen  über  das  Wünschenswerthe  der  Union  inebe- 
sondere  gewidmet.    Vorab  beantwortet  der  Verf.   die 
Frage,  welche  er  bei  manchen  Lesern  voraussetzt,  ob 
denn  auch  von  einer  besondern  Eigenthümltchkeit  bei» 
der  Kirchen  die  Rede  sein  könne.  Wenn  er  aber  bier 
die  Verachiedenheit  beider  Kirchen  mit  der  Versefaie» 
denheit  eines  Apfelbaumes  und  Birnbaumes  vergleioht^ 
und  bemerkt,    die  Verschiedenheit  liege  nicht  nur  in 
den  Früchten,,  in  den  Aepfeln,  und  Birnen,   sondern 
auch  in  den  Blättern  und  Blüthen,  in  Saft  und  Staeim^ 
endlich  in  der  Wurzel  der  beiden  Bäume,  so  bat  er 
sieb  in  Beziehung  auf  die  Union  die  Hände  gebmiden, 
denn  an  eine  Union  von.  Apfelbaum  und  Bimbaam.bat 
noch  keiner  gedacht.    Wir  wollen  jedoch  die  Branob» 
barkeit  des  Gleichoisses^niobt  ableugnen  5.  nur  vermis* 
aen  wir'die*erfovderl]ehenRestriktioaen.  Und  es  ist  woU 
zu.  froh,,  zu  unvermittelt,,  wenn  er  sehen  hier  die  ge> 


18 


ClkriMtlicht    Symbolik. 


14 


gtpMitige  >AMrlionMiig  beider  Kiroben  forderti^    Er 
terwielnit  sjoh  dkbei  in  einen  WiÜerfpnich,  wenn  er 
S.  .5.  seiireibt:    ,)8e>woU  die  BeformirteD  als  die  Ln- 
themner  venindigeo  sieh,  immer  noch  durch  liebl^eee 
und  ungerechtes  Abnrtbeilen  Über  die  andre  Kirche"— 
und  gleich  darauf  S«  7 :    ^Piese  Anerkennung  ^aben 
die  Refonnirten   den  Lutheranern   niemals  yersagt.^' 
Die  Frage  s  Was  beifst  Union  der   beiden  evangeli- 
sdien Cdnfessionent  beantwortet  der  Vf.  also:  ,,ünion 
ist  nicht  Einheilt,  ni^bt  Versöhnung,  nicht  Ausgleichung, 
nicht  Toieraazerklilmng,  sondern  innige  Fereinigung 
xmeier^  vmrker  geirennien^  aber  xusammengeAdrenden 
*  TMBe  %u  Einem,  Ganxen."    Wir  milssm  ihm  darin 
entschieden  iridersprechen«     Die  Union   ist  vor  allen 
.  Dingen  xuerst  Einheit.    Die  Einheit  der  beiden  evan- 
gelischen Kirehen  in  ihrem  Grundwesen,  das  fibier:wie- 
gendO)  durch  alle  bitteren  Renüniszenzen  und  mensch- 
lich forcirten  GegensftAze  siegreieh  und  unaufhaltsam 
durchbceohende  Gemeinsame,  das  gerade  ist  ihr  Grund^ 
ihre  Begründung,  ihre  Wahrheit   Darum  ist  die  Union 
denn   auch  zweitens  Versulmupg  \   und  ohne  Versöh- 
nung, ebne  das  Gefühl  einer  erblichen,  wenn  auch  noch 
so  tiefliegenden  Verschuldung  beider  Kirchen  in  der 
Disunion,  und  ohne  die  Erfahrung  emer  Gnade,  welche 
diese  alte    Schuld  getilgt  hat,,  geschieht   die  Upion 
niinmer.    Indem  aber  die  Union  vollzogen  wird,  wird 
sie   drittens  mannigfach   zur  Ausgleichung;   da   räd 
symbolische, '  rituelle,  liturgische  und  nominelle  Ver- 
schiedenheiten   mit  einander    auszugleichen  \    manche 
kleinlich    scheinende   Ausgleichung  sogar  ist  nöthig, 
um  der  Schwachen  willen,  welche  die  Union  einschliefst 
In  Beziehung  aber  auf  die  Widerstrebenden,  auf  die 
beiden  Confessionssektea,  welche  rechts  und  links  von 
ihr  fibfallen,  wird  sie  dann  viertens   auch  eine  Tole- 
ranzerkl&mng  sein  müssen  $  und  nur  durch  diese  schliefs- 
liebe  Toleranierklärung  wird  ihre  -Reinheit,    Freiheit 
und  Unschuld  bewahrt. . —    Das  letztere  Moment  hebt 
der  Verf.  in  Folgendem  hervor,  indem  er  die  Union 
unter  dem  Bilde  einer.  Ehe  darstellt,   bei   welcher  ja 
Ton  von  keiner  Seite  eia  Zwang  stattfinden  dürfe.  Mit 
Recht  macht  der  Vf.  an  diesem  Orte  darauf  aufmerk- 
sam, wie  widerwärtig  die  Erscheinung  sei,    wenn  der 
gläubige  Christ  in  der  einen  mit  dem  in  der;  anderen 
Kirche  nicht  communiziren  solle,  wäbreifd  er  in  seiner 
Kirche  mit  eolcben  communizire,  von  denen  er   durch 
weit  wrichti^ere  Gegensätze  geschieden  sei.<   Wenn  er. 


jedoch  in  dem  VerbültniTs  der  Judenchristen  so  des 
'Heidencbristen  in  der  apostiJiscben  Zeit  eine -Analogie 
für  unsere  Union  zn  finden  mmnt,  lio  hat  er  jenes  Ver* 
haltnifs  doch  nicht  scharf  genug  aufgefafst.  „Die^bcfr- 
üge  Schrift''  sagt  er  (S..  19),  ,,giebt  uns  selbst/  ein 
höchst  merkwürdiges  Beispiel  emer  Union  zwder.  voll- 
kommen gleich  berechtigten,  und  dennoch  fa^t  gUnz- 
lich  von  einander  geschiedenen  christlichen  Partheieii, 
von  denen  die  eine  die  Veremignng  suchte,  ohne  auf 
die  Forderung  der  anderen,  zn  ihr  überzutreten,  •  eio- 
gehn  zn  können.    Wir  meinen  die  Vereinigung   der 
Judenchristen  und  der  Heidenchristen  zu  Einer,  nicht 
mehr  jüdisdien  oder  heidnischen,  sondern  christlichen 
Gemeine.    Da  die  Judenchristen  von  ihrer,  von  Gott 
selbst  gestifteten^  und  bisher  allein  anerkannten  reli- 
giösen   Eigenthümlicbkeit    nicht    ablassen   zu    dürfen 
meinten,  und  darum  auch  keine  Vereinigung  mit  den 
Heidenchristen  zulassen  wollten,  so  traten  Apostelge-  . 
schiebte  15.  in  der  Kraft  des  heiligen  Geistes  die  Ai>o- 
stel  auf,  und  verlangten  nicht  —  völliges  Nachgeben 
der  Einen Partbei;  sie.  suchten  nicht  —  die  Partheien 
änfserliob  einander   ähnlich  zu  machen,    sondern  sie 
vollzogen,  nach  Wegräumung  der  vorhandenen  Schei- 
dewand (der  Qeschneidung  und  des  Gesetzes),  eine  auf 
gegenseitiger  Anerkennung  gegründete  Union.''  — -  Diels 
ist  zu  viel  gesagt^   sie  verhüteten  vielmehr  die  drö- 
bendie   Disunion,     Diefs  ist  ein   wesentlicher   Unteiw 
schied,  den  man  wohl  festhalten   mufs^    um  auch  an 
diesem  Punkte  zu  sehen>  wie  bedeutend  die  apostolip 
sehe  Zeit  unsre  reformatorische  Zeit  überragt»    Heip 
denchristen  und  Judenchristen  zusammenzuhalten  war 
das  Schwerste,  was  es  geben  konnte.  Es  gelang  abev 
der  Elastizität  des  apostolischen  Geistes',  der  Liebes- 
fölle  der  ersten  Kirche,   der  kanonischen  Höhe  ihrer 
Grundgesinnung.  Es  war  eine  Elastizität  von  oben,  wel- 
che nach  der  einen  Seite  die  Glanbensepistel  an  die 
Galater  und  nach  der  andern  die  „stroherne  Epistel 
als  Gotteswort   umspannte,   eine  LiebesAUe,   welche 
bekehrte  Rabbinen  und  bekehrte  heidnische  Libertins   ^ 
zu  einem  Abendmahl  vereinigte,  eine  Canenizität,  wel- 
che eine  prophetische  Schrift  mit.  eben  derselben  Ge- 
wifsheit  göttlicher  Erkenntnir^  produlirte  und  verstand, 
mit  welcher  das  „zarte,  rechte  Hauptevangelium"  ge- 
schrieben  worden.    Dieses  apostolische   Maafs  haben  . 
unsre  Reformatoren:  nur  erreicht  in  dem  gem^nsamen 
Glattbenspunkte,  womit  sie  sich  vom  Papstthum  los- 


Jß  C k  r  i]t  t  lie  h 

iMgtw.  Pa]0  theologisch  ttyiUflOhe  Elanient  dte  Jo- 
«liaiines  findet  sieh  bei  keinen:  Einzigea  siir  Genfige 
vertreten«  Am  allerwenigsten  aber  haben  sie  da  das 
apostolische  MaafSi  wo  sie  mit  ihren  DiiTercnxen  aaa- 
einandorgehen.  Sie  hatten  weit  GermgercM  sa  yer- 
mittehoi,  als  die  Apostel,  aber  sie  brachten  dentooch  die 
Vermittelnng  nicht  an  Stande.  Die  Apostel  rftumten 
weder  dem  Jüdischen  noch  dem  Heidnischen  eine  tren* 
nende  Gewalt  ein  Über  das  Christliche,  und  fiberliefsen 
es  den  mceentmrten  Juden*  nnd  Heidenchristen^  sich 
allmftlig  als  Sekten  von  der  grofsen  Christencommu- 
nioa  abuisondem*  Bei  den  Reformatoren  gewannen 
im  G^entheil  die  confessionellen  Differenzen  das  üe- 
bergewioht  über  das  Evangelische.  Nichts  desto  we- 
niger ist  die  llniqn  ihre  Glaubenssaat;  sie  ist  aus  ih- 
rem Tiefsten  allmälig  hervorgebrochen,  weil  sie  wahre 
Gottesknechte  gewesen  sind. 

Der  Verf.  giebt  weiterhin  das  Terrain  der  beiden 
Earchm  und  die  verschiedenen  Modificationen  ihrer 
Erscheinung  an.  Dabei  fällt  sein  Blick  auch  aaf  die 
Sekten,' welche  der  einen  wie  der  andern  annex  sind. 
Hier  nun  ergiebt  sich  schon  der  charakteristische  Um- 
stand, dafs'  die  lutherische  Kirche  nur  zwei  bekommt, 
nämlich  die  Brüdergemeine  und  die  Neue  iLirche  (Swe- 
denborgianer),,während  die  Menge  der  reformirten  Sek- 
ten „ungeheuer  und  im  eigentlichen  Sinne  des  Wortes 
nnsählbar**  ist.  Auf  seine  Behauptung,  dafs  das'  un- 
aufhörliche Produziren  neuer  Sekten  zur  Erhaltung  des 
JLicbens  und  der  Gesundheit  der  reformirten  Kirche  an 
,gebören  scheine,  i^^i^den  wir  zurückkommen  müssen. 

Das  Werk  des  Verfassers  hat  sich,  wie  oben  be- 
merkt  wurde,  die  Aufgabe  gestellt,  nicht  sowohl  die 
Aehnlichkeiten,  als  die  Verschiedenheiten  der  beiden 
Kirchen  darzustellen.  Diefs  geschieht  nun  in  folgen» 
den  Abschnitten.  Zuerst  redet  der  Verf.  von  der  Ver- 
schiedenheit des  Bodens  der  beiden  Reformationen  — 
dann  von  der  Verschiedenheit  des  Prinzips  -^  endlich 
,  von  der  V^schiedenheits  des  reformatorischen  Verfah- 
rens. Man  kann  ^  diese  Punkte  zusammenfassen  als 
Ursachen  der  Verschiedenheit.  Im  Folgenden  ist  dann 
von  den  Erscbemungen  der  Verschiedenheit  die  Rede, 


e    Sffm  i^Ii  h.  16' 

nämlloh:  von  4er  inbotea  Eitoelheinoag  der  beMen 
Kirchen,  von  der  inneriiohen  Frteinugkeit,  von  der  ge- 
schichtUchen  BntwidLehmg  der  beiden  Kirohen  und  ih- 
rer Theologie,  und  zuletzt  von  dem  Veihalten  der  bei- 
den Kirchen  gegen  einander.  Es  ergiebt  sich  scben 
aus  dieser  Exposition,  dafs  die  Difierenzen  der  Lehre 
zwischen  beiden  Kirchen  überhaupt  za  wem'g,  beaoii» 
ders*  aber  zu  wenig  im  Zusammttihange  zur  Sprache 
konmieu.  Von  den  Differenzen  in  der  Abendmablslelue 
ist  erst  spät  gegen  das  Ende  der  Schrift,  von  den  ver- 
schiedenen Fassungen  der  Prädestinationslebre  ist 
kaum  die  Rede.  Diefs  ist  ein  wesentUcher  Mangel 
des  Werkes ;  denn  in  den  charakteristischen  CTegen- 
sätzen  der  Lehre  spiegeln  sich  am  gründlichsten  und 
reinsten  die  Gegensätze  des  kirchlichen  Wesens.  Doch 
mufs  bemerkt  werden,  dafs  der  Verf.  das  Grundpria- 
np  in  der  Eigenthümlichkeit  der  Lehren  beider  Kir> 
eben  mit  Einsicht  und  Belesenheit  dargestellt  hat. 

Die  Darstellung  des  verschiedenen,  Bodens  beider 
Kirchen  enthält  viele  frische  und  belehiende  Zöga 
Die  reformirte  Kirche  erwuchs  diesenmach  auf  onem 
Gebiet,  wo  der  religiöse  Zweifel,  die  klassische  Bil- 
dung, das  Reformationsbedurfnifs  schon  längere  Zeit 
gewaltet  hatten,  wo  liberale  Tendmizen  und  demokr»- 
tisdie  Erscheinungen  nicht  neu  waren.  Der  Boden '  der 
lutherischen  Kirche  hatte  entgegengesetzte  Bigenthüm- 
lichkeiten;  es  waren  streng  monarchische  Gebiete^  in 
denen  auch  der  Adel  und  die  Kirche  noch  keinen  Wi- 
derspruch gefunden  hatte,  in  denen  eme  entschiedne 
historische  Pietät  herrschend  war.  Der  Verf.  verfällt 
bei  dieser  Darstellung  wie  öfter  in  Consequenzmache» 
rei,  wenn  er  äufsertx  „immer  haben  auch  die  znrdck- 
gebliebnen  Reformirten  in  Frankreich  die  liberale  Op- 
positionsparthei  ausgemacht,  die  französische  Revolu- 
tion ist  wesentlich  durch  die  Verbreitung  ihrer  Ideei^ 
mögen  sie  nun  von  dem  in  Genf  gebornen  Rousseau, 
oder  aus  dem  durchaus  consequent  reformirten  Nord* 
amerika  hergekommen  sem,  vorbereitet  worden.**  Die 
reformiften  Ideen  gehen  nirgend  so  ohne  Weiteres  fai 
revolutionäre  über;  dem  Verf.  aber  hätte  es  obgele- 
gen, das  Moment  der  Entartung  geborig  anzugeben.  — 


(Die  FortseUang  folgt) 


f 


wissen 


Jahr  b  tt  c  h  e  r 

» 

für 

s  c  h  a  f  t  liehe 


* 


Kritik. 


Juli  1839- 


\)  Die  religiöse  Eigenthnmlichkeit  der  lutheri* 
sehen  und  der  r^fornUrten  Kirche.  Versuch 
einer  geschichtlichen  Vergleichung  von  Max 
Göbei. 

2j  Reformation  j  Luiherthum  und  Union.  Eine 
historisch  r  dogmatische  Apologie  der  lutheri- 
schen Kirche  und  ihres  Lehrbegriffs  von  Dr. 
A.  O.  Rudelbach. 


(Fortsetzung.) 

Der  wesentliche  Mittelpunkt  unsrer  Schrift  tritt 
nun  in  der  Darlegung  der  verschiedenen  Reforniations* 
Prinzipien  hervor.  ,,Liither8  Prinzip  war  nicht  das  For- 
inalprinzip  der  alleinigen  Autorität  der  heiligen  Schrift 
u.  8.  w.,  sondern  vielmehr  das  materielle  Prinzip:  die 
Grundlehre  der  Rbcfatfertigung  dtirch  den  Glauben  an 
die  Gnade, Gottes  in  Chjjsto,"  zu  welchem  er  auf  den| 
Wege  einer  langen  und  gründlichen  Erfahrung  gekom- 
men war.  ^»Die  reformirte  Kirche  dagegen  ging  aus 
von  dem  positiven  Schriftprinzip,  von  der  Anerkennung 
des  Wortes  Gottes^  als  unbedingter  Norm  und  Quelle 
des  dliristlichen  Glaubens  und  Lebens,  oder  was  im 
Wesentlichen  dasselbe  ist,  das  Streben  nach  der  Yer- . 
herrlichuttg  Lottes  durch  unbedingte  Unterwerfung  un- 
ter sein  Wort,  gegenüber  allen  andern  Menschengebo- 
ten.'' Es  würde  zu  weit  fuhren,  die  treflfliche  Ausfuhrung 
dieses  Abschnitts  im  Einzelnen  zu  begleiten.  Der  \t  re- 
sumirt  dieselbe  mit,  folgenden  Worten»  welche  die  Dar- 
stellung des  beiderseitigen  Reformationsverfahrens  ein- 
leiten, deren  Mittheiluug  uns  wünschenswerth  scheint: 
9,Luthers  Reformation  war,  was  deren  Gegenstand  betrifft, 
im  Wesentlichen  nur  eine  (7/at/^^7»#reformation,  eine 
£r/at^^i»rverbesserung,  eine  dogmatische  Reformation 
der  Kirche,  von  einem  bestimmten  GlaubensgmnA^atze 
aus,  und  zwar  vermittelst  äer  heiligen  Schrifty  die  da- 
her für  die  GlaubenMhhre  positive  Norm  geworden  ist  \  in 
Jahrb.  f.  wiaetueh.  KrUik.  J.  1839.  II.  Bd. 


Bezug  auf  Sittenlehre,  Cultns,  Yerfassiing,  Zu^ht  un4 
religiGses  Leben  überhaupt^  «nur  ft^o^M^^Norm,  indem 
von  Allem,  was  man  in  der  katholisches  Kirche  vor« 
fand,  alles  der  Schrift  nicht  fViderstreitende  teibe^  ' 
halten^  und  das  Uebrige.  möglichst  sehenend  umge^ 
ändert  wurde*    In  der  reformirteo  Kirche  wurde  da-» 
gegen  durch  konsequente  Anwendung  ihres  Griindsat^ 
xes  vollständiger  Schriftmäfsigkeit  alles  in  der  Schrift 
nicht  Enthaltene  verworfen,  die  heilige  Schrifit  ward 
die  lebendige  Quelle,   aus  welcher  das  Christenthum 
selbst  vollständig  erneuert  wurde  nacii  dem  Miister  4eK 
ersten,  apostolisofaen  Kirche,  und  die  h^lige  Schrift  . 
blieb  nicht  nur  Glaubensnorm,  sondern  ward  auch  ob* 
jektiv  bindende  Sittennorm,  Cultusnorm,  Yerfassungs- 
norm,  und  die  Reformation  daher  wesentlich  auch  eine 
Sittenreformation,  eine  Cultus-  und  Verfassuiigsrefor* 
niation,  lind  weniger  eine  Reformation  der  Kirche^  als 
eine  Renovation  des  Cbristen^ms.    In  Bezug  auf  die 
Art  und  Weise  des  beiderseitigen  Verfiedirens  handelte 
Luther  durchaus  ^^ntf^rc/oftt^,  regressiv^  defensiv^  alt' 
mäUg\  die  Reformirten :  radikal^  progreseivy  offensiv^ 
dfirchsetxendi  die  lutherische  Kirche  hat  das  monar- 
chische Prinzip  des  fFiderstandesy  und  der  Stabilitäty 
die  reformirte  das  republikanische  Pxinzip  der  Bewe^ 
gung  und   der  jlgilität  durchzuführen  gesucht^  jene 
behielt*  Immer  einen  ^kirchlichen  Charakter,  diese  veiv 
wischte  fast  gänzlich  ihren  kirchlichen  Charakter,  und 
behielt  nur  einen  rein  biblischen."    Von  einer  ^iroben 
deren  Eigenthümlichkeit  ganz  besonders  in  der  Pres- 
byterialverfassung,  uod  Kirchenzocht  erblüht  ist,  läfsl 
sich  das  zuletzt  Gesagte  nur  mit  grofser  Einschrän- 
kung behaupten.    Es  ist  übrigens  merkwürdig,  wie  die 
reformirte  Kirche  an  ihrer  Flucht  vor  dem  historisch 
Getrübten  in   der   kirchlichen  Entwickelung  dennoch 
dem  (biblisch)  Historischen  oder  Temporellen,  nament- 
lich in  der  Vermengung  des  alttestamentlich  Positiven 
mit  dem  Nentestamentlichen,  mehrAich  wieder  in  einem 

3 


19  Chri$tliek 

Sione  vei:^el,  der  ihr  trotz  ihres  Ueakp  Zi%ea  f;egeii 
die  freie  Idealität  des  obristliohen  GeUtei«  und  dfe 
Fülle  seiner  Lebeostriebe  eine  bornirte  Abgesohlosse»- 
beit  mittbeilte,  welche  dnreb^  ihren  demokrattsoh«  Ch|a- 
i^itatTy  die  vielfack  eieokeinendo'  Unlerordming-  ibver 
choHiihrenden  Geister  unter  die  Stimmung  der  Gemei- 
nen bis  auf  dea  heutigen  Tag  erhalten,,  und  selbst  zum 
drückendst^i  StaVilitätswesen  wurde,  während  die  lu- 
therische Kirche  bei  einer  gröfseren  historischen  Pietät 
k»  mehrfacher  Besiebung^  eine  reichere  christliche  Idea* 
Ktit  gewann,  indem  sie  nidit  an  die  btblisch-histori* 
•eben  Momente  kirchlicher  Gestaltung  gebunden  blieb. 
Weiterhin  bleibt  uns  nur  noch  Raum  fiür  einzelne 
Bemerkungen.  Indem  der  Vetrf.  von  der  eigenthümli» 
chisn  Erscheinung  der  beiden  Kirchen  redet,  sagt  er  im 
Verhältnifs  der  refbrmirten  Kirche  zu  ihren  Sekten  t 
„Wir  mässen  nun  aber  bei  allen  bedeutenderen  Sek« 
ten  sowohl  ihre  reformirte  Eigenthttmlichkeit,  als  ihr 
VerhältnitB  zur  reformirten  Kirche  zu  ergründen,  und 
darzustellen  snchen,  nnd  vorzüglich  nachweisen,*  wie 
sie  durch  nur  noch  konsequentere  Durchfdhrung  des 
gemeinsamen  positiven  Schriftprinzips,  und  durch  Fest* 
bakung  einer  einzelnen,  aus  der  heil.  Schrift  entnom^ 
menen  Wahrheit  entstanden  sind."  Aehnliche  Aeufse* 
mngen  kehren  öfters  wieder«  Sie  beweisen,  dafs  der 
Verf.  den  spezifischen  Unterschied  zwischen  dw  refor- 
mirten Khrehe  und  ihren  Sekten  nicht  gefunden  hat, 
dafs  sie  ihm  gerade  in  den  Sekten  culminirt.  Wäre 
diese  Darstellung  gegründet,  so  hätte  die  lutherische 
Kirche  Recht,  die  Union  mit  dieser  Kirche  von  sich 
zu  weisen«  Aber  darin  unterscheidet  sich  die  refor- 
mirte Kirche  von  ihren  Sekten  spezifisch,  dafs  sie  die 
heilige  Schrift  als  ein  Ganzes  zusammenfafst,  dessen 
Theile  sich  Ems  durch's  Andre  auslegen ,  das  nach 
der  Analogie  des  Glaubens  ausgelegt  werdeA  mufs. 
Diefs  ist  der  katholische,  lutherische  oder  kirchliche^ 
eotsdieidende  Glaubenspunkt,  mit  welchem  die  refor- 
mirte Kirche  zur  Schrift  kommt,  und  die  Schrift  aus- 
legt. In  der  Kraft  dieser  Glaubensanalogie  hat  sie  die 
schwerste  Anfechtiing,  die  münzerischc  Vermengung 
des  A.  mit  dem  N.  Testamente  immer  mehr  entschie- 
den überwunden,  obwohl  sie  sich  mehrfach  durch  die- 
selbe Tcrscbttldete.  Vermöge  der.  Glaubensanalogie 
hat  sie  die  Kindertaufe  festgehalten  (weil  die  Kinder 
hn  alten  Bunde  beschnitten  wurden,  weil  sie  sowohl  als 
die  Alten  in   den  Bund  Gottes  gehören,  weil  Christus 


^    ß  ff  m  i  0  liJk.  30 

gjesilgt  hol:  lasset  die  Kindlein  za  mir  kommen)  ob> 
wehr  sie  keine  ausdrüeklichea  Beweisstellen  fär.  die 
Kindertaufe  im  Neuen  Testamente  vorfand.  Die  Sek- 
teti  entstanden  aber  gerade  dadurch^  dafs  sie  dieses 
>kirehlifllie  Band,  die  Analogie  des  Glaubens  asfgaben, 
und  z.  B.  nach  emem  Spruch  der  Bibel  die  Eideslei- 
stung verweigerten  ohne  Rücksicht  darauf,  dafs  Chri- 
stus an  einer  andern  Stelle  selber  den  Eid  leistet»  Es 
ist  deninach  auch  falsch,  wenn  der  Verf.  der  reformir- 
ten Kirche  einen  vorherrschend  unJUreJUieAäny  aibet 
entschieden  Mluehen  Charakter  zuschreibt  (S.  210) ; 
abgesehen  davon,  dafs  diese  Iieiden  Prädikate  einander 
selbst  widersprecAen« 

Wenn  der  Verf.  behauptet,  dafs  die  lutherische 
Kirche  das  mystische  Element  im  Christenglauben  bilde 
und  erhalte,  während  die  reformirte  Kirche  nach  ihrem 
entschieden  nüchternen  Verstände  niemals  Mystiker  er- 
zeugt habe,  so  müssen  wir  die  Beispiele,  welche  er 
anfuhrt,  näher  beleuchten.  Er  nennt  auf  der.  lutheri« 
scheu  Seite:  WeigeF,  Böhme,  Gichtel,  Arnd,  Arnold, 
J.  Gerhard,  Oetinger,  Bahn.  Weigel  behielt  seine 
Theosophie  während  setner  Lebenszeit  still  für  sich. 
Jakob  Böhme  ist  aus   seiner  htberiscfaen  Confessiott 

0 

durchaus  nicht  zu  erklären.  Ein  christliche^^  Genie 
'  von  seiner  Gröfse  und  Tiefe  hat  seine  Wurzeh  min« 
destens  in  der.  ganzen  Kirche.  Gichtel  liefs  die  Re- 
fbrmirten in  Holland  an  seinem  Mysticismus  partlcipi- 
ren.  Arnd  wnrde  von  der  hitberischen  Orthodoxie 
lebhaft  desavouirt.  Arnold  wollte  weni^tens  adber 
seine  tiefere  Richtung  nicht  der  orthodoxen  Kirche  ver- 
danken, sondern  hielt  es  lieber  mit  den  Sekten.  Las- 
sen wir  den  einzelnen,  minder  bedeutenden  J.  Gerhard 
stehn;  Oetingers  Studien  aber  zeugten,  keines wegi» 
Ton  lutherisch  konfessioneller  Richtung  und  Gebunden» 
heit..  Der  Verf.  nennt  reformirter  Seits  Terst'eegen, 
^  und  sucht  auch  diesen  zu  streichen,  indem  er  sagt: 
„der  einzige  reformirte  Mystiker  Tersteegen '  fand  fBr 
dieses,  sein  subjektives  Bedürfaifs.  in  der  refprmirten 
Kirche  durchaus  keine  Befriedigung,' und  wandte  sich 
daher  zu  den  edlen  Mystikern  der  katholischen  Kirche."* 
Schwerlich  ist  hiermit  etwas  irgend  Genügendes  fiber 
Tersteegen  gesagt.  Tersteegen  überlegte  die  refor- 
mirte Confession,  wie  Böhme  die  lutherische,  nicht  ndt 
derselben  spekulativen  Kraft,  aber  mit  einer  tieferen 
Innigkeit  des  christlichen  Gemüthslebens.  Er  kam  zum 
seligsten  Genufs  der  A%egenwart  Gottes;  was  immer 


n  Ckri9  t  Uü  h. 

die  tiefste  Früobt  des  imereB  CUic^Mlefteae  and  ehrist« 
liehta  Erkenoeiis  beifseB  mag.     Dafs  er  katbolisehe 
Mystiker  las,  das  maebte  ihn  durehai»  nicht  erst  sn 
einem  MjFStiker.    Beisnielsweise   willen  vfxt  nnn  die 
refermirte  Linie  der  ohristliohen  Mystiker  in  etwas  yer« 
stärken,  indent  wir  nennen:« Tenteegcn,  Lampe,*  Stil- 
Hng,  Layater,  Colienbusoh,  Menkenu.s.  w.    Wir  wal- 
kn  aber   kein   Gewieht  darauf  legen,    denn  ^o  die 
christliche  Mystik  anftngt,  da  ftngt  gewifii  anch  die 
Union  an.-  Endlieh  ist  es  doclt  ein  Charisma  des  tie- 
fen, dent sehen  Gemfithes,  dals  es  unter  dem  Walten 
des  Geistes  Gottes  lutherische  Pietät  und  Ruhe  liebt, 
und  nicht  in  die  Yerstandeskonsequeusea  und  prakti* 
scheu  Wege  des  schweiserisehen ,  franz9sisoben ,  hol* 
Inndischen  und  britischen  Geistes  hinübereiit.    Und  in* 
sofern  hat  allerdings  die  latherische  Kirehe  einen  gr5^ 
'    fseren  Ruhm  christlicher  Mystik*    Dasselbe  gilt  noch 
mehr  yoni  Kirohengesange.     „Wir  sind,  sagt  der  Vf.5 
2U   einem  der   herriicbsten  Vorailge  der  lutherischen 
Kirche  gekommen.    In  ihr  hat  nämlich  dfe  christliche 
Frömmigkeit,  von  Luther  „dem  Vater  und  Mereter  der 
eyangelisdien  Liederkunst  und  des  deutschen  Gesan- 
ges^^begiufitend,  den  unermefslichsten  Schatz  der  herr^ 
liebsten  Kirehenlieder  erzeugt."    Der  Verf.  giebt  die- 
sen Schatz  zu  70,000  Liedern  an.     Es  ist'  nicht  zu 
bezi^^etfeln,  dafs  er  in  kurzer  Zeit  zu  100,000  heran« 
waohsefi  wird.'   Es  ist  aber  bald  an  der  Zeit,  dafs  man 
die  Reimereien  in  Abzug  bringt,  um  auf  den  Kern  zu 
kommen.    Er  bleibt  immer  ein  grofser  Schatz.    Was 
Luthers  Lieder  insbesondre  anlangt,  so  rechnet  man 
ihm    gewöhnlich  die  Ueberarbeitungen  altkatholischer 
Lieder,  z.  B.  Mitten  wie  im  Leben  sind  —  Oelobet 
seiet  Du  Jesu   Christ  u.  s.  w.  mit  an.     Es  versteht 
sicb^  dafs  er  auch  nach  diesem  Abzüge  der  grofse  Mei- 
ster im  Kirchengesauge  bleibt.    Von  den  reformirten 
Liederdichtem  sagt  der  Verf. :  „Es  smd'TorzQglich  Ne- 
ander.  Lange,  Tersteegen  und  Lavater,  von  welchen 
Nelmder  in  enger  Verbindung   mit    dem    lutherischen. 
Spener  stand,  und  in  lutherischer  Weise  dichtete,  Ter- 
,   steegen  seine  Poesie  uach  niehtrefornlirten  Mystikern 
bildete  u.  s.  w.    Hier  geht  die  Consequenzmacheret  in 
der  Tbat  bis  zur  gedankenlosen  Willkür.    Könnte  man 
nicht  an  einher  andern  Stelle  mit  demselben  Rechte  ur- 
giren,  dafs  Spener,  den  ebensowohl  wie  Amd  die  luthe- 
rische Orthodoxie  nicht  anerkennen  mochte,^  mit  Refor- 


€    Sy  mt  e  liJk,  S 

mji4en  in  eifger  Verbindung  gestanden  f  Nesöidev  seU 
in  Intberisoher  Weise  gedichtet  baben«>  ElWte  ge« 
sehmac^los  hat  er  freilicli  gedichtet,  diefs  ist  aber  kei« 
neswegs  lutherisehe  Weise;  tiefbs,  poetisches  Gefühl 
aber  bricht  durch  die  mangelhafte  Form  hindureh',  das 
hat  er  nicht  Ton  andern;  «Eidselnei  ist  angensoheinfich 
reformirt  konfessionell.  Tersteegeiis  Poesie  übrigens 
ist  durchaus  originale  Lyrik  des  chrisdiehen  Gemüths ) 
es  finden  sich  Verse  bei  ihm,  die,  was  Sim^zitit^ 
Zartheit  nnd  Innigkeit  anlangt,  einen  (roetheschen 
Klang  hallen;  diesem  Dichter  hat  nur  eine  gröfsere 
Ausbildung  gefehlt,,  und  eine  gröfsore  Würdigung  ge^ 
bührt  ihn  noch  jetzt. 

Was  der  Vf.  über  die  differentm  Fassuägeil  der 
Abendmablslehre  sagt  S.  258  n«  s«  f.,  ist  völlig  unge» 
nügend,  denn  er  fällt  eigentlich  nur  das  ürtb^O,  dafs 
die  eine  Partbei  vielleicht  zu  viel,  die  andre  vieUeickt 
KU  wenig  glaube.  In  derselben  Aeufserlicbkeit  ist  das 
'Folgende  gehalten:  „Es  scheint  jedoch  allerdings^ 
dafs  überhaupt  mit  dem  Umfange  einer  Kirehe  aueh 
der  Umfang  ihres  Glaubens  in  gradem  Verhältnifs  steht» 
denn  unstreitig  glaubt  die  grofse  katholische  Kirche 
am  meisten,  und  die  kleineren  Sekten  am  wenigsten  n« 
s.  w.''  Hier  wäre  es  wenigstens  ein  geringer  Nothbe-  * 
faelf  gewesen,  den  Unterschied  von  multa  und  multum 
geltend  zu  machen.  —  Der  Verf.  rechnet  Seite  272  z* 
der  Schattenseite  der  hitherischen  Kirche  das  Au€-  ^ 
flackern  antiaomistiseher  Aeufserungen  mit  Recht;  wenn 
er  aber  die  Behauptung  des  Flacios,  die  Erbsünde  des' 
Menschen  sei  Substanz,  anfuhren  wellte,  so  muiste  er 
auch  bemerken,  dars  die  lutherisehe  Kirche  diesen  hi^ 
retischen  Ausdruck  bekämpft  und  von  sieb  ausgaste 
fsea  habe,  was  nicht  gesohehen  ist.  -^^  Wenn  in  der 
Darstellung  der  theologischen  Eigenthümtidikeiten  bei- 
der Kirchen  die  refermirte  Theologie  dem  Verf.  zuletzt 
als  eine  ganz  bedeutungslose  schwindet  der  BHithe  lih 
therischer  Theologie  gegeaüber^  so  hat  er  wenigstens 
hier  den  früher  zu  Gunsten  reformirter  (xlftabigkeit  in 
der  neueren  2eit  eitirten  Sehleiennaoher  vergessen; 
und  sehr  mit  Unrecht  denn  er  wiegt  leicht  ein  Dntzcnid 
gewShnltohpr  rationalistischer  Theologen  der  lutheri> 
sehen  Kirche  auf,  oder  mit  andern  Worten:  er  bildet' 
einen  Wendepunkt  in  ^er  neuern  Theologie  vom  Un- 
glauben in  den  Glauben,  von  der  Flachheit  in  die  Tiefe. 
Doch  sind  wir  weit  entfernt  davon,  diefs  der  reformir- 


23^  Chri$tlieh 

ien  Eirolie  ansBchliefBlioh  ancarechnen.  Die  aenere 
deotsebe  Theologie  liat  Aaregaogea  yon  Plato,  Philo 
nnd  Spiaoza,  cum'  Mindeateo  hat  sie  den  ganzen  S0» 
gen  der  Unioa.  Sie  hängt  znsamDien  mit  der  Jihiloso-f 
phisohen  Eotwickelang  des  4eat8ohen  Geistes,  die  man 
jedeofalls  nicht  als  eine  konfessionelle  betrachten 
kann.  --  In  dem  letzten  Abschnitt :  von  dem  Verhalten 
der  beiden  Kirchen  gegeneinander  wandern  wir  durch 
ein  tranriges  Gebiet  $  die  Sunden^  der  Väter  werden 
mit  lobenswerther  Freimüthigkeit  zur  Sprache  gebracht. 
Doch  beschliefst  der  Verf.  diese  Wanderung  mit  Wor- 
ten der  Versöhnung  und  de6  Friedens.  Mannigfach  hat 
er  uns  Licht  und  Schatten  gezeigt  auf  beiden  Seiten^ 
die  Liebe  zu  beiden  Kirchen  hat  er  in  vielfach  hin  und 
hei^  gewendeter  Erkenntnifs  und  Anerkennung  beurkun- 
det; und  so  ist  der  Segen  beider  Kirchen  in  seinem 
Werke.  — 

Dasselbe  läfst  sich  von  dem  ^weiten  Werke  nicht 
sagen.  Dr*  Rudelbach  hat  seine  Schrift  dem  dftni- 
sehen  Theologen  Gründtwig  dedizirt.  Wenn  man  vor- 
aus weifs,  wie  in  Grundtwigs  Weltchrooik  die  refor- 
mirte  Kirche  behandelt  wird,  so  nimmt  man  ein  Werk, 
was  zum  Theil  ihre  Interessen  betrifft^  unter  einem 
4solGhen  Patronat'  mit  einiger  Besorgnifs  zur  Hand. 
Freilich  das  Präjudiz  fiir  den  christlichen  Ernst,  und 
die  dem  Glauben  geweihte  Gelehrsamkeit  des  Verfs. 
sollte  wohl  hinreichen,  diese  JBesorgnifs  niederzuhalten. 
Allein  .das  Werk  rechtfertigt  sie  dennoch.  Gründtwig 
scheint  .dem  Christehtbum  durch  das  Lutherthum,  und 
•dem  Lutherthum  durch  eihen  ,,stark  prononcirten  Da- 
nismus" zu  Hülfe  kommen  zu  wollen ;  in  dieser  Ten- 
denz hat  er  neben  den  Reformirten  auch  manche  Lu- 
theraner etwas  herabgesetzt,  z.  R:  die  deutschen  J^ly- 
stiker,  abgesehen,  von  der  Degradation  der  gröfsesten 
deutschjen  Dichter,  nicht  nur  nach  christlichem,  son- 
dern  auch  nach  allgemein  Jiritischem  Maafsstab.  Sein 
Einflufs  auf  Hudelbach  ist  .nicht  zu  verkennen.  Dieser 
Einflufs  tritt  in  dem  Urtheil  über  die  Reformatoren 
der  reformirten  Kirche  herv^  die  nach  dem  ürtbeile 
des*Letzteren  am  Glauben  Schilf bruch  gelitten  haben; 
auch 'wohl  in  .dem  ürtbeile  über  Spener,  welcher  recht 
useltsam  als  der  ^^tüchtige  J^chüler  des  großen  Xnäm- 


fSymtofii.  ,  ^ 

lieh  antireforinirten)  Dannbauer'*  belobt  wbd«  la  Ra- 
delbaohs  Sohriß  ist  der  Grandton  der  christlichen 
^ahrbeit  nicht  zu  verkennen,  aber  der  Bück  d^r  Er» 
keontnifs  erscheint  bereits  stark  nmflort  von  dea  Be» 
nebelungen  eines  bitteren»  sektirerisohen  Zelotiaoitta^i 
Die  Sprache  ist  gewandt  und  kräftig,  a^ein  der  Styl 
leidet  an  überflüssigem  Patboa  pBd  breiter  WortfiiUe; 
Und  wohl  hätte  die  Schrift  ohne  sonderlichen  Verlast 
an  Gedanken  auf  emen  weit  geringeren  Umfang  reda- 
zirt  werden  können.  Die  ausgezeichnete  Seite  dei? 
Schrift  ist  ohne  Zweifel  ihre  reiche  Belesenheit  nnd 
historische  Gelehrsamkeit;  der  Verf.  beschränkt  sieii 
aber  auch  in  dieser  Beziehung  nicht  auf  *4{i8  znr  Sm* 
che  Gehdrige,  sondern  er  theilt  uns  in  sefaien  Citatdi» 
namentlich  in  den  Noten  Vieles  mit,  wm  mehir  auf 
seine  Gelehrsamkeit  als  auf  den  Hauptgegabstawd  der 
Verhandlungen  ein  Licht  wirft  Seine  ScAf  l(t.  is(  aebr 
entschieden  gegen  die  „preufsische"  odev'gegelL  j^' 
„neudeutsche"  Union  gerichtet.  Sie  müfsteialso  &i  jkth 
fern  für  eine  unio  absorptiva  sich  erkläre9)'m.w4leiw' 
die  Reformirten  das  lutherische  Bekennlnifs  abncA« 
men,  das  reformirte  aufgeben.  Allein  auch^ese  Vi99M' 
spricht  den  Vf.  nicht  sonderlich  au.  Für^sdildn-^id^ 
punkt  sind'  Kirche,  Lutherthum  und  Reilifl|bäbi^^B|^ 
identisch.*  Nun  kann  mau  sich  diesen  Stlt«^pltnU*lMh^. 
hauptet  denken  von  Eiferern,  welche  rtuiitifr  riitjyJtA 
gesetzte  Stimmungen  weit  aus  einander  gehaf  ^BjMi 
strengste  Lutherthum  dieser  Ffissung' wMi  jln  ;^. 
Stimmung  des  , christlichen  Wohlwolleüs.^ade  \^ 
einem  lebhaften  Unionstrieb  beseelt  wtai^ai  'djMMr 
wird  sich  als  Bekehrungstrieb  äufserti!,;' %o  entstellt 
die  Förderung  der  unio  absorptiva.  Ist'.liher  die.  dog- 
matische Abgeschlossenheit  in  koufessioaeHe  Moaoyi- 
tät  versunken,  so  bildet  sich  eine  ab6toIsend«l  St^ 
lung,  welcher  es  um  die  Union  in  keiner.  Weiserson- 
derlich  zu  tjiun  ist,  weil  mit  ihr  der  Genufs  der  bitter^ 
süfsen  Affekte  des  Separatismus  wieder  verloren  ge* 
hen  würde.  Mit  einer  solchen  Stimmung  (dl'scheint  das 
vorliegende  Werk  behaftet,  wenn  sie  auok  von  freie- 
ren christlichen  Regungen  und  Aeurserüag.ei|  mebr> 
fach  durchbrochen  ist.  ■•'.: 


(Die  Fortsetzung  folgt.) 


«••*••:• 


Jlf  4. 

J  a  h  r  b  fi  e  h  e  r 


für 


«^ff  1s  senschaft  liehe    Kritik. 


I 


Juli   1839« 


IJ  pie/rfilfs^iÖBe  Eigenthtimlichheit  der  lutherii 

fciUSiiifd.  der  reformirten  Kirche.     Versuch 

'  l^|i^l|S9gl^^^  Vergleichung  von  Max 

2/^l^fl^iif^lft^fi,  Lutherthum  und  Union.    Eine 

gmati$cf$e  Apologie  der  lutheri- 
e  und  ihres  Lehrbegriffs  ^on  Dr. 
elbach 

'f!iuf.'  (FortaeteMg.) 

^flodigt  der  Verf.  in  einer  längeren  Ein- 

lideen,  die  Stellung,  den  Gang  und 

erkes.  Hier  entfaltet  sieh  am  reich« 

io8  äee  aufgeregten  Eifers.  SalbungB- 

leifsungsreiche  Bibelsprüche,  welche 

Stit.  universeller  Kraft  das  Reich  Got- 
erden  hier  schief  und  viderv&rtig  ge- 
grofsen  Selbstbcschrftnkung  des  cha- 
if^ssionelleki  Eifers  Vorschub  zu    lei- 
leabsichtigt  eine  Apologie  der  luthe- 
ü}  liefern,  und  mit  dieser  zugleich  den 
I^mS^^^  dnfs  die  nendentsche  Union  nichts 
^^IMWF- ^'"  -Au^l^'u^  ^^^  Glattbenskrankheit 
in  Ende  will  er  in  historischer  Ex« 
pi^^l^^l'^lpipaWse  Richtung  sowohl  in  den  re- 
'*'  ^  ~*^egnngon  des  Mittelalters,  als  in  den 
lolien  der  „deutschen"  und  „schweixe- 
tion  darstellen,  und  nachdem  er  die 
rftik  der  Differenzen  sowohl,   als  der 
^'  uche  Tollzogen  hat,  zur  Darstellung 
der  neuesten  Union  syersuohe  über* 


und  Bwl 

V.«  y  «#  ^' 

ftngea  der  i) 
jioh  in   der 
Jairi.  /. 


«•1 


:••':' 


I 

lacht  uns  zuerst  in  einer  Reihe  yon 
Worzeln,  mit  den  historischen  An- 
Reformationen bekannt*  Es  regten 
des  Mittelalters   Tersehiedenärtige 

kA.  Kritik.  /.  1839.  II.  Bd. 


Kräfte,  ^reiche  auf  den  Kampfplatz  traten,  i^ber  „in 
diesen  Kräften  selbst  lag  eine  zwiespaltige  Richtung^ 
die  keine  Uebereinknnft  über  irgend  ein  formales  Prin- 
zip (wie  hier  das  des  freien  Schriftgebrauchs)  znsa'm-' 
menfiihren  konnte,  und  die,  je  weiter  sie  sich  fortbe- 
wegten, destd  mehr  die.  Grundverschitfdenheit  ofTenba* 
ren  mufsten,  wenn  nicht  die  eine  von  der  andern  ganz 
überwältigt  ward.  Verhehlen  wir  es  uns  nicht,  iie 
deuticA-nordiseAe  Reformation  trug  einen  ganz  andern 
Charakter,  und  bildete  sich  ganz  Tcrschieden  aus  Ton 
der  sehweixeriseAen ,  (damit  mr  nun  eininal  bMle 
Tendenzen  unter  dem  kerk^wimliclisn  Namen  x«- 
sammenfMsen)  und  der  durch  diese  weiteren  mehr 
oder  weniger  infizirten  französischen  und  englischen.'* 
Man  sieht,  wie  unbequem  es  dem  Verf.  ist,  dafis  di6 
Geschichte  nun  einmal  auch  der  „schweizerischen  Ten- 
denz''  den  Ehrentitel  der  Reformation  bewilligt  hat. 
Er  unterscheidet  nun  in  der  Opposition,  welche ,  sich 
schon  frühe  in  der  rdmischen  Kfrche  ausbildete,  „die 
reine  TOrreformatoriscbe  Richtung,**  wie  sie  z.  B.  in 
Claudius  Von  Turm,  Anselm  von  Canterbniy,  Bernhard 
von  CJairraux,  in  den  Waldensem  u.  s.  w.  zur  Er^ 
scheinung  gekommen,  von  einer  „mehr  oder  weniger 
mit  häretischem  Streben  und  Charakter  auftretenden^ 
Yorrefonnatorischen  Tendenz,  welche  er  im  Allgemei- 
nen als  iXe  manieAäiseA»albigensis€Ae  bezeichnet.  Das 
Vorhandensein  der  doppelten  Linie,  einer  kirchlichen 
und  häretischen,  ist  eine  unbestreitbare  Thatsache. 
Schwierig  aber  war  es,  die  beiden  Reformatiohen  un- 
bedingt an  diese  beiden  Linien  anzuknüpfen,  so  klar 
auch  im  ganzen  Entwurf  des  Werkes  diese  Tendenz 
liegt,  die  sich  auch  durch  mannigfache  Aeufserungeti 
kund  giebt,  die  Tendenz  nämlich,  die  reformirte  Kir-* 
che  schon  auf  dem  Boden  des  Mittelalters  zu  riobten,' 
ihre  Ursprünge  durch  die  Hinweisung  auf  ihre  ketze- 
rische Genealogie  zu  Terdfichtigen.  An  der  entscheid-' 
di;iiden  Stelle  sieht  sich  der  Verf.  genöthigt  zu  dem 

4 


N  • 


27  €  hr4$t  lieh 

•  -  i  . 

folgenden  Cestfindnifs :  Blicken  wir  aber  im«  auf  jeae 
awei,  aus  dem  Mittelalter  bis  zinn  16.  Jabrbmdert 
hinäberströinenden  GrundricbtuDgen  mit  refonnatori- 
'seber  Tendenz  .zurück,  so  ist  ja  keine  Frage,  dafs  al- 
les^ was  von  den  Anabaptisten,  Anlitrinitariern  und 
äbniicben  Sekten  und  Sektenbüupteru  ausging,  der 
zweiten,  der  offenbar  häreiiicheu^  dem  Glauben  und 
der  Kirche  widersprecbenden,  anheimfallt  $  auch  waren 
davfiber  'die  deutaeben^  und  schweizeriacfaen  Hefonmito- 
reti  »ioht  verscbiedeoer  Meinniig,  -jobgleieh  wiederum 
nur  du  eineiv  mit  vollem  ReHilit  e*  vm  sich  mm- 
McAiedeny  die  anderen  nio/u.^^  Man  «ieht,  wie  6ebw<»r 
dem  Verf.  sein  GestRndnifs  geworden  ist,  er  bestrei- 
tetdar  reformirten  Kirche  das  Recht,  das  Häretische 
TOD  sieh  auszustofsen,  während  er  des  vollen  Rechtes 
der  lutherischen  Kirche,  jene»  die  das  üäretiscbe  ab- 
gewiesen, von  sieb  z«  stofsen,  gewifs  ist.  Aber,  fragt 
er  dann«  wo  ist  iuia  der  wahre  Platz  fiir  die  schwei- 
z^riache  Reformatio«  1  Die  Wahrheit  ists  keiner  von 
beideo  beachriebeaen  Richtungen  gebext  sie  ganz  aa, 
eQHdern  sie  ist  iufiKirt  vot^  der  ersieren^  und  de/s- 
kalb  V0M  der  letzteren  nie  als  M>alirhaft  refarui^B- 
risoh  anerJkannt^  und  mf^enemmen  worden.  Einst- 
weilen steht  diese  Bebaufitai^  da  als  eine  mterwie- 
aene^  schraffe  VerkctzlBriiiig»  Den  b^toprijlGh«ll  Zu* 
sammeobang  bat  di&r  V<)rf.  jnidit  im  mindestea  nach- 
gewiesen. Gerade  an  diesem  Punkte,  wo  seine  gene- 
tische Darstellung  mit  der  |$rofeten  i^rgfak  die  Ver- 
Lnüpfungen,  die  Art  und.  Weise,  den  Grad^  4ie  Vk^. 
■lente  der  ketzerischen  Ansteckung  od^r  tbeilweisen 
Abstammung  angeben  sollte,  zieht  er  sich  hinter  die 
stolze  Voraussetzung  iuröck,  dafs  ihm  seine  Leser 
diese  dreiste  Yerarlheipuug  einer.  Kirche  einstweUen 
wenigstens  aufs  Wort  glanben  müssen«  Dailarob  ist 
nun  aber  aueb  die  ganae  Mühe  der  bisherigen  Deduk- 
tion verleFren,  and  au  dn^r  Spiegelfechterei  mit  histo« 
risohen  Scbeinbeaicbungea  gewonlen.  Preilioh  findet 
sieb  bald  aachher  der  bedenkliche  Umstand^  dafs  Carl- 
atadt  9}die  slte  manicAUiscAe  Anslegang  der  Einset- 
aangawotte  des  heiligen  AbondwaUs^  ^uacb  weldber 
%ovto .  nicfat  ^u(  die  darffereiobton  Elemente>  sondern 
a«f  den  Xioib  des  Herm^  der  vor  den  Jängem  aafs^ 
geben  soUte,**  wieder  vorgetragen  bat,  npd  dafa  dea« 
noch  die  Scbweizer  diesea  Mann  ^^«ofort  als  Fleisch 
TM  ihreni  Fleiei^h  .  anericanatea  und  in  Schulz  aab- 
um,''   Et  kann  anob  hier  piffat  uaihia  au  geetehaip,. 


itU^j 


t«»; 


■l^"^ 


e    Symbolik* 

dafs  Zwingli.  über  Carlstadt  geurthoilt, 

seien   niobt  fecbt  nabb  der  Sachen, H 

tat  \ "  und  fast  mufs  man  besorgen,  der  U^ 

bleibe  ihm  anstöfsig  und  bedenklich  ge 

Seh  weiter  den  armen  Vertriebenen,  eben 

von  ibreit^  Fleischig  war,  nach  dem  GefiM':,^^' 

dich  nicht  von  deinem  Fleisch  —  gasmpETaLufgJ 

raen,  wenn  man  erwägt,  dafs  er  durch  '"'"  '  "  '^ 

»iDdiircfa  alle  Seiten  der  aMntheciadieif 

des  ak]u( herischen  Verfahrens  gegen  d 

den  nur  beloben  kann.    Weiterhin  ers 

liturgischen  Maafsregeln  der  Schweizer ^rja 

und  Altarstiirmerei,  *  und  es  fallt  ihm- 

dafs  ,, überall  die   Obrigkeit  als  die  rd^ 

Evangelium  als  die  li/tke  Hand  erscii' 

jedoch  dabei  bemerkt:  ^ySehonl^^M 

keit  XU  Zürü'h  das  Predigen  über. 

und  apostolischen  Briefe  freigegeb 

ja  hier. einstweilen  nur  das  Evangeli 

Hand  wirksam,  und  die  Obrigkeit  bes 

Erste  als  die  ruhende  Hand  jene  wi 

zu  binden.     Hat  der  Verfasser  a 

reformirte  Kirche  sei  nur  durch 

der  Obrigkeit  entstaadea)  so  bat  Vi; 

atebung  der   reformirten   Kirche  ki^V 

Deotschlaad  achleoht  erinnert;  an 

Obrigkeit  aber,  wie  sie  im  hohen  Ni 

des  Lutfaerthuws  wirksam  war,  \i»fy 

gedacht.    In  Beziehung  auf  die 

mässen  Wir  «s'  noch  für  einen  g^< 

ten^  dafs  die  Obrigkeit  iu  der 

mation  mit  thätig  war,  andemfelia  Vj 

di6s^  Tendenz   mit  der  manial 

Linie  noch  leichter  zu  vollziehen 

Der  Verf.  onterseheidet  zwischei»^ 
vad  den  fundamenteilen  Differenzen.^ 

>  ■  ■ 

ohen^     Ihre  prinzipiellen  DifFermizeiii. 
vercbiedenen   Auffassung   der   Ma 
Wertes,  des  Verhhltnisses  des  Ge| 
liehen  im  Reiche  Gottes^  und  der  Be 
habang  des  Sohriftpriazipa«    Dar 
welcher   die  Bedeutung  des  Wort 
Naebt  desseihei^  ao  wie  das  Ve 
Utt4  Halberen  Wortes  betrifft, 
alle   übrigen.     Naohdism  er  voai 
,  Mavht  daa  Wortes  Cbnsti  tjeredat 


1  V 


iw 


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koh 


►»^ 


^.^■mm^. 


2»  C  kr  i  9  tliv  h 

■e  Msobt  des  Wortes  ansers  Hemi  Jesu  Cbristi  ist 
aber  dieselbe»  veiin  vir  es  fiäch  tteinem  Gekei/s  vie- 
derbeteo;  es  mf^  ibe  in  «asre  Mitte  u/s.  w.  —  Den 
Gegnern  uiaeht  er. den  scbveren  Vorwurf:  »»sie  kowoe- 
teo  des  gespreeheoe  und  gepredigte  Wart  nicht  für 
die  Genesis  des   Glaubens  halten »  und  indem  sie  so 
den  kiroblichen  Grund  verliefsen»  wurden  sie  immer 
.mehr  auf  die  ^  schwärmefiiui^be  Meinung  vom  inneren 
Wojrte  bingetrieben»  diw  losgerissen  Ton  der  Fülle  der 
Offeabarang  Gottes  nur  ein  Themen  ist'*    Der  Verf. 
wetls  awiscben  dem  äuisercn  und  inneren  Worte  nicht 
aa  nnterschetden.   Nach  ihm  ist  das  Wort  der  Recht* 
gläubigkeit  an  sieb  schon  das  Wort  des  rechten  Glau- 
bens» und  eine  Formel  der  Wahrheit  mufs  mit  dersel- 
ben Kraft  wirken»  wenn,  sie  ein  todler  Liturg  ableiert, 
\wie  das  feurige  Sobrift-  und  Gfaubenswort»   wenn  es 
aas  der>  bewegten  Seele  eines  Gläubigen  ertönt.   Dar- 
um bat  auch   der  Meister  der  Orthodoxie»  Abraham 
üalovins,  welcher  taglich  soll  gebetet  haben :  imple  me 
domine  odio  haereticorum  *-^  eine  so  bebe  Stellung  in 
seiKia  Buebe  erfaaltea  über  Spener  und  Cafixt  und 
andere  »»titebtige''  Leute  hinaus.    Dieser  Mangel  an 
üntersebeidnii^  awischen  dem  Buchstaben  und  Geist 
ist, eben  der  Aberglaube»  den  die  überlatberiscben  Ei« 
iarer  dem  Lutbertbum   vielfach  aufgedrungen  haben. 
Die  Gegner  aber  beschuldigt  er  falschlich,  sie  seien 
auf  die  aGhw&mieriscbe  Meinung  vom  inneren  Worte 
biagetrieben  worden.  Der  Glant^e  an  das  innere  Wort 
wird  fiur  dann  schwärmerisch»  wenn  das  äufsere  vor* 
achtet  wird.    Diesen  Vcnrwurf   wird  man  aber  gegen 
ZwangU  und  Oekolampad»  welche  als  eifrige  Prediger 
das  Wort  ihr  Leben  lang  verkündigt  haben»  schwer* 
lieh  debwegen  erbeben  können»   weil  der  Aberglaube 
ihrer  Zeit  sie  nötbigte»  zwischen  dem  inneren  und  äu« 
fseren  Wort  zu  unterscheiden.    Weuigsftens  beweisen 
die  Citale  des  Verfs.  nicht»   was  aie  beweisen  sollen. 
Iter  Ausspruch  Oekolampads:  »»was  die  äufserlicben 
Worte  über  das  Getön  haben»  das  haben  sie  von  dem 
innerlioben  Gemüthe  i|nd,  vom  inneren  Worte  —  be- 
weist gerade»  vwie  sie  wohl  verstanden»   beide  Seiten 
des  lebendigeik  Wortes  Gottes  in  ihrer  Einheit  ausatn- 
aMaaufassen.    (Gerade  dieselbe  Art  des  Vorwurfs  be- 
'  gegpet  uns  wieder  bei  der  awciten  prinzipiellea  Diffe- 
rena»    betreffend  das  Verhältnifs  des   Gveistlicben  und 
Leiblichen  in    der   Kirche«      Den    Reformirten    wur- 
de» behauptet  er»  »»das  Geistliche .  der  OiTenbaro^g  al- 


eSymioJiJb.  30 

lein  das  von  aller  Realität  Erfüllte,  das  Leibliehe  aber 
das  von  aller  Realität. Entblöfstc."    Wei^n  diese  Be- 
hauptung Grund  hättet   so  hätten  sie   schwerlich  das 
heilige  Abendmahl  als  Sakrament  beibebalteur  und  treu- 
lich gespendet  und  genossen.    Freilich  die  Realität  des 
Leiblichen  war  ihnen  das  Geistliebe»  und  nicht  wiederum 
ein  mysteriös  Leibliches.    Er  behauptet /ei:ner»  sie  bat* 
ten  die  Wassertai]f;e  der  Geistestaute  eutgegengestollt. 
Umgekehrt  wohl   haben  sie   die  Geistestaufe  geltend 
gemacht»  gegen  die  Voraussetzung  von  der  Allgenug- 
samkeit  der  Wassertaufe.    Wer  die  clmstliche  Was- 
sertaufe  unter  allen  Verhältnissen  für  die  erscheinende 
Seite  der  unauflöslich  mit  ihr  verbundnen  Geistestaufe 
betrachtet»   fiir  den  hat  Carl  der  GroEse  ein  grofses 
Pfingstfest  gestiftet,  .als  er  die  Sachsen  zn  Hunderten 
zusammen  zwangsweise  taufen  liefs.    Wenn  nun  auch 
ia  diesem  Punkte  die  Reformirten»  um  den  Aberglau- 
ben ihrer  Zeit  zu  bekämpfen»  streng  unterschieden  zwi- 
schen der  Wassertanfe  und  Geistestaufe,   babea  sie 
darum  nach  deta  Vorwurf  des  Verfs.  ,» keine  Ahnung 
gebäht  von  dem  Complex  des  Geistlichen  Jind  Leibli- 
ohea  P'   Haben  sie  »»in   falschem  Spiritaidismtts ,  das 
Leibliche  vernichtet»  und  somit  das  Geistliche  verflüch- 
tigt 1*'   Sogar  die  Kindertaufe  haben  sie  im  Kampfe 
gegen  die 'Anabaptisten  behauptet  $  noch  viel  weniger 
also  haben  sie  die  Wassertaufe  überhaupt  abgeschafft« 
das  Leibliche  vernichtet.    Sie  haben  unterschieden  zwi- 
schen dem  Leiblicbeo  und  Geistlichen,  ohne  Beides  zu 
scheiden»  g^sobweige  denn  die  Scheidung  zu  fixireUf. 
Solche  Unterscheidungen  aber»  selbst  bU  <ur  memeu- 
taoen  Scheidung  gesteigert»  könnte  ein  uabefimgper 
Christ  auch  in  der  Heilsgescbichte  und  in  den-  Worten 
des  Heils  finden.    A|a  Kreuze  wird  das  edelste  Leib- 
liehe  bis  ia  den  Tod  verniabtel,   wird  aber  daduvob 
das  Geistliche  vcrSüchtigt?   Der  Heiland  spricht  vieU 
mehr:  Vater  in  deine  Hände  befehle  ich  meinenvGeiat. 
Und  von  seiner  Himmelfahrt  sagt  er  lum  voraus  i«  wenn 
ich  nicht  hingehe»  jso  konmit  der  Tröster  nicht  zu  euch. 
Die  leibliche  Erscheinung  mufs  hier  verschwinden»  da* 
mit  der  Geist  komme.    Solche  Momente  durohbreohen 
die  Heilsgescbichte»  damit  das  Leibliche  nicht  vfli^öb- 
tert  werde.    Darum  ist  auch  die  Auferstehung  an  das 
Ende  der  Welt»  in  die  VoUendui^  der  Gerechten  ver- 
legt» weil  es  so  schwer  ist,  das  Geistliche  im  Leibli- 
ohen  mit  geistlicher  Remheit  festzuhalten»  ohne  dem 
Dienste    des    Leiblichen  abergläubisch   xu   verfallen. 


31      '  C  hri  9  t  lie  k 

Danim  Übt  auch  der  Tod  einstweilen  ieioe  altbekannt e, 
gtille,  reforn&rende  Bildersttirmerei  durch  die  ganze 
Welt,  nacV  Gottes  Gebeifs,  naobdeut  dem  Gomplex 
zwischen  dem  Leiblichen  und  Geistlichen  sein  Recht 
geschehen  ist.  Sollten  sich  wohl  nach  dem  Theorem 
dos  Yerfs.  durch  den  Spiritnalismns  dieses  Gottesbo- 
ten die  Geister  verflüchtigen!  Bei  alle  dem  lüugnen 
\At  iticht  eine  gewisse  Einseitigkeit  und  Beschrftnkt* 
beit  der  Reformation  in  der  \yürdiguog  der  Verleibli- 
ohungen  der  göttlichen  Verbeifsung.  Aber  defswegen 
sind  sie  nicht  mit  dem  Ve^f.  einer  „seuchtigen  Theo- 
rie'' zu  beschuldigen;  eben  so  wenig  als  man  Luthers 
accentoirte  Beibehaltungen  mit  der  Theorie  von  dem 
deus  in  pyxide  verwechseln  darf.  Wenn  Luther  von 
der  Beseitigung  der,  Bilder  sagte:  noch  nickt!  obschon 
er  die  Ueberzengung  hatte,  dafs  sie  schädlich  wirkten, 
so  hatte  in  diesem  Falle  er  den  spiritualistiscben  Stand- 
punkt, in  dem  er  die  geistliche  Ueberzeugung  nicht 
durch  angemefsne  Schritte  vtsrtciblichte,  und  bei  alle 
dem  hatte  er  doch  nicht  die  4deal  freie,  christliche  An- 
sicht von  dem  göttlichen  Beruf  der  christlichen  Maler- 
kunst  für  i^t  Erbauung  mündiger  Christen  gewonnen« 
Dem  zweifelnden  Nock  nickt  hätten  die  Reformirten 
mit  gutem  Grunde  ein  glaubiges:  EinH  wieder  entge- 
gensetzen  können,  wenn  sie  nicht  auch  in  ihren  Ab- 
BchafTungen  sich  einseitig  tii[irt  hatten.  Als  die  dritte 
prinzipielle  Differenz  bezeichnet  der  Vf.  die  verschicdue 
Anvendong  des  SchriAprinzips.  ^,Die  formelle  lieber- 
einstimmung  über  die  Zuläfsigkeit  dieses  Prinzips,  sagt 
er,  kann  keine  Glaubenseinigkeit  hervorbringen,  die 
nur  dann  entsteht,  wenn  die  Glaubeneregel  hinzutritt, 
und  sowohl  den  irrenden  Sinn  zügelt,  als  den  «ucben- 
den  leitet,  und  den  Ungewissen  gewifs  macht.  Zuvör- 
derst heischt  nun  die  Gerechtigkeit  das  Geständnifs 
von  uns,  welches  die  unbefangne  Betrachtung  des  Strei- 
tes ergiebt,  dtffs  hierüber  im  Allgemeinen  und  vom  An- 
fang an  zwischen  Luther  und  seinen  Frennden  anf  der 
einen,  Zwingli  und  Oekolampad  auf  der  andern  Seite 
keine  augenfällige  Uneinigkeit  obwaltet.  Gewifs  ist 
es  wenigstens,  dafs  Oekolampad  mitten  in  der  Hitze 
des  Kampfes  «mf  das  einmütkige  Zeugnifs  des  christ- 
lichen Glaubens  von  Alters  her  sich  berief,  und  alles 
Ernstes  eiüen  Glaubensartikel  zu  seinem  Schutze  vor- 
hielt^ n.  8.  w. ;  i^ewifs  ist  es,  dafs  das  Helvetische  Be- 
kenntnifs  vom  Jahre  1536  mit  bellen  und  klaren  Wor- 

(Der  Beschluffl   folgt) 


S  ymi  ^lii.  32 

ten  lehrt:  die  Schrift  müsse  durch  sich  selbst  erklärt 
wenlen,  doch  so,  dafs  die  Ghiubenklehre  uns  leite  und 
^teure  u.  s.  w.''  —  Der  Verf.  hätte  noch  Ticles  iKeser 
Art  anführen  können  und  gerade  dieser  Charakteriuig 
inurste  ihm  als  das  entscheidende  Merkmal  der  Kirdh 
lichkeit  der  reformirten  Kirche  erscheinen.  Statt  des* 
sen  sucht  er  sofort  die  Bedeutulig  seines  GestÜDdnio- 
ses  zu  entkräften  durch  die  Bemerkung,  Zwingli  und 
Oekolampad  hätten  sich  zu  solchen  Prinzipien  bekannt, 
die  konsequent  ausgeführt  nicht  nur  die  Gewifsheit  der 
Schriftauslegung  nach  der  Giaubensregel,  sondern  den 
Organismus  des  Glaubens  selbst  geftLbrdeten«  Mit  die- 
sen  und  ähnlichen  Conseqnenzmachereien  von  seinen 
unklaren  Voraussetzungen  ausgehend,  sucht  der  Verf. 
also  die  Zugeständnisse,  welche  ihm  der  historische 
Thatbestand  abgenöthigt  hat,  zu  reklamiren.  Wir  wol- 
len jedoch  hier  bei  seinen  Concessionen  uns  berahig:en, 
um  so  mehr,  da  er  sie  selber  als  Geständnifs  bezeich- 
net hat. 

Wir  hätten  nun^  den  Verf.  bei  seiner  Darstellung 
der  fundamenteilen  Diiferenzen  zwischen  beiden  Kir* 
chen,  und  weiterhin  durch  die  ganze  Schrifl:  zu  beglei- 
ten« wenn  dazu  der  Raum  geblieben  wäre,  oder  wenn 
wir  nicht  glauben  müfsten,  durch  das  Bisherige  seine 
entschiedue  Befangenheit  hinlänglich  erwiesen  zu  lie- 
ben. Diese  Befangenheit  tritt  in  der  Folge  noch  atftfw 
ker  hervor«  Für  ihn  hat  die  dreihundertjährige  I:^nl* 
Wicklung  beider  Kirchen  nichts  Versöhnliches  eiDge- 
tragen.  Er  ist  überall  mit  dabei  auf  der  einen  Seite. 
Der  alte  Groll  gegen  die  Schweizer  lebten  seinem 
Werke  frisch  wieder  auf,  besonders  der  anne  Zwingli 
wird  übel  mitgenommen.  Der  Verf.  konstruirt  das  ve- 
formirte  Uekenntnifs  mit  Vorliebe. ans  auffaliendeo Pri- 
vatäefserungen  Zwingli's,  Calvins  uud  Andrer,  obachon 
er  nicht  läugnen  kann,  dafs  sich  dasselbe  in  den  met 
sten  difentlksben  Confessionen  sehr  geläutert  über  wA- 
che  Privatäufserungen  erhoben  habe.  Diese  Methode 
der  Polemik  hat  man  in  der  neuesten  Zeit  dem  Sjn^ 
boliker  Möhler,  der  sie  zu  Gunsten  des  Katholizismus, 
und  namentlich  anf  Luthers  Kosten  angewemlet,  zum 
schweren  Vorwurf  gemacht;  wovon  der  Verf.  keine 
Notiz  genonmien  zu  haben  scheint,  da  er  nach  Mob- 
lers Vorgang  die  Bekenntnifsschriften  nach  den  Pri- 
vatäufserungen der  Refonnatoren  ausgelegt  wissen  -will. 


vif  5. 

J  a  h  r  b  ii  eher 


für 


w  i  8  8  e  n  s  c  h  a  f  1 1  i  c  he    K  r  i  t  i  k^ 


Juli  183^. 


1)  Die  reUgiöie  EigenthiXmlichkeit  der  lutAertr 
eciem  und  ^  der  reformirten  Kirche.  Versuch 
ewier  geschichtliehen  Vergleichung  aan  Max 
Göhet. 

2)  Reformationy  Lutherthum  und  Union.  Eine 
historisch  ^dogmatische  Apologie  der  lutheri- 
schen Kirche  und  ihres  Lehrbegriffs  von  Dr. 

,   A.  O.  Rudelbach. 

(SchloOi.) 

Bf  nfannit  Notfas  ron  den  Scbeltworten  der  Refor- 
waxUoky  nicht  niso  tob  den  Scbeltworten  seiner  Par- 
ihei  \  ao  dafe  man  fiber  den  glüekKcben  Wetteifer  bei- 
der Theile  in  dieser  unseligen  Meisterschaft  nicht  in^s 
^lare  Icdmnit.    Wenn  die  Lutheraner  einmal  nacbge- 
ben,  so  ist  es  die.  Klugheit  der.  Jll^i;^ chten»  geben  die 
Beformirtto  iMtebL   so  ht  es  fleischliche  Politik.    So- 
gar  die  gehässigen  Insinuationen,  welche  der  leiden- 
schaftliche Kampf  erzeugte,  läfst  er  auf  der  lutherischen 
Seite  (lir  schlagende  Argumente  gelten.   Die  Reformirten 
l^ochten  besonders  auf  die  Bibelstelle :   der  Geist  ist 
es,  der  da  lebendig  macht,  das  Fleisch  ist  kein  nütze* 
Da  nun  zunächst  von  dem  Leibe  Christi  die  Rede  war,  so 
mufsten  nagh  Luthers  leidenschaftlicher  Wendung  die  Re- 
formation gesägt  haben:  das  Fleisch  Christi  sei  kein  nütze, 
bafs  Luther  im  Gedränge  des  Kampfes  auf  eine  sol- 
che Replique  kommen  mochte,  mögen  wir  dem  grofsen^ 
Glanbenshelden,   der  auf  dem  Todtenbette  gegen  Me- 
lanchthon  äofserte:  ich  fürchte,  wir  haben  dir  Sache 
zu  yiel  gethan  —  nicht  zum  Vorwurf  machen,  aber 
ein  CTangelischer  Referent  unserer  Tage   sollte  doch 
Besonnenheit  genug  haben,  eine  solche  Wendung  nicht 
zu  adoptiren,  wie  es  unser  Verf.  thnt.    Wir  übersehen 
also   einen  grofsen  Theil   seines  Werkes,   um    nicht 
durch  die  Calamitäten  der  protestantischen  Vergangen- 
heit geführt  zu  werden,^  ohne  irgendwie  in  der  e? ange« 
Jahrh.  f.  wiMMfcA.  Ktitiki  J.  1830.  IL  Bd. 


lischen  Gegenwart  anzukommen.     Auch  die  Exkurse 
der  Schrift,  deren  erster  unter  der  TJeberscbrift :  dU 
Waldenser  und  Albigenser  die  Verschiedenartigkeit 
beider  Richtungen  zur  genealogischen  Verherrlichung 
der  einen  und  Verdächtigung  der  anderen  Kirche  dar- 
znthun  bestimmt  ist,   deren  zi^eiter,  betitelt:   Tertül- 
lianls  Lehre  vom  Abendmahle,  die  Zwinglische  Ausle- 
gung  der  Einsetzungsworte  einer  Ton  ihr  in  Anspruch 
genommenen  kirchlichen  Autorität  berauben  soll,  und 
deren   dritter  die  „verglichenen  Artikel  des  Colloqnii 
zu  Marburg"  mittheilt,  können  hier  nicht  weiter  in  Be- 
tracht kommen.  '  Die  praktische  Spitze  des  Werkes 
liegt  in  dem  13.  Kapitel,  wo  der  Vf.  von  dem  „Geist 
und  Charakter  der  neudeutschen,  besonders  der  pr^u- 
fsischen  Union  redet;  bei  diesem  Kapitel  müssen  wir 
noch  einen  Augenblick  verweilen.    Das  Werk  läuft  an 
dieser  Stelle  aus  in  eine  nirgends  bedingte  Sympathie 
für  die  neuesten  sogenannten  lutherischen  Bewegun- 
gen.   Der  "(^erf.,  der  sich  sonst  zu  dem  neuerwachten 
Leben  in  der  evangelischen  Kirche  bekannt  hat,  be- 
richtet hier,   wie  sich   unter  dem    „beginnenden  und 
stets  verstärkteu'Glaubensdruck"  (den  Maafsregela  ge- 
gen Scheibcl  und  seine  Aubänger)  ein  y^ieues  Leben 
$n  der  Kirchif*  geregt  habe*     Wir  sind  keinesweges 
gesonnen,  alle  Maafsregcin  gegen  die  „Lutherssohne'*, 
wie  sie  sich  nennen,  zu  billigen;  man  sollte  nur  nicht 
vergessen,  dafs  die  Correktur  derselben,  als  stille  Kri. 
tik  übergreifender  Schritte  der  Behörden,  als  versöh- 
nende Beschwichtigung  der  Aufgeregten  in  einer  lan- 
desherrlichen Entscheidung  längst  gegeben  worden  ist 
Davon  nimmt  nun  dieses  neue  Leben,  zu  welchem  der 
Verf.  sich  gegenwärtig  bekennt,   freilich  keine  Notiz 
mehr.    Der  Verf.  geht  hier  wiederholt  darauf  aus,  die 
neudeutsche  Union   aus   dem  weitverbreiteten  Indiffe- 
rentismus abzuleiten,  obwohl  er  an  einer  Stelle  nicht 
leugnen,  kann,  dafs  gerade  das  Entgegengesetzte,  die 
Umkehr  zum  Glauben  «in  der  Befreiungszeit  wesentlich 


•  I 


35  C  hr  i  $  t  l  i,c  he    S  y  mb  0  Itk.  36 

an  ibr   betheihgt  sei.     Er  bätte  diesen  Widerspmdb   .bat  gelio^n  wolldn.     Und    so   giebt   sie  Cbristo   die 
erklären  sollen.     Allein  er  konnte  es  nicbf,  Treil  ihm 


verborgen  war,  dafs  das  ein  Gottessegen  der  neuelti 
theologischen  Richtung  ist,  dafs  man  auch  vom  Stand« 
4pankte  des  Glaubens  aus  indifferent  geworden  .ist  ge- 
gen den  Subtilitätseifer  der  TA^Xoien  geratle  in  Folge 
inniger 'Werthschätznng  des  christlich  Gemeinsamen, 
des  Wesentlichen  in  den  Glaubenslehren,  der  Einheit 
der  Gemüther  im  Glauben  an  das  Heil  in  Christo.  Wer 
dagegen  die  christliche  Brndergemeinschaft  ganz  auf 
den  letsten  Wurf  setzt,  auf  die  Frage  nach  der  buchstäbli- 
chen Uebereinstimmung  in  den  schulmäfsigen  Entwick- 
lungen der  Abendmahlslehre  und  in  'ähnlichen  Spitzen, 
der  gerade  ist  in  einem  solchen  Momente  in  einen 
sehr  beklagenswerthen  Indifferentismus  gegen  den  Mit- 
telpunkt der  (Christlichen  Lehre  und  des  christlichen 
Lebens,  gegen  die  Beglaubigungen  des  Bekenntnisses 
der  evangelischen  Grundlehren  und  der  Wiedergeburt 
bineingerathen.  Das  war  der  Indifferentismus  jener 
orthodoxen  *Zelöten,  welche  die  ganze  christliche  Glau- 
bens- und  Erkenntnifsfulle  eines  Spener  und  Arnd  fiir 
iiichts  achteten  gegen  das  Gewicht  ihrer  vermeintli- 
chen Differenzen.  Wenn  einmal  über  den  lAdifferen- 
tisnms  der  neuem  Zeit  Gericht  gehalten  wird,  so  wird 
ihr  Ürtheil  gewifs  vielfältig  dadnreh  gemildert  werden, 
dafs  sie  den  IndifferentizmuM  gegen  die  Lebens- 
Wahrheit  der  Ueberzeugungen^  gegen,  das  Gesetz 
und  die  Bdrmlierzigkeit^  g^S^^  ^^  Bruderliebe  und 
Sanwriterliebe  so  ernstlich  bekämpft  hat.  Eben  so 
falsch  ist  die  andere  Behauptung  des  Yerfs.,  die  neu- 
deutsche Union  habe  das  „Absehen  von  dem  Bekennt- 
nisse"  zu  ihrer  Voraussetzung.  Nicht  die  Bekenntnisse 
werden  beseitigt,  im  Gegentbeil  haben  sie  ja  erst  in 
äeden  Unionszeiten  wieder  Ansehn  erlangt.  Wenn 
man  freHieh  die  Blüthe  der  Augsbnrgiscben  Confession 
nur  in  dem :  damnant  secus  docentes  zu  finden  ver- 
mag, so  kann  man  nicht  umhin,  sa  zu  behaup- 
ten. In  der  .Wahrheit  aber  ist  den  Bekenntnissen  ihre 
Geltung  gesichert.  Die  Union  setzt  nicht  die  Bekennt- 
nisse bei  Seite,  auch  „verflacht**  sie  nicht  die  Diffe- 
renzen der  Bekenntnisse.  Sie  erklärt  nur,  in  den  Dif- 
ferenzen liege  kein  Grund  zur  konfessionellen  Disu- 
nion,  das  hcifst  zur  Exkommunikation.  Sie  erwartet 
demnächst  die  Auflösung  der  Differenzen  von  dem 
Geiste  des  Friedens  und  der  Liebe,  nachdem  diese 
Auflösung  dem  Geiste* des  Unfriedens  und  Hasses  nicht 


Ehre,  der  jm  Centrum  des  Glaubens,  des  Bekenntnis- 
ses  und  der  Gemeine  wallet,  nicht  aber  der  Schule,  die 
in  der  Peripherie,  in  den  Entwickelungen  ihre  Kraft 
und  ihre  Schwachheit  offenbart. 

Die  Reaktionen  des  Papismus,  des  i'eformirteBy 
des  lutherischen  Partikulatismus,  und  selbst  der  Sy^ 
nagoge,  die  man  von  Moses  Mendelsohn  anf  die  strikte 
Observanz  des  Talmud  zurückgewiesen  hat,  bringen 
ihre  Fehlgeburten  sehr  rasch  nebeneinander  za  Tage, 
nadidem  die  Fehlgeburt  der  St.  Simonistischen  Berwe- 
gungsparthei  vorangegangen  war.  Hoffentlich'  liegt  in 
diesen  unzeitigen  Wehen  der  Extravaganzen  rechts 
und  links  eine  gute  Vorbedeutung  för  den  gründlieh 
stillen,  ruhigen  Fortschritt  des  Reiches  Gottes  unter 
den  Erschnttenmgen  unserer  Zeit. 

Lange,  in  Duisburg. 


1 1  > 


IL 
De   mythij   inprühi»  graeci   natura    Commen- 

tarii;  scribebat  Carolus  Mauritius  Fleischer 

(Progr.  Paedagog.  Heg.  Halens.)  Balis  S.  183a 

60  S.    4. 

Der  Verf.  gibt  in  diesem  Aufsatze  einige  Ansich- 
ten über  Weseiy  und  Entwicklung  des  griechischen 
Mythus  und  kritisirt  vornehmlich  Bemerkungen  von 
Ottfried  Müller. 

Er  geht  aus  von  dem  Unterschied  in  Geist  und 
Bildung  zwischen  dem  Orient  und  dem  Griechenvolke; 
Religion,  Staat,  Kunst  der  Orientalen  ist  überberrscht 
und  gebunden  von  der  Natur;  im  Volk  der  Griechen 
kommt  der  Geist  zu  sich  selbst  (S.  7  -^  11).  ^  Diesen 
wahren,  oft  erläuterten  Satz  richtet  der  Yerf.  gegen  eine 
Erklärung  Mülter's^  die  nicht  damit  streitet.  Müller^ 
der  Meinung  abhold,  dafs  die  Mehrzahl  griechischer 
Mythen  aus  dem  Orient  gebracht  sei,  gibt  zu,  die  Be- 
kanntschaft mit  Religion  und  Sage  der  orjentalisch^n^ 
wie  auch  anderer  Völker,  sei  ganz  forderlich,  doch 
müsse  das  Griechische  innerhalb  seiner  begriffen  wer- 
den. Der  Verf.  sagt  (wenn  ich  es  kurz  ausdrücke)^ 
das  Capitel  in  der  Geschichte  des  Geistes,  um  defs- 
wHIen  die  Griechen  gelebt  haben,  verstehe  man  nur  im 
Zusammenbang  mit  jenen  Capiteln,  mit  welchen  der 
Geist  im  Orient  angefangen.  Allein  es  genügt  zu  er- 
innern, dafs  jede^  denkkräftige  Mensch  den  ganzea 


97 


fleitehier,  tle  mytA*,  ü^trimü  graeei  naturm. 


tSöist,  als  desseto  Aaseioander  hier  die  Geschiphte  be- 
trachtet  wird,  in  sich  hat,  und  daher,  Qm  einen  be- 
Ütimmten  Bildungs^listand  zirYerstehen,  nicht  gendthigt 
ist,  die  Vorstufen  deaselben  auf  fremdem  Boden  sich 
Torznsfelien«  Was  dieser  Bildungszustand  überwunden 
habe,  was  nicht,  das  legt  er  an  seiner  Gestalt  zu 
7age;  sonst  wäre  er  icein  wirldicher,  geschichtlicher; 
•  imd  der  Geist  versteht  das  aus  sich;  denn  er  ist  sjßibst 
^ie  positiv^  Mö'glichkert  auch  dieses  Bildungszustan- 
^es.  Man  kann  die  Sprachen  der  Völker  ebenso  als 
stufenweise  Entwicklungen  des  SprachbegViffs  rangi- 
rea^  ist  es  darum  unerläfslich,  dafs  man  Chinesisch 
rerstehe,  um  den  Organismus  der  griechischen  Spra- 
che einzusehen  f  — ^  Auf  der  andern  Seite  behauptet 
delr  Verf.,  die  Einsicht  in  Griechenlands  Gegensatz  mit 
dem  'Orient,  beseitige  Creuzer's  Ansicht  vom  Ursprung 
der  Mjtben  aus  dem  Letzteren  y^radicüuM^\  Im  Grunde 
dooh  nicht,  nachdem  Verf.  selbst  gesagt,  Griechenraud 
sei  TTuhrend  seiner  Kindheit  mit  den  Formen  des  orien- 
talischen Geistes  theils  behaftet,  tfaeils  iuv'  Kampfe 
(p.  12),  und  nachher  (p.  37  f.)  noch  bestimmter  ans- 
sprtcht,  die  Cultur  sei  stufenweise  aus  dem  Orient  und 
in  stetiger  Verbindung  von  Aegypten  nach  Griechen- 
land übergegangen  (animi  cultnm  bumani  generis  —  ab 
ipsis  Aegyptiis  cpntinuo  ad  Graecos  quasi  profectum 
'esse  et  transiUse).  Spfttere,  dem  Orientalischen  entge- 
gengesetzte Begriffe  des  Mythischen  hat  Cretsxer 
Vie  geleugnet,  sondern  selbst  auf  seine  Weise  zu  be- 
gräuden  gesucht.  '  Es  wurde  sich  um  historische  Gren- 
zen  handeln,  die  mit  so 'formalen  Sätzen  nicht  gege- 
lien  sind. 

Der  Verf.  fragt  nun  weiter.  Wessen  Aussage  der 
griechische  Mythus  sei.  Hier  antwortet  er  einstimmig 
mit  Müller:  nicht  gelehrter  Priester,  noch  auch  der 
Dichter  in  solchem  Vorzuge,'  dafs  es  nicht  aiis  dem 
Binne  und  im  Sinne  des  ganzen  Volkes  gewesen  wäre, 
'Was  sie  mythisch  aussagten  (p.  13).  Ferner:  Was  ist 
der  Gegenstand  der  Aussage?  Hier  wendet  sich  der 
Verf.  gegen  Forchhammer  and  die  Meinting,  dafs  ,Je- 
dem  wahren  Mythos  eine  phytisehe  Thatiache  zu 
Orund  liege."  Er  gibt  «u,  diese  Ansicht  habe  eine 
relative  Wahrheit,  der  Blick  anf  das  alte  Leben  der 
Griechen  begegne  ttberall  der  Natur,  ihren  Reizen, 
ihrer  „den  Geist  bewegenden  und  störenden"  Macht; 
die  Ueberlieferungen  vonDodona's  Eichen  und  Schall- 
becken,  von  den  Titanen,  vom  scheinbar  natürliehen 


38 

Ursprünge-  der  Olympfer  selbst,  von  den  Pelaagem, 
den  Mysterien  deuten  auf  einen  vitae  statum  ab  omni  ' 
parte  naturalem  zurück.  Aber  die  Tdne  und  Schauer 
Ton  Dodona  seien  bald  den  Orakeln  der  Pythia  nach* 
gesetzt  worden  (das  nicht  eben.  Das  Dodonäische 
Orakel  ward  von  den  gebildetsten  Griechen  befragt, 
80  lang  Griechenland  blühte),  die  alten  Götter  besiegte 
ein  jüngeres  Göttergeschlecht  von  menschlicher  Gestalt 
und  Vernunft,  die  Pelasger  wurden  von  den  Hellenen 
überwunden :  zum  Beweise,  dafs  der  menschliche  Geist 
in  Griechenland  zuerst  seiner  selbst  Herr  geworden. 
Einem  sokheq  Volke  könne  keine  solche  Befangenheit 
in  seiner  lokalen  Aufsennatur  zugeschrieben  werden, 
als  Forchhammer  zum  aupsschliefslichen  Inhalt  der  My- 
thofogie  mache  (p.  14—17).  —  Für  eine  andere  An^ 
sieht  wird  Böde  nahmhaft  gemacht.  Wenn  dieser  sagt:  . 
„durch  Mythen  erscheinen  wirkliche  Begebenheiten  in 
veredelter  Gestalt  auf  eine  höhere  Stufe  ethischer  Be^ 
fieutung  gestellt,"  so  ist  das  freilieb  unbestimmt  ge- 
sprochen %  Was  jedoch  der  Verf.  zunächst  entge- 
genbält,  dafs  die  Form  der  mythischen  Facta  selbst 
mit  der  äufseren  gechichtlichen  Wahrheit  unvereinbar  • 
sei,  ist  nicht  entscheidend.  Denn  dasselbe  kann  man 
von  vielen  Gediehten  behaupten,  welche  sichere  histor 
rische  Facta  besingen.  Die  Gleichstellung  der  Mythen 
mit  solchen  sucht  der  Verf.  zwar  (p.  f  9  f.)  durch  die 
Frage  zu  beseitigen,  wie  es  denn  denkbar  sei,  dafs 
die  Facta  derinafsen  ihrer  historischen  Wahrheit  hat- 
ten entfremdet  werden  können^  wenn  doch  das  Inter-' 
esse  an  diesen  selbst  den  Mythus  hervorgerufen!'  — 
Wer  jener  Ansicht  ist,  wird  sehr  leicht  antworten,  die 
Anschauung  des  Volks  habe  von  Anfang  die  Facta 
nicht  in  ihrer  reinen  ObjectivitUt,  sondern  pbantasie- 
voU  gefafst,  daher,  was  er  Entstellung  nenne,  für  die 
Wahrheit  genommen.  —  Nach  Anführung  blos  solcher  * 
Gründe  durfte  daher  der  Verf.  nicht  meinen,  MüUer^e 
'Nachweis,  dafs  der  Mythus  Reelles  und  Ideelles,  Ge- 

*)  Unbegreiflich  ist,  wie  der  Verf.  des  Aristoteles  Worte  (Poe- 
tik 6)  fort  T^s  jtQtt^tms  6  fivd'og  /LtC/utjcts  zum  Beweis  neh-  « 
men  kann,  auch  Aristoteles  habe  im  Mj'thus  die'Nachab- 
mung  eines  Faetums  ^esehn.  Die  gauze  Poetik  zeigte  dufs 
Aristoteles  hier  unter. juv^oc  blos' den  zu  dichtenden  Vor- 
gan^  rersteht,  der  ein  historischer  oder  traditioAelier  sein 

^  könne,  d^m  Begriff  nach  aber  blos  ein  möglicher,  ideell  zu 
beglaubigender  sei.    Der  angeführte   Satz   sagt  nichts   als  «- 
„die  Fabel  eines  Gedichts  ist  ideale  Verstellung  der  Uaiid- 
lung." 


» 


fü»t4tAei\  dß  a^ftÜt  «V^m  groeci  natura. 


« 


sei. 


Mbebeiieft  und  Oedacfates  in  «ch  rerbinde,  widerlegt 
wo,  faabiin.  Der  Verf.  hätte  untereuehen  nSMeil,  ok 
^er  Begriff  itst  yerknopfung  probehaltig.  gefärst»  ob 
^eete  Kriterien  für^ein  scbeidbares  Feetisehee  aofge- 
•teilt  seieii.  Statt  dessen  sagt  er  nur  (p.  30)i  ^^Die 
Facta,  die  ein  Mytbna  »i  erzählen  scheint,  sind  entwe- 
der offenbar  unfaiatorisoh  oder  nicht  Ton  einer  *Wich- 
tigkdt,  die  den  Sinn  des  ganzen  Volkes  fesseln  könnte.'* 
Wie  so  denn  ?  Erzählen  nicht  viele  Mjthen  von  Städte- 
.Eroberungen,  Völkerwanderungen,  Stiftungen  von  Kö« 
nigsgesohleobtem,  Gründungen  von  Staatsforuien,  Bun* 
desrechten,  Gesetzen,  Sitten  t  Alle  diese  Dinge  wären 
pon  tanti,  in  ^uibus  totius  populi  mens  defixa  quasi 
haerere  qneati  In  der  That  wird  kein  Kundiger  %  die 
Mythen  nur  für  verzierte  Geschichten  nehmen  $  aber 
was  der  Verf.  beibringt,  könnte  davon  nicht  abhalten, 
mehr  die  Grande,  die  Müller  (Prol.  S.  61  f.  69  f.  76. 
89.  93  f.  106  ff.)  u.  A.  gegeben. 

Sehr  schön  ist  der  Satz,  den  der  Verf.  im  Fol- 
genden schreibt,  dafs  der  wahre  Gegenstand  jedes  Vol- 
kes, aneh  seiner  Sagen,  der  Geist  des  Volkes  selber 
Aber  indem  der  Verf.  diesen  Geist  in  Weise  der 
als  das  abstrakte.  Innere  der  Leute  im  Ge- 
gensatz mit  ihrer  Aufseonatur  sieh  vorstellt,  komuxt 
der  Satz  um  seinen  spekulativen  Gehalt,  um  alle  wis- 
senschafUicfae  Fruehtbarkeit  Was  hilft  es  mit  Aor 
dern  sagen,  das  durchdringende  Selbstbewuistsein  sei 
das  Charakteristische  des  Griechenvolks,  wenn  man 
dalimter  blos  ein  Erkennen  seiner  in  Ahnungen» .  duv^ 
kein  GafiihloQ  und  Bildern  versteht.  Von  welchem 
Volke  kann  man  weniger  sagen)  (Sui  conscientiam  m 
mjrthis  sub  suspicionnm  adhuc  et  obaoure  seosorum 
forma  ooneeptam  et  ad  imaginnm  varietatem  coactam 
«t  expressam).  Und  hieraus  sei  erst  ganz  klar,  wo- 
her die  scAßiniar  pkyMÜcAen  Mythen  kommen.  Da 
nämlich  die  Griechen  nur  allmthlig  die  Herrschaft  der 
Natur  abgesdbüttelt,  sei  ihr  Geist  Anfangs  mannich- 
faltig  afßzirt,  bewegt,  gereizt  und  getrieben  gewesen 
von  Landesnatur  und  Klima  (factum  est,  ut  eorum 
auimus  multifariam  afficeretur,  mov^retur,  incitaretur, 
«t  impelloretur  terrae  ooelique  natura).  „So  habe  der 
Mythus,  indem  er  diese  durch  den  Impuls  der  Natur 
gleichsam  erweckten  Bewegungen  und  Affekte  und 
Ideen  (!)  aussprechen  wollen,  sich  der  Natur  ähnlich 


gestalten  müssen.  Daher  die  altattiscben  Mythen 
nach  Meer  und  Wasser  aussehen,  Zeua  noch  Reg«, 
Bacchus  nach  Wein,  in  Wahiheit  aber  nicht  dieses  Ns 
türliche,  sondern  ein  Göttliches  ausdrfitkeo,  weichet 
^ie  darin  fühlen  (quod  rebus  si^baentiuQt  insifum)  eiai 
göttliche  Kraft  im  Wasser,  itfL  Wetter,  im  Wciu.*' 

Das  heifst  nicht  die  Ansicht  von  der  physischai 
Bedeutung  der  Mythen  widerlegen,  sondern  schlecfathii 
Annehmen.  Denn  ein  Geist,  von  dem  man.  sonst  niohli 
weifs,  als  dafs  er  von  aufsen  gereizt,  bewegt^  gotiii^ 
ben  wird,  ist  kein  Geist,  sondern  ein  Element.    Und 
ein  Geist,  der  nicht  sich  denkt,  sondern  eine  Wa8le^ 
Substanz,  Regensubstanz,  Weinsnbs|anz,  ist  eben  «p 
Aggregat  natürlicher  Substanzen,  kein  Selbstbewufit' 
sein.     Woher  aber   diesen  Substanzep  das  Fradiiut 
der  Göttlichkeit  komme,  kann  bei  des  Verfs.  Erklänuf 
noch  gar  nicht  begriffen  werden«    Das  einzige  Sok 
stanzielle  in  diesen  Mythen  wäre  sonach  das  Plij«- 
sehe,   und  Fleischer  vollkommen    einverstanden  mit 
FemfJiammer.    „Eben  daher  —  fährt  der  Vf.  fort  - 
erklärt  es  sich,  dafs  viele  Mythen  hutarueke  Faetu 
W.  erzählen  scheinen.    Denn  viele  historische  Fsdi 
sind  der  Art,  dafs  sie  den  Geist  heftig  erschütten^ 
stoben  und  entzünden  (ut-  acriter  pellant  anjmuoi  fe* 
riaatque  et  accendant)  und  indem  dies  der  Geist  nack 
dem  Triebe  seiner  Natur  auszusprechen  strebt,  vsAf 
lehnt  er  sich  von  diesen   äuCjseren  Facten  den  Stol 
seines  Gebildes  und  die  Buntheit  der  Farben  derge^ 
stalt,  dafs  zwischen  dejn  Bezug  des  Mythus  und  den 
Factum  eine  nicht  geringe  Aehnlichkeit  statt  zu  habet 
scheint."     Dieser  Geist  ist  uns  wieder  nicht  weiter  de- 
finirt,   als  dafs  er  den  natürUcheo  Trieb  habe,   wenn 
ihn  Facta  stofsen  und  entzünden,  dies  auszusprechen) 
sonach  kann  Was .  er  ausspricht,   auch  nichts  anderei, 
sein  als   seine   Gesfbfsenheit    und  Entzündung  dorck 
Facta.    Diese  Facta  sind  das  einzige  Positive,  ^^ 
naa  des  Verfs*  Beschreibung  gibt,  daher  ihr  zofplip 
das  Wesen  solcher  Mythen;  und  so  ist  der  Geist  dtf 
Letzteren  nach  Hrn.  Fleischer  noch  abhängiger  voi 
wirklichen  Begebenheiten^  als  nach  Hm«  Rode.   Dieser 
schreibt  ihm  doch  eine  „Veredlung  der  Begebenheit« 
und  Erhebung  auf  eine  höhere  Stufe"*,  ethische  Wihr^ 
zu;  der  Verf.  blos  einen  natürlichen  Trieb,,  die  StdfM 
der  Facta  auszusprechen. 


(IKe  FortsetzBüg  folgt) 


■.WM» 


w  1  s  s  e  n 


Jahr  buche 

für 

schaftlich 


e    Kritik 


Juli  1839. 


,    \ 


JDe  mythij  inprimis  graed  natura  Commenta" 
r$$;  scribebat  Carolas  Mauritius  Fleischer. 

(Fortsetzung.) 

DeDnoch  conoludirt  er,  ^,au8  der  £^rklärung  dieser 
iMfaÜDier  erweise  sich,  dafs  m  den  Mythen  das.  Volk 
Adarstelle  alles  das,  was  es  im  Geist  bewege  und  em- 
pfinde und  die  Ideen  seines  Geistes  (seit  wann  ist  Ge- 
reiztwerden eine  Ideef) ;  keineswegs  aber  Localnafnren 
oder  Facta,  sondern  vielmehr,  wie  es  beide  im  Sinne 
des  Geistes  gefafst  und  erwogen  habe  (quo  modo  utra- 
que  animi  sensu  oonceperit  ac  pensitarit)-  Also,  der 
Mythus  stellt  keineswegs  Natürliches  dar,  aber  wie 
das  Volk  Natürliobes  auffafst;  keineswegs  Facta,  aber 
trie  es  sie  erw&gt  Nun,  Hr.  FareA/iammer  meint  ge- 
wifs  auch  nicht,  dafs  dar  Mythus  wirkliches  Wasser 
oder  wirklichen  Regen  oder  Wein  enthalte,  sondern 
eine  sinnige  Ynlksauffassung  von  Wasser,  Regen,  Wein. 
Defsgleichen  Hr.  Bode  nicht,  daf^  der  Mythus  das  leib- 
haftige Faefum  auf  eine  hShere  Staffel  stelle,  sondern 
das  in  Gedanken  verklärte  Factum. 

Hiermit  ist  dem  Verf.  seine  ganze  Unterscheidung 
.des  griechischen  und  orientalischen  Geistes  wieder  ab- 
banden gekommen.    „Die  Materie  des  Mythus,  sagt 
«er  (p.  23),  sei  der  naturliche,  sinnliche  Geist^  „animus 
4DaturaUs  i.  e.  ''cujus  vis  in  sentiendo  duntaxat  posita 
est.''  —  .Das  Natürliche  ist  dasjenige,  was  schlechthin 
seine  Wahrheit  aufser  sich  hat,   das  Sinnliche    das, 
worin  das  Bewnfstsein   sich  äufsorlich  ist,  ^ein  Geist 
dieser  Kategorie  ist  nicht  bei  sich,  selbst,   ist  nur  bei 
Anderem,  es  kommt  ihm  nicht  zu,  was  der  Verf.  sofort 
ihm  beilegt,  dafs  das,  was  dieser  Geist  enthalte,  auf 
sich  begründet,  sein  selber  Ursache  sei.    Aus  dieser 
Selbstbegründung  soll  dis  Nothwendigkeit  des  Mythus 
in  seinem  Hervorgehen  folgen.    Was  seinvselbst  Ursa- 
che ist  (sui  autor,  originisque  in  sc  suae  causam  com- 
prebendens)  nennt  man  gewöhnlich  frei,  nicht  nothwen- 

Jahrb,  f,  wmenich.  Kritik.   /.  1839.  II.  Bd. 


dig;  so  würde  viebnehr  der  freie  Ursprung  des  My- 
thus folgen ;  da  aber  der  VerC  hinwiederum  den  Geist 
des  Mythus  nur  als  den  sinnlichen' bestimmt  bat,  kann 
derselbe  nur  ein  sich  äufaerlicber,  nicht  freier  sein,  ist 
aber  damit  auch  noch  Iceinnoth wendiger,  bevor  erkannt 
ist,  dafs  das,  an  was  er  sich  und  die  Art,  wie  er  sich 
entäufsert,  nbthwendig  sei.  Daher  ist,  was  der  Verf; 
gleich  folgen  läfst,  wieder  etwas  Anderes:  dafs  näm- 
lich „sich  der  Geist  sich  selber  vorstelle,  wodurch  er 
das  Selbstbewufstsein  erlauge.''  Wie  kann  das  ein 
Geist,  der  nur  bei  Anderem  ist,  und  sich  gar  nicht 
hat?  —  Femer  soll  sich  daraus  die  Allgemeinheit  dies 
Mjihus  ergeben,  indem  „darin  das  Volk  sich  sein  ei- 
genes Bild  in  Junten  Farben  und  Gestalten  anschau- 
lich mache,  der  Mythus  also  nur  ausspreche,  w^s  Alle 
bewege  und  erfülle.''  Was  ist  es  denn,  was  den  sinn- 
lichen Geist  bewegt  und  erfüllt?  Wirkliche  Erschei- 
nungen. In  diesen  erkennt  der  Sinnliche  nicht  sieb, 
sondern  verändert  sich  nur  mit  ihnen.  Sie  sind  für 
Andere  andere;  fest  ist  an  ihnen  nur  das  naturgcmäfs 
Fixe,  Regelmärsige.  Und  so  verfallen  diese  Bestim- 
mungen des  Verfis.  unrettbar  der  ForcAAammer^&ohen 
Mythologie  der  Localnaturen. 

Defswegen  kommt  auch,  der  Verf.  (p.  24)  abermals 
darauf  zurück,  „in  den  Anfängen  der  Bildung  sei  der 
Geist  des  Griechenvolks  quasi  gebunden  in  der  Natur,' 
dies  sein  habitus  naturalis,  ein  Zeitalter,  wo  der  mensch- 
liche Geist  den  mens  in  der  Natur  und  in  den  natürli- 
chen Dingen  als  ein  höheres  Wesen  verehre  und  scheue 
(quo  tempore  animus  humanus  mentem  in  natura,  xe- 
busque  naturalibus  tanquam  numen  superius  veretur 
atque  horret).  Das  ist  es  ja,  was  der  Verf.  bestreiten 
wollte,  nun  gibt  er  es  immer  wieder  zu ;  imd  doch  hat 
e)r  nicht  einmal  erklärlich  gemacht,  wie  die  Annahme 
eines  mem  in  den  naturlichen  Dingen  entstehen  kdnne. 
t)enn  dafs  sie  den  Geist  bewegen,  reizen,  füllen,  wirft 
auf  sie  keinen  mens  zurück,  wenn  nicht  gesagt  wird, 

6 


43 


FleUeher^  de  mytUy  ittprimü  graeei  natura. 


was  der  Geist  selber  sei.  Wasser  bewegt«  auoh  BU- 
me,  füllt  auch  CuteroeQ)  reizt  auch  durstige  Thiere, 
de&wegen  scbceiben  Bäume^  Cisternen  und  Tfaiere  deli 
Wasser  doch  keinen  gottlichen  mens  m« 

Der  Verf.  hat  dem  Geist  nichts  viadicirt  als  jenes 
quasi.  Vorher  (p.  11)  sagte  er,  der  Geist  der  Griechen 
sei  Menschheit,  Bewufstsein  der  Herrschaft  über  die 
Natur,  Freiheit;  so  wie  es  zu  näheren  Bestimmungen 
kam,  hat  er  ihm  nur  conträre  Zustände  und  Verfas- 
sung beigelegt  Er  föhrt  fort  (p.  25):  „Ein  solches 
Zeitalter  der  Verehrung  des  Natürlichen  haben  alle 
Völker,  so  auch  die  Griechen  durobzumachen,  obgleich 
darin  etwas  ist,  das  Ton  Grund  aus  überwunden  wird 
(etsi  in  bis  tale  est,  quod  fundilus  pervincatnr).  Da- 
her kommt  es  —  folgt  unmittelbar  —  dafs  die  An« 
fange  des  griechischen  Mythus  Tomehmlioh  in  diesem 
natürlichen  Elemente  sich  bejSFegen  und  die  ältesten 
Mjthenformen  stets  den  Geist  der  Natur  athmen,  (Ex 
quo  fit,  ut  Graeci  mythi  primordia  praecipue  in  natu- 
'nli  istb  elemento  versentur  et  antiquissimae  quaeque 
Biythorum  formae  mentem  ac  spiritum  referant  naturae). 
Heifst  das  nicht,  immer  wieder  die  Färse  heben,  ohne 
Tom  Fleck  zu  kommen?  —  Dann:  „So  sind  die  Mei«> 
sten  überzeugt,  dafs  das  Bild  des  ältesten  arbeitenden 
Hercules  ursprünglich  auf  die  Sonne  und  ihre  Macht 
sich  beziehe;  das  heifst  aber:  das  griechische  Volk 
fafst  das  Wesisn  des  Geistes  (animi  "^umen),  insoweit 
es  dasselbe  in  der  Sonne  und  ihren  Wirkungen  zu  er* 
kennen  glaubt  (quatenus  in  sole  ejusque  effectibus 
cemere  iibi  videtur)^  unter  dem  Bilde  dieses  grofsen 
Mannes  und  seiner  Thaten  auf,  fühlt  nnd  druckt  es 
darin  aus  (sub  simulacro  —  concipit  et  sentit,  expri- 
mit  et-proponit).'^ 

So  lange  weder  der  Geist  an  sich  das  Prädikat 
hat,  Sonne  zu  sein,  noch  die  Sonne  an  sich  das  Prä- 
dikat, Geist  zu  sein:  so  lange  ist  mit  diesem  Satze 
weiter  nichts  gesagt,  als  das  Volk  stellt  sich  die  Sonne 
als  ein  Göttliches  vor.  Weder  aber  hat  insofern  das 
Volk  wirklich  einen  Geist -vor  sich;  denn  das  Wirkli- 
che ist  ja  der  Sonnenkörper;  noch  sagen  diese  Worte, 
wie  ihm  sein  Schein  eines  göttlichen  Geistes  in  die 
Sonne  gekommen.  Das,  was  der  Verf.  zeigen  sollte, 
postulirt  er. 

„Da  aber  das  W^es^n  der  Natur  an  sich  zwar  das- 
selbe ist,  was  der  Geist,  jedoch  eine. niedrigere  quasi 
Stufe  des  Greistes,  und  da  die  Griechen  'zuerst  zu  die- 


41 

•er  höheren  Stufe  feich  erhoben,  dafs  sie  den  Geist  ii 
Menschen  selbst  und  in  ihnen'  selbst  erkannten,  gdit 
auch  mit  dem  Fortschritt  des  Geistes  der  Mjthns,  der 
den  Geist  ausdrückt,  weiter,  wird  ausgebildeter  naj 
vollkommener.  Der  Mythus  wächst  also  mit  dem  wsd 
senden  Volksgeist  und  indem  er  ein  und  itasnlügi 
Bild  dee  Geistee  oder  der  Idee  dleiStj  steigert  oat 
ToUendet  er  sich  zum  Zeugnifs,  wie  vordem  des  rok 
ren,  nun  des  gebildeteren  und  freieren  Geistes.  8i 
steigt  der  Hercules,  welcher  Anfangs  qnasi  die  Arbd 
ten  des  Geistes  in  der  Sonne  auadrückte  (qtti  a  priii> 
cipio  aoimi  in  sole  quasi  labores  expressit),  allmäUig 
zu  moralischer  Bedeutung  und  stellt  den  menschlicha 
Geist  und  Was  dieser  im  Leben  arbeitet  und  duidd; 
vor  Augen;  wefshalb  Buttmann*s  Deutung,  des  Her» 
lesmythus  richtig,  aber  niit  der  Creuzer'schen  zu  t» 
knüpfen  ist.*^ 

Die  Sache,  wie  sie  richtig,  haben  Andere  geseijti 
aber  die  Erklärung  des  Verfs.  ist  nicht  einmal  eiae 
quasi  •  Erklärung.  Nachdem  er  nur  behauptet  bat,  dar 
Sonnen  -  Hercules  sei  eigentlich  der  dfeist^  bleibt  di^ 
ser  freilich  insofern  dasselbe,  wenn  er  nun  meDsohli' 
eher  Geist  wird.  '  Aber  für  jenen  Geist  hat  uds  der 
Verf.  keine  andere  Wirklichkeit  gewiesen,  als  di^ 
Sonne  zu  sein  und  als  Sonne  zu  wirken ,  für  diesei 
nun,  Mensch  zu  sein,  und  als  Mensch  zu  kämpfen 
Nach  seiner  Wirklichkeit  also  ist  dieser  Geist  keioei' 
Wegs  derselbe,  wie  jener,  keineswegs  durch  sich  klar) 
dafs^  die  Sonne  im  Fortschritt  Mensch  werde,  odee  der 
Mensch  auf  einer  niederen  Stufe  Sonne  sei.  Non  ^ 
derspricht  sich,  dafs  der  Mythus,  wenn  sein  Geist  (vie 
oben  behauptet)  eine  nur  natürlicAe  Wirklichkeit  baft 
indem  diese  Natürlichkeit  von  Grund  and  überwandei 
wird  (fhnditus  pervinoitur)  doch  ein  nnd  dasselbe  BiU 
desselben  Geistes  bleibe  (permanens  idem  ejusdemipii 
animi  sive  Jdeae  simulacrum).  Das  hiefse  hier,  Be^ 
cules  bleibt  in  einer  und  derselben  Bedeutung  Soone 
und  Mensch.  Gerade  für  diese  einzige  verknüp/eni* 
Bedeutung  hat  uns  aber  der  Verf.  blos  das  von  ÜA 
nicht  weiter  als  durch  Prädicirung  dieser  versaUei^ 
nen  Wirklichkeiten  definirte  Wort  animus,  animi  mr- 
men  gegeben.  Seine  oben  gegebene  Bestimmung  de> 
griechischen  animus,  dafs  er  sich  selbst  erkenne,  pB^ 
nicht  auf  die  Anschauung  des  alten  Hercules,  in  der 
das  Volk  nicht  sich,  sondern  die  Sonne  für  ein  aoiflii 
numen  anschaut;  die  spätere,  dafs  der  Geist  v<hi  ^ 


.46  PMacAsTi  dumytJU, 

Katar  bewegt  werde  ned  äer  Mythus. die  naif^liehe 
Bewegtheit  ausspreche,  würde  soweit  passen,  hier  bleibt 
aber  der  Geist  nicht  sich  gleich,  sondern  wird  ein  An- 
deres, wie  ihn  Anderes  bewegt  $  damit  streitet  das 
dritte  Pr&dikat,  welches  ans  nnn  der  Ver&  postuiirend 
Von  diesem  Geiste  gibt^  dafs  er,  ob  Sonne,  ob  Mensch, 
dersdlbige  bleibe.  Nehmen  wir  vor,  was  hierin  gege- 
ben isty  so  bezeichnet  es  diesen  Geist  nur  als  einen 
gegen  seine  Existenz  gleichgültigen,  da  es  ihm  nicht 
verschlügt,  nun  Senne,  nnn  Mensch  sa  sein,  sondern 
er  ^beidemal  bleibt,  was  er  ist.  In  sich  ist  er  daher 
eben  so  nothwendig  weder  Sonne  noch  Mensch,  auch 
niobt^  wie  es  vorher  hiefs,  hc|ftig  bewegt  vom  Natürli- 
oheil,  noch  anoh  darin  gebunden,  sondern  indiflPerent; 
oad  dafs  er  selbst bewafst  sei,  kann  weder  ans  seiner 
Indifferenz  folgen,  noch  entdeckt  uns  der  Verf.,  welch 
emes  Selbsites  und  wie  bewufst.  Denn  Alles,  was  er 
Ton  diesem  Geiste  sagte,  dafs  er  gestofsen  worden, 
gebanden  worden,  als  Sonne  erschienen  und  als  Mensch, 
alle  diese  bestimmten  Prüdlkate  lösen  einander  wider- 
sprechend ab,  und  die  darin  nur  behauptete  jndilFerente 
fiinhelt  macht  ihn  zur  blos  abstracten  Form  dieser 
verschiedenen  Zust&nde  und  Wesen,  die  er.  ist  und 
auch  nicht  ist  I  und  bei  all  dieser  Gleichgültigkeit  sei- 
nes Wesens  soll  er  doch  dulden  und  wachsen,  niedere 
vnd  höhere  Stufen  haben,  bei  allem  Wechsel  seiner 
Wirklichkeit,  soll  doch  sein  Bild  ein  und  dasselbe 
bleiben« 

Ich  lüugne  nioh^  dafs  überall  etwas  Wahres  za 
Grand  liege,  aber  der  Verf.  läfsi  ebed  dieses  Wahre 
darunter  liegen,  nnd  spricht  Reminiscenzen  aus  Hegel^ 
ohne  ihren  Zusammenhang,  das  heifst,  ohne  Sinn  aus. 
Wissenschaft  ist  nicht  die  getrennte  Anerkennung  der 
Widersprüche  des  Begriffip  und  wieder  die  dürre  Aus- 
sage der  Einheit,  sondern  das  Anfweisea  ihres  conse- 
quenten  Hervorganges  und  ihrer  oonsequenten  Auflie- 
bang  zur  erschöpfenden  Einheit 

Nachdem  der  Verf.  dem  Mythus  eine  so  abstracte, 
begrifflose  Einheit  und  einen  so  disparaten,  mit  quasi 
lasiHen  Inhalt  einfach  zugeschrieben,  glaubt  et  ti^ 
wüten  za  haben,  dafs  überall  der  Mjthas  wesentlich 
derselbe  bleibe  nnd  halt  fbr  erledigt,  was  aus  ihrer 
Sa^hkenntnifs  Lioehmann  (zn  den  Nib.  n.  z.  Kl.  S.  336) 
nnd  Ottfiried  Müller  an  v.  0.  über  die  natürliche  nnd 
mannigfaltige  Umgestaltung  der  Sagen  bemerkt  haben. 
Freilich  ein  sox  abstracter  Geist,  wie  der  Mythengeist 


inprimie  graed  nmlurm.  46 

■ 

des  Verfs.,  der  gar  keinPrädikat  bat  als  'das,  sn  sein, 
was  man  will,  der  kann,  da  er  die  leere  Form  der 
Veränderung  ist  (wie  der  Verf.  zum  Ueberflufs  noch 
selbst  ausspricht  p.  53),  durch  Veränderung  nicht  ver* 
ändert  werden.  Der  Verf.  bezeichnet  (p.  27)  die  Un- 
terscheidung vers(ihiedenartiger  Bestandt heile  in  den 
Mythen  als  ein  Zerstdr«!  derselben.  Zugegeben,  dafs 
Mutier  darin  zu  weit  gegangen,  hat  doch  der  Verf.  ein 
dauerndes  Princip  iqn  Mythus  nicht  gezeigt,  nicht  be- 
stimmt, nur  postulirt.  „Wir  haben,  sagt  er,  erhärtet, 
dafs  das  Wesen  des  Mythus  im  Ausdruck  von  Ideen 
besteht."  Ein  hemmgestofsener,  gebundener,  wachsen- 
der nnd  indifferenter  Geist  verdient  nicht  den  Namen 
Idee ;  das  sind  blos  einseitige  Reflexionsbegriffe.  „Alliet 
Mythen  aller  griechischen  Stämme  sind  nur  Ausdrücke 
ond  Formen  einer  und  derselben  Idee"  (p.  29).  Wie- 
der  blofse  Behauptung  einer  Einheit,  die  der  Vf.  ohne 
Bestimmtheit  und  Inhalt  läfst.  Seine  Polemik  gegen 
Muller  kommt  daher,  weil  er  selbst  nichts  Positives 
vom  Mythus  zu  sagen  weifs,  als  das  Wort,  er  sei  der 
Geist,  animus,  animi  namen,  idea,  ideae  forma.  Aber 
was  für  ein  Geist?  „Einer.*' 

Das  Mittel,  Begriffe  zu  vereinigen  durch  einfachea 
Leugnen  ihres  Widerspruchs,  wendet  der  Verf.  sofort 
auf  den  homerischen  Zeus  an,  indem  er,  was  Müller 
über  den  Widerspruch  in  der  epischen  Auffassung  des- 
seUbt^n  gesagt  hat,  lächerlich  zu  machen  sucht  (p.  29^ 
32).  Der  Verf.  hält  es  für  unmöglich,  dafs  die  Grie- 
chen zweierlei  Vorstellungen  von  den  Gottern  hegen 
konnten.  Warum)  Gibt  es  im  Gegentheil  irgend  ein 
Volk,,  das  nicht  auf  jeder  Bildungsstufe  widersprechende 
Vorstellungen  in  einem  und  demselben  Ben^ufstsein 
hegte,  ohne  zunäcbst  gestört  zusem?  Wfire  das  nicht: 
wären  alle  Menschen  tollendete  Philosophen.  Des 
Verfs.  Abhandlung  selbst  dient  zum  Beweis,  wie-  ruhig 
man  anverträgliche  Gedanken  nebeneinander  beherber- 
gen und  dabei  den  Widerspruch  nur  anfser  sich'  su- 
chen kann.  Gleich  darauf  sagt  er, .  die  griechischen 
Götter  seien  blos  natürliche. Gebilde  des  Menschen  ond 
daher  Abbilder  sowohl  der  Stärke  als  Schwäche  des 
menschlichen  Geistes  (dii  naturales,  qnos  homo  ipse 
sibi  finxit,  et  qui  ideo  animi  humani  et  virtatem  et 
debilitatem  omninoque  ejus-  speciem  reddaüt,  necesse 
est).  „Wie  darum  der  griechische  animus  sich  als  den 
höchsten  in  der  Natur,  Suttvog^  Hüdiaroi  fühle  und  feiere, 
so  di^fs  er  alles  Andere  mit  Recht  verachte,  und  doch 


47 


fJ^üeAer,  de  mytki^  mprtmig  graed  nahsra. 


mit  demselben  Rechte  Bich  beklage:  Nichts  Hinfällige- 
res  nähret  die  Motter-Erde  als  den  Menschen  von  AI« 
lem,  vas  auf  Erden  athihet  and  wandelt:  so  seien  auch 
die  6otfer  majestätisch,  aber  so,  dafs  man  leicht  die 
Spuren  der  Menschlichkeit  in  der  Majestät  finde  (faeile 
iiumanitatis  yestigia  deprehendes).''  — >  Eine  Tortreffli- 
chi9  Art  zu  beweisen,  dafs  zwei  Tcrsohiedene  Vorstel- 
lungen einstimmig  seien,  indem  man  sie  anf  zwei  an- 
dere entgegengesetzte  Vocstellungen  zurücl&fuhrt.  Und 
,  obenein :  Wo  steht  d^n,  wto  der  Vf.  anfuhrt,  dafs  der 
Miensch  vntnoq  und  »iS^urroc  und  Natorrerftchter  sei,  wo 
in  dem  Epos,  aus  welchem  er  anfuhrt,  dafs  der  Mensch 
das  elendeste  Geschöpf  sei?  Und  für  dieses  ftrmste 
Thier  erkennt  sich  nach  dem  Verf.  der  menschliche 
und  griechische  QHit  mit  Recht  (jur^),  jener  sich  im- 
mer gleiche,  selbstbegrundende  Geist!  Was  doch  das 
Wort  Geist  fiir  ein  geduldiges  Ding  ist!  Und  warum 
sagt  denn  der  Mythus  niemals  von  den  Göttern,  die 
doch  eben  dieser  elendeste  Geist  sein  sollen,  dafs  sie 
^as  armseeligste  Geschöpf  seien,  gleichwie  er  das  An- 
dere, die  Naturbeherrschnng,  hinwieder  niemals  Tom 
Menschen  sagt?  Den  Verf.  kümmert  das  Alles  nicht, 
er  behauptet  dmuflos,  behauptet  das  Gegentheil  yon 
tdem,  was  erzeigen  wollte,  und  behauptet  dann  wieder, 
flicht  das  Gegeotheil  behauptet  zu  haben; 

Es  geht  nicht  anders  im  Folgenden.  Der  Verf. 
bestreitet  (p.  32—34)  MuUer'M  Herleitungen  griechi- 
scher Götter  und  Heroen  ans  Torscbiedenen  Grundvor- 
stellungen,  4ie  erst  mit  der  Zeit  zusammengeflos- 
sen seien.  In  der  That  hat  MülUr  Trennungen  yer- 
tocht,  die  sich  nicht  durchfuhren  lassen,  aber  der  Vf. 
«etzt  ihm  das  blofse  Leugnen,  J^einen  Beweis,  selbst 
für  die  an  sich  richtige  Behauptung,  dafs  Apolkm  nicht 
.ausschliefslich  dem  Glauben  der  Derer  entstamme, 
Jceine  entscheidenden  Gründe  -entgegnen«  Er  verfällt 
nur  selbst  wieder  gerade  in  den  Fehler,  den  er  dabei 
wiederholt  lUäUem  vorwirft,  nllnilich  die  mythischen 
Begriffe  ganz  im  Aeufsem  shi  suchen  «ind  zu  finden. 
Denn  von  jenem  Griechengeiste,  der  in  des  Verfs.  bis- 
iierigeir  Darstellung  nicht  über  widersprechende  Prädi- 
kate und  abstracto  Formalität  hinausgekommen  ist, 
^ird  nun  (p.  34}  erklärt,  die  besondern  «Stämme  des 


« 

griechischen  Volks  seien  eben  so  viele  besondere  Mii 
mente  dieses  Geistes  (diversae  gentes  Graecorom  pi 
diversis  Graeei  animi  quasi  momentis  habendae).  Di» 
ser  Geist,  dieses  unbekannte  Identische,  ist  hiermit  hI 
einmal  zum  uatärliohen  Aufsereinander  der  griechiidMi 
Existenz  gemacht.  Und  wie  oben  der  Verf.  al»  d» 
Macht,  die  diesen  Geist  bewegt,  die  natürlichen  Diogi 
und  Fa^a  bezeichnet  hat,  so  hier  als  Das,  was  ik 
dirimirt,  die -natürliche  Verschiedenheit  der  Hentde^ 
die  Gattungsunterschiede.  Es  ist  schlechthin  Sachets 
Natur,  dafs  das  Griechenvolk  in  mehreren  Stirnns 
existirt,  der  (Geist,  sofern  er  nur  auf  diese  vertMl 
ist,  ist  sich  in  ihnen  ebenso  äofserlich,  wie  sie  eim» 
der  äufserlich  gegenüberstehen ;  und  da  uns  der  Ysi 
weder  darüber,  wie  der  Geist  in  diesen  äufseren  M« 
menten  seine  positive  Einheit  bewahre,  noch  auch  ikl 
die  Bestimmtheit  dieser  Momente  (der  besonderen  Stil» 
me)  etwas  sagt,  so  lehrt  er  damit  blos,  dieser  Geist  li 
ein  äufserlich  Verschiedenes,  ebenso  abstraot,  wie  t« 
her,  er  sei  ein  nicht  verschiedenes. 

Indem  der  Verf.  fortwährend  das^  was  erst  Mint 
Thes\Bn  begründen  und  mit  Inhalt  versehen  kdante,  vtf 
Bäumt,  hat  er  genug  Rauih  übrig,  um  (p.  36—41)  cm 
Anzahl  Sätze  aus  Müller*^  Proleg.,  insbesondere  j» 
sen  Erörterung  des  Danaiden-  und  des  Je- Mythos i 
A.  mitzutheilen  und  in  seiner  Weise  zu  reoensW 
Es  ist  dieselbe,  in  der  einst  ein  Kritiker  der  all|l 
meinen  deutschen  Bibliothek  Fichte's  Wissenschi 
lehre  beurtheilt  hat.  Er  liefe  lange  Stellen  da 
abdrucken  und  fügte  dann  aus  eigenen  Mitteln 
„Dieses  ist  doch  zu  arg!'*  u.  dgl.  Zwar  der  Vf.  sehieli 
doch  aufserdem  die  Behauptung  voraus,  der  Jo-Mytld 
drücke  nebst  einigen  andern  den  uralten  Uebergaij 
der  Gultur  ras  Aegjpten  nach  Griechenland  aus;  Ji 
Erweis  aber  —  da  doch  der  Mythus  umgekehrt  die  i 
aus  Griechenland  nach  Aegypten  kommen,  nach  t 
aus  Aegypten  kommenden  Danaiden  nach  Griecbesltf' 
nur  heimkehren  iäfst  —  besteht  eben  in  der  Behsq 
tung.  Für  die  Thatsache  des  Uebergangs  hat  der  Vi 
(p.  37)  einige  der  schönen  Aussprüche  über  die  A^ 
löMung  des  ägyptischen  Bewufstseins  im  griechi8<)b 
aus  He§el  abgeschrieben. 


(Der  Besciilsfs  folgt.) 


J  ä 


J^  7. 

h  r  b  fi  c  h 


e  r 


für 


KV  i  8  8  e  11  8  c  h  af  1 1  i  c  h  e    Kritik 


Juli   1839. 


Dd  mythi^  inprimü  graeci  natura  Commenia* 
rS;  scribebat  Carolun  Maurüfus  Fleischer. 


(SehluU.) 

Der  Verf.  gebt  (p.  42)  fort  znr  weiter«  Beepre* 
imng  des  Gegenaatt^  Kwitobto  dem  Orient  und  Grie* 
ImdaniL     »^Der  Geist  wurde  im  Orient  als  ein  natür* 
icher,  somit  onbewegUeher' und  fixer  aogesehaat:  da» 
ler  Symbole,  Bilder;  bei  dea  Griecben  wird  der  Geist 
ds  Meascb  angesehaat,  somit  als  beweglich  lebendig. 
[>ie  Mythen  sprechen  dort  Ton  Di%gen,  hier  von  Heu« 
ichen.    MiUlen  irre  aneh  darin^  dafs  er  den  grieohi- 
leben  Göttern  Tbiersymbole .  Koeigoe,  jf  eil  die  Qn^ 
ihen  sieh  über  die  Tbiere,  wie  fiber  die  Natur  erhaben 
jewufst.'*    Wer  hat  denn  oben  gesagt»  der  grieehisohe 
Beist  habe  sich  mit  Recht  als   das  Elendeste  von  At 
am,  was  auf  Erden  kreucht  und  fleugt,  angesehen  ?  -— 
Der  Verf.  litat  (p.  43)  11  Verse  aus  dem  Homer  ab- 
Irunken,  um  uns  au  lehren,  dafa  die  Griechen  Rind* 
ieisch  gegessen  haben.  —  Wenn  nan  trotsdem  Homer 
unsterbliebe  Rosse  kennt,  die  Zeus  berent,  sterblichen 
^eiiaoben,  als  den  kläglichsten  Geschdpfen,  gesellt  zu 
labeo,  wenn  Zeus  selbst  in  Mythen  die  Gestalten  des 
Ktiers,  Adlers,  Schwans,  Kuckucks,  Poseidon  und  De» 
Mter  Pferdegestatt  annehmen,   Leto  als  Wölfin  er- 
mbemt,  Apoll  als  Delphin»  Jakchos  als  Ferkel,  Arte<- 
bSs  ab  Btriu  und  Hindin;  wenn  Dionysos  an  Festen 
lemfisn  wird:  Komm,  beiliger Sties I,  ein  in  Prosessi<fn 
letragenes  Widder-YlielS  des  Zens  VUefs  beifst,  Apel* 
bSD  uC  JNaxos  unter  dem  Namen  des  Bockes  verehrt 
inrd  —  Ufas  thnf  s?  Man  buiacbt  nur  davon  z%  schwei« 
pH^    Der  Verf.  fuhrt  sudem  die  TUere  und  üagethime, 
lie  Herakles"  erschlagen ,   som  BewMse  an,   dafs  die 
Brieoben  den  Thieren  alle  Ehre  genommen.    Diesem 
Beweis   aufolge  kann  auch  in  Aegypten,    wo  Horus 
sch&iliehe  Thiere  erschlag,  kein  Thierdienst  gewesen 
nein.    Der  heiligen  Heerden,  die  ApoUon  noch  in  ge* 

Jmhrb.  f.  wiiientch.  Kritik.  J.  1830.  II.  Bd. 


schichllicher  Zeit^  auch  Hera  an  einxelnen  Orten  hatte, 
oder  solcher  Sitten,  wie  s.  B.  die  attische,  dais,  w.er 
einen  Wolf  erschlug,  die  Kosten,  um  ihn  su  bestatten, 
aus  frommen  Gaben  susammenb^eln  muTste,  werden 
wir  auch  geschweigen  mfissen.' 

Nach  wenigen  Zwischensätzen  kommt  der  Verf. 
(p.  45)  m  dem  Resultat:  „In  den  Mythen  schaut  das 
Volk  die  Ideen  seines  Geistes  an  und  stellt  sie  idar 
unter  der  Gestalt  änfserer  Facta,  die  theils  erdichtet, 
theils  wahr,  aber  auch  dann  nur  Stützen,- Instrumente, 
HüUen  (fulcra,  instrumenta,  tegumenta)  der  Idee  sind 
(die  oben  bestrittene  Ansicht  von  Bode).  So  sei  der 
Trojanische  Mythus  das  Bewurstsein  des  Volkes  Ton 
der  Culmination  und  dem  Sinken  des  heroisclien  Gei» 
stes«  Dieser,  zwar  nicht  neue  Gedanke,  wird  doch 
(p.  45 — 53)  besser  zusammenhängend  als  alles  Bishe» 
rige  dargelegt«  Es  folgt  der  letzte  Abschnitt  über  4ie 
Grenze  des  mythischen  Zeitalters* 

P.  53  z  „Ihrer  Natur  nach  hdren  die  Mythen,  so<^ 
bald  sie  dem  Bemmf$Uria^  der  Kunst  und  einer  bei-  ' 
stimmten  Form  zugeeignet  werden,  auf  zu  leben  und 
werden  Denkmäler  der  Vergangenheit.    Denn  wie  der 
Mythus  immer  im  Schwange  geht,  lebt,  wächst,  neue 
Blltfaen  treibt,  so  kann  man  nicht  sagen^  dqfs  er 
eine  iestimmie  Farm  habe  (ita  certiam  fermam  habere 
dici  neu  potest),  er  ist  bewegliche  Sfiige,  bat  keinen 
festen  Stiz,  geht,  erzählt,  fortgepianzt  von  Einem  zum 
Andern  und  wird  tou   Jedem,  umgebildet  (a  gmoMet 
iraue/ermaiury  —  Wie  steht  es  nun  mit  demo  bigen 
Widerspruch  g^en  Laehmann^s  und  Hüiler^s  Bebaup- 
tung  Ton  der  Umgestaltung  der  Mythen  t  —  Van  allen 
Steffen  des  Mythus  hat  der  Verf.  wiederholt  erklärt, 
iafs  sie,  als  selche,  zufällig  und  ihm  äofserlich  seien 
(p.  36^  quis  est,  qui  ex  cujnsqaam  vel  ere  Tel  mem- 
bfis,  Tel  forma,  Tel  motibus,  Tel  ingressu  animnm  eo* 
gitationesqne  eomprehendere  satis  sibi  posse  videatur, 
Ht  quae  eoHies  res  aeque  in  eaeu  positae  sint  atque 

7 


47 


FMtekitTy  de  mytiif  mprütii  graeoi  natura. 


« 


mit  demselben  Rechte  sich  beklage:  Nichts.  Hiüfällige- 
Tes  nähret  die  Mutter-Erde  als  den  Menschen  von  Al- 
lem, was  auf  Erden  athmetund  wandelt:  so  seien  auch 
^ie  Götter  majestätisch,  aber  so,  dafs  man  leicht  die 
Spuren  der  Menschlichkeit  in  der  Majestät  finde  (faoile 
liumanitatis  yestigia  deprehendes).'*  — »  Eine  TortreflTli- 
chä  Art  zu  beweisen,  dafs  zwei  yersohiedene  Vorstel* 
iungen  einstimmig  seien,  indem  man  sie  anf  zwei  an- 
dere entgegengesetzte  VoEstellungen  zurüclführt.  Und 
,  obeneio :  Wo  steht  denn,  wtos  der  VF.  anfahrt,  dafs  der 
Mensch  Snanoq  und  xiS^ioroc  und  Natnrrerächter  sei,  wo 
in  dem  Epos,  aus  welchem  er  anfuhrt,  dafs  der  Mensch 
das  elendeste  Geschöpf  seil  Und  fnr  dieses  ärmste 
Thier  erkennt  sich  nach  dem  Verf.  der  menschliche 
und  griechische  Qeift  mit  Recht  Gur^),  jener  sich  im- 
mer gleiche,  selbstbegrundende  Geist!  Was  doch  das 
Wort  Geist  für  ein  geduldiges  Ding  ist!  Und  warum 
sagt  denn  der  Mjtbus  niemals  von  den  Göttern,  die 
^och  eben  dieser  elendeste  Geis^  sein  sollen,  dafs  sie 
das  armseeligste  Geschöpf  seien,  gleichwie  er  das  An- 
dere, die  Naturbeherrschnng,  hinwieder  niemals  Tom 
Menschen  sagtl  Den  Verf.  kümmert  das  Alles  nicht, 
«r  behauptet  dsanflos,  behauptet  das  Gegentheil  ron 
»dem,  was  erzeigen  wollte,  und  behauptet  dann  wieder, 
nicht  das  Gegeotheil  behauptet  zu  haben; 

Es  geht  nicht  anders  im  Folgenden.  Der  Verf. 
bestreitet  (p.  32--34)  Mütter' 9  Herleitungen  griechi- 
scher Götter  und  Heroen  ans  Torschledenen  Grund?or- 
BtellnngeiL,  4ie  erst  mit  der  Zeit  zusammengeflos- 
sen seien.  In  der  That  hat  Müller  Trennungen  yer- 
iSncht,  die  sich  nicht  durchfahren  lassen,  aber  der  Vf. 
«atzt  ihm  das  blorse  Leugnen,  Jceinen  Beweis,  selbst 
für  die  an  sich  richtige  Behauptung,  dafs  Apollon  nicht 
.ansschliefslich  dem  Glauben  der  Dorer  entstamme, 
Itetne  entscheidenden  Grande  nentgegnen.  Er  verfällt 
nur  selbst  wieder  gerade  in  den  Fehler,  den  er  dabei 
wiederhoH  Maliern  vorwirft,  nämlich  die  mythiscb^i 
fiegrifl^e  ganz  Im  Aenfsern  au  suchen  tind  zu  finden. 
Denn  von  jenem  Griechengeiste^  der  intles  Verfs.  bis- 
iierigejr  Darstellung  nicht  über  widersprechende  Prädi- 
kate nnd  abstracto  Formalität  hinausgekommen  ist, 
^ird  nun  (p.  34)  erklärt,  die  besondern  Stämme  «les 


griechischen  Volks  seien  eben  so  viele  besondere  M«^ 
mente  dieses  Geistes  (dlrersae  gentas  GraecoruBi  prt 
^iversis  Graeei  animi  quasi  moroentis  babendae).  D» 
ser  Geist,  dieses  unbekannte  Identische,  ist  hiermit  luif 
einmal  zum  natürlichen  Aufsereinander  der  griechischen 
Existenz  gemacht.  Und  wie  oben  der  Verf.  als  die 
Macht,  die  diesen  Geist  bewegt,  die  natürlichen  Dings 
nnd  Fa^ta  bezeichnet  hat,  so  hier  als  Das,  was  ile 
dirimirt,  die  ^natürliche  Verschiedenheit  der  Mmschea^ 
die  Gattungsunterschiede.  Es  ist  schleobtbin  Sache  der 
Natur,  dafs  das  Griechenvolk  in  mehreren  Stänunea 
existirt,  der  Geist,  sofern  er  nnr  auf  diese  vertheik 
isty  ist  sich  in  ihnen  ebenso  änfserlich,  wie  sie  einan- 
der äufserlich  gegenüberstehen;  und  da  uns  der  Vei£ 
weder  darüber,  wie  der  Geist  in  diesen  äufseren  Mo* 
menten  seine  positive  Einheit  bewahre,  noch  auch  6ber 
die  Bestimmtheit  dieser  Momente  (der  besonderen  Stirn» 
me)  etwas  sagt,  so  lehrt  er  damit  blos,  dieser  Geist  sei 
ein  äufserlich  Verschiedenes,  ebenso  abstract,  wie  T0^ 
her,  er  sei  ein  nicht  verschiedenes. 

Indem  der  Verf.  fortwährend  das,  was  erst  seine 
Thesien  begründen  und  mit  Inhalt  versehen  kdante,  Te^ 
säumt,  hat  er  genug  Rauih  übrig,  um  (p,  36—41)  eine 
Anzahl  Sätze  fius  Müller*9  Proleg.,  insbesondere  de^ 
sen  Erörterung  des  Danaiden-  und  des  Jo- Mythus  s. 
A.  mitzutheilen  und  in  seiner  Weise  zu  recensiretti 
Es  ist  dieselbe,  in  der  einst  ein  Kritiker  der  allge- 
meinen deutschen  Bibliothek  Fichte's  Wissensofaafti 
lehre  beurtheilt  hat.  Er  liefe  lange  Stellen  daraus 
abdrucken  nnd  fügte  daun  aus  eigenen  Mitteln  bett 
„Dieses  ist  doch  zu  arg!"  u.  dgl.  Zwar  der  Vf.  schidct 
doch  aufserdem  die  Behauptung  voraus,  der  Jo-Mytbas 
drücke  nebst  einigen  andern  den  nralten  Uebergang 
der  Gultur  aus  Aegj^iten  nach  Griechenland  ans;  der 
Erweis  aber  —  da  doch  der  Mythus  umgekehrt  die  Je 
aus  Griechenland  nach  Aegypten  kommen,  auch  die 
aus  Aegypten  kommenden  Danaiden  nach  Griechenland 
nur  heimkehren  läfst  —  besteht  eben  in  der  Behanp- 
tung.  Für  die  Tbatsache  des  Uebergangs  hat  der  SL 
(p.  37)  einige  der  schönen  Aussprüche  über  die  Auf- 
lösung des  ägyptischen  Bewufstseins  im  griechisohen 
aus  Hegel  abgeschrieben. 


(Der  Be«chluf8  folgt) 


» 


IV 


Jf  7. 

Jahrbücher 

u  r 

i  8  8  e  11  8  c  h  a  f  1 1  i  c  h  e    Kritik 


Juli   1839. 


De  «tylAt,   inprnms  graeei  natura  Commenta^ 
rü;  Bcrihebat  Carotun  Mauritius  Fleischer. 


(Schluit.) 

Der  Verf.  gebt  (p*  42)  fort  zur  weilemi  Bespre* 
jriiiiiig  des  Gegenaatsöe  zwischen  dem  Orieat  und  Grie« 
cbeidand.    »^Der  Geist  wurde  im  Orient  als  ein  Datür* 
lieber,  somit  unbeweglicher  und  fixer  aogesehants  da» 
her  Symbole»  Bilder;  bei  den  Griechen  wird  der  Geist 
ala  Mensch  angesehant,  somit  als  beweglich  lebendig. 
Die  Mythen  sprechen  dort  Ton  Di^gen^  hier  von  Meii« 
neben.    JUüUen  irre  aneh  dari%  dafs  er  den  grieohi- 
f eben  Göttern  Tbiersjmbole .  nieigne,  jreil  die  Gria- 
dben  sich  über,  die  Thiere,  wie  fiber  die  Natur  erhaben 
gewufst*'    Wer  hat  denn  oben  gesagt,  der  grieehisohe 
Geist  habe  sich  mit  Recht  als   das  Elendeste  von  At 
leoiy  was  anf  Erden  kreucht  und  fleugt,  angesehen  ?  — 
Der  Verf.  lifat  (p.  43)  11  Verse  aus  dem  Homer  ab- 
drucken, pm  uns  KU  lehren,  dafa  die  Griechen  Rind« 
flaiscb  gegessen  haben«  —  Wenn  nnn  trotsdem  Homer 
niisterblicbe  Rosse  kennt,  die  Zeus  bereut,  sterblichen, 
)f  enschen,  als  den  kläglichsten  Geschfipfen,  gesellt  zu 
haben,  wenn  Zeus  selbst  in  Mythen  die  Gestalten  des 
Stiers,  Adlers,  Schwans,  Kuckucks,  Poseidon  und  D^ 
Mieter  Pferdegestatt  annehmen,   Leto  als  Wölfin  er^ 
eebeintf  Apoll  als  Delphin^  Jakchos  als  Ferkel,  Arte- 
■ais  als  Biria  und  Hindin;  wenn  Dionysos  an  Festen 
f;erttfai  wird:  Konun,  beiliger Sties I,  ein  in  Prosession 
^tragenes  Widder-VUed  des  Zens  Vlicfs  beifst,  Apol* 
leli  anf  Kaxos  unter  dem  Namen  des  Bockes  verehrt 
^rird  —  was  thuf  s?  Man  btaacbt  nur  davon  za  schwei* 
gaa«    Der  Verf.  fuhrt  zudem  die  Tbiere  und  Ungethime, 
4ie  Herakles"  erschlagen ,  zum  Bewnse  an^   dafs  die 
Griechen  den  Tbieren  alle  Ehre  genommen.    Diesem 
Beweis  zufolge  kann  ancb  in  Aegypteo,    wo  Homs 
«cbiUttiche  Tbiere  ersebleg,  kein  Tbierdieast  gewesen 
sein.    Der  heiligen  Heerden,  die  ApoUon  noch  in  ge* 

J«M.  /.  wiaenich.  KriÜk.  J.  1839.   II.  Qd. 


scbichtlicher  Zeit,  auch  Hera  an  einzelnen  Orten  hatte, 
oder  solcher  Sitten,  wie  z.  B.  die  attische,  dais,  w.er 
einen  Wolf  erschlug,  die  Kosten,  um  ihn  zu  bestatten, 
aus  frommen  Gaben  zusammenbetteln  mnfste,  werden 
wir  auch  geschweigen  müssen. 

Nach  wenigen  ZwischenslUzen  kommt  der  Verf. 
(p.  45)  zu  dem  Resultat:  „In  den  Mythen  schaut  das 
Volk  die  Ideen  seines  Geistes  an  und  stellt  sie  idar 
unter  der  Gestalt  äofserer  Facta,  die  theils  erdichtet, 
tbeils  wahr,  aber  auch  dann  nur  Stützen,- Instrumente, 
Hüllen  (fulcra,  instrumenta,  tegumeata)  der  Idee  smd 
(die  oben  bestrittene  Ansicht  von  Bede).  So  sei  der 
Trojanische  Mythus  das  Bewufstsein  des  Volkes  von 
der  Culmination  und  dem  Sinken  des  heroischien  Gei» 
stes.  Dieser,  zwar  nicht  neue  Gedanke,  wird  .doch 
(p.  45 — 53)  besser  susaaunenb&ngend  als  alles  Bishe» 
rige  dargelegt.  Es  folgt  der  letzte  Abschnitt  über  die 
Grenze  des  mythischen  Zeitalters. 

P.  53:  „Ihrer  Natur  nach  hören  die  Mythen,  so<* 
bald  sie  «fem  BewufiUeiuj  der  Kunst  und  einer  boi-  ' 
stimmten  Form  zugeeignet  werden,  anf  za  leben  und 
werden  Denkmäler  der  Vergangenkeit.    Denn  wie  der 
Mythus  immer  im  Schwange  geht,  lebt,  wächst,  nene 
BIfithen  treibt,  so  kann  man  nicht  sagen^   dafi  er 
eine  testimmte  Farm  habe  (ita  ceriam  fermam  habere 
dici  non  potest),  er  ist  bewegliche  Sfi'ge,  bat  keinen 
festen  Sitz,  gebt,  erzählt,  fortgepflanzt  von  Einem  zum 
Andern  und  wird  von   Jedeut  uiagebUdet  (a  guolibet 
iraus/ermatury  -—  Wie  steht  es  nun  mit  demo  bigen 
Widerspruch  gegen  Laehmann^s  und  MtUiler^s  Bebaup- 
tung  von  der  ün^^eataltung  der  Mythen  t  —  Visn  allen 
Steffen  des  Mythus ,  bat  der  Verf.  wiederholt  erklärt, 
iafa  sie,  als  aelche,  znfiUlig  und  ibm  äafsevlich  seien 
(p.  36 1  quis  est,  qni  ex  cajusqaam  vel  ere  vel  mem» 
bris,  vel  fotma,  vel  motibns,  vel  ingressu  animnm  eo« 
gitationesque  eomprebendere  satis  sibi  posse  videatnr, 
ttt  qnae  onmea  res  ae^e  in  eaeu  positae  sint  atqae 

7 


47 


FMtehtr^  de  mytAiy  mprimi$  graeei  mOura. 


48 


•mit  demselben  Rechte  sich  beklage:  Nichts.  Hinfällige- 
res nähret  die  Molter-Erde  als  den  Menschen  von  Al- 
lem, was  auf  Erden  athihetnnd  wandelt:  so  seien  auch 
die  Götter  majestätisch,  aber  so,  dafs  man  leicht  die 
fipnren  der  MeDschlichkeit  in  der  Majestät  finde  (faoile 
iiumanitatis  yestigia  deprehendes).**  —  Eine  yortreffli- 
che  Art  zu  beweisen,   dafs  zwei  Terschiedene  Vorstel- 
lungen  einstimmig  seien,  indem  man  sie  auf  zwei  an- 
dere entgegengesetzte  Vocstellungen  zürückfdhrt.    Und 
,  obenein :  Wo  steht  d^n,  w)ew  der  Vf.  anfahrt,  dars  der 
Mensch  ihtatog  und  niidtaxoc  und  Natnrrerächter  sei,  wo 
in  dem  Epos,  aus  welchem  er  anfuhrt,  dafs  der  Mensch 
das  elendeste  Geschöpf  sei!   Und  für  dieses  ärmste 
Thier  erkennt  sich  nach  dem  Verf.   der  menschliche 
und  griechische  Geüt  mit  Recht  (jur^),  jener  sich  im- 
iner  gleiche,  selbstbegrundende  Geist!  Was  doch  das 
Wort  Geist  fär  ein  geduldiges  Ding  ist!  Und  wamm 
sagt  denn  der  Mythus  niemals  von  den  Göttern,  die 
doch  eben  dieser  elendeste  Geis^  sein  sollen,  dafs  sie 
^as  armseeligste  Geschöpf  seien,  gleichwie  er  das  An- 
dere, die  Naturbeherrschnog,  hinwieder  niemals  rem 
Mensdien  sagtl  Den  Verf.  kümmert  das  Alles  nicht, 
«r  behauptet  dmuflos,  behauptet  das  Gegentheil  von 
idetn,  was  er  zeigen  wollte,  und  behauptet  dann  wieder, 
nicht  das  Gegeolheil  behauptet  zu  haben; 

Es  geht  nicht  anders  im  Folgenden.  Der  Verf. 
bestreitet  (p.  32-.34)  MuIUt'm  Herleitungen  griechi- 
echer  Götter  und  Heroen  aus  verschiedenen  Grund?or- 
stellongea,  ^ie  erst  mit  der  Zeit  zusammengeflos- 
sen seien.  In  der  That  hat  Müller  Trennungen  Tcr- 
iucht,  die  sich  nicht  durchfahren  lassen,  aber  der  Vf. 
«etzt  ihm  das  blorse  Leugnen,  deinen  Beweis,  selbst 
für  die  an  sich  richtige  Behauptung,  dafs  Apolkn  nicht 
^msschliefslich  dem  Glauben  der  Derer  entstamme, 
Jcetne  entscheidenden  Gründe  entgegnen.  Er  verfällt 
nur  selbst  wieder  gerade  in  den  Fehler,  den  er  dabei 
wiederholt  Müllern  vorwirft,  nUnilich  die  mythischen 
Begriffe  ganz  im  Aeufsern  au  suchen  «ind  zu  finden. 
Denn  von  jenem  Griechengeiste,  der  in  «les  Verf«.  bis- 
iberigejr  Darstellung  nicht  aber  widersprechende  Prädi- 
kate und  abstracto  Formalität  hinausgekommen  ist, 
^\fA  nun  (p.  34)  erklärt,  die  besoodern  «Stämme  des 


griechischen  Volks  seien  eben  so  viisle  besondere  Me^ 
mente  dieses  Geistes  (dirersae  gentes  Graecoram  prt 
diversis  Graeci  animi  quasi  momentis  babendae).  Dte> 
ser  Geist,  dieses  unbekannte  Identische,  ist  hiemnit  uf 
einmal  zum  natfirliohen  Anfsereinander  der  griechiacslMi 
Existenz  gemacht.  Und  wie  oben  der  Verf.  ala  £e 
Macht,  die  diesen  Geist  bewegt,  die  natürlichen  Dfogs 
und  Fa^a  bezeichnet  hat,  so  hier  als  Das,  was  ihn 
dirimirt,  die  ^natürliche  Verschiedenheit  der  Heas^Ae^ 
die  Gattungsuntarschiede.  Es  ist  schleehtbin  Saelie  der 
Natur,  dafs  das  Griechenvolk  in  mehreren  StftmiiMi 
existirt,  der  Geist,  sofern  er  nnr  auf  diese  verthcik 
isty  ist  sich  in  ihnen  ebenso  äofserlich,  wie  sie  ema» 
der  äufserlich  gegenüberstehen;  und  da  uns  der  Vei£ 
weder  darüber,  wie  der  Geist  in  diesen  äufseren  Me- 
menten  seine  positive  Einheit  bewahre,  noch  auch  über 
die  Bestimmtheit  dieser  Momente  (der  besonderen  Stllni* 
me)  etwas  sagt,  so  lehrt  er  damit  blos,  dieser  Geist  m 
ein  äufserlich  Verschiedenes,  ebenso  abstract,  wie  vo^ 
her,  er  sei  ein  nicht  verschiedenes.' 

Indem  der  Verf.  fortwährend  das,  was  erst  seine 
Thesen  begründen  und  mit  Inhalt  versehen  könnte,  vef- 
säumt,  hat  er  genug  Rauih  übrig,  um  (p.  36—41)  eine 
Anzahl  Sätze  aus  Müller^e  Proleg.,  insbesondere  de» 
sen  Erörterung  des  Danaiden-  und  des  Je -Mythos  a. 
A.  mitzntheilen  und  in  seiner  Weise  zu  recenshrei. 
Es  ist  dieselbe,  in  der  einst  ein  Kritiker  der  allgfr 
meinen  deutschen  Bibliothek  Fichte's  Wissenschafl» 
lehre  beurtheilt  bat.  Er  liefs  lange  Stellen  daraus 
abdrucken  und  fägte  dann  aus  eigenen  Mitteln  bei: 
„Dieses  ist  doch  zu  arg!''  u.  dgl.  Zwar  der  Vf.  sohtekt 
doch  aufserdem  die  Behauptung  voraus,  der  Jo-Mytfaiul 
drücke  nebst  einigen  andern  den  uralten  Uebergang 
der  Gultur  aus  Aegjt»ten  nach  Griechenland  aus ;  der 
Erweis  aber  —  da  doch  der  Mythus  umgekehrt  die  Je 
aus  Griechenland  nach  Aegypten  kommen,  aoob  die 
aus  Aegypten  kommenden  Danaiden  nach  Grieehenlaad 
nur  heimkehren  läfst  —  besteht  eben  in  der  Beboop- 
tung.  Für  die  Tbatsache  des  Uebergangs  hat  der  VC 
(p.  37)  einige  der  schönen  Aussprüche  über  die  Auf- 
lösung des  ägyptischen  Bewufstseins  im  griechischen 
aus  Hegel  abgeschrieben. 


(Der  Beschlufg  folgt.) 


J  ä 


hrbücher 


für 


»V  i  s  s  e  li  s  c  h  af  1 1  i  c  h  e    K  ri  t  i  k. 


Juli   1839. 


X  • 


He  «lylAf ,   inprimü  grß^€$  natura  Commenta- 
rn;  scribebat  Carolus  Mauritius  Fleischer. 

m 

(Schluls.) 

Der  Verf.   gebt  (p.  42)  fort. zur  w^eren  Bespre* 
dmng  des  Gegenaate^s  «witch^n  dem  Orient  und  Grie* 
«dbenlAnd*    »^Der  Geist  wurde  im  Orient  als  eia  natür- 
licher,  somit  unbewegUeber' und  fixer  aogesehaut:  da- 
her Sjmbole,  Bilder  $  b^i  den  Grieobeo  wird  der  Geist 
ala  Menscb  aiigesehaat,  somit  als  bewegUcb  lebendig. 
I>ie  Mytben  spreohea  dort  Ton  Di%gen^  bier  von  Me»^ 
Bchen.    JUulUn  irre  aneb  dari%  dafs  er  den  griecbi- 
fichen  Göttern  Tbier^jmbole .  soeigne»  jreil  die  Qri»- 
4äben  aioh  über  die  Tbiere,  wie  fiber  die  Nator  erbaben 
gewufat"    Wer  bat  denn  oben  gesagt,  der  grieebisobe 
Geist  babe  sieh  mit  Reebt  als   das  Elendeste  von  Al- 
lem, was  anf  Erden  kretiebt  nnd  flengt,  angeseben  ?  -— 
Der  Verf.  l&bt  (p.  43)  11  Verse  ans  dem  Homer  ab- 
drneken,  pm  ana  eu  lebren,  dafa  die  Grieoben  Rind^ 
fleiscb  gegessen  baben«  —  Wenn  aaa  trotsdem  Homer 
nnsterbliebe  Rosse  kennt,  die  Zens  bereut,  aterblieben 
Ifensoben,  als  den  klägliobsten  GesebSpfea,  gesellt  zn 
haben,  wenn  Zeus  selbst  in  Mjtben  die  Gestalten  des 
Stiers,  Adlers,  Sokwans,  Kueknoka,  Poseidon  and  D»- 
Mieter  Pferdegestak  aanebmen,    Leto  als  Wölfin  er- 
«ebeiatf  ApoU  ak  Delphin»  Jakebos  als  Ferkel»  Arte^ 
Mis  als  Btrin  and  Hmdia;  wenn  Dionjsoa  an  Festen 
f^amlsn  wird:  Komm,  beiliger  Stier  I,  ein  inProseasion 
«etragenea  Widder-Vliefi  des  Zens  Vliefs  beifst,  Apol* 
Ion  aaf  JBIaxos  unter  dem  Namen  des  Boekes  verebrt 
^rird  —  was  tbnf  st  Uan  braaebt  nur  davon  za  schwel* 
gm*    Der  Veif.  fuhrt  sudem  die  Thiere  und  Uagetbäme, 
die  Herakles"  ersoblagen ,   sxm  Beweise  an^   dafs  die 
Gfiecbea  den  Thieren  alle  Ehre  genommen.    Diesem 
Beweis  aufolge  kann  aiMsh  in  Aegypten,    wo  Homs 
ackiyUehe  Tbiere  erseblag,  kein  Thierdienst  gewesen 
nein.    Der  heiligen  Heecden,  die  ApoUen  noch  in  ge* 

JaM.  f.  wiuentch.  Kritik.  J.  1839.   II.  Bd. 


sobicbilicber  Zeit)  auch  Hera  an  einzelnen  Orten  hatte, 
oder  Boloher  Sitten,  wie  c.  B.  die  attisobe,  daft,  wer 
einen  Wolf  erschlug,  die  Kosten,  um  ihn  ui  bestatten, 
ans  frommen  Gaben  ausaromenbetteln  mufste,  werden 
wir  anch  geschweigen  müssen.' 

Nach  wenigen  Zwischensätzen  konmit  der  Verf« 
(p.  45)  SU  dem  Resultat:  „In  den  Mytben  schaut  das 
Volk  die  Ideen  seines  Geistes  an  und  stellt  sie  idar 
unter  der  Gestalt  änfserer  Facta,  die  tbeils  erdichtet, 
tbeils  wahr,  aber  auch  dann  nur  Stützen,- Instrumente, 
Hüllen  (fulcra,  instrumenta,  tegumeata)  der  Idee  sind 
(die  oben  bestrittene  Ansicht  von  ßode).  So  sei  der 
Trojanische  Mythus  das.Bewufstsein  des  Volkes  von 
der  Culmination  und  dem  Sinken  des  heroischen  Gei* 
ates.  Dieser,  swar  nicht  neue  Gedanke,  wird  .doch 
(p.  45 — 53)  besser  ausaaunenbängend  als  alles  Bishe» 
rige  dargelegt.  Es  folgt  der  letate  Abschmtt  fiber  ^lie 
Grense  des  mythischen  Zeitalters. 

P.  53 :  „Ihrer  Natur  nach  hören  die  Mythen,  so<^ 
bald  sie  dem  Bewu/stsgiuj  der  Kunst  und  einer  be-  ' 
stimmten  Form  zugeeignet  werden,  auf  zu  leben  und 
werden  Denkmäler  der  Vergangenheit.    Denn  wie  der 
Mythus  immer  im  Schwange  gebt,  lebt,  wäcbst,  neue 
BIfitfaen  treibt,  so  Jianu  man  nic/U  sagen ^   dtzfi  er 
eine  bestimmte  Form  habe  (ita  certam  formam  habere 
dici  non  potest),  er  ist  beweglidie  Sfi'ge,  bat  keinen 
festen  Sitz,  gebt,  era&hlt,  fortgepflmist  von  Einem  zum 
Andern  und  wird  tou   Jedem,  umgebildet  (a  guoUbeS 
Sraus/ertnatury  —  Wie  steht  es  nun  mit  demo  bigen 
Widerspruch  gegen  Laehmann^e  und  UiUler^s  Bebaup- 
tung  Ton  der  Umgeataltan^  der  Mythen  f  -*  Visn  allen 
Stefiw  den  Mythus  bat  der  Verf.  wiederholt  erklärt, 
dafs  aie,  ala  aelehe,  sn&llig  und  ihm  anberlich  seien 
(p.  36.:  quis  est,  qni  ex  cojusqaam  vel  ore  tbI  mem- 
bris,  rel  fetma,  Tel  motibus,  tcI  ingressu  animnm  eo« 
gitationesque  eompreheadere  satis  sibi  posae  videatar, 
ttt  quaa  Ofluraa  lea  aeqoe  in  easu  positae  sint  atqae 

7 


47 


FldüeAer^  de  mythi^  inprimi»  gr€Mei  moHira. 


48 


-mit  demselben  Rechte  sich  beklage:  Nichts  Hinfällige- 
res  nähret  die  Malter-Erde  als  den  Menschen  von  Al- 
lem, was  auf  Erden  athmetond  wandelt:  so  seien  auch 
^ie  Götter  majestätisch,  aber  so,  dafs  man  leicht  die 
Spuren  der  Menschlichkeit  in  der  Majestät  finde  (facile 
liumanitatis  Tcstigia  deprehendes).'*  — >  Eine  TortreflPli- 
ch^  Art  zu  beweisen,  dafs  zwei  Tersohiedene  VorsteK 
iungen  einstimmig  seien,  indem  man  sie  auf  zwei  an- 
-dere  entgegengesetzte  Vocstellungen  zurüclifährt.  Und 
obfmein:  Wo  steht  denn,  wtoder  Vf.  anfuhrt,  dafs  der 
Mensch  Snatoq  und  xiidtavog  und  Natnrrerächter  sei,  wo 
in  dem  Epos,  aus  welchem  er  anfuhrt,  dafs  der  Mensch 
das  elendeste  Geschöpf  seil  Und  fiir  dieses  ärmste 
Thier  erkennt  sich  nach  dem  Verf.  der  menschliche 
und  griechische  Oeüt  mit  Recht  (j^^)»  jener  sich  im- 
-Iner  gleiche,  selbstbegründende  Geist!  Was  doch  das 
Wort  Geist  für  ein  geduldiges  Ding  ist!  Und  warum 
sagt  denn  der  Mythus  niemals  von  den  Göttern,  die 
doch  eben  dieser  elendeste  Geis^  sein  sollen,  dafs  sie 
4as  armseeligste  Geschöpf  seien,  gleichwie  er  das  An- 
dere, die  NaturbeherrschuDg,  hinwieder  niemals  vom 
Menschen  sagt?  Den  Verf.  kümmert  das  Alles  nicht, 
«r  behauptet  dvanflos,  behauptet  das  Gegentheil  von 
väetn,  was  erzeigen  wollte,  und  behauptet  dann  wieder, 
nicht  das  Gegeotheü  behauptet  zu  haben; 

Es  geht  nicht  anders  im  Folgenden.  Der  Verf. 
bestreitet  (p.  32 — 34)  Müller's  Herleitungen  griechi- 
echer<  Götter  und  Heroen  aus  verschiedenen  Grund vor- 
fitellangen,  »die  erst  mit  der  Zeit  zusammengeflos- 
sen seien.  In  der  That  hat  Müller  Trennungen  yer- 
liucht,  die  sich  nicht  durchfuhren  lassen,  aber  der  Vf. 
^setzt  ihm  das  blorse  Leugnen,  keinen  Beweis,  selbst 
für  die  an  sich  richtige  Behauptung,  dafs  Apollon  nicht 
.ausschliefslich  dem  Glauben  der  Derer  entstamme, 
•keine  entscheidenden  Gründe  entgegnen«  Er  verfällt 
nur  selbst  wieder  gerade  in  den  Fehler,  den  er  dabei 
wiederholt  3ßUlem  vorwirft,  nämlich  die  mythischen 
Begrifle  ganz  im  Aeufsern  au  suchen  und  zu  finden. 
Denn  von  jenem  Griechengeiste,  der  in  -^es  Verfs.  bis- 
iierigejr  Darstellung  nicht  über  widersprechende  Prädi- 
kate und  abstracto  Formalität  hinausgekommen  ist, 
<«rird  nun  (p.  34)  erklärt,  die  besondern  Stämme  des 


griechischen  Volks  seien  eben  so  viele  besondere  Me^ 
mente  dieses  Geistes  (diversae  gentes  Graecorum  prs 
diversis  Graect  animi  quasi  momentis  habendae).  Dte^ 
ser  Geist,  dieses  unbekannte  Identische,  ist  hiermit  auf 
einmal  zum  natürlichen  Anfsereinander  der  griechische 
Existenz  gemacht.  Und  wie  oben  der  Verf.  als  die 
Macht,  die  diesen  Geist  bewegt,  die  natürlichen  Dings 
und  Faqta  bezeichnet  hat,  so  hier  als  Das,  was  ihn 
dirimirt,  die -natürliche  Verschiedenheit  der  Menschen; 
die  Gattungsunterschiede.  Es  ist  schlechthin  Sache  der 
Natur,  dafs  das  Griechenvolk  in  mehreren  Stämaiai 
existirt,  der  Geist,  sofern  er  nur  auf  diese  vertheik 
isty  ist  sich  in  ihnen  ebenso  äufserlich,  wie  sie  eina» 
der  äufserlich  gegenüberstehen;  und  da  uns  der  Verf. 
weder  darüber,  wie  der  Geist  in  diesen  äufseren  Me^ 
menten  seine  positive  Einheit  bewahre,  noch  auch  ober 
die  Bestimmtheit  dieser  Momente  (der  besonderen  St&ft' 
me)  etwas  sagt,  so  lehrt  er  damit  blos,  dieser  Geist  si 
ein  äufserlich  Verschiedenes,  ebenso  abstract,  wie  vo^ 
her,  er  sei  ein  nicht  verschiedenes. 

Indem  der  Verf.  fortwährend  das,  was  erst  seine 
Thesen  begründen  und  mit  Inhalt  versehen  könnte,  ▼e^ 
Bäumt,  hat  er  genug  Rauih  übrig,  um  (p.36— 41)  eine 
Anzahl  Sätze  ans  Müiler^e  Proleg.,  insbesondere  dei 
sen  Erörterung  des  Danaiden-  und  des  Je -Mythus  i. 
A.  mitzutheilen  und  in  seiner  Weise  zu  recensuren. 
Es  ist  dieselbe,  in  der  einst  ein  Kritiker  der  alige* 
meinen  deutschen  Bibliothek  Fichte's  Wissensohalls- 
lehre  beurtheilt  hat.  Er  liefe  lange  Stellen  dara« 
abdrucken  und  fugte  dann  aus  eigenen  Mitteln  bei! 
„Dieses  ist  doch  zu  arg!*'  u.  dgl.  Zwar  der  Vf.  schickt 
doch  aufserdem  die  Behauptung  voraus,  der  Jo-Mytimi 
drücke  nebst  einigen  andern  den  uralten  Uebergang 
der  Gultur  ras  Aegy^ten  nach  Griechenland  ans;  der 
Erweis  aber  —  da  doch  der  Mythus  umgekehrt  die  Js 
aus  Griechenland  nach  Aegypten  kommen,  auch  dis 
aus  Aegypten  kommenden  Danaiden  nach  Grieefaenbnid 
nur  heimkehren  läfst  —  besteht  eben  in  der  Behenp- 
tung.  Für  die  Tbatsache  des  Uebergangs  hat  der  Vf. 
(p.  37)  einige  der  schdnen  Aussprüche  über  die  Auf- 
Idsung  des  ägyptischen  Bewufstseins  im  griechisohen 
aus  Hegel  abgeschrieben. 


(Der  Beschlufs  folgt) 


w 


Ml. 

Jahrbücher 

u  r 

i  8  8  e  li  s  c  h  a  f  1 1  i  c  h  e    Kritik. 


Juli   1839. 


De  «Nfthi,  mprimü  graeei  nmtura  Commenta- 
rü;  scribebat  Carolv»  Biaurüitts  Fleischer, 

(Schluls.) 

Der  Verf.  gebt  (p.  42)  fort  zm  weiteren  Beepre» 
dmng  des  Gegenaattös  iwieohen  dem  Orient  und  Gtie* 
dbenland.    ^^Der  Geiet  wurde  im  Orient  als  ein  natür* 
lieber^  somit  nnbewegUober' und  fixer  angescbant:  da* 
ber  Sjmbole,  Bilder;  b^i  den  Griechen  wird  der  Geist 
als  Mensch  angesebaut,  somit  als  beweglich  lebendig. 
I>ie  Mythen  sprechen  dort  Ton  Di^gen^  hier  von  Men< 
neben.    Mutten  irre  aneb  dariii^  dafa  er  den  grieobi- 
flehen  Göttern  Thier&jmbole .  soeigne)  j!&\  die  Gri^ 
4dien  sieh  über  die  Tbiere^  wie  fiber  die  Natur  erhaben 
gewufst"    Wer  hat  denn  oben  gesagt,  der  grieebisobe 
Geist  habe  sich  mit  Recht  als   das  Elendeste  von  Al- 
lem, was  auf  Erden  kreucht  und  fleugt,  angesehen  ?  -- 
Der  Verf.  lifst  (pu  43)  11  Verse  aus  dem  Homer  ab- 
druidcen,  pm  ans  su  lehren,  dafa  die  Griechen  Rind^ 
fleisch  gegessen  haben.  —  Wenn  nun  trotsdem  Homer 
UBsteffblicbe  Rosse  kennt,  die  Zeus  bereat,  sterblichen 
Henschen,  als  den  kläglicbsten  Geschöpfen,  gesellt  zu 
kaben,  wenn  Zeus  selbst  in  Mythen  die  Gestalten  des 
Stiers,  Adlers,  Schwans,  Kuckucks,  Poseidon  und  Do- 
Meter  Pferdegestalt  annehmen,    Leto  als  Wölfin  er- 
scheint, Apoll  als  Delphin»  Jakchps  als  Ferkel,  Arte- 
■ais  als  B&rin  und  Hrndin;  wenn  Dionysos  an  Festen 
^mfin  wird  i  Komm,  beiliger  Stier  I,  ein  in  Prosession 
getragenes  Widder-Vlied  des  Zens  Vliefs  beifst,  Apol* 
Ion  anf  JNaxos  unter  dem  Namen  des  Bockes  verehrt 
^nrd  —  was  thuf  s?  Man  bmacht  nur  davon  zu  schwei* 
gM*.   Der  Veif .  fuhrt  sudem  die  Thiere  und  Ungethiime, 
4ie  Herakles"  erschlagen ,   um  Beweise  an,   dafs  die 
Griechen  den  Thieren  alle  Ehre  genommen.    Diesem 
Beweis  anfolge  kann  auch  in  Aegypteo,    wo  Homs 
nchüdlicbe  Tbiere  ersebing,  kein  Thierdienst  gewesen 
aain.    Der  heiligen  Ueerden,  die  ApoUon  noch  in  ge* 

Jahrh.  f.  vtMesff A.  Kriük.  J.  1830.   II.  Bd. 


schichtlicber  Zeit,  auch  Hera  an  einzelnen  Orten  hatte, 
oder  solcher  Sitten,  wie  s.  B.  die  attische,  dais,  wer 
einen  Wolf  erschlug,  die  Kosten,  nm  ihn  ui  bestatten, 
aus  frommen  Gaben  susammenbetteln  mufste,  werden 
wir  auch  geschweigen  müssen. 

Nach  wenigen  Zwischensätzen  kommt  der  Verf* 
(p.  45)  zu  dem  Resultat:  „In  den  Mythen  schaut  das 
Volk  die  Ideen  seines  Geistes  an  und  stellt  sie  idar 
unter  der  Gestalt  äufserer  Facta,  die  tbeils  erdichtet, 
theils  wahr,  aber  auch  dann  nur  Stützen,- Instrumente, 
Hüllen  (fulcra,  instrumenta,  tegumenta)  der  Idee  sind 
(die  oben  bestrittene  Ansicht  Ton  Bade)»  So  sei  der 
Trojanische  Mythus  das  Bewurstsein  des  Volkes  Ton 
der  Culmination  und  dem  Sinken  des  herobdien  Gei« 
ates.  Dieser,  zwar  nicht  neue  Gedanke,  wird  .doch 
(p.  45 — 53)  besser  ausaaunenbängend  als  alles  Bishe» 
rige  dargelegt.  Es  folgt  der  letzte  Abschnitt  fiber  4ie 
Grenze  des  mythischen  Zeitalters. 

P.  53 :  „Ihrer  Natur  nach  bdren  die  Mythen,  so«^ 
bald  sie  dem  BewußUmn^  der  Kunst  und  einer  bOi'  ' 
stimmten  Form  zugeeignet  werden,  auf  zu  leben  und 
werden  Denkmäler  der  Vergangenheit.    Denn  wie  der 
Mythus  immer  im  Schwange  gebt,  lebt,  wächst,  neue 
BIfithen  treibt,  so  kann  man  nieAt  sagen y   dafe  er 
eme  ieetimmte  Form  habe  (ita  certam  fermam  habere 
dici  non  potest),  er  ist  bewegliche  S^'ge,  bat  keinen 
festen  Sitz,  gebt,  era&hlt,  fortgepflanzt  ¥on  Einem  zum 
Andern  und  wird  yon   Jedem,  umgebildet  (a  guelibe^ 
irane/in'matury  -—  Wie  steht  es  nun  mit  demo  bigen 
Widerspruch  gegen  LaeJkmanH^e  und  UiUier^e  Behaup- 
tung TOn  der  Umgeataltnng  der  Mythen  t  —  Van  allen 
Stoffen  dea  Mythus  bat  der  Verf.  wiederholt  erklärt, 
dnfa  sie,  als  selche,  snfilllig  und  ibm  änfserlioh  seien 
(p.  36  i  quis  est,  qni  ex  cojusqnam  vel  ore  Tel  mem* 
bris,  Tel  fctma,  Tel  motibns,  Tel  ingressa  animam  eo« 
gitationesque  comprehendere  satis  sibi  posse  Tideatnr, 
ttt  quae  emaea  res  aeqne  in  eaeu  positae  sint  atqae 

7 


51 


Fleiieher^  de  myfhi^  inprimU  graeei  natura. 


- 1 


eogitatione  Tolantateque  deaatür  etc.   pag.  45    qumn 

oiimes  illae  res  et  porsonae  et  actiones  et  nomina  oa- 

jusTie  generiS)   ut  jain  dixi,   ia  externa  forma  tantam 

posita  «iot  habeanturqae  pro  involucrü  tantumm%da 

9iy^i  et  iotegomeBtisjiia  qoibus  quam  ca«f^«  porinul- 

tum  possit^  baereoduih  non  est,  sed  totauv  ideam  etc.) 

Indem  der  Verf.  nun,  wie  den  Stoffen  des  Mythus,  so 

.auch  der  Form  alle  Bestimmtlieit  abspricht:  seist  sein 

Mythus  das  schlechthin  Unbestimmte,  d.  h.  Nichts.  — 

9,Biese  unaufhörliche  Veränderung  kann  nicht  eher  zu 

Ende  kommen,  als  bis  jene  {«"ähigkeit  der  Befrachtung 

iiod   Fortbildung,    Ausgestaltung   und    Umgestaltung, 

iiberhaypt  dies   poetische  Talent  der  Auffassung  und 

des  Ausdrucks  im  Volke  abnfanmt  und  dem  gebildeten 

.  Verstände  weicht,  welcher,  was  er  thut,  mit  einem  ge- 

wissen   BewuCstsein  thut  {cum  ^fuadam  eoMcientiä). 

Daher  mufs,.  was   dem  Bewu/tttein  ganz  «$td  gar 

fremd  ist  und  blos  von  selbst  absichtslos  wachsen  und 

blühen  kann,  abieben  und  verschwinden,  sobald  dieser 

Verstand  vorwiegt  (quod  igitur  a  eonedentia  alienis- 

eimum  est  atque  nisi  sponte  et  per  se  neque  dedita 

Opera  crescere  et  ali   et  florere  non'  potest,   id  hac 

meate  praevalente  spiritum  ducere  vitamque  agere  de- 

ainit)."    Oben  hiefs  es,  die  ganze  Erkenntnifs  des  grie- 

'chischen<  Mythus  beruhe  darauf,  dafs  man  den  griechi- 

sehen  Geist  kenne,  dessen  Eigenheit  Sdtbstbewufstsein, 

das  yvä^i  aavtov  sei  (p.  7*  10),  die  Mythen  selbst  von 

der  Besiegung  der  Titanen  u.  s.  w.  sprächen  es  aus, 

dafs  hier  der  Geist  zur  Selbständigkeit,  zum  Selbstbe- 

wufstsein  gekommen  (p.  15),   sie  seien  die  Zeugnisse, 

dafs  der  Geist  des  Volkes  aus  den  Natnrbanden  zur 

Tollkomnmeren,  freieren  Form  sich  erlroben  (43),  die 

Myth,en  seien  Ideen,  der  Mythus  stelle  das  lautere  Be^ 

wnCstsein  des  Volkes   über  den  Gang  seines  Geistes 

bildlich  dar  (p.  28  stnceram  populi  de  animi  sui  ve- 

luti;  curriculo.  eonseientiam    coloribus  imagipibusque 

pertextam),  enthalte  nichts,  als  was  das  Volk  über  die 

Natur  und  Elntwicklung  seines  Geistes   inne  geworden 

^p.  21  Mythus  graectts —  graecaia  veritatem,  graecum 

adimum  exprimit  et  adumbra^, neque  continet  quidquam, 

nisi  quod  populus  de  sui  animi.  natura,  indoleque,  ef- 

fectibus,  cemmutationibus,.  inorementis  et  progressibus 

suspicatus  Sit  vel  senserit  cC  p/43.  45).    Nach  dem 

aUea  al&a  koount  herai^,   sobfüdBewufiBtaein  eintrete,' 

müsse  der  Mythus    als  das  dem  BowpCstseia  Feraste 

sterben*.    Nach  dem.  Verf.  wendet  nch>nttn  der  be^ 


wufftte  Verstand,  der  Zerstörer  des  mythisohea  Zeit- 
alters (Conscia  mens,  mythitoi  aeyi  deietrix)  aaf 
Mythen  und  erzeugt  die  Kunst,  die  Dichtung.,  Di 
wird  die  Wahrheit  der  Mythen  inne,  und  gibt  ihn 
die  einzige  adäquate  Form  (p.  S4:  veräm  mytlioi 
ratiouem  snspicatur  et  forftiam  constituit  solam  t 
adaequatam  et  congmentem).  Wie  kann  aber  dai 
schlechthin  Unbestimmte  Wahrheit  haben,  wie  den, 
was  seiner  Natur  nach  keine  Bestimmte  Form  bat, 
eine  oongruente  Form  gegeben  werden,  wie  da«,  wn 
am  Licht  des  BewuCstseins  stirbt,  durch  das  Bewmlst 
sein  befestigt  werden  1  —  „Wenn  so  der  Mythus  aeiae 
wahre  und  feste  Form  hat  (quam  verum  suani  fixa»> 
qne  formam  adeptus  sit)  stockt .  er  (faseret)  und  lebt 
nicht  weiter,  wird  nur  im  Gedäehtnifs  als  ehrwürdiges 
Monument  bewahrt.  Mit  Eintritt  des  epischen  Zeitat 
ters  geht  das  mythische  zu  Ende." 

Man  mufs  erstaunen,  wenn  sich  der  Verf.  ilim  so- 
gleich  (p.  55)  wieder  gegen  Mütter  wendet,  um   die- 
sem die  Fortdauer  des  MythenMldens  bis  in  die  Zeita 
gewisser  Colonieen,   deren  Eiaflnfs  auf'.MythenfornMB 
;  Muller  zum  Theil  trefflich  erwiesen,  auch  das  ÜBvrili- 
kührliche  der  neuen   Fassung  (ProL  S.  143)  wohl  e^ 
kl&rt  hat,   aus  folgendem  Grunde  streitig  zu  madwa. 
Die  Annahme  solches  Einflusses  der  Colonieen.  vertrAge 
sich  zwar  mit  Muller^s  Definition  des  Mythus  alw  eni^ 
Zusammenflusses  vom  Gedachten  und  Factiscbeo.    Di 
aber  er,  der  Verf.,  erwiesen  habe,  dafs  das  Volk  nicht 
sinnliche  Facta,  sondern  die  BeschaflVsnheit  seines  Gsi* 
stes  (animi  sui  rationem)  sich  im  Mythus  vorgestellt, 
sei  klar,    dafs  Auswanderungen  das  Volk  gerade  asi 
meisten  von  dieser  Selbstbetrachtong   seines   Geiata 
abziehen  (ab  hao  animi  sui  contemplandi  ratione  ave* 
cent).'^    Erstlich  sollte  man  hiernach  meinen,  Mütter 
erkläre  die  sinnlichen  Facta  (facta  oculis  subjeota)  ftr 
die    GrBnde  solcher    My th^en ;    wogegen    Mütter  im 
Grund  ausdrücklich  in  die  Auflassung  der  ErfaiiniBg 
in  religiösem  Sinne  und  in  gtänbige  Verknflpftnig  der» 
selben  mit  geheiligten  Erinnerungen  setzt.    Wenn  im^ 
her  der  Verf.  seine  eigenen  Worte  verstünde :  so  inüfst« 
er   sich  mit  Müller   einstimmig  wissen  $    da  er  obtt 
(p.  22)  gesagt  bat:  das  Volk  stelle  im  Mythus  histoii- 
sehe  Facta  dar,  wie  es  sie  \m  Sinne  des  Geistes  gs» 
fafst  und  erwogen  habe  (facta  historiea,  ^omodo  anW 
sensu  conceperit  ac  pensitarit) ; .  freilich  nit  dem  Ob» 
tersoliiede,  dafii  Mütter  den  Sinn  und  Geist  der  Ve»» 


'  f 


FleucAeTy  de  mjfthiy 

kafipiniig  «ftllMt  hfafkOTt»  der  \ert.  Um  stets  ala  un* 
bekaaDtee  x,  Md  als«  das  abstract  Identische,  bald  als 
das  ahatraci  Versotaiadeney  bald  als  den  Selbstgnrad^ 
bald  als  das  Fomilese  beaeichnet  hat  —  Zum  Andera^ 
wie  kaan  der  Verf.  sagea,  Verstellaog  der  Geistesbe- 
schaffeaheit,  Betradktnng.  des  eigenen  Geistos  habe  et 
als  Inhalt  des  Mif^us  erwiesen,  er,  der  so  eben  den 
Mythus  als  das  dem  Bewafstsein  Fremdeste,  gänzlich 
Unstete,  mit  Ebtritt  des-  Bowufstseins  Yerscheidende 
prädicirt  hat?.  Die  vom  Verf.  angenommene  Selbstbe- 
traehtang  des  Geistes  b  StoiFen  und  Farben  der  Wirk- 
Üehkeit^  und  Bbbildung  ohne  Bewafstsein,  kann,  wenn 
sie  einen  Sinn  habea  soll  (streng  genommen  ist  sie  ün- 
sian)  nur  bedeuten  ein  Betrachten,  worin  der  Geist 
sab  Selbst  anschaut,,  ohne  sich  bewafst  an  sein,'dafs 
es  sein  Selbst  ist,  was  er  anschaut«  Bewufst  mufs  er 
imm.er  sein,  nnn  noch  Geist  zu  sein ;  aber  er  kaib  dea- 
sen,  was  in  Walirheit  seb  Selbst  ist^  sich  nur  als  ei- 
nes Andern,  ebes  Aeufsemf  bewufst  seb.  Ist  nun  dies : 
so  kann  dieser  Geist  sein  Selbst  noch  nicht  vom  Aeu- 
iseren  untersclieiden :  er  fafst  das  Aenfsere  in  ober 
Gestalt,  die  sein  Wesen  ist,  ohne  sie  als  solphes  zu 
wissen,  und  sein  Wesen  kommt  ihm  als  äi^serlich  Ge- 
gebenes entgegen,  d.  h.  Gedachtes  und  Factum  sind 
m  diesem  Oeiste  noch  ungeitennt*  Wäre  sich  da- 
her dec  Verf.  klar  gewerden,  so  hätte  er  gesehen,  dafs 
er  im  Mythus  dasselbe  sich  dunkel  yorsteilte,  was 
Midier  ausgeapradien  hat.  Und  hätte  er  die  Momente 
des  Geistes,  die  er  sprungweise  aufgibt  und  annimmt, 
atatt  m  abstracter,  ia  der  positiven  Identität  denkend 
nsaaunei^efafst,  so  würde  er  nicht  Müller^s  Haapt- 
aatz  besteitlen,  sondern  ihn  zu  begründen  und  die  An- 
wendung zu  berichtigen  Mittel  gefunden  haben.  Da 
ihm  dies  njcht  gelungen,  mufs  es  der  Wissenschaft 
gleiehgältig  bleiben,  ob  er  dea  von  Müller  erklärten 
Mjthna  van  Kjreae  und  ähnliche  liir  einen  ächten  My- 
thoa halten  kaan  od^rnioht.  Er  versichert  (p.  55  sq.), 
in  solchen  und  vielen  andern  heroischrih  Mythen  könne 
er  den  griedi.  Geist  nicht  erkennen  \  was  ich  ihm  glaube« 
Der  Verf.  bleibt  sich  bis  zum  Ende  des  Aufsatzes 
glddi,  n&mlieh  b  der  Ungleichheit  Das  Letzte,  was 
er  mit  deraeiben  Lebhaftigkeit,  deren- Ausbrüche  ich 
ab  uawesenilich  übergangen  habe,  an  Mutier  rügt,  ist 
dessen  Bemerkung,  dafs  die  Verknüpfung  der  griechi- 
schen Mythen  zu  ebem  Ganzen,  eber  scheinbar  steti- 
gen Geschichte  der  Vori^eit,   und  die  Verdichtung  der 


Mj^TMtM  grmeei  natura.  54 

pttrtieulärea-  Vojestellungea  v^n*  G<tt<M:  und, Heroen  zu 
plastischen  und  gemeingültigen  Cbarakterea  vonugKch 
Werk  der  Oiebter  sei.  Es  versteht  sich,  dafs  der  Vf* 
hiergegen  streuen  mufs,  da  er  es  eben  erst  behauptet 
hat;  nur  mit  v}el  weniger  Einschränkung.  Er  bat  ge- 
sagt und.  (p.  56)  wiederholt,  der  Mythus  habe  kebe 
bestimmte  Form  gehabt,  HjDd  ebe  selche  erst  durch  die 
epischen  Dichter  erhalten*  Ist  dabei  etwas  zu  denken, 
so  heifst  eis,  der  Mythus  erhielt  Begrenzung  und  Ver- 
knfipfung  seinee  Inhalts  und  ausgeprägte  Bestimmtheit 
«rst  durch  die  Dichter.  Kwie  Berüeksichtigang  vor« 
dienen  die  Gründe,  die  der  Ver£  auf  seine  Faust  MUl* 
lern  unterschiebt,  und  die  Unwahrheit,  Müller  schreiba 
den  Dichtem  bei  diesem  Verfahren  'WUikührlichkeit 
zu  (p.  58  ad .  libidinem).  Müller  behauptet  bestinunt 
das  Gegentbeil  Prol.  S.  110 1  119.  325.  348.  SchUefs- 
lioh  ötirt  der  Verf. ^einige  Stellen,  in  welchen  Müller 
von  iroDiseher  und  parodischer  Behandlung  der  Götter 

'  bei  Homer  spricht.  Aas  Prol.  S.  357  geht  übrigens 
hervor,  dafs  sich  Müller  diese  Ironie  in  engem  Zu- 
sammenhange mit  der  Naivetät  ubd  Energie  des  reli- 
giösen Glaubens  denkt.  D<$r  Verf.  thut,  als  ob  Miller 
dem  Dichter  einen  gelehrten  Standpunkt  und  ein  ab- 
sichtliches Verkleinern,  der  Götter  beigemessen  hätte.' 
Dabei  bedbnt  sich  der  Verf.  selbst  der  Ironie  gegen 
den  armen  beschränkten  Müller  in  einer  Weise,  weh 

,  che  gana  der  ^issenschaftlichea  Stärke  seiner  Angriffe 
wUrdig  ist  A.  Scholl. 


ra. 

Bildungsgeschichte  des  RüchenmarUssystems  mit 
Benutzung  der  allgemeinen  Bildungsgeschichte. 
Von  Otto  Oottfr.Leonh.Qir gen  söhn.    M^/9 

■ 

und.  Leipzigs  1S37. 

Vorliegendes  Buch  ist  Burdach  gewidmet,  «md  man 
kann  sagen,  es  ist  auch  aus  dem  Geiste  desselben  her- 
vorgegangen. Waa  wir  also  an  dessen  gröfserer  Phy* 
sblogie  Vorzfigliches  zu  schätzen  haben,  die  geistige 
Durchdringung  des  Gegenstandes,  die  logische  Anerd^ 
nang  des  Gegriienen,  die  treue  vollständige  Sammlung 
und  Znsammenstellung  der  Thatsachen,  alles '  diesei 
dient  nach  als  Zierde  unseres  Buches.  Es  fiadet  sieh 
da  ein  erfredicher  adminisfrätiver  Geist,  der  die  sieh 
andrängenden  Berichte  und  die  Provinzen  des  weiten 
naturwi^senschafilichen   Reiches    fSr   einen  schnellen 


Otrgenwokn^  Mkkmg9g09eSf4cAi0  de$  Bü'ikemmMfkMBjfMiemM. 


Utberbliok  ffehdrig  zu'  oNlDeii  Tersteht,  und  sie  tbeiii 
«elbst  beurtheill^  theils  fttr  das  Ui^heil  Anderer' zurechl« 
setzt.  Aber  davoD  abgeteheo,  was  man  als  eine  16k- 
fiebe  Mübwaltnng  und  Arbeit  betrachten  kann,  ist  die 
Tendenz  äes  Bocbes  eine  höhere,  eine*  philosophische* 
Effüige  Hauptsätze  über  das  ursprüeglicbe  Verhältnifs 
des  Geistes  znqn  Organismus  sollen  an  den  empiri- 
schen Thatsachen  klarer  als  bisher  dargestellt  wer- 
den. So:  dafs  der  individuelle  Geist  der  orsprüngliche, 
bleibende,  t;^pnsbestiinniende  Grund  der  AadiTiduellea 
Organisation  ist;  dafs  aus  dem  urspröngliGben  Gegen« 
satz  des  Geistigen  und  Materiellen  auch  im  indi?idiiei- 
len  Organismus  eine  Dnplicität  des  Lebens  und  Bil- 
dungstjpus  hervorgeht,  welche  yom  ersten  Anftreten 
des  PrimitiTstreifens  im  Ei  bis  zur  höchsten  Ausbildung 
der  organischen  Systeme  fortschreitend  sich  entwiekek  9 
dafs  in  diesen  Gegensätzen  wieder  eine  Tendenz  aur 
Tersohmekung  ist,  wodurch  das  ursprfinglieb  Geislige 
Frieder  die  Herrschaft  gewinnt,  so  dafs  überall  ein  Fort« 
schreiten  Ton  Objektiyltät  zur  Subjektirität,  yon  Be- 
stimmbarkeit zur  Selbständigkeit,  von  Vielheit  zur  Bin« 
beit,  von  AHgemteinheit  zur  Individualität  wahrzuneh- 
men Ist ;  dars  vorzägiieh  in  der  Entwicklung  des  Ner- 
Tensjstems  jene  geistigen  Momente  sich  naebweisen 
lassen.  Aus  diesen  Haupt^tzen  und  ihrer  empirischen 
Durchführung  ergaben  sich  dann  eine  Menge  wichtiger, 
manchen  tiefen  Bück  in  das  organische  Leben  gewäb« 
linder  Corollarien,  wodurch  uns  das  geistige  Getriebe 
derselben  anscbaulicber  gemacht  werden  soll« 

Es  giebt  nicht  leicht  einen  Zweig  der  Naturwis- 
sensqhaft,  der  in  der  neueren  Zeit  mehr  brauchbares 
Material  für  künftige  mit  höherem  Glück  zu  erneuern- 
de naturphilosopbische  Konstruktionen  geliefert  hätte, 
als  die  Morphologie  oder,  specieller  ausgedrückt,  die 
Entwicklungsgeschichte  der  Ttnere  und  die  Metamor- 
phose «for  Pflanzen.  Man  siebt  hier  ttberall  den  Geist 
heiaaka  naekt,  nur  leteht  voas  Sehkier  der  Materie  nm- 
fajiltt  siok  offenbaren,  so  dafs  es  beinabe  nur  einer  be- 
griffsBiafsigeo  Amreihung  der  Thatsachen  und  eioer  se 
i^iet  möglich  lückenlosen  DurchCtthrung  derEntwicklui^ 
gen  bedarf,  am  die  individualisivten  Naturideen  vor.  die 
Uno^teUiarkeU  der  'Sinne  selbst  beranauffibreii*  Eis 
'  haben  zwar  Alle,  die  bisher  über  EntwicHlungsgesehiobte 
aobrieben,  mit  und  ohne  Willen  das  idedie  Wesen  des 
Otffaaismus  mehr  oder  weniger  zur  Anaehauung  ge« 


faMicbt,  nirgends  ist  jedoch  die  pipileaepläsehe  Tettdens 
so  entschieden  und  als  dai  Gante  bestimmend  aii%e« 
treten,  als  bei  mserm  Autor*  Es  lag  deiia  aneh  io  dar 
ganzen  Art  der  Auffassung^  dals  er  mit  der  Bildung»* 
gescliicbte  des  Rüokemnarkssjstems  (des  aaiuiaUscliea 
Organehsystems)  mehr  oder  weniger  die  gesammte  Bil- 
dungsgeschichte umfassen  rnnfste,  was  ihm  daher  nn- 
inüglich  zum  Vorwurfe  geVeicben  kann*  Darin  lag:  aitck 
die  Notbwendigkeit,  die  Entwicklung  des  Oi^ganismus 
nicht  nur  im  embryonalen  Zaatfuide,  aoadem  durch  alle 
Lebensperioden  bis  zum  Tode  in  Betrachtung  an  xie> 
heu,  was  bei  einer  oberflächlichen  Ansieht  des  Btudies 
und  beim  Mifsverständnifs  des  Titels  leicht  Wider» 
Spruch  erregen  könnte.  Wir  bemerken  nur  noch,  dafii 
die  Anordnung  de^  Ganzen  durch  die  Entwicklungen  im 
Embryoleben  und  den  übrigen  Lebensaltem  gegeben  ist, 
und  geben  zu  Besprechung  einiger  Binzelnheiten-  über. 

Vorerst  einiges  über  den  dualistischen  Standpunkt 
des  Autors.  ^Ibm  ist  die  Zeugung  die  Manifestation  ei» 
ner  Uridee  (oder  des  Geistes)  im  gegebenen  lebendoi 
Stoffe.  Hier  ist  offenbar  ein  Pleonasanis.  Der  lebende 
Stoff  ist  selbst  schon  ein  vom  Geiste  durehdrungeoer. 
Wozu  diese  neue  Trennung  und  abermalige  Entgegen- 
setzung. Im  consequenton  Dualismus  wird  vielmehr  die 
Materie  in  ihrer  höchsten  Abstraktheit  als  dem  Leben 
.ganz  entfremdet  gedacht,  um  durch  Verbindung  mit 
dem'  Geiste  erst  lebendig  zu  wei^den  \ .  und  darin  be* 
ataade  schon  der  Moment  der  Zeugung*  Es  wird  also 
um  die  Zeugung  zu  erklären,  die  Zleugnng  schon  vor- 
ausgesetzt*  Jener  Ausspruch  kann  also  nur  für  be* 
stisBottt  individuelle  Zeugungen  gelten,  die  als  aeldw 
allerdings  aebon  die  Urzeugung^  also  gegebenen  leben- 
digen Stoff,  ins  Uneadliche  voraussetaen.  «^  Für  des 
empiriscben  Naturforscher  ist  'der  Standpunkt  des  Dua» 
lismus  notbwendig;  denn  allenthalbesi  begegnen  ihm  is 
der  Welt  der  Erscheinungen  Gegenaitae^  veo  Krifiea 
und  Stoffen,  von  Activitäten  und  Passitititen^  jmdedi 
immer  in  untrdhnbarer  Vereinigung,  die  *er  erat  anf 
künstliche  Weise,  durch  allzu  starre  Abstraktion  ver» 
leitet,  so  trennt  und  getrennt  ausefaianderbält,  dafs  & 
zuletzt  wie  in  Selbstvorzauberung  kaaas  sa  der  u^ 
sprüngiick  gegebenen  empirischen  Syathesis  wieder 
zurückzukehren  vermag,  und  gar  ofi^  aus  Mangel  as 
fortwirkender  Gedankenkraft,  in  diesem  unversilmli* 
ehern  Gegensatz  fiir  immer  befiingen  bleibt. 


(Der  ^eBchlafB  folgt.) 


.   t 


J  a  h  r  b  tt  c  h  e  r 


für 


w  i  8  s  e  n  8  c  h  a  f  1 1  i  che   K  r  i  t  i  k. 


Juli   1839. 


Bildtmgfguchichie  des  Muehenmarissgutems  mit 
Bemitzmng  der  eUlgememen  ßädung$ge9€hichte. 
.  Foit  Otto  Qottfr.  Lßonh.  Qirgensohn. 

•  * 

Wo  dagegen  der  Geist  durch  die  ErscheiBamgeii 
2tt  sich  selbst  durobgedruDgen  ist,  gelangt  er  nothwen- 
dig  zu.  der  auch  in  der  Natur  waltenden  absoluten  Iden- 
tität des  Subjektiven  und  Objektiven  und  erkennt  in 
ihr  das  ihm  homogene  geistige  Wesen.  Dadurch  wird 
jedoch  der  empirische  dnalistipcbe  Standpunkt  nicht 
aufgehoben,  sondern  vielmehr  in  höherer  Verklärung 
bestätigt,  und  als  solcher  begriffen.  Wenn  so  dei;  Na- 
turfor^cber  diese  notb wendige  Stufen  geistiger  Bewe- 
gung durchgegangen  und  freithätig  zn  der  nieder^en  des  - 
Dualismus  wieder  zurüoksteigt,  ^o  mufs  er  nicht  unter- 
Jassen,  die  höhere  Beziehung  allenthalben  zu  bestäti- 
gen, wenn  er  sich  nicht-  dem  Vorwurf  der  Einseitigkeit 
aussetzen  will. 

Pei  der  Betracbtnng  des  gegebenen  lebendigen  Stoffs 
als  Sabstrat  der  Zeugung  (p.  4)  bleibt  der  Autor  eia- 
peit%  bei  dem  im  weiblichen  Organismus  vorbereitetem 
Zeug«  Qgsst off  des  Eichens  stehen,  ohne  dop  männli- 
chen zu  berücksichtigen,  der  ebenso  notbwendig  in  den 
männlichen  Zengungsbrganen  vorbereitet  wird,  und  nennt 
dieseq  Moment  die  einseitige  oder  rein  weibliche  TjKQf 
0ui]^,  da  sie  vielmehr  zweiseitige  määnlich  und  weib^ 
Uch  isti  indem  auch,  der  männJiQbe  Zeugungsftoff  im 
^männlichen  Organismus  noch  vor  der  Zeugung  vorbe- 
reitet i^ird,  und.el^enso  sein  materielles  .Substirat^  wie 
der  weibliche  ha^  und'  bei  dem  Zeiignngsprodukt  der 
geistige  Typus  nicht  dem  AI ä^nlicheä, allein  zukömmt^ 
aopdem  auqh  dem  WeibUdhen,  wie  dies  ans  der  Mi- 
ecbung  körperlicher  Aehnlichkeiten  und  psjrchiscber 
CbarakterzUge  beider  Eltern  im  neu^n  Individuum  aufr 
fallend  ethellt.  Doch  Spätere  Stellen  (p.  24  u.  jF.)  he» 

Jmkrh.  /.  «MteftfcA.  Kritik^  J.  1830.  II.  Vd. 


ben  diese  Behauptu|igen  wieder  mif,  was  jedodi  den 
Autors.' nicht  entschuldigt. 

Bei  der  Auseinandersetzung  der  Struktnetbeile  dea' 
Eies  (p.  5  u.  6)  wird  die  Kornerschicht,  welche  im  Zu- 
sammenhange mit  dem  Blastodenna  die  gesammte  in» 
nf^re  Oberfläche  der  Dotterbaut  als  eine  Schicht  ^der 
vielmehr  als  eine  besondere  Membran  bekleidet,  ganz 
aufser  Acht  gelassen.    Ich  halte  vielmehr  dafiir,  dafii 
diese  Membran  ^in  wesentlicher  integrirönder  Th^  des 
Keimblatts  ist,  ilnd  dafs  somit  dieses- ursprfingUch  eiiie  - 
sphärische  (ßestalt  hat,  dafs  die  ersten  Voigänge  dar 
Bildung  nicjht  aussehlierslich  in  der  Nähe  des  Keimblä»> 
cbens,  ^sondern  jn  dieser  ganzen  spliärischen  Hembsan 
Statt  finden,  dafs  dagegen  die .  eigendiche  Dotterhaut 
(gegen  llusconi)  als  einerstrukturlose  unlehendige  blos 
einschliefsenda  Membran  nur  als  n^echanisohes  Hilfs- 
organ zu  betrachten  ist,  und  dafs  ebenso  der  Dotter 
(gegen, Carus)  nicht  unmittelbarer  Sitz  der  Lebeüsbil- 
dang  ist,  wenn  er,aucb  sonst  den  lebensfähigsten  Nab- 
trung9stoff  für  den  neuen  Bildungnprpoefs  liefet    Aus 
dieser  Ansicht  erklärt  sich^s,  wie  die  ersten  zunächst 
beim  Frosche!  sichtbaren  Biidung^bewegnngen  (die  be* 
kannten  regelmäfsigen  Theilungen  der  Oberfläche)  zwar 
vpn^  einem  Hauptpunkte  ausgebetf,  aber  sogleich  sich 
ßxd  der  ganzen  Dotterfläiche  verbraten,  ohne  blos  sink  . 
auf  die  Keimstelle  zu  beschränken.    Aach  irttrde  dar- 
aus hervorgehen,  dafs  der  Dotter  nicht  blos  bei  Piaohen 
und  Amphibien,  sondern  auch  bei  Vigefai  nnd  Säu^ 
..thieren  und  wahrscheinlich '  durcbgehends  bei  allen  in 
Bierh  sich  bildenden  Thieren^  gleich  ursprünglioh  vesi 
der^Leibhdhle  umClfst  wird,  wo  sodann  die  Tremiiing 
des  Dottersacfca  vom  Leibe  als  der  erste  Anfisng  des 
Absterbens.der  TheHargane  oder  der  Ttenwmng  bfela- 
iiv  Aeofseres  und  Inneres  zu  betrachten  wävs» 

Eigentbi'unlich  dem  Verf.  ist  die  Lehre  von  der 
heterogenen  Organisation  im  Gegensittz  der  wesentli- 
chen in  der  Frnchtbildnng.    „Alles  (p.  7fi)  was  sieh  so 

8 


59 


GirgensoAn,  Bildttngtgetghiekte  des  ROcktnmarkttyt^emt.. 


im   GQgenfsatz   zum  PriitiitiTstreifen,   onabBSiigjg  f On     flea  soll,  -damit  di^  ars'prfingliohe  Einheit  nidit  ju  s^ 
dems.elbeti,  durch  ein  mehr  von   der  Mutter  und  tfem  *  in  d.en  Hintergrund  trete. 


.* 


Ei-Ganzen  bedingtes,  als  Tom  Emhryo  ausgehendes  Le- 
ben, entwioicelt,  und  was,  wenn  es  auch 'zum  Theil 
lieib  des  Bmbrjo  vird^  doch  nicht  fär.die  unmittelba- 
ren Geistesthätigk^iten  da  ist ,  netiue  ich  heterogene 
Organisation.  Sie  dient  mehr  zur  Erhaltung  und  Nah- 
rung des  Lebens,  ^als  seiner  Aeufserung,  sie  ist  das 
Slldungsniaterial,  gegen  welches  sich  das  eigentlich 
•thätige- Leben,  wenn  es  zur  Individnlilität  erstarkt  ist, 
mit  aller  ihm  inwohnenden  Kraft  richtet;  sie  ist  gegen 
die  wesentliche  Organisation  das  Aenfsere,  das  Peri- 
pherische; sie  ist  das  VergängHche,  Wandelbare,  Zer- 
^frente,  Mannigfaltige.  In  jedem  Moment  des  Lebeüs 
wird  sie  zersetzt,  metamorphosirt,  ansgestofsen',  durch 
neu  aufgenommenen  StofF  ersetzt  und  ergänzt*' u.  s. -f. 
tDas  erste  Organ  der  wesentlichen  Organisation  ist  ihm^ 
nun  der  Primitivstreifen, '  später  bei  weiterer  Entwick- 
lung das  Hirn-  und  Aückenmarkssystem  und  die  damit 
Ausammephängenden  Organe,  kurz  die  Organisation 
des  animalen  Lebens;  sie  stellt  das' männliche  Prinzip 
im  Fruchtleben  dmr.  Die  heterogene  Organisation  be- 
steht hn  Ge&fs-  und  Gangliensjstem.  Diese  sind  die 
Verniittiungsglieder  zwischen  weiblichem  im  Ei  gegebe- 
nem lebendigem  Zeugungsstoff  und  dem  eigentlichen 
Embryo.  Sie  bilden  sich  zum  Theil  im  Eie  selbststän- 
.dig  heryor  im  eigenen  Heerde  der  wesentlichen  Orga- 
•nisation  gegenüber,  in  deren  Inneres  sie  sodann  zum 
Theil.  aufgenommen  und  mit  ihr  vereinet  werdelfi,  zum 
.  Theil  absterben  und  als  heterogen  abgestofsen  werden. 
Dieser  Gegensatz  geht  nun  durch  alle  Stufen  des  Em- 
bryolebens hindurch,  in  beständiger  Umwandlung  und 
erbäk  sich  durch  das  ganze  Leben.  Diese  Lebre  ist 
im  Grunde  identisch  mit  der  gewöhnlichen  Lebre  vom 
•Tegetativeü  und  animalen  Organismus  nur  unter  anderm 
Gesichtspunkte .  aufgefafst,  indem  keine  ursprüngliobe 
Durchdringung  der  beiden  Grundformen  des  Lebens 
Torausg^setzt  wird,  sondern  diese  allinählig  zeitlich 
und  räumliob,  in  Wechselwirkung  der  beiden  Zeagungs- 
stolfe  jedes  von  emem  besoudem  Heerde  oder  Oentral-. 
punkt  aus  erfolgen  splL  Zu  dieser  Aaticht  i^äre  der 
-Verf.. schwer lioh  gekommen,  wenn  er  nii^t  gleich  Ton 
Anfang  an  in  denDuäliBmus  des  Geistigen  und  Mate- 
riellen bei. der  Zeugung- •  sioih  zu  sehr  vertieft  hätte.. 
Solche  Gegensätze  habfen  allerdings  eine  aber  nur  re- 
lative Giltigkeit,  die  jedoch. überall  eingestanden -wet^ 


Mit  der  eben  dargestellten  Ansicht  des  Autors  tub 
der  Wesentlichen  und  heterogenen*  Qr^antsatien,  ßK^ 
auch  seine  Lehrc:  von  'der.  Qenesii  dds«  GAmglismierveft» 
Systems  im  Zusaipmenhange.  Dieses  bildet  sich  .ihm 
gemäfs  als  Gegensatz  gegen  das'  Centraluerveneysteou 
Er  gehtyon  der  Voraussetzung  aus,*  dafs  kein  Orna 
fürs  Leben  bestehen  kann,  dem  nich^Neryenmasse  ein- 
gebildet  ist.  Indem  der  embryenale  Theil  der  Fmeht 
in  der  Entwicklung  forischreitet,  tanfr  ei<^  m  den.ndl- 
terlich-placentaren,  wenn,  er  nicht  sogleich  uaterg^ofacs 
soll,  ein  nervöser  Gegenpol  entwickeln.  Dieser  istdai 
^Abdominalnerrensystem  mit  eentripetaJer  Tendens  bd 
Mangel  an  Centricität.  Jemehr  sich  dieses  aus  4cb 
mätterlichen  Bildungsstoff  hervorbildet,  desto  mehr  e^ 
streckt  der  positive  Nervenpol  seinen  Einflufs  in  die 
lieterogene  mätterliche  Organisation,  desto  selbständF 
ger  und  individueller  wird  die  Frucht. 

Wunderlich  klingt  zuletzt  die!  Yermuthnng,  dafs  im 
Wolfschen  Körper  die  ersten  Rudimente  deis  Gaogfien* 
Systems  zu  suchen  wären.  Wichtig  dag^sen  ist  die 
."Bemerkung*  (p.  53),'  wobei  er  sich  auf  eine  mthidltche 
Mittbeilung  von  Pander  bezieht,  dafs  die  Spinalgan- 
glien gleich '  anfangs  mit  dem  Auftreten  der  qüadrat^ 
sehen  Wirbelrudimente  vorhanden  sind,  was  eine  in* 
ductionelle  Bestätigung  darin  findet,  dafs  in  den  spä- 
tem Entwicklungfestädieti  diese  relativ  desto  gröfser 
sind,  je  jünger  der  Embryo  .ist^ 

Ziemlich  dunkel,  jedoch  auch  eigenthfimlidier  Art 
ist  die  Ansieht  des  Autors  über  die  reproductive  Flui^ 
dität  des  Nervensystems.  Der  Geist  schafit  annnttel* 
bar  Nervensubstanz  aus  der  Btutfltissigkeit.  Während 
des  Embryolebens  ist  diese  Production  progressiv  und 
accumulirend  h\k  zur  Vollendung  des  Systems.  Nach 
der  Geburt  ist  jedes  Nachlassen  der  geistigen  Tfaftt^« 
keit  eine  WiederverOässigung  der  Nervensubstanz,'  jedi 
abermalige  Tbätigkeit  ein  n^uer  Scfaöpfungsact  der  Ner- 
venmaterie,  so  dafs  diese'  nur  existirt,  insofern  der 
Geist  thätig  ist  und  dieser  als6  sich  sein  Organ  j:ed«i 
Augenblick  neu  schafft  Von  dieis^  Art  der  Ftoduo- 
tion  soll  sich  nun  die  Reproduction  des  fibrigen  bete* 
Togenen  Organismus  dadurch  udtericheiden,  dafs  nie 
erst  durch  den  allgemeinen  Impuls  des  Lebena  tuid 
dnrch  die  schon  vorhandene  Nervenfaser  Termittelt  nnd 
ttieht  unmittelbare  Product?on  del*  gefsligen  Thätii^keil 


«1 


Oürgen^Jkni  Bäd0ig^9seh§chi!^  des\Iiüeidnm4rihsy4t€m$. 


63 


ist.  ;2til0t2t  Venrahrt  d^'  Autor  tseim»  Lehre  gegen 
dfo  Ter^ecl^slung  mit  4er  tod  Naumami  (l^enbefg) 
imgeiiomnieiiett  PMMil&t  der  NervenuiaBSe  und  rettet 
irioh  endlich  in  die  Wolke  des  Geheimnissest  in  irel- 
diee  alle  Operationen  den  Geistes  eingehüllt  «ind. 

'  Fir  den  Selbsterhaltungstrieb  werden  t^esttmmte 
'Organe  hn  Rflckenmaric  postulirt^  etwa  in  den  Seiten- 
oder in  den  grauen  Strängen,  nur  nidit  in  den  vordern 
oder  hintern  Mittelleisten,  denen  an  einer  andern  Stelle 
(vröf)  andere  Functionen'  angewiesen  werden  sollen. 
Wunderbar!  als  wenn  der  Selbsterhaltungstrieb  nicht 
dem  ganzen  Organismus  angehören  mufste !  Wenn  der 
Selbsterhaltungstrieb  auf  bewnfste  Weise  im^  aaimali- 
achen  Leben  wirksam  ist,  so  wird  er  es  aufser  den  ihm 
entsprechenden  Empfindungen  und  Vorstellungen  auch 
durch  die  freithätigen  Bewegungen,  zu  deren  vermitteln* 
den  Organen  allerdings^  auch  die  Rückenmarksstränge 
gehören,  ohne  dafs  es  ndthig  wäre  in  ihnen  besondere 
Organe  des  Erhaltungstriebes  zu  suchen. 

Den  Hauptinhalt  des  Buches  macht  die  Geschichte 
der  Lebensalter  nach  allen  ihren  Momenten  aus,  wel- 
.cfae,  obgleich  nioht  so  ausf&hrltch  wie  in  Burdach's  Phy- 
siologie deimodi  auch  selbständig  und  nach  eigener 
Lectüre  zusammengestellt  ist.  Uebj^rall  findet  man 
originelle  und  geistreiche  Bemerkungen,  dodi  auch  mit- 
unter gewagte ,  Behauptungen,  die  yor  einer  strengem 
Kritik  nicht .  bestehen  würden.  Dennoch  geben  wir 
gerne,  da  es  nicht  Allen  gegeben  ist,  in, strenger  pbilo^ 
sophischer  Rüstung  aufzutreten,  jedem  die  Freiheit  aus 
den  dicht  bewacJiBenen  Landschaftsgrfinden  empirischer 
ForschuDg,  gegen  das  Himmelsgewölbe*  und  in  die  blaue 
Feme  nach  Gefallen  so  yiele  freie  Blicke  auszusenden, 
als  es  nur  immer  der  Zog  des  Geistes  forder^^  wenn 
hur  dem  Leser  auch  biemit  etwas  Erfreuliches  geboten 
wird.  Zu  solchen  erfreulichen  Fernblicken  gehört  auch  . 
die  Lehre  des  Autors  von  der  Bestimmung  des  letzten 
Greisenaiters  und  von  der  Bedeutung  des  Todes.    Das 


Selbsterkennens  eintritt  Im  Greisenalter  lernt  der 
G^t  alle  r^lle  01]|)ektivität  entb^en»  weil  er  sie  zu 
seinem  eigenen  Wesen  umgeschaSen  hat;^  und  sie  i<}eal 
in  sich  trägt.  Wenn  im  Mannesalter  das  Irdische  noch 
den  Geist  fesselt,  so  wird  erst  im  Greisenalter  jene 
^wahre  Selbständigkeit  erreicht,  wo  der  Geist  in  höch- 
ster Unabhängigkeit,  Von  allem  Unwesentlichen  befreit 
nur  allein,  dem  geistigen  Lebenszwecke  sich  ergibt. 
Ebenso  ist  dieses  Alter,  ein  Foftschritt  aus  der  Manf- 
nigfaltigkeit  des  Lebens, in. die' rein  geistige  EiiUieit,' 
aus  der  an  das  Objektive  sich  hingebenden  Bestimm- 
barkeit und  {Jnentschiedenheit  in  die  höchste  Eigenthiim- 
liohkeit  und  geistige'  Individualität.  .Wenn  somit  das 
Embryoleben  und  die  erste  Jugend  die  Verkörperungs*'' 
Periode  de^  €leistes  ausmacht,  im  Jünglings-  und  Man- 
nesalter die  Vergeistigungsperiode  eintritt,  so  ist  .im 
Greisenalt^r  die  Entkörperungsperiode  gegeben,  woraus 
danp  die  Nothwendigkeit  dea  Todes  und  eines  höheren 
geistigelren  Lebens  hervorgeht. 

Während  der  Lectüre  des  Buches  drang  sich  uns 
oft  der  Wunsch  auf,  dafs  der  Autor  die  Entwicklungs- 
geschichte niehr  praktisch  getrieben  hätte,  indem  er  - 
bei  Zusammenstellung  von  verschiedenen  Seiten  gege- 
benen »npirischen  Materials  gewifs  mit  mehr  Rjritik 
verfahren  wäre,  auch  manche  Behauptung  wohl  kaum 
gewagt  haben  würde,  wenn  Imagination  und  Verstand 
durdi  unmittelbare  Naturanschauung  gezügelt  worden 
wären.  Es  scheint  gegenwärtig  im  Geiste  der  Zeit  zu 
liegen,  dafs  die  Speculation,  die  sich  früher  beinahe 
überwacht  hatte,  eine  Sie8te,hält,  indefs  der  Empiris- 
mus rüstig  beschäftigt  ist,  um  ihr,  vielleicht  bald,  wie- 
der neue,  sicherere  und  bequemere  Stege  zu. noch  küb*' 
netai  Fahrten  anzubahnen. 

;.    -  'Purkinje.' 


IV. 


normale  Oreisenalter  ist  nach  jhm  nicht  em  Zurück-     IJ  'Johann  Berchmann^s  8tral9undi9ehe  Chro- 


fallen  und  VeiHinken  des  Lebens,  sondern  vielmehr  ein 
Fortschritt  zur  Vollkommenheit.  Wenn  im  Fdtnsleben 
dcAr. Geist  gana  in*  die  Objektivität  versenkt  war,  regt 
sich^  im  Neügebomen  der  Funke  des  Selbstbewufstseins, 
gelangt  im  itiadesalter  zum  Begriff  des  Ichs.  Im  Jüng- 
lingsalter schwankt  noch  der  Geist  zwischen  Objektivi- 
tät' und  Subjektivität,  bis  diese  im  Mannesalter  ins 
Gleichgewicht  kommen .  und  nnn  die  wahre  Zeit  des 


nik  und  die  noch  eorhtmdenen  Auszüge  aus 
alten  verloren  gegangenen  Siralsundischen 
Chroniken  u.  s.  w.y  aus  den  Handschriften  her- 
ausgegeben  ton  Dr.  O.^Ch.  F.  Mohnike  und 
Dr.  R  H.  Zober.  Stralsund j  1833.  In  der 
Löfflerschen  Buchhandlung.  LXXVL  u.  400  & 
in  8.    Mit  zwoi  Stemdrucken. 


«3 


•  •  • 


2)  Die  Acht  m4  Vierxig;  oder:  Du  Emführwig 
der  Kirchenverbeeeerung  in  Strakundy  eine 
Erzählung  u.  s.  w.y  ton  Dr.  C.  F.  Pahriciuz. 
Stralsund j  1837.  In  der  Struchschen  Verlags- 
handiung.    XVI.  u.  38S  S.    in  8. 

3J  Franz  WesseVs  Schilderung  des  hathoU" 
sehen  Oottesdienstes  in  Stralsund  kurz  vor 
der  Kirchenverbesserungy  herausgegeben  9an 
Dr.  E.  H.  Zober.  Stralsund^  V^l .  In  der 
C.  Löjffterschen  Buchh.  28  8,  in  4.  'Mit  ei- 
nem Steindruck. 

4)  Peter  Suleke^  ein  Religionsschwärmer  des 
16.  Jahrhunderts y  Beitrag  zur  Kirchen--  und 
Stadtgeschichte  Stralsunds,  aus  handschriftli^ 

.  ehen  Qßiellen  ffom  Arehidiaconus  C.  H.Tamms 
zu  Stralsund.  Stralsund,  1837.  Im  Verlage 
der  Löjffterschen  Buchhandlung.  VIII.  und 
55  S.    in  4. 

5)  Johannes  Fr  ederus.  Eine  kirchenhistorische 
Monographie  (von  Dr.  O.  Mohnike),  Heft  L 

.u^II.  Stralsund,  1831.  C.  Löfflersche  Buch- 
handlung. .  60  «f .  e4  5.  in  A.  Mit  zwei  Stein- 
drucken. 

6)  Geschichte  der  Eütfuhrung  der  evangelischen 
Lehre  im  Herzogthum  Pommern  (vom  Archi- 
var v.Medem  zu  Stettin).  Ore^swald,  1837. 
bei  F.  ir.  Kumke.    XVI.  u.  304  S.    m  8. 

7}  Geschichte  des  Magistrates  der  Stadt  Stral- 
sunds vom  Syndicus  Dr.  A.  Brandenburgs 
Stralsund,  1837*  Verlag  der  C.  Löfflerschen 
Buchhandlung.  100  S.  in  4.  Mit  einem,  Stein- 
druck. 

Die  lutfaeriflcbe  Kirchen  «-Reformation  ist  bisher 
gröfstentheila  nur  in  ihren  politischen  und  allgci^eijpen 
kirchenhistorischen  Folgen  aüfgefafst  worden.  Bald 
waren  ^  es  die  politischen  Verhältnisse  bei  der  Durch* 


4er  Refoifnatioi^  velcbe  die  <^eschi( 
her  f4ir9ng*wei«e  in  .Anspruck  Bahmen,  bald  die 
^sverhältniose  und  die  Wirksankieit  der  Reforn» 
re»!  bald  die  Reügionastreitigkeiten  Im  Gefolge 
neuen  Kirehenlehre:  im  AUgemeioen  aber^war  es  ii 
iner  die  Seite  des  Kampfes  und  der  Oppositiooy; 
che  in  der  Behandlung  des  weltgesobicbtlichen  Cari 
nisses  ^ur  Betrachtung  kam«  Dadoroh  ist  aber 
immer  nicht  eine  völlig  befriedigende^  klare  Auffi 
de«  Wesens  der  Reformatioi^  in  ihrer  £ntwickeli 
möglich  geworden-  Soll  die  KircheQFerhlBssemng 
als  ein  durch  einen  einzelnen  Mann  allein  gescbaffeni 
Ereignifs,  soiidera  als  ein  in  dem  bessern  Theile  Ä 
Geistlichkeit,  dei"  Fürsten  nnd  des  Volkes  tief 
gründetes  Weltereignifs  aüfgefafst  werden»  so  int 
tief  gehende  Scbilderuog  der  Zustände  der  Kirt 
und  des  Volkes-  in  den  einzelnen  Ländern,  so  wie  d( 
Kämpfe  «und  der  Verirrnngen  in  der  Verbreitung  deij 
JProtestantrsnius  eben  so  sehr  weseutliches  Erforde» 
nifs  zur  Erkenntnifs  desselben,  als  eine  Darstelloog 
der  Hauptbegebeuheiten,  welche  den  Protestantismm 
hervorriefen  und  siegreich  machten«  ßs  soll  dies  kei- 
neswegs ein  Vorwurf  gegen  die  Geschichtsckreiber 
sein,  da  durch  deren  Betrebungen  bisher  genug  des  Vo^ 
trefflichen  geleistet  ist$  eher  könnten  diese  Ansiobtes 
denen  zum  Vorwurfe  gejreichen,  die  in  den  einzelnes 
Ländern  Deutschland's  an  den  Uuellen  wachen  und  bis- 
her so  wenig  Ton  den  verborgenen  Schätzen  der  A^ 
chive  ans  Licht  gefordet  haben.  Man  furchte  sick 
auch, nicht  für  die  Folgezeit  vor  Ueberfulle  des  Stof* 
fes:  je  vollständiger  die  Akten  sind,  desto  klarer,  übe^ 
zeugender  und  kürzer  wird  der  Hauptbericht,  4ipd  as 
die  Stelle  weit  ausgeführter  Hypothesen  tritt  dann  ein 
kurzeS}  bündiges,  geistreiches  Kesultat.  Der  Geschiebt- 
Schreiber  hat  dann  freilich  mehr  zn  lesen,  aber  weni- 
ger zu  suchen,  und  dabei  mehr  Freude  und  Gi^wian  ai 
der  Arbeit  Wir  meinen  nun,  es  thue  vor,  allen  Diu» 
gen  Notb,  dafs  viele  Beiträge  zur  Geschichte  der  Jtiüf 
fdbrung,  .Verbreitung  und  Befestigung  der  protestaatir 
sehen  Lehre  in  den  emzeloen  Ländern  Deutschlanda  wo*. 
sentlich  die  Auf  helhing  der  Reforiuation  möglich  mai^hea» 


(Der  Beschluft   folgt)* 


-»-•  1  ^ 


*  .k 


wissen 


Jl"  9. 

J  a  h  r  b  fi  c  h  e 

für. 

8  c  h  a  f  1 1  i  c  h 


Juli  1839. 


e    K  r  i  t  i  1l 


IJ  Jokatm  Bercimmnn^s  Strabundücke  CAro^ 
mife  wtd  die  ttocA  vorhandenen  Auszüge  aus 
alten  verloren  gegangenen  Stralsundüchen 
CKranikßH  u.  s.  it.,  aus  den  Handschriften  her^ 
ausgegeben  roh  Dr.  O.  Ch*  F.  Mohniie  und 
Dr.  E.  Bi  Zober. 


^)  Die  Acht  und  Vierzig;  oder,:  Die  Einführung 
der  l^irchenverbesserung  in  Stralsund^  eine 
Erzählung  ti.  s.  tr.,  von  Dr.  C*  F.  Fabricius. 

S)  Franz  JVesieVs  Schilderung  des  iathoK" 
scheH  Cfottesdienstes  in  Stralsund  kurz  vor 
der  Kirchenverbesserungj  herausgegeben  von 
Dr.  E.  nUiZober. 

ij  Peter  StflekCy  ein  I^eligionsschwärmer  des 
16.  Jahrhtmdetis,  Beitrag  zur  Kirchen-  und 
Stadtgeßchichtc  Stralsunds,  aus  handschriftli- 
chen Quellen  vom  Archidiaconus  C.  H.  Tarn  ms 
zu  Stralsund. 

5J .  Johannes  Fr ederus.  Eine  hirchenhistorische 
Monographie  (von  Dr.  O.  H.  Mohnike). 

ß)  Geschichte  der  Einführung  der  evangelischen^ 
.Lehre  im  Herzogthum  Pommern  (vom  Archi- 
var V.  Medem  zu  Stettin). 

1)  Geschichte  des  Magistrates  der  Stadt  Stral- 
sund vom  Syndicus  Dr.  A.  Brandenburg. 

^  (Schlaft.) 
DanD,  wenn  wk  klar  seheD,  trie  überall  in  den 
Ländera  itad  Stftdten,  ja  aelbst  in  den  Dörfern,  der 
<iettesdion8t^QniGi>teendieBst  herabgesunken,  die  Kle- 
risei auf  eine  empörende  Weise  entadet,  die  Kirdie, 
entweiht  und  yerarnt  war,  das  Volk  dagegen,  besser 
als  die  Klerisei  und  im  Bewufstsein  eines  böherea 
.Wertbes,  in  erwacbender  Kraft  und  in  bktereiii  Spott 
siqb  seibatkräftig  und  furchtlos^  weil  es  nichts  zu.  furch«- 
ten  hatte,  erhob  und  ohne  Bangen  der  nenen  Lehre 
>  selbst  den  Eingang  Terschaffte»  die  Fürsten  sich,  vcil 

Jahrb.  /.  tPftffeificA.  Kri^k.  J.  1839.  II.  Bd. 


das  4^^^  ^^^^^  ^^^^  bestehen  konnte,  freiwillig  nnd 
gerne*  dem  Volke  anschlössen,  die  Gelehrten  und  Künst- 
ler, Y<^m  frischen  Morgenroth  des  lichten  Tages  d^r  al-; 
ten  Litteratur  und  Kunst  gestärkt,  die  Dolmetscher 
der  allgemein  herrschenden  bessern  Gesinnung  waren: 
dann  wird  die  Geschichte  der  Reformation  ein  leben- 
Tolles  Gemftlde  werden,  das  jeder  gerne  anschaut, 
ohne  sich  bei  der  Anschauung  über  falsche  Farbeng^ 
bung  und  Uebertreibung  ki  der  Finselfiihrung  argem 
zu  dürfen.  Können  aber  irgend  Länder  aolche  Bei- 
träge zur  Reformationsgeschichte  liefern,  so  eind  es 
vorzüglich  die  norddeutschen  Länder,  eben  weil  die 
Reformation  recht  eigentlich  eine  norddeutsche  BegCr 
benheit  war,  und  in  dem  klaren,  festen  und  ruhigen 
Sinne  der  Norddeutschen  ihre  fesrteste  Stütze  fand. 
Leider  ist  bisher  wenig  für  die  Geschichte  der  Refor- 
mation in  Norddeutschland  gethau;  am  bekanntesten, 
aber  docb  nicht  viel  gekannt,  war  die  Geschichte  des 
ersten  lutherischen  Prädikanten  in  Meklenburg,  des 
Capellans  Joachim  Slüter  zu  Rostock,  und  auch  die- 
ser mehr  durch  sein  in  allen  drei  Jahrhunderten  viel- 
fach besprochenes  tragisches  Ende  als  durch  die  Art 
seiner  Wirksamkeit.  In  den  neuesten  Zeiten  hat  sich  nun 
Pommern,  vorzüglich  aber  Stralsund^  durchweine  Reibe 
wertbvoUer  Beiträge  um  die  Geschichte  der  Reformar 
tion  in  Norddeutschland  verdient  gemacht,  und  vor- 
züglich sind  es  der  gefeierte  Hr.  Consistorialrath  Dr/ 
Molmike  und  der  Hr.  Gymnasiallehrer  und  Stadtbiblio- 
thekar Dr.  Zobery  welche  mit  gründlicher  Gelehrsam- 
keit und  nncrmüdlichem  Streben  auch  -diese  Seite  der» 
norddeutschen  Geschichte  einer  ernsthaften  Betrach- 
tuog  würdigen.  Allerdings  hat  aber  auch  Stralsund 
für  die  Geschichte  der  Reformation  ein  besonderes  In- 
teresse, da  in  dieser  Stadt  die  neue  Lehre  alle  Peri/>« 
den  der  Ent Wickelung,  wie  an  keinem  anderen  Orte 
Pomnierns,..durchlebte.  StralMind^  Rostock  und  Lü: 
beck  sind  diejenigen  Städte  der  deutschen  Ostseeiän- 


67 


Einfuhrung  der  l^/brmaiion  in  P0m$nern. 


m 


der,  in  deren  Geschiobte  die  Einfthrmg  der  Reforoi«- 
tiön  am  flberze4gend8ten  stodirt  Verden  kann. 

Es  ist  der  Zweclc  dieser  Zeilen, , nach  den  oben 
angedentettn  Gesichtspunkten  fplgende  pommersebe. 
Beiträge  snr  Reforniattoasgeschiebte  hier  kurz  ancu« 
zeigen,  um  sie  zum  Genufs  und  zur  weitern  Verarbei- 
iung  um  so  dringender  zu  empfehlen,  als  in  allen  nord- 
deutschen Archiven  die  Akten  über  die  Einfuhrung 
und  Verbreitung  der  Reformation  in  der  Regel  höchst 
dürftig  sind;  um  so  schwieriger  nun  dergleichen  kir- 
chcngeschichtliche  Monographien  sind,  um  so  mehrAiw 
erkennung  verdienen  sie,  als  sie  in  spätem  Zeiten 
schwerlich  durch  etwas  Besseres  und  Vollständigeres 
zu  ersetzen  sein  dürften. 

Den  Reigen  erölFnet  billig  JVb.  4. :  die  SchiMerung 
des  katholischen  Gottesdienstes  in  Stralsund.  Der 
Verfasser  ist  der  th&tige  und  um  die  Beförderung  der 
'  Reformation  hochverdiente  Burgemeister  Franx  H^et* 
sely  der  schon  zur  katholischen  Zeit  Kirchenvorsteher 
zu  St.  Marien  war  (vgl.  Fabricius  die  Acht  und  Vier- 
tig S.,380),  1524  in  den  Rath  kam,  1541  Burgemeister 
ward  und  1570  starb.  Diese  seltne  Reliquie  schildert 
mit  grofser  Ergötzlichkeit  und  Klarheit  aus  eigner  An- 
schauung den  katholischen  Gottesdienst  in  der  letzten 

>  Zeit  desselben;  nichts  kann  ein  besseres  Bild  von 
dessen  grenzenloser  Nichtigkeit  geben  als  diese  Schil- 
derung« Die  Schrift  war  zwar  schon  einige  Male  ge- 
druckt, aber  es  waren  diese  Abdrücke  theils  schon 
schwer  zugänglich,  theils  fehlerhaft.  Daher  hat  sich 
der  Hr.  Dr.  Zober  dadurch  ein  Verdienst  erworben, 
dafs  er  diese  Schilderung  nach  den  Anforderungen  des 
neuem  Zustandes  der  Kritik  und  der  Sprachstudien 
aus  den  beiden  Handschriften  besonders  herausgege- 
ben und  durch  kritische  und  sprachliche  Bemerkungen 
erläutert  hat.  Zober  führt  als  Gegenstück  zu  dieser 
merkwürdigeü  Schrift  noch  des  rostocker  Nicol.  Gryse 
„Spegel  des  Antichristischen  Pawestdoms  vnd  lutheri- 
„sehen  Christendoms'*  an.  In  der  neuesten  Zeit  ist 
jedoch  noch  eine,^  und  zwar  papistische  Schilderung 
der  katholischen  Zustände  zur  Zeit  der  Reformation 
durch  Entdeckung  einer  niederdeutschen  Abfassung  der 

^  rUniixer  Chronik  des  Franziskaner-Lesemeisters  Lam- 
brecht  Slagghert  durch  den  Hrn.  Dr.  C.  F.  Faöri- 
eiu4  ans  Licht  gebracht  und  in  den  Jahrb.  des  Ver- 
eins (är  roeklenburgiscbe  Geschichte  u.  s.  w.  UI,  S. 
96  flgd.  gedruckt« 


r 

Eine  der  wiciligsten  Quellen  für  die  Reformati«» 
geschichte  Norddeutschlands  ist 

Nr.  L  J.  Berckmanns  siralsumUeehs  (!hronik.  J» 
haan  Berckihtnn  war  Augnstinermönch'  und  lebte  eohcs 
vor  der  Refermatien  zu  Stralsund.  Er  war  einer  >dtt 
ersten,  welche  (des  Augustiners)  Luthers  Ansichtcs 
beitraten,  und  tritt  schon  bald  nach  1520  zu  Ne«*Bra» 
denburg  als  Verkfinder  der  neuen  Lehre  aof«  Abi 
Ende  des  J.  1524  ging  er,  wahrscheinlich  wegen  de 
beksunteo  Hinneigung  des  Httsogs  Albreoht  zem  K^ 
tholicisnnis,  nach  Stralsend  suriiek  und  lehte  hier  bii 
au  seinem  Tode  im  J.  1560,  nachdem  er  daselbet  Mi 
-zum  J.  1555  eU  Prediger  gewirkt  und  ae  der  Dnreb 
filhrung  der  Reformation  mit  Eifer  gewirkt  hatte.  Wah» 
scheinlich  ward  er  wegen  zunehmender  Sehwicbe  ve^ 
absohiedet  \  die  MuCse,  welche  ihm  ward,  benetcte  e 
aur  Abfassung  dieser  Ghfenlk.  ümfaDit  die  C^hrenk 
nach  die  ganze  Zeit  von  der  Grflndung  Stralsnnda  bii 
in  die  letzten  Zeiten  Berokmanns,  so  sind  doch  dii 
Auizeichnongen  ttber  die  altem  Zeiten  ohne  besondse 
Wichtigkeit,  und  in  den  An&eichnungen  fiher  ilie  £^ 
lebnisse  Berckmanns  treten  die  kirchlichen  BreigiMM 
besonders  stark  hervor,  theils  weil  sie  fast  alle  dan» 
ligen  Umstände  bedingten^  theils  weil  der  Chroaikaii 
ein  Geistlicher  war.  Die  lange  verloren  geglanMi 
Handschrift  ward  von  Mohnike  wieder  entdeckt  nii 
für  den  Druck  abgeschrieben  und  mit  einer  Eioleitasg 
versehen,  von  Zober  bearbeitet  und  erläutert  und  vss 
beiden  hochverdienten  Männern  herausgegeben.  Teil} 
Einleitung,  üebersicht  und  Glossar  sind  vortreflSic^ 
und  verdienen  eben  so  sehr  gerechten  BeiAin,  ala  dii 
nachahmungswürdige  Art  und  Weise  der  ganzen  Bs> 
handlung.  —  Angehängt  sind  Auszüge  aus  andern  il> 
tern  stralsundischen  Chroniken^  katholische  Spottliedci 
auf  die  Reformation,  ^es  sundischen  Reformators  Chii" 
stian  Ketelhodt  und  seiner  Amtsgenossen  Rechtfcrt- 
gungsschrifl;  vom  J.  1525,  die  altem  sundisoheii  Sehnt 
und  Kirchenordnungen  n.  s.  w«  — -  Mangel  an  Keen^ 
nifs  der  norddeutschen  Gesohiohte  ist  ohne  Zweifel  die 
Ursache,  dafs  das  gediegene  und  wichtige  Wei4  JebEt 
im  Preise  zu  f  Thaler  herabgesetst  ist,  nm  —  dii 
Druckkosten  zu  decken! 

Eine  Frucht  der  Bemühungen  Mefanikea  vnd  Ze- 
bers,  so  ^le  der  Bemühungen  um  Kantaowa  Chrenk 
und  eigner  gleich  gründlicher  Studien  ist 

Nr.  2.  die  Eraflihrung  der  Kirchenverhesseravg  h 


m^ 


SüffiU$i$ng  der  B^^MnmtUnin  F^mmem. 


TO 


fSiraliMrf  od'ar  die  Aekt  tmd  Vürmigj  -^  em  sebr 
leigeiitktiinlidies  Werk  de«  tllcbtigeB  GeBofaiehtsfer- 
«eben  C.  P.  §>Arwiu^  —  Die  EMfiikmtig  der  Refev- 
«laAion  ntthin  ui  ätvaimwd  den  Charakter  einer  deme- 
^ratiMhev  Valkebeweguag  gegen  den  Ratli  der  Stadt 
•fkH,  und  findet  ein  Gegenstuck  wohl  nar  in  Lübeck 
«lOid  etwas 'Aehnliciiefl  in  Rostock.  Erkenntnifs  nan- 
löber  Mttngel  in  der  Stadtrerwaltung  traf  mit  der  Ev- 
4eimtnifa  der  Gehreeben  in  der  Kirche  zusammen;  das 
4Uifgewiegelte  Volk  erlangte  die  Eineetzang  eines  Büv- 
-geranssehasees  too  meki  umd  vürxig  Personen  znr 
SeaufiiiohtigBng  des  Raths,  und  unter  dem  Vortritt 
dieser  neaea^  wahren  Stadtbttnpfer  ward  in  tuumltuari- 
«ehen  Aaftritten  alles  durchgesetzt,  was  den  erhitzten 
^emfltbeni  notbwendig  erschien.  Rechnet  man  biezu 
(die  alfeea  Haase^erhältnisee  Stralsunds  und  das  Ent- 
gegenwirken einer  nicht  unbedeutenden  katholischeii 
XSeistliobkeit,  so  entsteht  allerdings  ein  Gemälde,  wel- 
4Bbes,  «elbst  fikr  die  allgemeine  Geschichte  der  Refoi^ 
aMtian  und  der  damaligen  Zeit,  ein  yielfadbes  Inter- 
esse hat.  Diesen  reichen  StolF  hat  nun  Fabricins  zur 
Cntwerfnng  eines  solchen  Gemäldes  benützt,  densel- 
ben mit  grofser  Sorgfalt  und  kritischem  Scharfblick 
zusammengebracht  und  eine  yollständige  Schilderung 
4ler  stArmischen  Begebenheiten  nnd  der  handelnden 
Personen  versuebt,  welche  ganz  die  Fora  der  Novelle 
hat,  aber  reine,  wahre  Geschichte  ist.  Der  Verf.  wich 
JD  der  /Vm»  von  der  streng  ^ssenscbaftlidien  Me- 
thode der  Gesohiobtsforschung  ab,  nnd  gab  in  einer 
wnaammenbängenden,  interessanten  Erzählung  die  Be- 
ff^benbeiten,  wie  sie  Tön  ihm  sicher  erforscht  waren  $ 
^er  blieb  dobei  den  Quellen  völlig,  häufig  bis  auf  das 
Wort  getreu  nnd  liefs  über  die  inneren  Regungen  der 
Personen  nur  diese  selbst  reden,  statt  dafs  er  über 
4ie  ein  Urtheii  fällte;  es  schwebte  ihm  „hiebei  die  an- 
^tike  Geschichtschreibnng  als  >  uaerreichbares  Muster 
^entfcnt  vor/'  M|in  kann  ihm  Tür  die  sichere  Erfor- 
aohung  den  Stoffes  das  Zeognifs  nicht  versagen,  dab 
er  „bei  den  Verarbeiten  alles  beobachtet  habe,  was 
„nur  von  dem  sorgfikltigsten  Geschichtsforscher  ge- 
9)fordert  werdea  kaaa.''  —  Wir  bemerken  hiebei  nur, 
dals  über  die  wiehtigen  sniidischen  Begebenheiten  dcis 
J.  152SI  einige  interessante*  Briefe  von  deä  einflufsrei- 
ehea  katholischen  Kkcheabeamten  Dr.  Zutphekhu 
Wardenierg  und  Mipp^lit  Steimrer  in  der  Brief* 
Sammlung  des  III.  Jahrg.  der  Jahrb.^  des  Vereins  fär 


mekL  Gesdi.  n.  i.  w«.  mitgetheilt  sind.  -^  Angshfia||t 
sinU :  Historische  Untersaehung  über  das  Jafari  in  wei- 
chem Christian  Ketelhudt  saerst  in  Stralsund  gepredigt 
ha^  Auszug  aus  der,  voa  Fabricins  wieder  entdeckten 
niederdeutschen  Chromk  des  Klosters  Ribnitz  Von  Lajn- 
brecht  Slagghert  n.  s.  w. 

Ist  in  den  vorerwähnten  Werken  das  selbstkräf- 
tige Eindringen  der  Reformation  in  Pommern  geschil- 
dert, so  ist  in  ^ 

Nr«  %.  die  Geacbichte  der  Emiuhrung  der  evange- 
lischen Ldn«  in  Ponmiem  durch  den  Staat  van  deat 
Brn.  Archivar  t.  Meäem  einer  urkundlichen  Forschung 
unterworfen.  Der  Verf.  erzählt,  vorzüglich  nach  Kaat- 
zow's  pommerscher  Chronik,  Jedoch  auch  mit  Benttt- 
aenng  aaderer  bekannter,  so  wie  früher  nicht  gedruck- 
ter Quellen  nnd  mit  Hinblick  auf  die  allgemeinea  deut- 
schen Verhältnisse,  aof  72  Seiten  die  Geschichte  dar 
Reformation  in  Ponmiem  von  den  ersten  Anlangen  bis 
zum  völligen  Siege  der  neuen  Lehre,  bis  zum  J.  1569. 
Von  der  gröbten  Wichtigkeit  sind  jedoch  die»  dem  pom- 
mersohen  Provinzial-Archive  entnommenen  65  urkundti- 
aben  Beilagen,  welche  230  S.  füllen.  Diese  enthalten, 
aurser  mehrern  interessanten  altera  Urkunden  über  das 
Aufkeimen  des  protestantischen  Geistes  in  Pommern, 
namentlich  in  dem  Kloster  Beibug,  jener  Wiege  dar 
Refarniation  in  Pnmmeru,  wohl  ziemlich  vollständig 
alle  öfFentlichen  Verhandlungen  fiber  die  Emfiihrui^ 
der  Reformation,  nameotUcfa  die  Landtagsverhand- 
langen,  die  fürstlichen  Erlasse,  die  Visitatieüs  -  Ab- 
schiede^ u.  s.  w.  Durch  diese  lobenswerthe,  fleifsige 
Sammlung  ist  einem  Hanptbedürfnisse  in  der  Refor- 
mationsgeschichte Pommerns  abgeholfen}  durch  sie 
werden  künftige  Special  -  Untersuchungen  festern  Halt 
und  bestimmtere  Richtung  gewinnen. 

Aber  mehr  noch,  als  alte  diese  Schriften  göoirt 
uns 

Nr.  5  das  Leben  Johann  Fredert  von  Mohnike 
einen  tiefen  Blick  in  das  wahre  Wesen  der  Reforma- 
tion, nicht  wie  eie  vom  Volke  oder  von  den  Fürsten 
und  Sländen  aufgenommen,  wie  sie  von  den  katholi- 
schen Geistlichen  bekämpft  ward,  sondern  wie  sie  die 
hochbegabten  Gelehrten  jener  Zeit  mit  Geist  und 
Würde  anffafstea  und  in  alle  Länder  trugen  nnd  hier 
durch  Wort  und  Schrift  in  kurzer  Zeit  die  neue  Kir- 
che gestalteten.  Johannes  Freder  ist  einer  yoti  dea 
Männern,  welche  vom  Knabepaher  an  die  ganze  Entp 


n 


1 

Einfltkrung  der  B^rmaii%n  in  P^mmerh. 


wickhmg  der  Refermatioii  bis  zit  ibrer  Consolidimog 
■   llurohlebteD  Bod  trugeo.    Alt  eis  eifriger  und  gelieb- 
;ter  Schüler  der  Reformatoren  wirkte  er  eegenireich 
in  Hamburg,  Strakond,  vo  er  die  Reihe  der  Boperin- 
'tendenten   eröffnet,  -uod    Wismar,    eben    lo-  sehr  fdr 
die  Verbreitung  der  Lehre,  als  im  Kampfe  der  in  der 
jungen  Kirche  bald  entstehenden  theologischen  Strei« 
tiglieiten.     3to/»iike  hat  seine  Aufgabe,   das  Leben 
eines  hochverdienten  Verbreiters  des  Protestantismns 
•SU  schreiben,  ▼ollkommen  gelost  und  zu   seinen  Tie- 
leo  und  grofsen  Verdiensten  um  die  Wissenschaft  ein 
neues,  nicht  geringes  iiinzugefiigt.    Die  Schrift,  gleich 
ansgeseichnet   durch   eine  weit  reichende,    gründliche 
Gelehrsamkeit  und  Kritik  und  durch  Benutzung  einer 
grofsen  Menge  gediuckter  .und  ungedruckter  Quellen, 
als  durch  eine  musterhafte  Darstellungsweise,   gestat- 
itet  aber   keinen  Auszug,  sondern  nur   die  dringende- 
Aufforderung  zur  Benutzung  derselben.  «^  Wir  fUgen 
•nur  noch  hinzu,  dafs  die  Annahme  von  Freders  Ver- 
giftung in  Wismar  zu  seiner  Zeit  in  Meklenburg  all- 
gemein  war   und   dafs    einzelne  aufgeftindene  Acten- 
stücke  allerdings  die  Einleitung  eines  CriminalJ^rozes- 
#08    gegen ,  den   verdächtigen    Apotheker  Nie    Egge- 
.breoht  zo    Wismar  *  beweisen.     Freders    Leichenstein 
4iogt  noch  im  Chor  der  Marienkirche  zu  Wismar,  ist 
-  jedoch  schon  einmal  wieder  für  eine  andere  Leiche 
Jlientttzt  worden. 

Leider  blieb  die  junge  protestantische  Kirche  nicht 
ganz  Ton  innern  Stürmen  verschont.  Von  der  einen 
£eite  waren  es  die  abweichenden  Meinungen  der  Theo- 
logen, welche  Zwiespalt  erregten,  von  der  andern 
'Seite  w:ar  es  Ueberspannung  und  Fanatismus  ^es  Vol- 
«kes,  welches,  unfähig  den  höhern  Bestrebungen  fol- 
gen zu  können,  die  Sache  falsch  verstand  und  nicbt 
'Selten  die  Fackel  des  Tumults  ergriff.  Von  den 
Wirkungen  jener  theologischen  Kämpfe  gibt  schon 
das  Leben  Freders  ein  lebendiges  Bild^  ein  Beispiel 
von  Volksfanatismus  erhalten  wir  in 

Nr.  4,  dem  Leben  Peter  Sulekä'By  eines  Religions- 
sohifärmers.  Schon  in  den  frühern  Zeiten  der  Re- 
fonnation  waren  .es  die  Wiedertäufer,  welche  den 
Frieden  der  neuen  Kirche  erschütterten.;  nach  ihrer 
Unterdrückung  im  westlichen  Deutschland  suchten  sie 
ihr  Haupt  im  Osten  wieder  zu  erheben,  und  hier  vor^ 
züglich  in  den  Hansestädten  der  Ostsee ,  namentlich 
in  Wismar,  wo   sie  yiel  zu  schaffen  machten.    Auch 


einzelne  verschrobene  Scbwlrteer^  im  gefthst 
die   Torgehliche    Freiheit   in    der   Verkündignag 
•▼angelischen  Lehre,  erregten  hier  ond  da  Vol 
wegungen,   wie   z.  B.   in  Ribnit«  ein  6chniied< 
(rergl.  Jahrbücher  des  Vereins  fiir  mekleabuiigisclie 
schichte  III,  S.  127  flgd.).      Beide  Bestrebungen 
wohl  der  Wiedertäufer,  als  der  dnseloen  Faantil 
und  beide   oft  in  einem   Individuum  vereint» 
noch   in   spätem    Zeiten   Nachahmer,     üntor    dit 
ist    eines   der    merkwürdigsten  Beispiel«   P.  Snh 
der  durch  die  stürmische  Verkfiodigung  ainei: 
täuferähnlicben  Lehre    sieben   Monate   hindnroh 
nahe  wieder  eine  Katastrophe    in    Stralsund 
führte,  wie  sie  die  Stadt  zu  den  Zeiten  der  Acht 
Vierziger  erlebt  hatte.    O^er  Hr.  Arcbidiakons 
bat  seine  Aufgabe  meisterhaft  geUtfet  und  omui 
seine,  aus  handschriftlichen  Quellen  geschöpfte  Ai 
nicht  ohne  grofse  Befriedigung  aus  der  Hand 
Die  Schrift  ist  lebendig  und  gründlich  verfalst  und 
scheint  fast,  als  habe  der  Herjr  Verf.   sich  die 
reichen  Weisen  von  Mohnike  und  Fabricius  siigl 
zum  Vorbilde  genommen,  was  keioesweges  zam  V< 
würfe  gereichen  kann. 

Behandelt 

Nr.  7:  die  Geschichte  des  Magütratt  der  Si 
Stralsund^  auch  nicht  besonders  die  Geschichte 
Reformation,  so  enthält  sie  doch  die  Grundlage 
ganzen  Geschichte  dieser  Stadt  und,  wird  einem  jci 
besondern  Gemälde  ^aus  dem  Gebiete  derselben 
mer  zum  Hintergrunde  dienen,  und  gewährt  auch 
die  Zeit  der  Geschichte  der  Reformation  manob^ 
überraschenden  Ueberblick.  Die  gediegene  Weise  der 
Hrn.  Syndikus  Bnmdenburg  nothigt  vollkoiiuiM^ie 
Hochachtung  aliu 

Es  steht  2u  hoffen,  dafs  nach  diesen  umfassen» 
dern  Werken  bald  die  übrigen  reformatoriscbeu  'Wl^ 
kungen  in  Pommern,  zu  denen  die  Biographien  der  e^ 
steu  Prediger  in  den  bedeutendem  Städten  und  der 
Verfolg  jeinzelner  *  merkwürdiger  JBegebenheiteo  ts 
rechneu  sein  dürften,  ihre  Bearbeiter  finden  «rerdno* 
Bei  der  bedeutenden  Anzahl  gediegener  Histiirike^ 
welche  Pommern,  in  dieser  Hinsicht  manche  auderi 
deutsche  Provinz  überflügelnd,  besitzt,  ist  diese  Hoff« 
nung  nicht  ungegründet,  wie  eine  lebhafte  Onteratöti 
zung  derselben  mit  Sicherheit  erwartet  werden  darf. 

a  C.  F.  Lisch. 


J  a  h  r  b  fi  c  h  e  r 


f  ȟ  r 


wissenschaftliche    Kritik. 


Juli  1839. 


m 


itmm 


y. 

Vorlegungen  über  'die  Dogtnattk  der  evangeUtch- 
hftherischen  Kirche  j  nach  dem  Compendium 
des  Hrn.  Dr.  W.  M.  L  de  Wette,  von  Dr. 
Aug.  Detl.  Chr.  Twesten,  ordentlichem  Pro- 
fessor det  Theologie  an  der  Königl.  Friedrich- . 
Withehns  *  Unieersität  zu  BerKnj  Ritter  des 
Dannebrogordetis,  der  Königl.  dänischen^  Oe- 
Seilschaft  der  Wissenschaften  zu  Kopenhagen 
und  a^derer  gelehrten  Gesellschifften  Mitgliede. 
Zweiten  Bandes  erste  Abtheilung,  welche  die 
Theologie»  und  die  Angehlogie  enthält.    Ham- 
burg, 1837.  bei  F.  Perthes.  XXXIL  u.  38BS. 

Elfi  Zeilraain  von  mehr  als  zebn  Jahren  ist  seit 
der  ^rsobeiDUDg  des  ersten,  mit  entschiedenem  Beifall 
«nfgeaammeoen  und  seitdem  wiedorhdt  herausgegebenen, 
Theils  dieser  Vorlesungen  Terflossen,  eine  Zeit,  in  wel- 
idiev  es  auf  dem  dogmatiadien  Gebiet  so  venig  als 
'auf  irgend  einem  andern  an*  einer  lebendiipstt,  rasch 
fortschreitenden  Bewegung  gefehlt  bat. .  Man  könnte 
denken^  ein  in  einer  solchen  Zeit  nach  einer  so  Inni- 
gen Pause  in  der  Entwicklung  seines  dogmatischen 
Systems  weiter  schreitende»  Werk  werde  dadurch  in 
ein  giewisses  Mifsveibältnifs  mit  sich  selbst  kommen 
mflssen,  alMn  sehr  natürlieh  geht  die  Bewegung  der 
Gegenwart  im.  Grunde  s^^uilos  an.  einem  Werke  vor^ 
filier,  das  ganz  besondere  in  dem  luer  Torliegenden 
,  Theile  eich  die  Aufgabe:  gestellt  hat^  das  dogmatische 
Bywtem  einer  Tergangenen  Zeit  als  das  fdr  Gegenwart 
und  Zukunft  aUeui  haltbare  nnd  gültige  wiederanfzu^ 
bauen. 

Um  den' Charakter  des  Werks  im  Allgemeinen  rieh« 
tig  anfsu&sscii,  mag  es  Tor  allem  gut  sem,  die  ver^ 
■chiedenett  Elemente,  die  sich  in  demselben  unterscheid 
den  lassen^  etwas  n&her  ins  Auge  zu  fassen.    Es  J>e« 

Uhrb.  /.  wiu€^$eh.  KrUik.  J.  1839.   II.  Bd. 


steht  aus  Yorlesuijgen  über  das  de  Wette'sche  Lehr- 
buch:  Dogmatik  der  evangelisch  •lutherischen  Kirche 
nach  den  symbolischen  Büchern  und  den  altern  Dog- 
matlkern.    Dafs  die  dogmatiechen  Ansichten  und  Deber- 
Zeugungen  des   Hm.  D.  Twesten  ganz  andere  sind, 
als  die  des  Hrn.  D.  de  Wette,  ist  schon  aus  dem  er- 
sten Bande  bekannt,  und  stellt  sich  aus  der  nun  zur 
Entwicklung  des  dogmatischen  Systems  selbst  überge- 
henden Fortsetzung  des  Werks   noch   klarer   heraus. 
Wir  wollen  die  dadurch  notfawendig  gewordetie  fortge- 
bende Polemik  nicht  tadeln,  sie  dient  Ja  rielmißhr  zur 
YtelseiHgern  Darstellung  des  gegenständes ,   aber  so 
frei  in  dieser  Hinsicht   das  Verhältnifs  sein   mag,   in 
welches  sich  die  Vorlesungen  zu  ihrem  Lehrbuch  set- 
zen, von  Einem  haben  sie  sich  gleichwohl  nicht  lossa- 
gen können,  von  der  durch  das  Lehrbnch  vorgezeich- 
neten  Anordnung.    Da  nun  aber  diese  Anordnung  bd 
de  Wette  durch  die  eigenthütlilichen  dogmatiscüen  An- 
sichten'bedingt  ist,  die  seinem  Lehrbuch  zu  Grunde 
liegen,  so^  hat  diefs  für  die  Vorlesungen  des  Hm.  Vfs. 
die   jetzt  erst  auffallend    hervortretende   nachtheilige 
Folge  gehabt,  dafs  nicht  nur  die  einzelnen  Lehren  des 
Systems  nicht  in  den  innern  Znsammenhang  gebracht 
sind,  welchen  die  wissenschaftliche  Darstellung  erfor- 
dert, sondern  dafs  auch  nicht  selten  die  den  einzelnen 
Lehren  gegebene  Stellung  mit  den  Grundsätzen  in  Wi- 
derstreit kommt,  nach  welchen  ihr  wesentlicher  Inhalt 
entwickelt  wird.    So  unterscheidet  de  Wette,  Friesi- 
schen Prindpien  zufolge,  von'der  Idee  Gottes  nach  sei- 
nem Verhältnifs  zur  Welt  die  Idee  Gottes  nach  sei- 
nem  Verhältnifs  zur  Natur,  um  unter  diesen  letktbm 
Gesiehtbputtkt  die  Lehre  vom  Geiste  Gottes  zu  stellen. 
Welche  Bedeutung  kann  aber   diese  Eintheilung  für 
den  Verf.  der  Vorlesungen  haben,  und  wie  soll  man 
sidi  den  Zusammenhang  denken,  wenn  'derselbe,  nach« 
dem  er  gezeigt  hat,  dafs  die  Betrachtung  des  Verhält« 
nisses,  worin  Gott  als  der  heilige  Geist  zur  Welt  steht, 

10 


75  .        .  Twesten^    Varhnmgem  Über 

aus  dem .  allgemeineD  Theil  der  chrietiichen  Gottealehre 
in  den  speciellen  zu  yerweisen  sei,  das  GemeiDsaine 
aber,  was  in  den'  Begriffen  der  g6ttlicben  Atigegenwart 
und  der  Mitwirliung  liege,  „dafs  wir  alles  auch  aufser 
dem .  Nexus  des  Ganzen  yon  Gett   abhängig  denken 
müssen,**  für  sieb  besonders  als  einen  Gesichtspunkt 
in  der  Darstellung  der  göttlichen  Eigenschaften  und 
Werke  geltend  zu  machen,   auch  nicht  rathsam  sei, 
gleichwohl  mit  den  Worten  fortfahrt  (S.  157) ;  was  nun 
speciell  den  Begriff  der  AUgegenwart  betrifft,   so  u.  s. 
w.,  um  nun  von  der  göttlichen  Allgegenwart  und  Mit- 
wirkung, ungeachtet  für  beide  schon  unter  den  Attri- 
buten und  Werken  Gottes^  wie  der  Hr.  Vf.  selbst  be- 
merkt (S.  154),  der  geeignete  Ort  gefunden  war,  so 
wie  von  demjenigen,  was  damit  zusammenhängt,  na- 
mentlich den  Wundern,  hier  unter  der  Aufschrift:  Geist 
Gott€$  zu  handeln!   lieber  die  Lehre  von  der  Drei<ri- 
nigkeit  bemerkt  der  I{r.  Yf.  selbst  (S.  182),   dafs  für 
sie  da,  wo  sie  von  ihjn  vorgetragen  wird,  in  dem  all- 
gemeinen Theile  der  Dogmatik  nicht  der  rechte  Ort 
sei,  sondern  nur  im  speciellen,  dafs   die  gewöhnliche 
Verbindung  mit  der  Lehre  von  Gottes  Wesen  und  Ei- 
genschaften überhaupt  nur  aus  der  Gewohnheit  abzu- 
leiten sei,  den  dogmatischen  Stoff  nach  der  scheinbar 
gleichen  Beziehung  auf  gewisse  Objecto   zu   ordnen, 
nicht  nach .  der  Rücksicht  auf  den  Innern  Zusammen- 
hang (vgl  S.  304).    Auch  diese  wichtige  Lehre  hat 
demnach  1[iicht  die  der  Idee  der  Wissenschaft  entspre- 
chende Stelle,  und  wenn  der  Hr.  Vf.  schon  in  der  Vor- 
rede S»  XVni  bedauert,  in  acünem  Bemühen  zu  zeigen, 
dafs  und  wie  die  biblischen  und  kirchlichen  Lehren  in 
>  dem  religiösen  Gefühle  wurzeln  und  aus  der  Reflexion 
über  dasselbe  hervorgehen  mufsten,  in  der  von  ihm  zu 
befolgenden  Anordnung  eines  Lehrbuchs,  welches  von 
andern    wissenscbafUichen  Ansichten   geleitet    werde, 
eine  Schwierigkeit  gefunden  zu  haben,    die  ganz  zu 
überwinden  in  manchen  Lehren  (z.  B.  der  Trinitäts- 
Jehre)  vielleicht  unmöglich  gewesen  sei,  so  ist  leicht 
zu  ermessen,  von  welchem  nachtheiligen  Einflufs  die- 
ses erste  Element  der  Construction  des  in  unsere  Vor- 
lesungen enthaltenen  Systems  die  Rücksicht  auf  das 
de   Wette'sche  Lehrbuch   fiir  den   wissenschaftlichen 
Charakter  des  vorliegenden  Werks  war.    Ebenso  ei- 
gen nimmt  es  sich  aus,  die  ganze  Eogellehre,   welche 
de  Wette  allerdings  unter  keiilen  andern  Gesichtspunkt 
stellen  'konnte,  auch  von  dem  Hrn.  Vf«  als  blofson  An- 


Dogmaiik.    Bd.  IL  AHh.  L  7( 

hang  aufgefiihrt  zu  sehen.  Es  soll  biemit  nidit  ve^ 
kannt  werden,  dafs  alles  diefs  seinen  üatifrlichen  Gmad 
(^n  dem  Verhältnifs  der  Vorlesungen  zu  ihrem  Lfeb^ 
buch  hat,  aber  ebenso  wenig  darf  ein  Beurtheiler  da 
wisseoschaltiichen  Weirths  derselben  den  in  dieser  Ilii- 
sieht  stattfindenden  Mängel  unbeachtet  lassen. 

Als  das  zweite,  wesentlich,  materielle  ElemeDt  H 

das  System  der  Kirche  anzusehen,  das  hier  als   en 

gegebenes  dargesteiit  werden  soll.    Denn  „diese  Gin- 

benslehre  wiU  sein,  was  sie  sich  nennt,  eine  Dogmatft 

der  evangelisch -lutherischen  Kirche,*'   nnd  zwar  wc8 

der  Hr.  Verf.,  wie  er  Vorr.  8*  XIV.  versichert,   auch 

wirklich  von  dem  Werthe  des  kirchlichen  Systems  is 

religifiser  und   wissenschaftlicher  Hinsicht  dnrchdraa- 

gen,  und  der  Meinung  ist,   dafs  «s  im  Wesentliches 

ein  seider  Idee  entsprechendes,  auf  biblischem  Gramb 

fest  und  folgerecht  auQ^efüfartes  Lehrgebäude  sei,  mri 

weil  er  wünscht,  tlurch  lebendige  Reproduktion  desset 

ben  aus  dem  ihm  zum  Grunde  liegenden  Bewufatseii 

zum  vollen  und  klaren  Verhältnifs  der  Nothwendig;keit 

und  der  Bedeutung  auch  seiner  einzelnen-  LehrbeatiÄ- 

mungen  zu  fuhren.    Das  System  der  Kirche  soll  al« 

iiicht    Mos   im  Allgemeinen,    auf  der  Grundlage   der 

Principien,  auf  welche   freilich  jede  Darstellung    der 

evangelischen  Glaubenslehre  zurückgehen'  mufa.   aoi- 

dem  auch  in  seinen  einzelnen  Lehrbestiminungeii  » 

construirt  werden.  Und  diese  Lehrbestimmungea  aelbs^ 

woher  werden    sie  genommen?    Wie   die  Ausfuhnaig 

zeigt,  nicht  einmal  Uos  aus  den  symbolischen  Bficben, 

sondern  ganz  besonders  aus  den  Lebrsystemen  der  h- 

theriscben  Dogroatiker  des  sechzehnten  und  siebseha* 

ten   Jahrhunderts,    wie  wenn    diese   Theologen,   eis 

Quenstedt,  Calov,  Hutter,  HoUa«,   Baier  u.  s.  w.,   se 

ehren werth  sie  sonst  sein  mögen,  nicht  blos  als  A 

Vertreter  des  kirchlichen  Systems  jhrer  Zeit,  soaden 

auch  als  die  ächten  Träger  der  Wissenschaft  filr  «i* 

sere  Zeit  anzusehen  wären^  und  jeder  neue  Bearbeüsr 

der  evangelischen  Glaubenslehre  keine  wichtigere  Auf' 

gäbe  hätte,  als  nur  diese,  sich  an  die  Autorität  jenar 

Dogmatiker  zu  halten,  nur  die  von  ihnen  an%esl^teB 

Bestimmungen,  nnd  Formeb  so  viel  möglich  an  veoht 

fertigen    und   unserm  Verständnifs    näher  zu  briogoa 

und  etwa  auch  in  Nebenpunkten  zu  berichtigen  I     la 

welche  enge  Grenzen  mufs  die  ^  freie  wissenacbafUiciia 

Bewegung  innerhalb  der  evangelischen  Kirche  hiaeia- 

gezwäogt  werden,  wenn  vor  allem  die  Voiauaeetzaag 


77  Tweiteny  ForUamgem  Hier 

gelten  seil,  daie  das  wahrei  den  Gnindsfttsen  der  e?an« 
gelischen  Ktrohe  angemesBeoe  Gtanbenssjreteoi  mir  in 
den  dogmatiseben  S jstemen  der  altern  lutherischen  Dog^ 
matiker  enthalten  seif   Und  ivodureh  hat  denn  der  Hr. 
'Verf.  diese  schon  in  der  Vorrede  ausgesprochene  ond 
dem  Werke  selbst  tu  Grunde  liegende  Voraussetzung 
bewiesen  1    Sie  beruht  selbst  nur  auf  der  Vorausset- 
snng  der.  Conseqaenz,  mit  welcher  swei  Dogmatiker 
ihr  Lehrgebäude  aufgeführt   haben   sollen.     Wollten 
vir  aber  auch  diese  Consequenz  zogeben,  so  fragt 
sieh  doch  erst,  ob  eine  in  solche  Systeme,  wie  die  der 
genannten  Dogmatiker  sind,  auslaufende .  Consequenz 
auf  die  Richtigkeit  der  Voraussetzungen,  von  welchen 
sie  ausgeht,  nicht  eher  widerlegend  als  bestätigend  za- 
rfickwirkt.    Wie  unevangelisch  es  aber  überhaupt  ist, 
die  Consequenz  hier  als  Criterium^  der  Wahrheit  get 
tead  zu  machen,  geben  ans  nnsere  symbolischen  Bu- 
cher selbst  deutlich  genug  zn  Vefstehen,  wenn  sie  sich 
selbst,  als  der  norma  normatai  die  heilige  Schrift,  als 
die  norma  normans,  gegenüberstellen,  ebendamit  also 
jeden  Fortgang  von  einer  schon  normirten  Norm  zu 
oioer^noch  normirteren  in  demselben  Verbftttnils'aus- 
scbliefsen,  in  welchem  sie  selbst  als  die  norma  nor- 
mata  nun  das  Bewufstsein  der  norma  nörmans  in  sich 
tragen  wollen,  und  auf  sie  als  ilen  lebendigen  Grund, 
aus 'welchem  allein  jede  neue  Gestaltung  des  Glaubens- 
systems   sich  erzeugen    kann,    zurückweisen.     Wohin 
müfste  auch  in  der  That  jener  Grundsatz  der  Conse» 
queliz  uns  zufetzt  nothwendig  Ähren?    Mag  immerhin 
niemand  schmerzlicher  als  der  Hr.  Verf.  es  bedauern, 
dafs  die  beiden  CTangelischen  Kirchen   sich  trennten, 
dafs  der  'Melanchtbonische  Lehrtropos  ausgeschlossen 
wnrde,   dafs   ein  Calixtus,  Arndt,    Spener  so   heftige 
Anfeindungen  erfuhren,  —   in  Folge  des  grofsen  Irr- 
tbnms    der    altern   lutherischen   Theologen,   dafs  sie 
durchaus  nur  einerlei  Bäume  in  dem  Gehege  der  Kir« 
ehe  dulden  wollten  (Vorr.  S.  XV),  ist  denn  auch  diefs 
die  natürliche  Folge  der  Consequenz,  mit  welcher  sie 
ihr  Lehrgeb&nde  aufführten^  und  ansbautent 

So  eng  aber  der  Hr.  Verf.  in  dem  System  der  lu- 
therischen Kfarche  sich  abschliefst,  so  erklärt,  er  sich 
doch  zugleich  mit  Freude  für  einen  Freund  der  Union, 
mid  es  scheint  demnach,  dafs  wir  auch  das  Princip 
der  Union  ab  ein  weiteres  Element  der  Construktion 
seines  dogmatisehen  Systems  anzusehen  haben*  Allein 
auf  das  Werk  selbst  hat  diefs  keinen  Emflufs  gehabt, 


ie  Dogmaiik.    Bd.  IL  AUk.  I.  78 

und  es  mufs  im  Gegentheil  vielmehr  als  eine  eharak- 
teristiscl^e  Eigenthüm liebkeit  desselben  hervorgehoben 
werden,  dafs  es  dem  Princip  der  Union,  statt  eszVi  ftMern^ 
eher  hemmend  entgegenwirkt  Ein  so  einseitiges  Hinr- 
übertreten  auf  die  Seite  der  lutherischen  Kirche,  deren 
jitreng  orthodoxe  Dogmatiker  hier  altein  das  enti^hei* 
dende  Weit  ftihreq,  ein  so  starres  Reconstrouren  des 
alten  Systems  mit  seinen  Formeln  und  terminisist  nicht 
im  Geiste  einer  Union,  die  zuerst  gerade  dasjenign 
ausschliefsen  mufs,  worauf  der  Hr.  Verf.  das  gröfste 
Gewicht  legt,  jene  Folgerichtigkeit.  Kann  man  zu  die^ 
ser  Folgerichtigkeit  an  sich  schon  kein  rechten  Vei^. 
trauen  haben,  wenn  man  auch  nur  bedenkt,  wie  es 
doch  kommen  konnte^  dafs  von  denselben  Priacipien 
ans  zwei  so  -sehr  divergirende  Systeme,  wie  das  luthe« 
rische  und  refonnirte,  ihren  Ausgang  nehmen  konnten, 
so  ist  ja  die  Union  selbst  ihrem  Wesen  nach  nichts 
anders,  als  das  Zurückgehen  auf  einen  Standpunkt^ 
auf  welchem  man  anerkennt,  dafs  zwar  'jedes  der  bei- 
den Systeme  zu  dem  gleichen  Anspruch  auf  Wahrheit 
und  Consequenz  berechtigt  sei,  abjsr  auch  beide  in  ih- 
rer Einseitigkeit  sich  so  ausschliefsend  und  verneinend 
zu  einander  verhalten,  dafs  sie  sich  nur  in  einer  höhern 
Einheit  aufheben  können.  Der  Hr.  Verf.  scheint  aber 
einen  etwas  andern  Begriff  der  Union  zn  haben,  wenn 
er  darüber  sich  freuend,  dafs  •  man  nicht  nach  dem 
Buchstaben  der  symbolischen  Formeln  frage,  um  sich 
als  gleichgesinnt  und  einig  im  Geist  anzuerkennen, 
hinzusetzt}  „Nur  sollte  man  denken,  da(s  die  altluthe- 
rische Lehre  auch  ein  Recht  hätte  auf  Anerkennung 
und  Vertretung,  und  dafs,  wenn  man  f&r  jedie  andere 
Ansicht  Freiheit  fordert,  ihr  aber  dieselbe  mifsgönnt, 
man  dann  nicht  weniger  einseitig  und  nndnldsam  ver- 
fahrt, als  man  ihr  gethan  zn  haben  vorwhrft'^  (S;XVI). 
Gerade  diefs  kann  man  nicht  denken,  da  es  in  einer 
Kirche,  in  welcher  die  Grundsätze  der  Union  gelten, 
ebenso  wenig  eine  altlutherische  Lehre  als  eine  altlu- 
therische Kirche  geben,  kann.  Das  Alte  soll  ja  vor* 
gangen  nnd  in  der  Union  ein  Neues  .  geworden  sein. 
Die  altlntherische  Lehre  hat  nur  noch  historische  Be- 
deutung, nicht  aber  als  Lehre,  einer  noch  bestehendcD 
Kirche,  als  solche  kann  sie  daher  auch  kein  besonder 
res  Recht  auf  Vertretung  haben,  weil  darin  nur  der 
Anspruch  liegen  würde,  sich  auFs  neue  als  Lehre  der 
lutherischen  Kirche  geltend  zu  machen,  wovon  die 
Folge  nur  di0se  sein  könnte,  dafs  auch  das  andre  Sj- 


* 


79 


Twäg$dm^  rartesungM  üisr  die  JXogmmtik.    Md.  IL  Ahik.  /. 


■Im  das  ^Uiohe'  BMbt  -  auf  Vertretung  aoaprieht^ 
•beodamU  ab^r  die  beideit  Systemei  statt  sioh.  ak  ia- 
tegnrende  Bestaadlheife  eiaer  heberen.  Einheit  xn  bch* 
teaehtea,  sich. aufs  neue  ia  ihrer  Einseitigkeit  gegen 
eiaandec  absfibliefseo.  Wie  yielesnürde,  wie  fiir  das 
Lebea^  so  auek  für  die  Wiss^schaft  gewonnen  sein^. 
wenn  bw  eiouial  das  Princip  der  Union  in  seiner  ir ah- 
900  Bedeutung  aufgefiifst  väre*  Nur  wenn  beide.  Sy- 
ateoie  Tomuitelrt  der  Union  sioh  ihrer  Einseitigkeit  se 
bewoÜBt  gowojvdea  sind,  dafs  sie  sich  gegenseitig  ab 
ihte  nothweodige  Bcgäoznng  betrachten  müssen,  kann 
«of  diese«:  Wege  das  wahre  Prinzip  der  evangeliscbeB 
Kirehe  snoi  Bewufstsein  kommen*  "Vergebens  sieht 
■Biaa  sieh  nach  eiaer  solchen  tiefem,  sowohl  io  dea 
Unteesobied  als.  in  die  Einheit  der  beiden  Systeme  eia- 

Aoffassuagsweise  in  dem  vorliegenden 
um)  es  ist  nur  die  altlatheriscbe  Lehre,  die 
Uer  ihi^  altes  Recht  der  Vertretung  geltend  macht. 

Ein  weiterer  Gesichtspunkt,  aus  welchem  das 
Werk  des  Hm»  Verfs»  zu  befarachten  ist,,  ist  sein  Vor- 
hältuifs  zur  Sobleiermacherschen  Glaubenslehre.  Wer 
aa  die  klare,  lichtTolIe,  in  das  Wesen  der  Sache  ein- 
gehende Entwicklung  des  SQhleiermachei:ßchen  Begriffe 
der  Religion,  welcbader  Hr.  Vf.  in  dem  ersten  Bande  ge^ 
geben  hat,  ziurfickdenkt,  freut  sich.  Toraus,  auch  hier  ei* 
neni  vnn  ScUeiecmaohers  Geiste  durchdrungenen  Scbri(il>- 
steller  zu  begegnen,  aber  leider  sieht  man  sich  in  die- 
ser Erwartung  bdd  getäuscht,  die  Zriten  ,  und  Vei> 
h&itnisae  scheinen  indefs  andere  geworden  zu  sein,  der 
grolsjd  Mann,  ist  ja  salbst  nicht  mehr,  und  sein  Geist, 
der  Geist  seines  Wirkens^  jene  Freiheit  und  Vielsei« 
ttgkeit  des  ganzen  Standpunkts,  die  fi^eilich  Herr  IM. 
Twesten  schon  fir&her,  bedeutsam  genug,  als  eine 
grofsartige  Toletnan»  bezeichnet  hat  (Vorr.  S.  XX), 
in  wie  Wenigen  lebt  et  fort!  Der  UK  Verf.  glaubt 
selbst  seinen  Lesern  eine  Erklärung  darüber  geben  zu 
nifiasen,  .woher  es  komme,  dafs,  wenn  er  Schleierma» 
ohers.  Grundansicht  Tom  Wesen  der  Religion  für  wahr 
halte  und  theile,  er- doch  in  mehreren  Lehrstücken  zu 
andern  Resaltatei^  komme,  ja  ihn  bisweilen  ausdrücke- 
lieh  bestteil»  (Vorr.  S.  X2X).  Da  er,  bemerkt  der  Hr. 
Va*f.,  .das  Verhältnifs  des  Erkennens  zum  religiösen 
^ewuIstseiB  nicht  ganz  wie  Schleiermacher  bestimme^ 
sondern  demselben  mehr  einräume,  so  müfste  diefs 
auch  auf  Veirschiedenbeiten  der  dogmatischen  Ansicht 


fiUifen,  wehitt  gehlere,  dafs  er  tbefls  idber  ias  Vep> 
hältnifs  der  Glaubenslekre  zu  dea  Aasaprüchen  des 
beiligea  Schrift,  theils  über  manche  phtlosopUsebe  Be- 
griffe und  Lehrsätze  (z.  B.  über  die  Freiheit)  anders 
denke  als  Scbleiermac^r.  Hauptsächlich  aber  findtit 
der  Hr.  Verf.  den  Grund  der  Differenz  darin,  dafs 
Schleiermachers  VerhäJtniis  .  zur  Kirchenlebre  nidit 
dasselbe  sei,  als  das  seiaige.  Schleiemacbers  Absieht 
ge&o  nsmlich  nicht  sowohl  darauf,  das  System  dersel- 
ben,  wie  es  sich  auf  der  Grandlsf^e  der  symbeliaohca 
Bächer  vom  sechaehnlen  bis  zmr  Mitte  des  aeh^eha* 
ten  Jabrhuaderts  wirklidi  ausgebildet  hatte,  in  seiner 
ganzen  Sehärfe  darzustellen,  als  yielmehr  bei  dar  Man- 
nigfaltigkeit der  seitdem  entstandenen  und  vielleiebt 
auch  fisrner  noch  entstehenden  Ansichten  gleiobaan 
die  Gränsen  abzustecken,  und  swar  so  wMt  als  müg« 
lieh,  ohne  dem  Princip  dea  evangelischen  Chmtoh 
thums  etwas  zu  vergeben,  bis  wohin  mau  jene  als  mit 
dem.  letzlMrU'  einstimmig  oder  verträglich  anerkennen 
müsse.  Es  ist  im  Grunde  nur  ein  anderer  Aaadruck 
£nr  dieselbe  Sache,  wenn  der  Hr.  Verf.  sein  Verhalt* 
nila  zn  Sehieiermacher  auch  so  bestimmt,  Schleierma* 
eher  würde  die  von  dem  Ikn.  Verf.  ^gebene  Erkh^ 
rang  über  den  Supematumlismus  nicht  geradezu  sa 
der  seinigen  gemaeht  haben  (S.  XUIj.  Wur  gehen 
wohl  am  richtigsten  von  dem  letztem  Punkte  ans,  ms 
das  Verhältnifs  des  Hm.  Verf.  zu  SchleiermacheE  al^ 
her  zu  bestimmen^  und  uns  über  die  Frage  näher  aa 
verständigen,  ob  ungeachtet  der  Differenz  in  Ansahnng 
des  Supematuralismus  die  Uebereinstimmung  dea  Hm* 
Verfs.  mit  Schleiermachers  Ansicht  vom  Wesen  der 
Religion  noch  bedeutend  genug  sei,  um  seine  Glaa» 
benslehre  als  eine  der  $chleiemiacherschen  wesentlich 
verwandte,  anf  derselben  Grundlage  mit  ihr  ruhende 
anzusehen  I  Auch  Scbleiemiacher  bekannte  ^ioh  soa 
Supernaturalisnms^  und  zwar,  y^ie  er  sich  ausdräckte,- 
einem  sehr  realen.  Es  kommt  daher  ganz  darauf  aa^ 
wie  der  Begriff  des  Supematuralismus  näher  bestunnt 
wird.  Ist  der  Superaalnralismus  überhaupt  die  Ueber^ 
Zeugung  von-  dem  übernatürliebeu  Ursprung  und  Cha- 
rakter des  Christenthnms,  so  schlierst  tfioh  daran  bei 
Schlei^maober  uemitteibar  die  nichti  minder  wesentih 
che  Bestimmung  an,  dafs  das  .Christentbnm  seinem 
Wesen  und  Inhalt  naeh  weder  schlechthui  übemati^ 
höh,  nodi  schlechthin  ttberveraünftig  sei. 


(Bio  Fortyetzimg  folgt.) 


•  * 


•        '.      k  >. 


'  » 


Ja  h 


j^  11.     • 
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für 


w  i  s  s  e  n  s  c  h  a  f  i  1  i  c  h  e    K  r  i  t  i  fc 


Juli  1839. 


f  . 


Vorlemmgen  iSAer  die  Dogmatik  der  ercmgelisch* 
luiherischen  Kirche^  nach  dem  Compendium 
des  Hrn.  Dr.  W.  M.  L.  de  Wette,  von  Dr. 
Aug.  DefL  Chr.  Twesten. 

(FortaetzuDg.)^ 

Daher  gebt  die  ganze  Aufgabe,  die  die  $obleieriuacfaer'* 
acbe  Gli^ubenslebre  zu  löseu'  sucht,  dahin,  den  Inhalt  des 
christlichen  Glaubens  dem  aomittelbarön  Selbstbewurst« 
sein  des  Menschen  näher  zn  bringen,  ihn  in  eineia  Zu« 
sainDieDhanj;e  zu  entwioiceln,  in  welchem  das  unmittel* 
bare  religiöse  Bewufstsein,  sobald  die  dazu  geliörenden 
ikufseren  Momente  fainzukommeny  sich  von  selbst  zum 
cbristUcben  bestimmt,  und  daher  auch  der  sdiroffc, 
abstofsende  Gegensatz,  iu'welchem  die  christlichen  Glau* 
beoslehren  im  Suprauaturalismus  des  kirchlichen  Sy«- 
atems  der  denkenden  Vernunft  als  etwas  ihr  frcmdarti* 
ges  und  von  Ihr  wesentlich  verschiedenes  gegenäber«' 
'stehen,  sich  aufheben  mufs«  Diese  wesentlich  andere 
Stellung,  die  der  ganze  Inhalt  des  christlichen  Glau» 
bens  dem  Selbstbewurstsein  des  Menschen  gegenüber 
erhält,  macht  den  eigenthümliche&  Charakter  der  Schlei» 
ermacber'scben  Glaubenslehre  in  ihrem  Unterschied  von 
der  kirchlichen  aus*  Vergleichen  wir  nun  hiemit  die 
Erklärung,  welche  der  Hr.  Vf.  über  den  Suprauatura* 
lismns.gtbt,  so  hören  will  ihn  hierüber  in  einem  Tone 
sieh  attssprech^q,  welchem  zufolge  man  kauni  glaiiben 
sellle,  gerade  hier  wolle  er  die  wesentliche  Differenz 
awischen  seinem  und  demficbleienuacher'schen  Stand« 
punct  auseinandersetzen«  So  grofs  sei  doch,  erklärt 
pr  S.  XII,'  Gott  LobI  die  theologische  Sprachverwir- 
rung noch  nicht,  dafs  nicht  im  Allgemeinen  jeder  wis* 
sen  sollte,  >as  mit  dem  evangelischen  Supematuralia- 
iitas  gemeint  sei,  und  er  trage  um  so  weniger  Beden* 
ken,' sich  dazu  unumwunden  zq  bekennen,  als  er  auf 
der  einen  Seite  dafiir  halte,  dafs  mit  der  Ueberzeugung, 
dafs' uns  in  Wahrheit  in  den  Aussprüchen  Christi  und 

J^M.  /.  m$un%ch.  Kritik.  J.  183Q.  IL  Bd. 


der  Apostel  eine  höhere  Erkenn tni (^quelle  eröffnet  sei^ 
ohne  welche  wir  Vieles  nicht  wissen  würden,  ^as  wir 
jetzt,  auch  wenn  wir  es  nicht  einsehen,  auf  ihr  Wort 
anoeh'hien  können  iv^d  müssen,  das  evangelische  Chri^ 
stenthum .  stehe  und  falle,  und  auf  der  andern  Seite 
sehe,  dafs  Manche,  die  er  doch  als  ihm  gleichgesinnt 
betrachte,  sich  dieses  auszusprechen  scheuen.  Das 
ist  demnach  die  Erklärung,  von  welcher  der  Hr.  Vfk 
selbst  sich  bewufst  ist,  dafs  sie  Scfaiciermacher  nicht 
zu  der  seinigen  machen  würde  >  und  so  entschieden 
und  nuchdrucksvoll  sagt  er  sich  demnach  auch  eben«> 
damit  von  dein  Schleiermacher'schen  Standpunkt  losl 
Aber  freilich,  wenn  das  evangelische  Christenthum 
nicht  ohne  einen  Glauben  soll  bestehen  können,  wel* 
cheir  in  letzter  Beziehung  nur  als  Aucteritätsglaubo 
genommen  werden  kann,  und  nur  auf  der  Vorausset* 
zung  eines  absoluten  Gegensatzes  zwischen  Vemunftt 
und  Offenbarung  beruht,  ist  es  um  die  ganze  Scbleierw 
macber'sche  Glaubenslehre  geschehen,  und  die  Epoche 
machende  Bedeutung,  die  sie  nur*  dadurch  hat,  dafs 
sie  die  christliche  Offenbarung  bei  aller  Uebernatür* 
liebkeit  in  den  natürlichen  Zusammenhang  der  Welt«> 
entwjcklung  hineinzustellen  weifs,  ist' ihr  genommem 
Wie  tief  dieser  wesentlich  verschiedene  Begriff  der 
Offenbarung  in  die  ganze  Auffassung  der  christlichen 
Glaubenslehre  eingreift,  gibt  sich  schon  an  den  beiden 
Lehren  von  der  Dreieinigkeit  und  den  Engeln,  welche 
neben  der  Lehre  von  Gott  den .  Hauptinhalt  des  vor- 
liegenden Theils  ausmachen,  deutlich  genug  zu  erken- 
nen. Der  Hr.  Vf.  stallt  diese  Lehren  nur  nach'  deui 
kirchlichea  Lehrbegriff*  dar,  welcher  Widerspruch  würde 
es  aber  sein,  sich  diese  Lehren  in  dieser  Gestalt  abs 
integrirende  Bestandtheile  der  ^chleiermacher^scheo 
Glaubenslehre  .denken  zu  wolie^  ?  Um  sidb  der  wesent* 
liehen  Differenz,  welche  hieraus  zwischeü  dem  Stand«" 
punkt  der  Vorlesungen  des  Hri^*  V.erfs.  und  dem  der 
Scbleiermacher'sohen  jGlaubenslehre  sich  ergibt,  recht 

11 


83  TwM^w»!  Forlesi$$$gm  Mist  die 

bewurst  zu  verdao,  beantworte  maD  sieb  nur  die  Frage, 
warum  Scbleiennacher  weder  in  der  eioen  noch  der 
andern  Lehre  eine  Auesage  des  ohristlichen  Selbstbe- 
wafiitseina  anerkennt,  sondern  bei  der  einen  an  die 
Stiele  der  kirchlichen  Fassung  eine  gauE  andere  setat, 
und  übci;  die  andere  sich  so  erklärt,  dafs  sie  als  et- 
was für  den  christlichen  Glauben  Unwesentliches  und 
Indifferentes  erscheint;  Der  Grund  hiervon  kann  nur 
darin  liegen,  dafs  auch  nur  eine  dieser  Lehren  in  ihrer 

.  kirchlichen  Gestalt  in  das  System  anfgenommea)  die 
ganze  Ansicht  vom  Wesen  der  Offenbarung  und  des 
Chrifitenthums  so.  sehr  verändern  würde,  dafs  der  wis- 
senschaftliche Zusammenhang  des  Ganzen  sich  von 
selbst  auflösen  müfste.  Indem  aber  der  Hr.  Vf.  sich 
auf  diese  Weise  von  Schletermacher  lossi^te^  setzte 
er  sich  ebendadnrch  zugleich  in  Widerspruch '  mit  sieh 
selbst,  sofern  er  die  im  ersten  Bande  enthaltene  Crrund« 
läge   wesentlich  mit   Schleiermaeher*scben    Principien 

~  baute,  und  in  der  Lehre  von  der  Offenbarung  insbe- 
sondere nichts  anders  sn  beabsichtigen  schien,  als  eine 
Exposition  der  Schleiermacber'aohen  Ansicht  zu  geben. 
Wozn,  mnfs  man  fragen,  eine  selche  Etnleitung  und 
Grundlegung  des  Ganzen,  wenn  doch  in  der  Folge 
durchaus  nur  in  das  alte  kirdiliche  System  eingelenkt 
werden  sollte  1  Zwar  labt  sich  all^dings,  wenn  man 
jetzt  vem  zweiten  Bande  in  den  ersten  zurückbliekt, 
nicht  verkennen,,  dafs  man  bisher  eine  zu  kähne  Mei« 
nvag  von  dem  Hrn.  Vf.  hatte,  wenn  man  in  ihm  einett 
der'  entschiedensten  Anhänger  der  Sebleierraecher'schen 
Glaubenslehre  sah,  dafs  so  manches  im  ersten  Band^ 
wobei  man  zunächst  nur  die; nähere  Bestinmnng  ver** 
mifst,  doch  schon  den  Vorbehalt  einer  Abweichung  von 
Schleiermacher  in  sich  zu  schtiefsen  seheint,,  demun- 
geachtet  aber  darf  mit  Hecht  behauptet  werden,  dafii 
der  gaiuBC  erste  oder  kritische  Theil  in  mehrem  Haupt- 
pnnktdn  anders  gefafst  sein  müfste,  als  er  wirklich 
gefafst  ist,  wenn  der  Hr.  Verf.  schon  damals  die  Ab* 
siebt  hatte,  im  zweiten  Band  einen  von  Scfaleiermacher 
so  völlige  divergnrenden  Weg  einzuschlagen.  Eine 
Lehre,  welche,  wie  die  kirchliche  Trinitätslehre  auch 
in  der  DarsteUung  des  Hm.  Vfs.  zuletzt  auf  dem'effe« 
neu  Geständaifs  der  „geforderten  Gleiehsfettung  der 
Einheit  nnd  der  Dreiheit'*  (S.  233),  also  auf  einem  der 
Vernunft  schteehthin  widerstreitenden  Satze  beruht, 
kann  niobt  m  ihrer  Voraussetzung  eine  Offenbarungs- 
tbeorie  haben,  welche  der  Schleiennacher*scben  Behaup» 


Ihgmßiik.   Bä.  IL    Ahßk.  I.  81 

tnng^  dafs  die  ehristfiche  Offenbarung  nichts  sebledii 
hin  fibervemfinftiges  enthalten  könne,  wie  diefs  in  dem 
erstm  Bande  dieser  Vorlesungen  geschieht^ .  auf  jedt 
Weise  annähernd  entgegenkommt^  sondern  nur  eim 
solche,  die  ihr  aufs  bestimmteste  widerspricht,  nnd  dii 
Vernunft  in  dasselbe  negative  Verhältaifs  zurOffenfa» 
rung  setzt,  das  die  Reformatoren  und  die  alten  lotbe 
rtsohen  Theologen,  ihrer  gerühmten  Conseqnens  m 
Falge,  angenommen  haben.  Dieselbe  Consequenz  hitfs 
dann  aber  weiter  erfordert,  um  Lehren  anfuilimgn  is 
können,  welche. aus  der  Vemanfk  in  keineni  Falle  «n^ 
wickelt,  sondern  nur  #uf  den  Buchstaben  der  heitigcs 
Schrift  hin  angenommen  werden  können,  sich  übe«  dii 
Inspiration  und  die  Auctorität  der  Schrift  jeder  Mild» 
rung  und  Uebereinstimmung  mit  der  Schleiermaehei'* 
sehen  Auffassungsweise  zu  enthalten,  und  eiafnoh  mn 
die  alte  Lehre  von  der  Theopoeustie  sn  wiederirale% 
da  von  selbst  m  die  Augen  fällt,  dafs  ein  so  falj^tafok 
tiges  System,  wie  das  alte  kirebiiche,  wean  cn  vmJA 
seine  Hakung  völlig  verlieren  seil,  sich  auoli  neui 
Lehre  von  der  Theepnenstie  nicht  nebuNin  lassen  Icnasi 
was  dann  freilich  auch  noch  die  Folge  hat,  dafa  nasl 
die  Grundsätze  nnd  Resultate  der  neuem  Kritik,  d» 
ren  Freiheit  Schleiermacher  gleichfalls,  und  zwar 
im  Interesse  der  Dogmatik^  sehr  ang^legeatlinfa 
fochten  hat,  preisgegeben  werden  müssen.  Alles 
macht  die  grofse  Differenz  zwischen  dem  Hrn.  Vf.  vi 
Schleiermacher  nur  um  so  auffallender,  ab«r  Mir  ua 
so  klarer  wird  hieraus  auch  die  uawissensehadUieb 
Ualtungslosigkeit,  mit  welcher  diese  Vorlesungen  » 
nen  Theil  des  Wegs  mit  Sehleieraiaeber  gehen^  daai 
aber  zu  dem  alten  knrchliehen  System  anf  eine  Wew 
sich  hinfiberwenden,  in  welcher  man  nur  einen  directm 
Gegensatz  gege»dieScbleiemiacher'scbe  Glanbenalehw 
sehen  kann«  Ganz  aber  wollen  die  Vorlesnngen  d«i 
auch  jetzt  noch  nicht  von  Schleieraiacher  sieh  less» 
gen,  nnd  zwar  erklärt  der  Hr.  Vf.  die  von  ScUeis^ 
macher  zuerst  aufgestellte  und.  entwickelte  Ansieht  vss 
dem  Wesen  der  Religion  hauptsächlich  deswegen  wm 
Grunde  zu  legen,  weil  er  sie  nicht  hios  für  rielitigi 
sondern  auch  für  am  meisten  geeignet  halte,  die  S^M» 
ständigkeit  der  Theologie  und  der  theelegischeii  Uebe» 
neuguag  gegen  die  zu  weit  getriebenen  Anspt«die  der 
Wissenschaft  und  namentlich  der  Speculation  sti  be» 
haupten  (8.  XVll).  Es  bezieht  sich  diefs  auf  das  he* 
kannte  Veihäknils,  in  welches  Sehleiemiacbte  ihm  Fht» 


^•Mphfe  nr  Theelogi^  wetzt.  .Alleia  es  hat  aaoh  da- 
mit  ame  etgeoe  BewandniAi*  Wer  die  Scbleiermacher'* 
aehe  Giaubenelehra  ihrem  iaaeni  ZnsauiBieiihaDg  nach 
jieaaoer  keaat,  weif«  auchi  dafe  jene  so  streage  Aaa^ 
acheldaag  der  Philosophie  aus  dem  Gebie|;  der  Christ* 
liflheä  Glaabeaslehre  keineswegs  so  zu  nehmen  ist,  wie  . 
aum  den  Worten  nach  glanhen  mdohte)  und  dafs  die 
Sehleiennaeher'sebe  Glaubenslehre  so  gut  als  irgend 
aine  aadere^  welche  nicht  blos  einen  traditionellen  Cha- 
sakter  an  sieh  trftgt,  auf  einer  ficht'  philosophischen 
Grandllige  bemhf.  Wenn  Schldermacher  die  Religion 
als '  Sache' des  Gefühls  uad  unmittelbaren  Selbstbe- 
ifttfstseina  behaadelt,  and  auih  Inhalt  der  christlichen 
(Slaabenslehre  nichts  gerechnet  wissen  will,  was  sich 
nicht  als  Aussage  des  Selbstbewufstsems  nachweisen 
bfst,  so  istdiefs  nur  der  Ausdruck  fördas  seiner  6lau* 
henslehre  an  Grunde  liegende  philosophidche  Principe 
Jf^nen  Standpunkt  dervSobjectivität,  welcher  in  jBeioer 
Eigenthümliehkeit  nur  durch  den  Gegensats  gegen  den 
HegePschen  Ständpunkt  der  Objectivität  richtig  auf« 
.  gefafiit  werden  kann.  Was  daher  dea  Worten  nach 
allerdings  in  einem  gegen  die  Philosophie  feindlichen 
and  ausschEefsenden  Sinn  gesagt  z_d  sein  scheint,  ist 
nelmehr  gerade  die  Anwendung  eines  bestimmten  phi* 
lesophischen  Principe,  das  eben  darum,  weil  es  seiner 
Matur  nach  nur.  auf  das  Gefühl  oder  Seibstbewufstsein 
aorQckgeht,  neBen  diesem  subjectiren  Princip  nicht 
angleich  ein  rein  objectires  Princip  der  Wahrheit  und 
l^ne  ohje<ftite  Begriffs- Entwicklung  anerkennen  kann« 
illerhtts  ergibt  sich  aber  auch,  dafs  eiae  Glaubenslehre^ 
welcbe  den  Staadpunkt  der  Subjeotivität  nicht  mit  der* 
selben  Consequenz  festhält,  und  sich  auf  das  im  G&- 
Mii,  oder  Sdbstbewufstsein ,  sich  aussprechende  Mo* 
■lent  der  Frömmigkeit  nur  für  den  Zweck  beruft,  um 
als  unouttelbare  Thafsaobe  geltead  ta  machen,  was 
erst  eines  Beweises  ~xa  bedflrfen  scheint,  sich  dabei  ei* 
ner  Freiheit  bedient,  an  welcher  sie  wissenschaftlich 
aneht  berechtigt  ist.  Der  Hr.  Yf.  glaubt  dadurch  nur 
die  Selbstständigkeit  der  Theologie  und  der  theologi» 
sehen  Ueberzeugung  gegen  die  zu  weit  getriebenen  Aa- 
Sprache  der  Wiasenschaft  su  behaupten,  allein  eine 
aelebe  Selbststftndigkeit  der  Theologie  {^bt  es,  wie  aas 
dem  znror  Bemerkten  erbeHf,  in  Wahrheit  nicht,  und 
eine  Wissenschaft,  welche  als  sfdche  ihre  Ansprüche 
nicht  so  weit  als  möglich  treiben  wurde,  d.  h.  ^soweit  . 
als  es  in  der  Idee  der  Wissenschaft  selbst  liegt,  würde 


Dogmaük^    Bd.  It.   Mik.  I.  86 

ebeii  desw^en  nnter  der  Idee  der  Wissenschaft  bleib 
ben.  Wie  eitlseif ig  sabjec^  die  Yorst^Unng  des  Hm» 
yfs.  yon  den  zu  weit  getriebenen  Ansprüchen  der  Wis^ 
senschaft  ist,  ist  am  besten  daraus,  su  ersehen,  wie 
sich  bei  ihm  das  zur  Behauptung  der  Selbststündigkeit 
der  Theologie  von  Schletermacher  adoptirte  Princip 
gegen  die  Schleiermacher*sciie  Glaubenslehre  selbst 
kehrt.  Dnlüugbair  kann  der  GTr.  Verf.,  wenn  er  conse* 
qaent  sein  will,  auch  in  der  SchleiermaGher'schen  Be** 
handlungsweise  der  Trinitätslehre  und  der  Engeliehre 
und  ihrem  Gegensatz  zur  kirchlichen  Lehre  nur  dieset- 
ben  zu  weit  getriebenen  Anbrüche  der  WissenscI^aft 
sehen,  und  doch  ist  es  gerade  derselbe  Begriff  yom 
Wesen  der  ReUgion,  yon  welchem  aus  Schleiermacher 
Lehren  des  kirchlichen  Systems^  wie  die  genannteä 
Mud,  Ton  seiner  Glaubenslehre  nothwendig  adsschliefseH 
mufs.  '  Auf  welcher  Seite  Ist  demnach  die  Wissenschaft» 
liebe  Conseqnenzl.  Es  wäre  gewifs  sehr  zu  wünschen, 
wenn '  man  in  Ansehung  Schleiermacher's  endlieh  zur 
Deberzeagung  käme,  dafs  seine  Glaubensldire  in  ihrer 
grofsartigen  Gonsequenz  s^n  sehr  ein  innerlich  zusam» 
menhängendes  Gauss  ist,  als  dafs  maa  bald  diefs  bald 
Jeaes  aus  dem  Zusammeahang  des  Ganzen  heransnebb 
man  kanut  und  dafs  auch  djefa  einTheil  der  dem giro« 
fsen  Manne  gebührenden  Verehrung  ist,  ihn  Tor  allem 
in  seiner  Einheit  uad  Tiefe  aufzufassen.  In  einer  Stelle 
der  Vorrede,  in  welcher  der  Hr.  Verf«  sich  über  sein 
Verhältnifs  zur  Philosophie  und  Speculation,  nicht  ohne 
eine  gewisse  Verstinunnng  und  Gereiztheit,  näher  er^ 
klärt,  und  erzählt,  wie  auch  er  rückwärts  und  Torwlrti 
der  neuem  Philosophie  auf  ihren  Wegen  nackgegav- 
gea  sei,  bis  er  durch  Schleieimaoher  eine  von  der  äpe« 
calation  unabhäagige  Stellang  gefanden  hadw,  bedauert, 
er  selbst,  dafa  die  jüngere  Generation  das  Verdienst 
Sehleiermaoher^  ia  dieser  Hinsicht  so  wenig  zu  würdi* 
gen  wisse,  und  dafs  die  Wichtigkeit  emer  solcheni^ 
von  dem  Weehsel  plulosephischer  Systeme  unabhängig 
gen,  Stellung  der  Theologie  noch  immer  nicht  so  all« 
gemein  anerkannt  werde,  als  er  gehofft  habe  und  auch 
jetzt  noch  hoffe  \  er  hittet  daher  die  Freunde  der  Spe» 
cnlatioh  zu  bedenken,  ob  sie  nicht  einen  geringen  und 
zweifelhaften  "Gewinn  fü^  einen  sichetn  und  bedeuten- 
den Verhist  •-*  den  ihrer  (heoiogiaohen  Selbstständig- 
keit —  einzutauschen  in  Gefshr  seien,  n«  s.  w.  (S. 
XXVII).  Wie  kann  aber  der  Hr.  Vf.  in  dieseyn  Sinne 
von  dem  Schleiermacher'schen  Standpunkt   als  einem 


87 


Ttttesteny  VorlesungsH  über  die  Dtpgmatik.    Bd.  IL    Ahih.  I. 


Tön  der  Speculation  Töliig  unabhingigeD,  als  dem  rei- 
nen Standpunlct  der  theologischen  Selbststäinligfceit', 
reden  I  Ist  denn  nicht  der  Standpunkt  der  Subjectivi- 
4ät,  auf  welehem  Schleiermacber  unstreitig  steht,  ebenso 
gut  ein  auf  dem  Wege  der  Speculation  oder  Philoso- 
phie getronncner,  als  der  ihm  gegenüberstehende  Stand«* 
punk,t  derObjectivität,  und  yiet  kann  sich  rühmen,  das 
System  der  Scbleiermacher'schen  Glaubenslehre  richr 
fig  anfgefafst  zu  haben,  ohne  auch  die  iiresenf liehen 
Elemente  zu  erkennen,  \«:elche  es  ror  allem  aus  dem 
Kantianismus  und  Fichtianisnias  in  sich  aufgenommen 
hat,  ohne  es  überhaupt  als  ein  Erzeugnifs  des  ganzen 
Entwicklungsganges  der  neuern  Philosophie  anzusehen? 
Dadurch  wird  aber  das  Verdienst  und  die  tief  eingrei- 
fende Wirksamkeit  des.  grofsen  Mannes  so  wenig  ver» 
kaimt,  dafs  vielmehr  sdne  wahrhaft  Epoche  machende 
Bedeutung  in  nichts  anderes  so  sehr  gesetzt  werden 
kann,  als  in  die  Cousequenz  und  Vollendung,  mit  wel* 
-eher  er  die  seiner  Zeit  eigenthümliche  subjective  Rich- 
tung, als  ihr  wahrster  Repräsentant,  in  sich  ausgebil- 
•det  hat.  Wer  daher  nur  in  Schleiermacher  die  feste 
unabhängige  Stellung  gewonnen  zu  haben  glaubt,  und 
von  dieser  aus  sich  gegen  die  neuere  Speculation  rein 
negativ  verhält,  dann  aber  auch  an  Schleiermacher  nicht 
80  festhält,  dafs  er  nicht  weit  auch  über  ihn  zurück« 
geht,  und  zuletzt  nur  in  dem  alten  kirchlichen  System 
das  bis  in*8  Kleinste  tüchtig  und  kuhstreich  ausgeführte 
Gebäude  gefunden  zu  haben  glaubt,  in  welchem  sich 
mit  dem  behaglichen  Gefühle  einer  zweckmäfsigeu  und 
bequemen  Einrichtung  wohnen  läfst  (S/  X),  der  sehe 
wohl  zu,  ob  das,  was  er  theologische  Selbstständig- 
keit, Unabhängigkeit  von  einem  philosophischen  System, 

« 

nennt,  etwas  anderes  ist,  als  jene  Negativität,  die  in 

ihrer   gegen  die  Fortbewegung  >  des  Geistes   sich  ab-  '  keineswegs  zu,  um  die  Dogmatik  cler  Beweise  för  ^ 


die  Definitionen  des  Wesens  GotteS)  oder  über  diePn 
ge:  wie  Gott  zu  denken  sei>  sagt,  ist  in  der  eifreiil 
lieh  nur  populEren  Vorstälung  der  alten  Theologa 
begriffen :  wenn  wir  uns  die  an  sich  unbegreifliche  fß^ 
liehe  Intelligenz  nach  Analogie  derjenigen  deuiceD,  fs 
welcher  wir  eine  Vorstellung  haben,  so  stellen  wilr  in 
das  göttliche  Wesen  zwar  inadäquat,  doch  ohne  In 
thum  vor,  vorausgesetzt,  dafs  wir  uns  stets,  der  Mai 
gelhaftigkeit  unserer  Vorstellung  bewnfst  bleiben,  ooi 
uns  vorbehalten,  was  wir  als  UnvoUkommenheil  erkei 
neu  von  dem  göttlichen  Wesen  zu  vemetaen  (S»  15) 
Der  Beweisführung  für  das  Dasein  Gottes  enthebt  sick 
der  Hr.  Vf.,  wie  Schleiermaoher,  und  zwar  aus  Je» 
selben  Grunde,  welchen  Schleiermacher  geltend  inacblj 
weil. die  Dogmatik  die  Frömmigkeit  als  Gegeostaal 
ihrer  Darstellung  voraussetzt.  Allein  schon  bei  Scblei» 
uiacher  beweist  .dieser  Grund  eigentlich  zu  viel»  Difi 
die  Dogmatik  alfes  dasjenige  übergehen,  was  sieik 
in  der  Frömmigkeit,  oder  der  unmittelbaren  GevifsM 
des  Glaubens  schon  enthalten  voraussetzen  kano,  i( 
wird  sie  im  Ganzen  etwas  sehr  überflüssiges,  und  kSoiM 
ihre  Stelle  füglich  der  Katechi^muslehre  überlasaci 
Wird  sie' aber  durch  die  Frömmigkeit, '  ihre  Viirao» 
Setzung,  keineswegs  überflüssig  gemacht,  so  kaootf 
es  nicht  unterlassen,  au^h  das  Dasein  Gottes  zum  & 
geustand  ihrer  Untersuchung  zu  machen.  Ist  ef  ih* 
Aufgabe,  zwar  nicht  erst  die  Anerkennung  dcs^Gottf» 
bevi'ufstseins  zu  bewirken,  sondern  nur-^deu  Inhalt  dei 
selben  zu  entwickeln,  d.  h.  zum  klareren  BewttfflM 
zu  bringen,  so  geschiebt  diefs  ja  eben  dadurcb,  d>" 
man  sich  der  Gründe,  auf  welchen  die  Ueberzeugiif 
von  dem  Dasein  Gottes  beruht,  hewufst  wird.  ScM 
bei  Schleiermacber  reicht  daher  der  angegebene  Griff 


schliefenden  Richtung  sehr  natürlich  zuletzt  an  dem- 
jenigen hängen  bleibt,  das  gerade  als  das  Letzte  in 
dieser  Reihe  am  weitesten  rückwärts  liegt,  und  ob  die 
Bewunderung,  die  er  dem  alten  System  wegen  seiner 
Sorgfalt  in  der  Ausführung  des  Einzelnen  zolk,  etwas 
anderes  ist,  als  das  .historische  Interesse  für  ein  merk- 
würdiges (vebäude  ,der  alten  Zeit ! 

.Nach  dieser  Charakteristik  des  vorliegenden  Werks 
können  wir  uns  über  die  einzelnen  Lehren,  die  der  Hr. 
Vf.  in  dem  neu  erschieneuen  Theile  desselben  behan- 
delt, um   so  kürzer  «fassen.     Was  der  Hr.  Vf.  über 

(Die  Fortsetzang  folgt) 


Dasem  Gottes  zu  entheben,  sondern  es  greift  hier  tw' 
mehr  nur  die  Bedeutung,  welche  bei  Schleiermad^ 
das  Gefiihl  in  Beziehung  aof  das  Wesen  der  Relig*' 
hat,  mit  einem  zu  einseitigen  Uebergewicht  aus  d^ 
Religion  in  die  Bogmatik  herüber.  Nun  untörscbeiM 
ja  aber  der  Hr.  Verfasser  seinen  Standpunkt  voö  «* 
Schleieruiacber'schen  ausdrücklich  dailurch,  ^^^ 
das  Verhältnifs  des  Erkeunens  zum  reh'giösen  BeWüi"^ 
sein  nicht  ganz  wie  Schleiermacber  beirtinun^  ^ 
dern  demselben  mehr  einräume  (Vorn  S.  XIX.  XaW 


•  «         • 


^  1%  -■ 
J  a  h  r  b  ii  c  h  € 

-für 

wi  8  s  e  u  s  c  h  a  f  1 1  i  c  h  e    Kr  itik. 


Juli  1839. 


[Vorlewifg^m  ubsr  die  p^gmauk  der  evangeliseh- 
.•  kitk»n$cke»  Sirehe.,  nach  dem  Compendium 
^  ien  Hm.  Dr.  W,  M,  L.  de  Wette,  von  Dr. 
'    Aug.  Detl.  Chr.  Tieesten. 

(Fortoetzang.) 

Schon  auB  diesem  Grunde  bälte  man  daher  erwar- 
If^  aoUen^  dab  er  das  Moment  de«  Erkennens  auch  in 
fdea  Beweisen  liir  das  Basein  Gottes  genauer  nuter- 
wehea  werde»  Aber  aifch^  was  der  Hr.  ViF*.  sonst  noch 
aar  Rctcht&rtigung  seines  Verfahrens  bemerkt,  spricht 
^foehr  .gegen  .ihn  als  für  ilm«  £r  gibt  selbst  zu,  dafs 
.wenn  anohder  wahrhaft  Fromme  keines  Beweises  be- 
.däffe,  um  des  Daseins  Gottes  gewila  zu  sein,  für  den 
^entschieden  llnfrommen  oder  Gottlosen  aber  kein  sol- 
ober  B^weis'gefiihrt  werden  könne,  doch  für  die  grofse 
.^ftBfA  derjenigen  y  die  awischen  Frömmigkeit  und  Un- 
j^mmigkeit  schwaokea^  die  sioh^durch  Reflexionen  ei- 
|ier  fakcbea  Weisheit»  *  deren  Zasaminenhang  sie  nicht 
.fibfrs^heoy  in  ihrem  Glauben  irre  machen  lassen^  di^ 
Be^racbtuageQy .  die  den  Beweisen  für  Gottes  Daseia 
.aum  Grunde  liegen,  weder  übtorflubig  noch  unkräfiig 
j|beien  (S.  21).  Ein  solches  Sc|iwanken  zwischen  Fröm- 
.migkeit.  und  ünfrömm|gkeit  .findet  aber  immer  stat^ 
ao  lange  das  Ireligiöse  BewuCstsein  auf  das  bierse  G^  * 

fiih)  beschrankt  ist,  und  nrebt  vom  Gefühl  zum  Erkei|- 
jnen  fortschreitet,  am  in  der  Objectivität  des  Begriffs 
feinen  festen  Baltpunkt  an  gewinnen.    Ja»  selbst  dep 

Grund)  dafa  die  sogenanaten  Beweise  für  das  Datseio 
^Gottes  eigentlich  nichts  beweiseUi  und  deswegen  keine 

Stelle  in. der  Degmatik  verdieaeii»  b.e8^itigt  der  Hr.  Vf. 

auf  eine  Wfise>  welobeniobtazu  wünschen  übrig  läfst. 

Er  bemerkt  gegen  de  Wette's  Erinnerung»  dafs  alle 
.j^e  beweise' .einen  Cirkel  enthalten,  dafs^  es  ^it  jdif- 
'  sem  Vorwarf  sieh  joicht  ganz  so  #cblicwn  verhalte^  als 

l^s'  scb<;ine^  da  in  gewissem  Sinn  jeder  logische  B^yfe\B 

einen  Cirkel  enthalte,  jeder  Beweis  geh^  darauf  auf» 

Jahrb.  f.  wiaenich.  Kriäk.  J.  1839.  II.  Bd.  ^ 


zu  zeigen,  dafa  wir  das  zu  Beweisende  in  anderer  Form 
schon  annehmen,  und  sei  nur  dann  leer»  wenn  dies-: 
m  anderer  Form  hinwegfalle,  wenn  in  dem  Beweise 
nicht  zugleich  ein  Fortschritt,  eine  weitere  Bestimmung 
des  Grundgedankens  lieg^  (S.  20).     Ref.  träji^^  keip 
Bedenken»  diesen  Gedanken  für  einen  der  wahrsten  und 
tiefsten  des  gaaz,en  Werks  zu  erklären.    Es  ist  wirk- 
lich so»  jeder  logische  Beweis  ist  in  seinem  ResuJti^t 
nur   eine  andere  Form   seiner  Voraussetzung.    Hätte 
nur  der  Hr.  Vf.  diesen  Gedanken  weiter  verfolgt  und 
sich  zum  klaren  Bewttfatsein  gebracht,  wie  überrascht 
hätte  er  sich  an  der  Pforte  einer  neuen  Erkeantnifa 
gesehen  I  O^^r  ist  denn^  nicht  jener  Fortschritt,  jene 
weitere  Bestimmung  des  Grundgedankens  die  Selbst- 
bewegung des  Begriffs,  wii^  sie  auch  in  den  Beweisen 
das  Dasein  Gottes  ihre  in^imanente  Wahrheit  isti      ^ 
Wichtiger  ist  die  Lehre  von  den  gdttlichen  Eigen- 
schaften»   Der  Hr.  Vf«  unterscheidet  absolute  oder  iny- 
manente  und  relative  Eügenscbaften,  und.  geht»  obofs 
bei  jenen  weiter  zu  verweilep»  sogleich  auf  diese  über, 
welche  in  physische  und  ethisiobe,  oder  Attribute  dc^ 
Macht  und  Attribute  der  Liebe»  von^  welchen  jene  da|3 
Bewufstsein  der  natürlicbea,  diese  der  sittlichen  Ab- 
hängigkeit ansdriickei^  eingetbeilt  werdent    Je  nach- 
dem man  'a^r  die  Abhängigkeit  von  Gott  entweder 
rein  für  sich  auffafst»  04)er  zugleich  mit  Beziehung  aiff , 
die  Abhängigkeit  des  Endlichen  vooi  Endlichen  selbst, 
eijgeben  sich  hieraus  neue  Eintbei|ungea  und  Unter- 
scheidungen  von  göttlichen  fügenftchaften  und  Hand- 
Jungen.    Die  iMlacht  Gottes  ist   an  sich  die  absolute 
oder  ordnende»    zur  geojrdneteo  aber  wird  ^ie»  wenn 
man  auf  die  Gesetze  sieht,  paaU  welchen  sich  das  Sein 
und  Geschehen  aus  .endlichen  Ursachen  und  Wechsel- 
wirkungen entwickelt«^  Ebenso  tritt  nach  der  Ansicht 
des  Hm«  Vfs.  die  eigene  Caiisalität  des  Endlichen  in 
unserem  Bswulstsain  m^br  hervor  in  dem  Be|piff  der 
gSttVohen  Allgegeawart »   inwiefern  wir  daru;iter  die 

.  '  ■  '  ■  '      .  ■  '       12 


<       I 


>t 


TwesUuy   Varlemngen  über  die  DogmuMk.    BA  II.  Abtk.  L 


91 

fiberall  aucb  im  EiDzelnsten  stt  erkiinende  gSttlie^o 
Allwirl^sainkeit  rerBtebeo.    Die  Liebe  ist  mit  Röck- 
siobt  auf  den  Untersebied  von  Sittlichkeit  und  Selig- 
kell;  t^iU*^6äte  ibeiU  Heiligkeit^  sofetn  aber  .ndar&uf 
geseben  wird,  wieder  Wille  der  Liebe  an  den- freien, 
ibre,  Freiheit  zum  Bösen  mifsbrauobendeD,  Geacbopfea 
in  ErfdlluDg  gebt,    erscbeiot  siö  tbcils  als  Gerechtig- 
keit, tbeils  als  Gnade.    Mit  beiden  wird  die  Wahrhaf- 
tigkeit in  Verbindung  gesetzt,  und  zwischen  der  Weis- 
heit uod  Allwissenheit  dasselbe  Verbältnifs  angepom- 
•mcn,  wie    zwischen   der  Allmacht  und  Allgegenwart, 
und  äer 'Heiligkeit  tind   Güte  auf  der  einen  und  der 
Gerechtigkeit  und  Gnade  auf  der  andern  Seite  (S.  37 — 
63),    Die  Unterscheidung  der  Macht  ind  Liebe  mag 
sich  selbst  rechtfertigen,  aber  schon  die  Art  und  Weise, 
wie  diesen    beiden   Grundeigenschaften   die   Weisheit 
coordinirt  wird,  erscheint  als  ungenügend.    Es  würde, 
sagt  der  Hr.  Yf.  3.  52,  bei  den  beiden  Attributen  der 
'Macht  und  Liebe  sein  Bewenden  haben,  wenn  Begriffe^ 
die  eigentlicb  doch  nur  verschiedend  Relationen  Gottes 
zur  Welt  bezeichnen, 'uns  ganz  befriedigen  könnten. 
Wir  wollen  aber  nicht  blos  wissen,  wie  Gott  sich  zum 
Endlichen  verhalte^  sondern  wer  Gott  *eij  was  in  ihm 
selbst  den  Wirkungen  seiner  Macht  und :  Liebe  zum 
Grunde  Kege,  vermögen  ,wir  diefs  auch  nicht  adäquat 
'2n  erkennen,  sO  sei  uns  doch  eine  analoge  Vorstellung 
'lieber,  als  keine.    Diesem  Bedtirfhifs  nun  entsprediend 
biete  sich  uns  der  Begrilf  der  hö6bsten  Intelligenz  dar.*   klar  und  äufserHch  bestimmt,  tbeils  so,  .dafs  man  sie 
Wir   erkennen  in  Gott  nicht   blos  den  letzten  Grqnd     ebenso  gut,  oder  noch  besser,  in  das  umgekehrte  Vtf- 
de's  Daseins  und  der  VolUcommenbeit  der  Welt,  son-    hältnifs  zu  einander  setzen  könnte.    Die  Ailwissenbek 
dem  den  vollkommensten  Geist,   der  nicht  blind  und     soll  mit  Rüekstcbt  auf  die  Abhängigkeit  vom  Endl- 
hewuPstlos,  sondern  mit  Verstand' und  Willen  wirke.'   eben  selbst   die  der  Weisheit  nntergeordnete  Bigen- 
Hieraus   ergeben  sibh  nun  die    beideh  Eigenschaften    "schaft  sein.     Hat  es  die  Allwissenheit  npt  mit  dem 
der  Weisheit' und  Allwissenheit  als  Attribute  des  gött- 
lichen Verstandes.    Der  Hr.  Vf.  scheint  hier  ganz  ver- 
'  gössen  zn  haben,  dafs  wir  uns,   seiner  Eintbeilung  zu- 
folge, ganz  im  Gebiete  der  relativen  Eigenschaften  be- 
finden, unter  welche  er  ja  selbst  ausdrücklich  die  Weis- 
heit tind  Allwissenheit  rechnet.    Wie  kann  er  also  hier 
mit  Einem  Male,  wib  ^enn  er  jetzt  ^rst  auf  die  schon 
abgehandelten  absoluten  Eigenschaften  (ibergehen  woll- 
te, mit  dem  Moment  kommen,  man  wolle  nicht  blos 
wissen,  wie  sich  Gott  zum  Endlichen  verbalte,  sondern 
wer  Gott  seit  Um  das  Erstere  handelt  es  iftich  doch 
einzig  und  allein  bei  den  relativen  Eigenschaften,  nicht 
aber  um  das  Letztere.    Glaubte  also  der  Hr.  Vf.  um 


«2 

iie .  Wridbeit  undf  AUwisseohrit  abzoleiten«   auf  dti, 
was  Gott   ist,  oder  auf  den  Begriff  Gottes    als  der 
höchsten  Intelligenz,^  oder  des  volIkommeiMten  Geistei, 
zurückgeben  '^zu  müssen,  so  hätte  er  die  Wei A^it  stf 
Allwissenheit  unter  die- absolntea  E^enaebaftiii,  miMr 
welchen  man  aber  freilich  auch  dep  B^;riff^  Geltes^  ab 
der  höchsten  Intelligenz,  bei  dem  Hrn.  Vf*  vergebens 
sucht,  stellen  müssen.    Unlogisch  ist  aber  dabei  nook 
überdiefs,  dafs  gleichwohl  jene  beiden  Eigenschaften 
nur  als  solche  anfgefafst  werden,  welche  BidM  -das  Seh 
Gottes  an  sich,  sondern  nur  ein  VarhftlteiA  aiatdrlkikea. 
Denn  die  Weisheit  wird  als  di^r  m^eadliobe  Vergt^ 
definirt,  sofern  er  der  Grund  der  gesanmitfiii  Welteii- 
richtung  ist,   und   di^  Allwissenheit   in    ihrem  Unter- 
schied von  der  Weisheit   darauf   bezojgen,    daCs   ven 
allem,  was  ist  und  sein  kann,  in'Gk)tt  ein  Wissen  sei. 
Da  nun  der  Begriff  der  Intelligenz  hier  niefit  blos  asf. 
diese  Weise  eingeschoben  werden  kann,' so  sind  niett 
nur  jene  beiden  Eigenschaften  ohne  ein  Einfheilmig»- 
princip  aufgeführt,  sondern  es  bat  auch  überhaupt  der 
Begriff  Gottes,  al»  der  Intelligenz,  oder  des  absiriates 
Geistes,  wobei  dann  freilich  nicht  blos  :von  dem  MH^ 
sen  dessen,  was  ist  und  sein  kann,  sondern  dem  Wis^ 
sen  an  sieb,  oder  dem  Wissen  Gottes  von  sieb,  den 
Selbstbewufstsein  Gottes,  hätte  die  Rede  sein  müssen, 
in  dieser  Dogmatrk  keine  Stelle  gefanden.    Das  V^ 
hältnifs  der  beiden  Eigenschaften  selbst  ist  tbeils  mh 


Formellen  an  den  Drogen  zu  tbun,  sofern  sie  Obje<^ 
des  Wissens  sind,  die  Weisheit  aber  auch  mit  dem 
Materiellen,  mit  dem  durch  ihre  materielle  Bbschaff^ 
heit  bedingten  Verbältnifs  der  Dinge,  so  bat  doch  das 
Endliche  bei  der  Weisheit  eine  concretere  Bedeutotf|; 
als  bei  der  Allwissenheit.  Schon  hierin  liegt  aucb,  was 
überhaupt  gegen  das  der  doppelten  Reibe  der  relati* 
vea  Eigenschaften  zu  Grunde  liegende  Eintbeilungs- 
prinöip  einzuwenden  ist.  Es  gestattet  durchaus  keine 
klare,  durch  die  Natur  der  Sache  selbst  gegebene  Du- 
ters^beidimg,"  da  es  ja  an  steh  zum  Begriff  des  Endß* 
eben  gehört,  jafs  Endliches  immer  durch  Endlidies  be- 
dingt ist.  *  Wie  wenig  läfst  sieh  daher  auch   in  der 


^^ 


r  • 

'TwestSHy  ForhHingim  M$r  du  De^^maük.    Bd.  lt.  Mik.  I. 


9i 


'DsnfWHtttig  des  Hn.  Yh.  ^int  Uoteracbied  der  etdneA- 
I  d^a  und  geordneten  Nftoht  festbalten,  und  Irie' vil^kfif- 
iich  tind  vag  ist  die  BeBtiininung  des.VerhftItniseee  der 
><4Jimft€iit  ihid  AllgegeniNürt  I  Soll  Tom  Endtieben  ein 
*EintIieikihg8gnind  für  die  relativen  Eigenschaften  Gel- 
tes  genommeif  werden,  -  so  kann,  wie  siek  Ton  selbst 
TersteM,  das  Tom, Endlieben  an  sieb  Unterscbiedene 
nioht  selbst  wieder  der -allgemeine  Charakter  des'End- 
'  lieben  sein.  ]$in  reeller  Unterschied  ergibt '  sich  iui 
begriff  des  Endlichen  nur,  wenn  es  unter  dem  doppel- 
ten Gesichtspunkt  anfgefafst  wird,  sbfem.  es  entweder 
in  der  idealen  Anschauung  der  reme  Ausdruck  der  Idee 
dsf,  oder  in  ihm  die  coacrete  WirklichSeit  mit  der  Idee 
Im  Widerspruch  steht*  Diesen  Weg  hätte  der  Hr.  Yf. 
'Üinscblagen  sollen,  wie  derselbe  Schon  früher  in  -einer 
«war  kleinen  aber  höchst  beachtenswertben  Abhandlung, 
fa  der  Tfib.  Zeitscbr.  fBr  TheoL  1830:  4tes  H.  S.  1  f.t 
'Yersuch  einer  Deduction  der  göttlichen  Eigenschpiften, 
ton  Rep.  Elwert  (dem  nachmaligen  Prof.  der  Theol. 
In  Zürich  D.  Elwert)  eingeschlagen  worden  ist.  Ref. 
erfaubt  sich,  statt  jeder  weitem  Ejritik,  auf  diese  vom 
-'Hrn.  Yf.  mit  .Unrecht  öbersebene  ebenso  scharfsinnige 
Hils  geistreiche  Abhandlung  zu  verweisen,  und  nur  das 
an  sie  noch'  anzuknüpfen,  dafs  dieElwert^sche  Binthe^ 
lang  sich  ebenso  natürlich  an  die  Trinitätslehre  an- 
schliffst, wie  dagegen  die  des  Hrn.  Yfs.  diesen  Zusam- 
'inenbang  ntcbt  nur  nicht  beachtet,  sondern  auch  nicht 
'teinmat  die  MögKcbkeit  der  Zurückfohrnng  aiif  die  Tri- 
Ait&tslehre  offen  Iftfst»  £ine  Eintheilung  der  göttlichen 
fegenschafben  aber,  welche  sich  nicht  von  selbst  mit 
'der  Trinitätslehre  in  Yerbindung  setzt,  mufs  von  vom 
herein  als  eine  verfehlte  angesehen  werden.  Sind  die 
^göttlioh'en  Eigenschaften  die^  Unterschiede,  welche  ent- 
"^eder  objectiv  od^rsubjectiv  im  göttlichen  Wesen  ai»- - 
genommen  werden/  so*  müssen  sie  doch  in  irgend  einer 
tteziehong  zu  dem  wesentlichen,  gleicbfalls  entweder 
'lAjectiven  oder  subjectiven,  Unterschied  sieben,  wel- 
^dien  die  Trinitätslehre  ausdrückt.  Bei  dem  Hm.  Vf. 
•aber  stehen  die  göttlicben  Eigenschaften  so  rein  änfser- 
Bch  neben  der  Trmitftt,  dafs  eben  aus  diesem  Grunde 
auch  die  göttlichen  Eigenschäften  selbst  nicht  in  der 
lebendigen  Einheit  sich  'darstellen^  ohne  welche  sie 
jloch  als  Eigenschaften  des  göttlichen  Y^esens  nicht 
gedacht  werden  könpen..  Setzt  man  den  Begriff  Gottes 
aus  den  einzelnen  Eigenschaften,  die  hier  unter  ver- 
schiedenen Gesichtspunkten  aufgeführt  werden,  zusam- 


iMtt,  m  ist  dM  Höohste,  *was.  sich  auf  diesem.  Wege 
^ergibt,  der  abstraot  Yi^olfscbis  Bejgriff  des  ens  peefeo- 
tissinnmi;  dafs  aber  Gatt,,  semer  Idee  Mob,  'als  deir 
mbsolute  Getirt,  *  aäch  den  höchsten  Lebensprooefs  m 
sich  begreifen  mufs,  wenn  ^er  anders  kein  todter  Gutt^ 
sondern  der  lebendige  Gott  des  ebristlii4»en  Glanbem 
.  sein  «oH,  davon  findet  sich  hier  auch  nioht  «ine  An- 
deutung. Es  ist  schon  bemerkt  wcMrden,  an  welchem 
unpassenden  Ort  und  auf  welche  anpassende  Weise 
derBegrite  der  höchsten  Inteiligenz'an^ftihvt'wirdL 
Da  tffimlich  Gott  auch  die  Eigenschtöen  der  Weisheit 
•und  Allwissenheit  beigelegt  werden,*  so  mufs  er  aaek 
Yerstand,'  und  wenn  Verstand,  auch  Willen  haben,  mit 
Veratfind.und  Willen  also  der  vollkommebste  Geie^ 
o^der  die  höchste  Intelligenz,  sein*  Zwar  wlid.aufA 
sehen  unter  den  Definitionen  der  Begriff  der  Lstelli- 
genz  auf  Gott  fibergetragen,  aber'  eigentlich  nur  m 
dein  Behuf,  uin  Gott  von  der  Welt  zu  unterscheideii, 
weil  Gott  sonst  nicht  als  ras  extramnndaaun  gedacht 
«werden  könnte  (S.  12).  Ebenso  werden  unter  den  ab- 
soluten Attributen  die  Aseitüt,  Spontaaeitfit,  Sufficiens, 
Independenz ,  ohne  alle  Beziehung  darauf, .  dab  Gott 
der  abpokte  Geist  ist,  aufgestellt,  und  nur  nebenher 
noch  die  analogischen  Attribute  des  vollkommensten 
CMstes,  in  welchen  sieb  die  absolute  Yolllromuieniieit 
als  der  vollkommenste  Yeirstand  und  Wille,  idie  Asei^ 
tat  und  Sufficieibz  als  Seligkeit,  die  Spontanettfit  und 
Independenz  als  Freiheit  darstellen ,  als  mit  der  Idee 
Gottes  zusammenhängend,  mit  der  Einscbränlnmg  b^ 
gezogen,  dafs  sie  ihren  eigentlidien  Gehalt  erst  durch 
die  Beziehung  auf  die  Abhängigkeit  der  Welt  von  Gott 
bekommen  (S;^  39),  d.  b,  nadi  dem  Obigen,  Gott  ist 
Geist  eigentlich  nur  aefem  ihm  die  auf  sein  Yerhftlfe- 
nifs  zur  Welt  sich  beziehenden  Eigenschaften  der  Weis- 
heit und  Allwissenheit  beigelegt  werden.  Sind  es  abel^ 
gerade  diese  Eigenschaften  vorzugsweise,  ohne  welche 
Gott  nicht  als  ens  exlramandaaiph  gedacht  •  wenieh 
könnte,  und  könnte  Gott,  was  d)e  übrigen  Eigenscbal^ 
ten  betrifft,  4er  absolute  Geist  seb,  wenn  er  nicht  als 
Geist  auch  die  Liebe  wäre  f  So  äufseiüch  und  ualdien- 
dig  ist  derBi^iff  der  Intelligenz  mifgefafstl  Yen  deifa 
verwandten  Begriff  der  Persönlichkeit  Gottes,  dessen 
genaue  Erörterung  demHm.  Yf«  doch  sehen  aetn&aas- 
gesproehene  Antipathie  gegen  die  Speculation  der  neue* 
sten  Philosophie  hätte  besonders  nahe  legen  sollen, 
ist  hier  nicht  einmal  die  Rede.    Der  letzte  Grund  die- 


.V 


t% 


k    I 


Mf  itt  der  That  niidit  sehr  1>ef^iedig#iidfli  SebipdiMC 
kann  cur  diiriii  gefüBdee  v^erdeni  dafii  der  Hr*  V£. 
'  Lehre  Yoa  den  gdttUohea  Eigenseheltea  vob  dcv 
aitittlefare  Tdltig  trennt  iidd  beide  in  ein  Uob  ftufeeiii- 
ilhee  Verhältnife  su  einander  setat,  so  daft  bei  *  der  Tri- 
jiüilskhre^  eigentlich  erst  nachfolgt,  tms  schon  anr 
JLtfire  Toa  Gott  an  sieh  gehört  hatte,  wie  sich  bei  der 
Trinltätslehre  eelbst  «eigen  wird.  / 

Ehe  wir  auf  diese  übergeben,  mSgen  aas  dem  In- 
halt der  dazwischen  fiegenden  Lehren  von  der  Welt- 
aehöjpltiligii  Welterhaltnng,  Vorsehung  bnd  Weitregie- 
taeg  Hl  s»  w«,  in  deren  Entwicklung  man  dem  Hrn.  Vf. 
aebald  maa  sich  mit  ihm  auf  aeineh  Reflexionsstand-. 
|l«akt  stellt,  und  1a  ihm  nur  einen  Interpreten  des  alte& 
ürafaUeheHi  Sjstems  sieht,  ohne  besonderen  Anatofs 
folgen  kann,  aber  freilich  aaoh  ohne  irgend  einemi  be- 
deutenden Resultat  au  begegnen,  mögen  hier  nur  awei 
Punkte  hervorgehoben  werden,  der  eine  die  Schöpfung» 
der  andof«  die  Wunder  betreffend. 

Was  den  ersten  Punkt  betrifll,  sO  bemerkt  der  Hr« 
V£  S.  85  über  ^e  Annahme  iOlaes  Weltanfangs,  sofern 
aie  den"  Buchstaben  der  Schrift  für  sich  au  haben 
aoheinef  es  frage  sich  theil%  ob  man  den  Aaesprücl^ea 
deniBlben  d^  streagea  Sinn,  ^den  sie  etwa  in  ^em 
Cotiipeildiom  der  Metaphysik  haben  wflMen,  unterlegen  - 
dürfe,  theila  ob  sie  nicht  in  einer  Sache,  die  m<>bt  ei- 
{[entlieh  die  Heligion  aagehe,  auf  dieselbe'  pppttläre 
Weise  sieh  könnte  ausgedrückt  haben,  wie  wenn  9Sx> 
ditf  Sonne  sich  bewegen  oder  stülstehett  läCst.  Allein, 
gesetzt,  die  Sebrift  h&tte  sich  hierüber  im  strengen 
Simie  der  lltetaphyiik  aasgednlckt,  so  hätte  ja  der  Hr. 
Vf.  mit  demselben  Recht,  mit  welchem  er  sonst  Fra- 
gen  «ad  Behauptungen  deswegen  surüofcweist,  weil  sie 
f  her  der  Metaphysik  als  der  Dögmatik  angehören,  auch 
jhite  geliade  ^•on  der  metaphysischen  Form  <ineo  Grond 
ati  delr  Verwerfeng  der  bibUftohen  Leln*e  eatnebuMn 
ddtaaen.  D«  sich  nan  eher  die  Schrift  hierüber  nicht 
aMftaphystich  erklirt  hat,  so  wäre  hieraoe  vielmehr  der 
S^AA^A  au  aael^en  gewesen,  dafs  die  Annahme  einee 
i!^eltanf«Bgs  der  Sohtilt  zufolge  aam  ti«teatlioben  In- 
halt des  rel^iösea  Bewafsteeiaa  su  reobnen  ist.  EbenBp* 
weaig  iWet  sk^h  dimn  aber  aadi  daa  Seobstagewerk 
vom  Staodpankt  des  tlta.  Vfs.  aaa  beseitigen,    Uer  Hr. 


Xhgmaiik.    Bd.  //.  AitL  I. 

»  »  _^ 

\t  oMiat  «war  weder  die  Erklürqngen  des  Uexfmim^ 
^on,  noch  auch  die  Dntersacbai^^  über  den,  ob  hista- 
riacben  oder  mythischen,  Charakter  und  über  die  Glmib- 
wftrdigkeit  oder  Richtigkeit  der  mosaischen  Eiaühlimg 
Ijeltören  in  die  wissenscbaftlicji^  Dogpiatik.  Wie  knqa 
aber  der  Hr«  Vf.  das  dogmatisidie  Urtheil  hierüber  völ- 
lig freigeben,  wann  er  doch  den  Grundsatz  aufstellt, 
dafs  das  Wort  der  Sdirift  als  solches  unbediagtea 
Glauben  Verdiene?  Haben  denn  die^ ahen  jutheriscbea 
Dogmatiker,  deren  GrandüHtzen  der  Hr.  Vf.  folgt,  nach 
so '  geartheilt  ?  Sie  haben  nicht  nur  die  mosaische 
Scböpfiingsgescbiöbte  ohne  Bedenken  ai^eno^men,'  aciii- 
dem  auch  die  TOn  dem  Hrn.  V£  aii%eworfene  Fraip^ 
ob  sich  die  Schrift  hier  nicht  etwa;  auf  dieselbe  popo- 
lare  Weise  aasgedrückt  habe,  wie  iirenn  sie  die  Sonne 
aicA  bewegen  oder  stillstehen  lüfst^  so  wenig  sich  lii 
den  Sinn  kommen  lassen^  dafs  sie  sogar  gegen  Kopev- 
nicas  die  Bewe|si|ng  der  Erde  Iftagneten  (vgl.  Holhis 
S*  909).  Das  erst  ist  die  gerühmte  Folgerichtigkeit 
und '  Wohnlidikeit  des  alten  Lehrgebäudes,  in  welchem 
man  dann  auch  seine  tbeol'egische  Selbstständigkeit  amPs 
sdiffnste  dadurch  behaupten  kann,  dafs  man  sich  ia 
demselben  nicht  ^blos  gegen  die  neuere  Philoaophic^ 
sondern  auch  gegen  die  Naturforschnng  alter  und  neuer 
Zeit  völ%  absehlieistl  Warum  will  «s  also  der  Hr. 
.Vf.' nicht  auch  hierin  mit  den  alten  lutherischen  Dog- 
matikern  halten)  Glaubt  er. aber  hierin- sich  eine  ga^ 
wisse  Freiheit  gegen'  sie  vorbdialtea  zu  dürfen,  so  gebe 
^er  vor  allem  die  Grundsätae  a%  die  iba  hiexn  beredi- 
tigen,  damit  ihm  an  ihnen  noch  klarer,  als  die  Sadi^ 
Bohon  jetzt  am  Tage  liegt^  seine  sul^ective  Willkfe 
nachgewiesen  werde. 

D^s  Zweite,  wovon  hier  noch  die-  Rede  sein  mag^ 
ist  die  Rechtfertigung  des  Wünderbegriffs.  Der  $9* 
pemaitur^list,  meint  der  Hr.  Vf.  S.  177,  werde  in  jo- 
dem  Fallip  die  Bmpfäuglicbkeit  der  Natur  für  Wirkan* 
4(09,  die  .echiechthiu  nicht  von  der  jVatur,  aondefa 
allein  von,  Gott  abzuleiten  seien ^  angeben,  und  d9 
Naturalist  dagegen  nicht  läi^oen,  dafs  die  in  der  Na- 
tur nicht  ,  neu  entstehenden  V  sondern  schon  in  ihr 
entbaltenep  Kräfte  bis  aum  Eintritt  gewisser  Vlb^ 
kungen  (^eldber!)  der  Actnaliiät  ermangelt  habei^ 
fl^eichsam  <Aoeh  schlummernde  Kräfte  gewesen  iseiea. 


(JDie  Fortsetzung  folgt.) 


Jahrbücher 

für 


wissenschaftliche    Kritik. 


Juli   18B9. 


«=s= 


VorlßMungmübtr  die  Dpgmatik  der  erang^elücA^ 
ügtherüehßh  Kirche,  nach  dem  Campendium 
der  Hrn.  Dr.  W.  M.  L.  de  Wette^  ron  Dr. 
Aug.  DetL  Chr.  Twesten. 

(Fort«etz<ing.) 

'  INe80  beiden  Bi^riSe  aber»  Aet  Empfängliclikeit 
fiir  govisse  Wirkvngeo  auf  der  eineOi  einer  sehbiiu- 
ai^intf en  Kraft  auf  der  aa^era  Seite  stehen  sieh  se 
aabe^dafs  der  Betriff  eiaer  Anlage  sie  beide  befasse« 
W^s  mit  diaser  Argumeatatiea  gewönne»  Ferdea  soU, 
Ist  scUe^tbia  nicht  abzusehen«  So  könnte  man  näm- 
Jjoh  aigumentirea»  wenn  die  Realität  def  Wander  als 
entaobiedeoe  Tbatsacbe  sehen  feststände^  In  dieseip 
Falle  könnt»  eine  Dogmatik,  wie  die  des  Hm«  Yfs., 
die  Frfige  nntersncben,  ob  etwa  das  in  Kann  jn  Wein 
verwandelte  Wasser  die  Eigens^aft,  Wein  w.  werden, 
erat  im  Moment  des  Wnnderacts  erhalten,  oder  diese 
£ig;eiischaft  zn?or  schon,  also  viellf  icht  schon  eait  der 
W^ltachopfang,  als  schlummernde  Kraft  in  sich  entbal- 
teü  habe«  In  dem  letstern  Falle  wurde  demnach  ange- 
l^mxnie^y  da£s  die  in  dem  Wasser  zuvor  schon  als 
schlummernde  Kraft  vorhandene  Eigenschaft  erst  in 
jeaaro  besthnmten  Moment  zur  Actualität  gelangte  in 
aiaer  Wirknng,  welche  in  der  Substanz  jenes  Wasserp 
scbeo  von  Anfang*  an  prilformirt  war»  Der  Unter;Bcbied 
iler  snifranatuiEaliptisehen  ind  naturalistischen  Wundei- 
Miaicht  koimmt  dah^r  bei  dem  Hrn.  Vf.  nur  auf  den 
Z^tanterschied  binaos,  ob  die  Wirkungen,  welche 
'Wunder  geaanfit  werden,  arst  in  dem  Moment,  in  weV 
düicm  der  auüiere  Wnnderact  er£slgt,  zu  ihrer  Bidstenz 
gelaagan)  oder  zuvor  schon,  in  ejuer  das  Wpnder  im- 
fAicite  in  sich  schhefsendea  Kraft,  auf  unsichtbare 
Waise  m  der  Natur  e»ftirea,  se  dafs  der  Wunderaot 
imr  ftufserlich  sichtbar  niacht,  w^  an  sich  schon  alf 

Wunder  voihandan  ist»  Ob  es  Je.  einen  NaturaUstea 
g^eben  habe^  welcher  diesen  .Wunderbegriff  mit  sei« 

Uhrh.  /.  w%i$en$cK  Kritik.  /.  1839.   H.  Bd. 


ner  naturalistischen  Ansicht  zu  vereinigen  wufste, 
len  wir  hier  nicht  einmal  fragen,  das  Auffallendste  ist 
die  Voraussetzung,  der  Wunderbegriff  sei  dadurch  ge^ 
rechtfertigt,  dafs  die  Wirklichkeit  des  Wunders  weiter 
zurückgeschoben  wird«  Bas  in  ^inar  schlumtnernden 
Kraft  oder  Anlage  präformirte  Wunder  ist  in  Hinsicht 
seines  Verhältnisses  zur  Gesetzmäfsigkeit  der  Natur 
•dasselbe  Wunder,  wie  das  Wunder  der  gewöhnlichen 
sopranaturalistisch^n  Ansicht,  und  die  Frage  über  die 
Möglichkeit  des  Wunders,  welche  doch  nicht  unigaa- 
gen  werden  kann,  entsteht  dann  nur  weiter  riicfcwärt«. 
Wird  das  Wunder  in  eine  schlummernde  Kraft  oder 
Anlage  gesetzt^  so  mufs  ihan  fraget^  ob  es  denkbar 
4st,  dafs  Gott  in  Beziehung  auf  eine  solche  KrUft,  oder 
Anlage,  als  ein  einzelnes  Glicid  des  Naturgansenf  ebenso 
unmittelbar  wirke,  wie  er  auf  die  Natur  eis  Ganges 
wirkend  gedachl  werden  «»nfs,  >pb  eine  solche  gewalt- 
same Durchbrechung  des  I^b^turzusainnienhangs,  wie 
das  unmittelbare  Wirken  Gottes  auf  das  Einzelne  vor- 
aussetzt, in  welchem  Zeitpunkt  es  auch  stattfinde, 
nicht  den  Begriff  des  Natnizusammenhaags  selbst  auf" 
bebt?  Diefs  ist  das  eigetitliche  Moment,  um  das  es  ei- 
gner dogmatischen  Untersucbong  des  Wunderbegriffa 
aUein  zu  tbun  sein  kann,  der  Ur,  Vf.  .aber  lUfst  sich 
jmf  diese  die  Möglichkeit  betreffende  Frfige  gar  nicht 
ein,  sondern  hält  sieb,  M(>gliebkeit  upd  Wirklichkeilk 
des  Wunders  schlechthin  voraussetzend,  nur  an  die 
Form  der  WirUichkeit.  Gehört  ^ueh  diefs  tu  der 
9,Bequemlichkeit'*  des  alten  LehrgebSndei^  so  mufs 
man  gestehen,  die  selbststftndige  Theolpgia  hat  sich 
aaf  eine  sehr  bequeoia  Weise  in  demselben  einge^ 
richtet. 

lu  der  sehr  anstKrlichea  Darstellung  der  Trinitats- 
l^re  (ß.  179— 3Q4)  unterscheidet  der  Hr.  Vf.  znhäcbat 
eme  biblische,  reJigiSse  und  speculative  $eite  des  Dog^ 
maa.  Auf  dem  eiafacheu  Wege  einer  petitio  prinoipii 
werden  dieselbeji  Mnmeateb  die  das  Wesen  der 

13 


107 


Twetten ,   Vortemngen  übet  die  Dtgmatik.    BJ.  II.  Ahth*  I, 


108 


%  \ 


darstellt,  8o  wii?d  doch  daduroh  die  (JnnDglichk^i  nioht 
aufjrehoben^  zii  jener  altern  Form  ecbiechthin  zurück- 
zukehren, sondern  es  ergiebt  sieb  hieraus  nur  die  Noth«-. 
weadigkeit,  Ton  Mpjment  iu  Momept  fortzuschreiten, 
am  in. einer  immer  adäquateren  Form  den  ron  deinen 
Momenten  zu  unterscheidenden  wesentlichen  Begriff  des 
Dogma's  selbst  zu  ermitteln.  Wer  aber  mit  seinem 
Bemühen,  eine  für  das  Selbbtbewufstsein  der  Zeit  er- 
starrte  Form  als  die  schlechthin  geltende  festzuhalten, 
seine  Stellung  aufserhalb  der  Bewegung  der  Zeit 
nhnmt,  kanji  sehr  natürlich  das  Unbehaglicho  seinet 
isoihrten  Stellung  weder  sich  noch  andern  verbergen« 

Dieselbe  Betrachtung '  dringt  sich  uns  bei  der 
scbliefslichen  Beurtheilung  auf,  welche  der  Hr.  Verf. 
S.  360  f.  auf  seine  Darstiellung  der  Engellehre  (S. 
305—360)  folgen  läfst  Soll  die  Lehre  von  den  Ea-' 
geln  und  vom  Teufel  in  derselben  Form  und  Bedeu- 
tung, die  sie  in  der  alten  Dogmatik  hatte,  ihre  Stelle 
m  der  jetzigen  Dogmatik  finden,  so  mufs  mit  der  alten 
Dogmatik  auch  die  alte  Kritik  und  Exegese  beibehal- 
ten werden.  Wie  ist  aber  diefs  möglich?  Wo  giebt 
es  einen  Theologen,  welcher  über  Kritik  und  Exegese 
dieselben  Gnmdsätze  und  Ansichten  hätte,  welche  die 
^tutheriscben  Dogmatiker  des  sechzehnten  und  sieb- 
zehnten Jahrhunderts  hatten  t  Man  sehe  alle  kriti- 
schen und  exegetischen  Schriften  der  neuem  Zeit 
nach  und  überzeuge  sich,  welche  durchgreifende  Ver- 
schiedenheit hierin  selbst  auch  bei  denjenigen  stattfii^i- 
det,  welche  sonst  nur  die  Vertheidiger  des  alten  Stand- 
punkts sein  wollen.  Unstreitig  kann  doch  die  alte 
Dogmatik  nur  auf  der  Grundlage,  der  Voraussetzungen 
beruhen,  die  die  wesentliche  Bedingung  des  dogmati- 
schen Bewufstseins  jener  Zeit  waren,  ohne  sie  aber 
schwebt  sie  in  der  Luft.  Es  Itfst  sich  daher  ^selbst 
bei  dem  Hrn.  Verf ,  wenn  er  auf  der  einen  Seite  di^se 
.  Lehren  im  Sinne  des .  alten  Systems  geltend  macht, 
und  auf  der  andern  doch  keine  wesentlichen  Momente 
des  religiösen  Bewufstseins  in*  ihnen  erkennen  kann, 
kaum  verkennen,  därs  ihm  doch  der  rechte  Glaube  ah 
sie  fehlt,  \^re  z.  B.  wenn  er .  S.  379  ven  de^  Lehre 
vom  Teufel  sagt:  „Ich  wüfste  es  nicht  zu  mifsbilligen, 
'wenn  bei  dem  Anstofs,  den  gegenwärtig  viele,  auch 
unter  fromm  und  gräubig  gesinnten  Christen  an  der- 
selben nehmen,  jemand  es  vorz%e,  sie  zu  meiden,  als 
den  Zweck  der  cbristKchen  Erbauung  in  Gefahr  zu 
setzen,  ohne  eiuM  mit  dem  'zu  besorgenden  Verlust  im 


Verb&ltnifs  stphenden  Gewinn/'  Welcher  alte  Dogau^ 
tikec  würde  sich  über  die  Lehre  vom  Teufel  diefs  n 
sagen^  erlaubt  haben  f  Zwar  will  sie  der .  Hr.  Verf, 
wie  er  noch  hinzusetzt,  nur  so  ^eit  meiden  lassen,  lo* 
weit  es,  ohne  der  Schrift  etwas  lu  vergeben,  gesdi» 
hen  kann,  was  soU  aber  hiemit  gesagt  sein!  Vi^ird  da 
,  heiligen  Schrift  nicht  schon  dadurch  etwas  vergebeBp 
dafs  man  von  einer  in  ihr  enthaltenen  Lehre  einen  soli 
eben  Anstofs  und  eine  solche  Gefahr  befürchtet!  Bi 
gibt  demnach  hier  keinen  Mittelweg.  üVer  die  aUi 
•  Kirchenlehre  wUl,  mufs  sich  auch  unbedingt  zu  da 
alten  VorsteUuagen  von  der  heiligen  3chrtft,  die.» 
zu  ihrer  Voraussetzung  hat,  bekennen.  Ist  doch  scka 
die  von  dem  Hm.  Vf.  >  gemachte  Trennung  der  0og^ 
matik  von  der  hiblischen  Theologie,  und  äie  Ansicb^ 
die  dabei  zu  Grunde  liegt,' den  Grundsätzen  der  cts» 
gelischen  Kirche  nicht  gemäfs.  Soll  die  alte  Kirebe»' 
lehre  auch  femer  in  ihrer  alten  Bedeutung  fortbesW 
hen,  so  mufs  sie  auch  in  jeder  dogmatischen  Darsteti 
luüg  aufs  neue  aus  der  Schrift  reconstrairt  werdoL 
Eine  Entwicklung  der  Kirchenlehre  aus  sich  selbst  mrii 
aus  dem  Inhalt  und  Zusammenhang  des  ohristliclMi 
Bewufstseins  ist  eine  Lostrennung  derselben  von  ihrci^ 
lebendigen  Grunde,  ddr  Schrift,  die  die  alten  Dogmfri 
tiker  der  lutherischen  Kirche  nimmermehr  hätten  zuj^ 
hen  können,  und  zwar  mit  allem  Recht,  da  das  alM 
Icirchliche  System  ohne  sseine  stete  und  durchgängigl^ 
Beziehung  zur  Schrift  den  Charakter  einer  traditioiui»' 
len  Auctorität  erhält.  t 

D.  Baur,  in  Tübingen.    ' 


VI. 

Gedichte  von  Eduard  Moerihe.  Stuttgardi^ 
Tubingeny  1838.  Verlag  der  Cotta' sehen  Budt 
handhng. 

Es  sei  uns  erlaubt,  unseren  Standpunkt  in  der  fluk- 
jectiven  Werkstätte  der  Poesie,  dem  dichterisoheaBi^ 
wttfstsein,  zu  nehmen,  natürlich  in  dem  umfasseddertf 
Sinne,  wonach  das  subjective  Bewufstsei^  des  Einxfli* 
neu  durch  sein  Zeitalter  und,  seine  Nationalität  b6 
dingt  ist.  "     ,        , 

Dafs  die  dichterische  Production,  im  GegenäiM 
gegen  jede  andere,  ihrer  Natur  nach  unmittelbar  td 
Entdeckung  des  Wahren .,  Förderang  des  Guten  vsi 
Zweckmafsigen  gehende^  Thätigkeit  des  Geistes,  ii^ 


T9ff09tmy  Förlsiungm  Mder  die  Bognuaik.    Bd.  IL    AHA.  /. 


101 

'Gott' von  ftiofi  nntersidieidet,  ibm  als  die  Wdt  gegen* 
^ibertritt.    Diese  Ansicht  mifabilligt  der  Hr.  Vf.,  wenn 
er  S.  196  bemerkt,  der  ^tog  dtuufo^,  welchen  die  spe- 
4iiilative  Theorie  in  der  Welt,  oder  dein  Princip  der 
Welt,  oder  der  Vernonft,   allenfalls  der  Menschheit 
^erhaopt  erkennen  müsse,  sei  nicht  Jesus  Christus, 
€er  Ton  der  Jnngfran  Maria  geborne,  nnter  Pontius  Pi- 
latoB   gekreuzigte, .  den  vir    im  Symbolum    bekennen. 
Denmngeaohtet  Mfst   er   sich  auf  die  Speculation  so 
weit  ein,  dafs  er  beinahe  unwillkürlich  auch  ToUends 
jenen  letsten  Schritt  thut    Er  unterscheidet  nämlich, 
wrie  schon  bemerkt  ist,  Ton  der  Wesensdreieinigkeit, 
id  der  Form  der  geistigen  Persdnjichkeit,  die  Offenba- 
rnngsdreieioigkeit.     Der  letztem  zufolge  ist  die  Voxw 
anssetznog  aller  Offenbarung  Gottes  in  der  Welt  der 
ÜB  Welt  nmfassende  Gedanke  Gottes,  der  auf  der  et* 
Ben  Seite  ewig  in  Gott  und  yon  Gott  nicht  verschieb 
den  ist,  anf  der  andern,  um  Gott  zu  offenbaren,  Ton 
-Gott  ausgehen  oder  gleichsam  äu.rserlieh  werden  murste 
{als  der  scbi^erische,  die  Vielheit  in  der  Einheit  in 
aioh  begreifende  Verstand).    Da  aber  die  Natur  Gott 
mir  objeotiv  offenbart,  so  mufste  Gott  sich  selbst  uup 
«erm  Bewufstsein  mittheilen,  in  dem  Geist,  als  dem 
^ttlichen  Princip  der  Innern  Mittheilung,  und  uns  da- 
durch beiUhigen,   in  seinen  Werken  den  sich  in  ihnen 
abspiegelnden  .ewigen  Gedanken,  und  durch  diesen  die 
wahre  Idee  seines  unsichtbaren  Wesens  zu  ftisseo  (S. 
/OOtf  f.).    Der  Hr.  Vf/  bemerkt  nun  nelbst  S.  199,  dafs 
4i%  Offenbarungsdreieittigkeit  nur  nnter  der  Voraus- 
setzung Gott  wahrhaft  offenbare,   wenn  sie  mit  der 
•Wesensdreieinigkdt  zusammenstimme,   und  bestimmt 
dieses  Verhältnifs  S.  206  näher,  schliefst  aber  zuletzt 
seine  Erörterung  mit  dem  Resultat:  die  allerdings  ei- 
sen gewissen  nrsäohlicben  Zusammenhaog  Toransset- 
lioiide  Analogie  des  Urbildlichen  und  Abbildlicfaen  (der 
'Wesens-  und  Offenbarungsdreieinigkeit)  sei  auch  die 
^kenae  jeder  theistiseben  Speculation  über  die  Trini- 
iit,  während  die  pantheistisehe  sie  sur  Identität  stei- 
f[ere,  so  dafs-die  Zengong  des  Sohnes  und  die  Schöpfung 
^bff«We|t,  das  Selbstbewnfstsein  Gottes  und  das  Got^ 
tesbewnfstsein  der  Creatur  der  Sache  nach  zusammen* 
fallen,  und  nur  begrifflich  unterschieden  werden.    So 
soll  demnach  hier  die  Grenzlinie   zwischen  Theismus 
und  Pantheismus  gezogen  werden,  aber  an  welchem 
schwachen  Faden  hängt  dieser  Unterschied  nach  allem 
Vorangehenden !  Besteht  das  Verhältnifs  der  Wesens- 


102 


dreieinigkeit  und  der  Offenbarungsdreieittigkeit  in  einer 
.  blofsen  Analogie,  so  folgt  hieraus  nur,  dafs  die  letz» 
tere,  gegen  die  Voraussetzung,  nicht  ist,  was  sie  ihren, 
Bem^iff  nach  sein  soll,  Gott  also  eigentlich  nicht  geofr 
fenbart  ist,  weil  er  nicht  so  geoffenbart  ist,  wie  er  ist 
(&  203).  Wozu  also  die  speculative  Er6rtemng,  wenn 
sie  ihrer  ganzen  Richtung  zufolge  auf  die  EinheU  hin- 
zielt, zuletzt  .aber  doch  in  dem  Unterschied  stehen 
Ueibtf  Der  Hr.  Vf.  meint  zwar,  die  speculatiire  Be» 
trachtung  habe  doch  immer  den  Werth  einer  Erläute» 
rung  für  das  Tollkommnere  Verständnifs  der  kirchli- 
chen Lehrbestimmungen.  Wie  ist  aber  diefs  mdglicht 
Kann  das  an  sich  Unbegreifliche  durch  das  Begreifli* 
che  erläutert  werden!  Eine  solche  Erläuterung  ist  ent- 
weder, sofern  sie  auf  blofsen  Analogien  beruht,  ohne 
wissenschaftlichen  Werüi,  oder,  wenn  sie  mehr  s^n 
soll,  als  eine  blofse  Analogie^  doch  schon  ein  Begrei- 
fen des  der  Voraussetzung  nach  an  sich  Unbegreiflieheiu 
Hinweg  also  von  der  Speculation  zur  SchriCb-  und 
Kirchenlehre!  So  wendet  sich  der  Hr..  Verf.  zu  dem 
kirchlichen  Trinitätsbegriff,  als  einem  rein  äufserlich 
gegebenen,  um  ihn  mit  seinen  bekannten  Bestinunua- 
gen  darzulegen  und  gegen  die  Einwendungen  de  Wette's 
und  Schleiermacher's  zu  reehtfertigcn.  Die  Haupteu»- 
wendnng  Schleiermaober's,  dafs  man  entweder  für  das 
Verhältnifs  des  Einen  göttlichen  Wesens  und  der  drei 
Personen  die  Analogie  des  Verb^knisses  des  Gattung»* 
begriffe  und  der  unter  ihm  enthaltenen  Einzelwesen  geiU 
ten  lassen  müsse,  oder  gar  nichts  bestimmtes  dabei  zn 
denken  im  Stande  sei,,  beantwortet  der  Hr.  Vf.^  so: 
tbeils  sei  man  allgemein  darüber  einverstanden,  dafs 
das  Verhältnifs  des  Gattungsbegriffs  zn  den  Indiyiduen 
zwar  eine  Analogie  darbiete,  aber  auch  nur  eine  An^^ 
logie,  durch  welche  die  zugleich  stattfindende  völlige 
Verschiedenheit  nicht  in  Scbatten  gesteht  werden  dürfe, 
theiis  geben  die  sich  auf  weitere  Erläuterung .  einlas 
senden  Dogmatiker  wirklieh  noch  einen  andern  Typus 
jenes  Verhältnisses  an  die  Hand,  die  Analogie  des  sich 
zum  klaren  Selbsibewurstsein  erhebenden  Geistes  (S* 
232).  Hiedurch  wird  aber  die  Schleiermaoher'sdie  Eiiv 
Wendung  so  wenig  widerlegt,  dafs  sie  vielmehr  ebeiK 
dadurch  i)e8tätigt  wird.  Denn  wenn  der  Hr*  V£  üiw 
mittelbar  darauf  sagt,  jenes  Schwebenbleiben  zwischen 
Einheit  und  Dreiheit  sei  nichts  so  Bedenkliches,  dafs 
es  um  jed^n  Preis  beseitigt  werden  müfste,  vielmehr 
werde  die  geforderte  Gleichstellung   der  Einheit  und 


<     / 


Tweiten ,   Forlemngen  üAet  die  Dogmatik.    Bd.  IL  Aithä  L 


/"* 


107' 

darstellt,  so  wifd  doch  dadurch  die  Ünaioglicbk^t  nicht 
auftfehoben,  zu  jener  altern  Form  schlechthin  zurück- 
zukehren, sondern  es  ergiebt  sich  hieraus  nur  die  Noth- 
wendigkeit,  Ton  M^unent  ^u  Momept  fortzuschreiten, 
um  in. einer  immer  adäquateren  Form  den  von  deinen 
Momenten  zu  unterscheidenden  wesentlichen  Begriff  des 
Dogma's  selbst  zu  ermitteln.  Wer  aber  mit  seinem 
Bemühen,  eine  für  das  Selbstbewufstsein  der  Zeit  er- 
starrte Form  als  die  schlechthin  geltende  festzuhalten, 
s^ne  Stellung  aufserhalb  der  Bewegung  der  Zeit 
nhnmt,  kann  sehr  natürlich  das  Unbehagliche  seinet 
isoltrten  Stellung  weder  sich  noch  andern  verbergen. 
Dieselbe  Betrachtung  dringt  sich  uns  bei  der 
schliefslichen  Beurtheilung  auf,  welche  der  Hr.  Verf. 
S.  360  f.  auf  seine  Darstellung  der  Engellehre  (S* 
305—360)  folgen  läfst.  Soll  die  Lehre  von  den  Ea-^ 
geln  und  vom  Teufel  in  derselben  Form  und  Bedeu- 
tung, die  sie  in  der  alten  Dogmatik  hatte,  ihre  Stelle 
in  der  jetzigen  Dogmatik  finden,  so  mufs  mit  der  alten 
Dogmatik  auch  die  alte  Kritik  und  Exegese  beibehal- 
ten werden.  Wie  ist  aber  diefs  möglich  ?  Wo  giebt 
es  emen  Theologen^  welcher  über  Kritik  und  Exegese 
dieselben  Grmidsätze  und  Ansichten  hätte^  welche  die 
^Intheriscben  Dogmatiker  des  sechzehnten  und  sieb- 
zehnten Jahrhunderts  hatten!  Man  sehe  alle  kriti- 
schen und  exegetischen  Schriften  4er  neuern  Zeit 
nach  und  überzeuge  sieb,  welche  durchgreifende  Ver- 
schiedenheit hierin  selbst  auch  bei  denjenigen  stattfin- 
det, welche  sonst  nur  die  Vertheidiger  des  alten  Stand- 
punkts sein  wollen.  Unstreitig  kann  doch  die  alte 
Dogmatik  nur  auf  der  Grundlage,  der  Voraussetzungen 
beruhen,  die  die  wesentliche  Bedingung  des  dogmati- 
schen Bewufstseins  jener  Zeit  waren,  ohne  sie  aber 
schwebt  sie  in  der  Luft.  Es  Ykht  sich  daher  ^selbst 
bei  dem  Hrn.  Verf;,  wenn  er  auf  der  einen  Seite  ditee 
.  Lehren  im  Sinne  des .  alten  Systems  geltend  macht^ 
und  auf  der  andern  doch  keine  wesentlichen  Momente 
des  religiösen  Bewufstseins  in^  ihnen  erkennen  kann^ 
kaum  verkennen,  däfs  ihm  doch  der  rechte  Glaube  ah 
sie  fehlt,  nCie  z.  B.  wenn  er.  6.  '379  von  delr  Lehre 
vom  Teufel  sagt:  „Ich  wüfste  es  nicht  zu  mifsbilligen, 
wenn  bei  dem  Anstofs^  den  gegenwärtig  viele^  auch 
unter  fromm  und  gläubig  gesinnten  Christen  an  der- 
selben nehmen,  jemand  es  vorz(rge,  sie  zu  meiden,  als 
den  Zweck  der  chrtstlichen  Erbauung  in  Gefahr  zu 
setzen^  ohne  ein^  mit  dem  zu  besorgenden  Verlust  im 


UM 


Verhältnifs  st^enden  Gewinn."  Welcher  alte  Dogn» 
tiker  würde  sich  über  die  Ldire  vom  Teufel  diefs  ta 
sagen^  erlaubt  haben  f  Zwar  will  sie  der .  Hr.  Verf., 
wie  er  noch  hinzusetzt,  nur  so  weit  meiden  lassen,  io> 
^eit  es,  ohne  der  Schrift  etwas  lu  vergeben,  gesdni 
hen  kann,  was  soU  aber  hiemit  gesagt  sein?  Wird  d« 
,  heiligen  Schrift  nicht  schon  dadurch  etwas  vergebo^ 
dafs  man  von  einer  in  ihr  enthaltenen  Lehre  einen  soL 
eben  Anstofs  und  eine  solche  Gefahr  befürchtet!  Bi 
gibt  demnach  hier  keinen  Mittelweg.  Wer  die  alh 
•Kirchenlehre  will,  mufs  sich  auch  unbedingt  zu  da 
alten  Vorstellungen  von  der  heiligen  Schrift,  die.» 
zu  ihrer  Voraussetzung  hat,  bekennen.  Ist  doch  Sek« 
die  von  dem  Hm.  Vf.  •  gemachte  Trennung  der  0og> 
matik  von  der  biblischen  Theologie,  und  ctie  Ansichl^ 
die  dabei  zu  Grunde  liegt, 'den  Grundsätzen  der  evw 
gelischen  Kirche  nicht  gemäfs.  Soll  die  alte  Kirch€8>< 
lehre  auch  femer  in  ihrer  alten  Bedeutung  fortbest»] 
hen,  so  mufs  sie  auch  in  jeder  dogmatischen  Darstili 
luüg  aufs  neue  aus  der  Sdirift  reconstrairt  werdeai 
Eine  Entwicklung  der  Kirchenlehre  aus  sich  selbst  md^ 
aus  dem  Inhalt  und  Zusammenhang  des  ohristhcbci 
Bewufstseins  ist  eine  Lostrennung  derselben  von  ihrea 
lebendigen  Grunde,  der  Schrift,  die  die  alten  Dogm»- 
tiker  der  lutherischen  Kirche  nimmermehr  hätten  zufiK 
hen  können,  und  zwar  mit  allem  Recht,  da  das  dkn 
Icircblicbe  System  ohne  vseine  stete  und  dttrchgftogigl« 
Beziehung  ztir  Schrift  den  Charakter  einer  traditimMl'i 
len  Auctorität  erhält.  < 

D.  Baur^  in  Tübingen. 


VI. 

Gedichte  i)on  Eduard  Moerihe.  Stuttgardu» 
Tübingeny  183S.  Verlag  der  Cotta* sehen  Budt 
handhng. 

Es  sei  uns  erlaubt,  unseren  Standpunkt  in  der  bAf 
jectiven  Werkstätte  der  Poesie,  dem  dichterischeaB^ 
wufstsejn,  zu  nehmen,  natürlich  in  dem  umfasseitdereft 
Sinne,  wonach  das  subjective  Bewufstseiq  des  Eiiofl^ 
neu  durch  sein  Zeitalter  und.  seine  Nationalität  be- 
dingt ist.  '     .         , 

Dafs  die  dichterische  Production,  iin  Gegensktsl 
gegen  jede  andere,  ihrer  Natur  nach  unmittelbar  ^ 
Entdeckung  des  Wahren ,  F5rderang  des  Guten  tnri 
Zweckmäfsigen  gehende,  Thätigkeit  des  Geistes,  itp* 


•         ♦ 


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i  s  s  e  n  s  c  h  a  f  1 1  i  ch  e   Kri 


Juli  1839. 


Vorlesungen  über  die  Dogmattk  der  evangelisch^ 
lutherischen  Kirche  y  nach  dem  Compendium 
des  Hm.  Dr.  W.  M.  L.  de  Wette^  tan  Dr. 

'    Aug.  Detli  Chr.  Twesten. 

(Schlufa.) 

Die  AntwQrt  IsXy  wie  iin  Wesentlichen  schon  .obea ; 
Wenn  die  Kirchenlehte  zur  Abwehrung  des  Irrthums  und 
Feststeilpng  der  Wahrfaeitgewisse Begriffe  und  Lehrsätze 
mdtbig'finde^  so  werde  mau  das  Resultat  solcher  Ueberzeur 
jgailgeu  und  Bemühungen^  wenn  auch  an  eine   mcbt 
durch  die  Schrift  gegebene  Terminologie  geknüpft,  der 
Bibellehre    doch-  nicht    entgegensetzen    können    (wie 
wenn  die  orthodoxe  Theologie  noch  nie  etwas  Schriftr 
widriges  behauptet  h&tte!),   es  sei  eben  die  wissen- 
sobaftUch  beleuchtete  und  bestimmte  Bibellehre  selbst^  ' 
eia  Regulativ  und  Correctiy  gegen  unhaltbare  und  iiu 
rige  Vorstellungen,    Zugleich  sucht  nun  auch  der  Hn^ 
Verf.  der  Ausbildung  df;r  Trinitätslehre  auf  historisch 
genetischem  Wege  nachzugehen,  um  zu  zeigen,   daCs 
die  Gegensätze  und  Stireitpunkte,'*  die  nach  einander 
sur  Sprache  kommen  und   in  Frage  gestellt  werden 
mufsten,  nach  den  Ergebnissen  einer  durch  ein  leben- 
diges christliches  B^wufstsein  geleiteten  Schriftausle- 
-^ng  nicfat   anders  entschieden  werden,  mitbin  auch 
da&  Dogma-  keine  -  andere  ,Gestalt  annehmen  konnte, 
ab  geschehen  ist«    Fär  diesen  Zweck  erinnert  er  an 
die  allgememen  Umrisse  der  Geschichte  des  Dogma's 
in  der  alten  Zeit,  uipd  macht  in  Ansehung  der  Reform» 
natoren  geltend, '  dafs  sie  nur '  in  der  Ueberzeugung, 
man  könne  auf  dem  Ton  der  h.  Schrift  vo|^gezeichiie* 
teo  Wege  zn  keinem  andern  als  dem  von  der  Kirche 
schon  gefundenen  Resultate  kommen,  diese  Lehre  bei« 
behalten  .baben.    Noch  einige  andere,  kein  weiteres  In- 
teresse gewährende  Bemerkupgen  über  die  Frage«  wo- 
Mier  die  Widersprüche,  die  in  neuem  Zeiten  fast  ge- 
gen kein  Dogma  so  laut  als  gegen  diese»  erhoben 

Jahrh.  /.  wiiunich.  Kriäk.  J.  1839.  II.  Bd. 


worden  seien  ?^  und  über  das  Crtheil  de  Wette's,  dafs  . 
diese  Lehre  mit  vollkommenem  Recht  zu  antiquiren 
sei,   schliefst   diese  Scblufsbetrachfung,  die  im  Gan* 
zen  einen  sehr  unbefriedigenden  Eindruck  suruckläfst. 
Wollte  der  Hr.  Yerf,  der  gescl^ichtlichen  Entwicklung 
des  Dogma's  nachgeben,   um   in   der  Geschichte   des 
Dogma's  die  Bewegung  seipes  Begriffs  zu  erkennen) 
80  ist.es  sehr  einseitig,  auf  halbem  Wege  stehen  zu  , 
bleiben,  und  dem  Dogma  nur  bis  zu  dem  Zeitpunkt  zu 
folgen,  in  welchem  es  die  •yoUständige  Ausbildung  sei* . 
ner  kirohlicben  Form  erreichtet     Ni^r  von  jenem  ba- 
schränkten   unevangelischen   Gesichtspunkt   aus,   tou 
welchem  aus  man  die  absolute  Wahrheit  nur  in  der 
kirchlichen  Lehre,  und  aufser  derselben  nur  Irrthum 
und  Lüge  sehen  wHl,  könnte  man  es  wagen,  die  Eni- 
wicklungsgescbichte   des  Dogma's.  schlechthin    di^rch 
die  Sphäre  seiner  kirchliohen  Form .  zu  begrenzen,  wäh- 
rend  doch   die  objektive  gesobichtliche  Betrachtung 
eben  so  gut  auch  in'  dem,  wenigstens  ^it  der  Refor- 
mation, so  lebhaft  und  Ton  so  vielen  Seiten  gegen  die 
kirchlicbe  Lehre  erhobenen  Widerspruch ,  und  in  der 
so  weif  yerbreiteten  Gleichgültigkeit,  die  in  der  Folge 
in  der  evangelischen  Kirche  selbst  gegen  ^  sie  entstand 
und  ihren  tieferen  Grund  in  dem  ganzen  Geiste   der . 
Zeit  und  in  dem  erwachten  kritischen  Bestreben,  auf 
die  letzten  Gründe  der  dogmatischen  Ueberzeugung  zu- 
rückzugehen,'  hatte,  wesentliche  Momente  derEntivick- 
iung  des  Dogma's  anerkennen  mv^fs.    Alle  iKese  Er- 
scheinungen zusammen  beweisen  klar  genug,  dara  äas 
Dogma  selbst  eine  wesentlich  andere  Stellung  zum 
Bewufstseiq  der  Zeit  erhalten  bat,  eine  solche,  durch 
welche  die  ältere  kirchliche  Form  des  Dogma's^  statt 
fik  die  allein  wahre  gelten  zu  können,  auf  die  Stufe 
eines  blofsen  Bntwicklungsmoments  herabgesetzt  ist 
Und  wenn  nun  auch  die  der  objektiven  Seite  des  Dog- 
ma's  als  ihre  Negation  sich  gegepüberstellende  subjek- 
tive  gleichfalls  nur  als  ein  einseitiges  Moment  sich 

14 


107 


TwMten  y   Forletungen  über  die  Dogmatik.    Bd.  TT.  Abtk^  T, 


108 


darstellt,  «o  wifd  doch  dadurch  die  [Jnnoglicbk^t:  nicht 
auf«;ehobeDy  zu  jener  altern  Form  ecblechthin  zurück- 
zukehren, sondern  es  ergiebt  sich  hieraus  nur  die  Noth*-. 
wendigkeit,  yon  Moment  zu  Momept  fortzuscfareiteD, 
nm  in. einer  irottier  adäquateren  Form  den  Ton  deinen 
Momenten  zu  unterscheidenden  wesentlichen  Begriff  des 
Dogma's  selbst  zu  ermitteln.  Wer  aber  mit  seinem 
Bemühen3  eine  fiir  das  Selbstbewufstsein  der  Zeit  er- 
starrte Form  als  die  schlechthin  geltende  festzuhalteUi 
seine  Stellung    aufserhalb   der    Bewegung    der    Zeit 


Terb&Itnirs  stehenden  Gewinn.''  Welohw  alte  Dogma» 
tiker  würde  sich  über  die  Lidire  vom  Tea£ei  diefs  za 
sagen^  erlaubt  haben  f  Zwar  will  sie  der .  Hr.  Verf.^ 
wie  er  noch  hinzusetzt,  nur  so  weit  meiden  lassen,  so» 
weit  es,  ohne .  der  Schrift  etwas  zu  vergeben,  gesehe» 
hen  kann,  was  soll  aber  hiemit  gesagt  sein?  Wird  der 
heiligen  Schrift  nicht  schon  dadurch  etwas  Tergebeiiy 
dafs  man  von  einer  in  ihr  enthaltenen  Lehre  eben  sol* 
eben  Anstofs  und  eine  solche  Gefahr  befurchtet  f  Es 
gibt  demnach  hier  keinen  Mittelweg.    Wer  die  altet 


nhnmt,    kanji  sehr  natürlich  das  Unbehagliche  seinet     Kirchenlehre  will,  mufs  sich  audi  unbedingt  zu  dea 


t    « 


isoirrten  Stellnng  weder  sich  noch  andern  verbergen. 

Dieselbe  Betrachtung '  dringt  sich  uns  bei  der 
schlieifslichen  Beurtheilung  auf,  welche  der  Hr.  Verf. 
S.  360  f.  auf  seine  Darstellung  der  En^^ellehre  (S. 
305—360)  folgen  läfst.  Soll  die  Lehre  von  'den  En- 
geln und  vom  Teufel  in  derselben  Form  und  Bedeu- 
tung, die  sie  in  der  alten  Dogmatik  hatte,  ihre  Stelle 
m  der  jetzigen  Dogmatik  finden,  so  mufs  mit  der  alten 
Dogmatik  auch  die  alte  Kritik  und  Exegese  beibehal- 
ten werden.  Wie  ist  aber  diefs  möglich  ?  Wo  giebt 
es  einen  Theologen,  welcher  über  Kritik  und  Exegese 
dieselben  Grmdsätze  und  Ansichten  hätte,  welche  die 
^fntheriscben  Dogmatiker  des  sechzehnten  und  sieb- 
zehnten Jahrhunderts  hatten?  -Man  sehe  alle  kriti- 
sehen  nnd  exegetischen  Schriften  dier  neuern  Zeit 
nach  und  itberzeuge  sieb,  welche  durchgreifende  Ver- 
schiedenheit hierin  selbst  auch  bei  denjenigen  stattfi9- 
det,  welche  sonst  nur  die  Vertheidiger  des  alten  Stand- 
punkts sein  wollen.  Unstreitig  kann  doch  die  alte 
Dogmatik  nur  auf  der  Grundlage.  Aet  Yoranssetzungen 
beruhen,  die  die  wesentliche  Bedingung  des  dogmati- 
schen Bewufstseins  jener  Zeit  waren ,  ohne  sie  aber 
schwebt  sie  in  der  Luft.  Es  I&fst  sich  daher  'selbst 
bei  dem  Hrn.  Verf;,  wenn  er  auf  der  einen  Seite  diöse 
.  Lehren  im  Sinne  des .  aken  Systems  geltend  macht, 
nnd  auf  der  andern  doch  keine  wesentlichen  Momente 
des  religiösen  Bewofstseins  in^  ihnen  erkennen  kann, 
kanm  verkennen,  däfo  ihm  doch  der  rechte  Glaube  afa 
sie  fehlt,  itie  z.  B.  wenn  er.S.  379  von  de^  Lehre 
vom  Teufel  sagt:  „Ich  wüfste  es  nicht  zu  mifsbilligen, 
'wenn  bei  dem  Anstofs,  den  gegenwärtig  viele,  auch 
unter  fromm  und  gläubig  gesinnten  Christen  an  -  der- 
selben nehmen,  jemand  es  vorz6*]^e,  sie  zu  meiden,  als 
den  Zweck  der  christlichen  Erbauung  in  Gefahr  zu 
setzen,  ohne  einen  mit  dem  zu  beiiorgenden  Verlust  im 


alten  Vorstellungen  von  der  heiligen  Schrift,  die  sie 
zu  ihrer  Voraussetzung  hat,  bekennen.  Ist  doch  schoa 
die  von  dem  Hrn.  Vf.  •  geraachte  Trennung  der  l5og* 
matik  von  der  biblischen  Theologie,  und  ilie  Ansicht^ 
die  dabei  zu  Grunde  liegt,' den  Grundsätzen  der  evan- 
gelischen Kirche  nicht  gemäfs.  Soll  die  alte  Kirchen- 
lehre auch  ferner  in  ihrer  alten  Bedeutung  fortbeste- 
hen, so  mufs  sie  auch  in  jeder  dogmatischen  Darstet 
luüg  aufs  neue  aus  der  Sdirift  reconstruirt  werden^ 
Eine  Entwicklung  der  Kirchenlehre  aus  sich  selbst  und 
aus  dem  Inhalt  und  Zusammenhang  des  ohristlichen 
Bewufstseins  ist  eine  Lostrennung  derselben  von  ihrem 
lebendigen  Grunde,  der  Schrift,  die  die  alten  Dogma- 
tiker der  lutherischen  Kirche  nimmermehr  hättoi  zug»» 
ben  können,  und  zwar  mit  allem  Recht,  da  das  altä 
Icirchliche  System  ohne  vseine  stete  und  durchgängige 
Beziehung  ztir  Schrift  den  Charakter  einer  traditionel- 
len Auctorität  erhält. 

D.  Baur^  in  TQbingen« 


VI. 

Gedichte  €on  Eduard  Moertle.  Stuttgard  tf. 
Tübingen,  1838.  Verlag  der  Cotta' sehen  Buchr 
handlung. 

Es  sei  uns  erlaubt,  unseren  Standpunkt  in  der  snb- 
jectiven  Werkstätte  der  Poßsie,  dem  dichterischen.  Be- 
wufstsein,  zu  nehmen,  natürlich  in  dem  umfassenderen 
Sinne,  wonach  das  subjective  Bewufstseia  des  EinzeK 
neu  durch  sein  Zeitalter  und.  seine  Nationalität  be- 
dingt ist  "     ,         , 

Pafs  die  dichterische  Production,  im  Gegens^tzle 
gegen  Jede  andere,  ihrer  Natur  nach  unmittelbar  auf 
Entdeckung  des  Wahren,  Förderung  des  Guten  und 
Zweckmäfsigen  gehende,  Thätigkeit  des  Geistes,  ii|i. 


IM     ;       .  E.   Moerike, 

in  BlemeDte  der  NiUTetttt  vurteln  mSobte,  hi 
aaerkaante  Wafarheifr$  data  die  Naivetttt  im.  AlU 
lenieineB  ein  Zustand  relativer  BlswiifatloBigkeit  eel^ 
w&TWk  das  nrte  Seelchen  ^kmtaste  vcr  der  alten 
Sohwiegemratter  Weisheit  sieh  einhüllt,  veifs  man 
»benCslls.  Sdiwi erig  wird  die  Untersilehuog  erst,  wenn' 
lie  Qreme  bestimmt  werden  soll,  innerhalb  welcher 
Aaa  Bewttfstsein  von  sieb,  seinem  Gegenstand  und  sei- 
ner Thfttigkeit,  das  natörlichy  wo  überiiaopt  Geist  ist, 
uemals  fehlt,  also  aneh  dem  Dichter  nicht ,  abgehen 
ksuin^.  auch  bei  ihm  in  Terschiedenen  Graden  auf  und 
Bifklergehen  kdnne,  dme  in  diejenige  !Be wnfstheit  ober- , 
ngebmi,  welche  die  Naiyetät  lerstdrt  nnd  die  Poesie ' 
ha  Jf^osa  anflSet.  Die  Dichter  des  Mittelalters  sind 
Im  Gegeosati  gegen  die  modernen  als  naiy  zn  .bexeich- 
ften,  aber  anch  ihre  Poesie  scheidet  sich  in  eine  be-, 
mftfste  nnd  unbewufste,  eine  Naturpoesie  nnd  eine 
Kustpol^sie,  eine  volkstbümlicfae  und  eine  höfisobrit- 
terliche.  Umgekehrt  innerhalb  der  modernen  Poesie, 
lie  im  Gegensatz  gegen  die  mittelalterliche  als  «ine 
be^mibte  an  bezeichnen  ist,  kehrt  der  Gegensatz  des 
^^aiven  nnd  Bewufsten  wieder  picht  blos  zwischen  ver« 
iobiedenen  Ständen  (das  Volkslied  und  die  Nätnrpoe* 
lie  einzelner  Autodidakten  kann  als  Nachklang  des 
Ifittd^lters  angesehen  werden),  zwischen  yerschiedo- 
nem  IndiTiduen :  innerhidb  der  gebildeten  Stände,  son* 
l^m  anch  zwischen  den  verschiedenen  Entwicklnngs* 
glpoehen-  einzelner  Individuen.  Goethes  Jogendpoesie 
irar  ein  Naturqaell,  der  gewaltsam  mit  urkräftiger  P|ri- 
iebe  hervorsprudelte,  dagegen  die  Producte  seines  rei- 
fba  Mannesalters:  mit  wie  viel  Bewurstsein  über  das 
pig^ene  Thun,  mit  weicher  Helle  der  Besonnenheit  sind 
ne  künstlerisch  gebildet,  und  welche  krjstallisehe 
PDrcfaBichtigkeit  haben  sie  dadurch  gewonnen  I  Es  fällt 
mit  diesem  Unterschiede  der  Lebeosalter  ein  Unter- 
geliied  der  Gattungen  häufig  zusammen:  die  naiv  ju- 
■endliche  Periode'  ist  eine  lyrische^  der  besonnene  Mann 
whebt  sieb  in  die  ob|ectiven  Gebiete  der  epischen  und 
Irctmatischen  Poesie,  hört  aber  darum  nicht  auf,  Ly- 
liker  m  sein,  und  indem  die  lyrischen  Gebilde  der  rei- 
fevM  Mannes-Periode ;  an  diesem  Lichte  geläuterten 
Belbstbewufstseins,  vielseitiger  Reflexion  und  mannig- 
fach verscbloDgenen  Bildungs-Momente  Theil  nehmen, 
ao  kehrt  aufs  Neue  auch  mnerhalb  derX»jrik  des  ein- 
SKeliiea  Dichters  jener  Gegensatz  zurück.  Auf  unseren 
grofsen  Diditem,  Goethe  und  Schiller,  ist.  das  Gcöbte 


O  edle  Ate.  110 

dies ,  dafs  sie  haarscharf  auf  der  Linie ,  weidle  die, 
innerhalb  der  Poesie  mögliche,  und  jüti  prosaische  Be- 
wnfstheit  scheidet,  mit  sicherem  Schritte  hinwandeln; 
Aber  nur  in  der  Pulle  d^r  Mannski^aft;  wicdie  Locken 
ergrauen,  geht  auch  Goethes  Poesie  unaufhaltsam  in 
die  Prosa,  die  didaktische  Breite,  die  behagliche  Con- 
templation  über,  während  bei  Schiller  freilich  auch  auf 
der  Sonnenhöhe  seiner  Poesie  Nebelflecken  der  prosai« 
sdien  Reflexion  sich  zeigen,  und  mitten  im  siegreichen 
Kampfe  gegen  diese  ihm  wohl  bekannten  Mängel  der 
Tod  ihn  abrief* 

•  -  Die  romantische  Schule  vfd^r  ein  neuer  V^rsuch^ 
den  Boden  der' Poesie  dem  Elemente  der  Naivetät  zu- 
rfickzogeben«  Da  das  Studium  der  AHen  und  der  kri* 
tische  Geist  des  Protestantiämns  vorzüglich  es  waren, 
welche  die  neue  Po^isie  in  jene  Klarheit  des  Bewufi^t- 
seins,  aber  auch  nahe  an  die  Schwelle  der  prosaischen 
Besonnenheit  geführt  hatten^  so  wurde  pun  das  Mittet 
alter  heraufbeschworen,  das  Volkslied,  das  Volksbuch 
zum  Loosungswort  gemacht.  Wenn  so  das  subjective  , 
Verhalten  des  Dichters  zu  seinem  Stofi^e  ganz  zur  Nai- 
vetät jener  alten  guten  Zeit  zurückkehren  sollte,  s^ 
wutde  an  die  objectiyen  Gebilde  der  Phantasie  eine 
entsprecihende  Forderung  gestellt:  die  Weif,  welche 
dfer  Dichter  darstellt,  sollte,  wie  die  Ansehauungsweise, 
des  Mittelalters' es  meinte,  nicht  die  Wirklichkeit  mit 
ihrem  verständigen  Nexus  darstellen,  die  Charaktere 
sollten  nicht  von  einfach  menschHchen  Motiven  zu  ei-  • 
nem  klaren  und  consequenten  Handeln  bestimmt  er- 
scheinen; die  Natur  sollte  als  Schauplatz  von  Wun- 
dem kaleidoskopisch  ihre  Gestalten  wechseln,  die  Cha- 
raktere in  geheimnifsvoUem  Helldunkel  zwischen  un- 
endliphen^  unsagbaren  Gefühlen  und  illusorischen  WiK 
Jens-Erregungen  schwanken:  kurz  die  Welt  sollte  eine 
phantastische,  abentheuerGche  und  mährchenhafte  sein', 
die  Phantasie  sollte  im  Mondlichte  mit  Feen  spielen, 
mit  Nixen  in  Wellen  plätschern,,  mit  Salamandern  ia 
zackigen  Flammeta  flackern,  sie  sollte  traumartig  wir- 
ken; man  nahm  es  mit  dem  Ausdrueke,  dafs  der  Dich- 
ter in  einer  Art  von  Wahnsinn  schaffe-,  sehr  ernstltck. 
Es  war  aber  nicht  ein  natürliches,  sondern  ein  gemacb- 
tes,  ein  künstliches  wiederbelebtes  Mittelalter,  es  war 
Theorie  und  Grundsatz,  so  zu  dichten,  von  der  Phi- 
losophie der  Zeit  vielfach  bestimmt,  es  war  eine  Spie- 
gdung einer  längst  verschwundenen  Zeit  in  einem  ihr 
entwachsenen  Bewufstsein,  es  war  Manieirf  daher  ea 


IM»  fiitMsbajr  ein*  WMerepm^  iiit>  ^em  gerade  dia 
RomaBtik^r  ,da«  berfiebtigte,  zu  yvA  Tersohrieene  Vx\fh 
sip,  i«r  JrooyM!  aa&teUtea.  Ind^sseji  konnte  es  nidit 
ÜBhleti»  dab  &ebt  poetische  Nfitoren,  imZonie  Ober  dve 
ProM,  die  selbst  iräbvend  der  Ql^naiperiade  ^eues  Poäi- 
sie  fortfuhr  breite  Bcttt^lsoppen  sa  kooheo  npd  fottfab* 
rep  wird>  so  lange  die  Welt  steht)  im  Zorne  daiy 
Aber  iind  im  Gefühle  der  ewigen  {leehtes,  daö  sieh  di^ 
NiUTelilt  im  (rebiete  der  Poesie  TorbdhUlt,  dieser 
Schefe  sich  «Bsohiossun,  die  jfi  ofanediefsin  der  Jugendr 
liehen  Lyrik  Goethes,  ip  manoher  seiner  schönsten  Ro- 
inaoseli  oqd  Balladen  einen  grofseo  Verfechter  hatte. 
Je  gesüader  difse  Naturen,  dedto  weqi^er  konnten  sii^ 
jMch  in  der  Einseitigkeit^  der  Schule  abschliefsen,  de* 
ato  gewisser  nahm,  ihre  Phantasie  im  Fortgänge  ibr^r 
LftnteroDg  auch  .das  Element  höherer  Bes<«ii^Mheit^ 
plastiikaher  Klarheit  in  sich  auf*  Tieok  selbst  fand^ 
den  Uebergang  in  diePo^Me  gesunder,  uatmrgemärser, 
darum  aber  nicht  gemeiner  Wirkliobkeit  in  seinen  Nor 
Teilen,  ühlands  Muse  beschränkte  sich  nicht  auf  die 
nordische  Nebelwelt,  soddem  schwang  sich,  wenn  sii& 
auch  ihre  Gegenstände  aus,  dem  Mittelaltw  ai  neh* 
m^n  immer  liebte,  doch  durch  de»  Geist  ihrer  Auffia^ 
sang  und  Oarstellui^  in  hellere  Zonen,  wo  vom 
klaren  Himmel  edle,  reia  meesohliebe  Gestalten  i« 
gediegener  Rnndtang  und  soharfea  Umrissen  sich  ab- 
heben. 

WlÜbrend  tiuii  diese  Schule  ihrem  Ablebeih  sieh 
*  Dahlie,  veränderte  sieb,  mehr  und  m^hr  die  Ph jsi^ 
!§nomie  der  Zeit.  ]>ie  Revolution,  der  Liberalismus^ 
die  Technik,  die  matenellen  Tendenzen,  die  Cultur, 
die  Alles  beleckt,  di^  Philosophie,  ^ie  den  letzten  Rest 
des  Unmittelbaren  in  die  Verunttlung'  des  Denkens  he^- 
einsuaiehen  systematisch  fort&hr,  der  Geschäftsdrang, 
der  uns  von  Morgea  bis  Abend  an  den  Arbeitsstuhl 
fefselt  und  der  sehnten  Muse,  der  langen  Weile,  ihr 
bischen  i^ebensluft  vollends  su  erdrftck^n  droht:  Alles 
diefs  v^schwpr  sich  gegen  die  poetische  Stimmung  und 
«teilte  vot  die  letate  Wiese,  auf  der  ein  Dichter  schleae 
derii  mochte,  den  Schlagbaam  der  Sorge«  Die  Dialefe- 
'  tlk  Sf  griff  nun  auch  das  sittlidi  sociale  Leben  und  tüt- 
telte  mit  kfitiscben  Zweifeln  an  seinen  bemoosten^  up- 


Q 0  di  &h  t,€.  ^       119 

fdteii  Grundpfoilem«    Die  Mensehheit  iel  onvefw^it* 
lieh  gesund)  sie  wird  audi  ans  diesen  Wiivea  verjiiflit 
anfsteben ;  über  der  Peösie  könnte  man  tintw  diessa 
Umständen  wenigstens  Dir  die  nächste  Folgeneit  keise 
heilere,  Zukunft  pr^pheseien.   Andere  Thätigkeiten  de« 
Geistes,  die  Ueberlistnng  der  Materie  im  tieiUete  ds« 
ZweckmäTsii^en,  die  Wisaenaefaafk  werden  -  dia  erstell 
Heilkräfte  ans  diesem  Bade  sieben  ^  die  üblen  Felgso 
{Br  die  Poäsie  zeigten  sich  bald.    Man  verlor  dm  Stand- 
pnnktj  aus  welchem  allwL  ein  Diohter  tn  benvthettiii 
ist,  man  rief  ihn  an:  halt!  nicht  so  schnell!  dif  mafrt 
dich  erst  nusweissn,  ob  du  auch  die  Frligw  d^  Ge^ 
genwart,  die  groben  specieUen  Probleme  in  deia  Gs^ 
dicht  aufgenouuiien  hast !  Nun  soll  sich   freilich  dia 
Bcasf  des  Dichters  niemals  der  Gegenwart  nnd  ihfer 
bewegenden  Ideen  verscbliefsen,  aber  es  fragt  sieb,  ob 
diese  Ideen  reif  sind  zur  poetischen  Gentalteng,  und 
danun  kümmerte  man  sich  nidit,  man  .übersah,  •  dsfi 
es  sich  nicht  darum  handelt,  e£  der  Dichter  die'Zsit' 
fragen,  sondeirn  ttiey   oIk  er  sie  auf  po€tisohe  Wei« 
in  sein  Werk  aufgenommen,  ob  er  aie  in  aathetisolita 
Körper  gewandelt  hat.   Prodncte,  denen  man  die  ü^ 
daktische  Tendenz^  die  Absieht ^  modern' zu  sein,  sa 
'  der  Stime  ansah,  wurden  um  des  blofsen  Stoffes  vil» 
.kn  als  Gedichte  gerühmt.    Ein  Lyriker^  dessen  pro- 
duktive Jugend  noch  in  die  letzten  Tage  der  Roms» 
tik  fiel,  versetzte  dieses  Element  mit  den  giftigen  Stof* 
fea  einer  Ironie,  welche  von  der  modem^n  Slimmssg 
die  negative  Seite  ohne  das  Gegengift  in  sieh  anfge- 
nomiiien  hatte,  trat  als  letzter  Ausläolurs  nlii  irrento. 
Streiflicht  dieser  poätiscben  Abendrothe  hervor:  JEfeiM 
Er  ist  die  giftig  gewordene  Romantik,  der  £an6ge  Gib> 
mngspreaefs,  der  ihre  Auflösung  in  ein  Afterbild  der 
moderneu   Freiheit    des   Selbstbewnfstseins    darsteiHp 
aber  indem  et  auch  in  diesem  Thun  genial  blieb,  iv 
glänzenden,  bunten  Farben  schillert  und  noch  auf  ei- 
nen-Augenbli«^  dm  Gegensatz  der  vNaivetftt  nnd  eiser 
sich  selbst  überspringenden,  pei^den  liewniUhdlt  sQ 
eiqer  im  Entstehen  verschwindenden  Embeit  zasaia' 
menbindet.   In  Heine  steUt  sieh  eigMilich  erst  dffili^ 
nige  dar,  was  Hegel  unter  Ironie  verstdit  nnd  so  eifrif 
hei  jeder  Gelegenheit  vorfolgt. 


(Dis  FortsetsttBg  folgt) 


J  a  h  r  b  ii  ehe  r 

-    ^  u  r   ,  ... 

wls  s  e  ü  s  c  h  ijt  f  t  liehe 


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K  T  1 1  i  k. 


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Juli  1S39. 


»    I  < 


^G^dwit§  Mit.  Eduard  Maerii  e. 

'   (Fortsetzung.) 

Seither  snoben  ivir  eioe  neue  Poesie  und  habeii 

,8Je  noch  nicht  gefunden,  T^erden.sie  vielleicht  erat  in 

spater  Zukunft  finden?    In  der  Hast,  Yervirrung  und 

Unmufse  dieses  Suchens  uiufs  sich  der  Freund  der  Po6* 

sie  nach  einer  Labung  sehnen.    Wo  sprudelt  sie  denn 

.  noch,  die  klare  Wald  quelle  mit  ihren  frischen  Wassern  1 

Wq  duftet  die  reine  Erdbeere  in  kühlen,  unbetretenen 

QrUnden,  auf  der  noch  der  Duft  der  Naivetät  liegt  t. 

GewUs,  hier,  in  diesen  Gedichten  sprudelt  der  frische 

.'ClueU,  duftet  die  kühle  Frucht !  Unbekannt  der  Welt, 

in  ländlicbec  Stille  den  Pfaden  der  Phantasie  nachge- 

.liead  schüttet  uns  hier  ein  reicher  Genius  den  vollen 

S^en  aus* 

Wenn  ich  hier  nun  vor  Allem  sage,  dafs  es  ein  naiver 
Dichter  ist,   welchen  einzuführen  ich  unternehme,  so 
habe  ich  nicht  vergessen,  dafs  in  dem  Sinne^  wie  der 
Dichter  des  Mittelalters,  iTein  moderner  naiv  sein  kann 
mid  soll    Auch  ist  gar  nicht  die  Rede  von  einem  so- 
.^eiiannten  Naturdichter,   sondern    von  einem  Manne^ 
]deT  anf  reichen  Bildungswegen  die  Schätze  des  Alter- 
thums,  die  Kämpfe  des  ringenden  Bewufstseins  in  Le- 
ben und  vVisseoschaft  nicht  von  sich  abgewiesen,  abeir 
^aucb  nur  so  daran  Theil  genommen  hat,  wie  die  Bie- 
ne^  diß  über  Blumen  und  Disteln  hinfliegt,  den  Honig 
..daraus  iu  saugen.    Er  tritt  hier  als  Lyriker  vor  uns^ 
.aber  es  ist«  wie  schon  oben  bemerkt,  nicht  sein  er- 
.ste;:  Besuch,  ejr  gab  der  Literatur  vor  sechs  Jahren 
s^Jion  einen  Romaq,  der  in  unverdientem  Dunkel  blieb. 
i}ßüh  sind  es  die  ElrstUpge  seiner  Mute,  zum  Theil 
schon  in  jenes  epische  Werk  ei^geflochten,  die  er  mit 
jwenigen  finsteren    Geschenken   des  Genius   in   einen 
Strauls  gebunden  uns  hier  reicht.    Die  Mehrzahl  die- 
ser Lieder  nun  ist  als  naiv  in  dem  Sinne  zu  bezeicb- 
neu,  dafs  sie  in  der  Stimmung  des  Volkslieds  enipfan- 

Jahrb.  /.  tpU$enieh.  Kriäk.  /.  1830.  II.  Bd. 


gen  sind  3  mw  sieht  ihnen  an,  daft  sie  gelungen  jmit 
wie  der  Vogel  singt^  der  auf  dem  Xw,eige  iijt^^et,  durch- 
aus geworden^)  nicht  gemacht,  im  Ausdruck  schlicht; 
wie  das  Volkslied  Jansen  sie  sich  nicht  lesen,  ohne,  sie 
innerlich  oder  laut  in  die  Lüfte  zu  singen ;  dip  Empfin- 
dung ist  ganz  in  deir  Gestalt.  ansgesprocheUi  wie  sie 
in  dem  einfältigen  Geinuthe  des  Volke^  unverniisc^t 
und  unrefiectirt  waltet*    Haben  wir  -^ .  da  die  mittelal- 
terlich  naive  Gestalt  des  Bewufstseins  ein  integriren- 
des  Moment  des.  Romantischen  ist  —  diese.  Naivetät 
als  romantisch  zu  bezeichnen,  so  ist  in  jdiesem  Zpi- 
sammenhange  sogleieh  ein  wesentlicher  weiterer  Cha- 
rakterzug  dieser  Gedichte  hervorzuheben:  Mörike  liebt 
da^  Wundert^are^  das  Geister-  und  Mährebenhafte,  kurz 
das  Phantastische  in  einem  Grade,  in  welchem  nur  die 
norddeutschen  Romantiker,  aus  der  schwäbischen  Gxup- 
pe  blos  Just.  Kerner  es  zum  herrschendeju  Geiste  ihrer 
Poesie  erheben,  während  Uhland  und  Schwab  lieber  mit 
den  markigen  Gestalten'  und  Handlungen  gediegener 
Charaktere  verkehren^   und  das  Wunder,  wo   sie  es 
aufnehmen,  häufig  aus  der  Objectivität  heraus  als  blos 
inneres  Phänomen  in's  Bewufstsein  hineinrückra«  v^ie 
z.  B.  Uhland  in  seinem  trefl^lichen  pyDet  Waller*',  Eine 
strenge  ästhetische  Gesetzgebung  ifird  nun  allerdings 
behaupten,  dafs  das  moderne  Ideal^  wie  es  diMrch  Ver- 
schmelzung des  romantischen  Gehalts  mit  der  ^härfe 
der  klassischen  Form  nnsere  grofsen  Dichter  Goethe 
und  Schiller  hingestellt  haben,  Ein   für  a)l^mal  nicht 
eine  phantastisch-taumelnde,  sondern  eine  Welt  natur- 
gemäfser  und  innerhalb  der  Bedingungen  des  Naturge-' 
mäfsen  zum.  Ideale  gereinigter   Wirklichkeit  in   An- 
spruch nehme,  dafs  ebendaher  die  Romantik^  sofern 
sie  Poesie  des  Phantastischen  ist,  zu  den  ausgelebteUi 
Gestalten  des  Bewufstseins  zurückzulegen  sei.    Was 
ferner  die  Gesittung  und  das  geistige  Verbalten  über- 
haupt betrifft,  worin  die  Poesie  als  dem  Schauplatze 
ihrer  Darstellung  sich  bewegt,  so  wird  verlangt  wer- 

15 


115  E.    M9€rihpy 

den,  d«ffl  «0  die  Kftmpfe  des  modene n  Vewobtseme, 
die  Wirren  des-  fansendfaoh  gebrochenen  i^nd  «eflectir« 
'  ten  geiBtigen  Lioiitet)  das  Skeptische  und  Ironische  m 
«olenr  Zuständen .  keiileswegs  abweisen  itnd  dagegen 
«die-  retsclnniadene  altdentsobe  Einfalt  als  das  Höch- 
ste setzen  dürfe.  Ich  antworte;  der  wahre  Dichter  un- 
serer neunten  Zeit  wird  in  jenen  Gebieten  des  Unbe- 
stimmten, Traumartigen  und  der  glücklichen  Blindheit 
eines  unkritischen  Bewufstseins  freilich  nicht  seine 
bleibende  und  einzige  Wohnstätte  aufschlagen,  diese 
Klänge  werden  nur  unter  anderen  auch  bei  ihm  Tor- 
komroen;  aber  sie  werden,  wenn  wir  ihm  das  speci- 
fisch-Poetiscbe  in  ungemischter  Aechtheit  sollen  zuer- 
kennen dürfen.  Es  ist  nicht  die  höchste  und  reinste 
Gestalt  der  Phantasie,  wo  sie  traumartig  phantastisch 
wirkt,  aber  wer  eine  reiche  Phantasie  hat,  der  wird 
ihr  neben  der  höheren  und  rein  idealen  Thätigkeit 
gerne  auch  diese  Spiele  gönnen,  wie  Raphael,  der- 
selbe, der  die  Sixtinische  Madonna  malte,  mit  grofser 
Vorliebe  die  Arabesken  im  Vatikan  ausführte.  Er  wird 
dazu  lun  so  mehr  berechtigt  sein,  weil  die  Poesie  dem 
platten  Verstände,  der  von  ihr  nur  eine  Kopie  der 
Dinge  in  ihrer  gemeinen  Deutlichkeit  erwartet,  Ton 
Zeit  zu  Zeit  in  phantastischer  Gestalt  entgegentreten 
und  ihm  ihr  zauberisches  Traumgesicht  zeigen  mufs, 
anf  dafs  sein  Herz  erschrecke  und  er  sehe,  dafs  er 
sich  getäuscht  habe,  wenn  er  in  der  Einfachheit  und' 
Klarheit  des  poetischen  Ideals  Zugeständnisse  für  seine 
prosaische  üVelfansicht  zu  finden  glaubte,  dafs  der  poe- 
tische Genius  die  Dinge  nicht  läfst,  wie  sie  sind,  sondern 
auf  einen  neuen,  geistigen  Boden  versetzt  upd  umge- 
staltet. Ebenso,  was  die  Gestalt  des  vom  Dichter 
dargestellten  Bewufstseins  betrifft,  ist  die  schlichte  Un- 
b^wufstheit  des  Volkslieds,  seine,  wortarme  Innigkeit 
allerdings  nicht  die  Gesittung  und  Stimmung,  auf  wel- 
che ein  modemer  Dichter  die  Poesie  kann  beschrän- 
ken wollen;  aber  wenn  er  sich  diejenige  NaiVetät,  wel-* 
ehe  hei  allem  übi^igen  Unterschiede  in  den  Graden  der 
ReBexion  des  Bewufstseins  auf  sich  selbst  ein  spezifisches 
Merkmal  der  Poesie  aller  Zeiten  bleiben  mufs,  rein  bewahrt 
hat,  so  wird  er  diefs  unter  Anderem  immer  auch  dadurch 
beweise;!^  dals  er  naive  Lieder  im  engeren  Sinne  der 
volksthümlichen  Naivetät  dichtet.  Es  ist  nicht  die  ein- 
zige, aber  es  ist  eine  Probe  des  IXchters,  dafs  er  auch 
in  dieser  Region  sich  unbefangen  bewege,  und  ich  g^ 
'stehe:  wenn  man  mich  fragt,   ob  derjenige  Grad  von 


Oediehte.     '  116 

ReflsKioa  und  Bewufstheit,  den  die  Gedichte  Riiokefla 
an  der  Stirn  trageh,  nicht  über  die  Grenze  der  äohteki 
Poesie  hinausgehe,  so  suche  ich  bei  ihm  eift  Med,  «Ca 
reines  lied  im  Tone  der  Naivetät,  der  Tolksthämiichea 
Stimmung)  ich  suche  und: finde,  dafs«  er,  wo  er  lukw 
sein  will,  sich  immer  nicht  enthalten  kann,  witzig  in 
sein,  und  nun  zweifle  ich,  bei  aller  übrigen  gereohtea 
Bewunderung  seiner  Kunst,  ob  wir  ihn  unter  die  Dieh- 
iet  zählen  dürfen,  bei  denen  das  specifiscfa*  Poetische 
rein  und  nnvermischt  wirkt.  Gehe  ich  aber  an  IThlmdi 
Haus  vorüber,  sehe  ich  eine  IVoppe  von  Handwerks- 
nurschen  Arm  in  Arm  vorüberziehen,  und  höre  sie  mit 
dem  Aasdruck  der  innigsten ISmpfindung  singen:  „Ich 
hatf '  einen  Kameraden"  u.  s«  w.,  unbewufst,  wer  der 
Verfasser  sei,  nicht  ahnend,  dafs  er  ihnen  ans  dem 
Fenster  zuhdrt,  dann  weifs  ich  gewifs,  dafs  Dhland  ein 
ächter  Dichter  ist. 

Wir  haben  aber  erst  die  eine  Seite'  unseres  Dich- 
ters in's  Au^e  gefafst,  die  naive.  Der.  Bruch  mit  der 
Naivität  hat  seiniDn  Ursprung  in  einem  Bruche  des 
Geistes  mit  der  Natur  und  Unmittelbarkeit  überhaupt. 
Die  zwei  Flüsse,  Natur  und  Geist,  gingen  im  Altet^ 
thum  vereinigt  in  Einer  Strömung,  das  Christenthom 
rifs  sie  auseinander,  um  sie  hoher  zu  versöhnen.  Wir 
schiffen  auf  dem  einen  und  blicken  sehnsüchtig  nach 
den  Ufern  des  andern  hinüber  —  was  Schiller  senti- 
mental nenht.  Ruht  der  naive  Volksdichter  noch  halb 
unbewufst  in  der  Substanz,  so  blickt  der  sentimental« 
mit  wehmüthigem  Auge  nach  ihr,  von  der  er  sich  ge- 
trennt weifs,  hinüber,  wie  nach  dem  ycrloreneu  Glädce 
der  Kindheit.  B/si  diesem  Gefühle  des  Gegensatzes 
darf  es    nicht  bleiben,    diefs   wäre  die   falsche,    die 

schwächliche  Sentimentalität.    Er  wird  die  Natur  wie* 

« 

der  zu  sich  herüberziehen,  an  seiner  Brust  erwärmem, 
und  sie  wird  wie  Pygmalions  Statue  vom  leblosen  G^ 
stelle  steigen.  Ist  es  überhaupt  Aufgabe  des  ästbeti* 
sehen  Ideals,  dafs  es  Personbildend  sei  (man  gestatte 
mir  Schleiermachers  genialen  Ausdruck),  so  wird  nun 
der  Dichter  stets  die  vor  dem  Verstände  und  jeder 
prosaischen  Betrachtung  getrennten  Hälften  der  Welt, 
Subjec^t  und  Object,  Natur  und  Geist  zu  Einem  Gan- 
zen vermählen,  so  daft  der  Eine  Mensch  wieder  dUp' 
steht,  der  in  der  Urzeit  in  bewufstloser  Unschuld  sich 
als  Einheit  von  Seele  und  Leib  genofs,  dann  ^ureh 
Schuld  und  Zerrissenheit  seine  Einheit  einbfifste,  um 
sie   verdoppelt  wiederzagewinnen.     Der  Dichter  wiitt 


117 


E.    iir  #  •  #>  iJb  s^    &^  di  eA  t  9. 


Ufi 


-4tor  Nttttftr  «10  Aiigi  feSeii,  daii  de  |^b%  Utok«,  «od 
Mal»  Muttd,  dar«  sje  fede$  er  iritS  den  Me«scken  mit 
Aemie  und  Erde,  Find»  und  WaU  wieder  lo  des  ur- 
-s^Dgliolieii  Rapport  eetxeii  und  aii^  die  Bnitt  der 
Matter  snrttokfubreb,  er  wird  Sadnrch  die  ganze  ge- 
waltige EracliatteruBg  herrorbriageD,  wie  aaeli  Plato 
^r  Weise  staanetid  etschrickt,  Ton  der  Aw^vffotq  der 
ewigm  Idee  der  Schönheit  ttherraecht,  wenn  er  eine 
•ckdoe  Gestalt  erbliekt.    löh  heffe,  dnrdi  wenige  Pro- 
b«ti  dannithun,    dars  unser  Dichter  den   Zanberstab 
fttturt^  diese  Beseelnng  der  Natur  und  diese  Naturwer- 
*diuig  des    6eistes>    wodurch  die  Persönlichkeit  des 
•WeltaHs  hergestellt  wird,  zu  bewirken. 

Aber  nicht  nur  die  ftufsere  Natur  ist  durch  jenen 
'Brseh  des  Bewufstseins  uns   zu  einem  gegenttberste- 
JiendeA  Objecte  geworden,  das  wir  auTs  Neue  erst  wie- 
der  herübenHibringen    streben,   auch  da»  Bi^wufstsein 
^  de«  Sabjects  hat  sich  in  sich  Tei^ppelt,  das  Ich  ist 
•aiok  selbst  in  einer  Schärfe  der  Trennung,  die  keinem 
-früheren   Bildungszustande  möglich  war,    Object  ge- 
worden,  nnd  in  der  modernen  Poesie  wird  daher  auch  * 
d#r  Mensch  al»  ein   sich  selbst   gegenüberstehendes 
l|Bd  sieh'  suchttides  Wesen  erscheinen,  er  wird  sich 
als  «ein  Doppelganger  ia's  Auge  sehen  und  sich  als 
«emen  alten  Bekannten  wiederfinden,  er  wird  sich  sei- 
lte erinnern.    Dem  Manne  wird  an  der  Stätte;  wo  er 
seine  Jugendjahre  durchlebt,  der  Knabe  begegn^n^  der 
er  war;   die  Gestalten  seines  Bewufstseins,  durchlebt 
eder   noch  gegenwärtig,   werden  ihm  im  Spiegel-  err 
eebeiaen,  das  Gefühl  wird  sich  selbst  besdiauen,  ohne 
darum  seine  Wahrheit  zu  verlieren,  selbst  der  Witz 
wird  in  'den   Wogen  der   eigenen  Gemüthswelt  seine 
Delphine  schersen  lassen,  ohne  sie  darum  zu  trQben; 
|a  die  Mängel  der  eigenen  Indiyidualität  und  jeder  an- 
dern wird  der  Geist  im  Bewufstsein  jder  Nothwendig- 
keit  dieses  Widerspruchs  biimoristisch  belächeln.  Doch 
dafs  wir  nicht  sogleich  yon  tieferer  Komik  hier  reden; 
Bt^rikes  Lianne  klingt  in  dieser  Sammlung  nur   als 
epigrammatischer  Witz  und  hier  und  da  in  Balladen 
»^Bla^  phantastische  Komik,  den  eigentlichen  Humor,  der 
nicht  dn  einzelnes  Bild  oder  ein  Witz,  sondern  eine 


ernsten  Figuren  dem  Gänzen  ein  AccdmpngMme^t  der 
tiefsten  Ironie  giebt,  um  so  oMfhr,  da  die  hnmoristr- 
sehe  Lannedes  Schauspielers  Larkeas  anf  Mdancbo-' 
lie  ruht  Hier  ist  Ton  dem  Uebergange  in  Allgemei- 
nen zu  reden,  den  Mörike's  Mnse  aus  der  Dämmerung 
-volksthümlicher  Naivetät  in  das  bisher  bezeichnete 
Reich  des  bewufsten  Geistes,  in  das  helle  licht  der 
Besonnenheit  ^  und  kfinsüerisoben  Weisheit  genom- 
men hat« 

Offenbar  nun  ist  eß,  die  Universalität  und  sehdne 
Humanität  des  Gemüths  als    erste  Bedmgnng  natür- 
lich yorausgesetzt,  der  Geist  der  Griechen  undRdmei^ 
der  in  ihm  die  Vereinigung  .der  germmiisehen  Innigkeit 
und  der  nordisdien  Phantasie  mit  der  hellen  und  hei- 
teren Form   der  höheren   kfinstlerisohen  Bewulstheit 
vermittelt  hat    Die  griechischen  und  römischen  Elegi- 
ker  Torzüglich  und  das  alte  Epigramnv  scheinen  von 
grofsem  JSinflnfs  auf  ihn  gewesen  zu  sein.  Der  heitere;, 
-harmonische  Geist  der  alten  Lyrik,  wo  auf  mäfsig.  er- 
regten Wellen  des .  Gefühls  oder  Affects   der  Geist 
sich  im  Kahne  der  Betrachtung  schaukdt,  und  bald 
fröhlich  bald  wehmilthig,  das  Maafs  des  Schönen  nie- 
mals überspringend,  in  das  Spiel  hinuntersieht,  diese 
Grazie,  dieses  Ebenmaafs,  wie' es  ihm  freilich  in  noch 
höherer  Bedeutung  aus  dem  Epos. und  der  Tragödie 
der  Griechen  und  aus  Goethe,  dem  modenen  Hörnet, 
entgegentrat,    um  ihn  zu  gröfsereu'  Und  objectiveren 
Dichtwerken  zu  begeistern :  diefs  war  es,  wi^s  unsere 
Dichter  aus  dem  Schattenreich  der  Träume  in  den  liel- 
lea  Aether,  aus  dem  gothischen  Dunkel  in  die  lichten 
Säulengänge  der  Weisheit  heraufführte«    Ich  rede  hier- 
nicht  nur  von  denjenigen  seiner  Gedichte,  welche  nach 
Inhalt  und  Form  antik  sind,  sondern  auch  von  solcheu, 
die  ganz  das  romantische  Gemfith  athmen  mit  seinem 
Mysticismus  und  der  Unendlichkeit  des  ionem  Naob- 
halls,   den   jede  angeschlagene  Saite  in  ihm  weckt: 
auch  diese  erscheinen  \durch  dieiie  Klärung  und  Lich- 
tung des  Formsinns  in  einer  so  edlen  und  ideellen 
Form,  wie  Goethe,  Schiller,  Hölderlin,  genährt  vom 
GeninS' der  Alten,  sie  in  ihre  Gewalt  bekamen.    Wo 
aber  der  Dichter  wurklich  in's  alte  Hellas  wandert  und 


I  • 


Weltanschauung  ist,  hat  er  sich  für  das  epische  Feld'  in  seinen  Tempeln  die  alten  Götter  auftncht,  da  am 

vorbehalten,  wie  denn  der  Roman  Maler  Nolten  in  Lar-  'bestimmtesten  ist  er  mit  HöldMin  zu  vergleichen.  Die 

kens  und  in  dem  Barbier  Wispel  zwei  treiFliche  hnmo-  alte  Mythologie  ist  f&r  uns  eine  Sammlung  abgebleich- 

ristische  Figuren,  jene  im  hohen,  diese  im  niedrigeren  ter  Gestalten,  wir  wissen,   es  sind  allgemeine  Poten- 

Style,  aufzuweisen  hat,  deren  Binfiihruog  zwischen  die  zea,  Krieg,  Reoht^  Liebe,  Wein  a.  s.  w»,  die  hier  ver- 


tiODbildliciU  t|iid,  «Ad  -sie  erschelnsB  au  daber^  in  dar  ' 
Jetoigea  Eonst  ■  und  PMsie  Mojigealinit^  als  kalte  Ak 
legiytftea,    «#  laoge  der  Dichter   sieht  die  Scftopfer- 
kraft  hat,  diese  Sobatten  nea  za  belaben.    Bieb  kaoa 
thm  mir  gelingoO)    Vena  er   (freilich  klarer  uad.  mit 
blofl  poetischer  Illusion)   den  Prbzers  in  sich  vieder» 
holt)    wodorch  die  GMIer   entstanden«    Es  hat  vohl 
noch  Jetst  Jeder  solche  Momente,  wo  es  ihm  pldtalich 
ganz  begreiflich  wird,   wie  die  Alten  ai^  die  Diohftnng 
der  Götter  kamen;  es  sind  Momente,  wo  wir  auf  ekla- ^ 
tahte  Weise  eine  natürliche  oder  sittliche  Macht  in  ih- 
rer   gansen  Bestimmtheit    und  Nothwendigkeil   jedes 
Eiszelne,  das  sie  umfafst,  überwinden  und  widerstands- 
los sich  ausbreiten  sehen.    Ein  pldtxlioher  Sehrecken 
ergreift  eine  Masse,   oder  ein  ptötsKoher  Math;  ebe 
gewaltige  Bewegung  der  Phantasie  rerscblingt  in  ei- 
nem Subjecte  die  nüchterne    Besonnenheit   des  Ver- 
standes und  redet  ans  ihm   in  der  Sprache  dunkler 
Bilder;  die  Leidenschaft  der  Liebe  reifst  jeden  Vor- 
sats,  den  ihr  der  Wille  eatgegenzustemmen  sucht,  mit 
fort;    der   Wein    benebelt   Sinn  and  Verstands   hier 
scheint  eine  Nothwendigkeit  gegeben,  deren  Zusaoi- 
menbang  sich  durch  kein  vermittelndes  Denken  expU- 
dren  lasse,  die  Alten  standen  ohnediefs  nicht  auf  dem 
Standpunkte  des  Pragmatismus,  der  andr  Gründen  'Or- 
kl&rt  und  die  Grenze  der  Beobachtung  überhaupt  oder 
der  Selbstbeobachtung   ward  (wie  Sclileiermacher  es 
Boharfsinnig  von  dem  christlichen  Glauben  an  den  Sa- 
tan nachweist),  dadurch  mit  bunter  Hülle  verdeckt,  dafs 
man  den  Grund  der  Erscheinung  ans  dem  Innern  des 
Subjects  oder  aus  den  Naturzusammenhang*  hinauswarf 
in  eine  anfserweltlicbe  Person  nnd  sagte:  das  hat  ein 
Gott  gethan.    Ebenso,  auch  (|hne  Beziehung  auf  das 
subjective  Leben,  wenn  wir  das 'Wirken  einer  Natiir- 
potenz  in  seiner  Prägnanz,  wie  sie  Alles,  was  in  ihre 
SphUre  fällt,  mit  siegreicher  Sicherheit  trägt,    nährt 
öder  zerst^rt^  in  ästhetischer  Stimmung  betrachten,  so 
weiden  wir  uns  leicht  in  die  Anschauung  hineinfü|(len, 
dafe  hier  ein  Gott  walte.    Das  Licht :   wie*  nahe  liegt 
es,  dieses  alle  Räume  durchfliegende,  siegreiche,  ma- 
nifedtirende  Wesen  au  vergattern  I  In  diesem  Geiste 
hat  Hölderlin  ,^An  den  Aether''  den  Drang  aller  We- 
aen  nach  freier  Luft,  an  sich  eine  ganz  einfach  physi- 
sche Erscheinung,    die  dem  Naturforscher  nichts  ak 


«n  Bedfirfnifa  ton  Saneistoff  n.  s«  w«  iAi  fo  edet  i» 
^esteUt^  dafii  uns  -  der  Luftraam  gana  von  selbst  n 
•inesa  Sulyee^^  sn  einem  Gott  wird.  Wur  werden  Asb 
liebes  bei  Moerike  inden*  Natfiriich  wird  der  geiuMaii 
sehe  Dichter  diesen  Göttern  eisien  Zug  von  Geistigkdi 
und  Verkianmg  leiben,  den  sie  in  ihrer  alten  Heimstl 
nicht  hatten,  wie  Goethe  auch  deriphigenie  sein-defA* 
sches  Hera  ehihauchte,  wie  Uhland  im  Vor  sacrom  » 
Der  düsteren  Vorstelliiag  emeo  wohttbnend  edlen  T« 
im  Geiste  der  Humanität  hellerer  Zeiten  lieh.  Ubisai 
hat  ebenfalls  aus  dem*  gothischen  Dämmerscheine  a 
einer  idealen  dassicitiU:  den  Uebergang  gefunden :  a«l 
innerhalb  der.  volksthnmlichen  nnd  mitteialterlicki 
Spare  liebt  er  das  Klare  nad  Gediegene,  scharf  vs 
rissene  Charaktere,  während  Moerike,  wo  er  in  dtsü 
Sphäre  verweilt,  im  Geiste  eines  Arnim  und  Breotai 
die  Phantasie  durch  Nebelheiden  schweifen,  auf  schsift 
bendem  Rappen  an  Sylphen,  und  Feen  vorübeijaga 
läfst.  Seine  Phantasie  ist  in  diesem  Gebiete  trävm 
rischer,  schwelgerischer,  verweicblichter  und  venuig» 
ner,  als  die  üblandscbe,  der  gerade  diejenige  Trock# 
heit  im  rechten  Maafse  besitzt,  die  der  Poesie  jk 
sichere  und  feste  Basis  so  notb wendig  ist,  als  dsi 
Körper  die  Ferse  und  der  Ballen,  um  sich  fest  an  d9 
Boden  zu  stemmen.  Einigen  Liedern  fehlt  aber  aod 
Ublands  und  Schwabs  körnige  Bestimmtheit  nicht,  vd 
in  weiteren  Sphären  erhebt  er  sich  entsohiedea  n 
künstlerischer  Klarheit 

Hat  sich  dieses  offene  Gemuth  auch  d^d  Schise^ 
zen  und  Leiden  des  modernen  geistigen  Lebens  • 
schlössen  ?  Dafs  die  Gestal^  der  zerrissenen  Sobjecüs- 
tät  ihm  nicht  fremd  ist,  beweist  eine  der  scböoflla 
Parthieen  im  Maler  Nolten,  Welche  sich  doch  von  jeda 
häfslichen  Disharmonie  nnd  negativen  Ironie  Kaaz  feiM 
hält.  Als  Lyriker  aber  bleibt  er  ganz  im  Geleise  # 
ner  harmonischen  Stimmung ;  die  Töne  des  Schmana 
werden  nie  zum  wilden  Schrei^  die  Wunden  beikp 
leicht,  es  ist  hier  nichts  Titanisches,  nichts  Qyrai^; 
sches  tXL  sehen.  Sein  Genius  erscheint  in  dieser  Mitt 
mehr'  als  ein  weiblicher,  denn  als  ein  männlieber,  Mi 
fühlt  jenen  Geist  der  Sänftiguog  aUes  WMm,  P 
Ebnuug  alles  Unebenen  nnd .  Heihmg  uUm  Tefilin 
ten,  den  eine  edle  Weiblichkeit  um  sich  verbrflM^ 


(Die  Fortoetziing  folgt.) 


IV  1  8  s  e  n 


J^  16. 

J  a  h  r  h  ü  c  h  er 

ff 
Vi  V 

schaftliche 


K.  r  i  t  i  k. 


Juli  1839. 


.  f 


ßedicAte  von  Eduard  Moerile. 


(Fortsetzang.)    > 

Am  weDigsten  wird  der  Wohlaebmecker^  der  das 
Wildj^ret  our  im  Ueb^rgange  zurFftuloifs  liebt,  ib  diesem 
Bnohlein  seine  BeeiiDQDg  fiadeD,  er  wird  Bicbts  tob  dem 
haut  g|Ottt  ^  der  Blasirtheit  uad  Abgeschlagei^heit  eat- 
deoken.  Uoser  Diebter  ist,  wie  billig,  in  natürlioben 
'Dingen  unverblümt,  die  Sinnliebkeit  pulsirt  in  yoUer 
Kraft,  aber  es  ist  die  Kraft  der  Jugend,  nicht  der 
kflnsüiehe  Reiz  abgesehwllcliter  Natur.  <  Man  halte  uns 
nicht  füx  pedantisch )  es  sollen  der  Dichtkunst  objeetir 
keine  Grenzen  gesteckt  werden,  sie  beleuchte  immer 
mit  ihrer  Fackel  die  dunkelsten  Falten  des  Seelenle- 
bens, 'sie  lasse  uns  den  ganzen  Trotz  prometbeischer 
"EmpSrung  sehen,  sie  durcbwandre  die  Höhlen  der  tie& 
atett  Verwirrung  und  Yerimmg;  sie  fahre  kühnlich  iil 
die  Hölle,  wie  die  Liegeode  von  Christus  erzählt.  Nur 
ihr  Engel  verlasse  sie  nicht  Und  so  lange  kein  Dich- 
ter da  ist,  der  die  Wehen  des  jüngsten  Zeitgeistes 
treu  an  der  Hand  dieses  Begleiters  'durchwandert  hat, 
peien  wir  zufrieden,  eine  edle  Muse  mit  rein  hannoni- 
aohen  Gestalten  verkehren  zu  sehen. 

Wir  wollen  jetzt  ansem  Dichter  durch  die  in  un« 
bestimmtem  Umrisse  ibezeichneten  Sphären  begleiten 
and  uns  dadurch  das  Bild  seiner  Persönlichkeit  ta  in» 
dividneller  Bestinaniheit  erbeben. 

Niebl  wenige  dieser  Lieder  bewegen  sich  so  na^ 
tSilich  und  so  giiBZ  von  selbst  im  Elemente  der  Naive- 
tät,  dafs  man  schlechtweg  sagen  mufs :  diefs  sind  Lie- 
detf  ächte  Lieder,  dafs  man  bei  den  ersten  Zeilen 
sehen  van  Weitem  jene  Metodien  faörf,  nach  welchen 
jange.  Bursche  und  Dirnen  des  Sonntags  unter  der 
Linde  des  Dorfes  ihre  alten  Lieder  singen.  Man  lese 
•folgenden  eidfachen  KJang   aus  dem  Herzen  treulos 

verlassener  Liebe: 

lakrh.f.  wuuMck.  KriHk.  J.  1830.   IT.,B4. 


Agnes  (S.  76). 

Roiemtül  Wie  icknell  vorbtiy, 

Schnell  vorbei 
Bist  du  doch  geg&ngenl 
War  siem  Lieb  nur  blieben  treu^ 

Blieben  treu, 
Sollte  mir  nicht  bangen.  ^ 

Um  tUe  Emie  wohlgemulky 

Wohlgemu^iy 
Schnitterinnen  tingen* 
Aber  acht  mir  kranken  Blui^ 

Mir  kranken  Blmi 
Will  nichts  mehr  geUt^gen. 

Schleiche  $o  iurch'e  Wieeen^ai^ 

So  iureh'e  Thal, 
AU.  im  Traum  verhrenj 
Nach  dem  Bergj  da  tarnend  Mal, 

Tausend  Mal 
Er  mir  Treu  geschworen.  ^ 

Oben  auf  des  Hügels  Rrnnd^   , 

Abgewandi, 
Wein*  ich  bei  der  Linde, 
An  dem  Hui  mein  Rosenband, 

Von  seiner  Hand, 
Spielei  in  dem  Winde.' 

Hier  ist  nichts  zu  dechimiren,  keine  Rhetorik,  man 
mufs  singen)  sogleich  singen,  mari  hört  schon  idner- 
Ifdi  die  Töne  des  wehitiuthsvonen  Refrains  im  Echo 
der  Thäler  verklungen,  so  hinschwindend,  so  vergehend, 
wie  die  Gestalt,  die  wir  vor  uns  sehen  und  die  nichts 
ist  als  eine  todfkranfce  Erinnerung  an  ein  entschwun- 
denes Glück)  sie  sagt  es  nichts  nur  in  abgebrocheneil 
Lauten  entbindet  sich  der  Schmerz,  aber  sie  üt  es; 
Dadurch  ist  Ohr  und  Auge  der  Phantasie  gerade  so, 
wie  ef  durdi.die  ächte  Lyrik  soll^  angesprochen,  wir 
sehen  vor  uns  und  hören  diese  tönende' Gestalt  der  (Ja* 
gläcklielieri,  Sinn  und  Musik  feilen  in  Eins,  und  unsei^ 
ganzes  Hers  kltegt  und  tönt  sympathetisch  mit    Ditf 

16 


11§  £.   'M  •  €  r  ik  0y 

sioDbiMüeht  tind,  «6d  sie  enekdiMB  ans  dabei^  in  dar 
jettigtfo  EoDit  und  Paesie  iMH^geahmt,  als  kalta  Al-^ 
l^gdrieesy    «a  lasga  der  Dichter   nicht  die  Scköpfer- 
kMft  hat,  diese  Schatten  neu  za  beleben.    Bieb  kann 
ihm'  nnr  gelingen,    venn  er   (freilich  iilarer  und  mil: 
blofl  poetischer  Illusion)  den  Prosers  in  sich  wiadcr» 
holt,    wodarch  die  Gdtter  entstanden.    Es  hat  wohl 
no6h  jetat  Jeder  solche  Momente,  wo  es  ihm  pldtalich 
ganz  begreiflich  wird,   wie  die  Alten  a^f  die  Diohinng 
der  Götter  kamen;  es  sind  Momente,  wo  wir  auf  ekla*^ 
tante  Weise  eine  natürliche  oder  sittliche  Macht  in  ih- 
rer   gansen  Bestimmtheit   nnd  Nothwendigkeit   jedes 
Einxelne,  das  sie  umfafst,  überwinden  und  widerstands- 
los sich  ausbreiten  sehen.    Ein  plötxlicher  Schrecken 
ergreift  eine  Masse,   oder  ein  ptötslicher  Mnth;  eine 
gewaltige  BewOgnng  der  Phantasie  rerschlingt  in  ei- 
nem Subjecte  die  nQchteme    Besonnenheit  des  Ver- 
standes und  redet  aus  ihm   in  der  Sprache   dunkler 
Bilder;  die  Leidenschaft  der  Liebe  reifst  joden  Vor- 
satz, den  ihr  der  Wille  entgegenzustemmen  suchte  mit 
fort;    der   Wein   benebelt   Sinn  and  Verstands   hier 
scheint  eine  Nofhwendigkeit  gegeben,   deren  Zusam- 
menhang sieb  durch  kein  vermittelndes  Denken  expli^ 
dren  lasse,  die  Alten  standen  ohnediefs  nicht  auf  dem 
Standpunkte  des  Pragmatismus,  der  an«r  Gründen  'er- 
klärt und  die  Grenze  der  Beobachtung  überhaupt  oder 
der  Selbstbeobachtung    ward  (wie  Sclileiermacher  es 
scharfsinnig  von  dem  christlichen  Glauben  an  den  Sa* 
tan  nachweist),  dadurch  mit  bunter  Hülle  verdeckt,  dafs 
man  den  Grund  der  Erscheinung  aus  dem  Innern  des 
Subjects  oder  aus  den  Natnrsusammenhang-  hmauswarf 
.  in  eine  aafserweltUcbe  Person  und  sagte :  das  hat  ein 
Gott  g^han.    Ebenso,  auch  qhne  Beziehung  auf  das 
aubjective  Leben,  wenn  wir  das  Wirken  einer  Natnr- 
potenz  in  seiner  Prägnanz,  wie  sie  Alles,  was  in  ihre 
Sphäre  ftLllt,  mit  siegreicher  Sicherheit  trägt,    nähit 
öder  zerstört,  in  ästbetiBcher  Stimmung  betrachten,  so 
weiden  wir  uns  leicht  in  die  Anschauung  hineinfülilen, 
dafe  hier  dn  Gott  walte.    Das  Lioht :   wie  nahe  liegt 
es,  dieses  alle  Räume  durchfliegende,  siegreiche,  ma- 
nifcfitirende  Wesen  an  vergStternI  In  diesem  Geiste 
hat  Hölderlin  ,^An  den  Aether''  den  Drang  aller  We- 
sen nadi  freier  Luft,  an  sich  eine  ganz  einfadi  phjsi- 
adie  Erscheinung,    die  den  Naturforscher  nichts  ak 


«tt  BedOrfnifa  tan  -fianerstoff  n.  s.  w«  iftt^'  ao  edd  i» 
^tettt,  dafii  uns  -  der  Luftranm  ^a  von  selbft  u 
einem  Sulyect^  sä  einem  Gott  wird.  Wur  werden  Asb 
liehen  bei  Moerike  inden»  Natfirtich  wird  der  germsil- 
sehe  Diohter  diesen  Götlaem  einen  Zug  von  Geistigfcdi 
nnd  Verklarvng  leihen,  den  sie  in  ihrer  alten  Hehnatt 
nicht  hatten,  wie  Goethe  auch  deriphigenie  sein,  denk 
sches  Hen  ehhauchte,  wie  Uhland  im  Vor  sacrom  « 
ner  düsteren  Vorsteilaag  einen  wohtthuend  edlen  T«i 
im  Geiste  der  HumanitU  hellerer  Zeiten  lieh.    Uhlsd 

• 

hat  ebenfalls  aua  dem.  gothischen  Dämmerscheine  n 
einer  idealen  Classicität  den  Uebergang  gefunden :  aod 
innerhalb  der.  volksthömlichen  und  mittdalterlidM 
Spare  liebt  er  das  Klare  nad  Gediegene,  scharf  xm 
risseae  Charaktere,  während  Moerike,  wo  er  in  disil 
Sphäre  verweilt,  im  Geiste  eines  Arnim  und  Breotai 
die  Phantasie  durch  Nebelheiden  schweifen,  auf  aehsaft 
bendem  Rappen  an  Sylphen,  und  Feen  vorüherjaga 
läist.  Seine  Phantasie  ist  in  diesem  Gebiete  traos» 
rischer,  schwelgerischer,  verweicblichter  und  Tersogl 
ner^  als  die  Uhlandscbe,  der  gerade  diejenige  Treck» 
heit  im  rechten  Maafse  besitzt,  die  der  Poesie  ab 
sichere  und  feste  Basis  so  not h wendig  ist,  als  «kl 
Körper  die  Ferse  und  der  Ballen,  um  sich  fest  an  i^ 
Boden  zu  stemmen.  Einigen  Liedern  fehlt  aber  aad 
Ublands  und  Schwabs  körnige  Bestimmtheit  nicht,  mi 
in  weiteren  Sphären  erhobt  er  sich  entschieden  n 
künstlerischer  Klarheit« 

Hat  sich  dieses  offene  Gemfith  auch  den  Sdfasai 
aen  und  Leiden  des  modernen  geistigen  L«ebens  et 
schlössen  ?  Dafs  die  Gestalt  der  serrissenen  Sufajectiri 
tat  ihm  nicht  fremd  ist,  beweist  eine  der  sohönsta 
Parthieen  im  Maler  Nolten,  irelcbe  sich  doch  von  jeds 
häfslichen  DisJ^rmenie  und  negativen  Ironie  Rans  fem 
hält.  Als  Lyriker  aber  bleibt  er  gaaa  im  Geleise  a 
ner  harmonischen  Stimmung ;  die  Töne  des  Schmcna 
werden  nie  aum  wilden  Schrei^  die  Wanden  heila 
leicht  9  es  ist  hier  nichts  Titanisches ,  nickts  ^jW' 
sches  KU  sehen.  Sein  Genius  erscheint  in  dieser  MiUi 
mehr'  als  ein  weiblicher,  denn  als  ein  männUeber,  bü 
fühlt  jenen  Geist  der  Sänftigung  alles  Willen,  i« 
Ebnuug  alles  Unebenen  and .  Hdikmg  Mm  .VenUt 
ten,  den  eine  edle  Weibliahkeit  um  sich  verkeÜd 


(Die  FoTtietzung  folgt) 


1^  1  js  8  e  n 


Ji  16. 

J  a  h  r  b  u  c  h  e  r 

für 

s  c  h  af  t  liehe 


Kritik. 


Juli  1839. 


jQediekte  «oi>  Etbiard  Moerike. 

(Fortoetzang.)    > 

Am.  wenigsten  wird  der  Wohlsebmecker,  der  dae 
Wilderet  nur  im  Uebexgai^e  zurFäuInifs  liebl^  ita  diesem 
BacUein  seine  Reohnung  finden,  er  wird  nichts  von  dem 
hant  gout  ^  der  Blasiitheit  nnd  Abgesehlagei^heit  ent- 
decken. Unser  Dichter  ist,  wie  billig,  in  natiirlioben 
'Dingen  unverblümt,  die  Sinnlichkeit  pnisirt  in  voller 
Kraft,  aber  es  ist  die  Kraft  der  Jugend,  nicht  der 
kfliiBtliche  Reiz  abgeschwächter  Natur.  <  Man  halte  uns 
nicht  für  pedantisch  i  es  sollen  der  Dichtkunst  objectif 
keine  Grenzen  gesteckt  werden,  sie  beleuchte  immer 
mit  ihrer  Fackel  die  dunkelsten  Falten  des  Seelenle- 
bens, 'sie  lasse  uns  den  ganzen  Trotz  prometbeischer 
EmpSrung  sehen,  sie  dnrchwandre  die  Höhlen  der  tie& 
aten  Verwirrung  und  Yerimmg;  sie  fahre  kfihnlich  ia 
die  Hölle,  wie  die  Legende  von  Cfaristaft  erzählt.  Nur 
ihr  Engel  verlasse  sie  nicht  Und  so  lange  kein  Dich- 
ter da  ist,  der  die  Wehen  des  jüngsten  Zeitgeistes 
treu  an  der  Hand  dieses  Begleiters  'durchwandert  hat, 
peien  wir  zufrieden,  eine  edle  Muse  mit  rein  hannoni- 
Bcben  Gestalten  verkehren  zu  sehen. 

•  .  ■  * 

Wir  wollen  jetzt  wsem  Dicbter  durch  Ae  in  un« 
bestimmtem  Umrisse  ibezeichneten  Sphären  begleiten 
imd  uns  dadurch  das  Bild  seiner  Persönlichkeit  zu  in» 
dividueller  Bestimmtheit  eiheben. 

Nk^ht  wenige  dieser  Lieder  bewegen  sich  so  na- 

tfiilich  und  so  gqnz  von  selbst  im  Elemente  der  Naive- 

tftt,  dafs  man  schlechtweg  sagen  nrafs:  diefs  sind  Zft!^- 

detf  ächte  Lieder,  dafs  man  bei  den  ersten  Zeilen 

aebsn  vevi  Weitem  jene  Melodien  bort,  nach  welchen 

jwi^.  Bursche  und  Dirnen   des  Sonntags  unter  der 

Linde  des  Dorfes  ihre  alten  Lieder  singen.     Man  lese 

'folgenden  einfachen  Kiang   aus  dem  Herzen   treulos 

Terlassener  Liebe: 

Jahrb.  f.  wü$en$ch.  Krtük.  J.  1830.   II.,  Bd. 


Agnes  (S.  76). 

BotenzeUl  Wie  ichnell  vorbiiy 
Schnell  vorbei 

Biet  du  doch  gegemgenl 

Wir  metn  Lieb  nur  blieben  treu^ 
Sueben  treu. 

Sollte  mir  nicht  bangen» 


Um  He  Ernte  »ohlgemuAy 

Wohlgemuihy 
Schnitterinnen  eingen» 
Aber  aehl  mir  kranken  ßluiy 

Mir  kranken  Slui 
Will  nichte  mehr  gelingen. 

Bchleiehe  eo  dureh'e  Wieeenthal, 

So  diorch'e  Thal^ 
Ah.  im  Trawn  verloren^ 
Nach  dem  Bergj  da  taiieend  Maly 

Taueend  Mal 
Er  mir  JVeu  geeehworen, 

I 

Oben  auf  dee  Hagele  Rawdj    . 

Abgewandt^ 
Wein*  ich  bei  der  Linde^ 
An  dem  Hui  mein  Roeenband^ 

Von  eeiner  Hand^ 
Spielet  tJi  dem  Winde'. 

Hier  ist  nichts  zu  deolamiren,  keine  Rhetorik,  man 
mnfs  singen,  sogleich  singen,  maii  hört  schon  idner- 
lieh  tie  Töne  ^s  wehmuthsveflen  Refrains  im  Echo 
der  Thäler  verklingen,  so  hinschwindend,  so  vergehend, 
wie  die  Gestall,  die  wir  vor  uns  sehen  und  die  nichts 
ist  als  eine  todf  kranke  Erinnerung  an  ein  entschwun- 
denes Gbidk }  sie  sagt  es  nichl^  nur  in  abgebrochenen 
Lauten  entbindet  sich  der  Schmerz,  aber  sie  üt  es; 
Dadiurch  ist  Ohr  und  Auge  der  Phantasie  gerade  so, 
wie  ef  durch,  die  ächte  Lyrik  soll^  angesprochen,  wir 
sehen  vor  uns  und  hören  diese  tönende' Gestalt  derUn- 
giäcklieheii,  Sinn  nnd  Musik  falten  in  Eins,  und  unse^ 
ganzes  Hera  klingt  und  tönt  sympathetisch  mit 

16 


•ifiDUMliokt  %\nAj  «Ad  sie  eraeheimB  udb  dabei^  in  der 
Jetiigtfo  KoDit  und  PMsie  ncojigealimt,  als  kalte  AI- 
legdrieea,    ee  lange  der  Dichter   nicht  die  Scftopfe»- 
kMft  hat,  diese  Sebatten  neu  zu  beleben.   Dieb  kann 
ihm  nnr  gelingen)    wenn  er   (freilicb  khirer  uad  wtit 
blos  poetischer  Illusion)  den  Prozefs  in  sich  wieder- 
holt,  wodarch  die  Gatter   entstanden.    Es  hat  vohl 
noch  Jetst  Jeder  solche  Momente,  wo  es  ihm  plötslich 
ganz  begreiflich  wird,   wie  die  Alten  a^f  die  Diofalmig 
der  Götter  kamen;  es  sind  Momente,  wo  wir  auf  ekla« 
taute  Weise  eine  natürliche  oder  aitf liehe  Macht  in  ih- 
rer   ganzen  Bestimmtheit    nnd  Nothwendigkeit   fedea 
Einzelne,  das  sie  umfafst,  überwinden  und  widerstands- 
los sich  ausbreiten  sehmi.    Ein  pldtzliober  Schrecken 
ergreift  eine  Masse,   oder  ein  pIotzKcher  Muth;  eine 
gewaltige  Bewegung  der  Phantasie  verschlingt  in  ei- 
nem Snbjecte  die  nüchterne    Besonnenheit  des  Ver- 
standes und  redet  aus  ihm   in  der  Spteche   dunkler 
Bilder )  die  Leidenschaft  der  Liebe  reifst  jeden  Vor- 
satz, den  ihr  der  Wille  eatgegenzustemmen  sucht,  mit 
fort;    der   Wein   benebelt   Sinn  und  Verstands   hier 
scheint  rine  Nothwendigkeit  gegeben,   deren  Zusam- 
menhang sich  durch  kein  vermittelndes  Denken  expli^ 
cireki  lasse,  die  Alten  standen  ohnediefs  nicht  auf  dem 
Standpunkte  des  Pragmatismus,  der  ant  Gründen  ^er- 
klfirt  und  die  Grenze  der  Beobachtung  überhaupt  oder 
der  Selbstbeobachtung    ward  (wie  Solileiermacher  es 
scharfsinnig  von  dem  christlichen  Glauben  an  den  Sa- 
tan mchweist),  dadaroh  mit  bunter  Hülle  verdeckt,  daTs 
man  den  Grund  der  Erscheinung  aus  dem  Innern  des 
Subjects  oder  ans  dem  Natnrzusammenhang*  hinauswarf 
in  eine  anfserweltlicbe  Person  und  sagte:  das  bat  ein 
Gott  g^ban*    Ebenso,  auch  qhne  Beziehung  auf  das 
subjective  Leben,  wenn  wir  das 'Wirken  einer  Natnr- 
potenz  in  seiner  Prägnanz,  wie  sie  Alles,  was  in  ihre 
Sph&re  ftllt,  mit  siegreicher  Sicherheit  trägt,    nährt 
öder  zerstört,  in  ästbetischer  Stimmung  betradliten,  so 
werden  wir  uns  leicht  in  die  Anschauung  hineinfü||len, 
dafe  hier  ein  Gott  walte.    Das  Licht :   wie'  nahe  liegt 
es,  dieses  alle  Räume  durchiiegende,  siegreiche,  ma- 
nifestirende  Wesen  zu  vergattern  I  In  diesem  Geiste 
hat  Hölderlin  „An  den  Aetfaer''  den  Drang  aller  We- 
sen aadi  freier  Luft,  an  sich  eine  ganz  einfach  phjsi- 
sdie  Erscheinung,   die  dem  Naturforsober  nichts  als 


am 


6  44lekt.9.  Ut 

«in  Bedürfnifii  Von  -Aaueritoff  n.  s.  w«  iAf  «e  eM  l» 
^teUt,  dais  uns  -  der  Luftranm  gani  von  selb(|t  v 
Sutgeet»  sh  eiaem  Gott  wird.  Wur  werden  Asb 
bei  Moerike  inden»  Natfirtich  witd  der  gennsiii 
sehe  Dichter  diesen  Gdttsm  einea  Zug  von  Geistigkdi 
und  Verlüftrang  leihen,  den  sie  in  ihrer  alten  Heimstl 
nicht  hatten,  wie  Goethe  auch  derlpbigei^e  sein^dsakr 
sches  He»  ehihauehte,  wie  ühland  im  Vor  secrum  » 
ner  düsteren  VorsteUuag  emen  wohlthuend  edlen  T«i 
im  Geiste  der  Hnmanitilt  hellerer  Zeiten  lieh.    Uhbud 

• 

hat  ebenfalls  aus  deat  gothischen  Dämmerscheine  s 
emer  idealen  Classicitit  den  Uebergang  gefunden :  aad 
innerhalb  der  volksthümlichen  und  mittelallerlidM 
Spare  liebt  er  das  Klare  und  Gediegene,  scharf  qb 
risseae  Charaktere,  während  Moerike,  wo  er  in  die4 
Sphäre  verweilt,  im  Geiste  eines  Arnim  und  BrentlH 
die  Phantasie  durch  Nebelheiden  sohweifen,  auf  schlaft 
beodein  Rappen  an  Sylphen,  und  Feen  vorübeijaga 
läfst.  Seine  Phantasie  ist  in  diesem  Gebiete  träonft 
rischer,  schwelgerischer,  verweichlichter  und  venogi 
ner^  als  die  Uhlandscbe,  der  gerade  diejenige  Treck» 
heit  im  rechten  Maafse  besitzt,  die  der  Poesie  ik 
siehare  und  feste  Basis  so  noth wendig  ist,  als  doi 
Körper  die  Ferse  und  der  Ballen,  um  sich  fest  as  d9 
Boden  zu  stemmen.  Einigen  Liedern  fehlt  aber  sod 
Uhlands  und  Schwabs  kömige  Bestimmtheit  nicht,  vd 
in  weiteren  Sphären  erhebt  er  sich  entsohieden  n 
künstlerischer  Klarheit« 

Hat  sich  dieses  offene  Gemuth  auch  den  SduBH 
zen  und  Leiden  des  modernen  geistigen  Lebens  c^ 
schlössen  ?  Dafs  die  Gestal^  der  zerrissenen  Subjectifi' 
tat  ihm  nicht  fremd  ist,  beweist  eine  der  schönst» 
Parthieen  im  Maler  Nolten,  Welche  sich  doch  von  jede 
häfslicben  Dis^rmenie  üud  negativen  Ironie  ganz  ijM 
hält.  Als  Lyriker  aber  bleibt  er  ^nz  im  Geleise  A* 
ner  harmonischen  Stimmung ;  die  Töne  des  SchmeM 
werden  nie  sum  wilden  Schrei^  die  Wunden  heile 
leicht,  es  ist  hier  nichts  Titanisches,  nichts  Qyrei'' 
sches  zu  sehen.  Sein  Genius  erscheint  in  dieser  SCtt 
mehr  als  ein  weihlicher,  d«in  als  ein  männUeber,  bns 
fühlt  jenen  Geist  der  Sänftigung  alles  Wilden,  «br 
EbttUDg  alles  Unebenen  «nd .  HeUong  sdlM  Terstii' 
ten,  den  eine  edle  Weibliehkeit  um  sich  verbreiMt* 


(Die  Fortsetzung  folgt) 


w  i  8  s  e  n 


J^  16. 

J  a  h  r  h  ü  c  her 

für 

s  c  h  af  t  liehe 


K.  r  i  t  i  k. 


Juli  1839. 


jQedichte  von  Eduard  Mo  er  He. 

« 

(FoTtsetzoDg.)    ' 

Am  woDigsten  wird  der  Wohlsehmecker,  der  das 
Wilderet  nur  im  Uebevgange  xurFäubift  liebt^  hi  diesem 
BflcUein  seine  Reebnifng  finden,  er  wird  nichts  von  dem 
hant  giout  ^  der  Blasirtheit  nnd  Abgeschlagei^heit  ent- 
decken. Unser  Dichter  ist,  wie  billig,  in  natiirlicben 
'Dingen  unverblümt,  die  Sinnlichkeit  pulsirt  in  voller 
Kraft,  aber  es  ist  die  Kraft  der  Jugend,  nicht  der 
künstliche  Reiz  abgeschwächter  Natur*  •  Man  halte  uns 
picht  für  pedantisch  \  es  sollen  der  Dichtkunst  objeotiv 
keine  Grenzen  gesteckt  werden,  sie  beleuchte  immer 
mit  ihrer  Fackel  die  dunkelsten  Falten  des  Seelenle- 
bens, 'sie  lasse  uns  den  ganzen  Trotz  prometbeischer 
lEmpSrung  sehen,  sie  darchwandre  die  Höhlen  der  tie&> 
sten  Verwirrung  und  Veriming;  sie  fahre  kfihnlich  in 
die  Hölle,  wie  die  Legende  von  Christaft  erzählt.  Nur 
ihr  Engel  verlasse  sie  nicht  Und  so  lange  kein  Dich- 
]ter  da  ist,  der  die  Wehen  des  jüngsten  Zeitgeistes 
treu  an  der  Hand  dieses  Begleiters  'durchwandert  hat, 
peien  wir  zufrieden,  eine  edle  Muse  mit  rein  hannoni- 
Bohen  Gestalten  verkehren  zu  sehen. 

Wir  wollen  jetzt  imsem  Dichter  durch  fie  in  un« 
bestimmtem  Umrisse  (bezeichneten  ^Sphären  begleiten 
imd  uns  dadurch  das  Bild  seiner  Persönlichkeit  zu  m- 
dividneller  Bestimmtheit  eilieben. 

Nicht  wenige  dieser  Lieder  bewegen  sich  so  na- 
tüilich  und  so  gqnz  von  selbst  im  Elemente  der  Naive- 
tftt,  dafs  man  schlechtweg  sagen  nmfs :  diefs  sind  LtiC" 
däTf  ichte  Lieder,  dafa  man  bei  den  ersten  Zeilen 
sehen  van  Weitem  jene  Metodieo  hört,  nach  welchen 
Jwi^  Bursche  und  Dirnen  des  Sonntags  unter  der 
Linde  des  Dorfes  ihre  alten  Lieder  singen.  Man  lese 
•folgenden  einfachen  Kiang   aus  dem  Herzen  treulos 

verlassener  Liebe: 

Jahrb.  f.  whienich.  Kritik.  J.  1830.   IL,  Bd. 


Agnes  (S.  76). 

Rosemeiil  Wie  ickneü  vorbiiy 
Schnell  vorbei 

Biti  du  doch  gegangen  l 

War  «ins  Lieb  nur  bliebe»  treu^ 
Blieben  treu. 

Sollte  mir  nich^  bangen. 

Um  die  Emie  wohlgernuA, 


Schniherinnen  eingen» 

Aber  achl  mir  kranken  BbU^ 

Mir  kranken  BbU 
Will  niehtemehr  gelingen. 

Behleiche  eo  durch'e  Wieeenthalg 

So  durch'»  thalf 
AU.  im  Traum  verloren^ 
Nach  dem  Berg,  da  tarnend  Maly 

Taueend  Mal 
Er  mir  TVeu  geechworen. 

Oben  auf  de»  Hügel»  Remd^    , 

Abgewandtf^ 
Wein'  ich  bei  der  Linde^ 
An  dem  Hui  mein  Ro»enkandj 

Von  »einer  Hand, 
Spielei  in  dem  Winde.' 

V 

Hier  ist  nichts  zu  deokimiren,  keine  Rhetorik,  man 
mafs  singen,  sogleich  singen,  maul  hört  schon  iüner- 
liek  tie  Töne  des  wehmuthsveflen  Refrains  im  Echo 
der  Thäler  verklingen,  so  hinschwindend,  so  vergebend, 
wie  die  Gestall,  die  wir  vor  uns  sehen  und  die  nichts 
ist  als  eine  todfkrimke  Erinnerung  an  ein  entschwun- 
denes Glück )  sie  sagt  es  nichl^  mir  in  abgebrochenen 
Lauten  entbindet  sich  der  Schmerz,  aber  sie  ut  es; 
Dadurch  ist  Ohr  und  Auge  der  Phantasie  gerade  so, 
wie  ef  durcbdie  achte  Lyrik  soll^  angesprochen,  wir 
sehen  vor  uns  mid  hören  diese  tönende' Gestalt  derUn* 
giftckliehen,  Smn  and  Musik  fallen  in  Eins,  und  unser 
ganzes  Herz  kU»gt  nnd  tönt  syropathetisdi  mit    Ditf 

16 


lld  iE.    M  •  e  r  i  k  e^ 

» 

siflDbiUnicht  tiiid,  «Ad  ne  arscbetim  uns  dabei^  in  dir  ~ 
jetxigen  Ernist  und  Peesie  Dacjigeahmt,  als  kalte  Ak 
.  tegdrieea,    «•  lange  der  Dichter   mcht  die  Scftöpfe^- 
kMft  hat,  diese  Sebatten  neu  za  beleben.    Biefs  kann 
Ihm  mir  gelingen,    venn  er   (freilieh  klarer  nad  aüt 
blos  p'oetiscber  IHusion)  den  Prözefs  in  sich  vieder- 
helt)    wedorch  die  Gatter   entstanden«    Es  bat  wohl 
noch  jetst  Jeder  solohe  Momente,  wo  es  ihm  plötzlich 
ganz  begreiflich  wird,   wie  die  Alten  a^f  die  Diohlnng 
derGöfter  kamen;  es  sind  Momente,  wo  wir  auf  ekla- ' 
tante  Weise  eine  natttrliche  oder  sittliche  Macht  in  3i- 
rer    ganzen  Bestimmtheit   nnd  Nothwendigkeit   jedes 
Eieselne,  das  sie  nmfarst,  überwinden  und  widerstands- 
los sich  ansbreiten  sehen.    Ein  plötzlicher  Schrecken 
ergreift  eine  Masse,   oder  ein  plÖtzHcher  Muth;  eine 
gewaltige  Bew^ng  der  Phantasie  verschlingt  in  ei- 
nem Snbjecte  die  nüchterne    Desonnenbeit   des  Ver- 
standes nnd  redet  aas  ihm   in  der  Sprache   dunkler 
Bilder  $  die  Leidenschaft  der  Liebe  reifst  jeden  Vor- 
satz, den  ihr  der  Wille  entgegenzustemmen  sucht,  mit 
fort;    der   Wein   benebelt   Sinn  und  Verstand:   hier 
scheint  rine  Nothwendigkeit  gegeben,  deren  Zusam- 
menhang sieb  durch  kein  vermittelndes  Denken  expli- 
drtü  lasse,  die  Alten  standen  ohnediefs  nicht  auf  dem 
Standpunkte  des  Pragmatismus,  der  aar  Gründen  'Or- 
klärt  und  die  Grenze  der  Beobachtung  überhaupt  oder 
der  Selbstbeobachtung    ward  (wie  Sclileiermacher  es 
scharfsinnig  von  dem  christlichen  Glauben  an  den  Sa- 
tan nachweist),  dadnroh  mit  bunter  Hülle  v^^ckt,  dab 
man  den  Grund  der  Erseheinung  aus  dem  Innen  des 
Subjects  oder  aus  dem  Natnrznsammenhang-  hinauswarf 
in  eine  aufserweltlicbe  Person  und  sagte:  das  hat  ein 
Gott  g^han.    Ebenso,  auch  <^hae  Beziehung  auf  das 
subjective  Leben,  wenn  wir  das' Wirken  einer  Natur- 
potenz  in  seiner  Prftgbanz,  wie  sie  Alles,  was  in  ihre 
i^h&re  fhllt,  mit  siegreicher  Sicherheit  trägt,    nähit 
öder  zerst^^rt,  in  Hstbetischer  Stimmung  betrachten,  so 
werden  wir  uns  leicht  in  die  Anschauung  hineinTühlen, 
dafe  hier  ein  Gtott  walle.    Das  Licht :  wie*  nahe  liegt 
es,  dieses  alle  Räume  durchiiegende,  siegreiche,  ma- 
nifestirende  Wesen  zu  vergattern!  In  diesem  Geiste 
hat  Hölderlin  ,^An  den  Aether"  den  Drang  aller  We- 
sen nach  freier  Lu.ft,  an  sich  eine  ganz  einfach  pbjsi- 
idie  Erscheinung,    die  dem  Naturforscher  nichts  als 


Gedieh  i,M.  WO 

rai  Bedürfnifii  ton  -Sauerstoff  n.  s*  w«  itAi  so  adal  daa- 
^teUt,  dafii  uns  der  Luftraom  gana  von  selbet  m 
einem  Sulyeet^  all  dnem  Gott  wird.  Wir  werden  Aefas- 
liebes  bei  Moerike  inden»  JNatürKdi  wud  der  germani* 
sehe  Dichter  diesen  Göttern  einea  Zng  von  Geistigfcett 
und  Verklarung  leihen,  den  sie  in  ihrer  alten  Heimath 
nicht  hatten,  wie  Goethe  auch  deriphigenie  sein^dentr 
sches  Herz  ehhauchte,  wie  ühland  im  Vor  sacrum  %h 
ner  düsteren  VorsteUiiag  einen  wobltbuend  edlen  Ten 
im  Geiste  der  Humanität  hellerer  Zeiten  lieh.    Uhland 

• 

hat  ebenfalls  aus  dem.  gothischen  Dämmerscheine  sn 
einer  idealen  Ciassicit&t  den  Uebergang  gefunden :  aneh 
innerhalb  der  volksthümlichen  und  mittelalterlichen 
Spare  liebt  er  das  Klare  nnd  Gediegene,  scharf  um- 
rissene  Charaktere,  während  Moerike,  wo  er  in  dies* 
Sphäre  verweilt,  im  Geiste  eines  Arnim  und  Brentano 
die  Phantasie  durch  Nebelheiden  seh  weifen,  auf  selina» 
beodem  Rappen  an  Sylphen,  und  Feen  vorüberjagen 
läfst«  Seine  Phantasie  ist  in  diesem  Gebiete  träume* 
rischer,  schwelgerischer,  verweichlichter  und  versoge- 
ner,  als  die  Ubiandsche,  der  gerade  diejenige  Trocken- 
heit im  rechten  Maafse  besitzt,  die  der  Poesie  .als 
sichere  und  feste  Basis  so  noth wendig  ist,  als  dem 
Körper  die  Ferse  und  der  Ballen,  um  sich  fest  an  divi 
Boden  zu  stemmen.  Einigen  Liedern  fehlt  aber  auch 
Dhlands  und  Schwabs  kömige  Bestimmtheit  nicht,  und 
in  weiteren  Sphären  erhebt  er  sich  entsehieden  zu 
künstlerischer  .Klarheit* 

Hat  sich  dieses  offene  Gemuth  auch  den  Scluner- 
sen  und  Leiden  des  modernen  geistigen  Lebens  er- 
schlossen ?  Dafs  die  Gestalt  der  zerrissenen  Subjeotivi- 
tat  ihm  nicht  fremd  ist,  beweist  eine  der  schönsten 
Parthieen  im  Maler  Nolten,  trelche  sich  doch  von  jeder 
bäTsIichen  Dis&armenie  uud  negativen  Ironie  ganz  ferne 
hält.  Als  Lyriker  aber  bleibt  er  ganz  im  Geleise  ei- 
ner harmonischen  Stimmung ;  die  Töne  des  Scbmerses 
wenden  nie  zum  wilden  Schrei,  die  Wuadeil  heilsp 
leicht,  es  ist  hier  nichts  Titanisches,  nichts  Qyren*- 
sches  zu  sehen.  Sem  Genius  eracheint  in  dieser  Müde 
mehr' als  ein  weiblicher,  denn  als  ein  m&nnUeber,  man 
fühlt  jmen  Geist  der  Sänftigung  alles  WiUen,  der 
Ebaung  alles  Unebenen  und .  Heihing  alhHi  Terstif- 
ten,  den  eine  edle  Weibliehkeit  um  sich  verbreite^. 


(Die  FoTtietcnng  folgt.) 


I 


w  1  s  IS  e  n 


J^  16. 

J  a  h  r  h  u  c  her 

für 

s  c  haftl  iche 


Rritik 


Juli  1839. 


Oediekte  höh  Eduard  Moerihe. 

(FortsetzQDg.)    > 

Am  weoigsteii  wird  der  Wohlscbmecker^  der  das 
Wildj^ret  nur  im  Ueb^vgange  zurFäulnifs  liebl^  iki  diesem 
Bfichlein  seine  Reohn^ng  finden,  er  wird  niobts  von  dem 
baut  gout  ^  der  Blasirtheit  und  Abgescblagei^heit  ent- 
decken. Unser  Dichter  ist,  vie  billig,  in  natürlioben 
'Dingen  unverblümt,  die  Sinnllobkeit  pulsirt  in  voller 
Kraf^  aber  es  ist  die  Kraft  der  Jugend,  siebt  der 
kttpstliehe  Reiz  abgesobwtebter  Nator.  •  Man  halte  uns 
Dicht  für  pedantisch  9  es  sollen  der  Dichtkunst  objeotiv 
keine  Grenzen  gesteckt;  werden,  sie  beleuchte  immer 
mit  ihrer  Fackel  die  dunkelsten  Falten  des  Seelenle- 
bens, sie  lasse  nns  den  ganzen  Trotz  prometbeischer 
)SinpSrung  sehen,  sie  dnrchwandre  die  Höhlen  der  tiet 
nten  Verwirrung  und  Verimmg;  sie  fahre  kubnlich  in 
die  HöUe,  wie  die  Legeode  von  CfaristiU  erzählt.  Nur 
ihr  Engel  verlasse  sie  nicht  Und  so  lange  kein  Dich- 
ter da  ist,  der  die  Wehen  des  jüngsten  Zeitgeistes 
treu  an  der  Hand  dieses  Begleiters  'durchwandert  bat, 
^eien  wir  znfrieden,  eine  edle  Muse  mit  rein  barmoni- 
sehen  Gestalten  verkehren  zu  sehen. 

Wir  wollen  jetzt  nasem  Dk^bter  durch  die  in  un* 
beotimmtem  Umrisse  »bezeichneten  Sphären  begleiten 
Bad  uns  dadurch  das  Bild  seiner  PersSnlichk^  ZU  in* 
dividueller  Bestimmtheit  erheben. 

Nicht  wenige  dieser  Lieder  bewegen  sich  so  na- 
tfirlich  und  so  g^ns  von  selbst  im  Elemente  der  Naive- 
tät>  dafs  man  schlechtweg  sagen  nrafs :  dieCs  sind  JUe- 
dsTy  ichte  Lieder,  dafa  wmtk  bei  den  ersten  Zeilen 
aehen  v«n  Weitem  jene  Meiodien  bort,  nach  welchen 
jvnge^  Bursche  und  Dirnen  des  Sonntags  unter  der 
Linde  des  Dorfes  ihre  alten  Lieder  singen.  Man  lese 
•folgenden  einfachen  Kiang  aus  dem  Herzen  treulos 
yerlassener  Liebe: 

3akrh.f.  wiHtMch.  KriHk.  J.  1830.   II.,  Bd. 


Agnes  (S.  76). 

BotenzHil  Wie  ichnett  vorhii^ 

Schnell  vorbei 
But  du  doch  gegtmgenl 
War  mein  Lieb  nur  blieben  treu^ 

Blieben  treu, 
Soüie  mir  nicht  bangen*  / 

m 

Um  die  Ernü  tpohlgenuuhy 

Wohlgemu^i, 
Sehniherinnen  nngen» 
Aber  ach!  mir  kranken  Bluij 

Mir  kranken  Blui 
Will  nichiemehr  gelingen. 

BehUiehe  §0  iurch'e  Wieeentkai, 

So  imek'e  Thal, 
AU.  im  T^aum  verloren, 
Üach  dem  Berg,  da  taueend  Mal, 

Taueend  Mal 
Er  mir  Treu  geechworen. 

Oben  auf  det  Hägeü  Band,    , 

Abgewandt,  ^  « 

IFetV  ich  bei  der  Linde, 

An  dem  Hui  mein  Boeenband, 
Von  seiner  Hand, 

Sflielei  in  dem  Winde.' 

Hier  ist  nichts  zu  declamiren,  keine  Rhetorik,  man 
mnrs  singen,  sogleich  singen,  maol  b5rt  schon  iüner- 
lieb  die  Töne  des  wdiitiuthsvenen  Refrains  im  Echo 
der  Thäler  verklingen,  so  binscbwlndend,  so  vergehend, 
wie  die  Gestalt,  die  wir  vor  uns  sehen  und  die  nichts 
ist  als  eine  todf  kranke  Erinnerung  an  ein  entschwun- 
denes Glück }  sie  sagt  es  nicbl^  nur  in  abgebrochenen 
Lauten  entbindet  sich  der  Schmerz,  aber  sie  üt  es; 
Dadurch  ist  Ohr  und  Auge  der  Phantasie  gerade  so, 
wie  tm^  durch,  die  ächte  Lyrik  soll^  angesprochen,  wir 
sehen  ver  uns  und  hören  diese  tönende' Gestalt  der  Un* 
glicklicben,  Sinn  nnd  Musik  falten  in  Eins,  und  unse^ 
ganzes  Herz  klingt  und  tönt  sympathetisch  mit 

16 


123  RMoerikey 

•      _ 

Schlufslestgkeit  ferner  ist  ganz  im  Charakter  des  rei-' 
Ben  Medsi  das  flatternde  Band  schwebt  nooh  eine 
Weile  vor  unsrer  Phantasie,  ein  Bild  der  Untreue,  und 
unser  Gefühl  zittert  wie  in  unbestimmt  Terschveb6n^ 
(ten  TSnen  der  Windharfe  fort» 

Milder^  doch  ebenso  tief  aus  dem  Herzen,  klagt 
das  verlassene  Mägdlein  (S.  23). 

Frühy  wann  die  Hähne, hräh*n. 
Eh  die  Stemlein  vertchufinden, 
.  Mufi  ich  am  Herd^  $iehn^ 
Mufi  Feuer  ziUnden, 

Schön  Mt  der  Flammen  Schein^. 
Ei  ipringen.  die  Funken^ 
Ich  scJutue  $0  drein, 
:    In  Leid.veriunken, 

FWizlich,  dof  kommt  ee'mtry 

• 

Treuloser  Knat/t^ 
Da/»  ich  die  Nacht  .von  dir 
'  Gelr'dumH  habe, 

Thräne  auf  Throne  dann^ 
Stürzet  hernieder. 
So  kommt  der  Tag  heran^  — 
O  gieng  er  wieder  l 

Nicht  so  hinreifsend  musikalisch  ist  dieses  Lied, 
mehr  betrachtend,  wie.  das  Mädchen  selbst^ äufserlich 
ruhig  vor  dem  knitternden  Feuer  steht,  aber  ganz  ebenso 
wie  das  erste^  nicht  nur  auf  die  Empfindung,  sondern 
durch  ein  bestimmtes  kfares  Phantasiebild  erst  auf 
diese  wirkend«  Deberhaupt,  KiBun  alle  Poßsia  der  Fhan- 
tasiOf  welche  wesentKch.  ein  inneres  Sehen  ist^  ein  be- 
stimmtes Bild  vorüberführen  mufs,  wie  kann  die  Lyrik, 
welche  allerdings  mehr  als.  die  andern  Gattungen  der 
Poesie  noch  unmittelbar  mit  der  Musik  verwachsen  im 
Elemente  subjectiver  Empfindung  verweilt^  in-  ihrer  Art 
dennoeh  dieser  Pflicht  genügen?  Ein  bestimmte»  Bild 
mufs  auch  sie  geben^  und  ^^war  noch  auTser  dem-ryth- 
wisch  musikalischen  Sprachkörper.  Spricht  nun  der 
Dichter  rein  subjectir  seine  eigene  Empfindung  aus,'  so 
ist  der  Körper,  den  diese  dennoch  auch  so  aimehmen 
mufs,  seine  eigene  Person,  ganz  erfüllt  von  der  dar- 
gestellten GemüthsbeweguDg..  Darum  sind  jene  Ge- 
dichte. „An  die"  u.  s.  w.  die>  jetzt  immer  seltener  vor- 
kommen^, so  prosaisch..  „An  .die  Freundschaft,  die 
Frßude,  die  Unsterblichkeit  u.  dergl..''  Da  stellt  der 
Dichter  den  Gegenstand  als  ein^Abdtractum  aus  «ich 
hinaus  sick  gegenüber  und  singt  au  ihn.  hin,  er  bleibt 
äufserlich.    Der  Qichter  soll  vielmehr  sich  selbst  als 


OedidAte.  124 

durchdrungen  von  .^der  darsostellenden  Empfindong  iih 
trodoziren,  sie  soll  Eins  mit  ihm  sein,  nicht  er  soll  aa 
sie  hin,  sonderta  sie  soll  ans  ihm  smgeo,  dadurch  ist 
sie  individualisirt,  verkörpert;  der  Dichter  aelbat  bt 
die  tonende'  Gestalt.  Ein  bestimmterer  Schritt  znr  6k 
jectivität  und  4^'  Keim  des  Epischen  und  Dramtftischn 
innerhalb  der  Lyrik,  der  sodann  in  der  Ballade  wd 
Romanze '  schon  deutlich  hervortritt,  ist  es,  wenn  der 
Dichter  sein  Gefühl  in  eine  fremde  Gestalt,  die  er  vw 
uns  hinfuhrt,  so  hineinlegt,  dafs  diese  durchaus  dai 
Organ  wird,  durch  welches  hiiidnrchklingend  jene^  E» 
pfindung  zu  uns  herübertönt.  Mit  der  objectiverct 
Form  mufs  hier  auch  der  Gehalt  objectiver,  er  kaoi 
nicht  ein  unbestimmtes  Privatgefiihl  sein,  und  der  Dich- 
ter hat  zu  bewähren,  dafs  er  sich  in  jede  menschlkdie 
Lage  hineinzuempfinden  vermag;  So  steht  hier  dai 
arme  verlassene  Kind  sinnend  am  Feuer,  sie  hat  bei 
dem  gewöhnlichen  Geschäfte  des  Haushalts  ihr  Un- 
glück vergessen,  da  plötzlich  kommt  die  Erinnerang 
4lesselben  über  sie:  hier  haben  wir  ein  ganz  klares 
kleines  Gemälde,  wer  es  nicht  innerlich  deutlich'  sieht^ 
mufs  kein  geistiges  Auge  haben ;  dieses  Gemälde  ist 
aber  ganz  Jjrische  Empfindung. 

Einen  andern  Charakter  nimmt  der  Schmers  über 
die  Untreue  des  Geliebten  in  dem  schönen  Liede  S.74 
an;  eine  bestimmte  Natur-Erscheinung  singt  dem  lie* 
benden  Mädchen  das  Lied-  von  der  Untreue,  sie  half 
den  Wind  an:  „Sausewind!  Brausewind!  Dort  und  hier, 
Deine  Heimath  sage  mir!'*  Der  Wind  will' nicht  Rede 
stehen:  „Kindlein,  wir  fahren  Seit  viel  vielen  Jahren 
Durch  die  weit  weite  Welt,  Und  mödhten^s  erfragen, 
Die  Antwort  erjagen  Bei  den  Bergen,  den  Meeren,  Bri 
des  Himmels  klingenden  Heeren,  Die  wissen  es  "nie  v.' 
a..  w.'*  Da  fragt  sie  die  Winde:  „Halt  an,  Gemach, 
Eine  kleine  Frist!  Sägt,  wo  der  Liebe  Heimath  i$l^' 
Ihr  Anfang,  ihr  Ende  T  und  erhält  die  Antwi>ft:  „Wer*! 
nennen  könnte !  Schelmisches  Kind  I  Lieb  ist  wie  Wind^ 
Basch  und  lebendig.  Ruhet  nie.  Ewig  ist  sie^  Aber  deio 
Schatz  ^)  nicht   beständig"  u.   a.  w.     Dieses   scbdoe 

*)  £s  keifot  im.  Maler  Nolten:  aber  nicht  immer  bestHndig. 
GewUJB  sehöaer.  Moerike  hat  auch  sonstr  in  eitier  allcH- 
angstlichen  BesorgnÜa,  dem  platten  Verstände  paradox  » 
eracheioeuy  mit  seinen  Gedichten  bei  der  Uerausg»be  d6^ 
selben  rerflachende  €orrectaren  vorgenommen;  eine  Unsi- 
cherheit, die  man  öfters  bei  genialen  Geistern  findet,  wena 
sie  int  Zustande  der  Reffexion  das  in  der  poetischen  Stim- 
mung Empfangene  wieder  Tor  sich  nehmen. 


125  *       E.    M  e  «  r  i  k  e, 

I 

Lied  itoUt«  jmie  orgaaisohe  BinbMt,  in  welche  Gehalt 
-mid  innere  iowohl  alt  ftafsere  Form  miteinander  treten 
no'Uen,  beaendere  muetkriiaft  dar ;  jene  instinctmikfsige 
Symbriik  hat  ea  gedichtet,  die  in  Wert  nnd  Rhythmna 
/die  Natnr-Eracheinang  nnd  eingehüllt  in  ihre  Änsohau- 
■flig  die  griatige  Beilegung  an  Ohr  nnd  Sinn  bringt. 
Weil  wir  eben  ven  dem  Thema  der  unglücklichen  Liehe 
<eden,  weise  ich  hier  noch  auf  das  acht  im  Volkstöne 
gehaltene  Lied  ,)Die  Schwestern^  (S.  79)  hm.  Zwei 
SchwestetD^  gleichen  einander  wie  ein  Ei  dem  andern, 
mun  wird  ihre  lichtbraunen  Haare  nicht  unterscheiden, 
wenn  du  sie  in  Einen  Zopf  flichtst,  sie  sitzen  an  Einer 
Kunkel,  schlafen  in  Einein  Bett,  aber: 

„O  Sehwtitern  zwei,' ihr  Mchönekf 
Wü  hat  tUh  das  SUUtehen  g€wenäil 
Ihr  liebet  einerlei  Liebchen  — 
Jeizi  hat  ia$  Liedel  ein  Enf." 

Doch  einmal  wird  die  Liebe  auch  glücklich,  es  gilt 
nur  noch  zu  warten  und  man  fiat  indessen  Zeit  zu 
einem  Scherze  (Die  Soldatenbraut  192.);  Den  verliebten 
Jägersmann  erinnert  des  Vogels  Tritt  im  Schnee  an 
die  zierlichen  Züge,  die  ihm^  die  Hand  des  Liebchens 
aas  der  Ferne  schreibt:  „Zierlich  ist  des  Vogels  Tritt 
in#Scbnee  u.  s.  w.*'  (Jägerlied  S.  19).  Wie  niedlich, 
wie  lieblich  ist  dieser  Gedanke,  bei  den  zierlichen  Fufs« 
stäpfchen  der  Wachtel,  des  Rebhuhns  im  Schnee  der 
JPederzüge  des  Liebchens  träumerisch  zu  gedenken! 
Wie  einfach  grofs  dann  der  zweite  Vers,  wo  der 
schlichte  Jägersmann  den  Reiher  in  die  Lüfte  hoch 
steigen  sieht,  dahin  weder  Pfeil  noch  Kugel  fleugt: 
Tausendmal  so  hoch'  und  so  geschwind  Die  Gedanken 
treuer.  Liebe  sind.  Endlich  vereinigt  wohl  auch  eine 
glückliche  Stunde  die  Getrennten  zu  nngetheilter  Ge- 
genwart und  in  unschuldigem  Muthwillen  läfstuns  der 
Dichter  ihr  Glück  errathen,  da  wir  am  Morgen  nach 
ein^r  stürmischen  Nacht  einen  schönen  Burschen  einem 
schüchternen  Mädchen  auf  der  Strafse  begegnen  sehen : 
'Wie  sehn  siph  frendig  und  yerlegeh  Die  uagewohnten 
'  Schelme  an  I  Das  Mädchen  geht  Torüber,  —  der  Bur- 
sche träumt  noch  von  den  Küssen«  Die  ihm  das  säfse 
Kind  getauscht.  Er  steht,  von  Anmuth  hingerissen. 
Derweil  sie  mn  die  Ecke  rauscht. 

Das  letztere  Lied  gehört  nicht  mehr  ganz  unter 
die  volksthümljohen ;  die  Sprache  ist  die  der  Gebilde- 
ten, anmuthige  Betrachtung,'  der  Stoff  aber  in  seiner 
Einfachheit  und  unschuldigen  Sinnlichkeit»  naiv.    Nacfa^ 


€f  0  d  i  e  k  t'il  lÄ 

Sprachcf  und  Ton  ganz  inr  Volks -Eltaiente  fault. sick 
das  hiibsche,  schalkhafte  Lied :  StdrohenbötBchaft  S.  24; 
Der  Schäfer  ruht  in  seinem  Wagen,  da  knopqrt  und 
klopft  es,  bis  er  öffnet,  da  stehen  zwei  Störche  aus 
der  Heimath  am  Rhein  nnd  gestehen  ihm  klappernd, 
dafs  sie  sein  Mädel  in's  Bein  gebissen  haben;  da  sie 
zu  zweien'  sind,  soiragt  der  Schäfer :  es  werden  doohj 
hoff*  ich,  nicht  Zwillinge  sein!.  Da  klappern  die  Stör- 
che im  lustigsten  Ton,  Sie  nicken^und  knixen  und  flie» 
gen  duTon.  Mit  glücklichem  Takte  benutzt  der  Dich* 
ter  bei  solchen  Stoffen  alterthüinliche  oder  provinzielle 
Formen,  wie  im  Anfang  acht  Tolksmäfsig :  „Des  Schä- 
fers sein  Hans  und  das  steht  auf  zwei  Rad,  Steht  hoch 
auf  der  Heiden  so  frühe  wie  spat.'*  ~  Ziefe»  fiir  Gezie^ 
&r  u.  dergl.  • 

Die  Fhanti^sie,  in  der  Dämmerung  Tolkstbümlichen 
Bewqfstseins  schweifend,  irrt  gerne  in  das  Reich  der 
Wunder,  der  Chantasmagorie  hinüber,  und  in  dieser 
Art  ist  denn  Alles,  was  uns  der  Dichter  Tpn  Balladeh 
und  Romanzen  gibt.  Kein  historischer  Stoff  im  enge- 
ren oder  weiteren  Sinne,  lauter  mythische,  mährchen« 
hafte.  Wir  haben  hierüber  bereits  oben  gesprochen^ 
fis  soll  diese  Region  dem  >  Dichter  keineswegs  ver^ 
Schlössen  odei^  verkümmert  werden;  es  ist  aber  zu 
wünschen,  dafs  er  seine  Phantasie  an  den  markigen 
Gestalten  der  Geschichte  zur  Begrenzung  und  Bestimmt« 
heit  zusammennehme.  Dann  wird  es  ihm .  gelingen,' 
grofse  Leidenschaften,  welthistorischen  Gehalt  m  rekr 
menschlichen  Sphären  wirkend,  darzustellen.  Der  un- 
stete Fackelschein  ist  schön,  aber  wir  sehnen  uns  doch 
auch  nach  der  reinen  Flamme  der  Weisheit;  Mond« 
schein  ist  schön,  aber  nach  seinem  Ungewissen  Lichte 
möchten  wir  auch  die  Sonne,  nach  der  Nacht  den  Tag; 
Es  erscheint  hart  und  paradox,  aber  es  kann  nicht 
verschwiegen  werden:  das  Premiren  des  Wunderbaren 
in  jder  Poesie  ruht  ebenso  auf  dem-abstracten  Verstände/ 
wie  der  Feind,  gegen  den  eben  das  Wunderbare  oppo^ 
nirend  auftritt,  die  prosaische  Weltansicht.  Die  pro- 
saische Weltansicht  hält  die  naturgcmäfse  Wirklichkeit 
für  Gott-  und  Geist-verlassen ;  die  Phäntastik  läfst  Gott 
und  .Geist  in  dieselbe  einbrechen,  aber  indem  diefs-anf 
wunderbare  Weise  geschieht,  also  die  Naturgesetze 
erst  weichen  müssen,  damit  die  Idee  Platz  habe,  ist 
zugeständen',  dafs  der  gesunde  Verlauf  an  sich  die  Idee^ 
ausschliefse :  was  eben  das  Prinzip  der  Prosa  ist«  Es> 
ist  wie  der  Supranaturalismuain  der  Theologie»  Moerike 


127  E.    Moerik  ey 

schwebt,  er  luit  die  FOfse  nkdit  an  Bodeo,  tat  hat 
Schritte  gethan^  ihn  zu  gewinnen^  den  gräfsten  m  aei« 
htm  Raman,  allein  e^  thue  ncch  .entacbiednere  mid 
rt^iBige  sich  voUeDda  von  allem  Trüben  und  Bodenlo* 
aea.  Hriaiiech  kt  es  unserem  Dichter  bei  den  Nixen 
in  ihrer  krjitalleaea  Grcrtle,  im  Zauber- Leuchttburm 
(169)^  wo  dea  Zauberers  Tochter  die  Schiffer  hinlockt, 
dafa  Schiff  und  Mann  zu  Grunde  siokt^  einen  Geister« 
sog  sieht  er  aäcbtUob  aom  Muminelsee  ai^wabep,  er 
bfirt  leiae  die  Gebete  der  Geister  achwirren,  sie  ira« 
gen  ihre  Königin  zn  Grabe,  versenken  ihren  Sarg  in 
die  Wogen,  die  in  grünlichem  Feuer  über  ihm  zosam- 
menschlagen  und  tief  unten  hört  man  nnn  ihre  Lieder 
suauiien.  Es  ist  nicht  die  breitgetretene -und  tausend 
mal  dagewesene  Ballaid^n- Manier,  Moerike  ist  ganz 
Dichter  uud  zieht  uns,  als  hätten  wir  diesen  Eindruck 
zum  erstenmale,  ganz  in  diese  mystischeo,  hangen  Ge* 
fiihle  und  Anschauungen  hniem«  Besonders  uAt  dem 
unsteten  Geiste  des  Windes  hat  er  gerae  zu  thun* 
Jung  Volker,  der  lustige  Räuber  (rine  herrliche  Figur 
aas  dem  Maler  Nolten)  ist  vom  Winde  empfangen, 
aeme  Mutter,  ein  schön  frech  *^)  braunes  Weib,  wollte 
nichts  vom  Mannsvolk  wissen,  sie  rief  lachend :  möcht* 
lieber  aem  des  .Windes  Braut,  denn  in  die  Ehe  gehen ! 
Dar  kam  der  Windt  da  nahm  der  Wmd  Als  Buhle  sie 
gefangen:  Von  dem  hat  sie  einhistig  Kind  In  ihren 
Schoors  empfangen  (S.  60).  Die  schöne  MüUerstoch- 
ter  lockt  den  Rittersotm  in  ihre  Mühle,  ex  will  sie  um- 
armen, da  sausen  und  singen  ihre  Zöpfe  Im  Winde,  da 
beschwört'  sie  die  Windgeister  und  fahrt  mit  ihm  durch*s 
Fenster  hinaus  naf  die  Heide  und  erdrückt  den  Lieb* 
kosenden  an  ihrer  Bru^t  (S.  26).  Diese  Ballade  ist 
wirklich  gar  zu  unklar  und  unbestimmt,  ein  Extrem  ne» 
belbafter  Romantik. '  Uofgleieh  concreter  durch  die  Be« 
atiauatheit  des  Gegenstands  and  gewifs  etwas  Vortreff- 
liches ist  das  Gedicht  S.  85,  wo  der  angstvoll  wilde 
Geist  der  Feuersbrunst  in  einem  wähnsinnigen  Feuer« 
i 

^J  \c\i  weifs  Dicht,  ob  das  W«rt  „frech"  aach  aufterh^b  Schwa- 
ben Yom  Volke  poch  in  seiner  ursprüii^lichen  Bedeutung 
(frei)  fär  einen  Ausdruck  Ton  Kühnheit  und  Selbstgefühl 
gebraucht  wird.  Es  gehört  unter  die  erst  später  unedel 
gewordenen  Wörter.. 


Oediekte. 


1» 


reiter  personifiairt  ist,  den  nusi  k  einar  attoB  StaA 
rsgehn&Cng  tot  Anfiing  einer  Feuorsbranst  mit  scbs^ 
lachrotber  Mtttae  am  Fenster  auf  und'  nieder  buscfaa, 
dann  auf  Uapperdflrrer  Mähre  nach  .der  BrandstUte 
jagen  siebt« 

Gehaltvolle  jedoch  wird  dfcse  Poesie  des  Ws» 
derbaren,  wo  das  Wunder  im  Dieiiste  einer  concret« 
sittlichen  Idee  auftritt«  Die  Ballade  „Die  ttaorige  Kri* 
imng*'  isl  Toll  GewitterschwBle  uhd  tragischer  Angi^ 
gaox  im  Geiste  des  Macbeth  (8.  70>  K6nig  Milesiit 
von  Irland  hat  sein  Bruderskind  ermordet,  um  aicb  ai( 
den  Thron  au  schwingen,  die  Krönung  ward  mit  Pn» 
gen  auf  Liffoyscblofs  begangen.  O  Irland!  Irland!  vi- 
rest  du  so  blind?  Der  König  sitzt  einsam  um  Mitt» 
nacht  beim  Pokale,  sidi  seiner  neuen  Pracht  zu  firenen, 
er  will  sich  am  Anblick  der  Krone  weiden,  sein  Solu 
soll  sie  ihm  bringen ;  doch  schau,  wer  hat  die  Pforfa 
aufgemacht?  Ein  Geisterzug  schwebt  herein  mit  FIfi- 
Stern  ohne  Worte,  eine  Krone  schwankt  inmitteo. 
Dem  Könige,  dem  wird  so  geisterschwüf, 

VndMtti  der  $ckwanm  Menge  lliekt 

Ein  Kind  mit  fri$cher  Wumde^ 

JEf  ia^li  Mierbenewek  und  tückfi 

E$  macht  im  Sani  die  Runde^  «  - 

£s  trippelt  SS  dem  Tlurgne^ 

Ei  reichet  eine  Krone 

Dem  Könige^  deß  Herze  tief  erichrichi,  ^ 

Daran  f  der  Zug  von  dannen  etrickt 
Von  Morgenluft  herauicktt; 
Die  Kerzen  ßackern  wunderlich^ 
Der  Mond  am  Fentter  lauschet; 
Der  Sohn  mU  Angtt  und  Schweigen 
Zum  Vater  that  sieh  neigen,  — 
Er  neiget  über  eine  Leiche  «<cA. 

Aber  auch  die  komisehe  Stimmmig  weifs  der  Dieb 
ter  in's  phantastische  Element  einzul&hren ,  wenn  ei 
uns  (S.  80)  in  den  Garten  des  „Sehlofskupers**  (Hof 
rike  schreibt,  ich  weifs  nicht  warum,  die  niederdep'^ 
sehe  Form  statt  der  hochdeutschen:  Köfer)  zn  T'' 
hingen  geleitet  und  acht  Kegel  aus  dem  Tod€r^' 
Schlummer  erweckt,  wdche  eigentlich  Tcrzauberte 
Studiosen  sind  aus  der  Zopf-  und  Puderseit,  rotk 
Röcklein,   kurze  Hosen ^  und  ganz  charmante  Lest/ 


1 


(Der  Bescfaliiis  folgt) 


^  17. . 

Jahrbficher 

für 


Wissen 


Schaft  liehe    Kritik 


Juli  1839. 


Gedichte  von  Eduard  Moerthe. 

(ScWuls.) 

Wie  koiniscb  klingt  es,  wenn  diese  altfräDkischen 
Geister  deu  Küfer  io  der  bekannten  stehenden  Formel 
des  Volkslieds  anreden :  ach,  Köper,  lieber  Küper  mein! 
und  erzählen,  ihr  ehemaliger  Schoppehkönig,  ein  ger 
sch^orener  Weintrinker  —  kam  Tajgs  auf  sieben  Mafs  — 
habe  sie  in  Kegel  verzaubert^  weil  er  sie  mit  ein  paar 
lausigen,  Dichtern  bei'm  sauren  Bier,  zwar  sämmtlicb 
nudelnüchtern,  auf  der  Kegelbahn  traf,  er  habe  hier- 
auf, da  das  Biertrinken  ganz  in  Schwang  kam,  'seine 
Krone  weggelegt  —  „an  mir  ist  Hopfen  und  Mälz  yer- 
lorn'^  und  sei  in  edlem  Zorn  vom  Throne  gestiegen, 
."  M  Kummer   ond   für  Grämen  zerfallen  trie  ein  Sche- 

-^,  gestorben  und  in  das  tiefe  Gewölbe  des  Scblos- 

o  zu  „Tüwingen"  •)   bestattet   worden  u.  s.  w.     Ob 

r-  ^erike  gut  gethan,  eine  phantastisch  scherzhafte  Lieb- 

«tigsfiction  aus  seinen  Jugendjahren,  das  Mährchen 
Vom  sicheren  Mann,  einem  täppischen  gutmütbigen  Rie- 
sen^ in  welchem  die  Elemente  kaum  erst  zu  den  gröb- 
sten Umrissen  menschlicher  Gestalt  sich  formirt,  im 
VersQiaars  des  Hexameters  hier  aufzunehmen,  mufs 
ich  bezweifeln.  Es  ist  zwar  an  sich  ganz  interessant, 
wie  diese  uralte  Lieblmgs-Yorstellung  der  Deutschen, 
Jie  Vorstellung  von  linkischen  Biesen,  in  denen  das 
Volk  seine  naive, , ungehobelte  Kraft  sich  zum  eigenen 
"^cherze  im  Spiegel  zeigte,  nachdem  sie  in  der  Poesie 
^^38  Mittelalters  ein  stehendes  Thema  gewesen  war,  ia 
,J^ir  späteren  verfeinert  als  Simplicissinius  u.  s.  w.  zum 

'^schein  kam,  hier  bei  einem  ganz  modernen  Dichter 
ohne  Zusammenhang,  vielleicht  ohne  Bekanntschaft  mit 
dieser  altdeutschen  Figur  wieder  hervortritt..  Allein  der 


»)  Dieses  »/rawingen"  für  Tubkigcn  ist,  so  wie  derAnsdmck: 
bis  däifs  die  Zeit  erfdllet  wois  (was,  für  war,  gieoge  wohV 
aber  es  mufs  nach   dem  Zusamoienhang  „ist"   heifsen)  ^ine 
Spielerei,  die  wir  nicht  billigen  können. 
Jahrb.  J.  wUiemch.  Kritik.  /.  1839.  II,  Bd. 


Gegenstand,  liegt  dem  Publikum  zu  ferne,  es  lädst  s^oh 
keine  Vertrautheit  mehr  mit  einem  solchen  Bilde  be- 
wirken. Die  Freunde  des  Dichters,  die  sich  erinnern, 
wie  er  init  seinem  {trefflichen  mimis9heQ  Talente  diese 
Figur  dargestellt,  wie  er  bei'ni  Weinglase  mit  geistei« 
verwandten  Freunden'  diese  lustigen,  tollen  Träume 
ausgeheckt,  erzeugen  sich  aus  dieser  speziellen  Er* 
innerung  leicht  wieder  das  Bild,  Fremde  aber  finden 
sich,  weil  ihnen  diese  Supplemente  fehlen,  nicht. zil- 
rechte,  ja  sie  denken  vielleicht  gar  an  versteckte 
Räthsel. 

Endlich  erhebt  sich  diese  Poesie  des  naiven  sub- 
ataAtiellen  Bewofstseins  in  .das  Gebiet  der  Religion. 
Vollkommen  trifft  der  Verf.  den  schlichten  Ton  der 
Legende  (Erzengel  Michaels  Feder  87.).  S.  144  versucht 
er  einen  jener  herrlichen  lateinischen  altkatholischea. 
Kirchengesänge,  wovon  er  zugleich  meines  Wissens 
zuerst  den  Text  mittheilt,  zu  übersetzen,  es  will  uns 
aber  die'  Zeile  9, war  Eis  im  Herzen"  als  Uebersetzung 
von:  O  frigus  triste  etwas  pretiös  Torkommen.  Herr- 
lich ist  das  Lied:  Wo  find'  ich  Trost 2  (S.  126> 

„Etne  Liebe  kenn*  ichy  die  i$t  ireuy 
-    War  getreuy  eo  lang  ich  iia»  gefunden*' «.  •.  v« 

Hier  seuftzt  das  Herz  aus  seinen  innersten  Tiefen  zu 
Gott  und  fragt  in  seiner  Noth:  fluter,  Hüter,  ist  die 
Nacht  bald  hin,  Und  was  rettet  mieh  von  Tod  und 
Sünde! 

Doch  es  ist  Zeit,  dafs  wir  diesen  Genius  auch  in 
das  Gebiet  der  Kunstpoesie,  der  klassisch  veredeltea 
Form,  der  reinen  Idealität  begleiten.  Hier  dürfen  wir 
sogleich  die  tiefe  Wärme  bewundern,  mit  der  er  das 
bewufstlose  Naturleben  beseelt.  Aus  dieser  Sphäre 
hebe  ich  vor  Allem  das  Gedicht:  Mein  Flufs  (&  62) 
hervor.  Ich  setze  nur  den  Anfang  her,  um  jeden 
Leser,  der  die  Poesie  des  Badens  in  einem  Flusse 
kennt  und  fuhlt^  nach  dem  schönen  Ganzen  lüstern  zu 
machen« 

-  •  m 

17 


V  • 


131  '  E.    Moerfk€^ 

O  FU/m,  mein  Fluft  im  Morgenttrakl] 

Empfange  nuuy  empfange 

Den  iehnsuchtivollen  Leib  einmal 

Und  käue  Bruet  und  Wange  i 

—  Er  fühlt  mir  ecli^m  herauf  die  Bruit, 

Er  kuhU-  mit  lAebeeeehmuerluet 

Vnd  jauchzendem  Geeänge.     ' 

Welche  Innigkeit  der  Begeistung  liegt  schon  allein  in 
der  Wendung  ,,er  fiiblt  mir'',  wo  ist  diese  Sehnsucht 
nach  der  Berührung  des  Elements  y.  dieses  Gefühl  der 
Einheit  mit  dem  All  der  Natnv  schöner  poetisch  aus- 
gesprochen worden?  Ein  andermal  fühlt  sich  die  Brust, 
begierig,  deüi  Natorgeista  sich  zn  vermählen,  von  sei-. 
Her  kalten  Strenge  in  sich  zurückgeworfen.  Dier  Dich- 
ter wendet  smiA  ans  dem  Grün  des  Waldes  nach  dem 
Ursprung  der  Quellen,  die  der  Matten  grünes  Gold 
durchspielen,  zeigt  mir,  ruft  er,  die  urbemoosten  Was- 
•erzellen,  Am  denen  euer  ewigs  Leben  rollt,  Im  kühn- 
sten Walde  die  yerwacbsnen  Schwellen,  Wo  eurer 
Mutter  Kraft  im  Berge  grollt,  Bis  sie  im  breiten 
Schwung  an  Felsenwänden  Herabstürzt,  euch  im  Thale 
an  versenden,  -* 

O  hier  Ml*«,  w  Natmr  den  Schleier  reifet  l 

Sie  bricht  einwäal  ihr  Obermemehlkh  Schweigern : 

Lßui  mit  eich  eelber  redend  will  ihr  Geiei 

Sieh  ielbei  vernehmend^  eieh  ihm  eelber  zeigen, 

—  Doch  ach^  tie  bleibt^  mehr  alt  der  Mentch^  v^rwaiet:, 

Darf  nicht  aut  ihrem  eignen  Ratheel  steigen  l 

Dir  biet  ieh  denn^  begier'ge  Waetertauley 

Die  nmekta  Bnut,  ath!  ob  eie  dir  eich  theilei 

_  4 

Veirgebent  I  und  dein  käläes  Element 

JS*opft  an  mir  ab^  im  Grase  zu  versinken» 

Was  isVSj  das  deine  Seek  van  mir  trennt  f 

Sie  ßiehtf  und  mocAl*  icl^  auch  in  dir  ertrinken  ! 

Dieh  krankes  nicht,  me  mein  Her*  mm  dich  enthrasmt. 

Küssest  im  Sturz  war  diese^  schroffen  Zinken ; 

Du  bleibestj  was  du  warst  seit  Tag  und  Jahren^ 

Ohn*  einigen  Schmerz  der  Zeiten  zu  erfahren* 

'  Soll  ich  etwas  über  diese  alterthüniliche  Kraft,  dieses 
Mark  des  Verses  und  der  Sprache  hinzufügen?  Doch 
nicht  immer  erscheint  die  Natur  in  so  abweisender  Er- 
habenheit, dem  Dichter  wird  wohl  und  warm  uui's  Herz, 

'  wenn  er  im  leichten  Wandersehweifse  durch  den  Wald 
voll  Vogelsangs  waiidert.und  es  fühlt  der  alte,  liebe 

'Adam  Herbst-  und  Frühlingsfieber,  Gottbeherzte,  Nie 
verscherzte  Birstlings-Paradieseswonne.  (Fufsreise  47.) 
Voll  Jugendfrische  glüht  sein  Inneres  auf  bei'm  Auf- 
flammeft  der  winterlichen  Morgenröthe  (An  einem  Win- 
termorgen S.  1.     Zurechtweisung'  S.  148),  den  Fi:üh- 


O  0  d  i  e  k  te 

ling  fühlt  er  ahnungsvoll  einziehen '  (Er  ist*s«  9«  ^\ 
das  leise  Weben  der  Nacht  belauscht  er,  hört  m  iluni 
stillen  Einsamkeit  der  £rdenkräfte  flüsterndes  (>#• 
dränge  — 

Wie  ein  Gewebe  zuckt  die  Luft  manchmal, 

Durchsjehtger  stets  und  Uiehter  mufzuweh^ 

Dazwischen  Itört  man  weiche  Töne  gehen       ' 

Von  seVgen  Feen,   die  im  Sternensaal 

Bei:m  Sphärenklang 

Und  fleifsig  fiut  Gesang 

Die  goldnen  Spindeln  hin  und  wid^  dreheui 

Besonders  bezeichnet  das  sebOne  Gedicht  S.  46.  ,^ 
Frühling**  die  mystisch  träumerische  Art  seiner  in  i» 
endlich  unsagbare  Tiefen  sich  hinabsenkenden  Emplii' 
dungstülle.  Der  Dichter  liegt  auf  dem  Hügel,  siek 
dem  Laute  der  Wolken,  des  Flusses  zu,  das*  Ucn 
steht  ofl^en  gleich  der  Sonnenblume,  .sehnt  sich,  dehat 
sich  in  Lieben  and  Hoffen,  die  Augen,  wunderbar  b» 
rauscht,  thmu  als  schliefen  sie  ein,  nur  noch  das  Okr 
lauscht  dem  Ton  der  Biene  — 

^  Ich  denke  diefsy  und  denke  das^ 
ich  sehn^  michj  und  weijs  nickt  rechte  neuh  siftts: 
Halb  ist  es  Lust,  halb  ist  es  Klage, 
Mein  Herz,  o  sa^e: 
Was  webst  du  für  tlrinnerung 
In  golden  grüner  Zweige  Dämmerung^ 
•—  Alte,  uMnettnb4tre  Taget      ' 

Im  orientalischen  Geist  nennt  er  die  Nadit  einen  scU* 
nen  Mohrenknaben,  den  Tag  seine  Geliebte,  die  j«»a 
e^ig  sucht  und  nicht  erreicht:  Tag  und  Nacht  S«  151 
Dagegen  mufs  es  auffallen,  wie  ein  so  ächter  Dicbtcr 
-  die  dunkle  Allegorie  „Die  Elemente**  S.  158  verferti- 
gen mochte,  so  ausgezeichnet  übrigens  dieses  Gedidrt 
durch  Woblklano;  und  einzelne  phantasievolle  Bilte 
ist.  Dieses  Gedicht  stammt,  wie  wir  wissen,  .aus  der 
Periode  ersten  unklaren  dichterischen  Drangs  und  in- 
det  hierin  seine  Zurechtlegung. 

Der  Dichter  blickt  in  seine  eig^e  Brust,  actne  Vl^ 
gangenheit . erscheint  ihm,  mit  unendlicher  Wehumtk 
wandelt  ^r  an  der  Stätte,  wo  er  die  ersten,  ahnuDgl* 
vollen  Jüngimgsjahre  durchlebt  hat.  Hier  bezeiebde 
Ich  das  Imionders  schone  Gedicht:  Besuch,  in  ürsck 
8«  48,  woraus  ich  schon  die  Strophen  anführte,  die  ^ 
Dichter  beim  Anblick  des  Wasserfalls  im  ürache^  Thile 
ausruft. .  Kennt  ihr  mich  noch,  fragt  er  die  besonntai 
Felsen,  ,)alte  Wolkenstttfale",  die  dichten  Wälder  f«! 
balsamreicher  Schwüle,  kennt  ihr  mich  noch,  der  soDit 
hieher  geflüchtet?  Hier  wird  ein  Strauch,  ein  jeder  Hsl* 
zur  Schiingo,  Die  mich  in  rührende  BetrachtuiKg  fängt,r- 
Ich  fühle,  wie  von  Schmerz  und  Lust  gedrängt  Die 
Tbräne  stockt,  indefs  ich  ohne  Weile^  Unschlüssig) 
satt  und  durstig,  weiter  eile.''  Das  Bild  erster  Freust 
Schaft  taucht  in  seiner  Erinnerung  auf,  er  siebt  sieb 
am  Arme  des  kindlichen  Freundes  durch  diese  W^l' 
der  nackend  •  wallen  $  ihrHügef,  ruft  er  ans,  ^ von  der 
,  alten  Sonne  warm,  Erscheint  mir  denn  auf  keinem  voi 
euch  alieo  Mein  Ebenbild,  in .  jugendUcher  Frische  Be^ 
vorges|^ruogen  aus  dem  Waldgebüachel  0  komm,  ^0^^ 
hülle  dich.  Dann  sollst  du  mir  mit  Freundlichkeit  io'^ 
dunkle  Auge  schauen !  Noch  immer,  guter  Knabe,  gki^^ 
ich  .dir,  Ijns  beiden  wird   nicht  voreidander  grauefl! 


133  .^  E.    M  Q  e  r  i  k  e^ 

»  • 

Voll  Hübrunjor  sagt  ,ef  eodlioh  der  tbcureo  Stätte  Le-  ' 
bewohl:  0  Thal!  Da  meiaes  Lebens  andre  Scbwelle! 
Du. .  meiner  tiefsten   Kräfte   striler  Herd!    Da   meiner 
Liebe .  Wundernest  I   ich  scbeide,   Leb  wobl!    nnd  sei 
dein  Engel  mein  Geleitel'* 

Wir  haben  gesehen,  irie  innig  und  wabr  der  Dich- 
ter die  Liebe  in  ihrer  naiv« volkstbümlichen  (Gestalt  sieb 
äussprecbf^n  läfst.  Ideenvoller,'  geistiger  blickend  wird 
sie  m  der  Gestalt  der  Kutist*Poesio  vor  uns  treten. 
Dem  einfachen  Volksliede ,  noch  näher  steht  das  ganz 
im  CSeiste  Goethischer  Anmnth  empfangene  Erste  JLie- 
bestied  eines  Mädchens  S.SS.  Das  Mädchen  glaubt 
emen  Aal  im  Netze  zu  ergreifen,  ^ber  er  schnellt  und 


G  e  d  i  e  k  i  e. 


134 


sich  im  Ring  —  Gift  mufs  ich  haben!  Hier  scbleicut 
es  herum ,  Thut  wonniglich  graben  Und  bringt  mich 
noch  um!**  Wie  kindlicn  traulich  ist  die  Erinnerung 
des  Dichters  an  eine  Jagendliebe,  die  mit  den  Worten 
beginnt  und  schliefst:  Jenes  war  zuni  letztenmal,  Dafs 
ich  mit  dir  ging,  o  Klärchen  !**  8.  3.  Die  kräftige  Gluth 
edler  und  reiner  Sinnlichkeit  brennt  wie  die  Flammen- 
krone der  Granatblume  in  dem  Gedichte:  Liebesvor- 
zeichen S.  ,40.  Aber  in  höherer  Bedeutung  gebt'  Schön- 
heit und  Liebe  ai:^F,  da  sie  auf  den  Schwingen  erhübe- 
oer  Musik  dem  Dichter  zuschwebt  Josephine  S.  64.. 
Die  Liebe  erscheint  ihm  aber  auch  als  die  anmutbvolle 
Muse  seiner  Poesie  \  wenn  es  im  Innern  gährt  und  ringt, 
wenn  dem  unrubigen  Geiste  das  tief  Empfundene  in  des 
Dichters  zweite  Seele,  den  Gesang,  zu  ergiefsen  nicht 
gelingen  will^  da  beschwichtigt  die  einfach  milde  Er- 
schemung  der  Geliebten  den  inneren  Kampf  -r  ^>Wie 
du  dann  geruhig  deine  braunen  Lockenbaare  scbiich- 
test.  Also  legt  sich  schön  geglättet  All  dies  wirre  Bil- 
derwesen, All  des  Herzens  eitle  Sorge,  Vieizertbeiltes 

Thun  und  Denken" ,.    (Der  junge  Dichter  S.  9); 

Die  beilige  Bedeutung  der  Ehe,  das  rührende  Bild  des 
schönsten  menschlieben  Festes  hat  uns  der  Dichter  mit 
jener  edlen,  beruhigten  Sittlichkeit,^  mit  jener  tiefen 
stillen  Wärme  des  Goetbischen  Genius  au's  Herz  ge- 
legt m  dem  Hochzeitliede  S.  54.  Ein  räthselbaft  ge- 
beimnifsvolles  weibliches  Bild,  wie  aus  seltsamen  Träu- 
men gewebt,  fiibrt  der  Dichter  am  Schlüsse  in  einer 
Reihe  von  Gedichten  ^,Peregrina''  S.23I  vor  uns.  Hät- 
ten wir  nur  irgend  emen  Anicnüpfungäpunkt,  um  uns 
diese  Phantasuuigorieen  zu  denten,  so  mürsten  uns  diese 
herrlichen  Bilder,  dieser  Zauberbaucb,  diese  mystische 
Gluth  mit  ungetbeilter  Bewunderung  erfüllen.  ,  Wie 
schön  ist  die  Stanze  im  Eingang:    - 

•  Der  Sfnegel  iie$er  hreuenj  braunen  Augen 
l»t  wie  von  innrem  Gold  ein  Wiettenciiein  i 
Tief  Mut  dem  Buten  gckeint  er'e  emn$aagen^ 
Dort  mag;  iokh  Qolä^  heitrem  Gräm  gedeth'n : 
in  äiete  Ii^aehi  de$  Bltcke$  mtch  zu  tauchen^  ' 
Ünwinenä  Kind,  du  telber  lädtt  mich  ein,  / 

Wiiitt,  ich  tan  kecklick  mich  und  dkh  enfzUndm, 
Reiehet  laekeind  mir  den  Tod  im  Ketek  fer  Bänden! 

Aber  das  Bild  hat  keinen  BodeH}  es  fefah  emo  Notiz, 
ein  trockener  Anhaltspunkt  des  Verständnisses^  und  wir 


iifässen  hier  wiederholen,  was  wir  Über  phantastische 
Poesie  bereits  gesagt  haben.  Zwar  erhalten  diese  Ge- 
dichte im  Maler  Noltdn,  in  den  sie  aufgenommen  sind, 
eine  Unterlage  i6  der  Fabel  dieses  Romanfei,  aber  wenn 
man  auch  diese  zu  Hilfe  nimmf,  So  bleibt  doch  zu  viel 
Dunkel  zurück. 

Wir  treten  aus  diesen   geweihten  Räumen  edler 

Bmpfindung  hinahs  in  das-  raiihe  Leben  nnd  sehen  den 
icnter  von  bitteren  Erfahrongen  erschüttert  9  doch  der 
bannouische  Geist  dämpft  die  Seufzer  des  Stbmerzens, 
wenn  der  Dichter  aufs  Krtinkenla^rer  hingestreckt,  'die 
Muse,  nicht  um  Gaben  der  Dichtkunst,  nur  um  Ge» 
snndheit,  um  Leben  fleht  *^  Muse  nnd  Dichter  S.  119* 
Genesen  schliefst  er  wie  ein  frohes  Kind  die  Hoffnung 
wieder  in  seine  Arme  und  begrüfst  beHer  den  Hilfe- 
kundigen Retter  —  An  meinen  Arzt  12L  sEr  glaubt 
sich  von  den  Freunden  verkannt,  sein  Glück,  das 
langgewohnte,  endlich  hat  es  ihn  "verlassen,  doch-——* 

ich  tprach  zu  meinem  Herzen: 
Lajh  unt  fett  tutemmenhalienJ 
Denn  wir  kennen  uns  einander^- 
.   Wie  iJir  ^ett  die  Schwalbe  kenniy 
Wie  die  Cither  kennt  den  Sänger, 
•     Wie  »ich  Schwert  und  Schild  erkennen  f 
Schild  und  Schwert  einander  Heben. 
Solch  ein  Paar,  wer-  mag  et  tcheiden  ? 

Alt  ich  dieset  Wort  getprochen. 
Hüpfte  mir  dat  Herz  im  Buten 
Dat  noch  ertt  geweinet  hatte» 

Im  Gefühle  der  Freiheit  des  Geistes  neckt  er  lustig 
die  lästigen  Philister  --  Die  Visite  S.  198.  Im  Be- 
wufstsein,  dafs  ächte  Poesie  einen  Scherz  versteht,  pa- 
rodirt  er  höchst  ergötzlich  Goethe's  Scbäferlied  auf  ei- 
nen  verlumpten  Lammwirth  und  läfst  ibn  schliefsen: 

Ha  kontmen  die  Chaiten  gefahren  1 
Der  Hausknecht  tpringt  %n  die  Höh', 
Vorüber,  ihr  Rö/tlein,  vorüber, 
Dem  Lammwirth  itt  gar  to  wekJ 

Ich  wünschte,  dafs  die  Leser  durch  nähere  Bekannt- 
scbafl  mit  dem  köstlichen  Humor,  womit  der  Dichter 
in  schläfrige,  etwas  simpelhafie  Zustünde  einzugehen 
weifs,  in  die  treflriiche  Darstellung  des  Katzenjammers 
sich  ganz  hineinfüblen  könnten,  der  ihn  über  einem 
schiechten  Gedichte  beiUllt,  ifod  woraus  ibtt  endlich  ein 
herzhafter  Rettig  rettet,  den  er  auiftifst  bis  auf  den 
Schwanz  —  Restauration  212.  Aebniicfa  S.  213:  Zur 
Waruung. 

Befreit  ihn  aus  dem  Druck  dieser  kleinereu  Uebel 
sein  Humor,  so  erhebt  sich  dagegen  im  ^Scbwunge  der 
Religion  die  Seele  über  den  grofsen  und  all|i;emeinen 
Schmerz  der  Endlichkeit.  Ganz  das  morgenfliche  Sab- 
batbsgefuhl  ,d^  neuen  Jahrs  hanchen  die  schönen  Stro- 
phen S.  138,  ganz  die  heilige  Traner  der  Charwöche 
das  schöne  Gedicht   S.  155. 

Als  ein  wesentliches  Moment  in  der  DurcbbildunTg 
des  Dichters  zu  diesen  durchsichtig  edlen  Formen  der 
Kunstpoesie  erkannten  wir  die  Einfrasse  des  plastischen 
Geists  der  Alten.  Von  dem  vertrauten  Umj^ange  mit 
diesen  zeugt  dl^gröfsere  Zahl  derjenigen  Gedichte,  die 
in  den  letzteren  Theil  dieses  Büchleins  aufgenommen^ 
sind.    Als  den  peCtiscbeaGeaiusy  ^em  wi«  keinem  Au- 


135.  E.   Moerike^    Gedieht^ 

dem,  die  Höben  des  Pelikoo  nocb  einmal  etiineawann 


13i 


erglänzten,  begrüfst  er  Goethe  S.  134',  unsem  freffli- 
eben  Maler  Eberhard  Wächter  iälst  er  uns  in  dem 
schönen  Sonnette  S.  135  sehen  zurüciKge90j|en  in  seine 
stillep  Wände,  Mit  traurig  schönen  Geistern  im  Verkehr, . 
Gestärkt  am  reinen  Athem  des  Homer,  Von  Goldge« 
völkea  Attika's  umflossen.  Aber  er  darf  sich  selbst 
diesen  edlen  Geistern  gesellen,  denn  Wenigen  ist  es  ger 
limgen,  die  alten  Götter  noch  einmal  in's  Leben  her- 
aufiufiihren,  wie  er  von  dem  Jubel  einer  schwäbischen 
Weinlese  begeistert  in  dem  Gedichte:  Herbstteier  S. 
104  den  Gott  des  Weins  und  sainen  bacchantischen 
Dienst  zu  einem  neuen,  aber  im  Geiste  der  Innigkeit 
und  modernen  Humanität  yerklärten  Leben  aus  dem 
Todesschlammer  erweckt.  Seiue  Feier  naht,  braune 
^  Männer,  schöne  $]rauen  sind  versammelt,  ^in  zu  ehren, 
Noch  ist  vor  der  nahen  Feier  Suis  beklommen  manche 
Brust,  Aber  weiter  bald  .und  freier  Liebergibt  sie  sich 
der  Lust,  —  der  Jubel  beginnt,  schon  ist^  der  Dienst 
des  Gottes  in  vollem  Lauf^  Amor  auch  hat  nichts  da- 
wider, Wenn  sich  Waog*  äki  Wange  neigt,  Und  der 
Mund,  im  Takt  der  Lieder,  Sicfi  dem  Mund  entgegen- 
beugt,  —  dort  drückt  ein  betrunkener  Alter  kiudisch 
den^  Krug. an  die  Wange,  indefs  ein  Junge  ihm  mit  der 
Fackel  kräftig  den  gekrümmten  Rücken  schlägt.  Aber 
ernst  schaut  aus  dem  Gebüsche,  von  Epheu  umrankt, 
..das  träumerische  Marmorbild  des  Gottes  — 

Wie  er  lächelnd  abw'drt$  blicket  l 

Kr  beiinnet  iich  nur  kaum, 
,HerrlicherI  Dein  Auge  nickei, 
JJoch  die/t  AUei  i$t  ein  Traum; 

Luna  iucht  mii  frommer  Leuchte 

Dich,  o  ichoner  Jungling,  hier, 

Schöpfet  zärtlich  ihre  feuchte 

Klarheit  auf  die  Stirne  dir, 

£r  ist  der  Liebling  der  Götter  und  Menschen,  der  Ret- 
ter des  Zeus,  Mars  scblielst  erst  ihn  in  seine  Arme, 
Fühlet  «nun  am  Göttermarke  sich  gedoppelt  einen  Gott, 
Dann  erst  brüllt  der  Himmlisch -Ai^ge  Todeslust  und 
Siegerspott.  Die  Feiernden  treten  vor  <  ihn,  flehen  ihn 
um  ein  Zeichen,  dafs  ihm  ihr  Dienst  willkonmien  sei  — - 

Tritt  in  untre  bunte  Mitte, 
'Oder  trinke  mit  der  Hand, 
Wandle  drei  gemeftne  Schritte 
.Längt  der  hohen  Rebenwand! 
^-  Ach^  er  läftt  eich  nicht  bewegen  «— 
Aber,  horcht,  et  bebt  dut  Thal! 
Ja,  dat  itt  von  Donner tc/Uägen : 
■Horch,  und  echon  zum  dritten  Mai!  ; 

Selber  Zeut  hat  nun  getchworen, 
Daft  tun  Sohn  unt  güntüg  tei. 
So  itt  kein  Gebet  verloren. 
So  ist  der  Olymp  getreu,  — 
Doch  nach  tolcher  Götlerfülle 
Ungettümem  Vebertchwang 
•  Werden  alle  Herzin  ttille, 

Alle  Gatte  zauberbang, 

Siimmrt  an  die  letzten  Lieder  J 
Und  to.  Paar  an  Paar  gereiht, 
Suiget  nun  zum  Flufs  hernieder^ 
Wo  ein  fetUich  Schif  bereit, ' 
Auf  dem  vordem  Rand  erhebe 
Sich  der  Gott  und  führ'  unt  an^ 


Und  'der  Kielf  mit  FlUttem,  tehweba 
Durch  die '  mondbeglänzte  Bahn  l 

Wie  vergeistigt  erscheint  hier  der  alte  wilde  Naturdienst 
im  romantischen  Echo  dieser  herrlichen  Reime!  Doeh 
Moerike  hat  auch  antike  Formen  nachgebildet  und  gar 
manches  Anmutbige  im  Sinne  der  elegischen  und  epi* 
grammatischen  Lyrik  der  .Alten  «gegeben.  \Vie  lieblich 
ist  S.  iü3.  Die  lose  Waare !  Amor'  als  Savoya^dj^  tritt  | 
zu  dem  Dichter  aufs  Zimmer,  das  Jäckchen  verschiebt 
sich,  der  Dichter  ruft:  Ei,  lafs  sehen,  mein  Sohn!  Da 
fuhrst  auch  Federn  im^UandeH  Amor  legt  lächelnd 
den  Finger  auf  die  Lippen  und  flüstert:  Stille!  sie' sind 
nicht  verzollt,  er  füllt  umsonst  dem  Dichter  das  Tin- 
teufafs,  und  entschlüpft.  Von  dem  Moment  an,  will  et 
was  Nützliches  schreiben,  gleich  wird  ein  Liebesbrief, 
wird  ein  Erotiken  draus.  Unter  den  lieblichsten  Epi* 
grammen  erotischer  Gattung  zeichne  ich  besonders  noch 
aus:  Maschinka  S.  123.  Das  edelste  kindliche  Gefühl 
spricht  aus  den  Distichen  „An  meine  Mutter'*  S.  i% 
Wie  sinnig  ist  die  wilde,  Rose  an  dem  unberübmten 
Grabe  von  Schillers  Mutter  gedeutet!  S.  113.  So  vie- 
les Liebliche  und  Edle  aber  der  Dichter  in  diesen  älte- 
ren Formen  reicht,  so  wenig  scheint  er  für  das  tfioderjie 
Epigramm  und  dessen  witzige  Spjtzo  bestimmt  zu  sein. 
Einiges  zwar  ist  ihm  gelungen,  namentlich  S.  202.  Dec 
Liebhaber  an  die  heilse  Quelle  in  B, 

Du  heileU  Den  und  trötiett  Jene/t, 

O  Quell,   $0  hör  auch  meinen  Schmerz! 

Ich  klage  dir  mit  bittern   Tftränen 

Ein  'härtet,  kältet  Mädchenherz, 

Et  zu  erweichen,  tu  durchglühen^ 

Dir  ißt  et  eine  leidste  Pflicht; 

Man  kann  ja  Hühner  in  dir  brühen. 

Warum  ein  junget  Gänschen  nicht? 

Anderes  aber  ist  matt  und  ohne  Salz:  der  Dichter  selbst 
in  seiner  Phuntasiefülle,  welche  mehr  als  Witz  ist,  ve^ 
barg  sich  diesen  Mangel  gewifs  durch  das  Charakte- 
ristische des  Bildes,  das  ihn)  dabei  vorschwebte,  ve^ 
gafs  aber,  dafs  das  Fo^tischej  ohne  solches  Rücki^ürts- 
Bchlicfsen  auf  etwaige  Supplemente  im  Subjecte  des 
Dichters,  bezaubern  soll.  Hier  beginnt  wirklich  der  an- 
füniflich  so"  volle  Strom  dieser  Ljrik  im  Sandö  zu  ve^ 
laufen:  statt  der  prasselntjen  Flamme  reibt  der  Dichter 
Zündbölzcheu,  die  öfters  nicht  brennen  wollen.  Schinie- 
'den  wir  aber  dem  Geiste,  der  bis  dabin  gewifs  in  un- 
serer Liebe  sich  festgesetzt,  keinen  Vorwurf.  Moerike 
steht  an  poetischen  Gaben  zu  hoch,    am  im  Witze  zi 

flänzen.  L'essing  war  ein  feiner  Epipammatist,  aber 
ein  Dichter,  soudern  ein  Kritiker.  Uuter  den  Xeuien 
sind  bekanntlich  die  pikantesten  nicht  von  Goethe,  son- 
dern von  Schiller.  Moerike  hat  mehr  komische  Ader 
als  diese  beiden :  diefs  ist  aber  die  komische  Anscban- 
ung,  die  himmelweit  über  dem  Witze  steht,  und  die  sich 
erst  im  Epischen,  wozu  sich  dieser  glückliche  Genius 
erhob,  zeigen  konnte.  Indem  wir  hier  von  ihm  als  Ly* 
riker  Abschied  nehmen,  mache  ich  noch  besondei^  dar- 
auf aufmerksam,  wie  reicher  Stoff  für  Componisten  m 
diesen  Liedern  ist,  und  kehre  eben  hicdurch  zum  berx- 
liohsten  Lobe  dieser  acht  poetischen  Produkte  zurück. 

Fr.  Vi  scher. 


I 


wissen 


Jahrbücher 

f  ü  r 

Schaft  liehe 


Kr  i  t  i  k. 


Juli  1839. 


m 


vn. 

I)te  gemischten  Ehen^  namentlich  der  K&tholi- 
keri  und  Protestanten^  nach  den  Ansichten  des 
ChristenthumSy  der  Geschichte^  des  Rechtes 
und  der,  Sittlichkeit^  mit  besonderer  Rücksicht 
auf  das  religiöse  Zeitbedürfnifs  dargestellt 
9on  Dr.  Christoph  Friedr.  r.  Amman y  Vice^ 
Präsidenten  des  erangel.  Landeseonsistoriums 
u.  s.  w.  in  Dresden.  Dresden  und  Leipzigs 
1839,  in  der  Amoldischen  Buchhandlung.  XV 
und  205  S.  gr.  S. 

Zwei  Jahrhunderte  sind  beioahe  verflossep,  seit  der 
sacb  langwierigen  Kämpfen  errungene  Religionsfriede  in 
Deutschland  nicht  aufgehoben  und  die  inzwischen  hin  und 
•wieder  erregten  Gravauiina  meistens  zur  Genugthuung 
der' Betheiligten  erledigt  worden*  Die  Auflösung  des 
^deutschen  Reichs  hat  der  schon  seit  dem  sechszehn» 
ten  Jahrhundert  gelockerten  Verbindung  keinen  Ah- 

.  brach  gethan;  vielmehr  ist  die  Einheit  später  bestimm- 
ter und  grofsartiger,'  als  je  zuvor,  wirksam  geworden 
und  der  deutsche  Bund  hat  den  genügendsten  Ersatz 
gewährt.  Wir  können  daher  auch  vertrauensvoll  hof- 
f^i^  dafs  die  in  neuester  Zeit  wieder  heraufbeschwor^ 

.  Ben  Zwistigkeiten  ausgeglichen  und  die  heiligsten  Ban- 
de durch  einen  Conflict,  welcher  das  deutsche  Yator- 
land  höchstens  nur  mittelbar  berührt,  nicht  auf  UAua- 
tüiiiche  Wciise  gelöst  werden  können. 

Wie  bald  und  durch  welche  Mittel  der  zerstörte 
Zustand  wieder  geordnet  werden  wird,  das  dürfte  eich 
jmit  Sicherheit  Vbhl  schon  jetzt  nicht  bestimmen  las- 
sen: ja  es  ist  selbst  nicht  unwahrscheinlich,  dafs  die 
momentanen  Zerwflrfoisse  noch  gröfser  werden,  auf 
dafs  sie  zu  voller  Reife  gelangen  und  die  Nothwendig- 
keit  der  Herstellung  und  Befestigung  des .  Friedens  um 
so  besser  erkannt  und  vollzogen  werde.    Dafür  bürgt 

Jahrb.  f.  wUienieh.  Kritik.   J.  1839.   II.  Bd. 


uns  der  Fortschritt  des  menschlichen  Geschlechts^  wie 
derselbe  aus  dem  Entwicklungsgange  des  Geistes  und 
den  Ergebnissen  der  Gesdiichte  gewürdigt  werden  kann. 

Nach  einer  weisen  Anordnung  besteht  in  der  ob- 
jektiven Einheit  des  Geistes  die  subjektive  Mannigfal- 
tigkeit: denn  nur  dadurch  ist  der  Stockung  und  Ver- 
knöcherung gewehrt  nnd  dem  Streben  nach  Vollendung 
wesentlicher  Vorschub  geleistet«.  Der  Sieg  des  Le- 
bens Aber  ist  ibr,  dafs  in  ihm  die  Verschiedenheit  als 
Gegensatz  fiberwältigt  und  zum  Unterschiede  versöhnt 
werde.  Diese  Ausgleichuhg  des  Besondera  mit  dem 
Allgemeinen  ist  das  Prineip  für  die  Wirksamkeit  des 
Einzelnen,  wie  tier  Gesammtbeit* 

Jedes  Individuum  verfolgt  zunädist  sein  subjekti- 
ves Interesse.  Die  Selbstsucht  und  der  Eigennutz 
schwinden  indessen,  sobald  der  Einzelne  sich  der  Ge- 
sellschaft wahrhaft  einverleibt,  ein  integrirender  Be- 
standtheil  derselben  wird.  Sein  Wille  ist  als  vollen- 
deter  objektiv,  mit  dem  der  Gesellschaft  identisch. 
Für  die  Gesellschaft  selbst  ziehen  sich  kleinere  und 
gröfsere  Kreise,  deren  umfassendster  die  Menschheit 
überhaupt  ist,  nnd  deren  Zweck  daher'  der  objektive 
für  alle  Gemeinschaften  sein  mnfs.  Worin  dieser  be- 
steht, ergiebt  sich  bei  der  Betrachtung  concrcter  Ver- 
hältnisse; im  Allgemeinen  aber  können  wir  die  Begrün- 
dung der  Humanität  im  weitesten. Um£an|pe,  die  Stif- 
tung des  Reiches  Gottes  auf  ^rden,  als  die  Aufgabe 
des  Menschengeschlechts  bezeichnen.  In  dem  Wachs- 
tbume  der  Humanität,  in  der  Versöhnung  des  Parti- 
Gularismus  mit  dem  Universalismus,  finden  wir  darum 
den  Beweis  für  den  Fortschritt  überhaupt 

\  Ohne  hier  näher  für  einzelne  Zweige  der  Gesit- 
tung und  Bildung  die  Wahrheit  des  au%estellten  Prin,- 
oips  nachzuweisen,"  beschränken,  wir  uns,  durch  den  zp 
erörternden  Gegenstand  veraalafst,  auf  die  beiden 
Bauptfaotoren  der  menschlichen  Verbindung  selbst^ 
den  Staat  und  di^  Kirche,  i 

'  18 


139  tf.  Amman  ^  ,di$ 

Im.  Staate^  als  der  rechtlich -politUiGbeli  Seite  itr 
grofseo  Lebensanstait^  erlLennen  vir  im  Abfange  der 
Völker  die  Herrschaft  des  particularen  und  r<)in  sub- 
jefaÜTca  Elements :  denn  4er  Familie  iiod  der  ans  ihr 
hscTorgegaogenen  NatioD  ist  zunächst  nur  der  Ver- 
wandte und  Stammgenosse  Rechtssubjekt.  Daher  hat 
peregrinus  im  Beginne  die  Bedeutung  von  inimicus, 
hostis,  und  der  Ausländer  (alilenti)  andersländisoh)  ist 
6lend^  captivus,  miser,  peregrinus,  biesterfrei.  Der 
Ueberwundene  ist  nur  Sache  (servus  homo  sine  capi- 
^e)^  Dieser  Zustand  der  Iqhumanität  mufs  abor  im 
Verlaufe  der  Zeit  weichen  und  allgemein  wird  das 
jReeAt  des  Menschen  anerkannt,  jedem  Gleichheit  vor 
dem  Gesetze  gewährt,  und  die  Völker  werden  als  gleich- 
berechtigt anerkannt. 

Nicht  anders  kann  das  Endergebnifs  für  die  Ent- 
wtckluBg.  des  religiösen  Liebens  erfolgen,  wenn  der 
Begriff  der  Religion  festgehalten  wird.  Die  Religion, 
die  Gemeinschaft  des  Menschen  mit  Gott,  ist  zunächst 
Irin  Inneres,  Unsichtbares.  .  Als  ein  lebendiges  nnd  be- 
lebendes Organ -tritt  sie  aber  in  die  Sichtbarkeit  nnd 
erzengt  die  Verbindung  der  Gleichgesinnten.  Anfangs 
particular  und  exdusiv  (Familien^  Volksreligion),  wird 
eie  nach  und  nach  umfitssender  und  universell  die  JKar- 
eAey  welche  die  Menschen  als  Kinder  Eines  Vaters  in 
flieh  aufnimmt.  ,        ■ 

Dieses  ist  die  begriffsmälsige  Entfaltung  für  Staat 
nnd  Kirche.  So  wie  aber  die  Ersdieiaung  im  Allge- 
meinen lange  hinter  dem  Wesen  zurückbleibt,  so  sind 
auch  Staat  und  Kirche  noch  nicht  rein  und  vollkom- 
men Terwirkiicht.  Noch  bestehen  in  der  rechtlich -po- 
litischen Verbindung  der  Menschen  Fragmente  der  an- 
i&nglicheti  Beschränkung.  Sollten  diese  etwa  in  der 
religidsen  Gemeinschaft  schon  ganz  beseitigt  sein  ?  Es 
herrscht  vielmehr  in  der  Kirche  bei  weitem  mehr  das 
particidaristische  und  blos  subjektive  Element,  als  im 
Staate,  welcher  joner  vorausgeeilt  ist.  Bestehen  aber 
solche  Beschränkungen  in  den  einzelnen  Geitieinschaf- 
ten  selbst,  so  kann  es  nicht  befremden,  dafs  dieselben 
in  ihrem  gegenseitigen  Verhältnisse  um  so  schärfer 
und  bestimmter  hervortreten,  zumal. wenn  es  sich  um 
einen  Gegeustaml  handelt,  welcher  in  der  concretesten 
Gestalt  das  Verliältnifs  des  Staats  und  der  Kirche  dar- 
stdlt.  Dieser  Gegenstand  ist  eben  derjenige,  welcher 
hier  näher  in  Betracht  gezogen  werden  soll,  fUe  Ehe. 

Die  Ehe  ist  dasjenige  Institut,  in  welchem  sieh 


gemüeJUem  Ehen.  141 

die  drei  Momente  des  gesellsotiaftlichen  Vereins  anb 
Innigste  durchdringen.  Das  nächste  und  ursprünglidw 
ist  das  durch  die  Natur  gesetzte,  dus  physische,  ii 
dieses  sehliefiien  sich  das  bttrgerliche  und  «eligiöie. 
Zwischen  allen  diesen  kann  es  zum  Conflicte  konuBM. 
Vor  Christus  erscheinen  aber  die  beiden  zuletzt  g^ 
nannten  Seiten  in  einer  fast  unterschiedlosen  Jßinkeit; 
jedoch  so,  dafs  bei  den  Heiden  die  bürgerliche,  bti 
den  Juden  die  religiöse  vorwaltet.  Der  Kampf,  wil 
eher  hier  eintreten  kann,  beschränkt  sich  daher  vo^ 
zugsweise  in  der  Richtung  gegen  die  Natur  und  ist  ifr 
soweit  gerechtfertigt^  als  diese  vom  Geiste  1>ewfiltigt, 
oder  in  ihrer  Wahrheit,  in  welcher  sie  dein  Geiita 
,  nicht  widerspricht,  festgehalten  wird  (daher  die  EIm- 
hindemisse  in  der  Familie  -selbst  n.  s.  w.)*  Durch  die 
mit  dem  Eintritte  des  Christenthums  in  die  Welt  ve^ 
anlafste  Scheidung  des  bttrgerlichen  und  religiösen  Ek- 
ments  werden  die  Verhältnisse  complicirter  und  der 
Conflict  selbst  mannigfaltiger,  Jndem  jede  der  drei  Sei* 
ten  die  Alleinherrschaft  anstreben,  und  dadurch  im  b» 
sondern  Falle  den  Widerspruch  einer  dRr  beider  tf' 
dem  veranlassen  kann.  Daher  kommt  es  hierbei  da^ 
auf  an,  jedem  Momente  sein  Recht  zu  schaffen  iu' 
die  in  bestunmten  Grenzen  mtfgliche  Vereinbarkeit  d«^ 
selben  zu  verwirklichen« 

Fassen  wir  von  diesem  Gesichtspunkte ,  den  Ed^ 
wicklungsgang  der  ehelichen  Zustände  und  des  £b» 
rechts  insbesondere  auf,  sp  bietet  sich  uns  darin  ^ 
bedeutungsvoller  Beitrag  «ur  Geschichte  des  Kampfo 
zwischen  Natur,  Staat  und  Kirche.  W^enn  wir  am 
schon  in  den  gewöhnlichsten  Beziehungen  des  ehsfr 
oben  Verhältnisses  diesen  Kampf  nicht  vermissen,  i« 
wird  derselbe  am  meisten  in  den  sogenannten  gewindt 
ten  Ehen  hervorgerufen,  welche  daher  Auch,  whffi^ 
hen  von  andern  Rücksichten,  vorzugsweise  eine  ni" 
here  Würdigung  beansprucheji*  Wir  unterziehen  du 
derselben  mit  stetem  Hinblick  auf  die  in  der  Uebe^ 
Schrift  genannte  Abhandlung  des  Herrn  v.  Amman. 

Unter  der  Menge  von  Schriften,  welche  seit  Jak 
und  Tag  die  gemischten  Ehen  zum  Geigenstande  dir 
Forschung  gemacht  haben,  verdient  die  des  Hm.  v.  i> 
eine  ganz  besondere  Anerkennung.  Wir  berichten  da*- 
balb  über  ihre  Form  und  ihren  Inhalt  zunächst  i^i  it* 
gemeinen,  dann  im  Besondem. 

Der  Hr.. Verf.  schildert  die  gemischten  Eheo  i* 
acht  Abschnitten  nach  der  heiligen  Schrift  des,  alten 


141  .  if.  jtmman^  die 

m  m 

■od  DMeo  Tefttamentfl,  nach  den  StiaiaieDderKiröhenvB* 
ter^  doD  yerordouDgon  der  Concilien,  dem  oeordinisobeO) 
luuioaieoheo, .  päpetlioheD  aad  /aiigemeben  protestanti- 
•chen  Rechte,  naeh  den  Aiuiichtea  der  katholisehta  Dog- 
fliatiky  der  bebarrlichen  Vorwerfung  dieser  Ehen  tod  Rit- 
ten des  rdmisohen  Stuhle  und  naeh  der  bürjj^erlichen 
Gesetxgebung  der  neueren  Zeiten,  und  betrachtet  dann 
im  neunten  Und  sehnten  Abaebnitte  die  gemischten 
Ehen  als  unabweitliches  Zeitbedttrfnifs  in  sittlicher  und 
kirchlicher,  in  religidser  nnd  geselliger  Beziehung. 

Die  eigentliche  Aufgabe^  welche  sich  der  Verf. 
gestylt  hat,  ist  die  Beweisführung,  dafs  den  Ehen  die- 
ser Art  kein  wirkliches  Hindernifs  im  Wege  stehe, 
'  wenngleich  dieselben  „vom  Standpunkte  der  Socialität, 
Klugheit  und  lläuslichkeit  aus  yiele  Inconi^enienzen 
darbieten,  und  daher  tbn  Seelsorgenr,  Eltern  nnd 
Freunden  in  den  meisten  Fällen  widerrathen  werden 
ditrfea"  (S.  38,  39).  Er.  ist  „weit  davcn  entfernt,  das 
Unzuträgliche  und  Mifsliche  zu  Yerschleiem,'  was  eine 
QDbedingte  Zulassung  Tcnnischter  Ehen  namentlich  fiir 
die  niedem  Classen  des  Velkc  haben  würde ;  noch  viel 
weniger  aber  will  er  das  Recht  Jeder  einzelnen  christ* 
liehen  Confession  bestreiten,  fiir  die  Erhaliung  ihres 
Glaubens  und  ihrer  Lehrferm  besorgt  zu  sein.  Viel- 
mehr ist  es  nur  seme  Absicht,  die '  Gründe  zu  prüfen, 
die  sie  zu  dieser  Maafsregel  bestimmte,  den  Eifer  zu 
mftfsigen,  der  sie  bei  dem  Entwürfe  nnd  der  Ausfllh- 
mbg  derselben  oft  genug  über  die  Schranken  der  Weis- 
heit und  Gerechtigkeit  hbausführte,  und  zuletzt  durch 
eine  kritische  Sichtung  dessen,  was  uns  Tradition  und 
Geschiebte  hierüber  darbietet,  auf  ein  richtiges  und 
haltbares  Princip  vorzubereiten,  aus  dem  die  hierüber 
SU  erlassenden  Verordnungen  zu  schöpfen  nnd  nach 
dem*  siö  zur  gemeinschaftlichen  Wohlfuhrt  aller  wahren 
Christen  in  unserer.  Zeit  zu  bemessen  sein  dürften** 
(S.  63.  vergl.  S.  181  folg.  205  mit  der  Vorrede). 

»  Um  .seine  Absicht  zu  erreichen,  hat  es  der  Hr.  Vf. 
für  nöthig  gehalten  ^  bei  der  Eotwickeluog  der  ^e» 
•chiohtliohen  Zustünde  die  Aussprüche  der  Quellen  aus- 
filhrlich  (zum  Theil  im  Originale  ^und  einer  Ueberset* 
Eung)  mitzutheilen  „ihre  Aecbtheit  zu  erforschen,  sie 
in  ihrem  Zusammenhange  darzustellen  und  ihre  Ver> 
pAichtnngsrähigkeit  iilr  unsere  Zeit  nach  bewährten 
Grundsätzen  zu  prüfen.'*  Indem  der  Verf.  so  die  ein» 
seinen  Sätze  der  Quellen  mit  einem  begutachtenden 
Urtheile  begleitet,  sind  aber  theils  mehrfache  Wieder^ 


gemiicAim  Ehen.  ^       .    lAl 

holungen  veraalabt,  theils  die  zusamaiengehdrigeB 
Gründe  von  einander  gerissen  worden«.  Einfacher  und 
zweckmäfsiger  wäre  daher  eine  allgemeine  Betrachtang 
des  ganzen  Verhältnisses  und  ebe  philosophische  fin^ 
wickelong  der  fiir  imd  wider  sprechenden  Gründe  voc^ 
angestellt  und  dem  Leser  die  Beurtheilung  der  ge^ 
schichtlicheu  Data  nach  dem  gewmmenen  Princip  übe»- 
lassen  worden.  Dies  Verfahren  wäre  um  so  wfinschena* 
werther  gewesen,  als  zwar  nach  der  Erklärung  des 
Verfs.  „die  ganze  Controvers  weniger  anf  dmn  Gebiete 
rationaler  und  mpraliseher  Ideen,  als  auf  dem  Boden 
der  Geschichte,  und  zwar  der  jüdisch -christlichen  ge- 
führt wird  und  selbst  die  bürgerliche  und  kirchliche 
Gesetzgebung  bei  der  grofsen  Divergeuiz  ihrer  Grund- 
sätze noch  einer  festen  nnd  sichern  Haltung  sa  erasan- 
geln  scheint"  (S.  4),  dennoch  aber  die  Ueberzeugung 
fest  steht,  „däfa  das  entscheidende  Gewidit  der  ratio* 
nalen  und  moralischen  Ideen  noch  immer  am  rechten 
Orte  hervortreten  wird." 

Die  vom  Verf.  beliebte  Form  der  Darstellung  er» 
klärt  sich  übrigens  aus  dem  Bestreben,  die  Schrift 
y on'  KutecMser:  die  gemischten  Ehen  von  dem  katho- 
lisch-kirchlichen. Standpunkte  ans  betrachtet.  Zweite 
vermehrte  Ausgabe.  Wien,  1838,  zu  widerlegen  (s. 
Vorr.  S.  V).  Ja  wir  möchten  ^ie  Abhandlung  des  Hnt 
T.  Ammon  als  eine  im  Gegensätze  der  Kuttochker'schen  ' 
vom  protestantisch  -  kurchlicben^  Standpunkte  aus  ge- 
fiihrte  Untersuchung  bezeichnen ;  wobei  indessen  nicht 
unbemerkt  bleiben  mag,  dafs  des  Verfs.  protestantisch^ 
Ansichten  eigenthümliche  und  von  ^^umi  andrer  Pro-  . 
testanten  abweichende  sind.  Der  Hinblick  auf  KntfM^b- 
ker's  Schrift  tritt  besondcyrs  in  dem  ganzen  geschieht-  ' 
liehen  Theile  der  Arbeit  so  bestmimt' hervor,  dafs  die 
von  jenem  angenommenen  Auszüge  der  Quellen,  mit 
wenigen  Ausnahmen^  und, nur  diese  wiederholt  werdmi, 
um  die  vom  Gegner  versuchte  Interpretation  zu  entp 
kräften.  Die . Widerlegung  ist  auch  vielfach,'  jedoch 
nicht  immer  gelungen.  ' 

Indem  wir  jetzt  den  Ausfiihrungen  dte  Verfs.  un . 
Einzelnen  folgen,  gehen  wir  mit  ihm  vom  alten  Testa^ 
menteaus.  Nur  zwei  Gesetze  gehören  aus  demselben 
bestimmt  hierher,  nämlich  II.  Mosis  XXXIV,  14—16. 
verb.  mit  V.  Mosis  VII,  1  folg.  und  Esras  IX,  1  folg. 
X,  lÖ— 12.  19,  von  denen  jenes  die  Ebe  hebräischer 
Männer  mit  Kanaaniterinnen ,  um  der  Abgötterei  zu 
wehren,  dieses  allgemeiner  die  Ehe  der  Juden  mit  Aus-. 


143 


V.  Ammony   äie  gemUchUn  EAen. 


tonden  UDteraagt,  weit  damals  die  Unabbäagigkeit  des 
jttdiscbeo  Volks  und  die  Reinheit  seiner  Religion  too 
dieser  Maafsregel  abhin^.  Beide  Vorschriften  vordeB 
aber  nie  aligemein  befolgt.  Wenn  wir  dem  Verf.  nur 
-bedingt  darin  beitreten  wurden,  dafs  diese  Gesetze 
mehr  politischen,'  als  (sittlichen  und)  religiösen  Inhalts 
waren^  so  stimmen  wir  ihm  doch  schlechthin  darin  bei, 
-dafs  eine  für  alle  Zeiten  erlassene  Anordnung  in  ihnen 
nicht  gefunden  werden  könne,  da  das  jüdischeGeset«  über- 
liaupt  nur  seine  locale  und  temporäre  Bedeutung  hatte. 
Da  der  Hauptgrund  die  Verhinderung  des  Uebertrittszum 
<jötzentbum  War,  so  konnte  eigentlich  für  Monotheisten 
das  Verbot  nicht  fortbestehen.  Indessen  werden  die 
'  Grunde,  welche  überhaupt  gegen  gemischte  Eben  spre- 
chen, bei  einer  Ehe  zwischen  Juden  und  Christen  in 
▼erdoppeltem  M aafse  vorhanden  sein.  Uebrigens  Ter- 
•dient  bemerkt  zu  werden,  dafs  unter  den  versehiede- 
nea  jlidischen  Steten  selbst  niemals  ein  Eheverbot  be- 
standen. Von  diesem  Gesichtsponkte  aus  ist  auch  bis- 
weilen von  Juden  die  Ehe  mit  Christen,  als  einer  ihi^en 
p  «ugehörigen  Partei,  gestattet  worden«  Daher  äufsert 
auch  SpiAoza:  Kein  Rabbiner  auf  Erden  kdnnte  ein 
positives  Hindernifs  dagegen  aufbringen,  dafs  Juden 
und  Christen  einander  heiratbeten.  Die  Christen  sind, 
Tom  jüdischen  Standpunkte  aus  betraöhfet,  nur  eine 
jüdische  Secte ;  ^  dafs  ihre  Zahl  im  Verlaufe  der  2eit 
die  gröfsere  wurde,  verändert  an  dem  Saobverhftltnisse 
nichts.  Wir  haben  unter  den  Juden  Secten,  ja  sogar 
unter  den  Thalmudisten  Einzelne,  welche  den  Messias 
als  schon  erschienen  betrachten,  und  nirgends  kann  eine 
gegenseitige  Verscbwägerung  verboten  werden." 

Indessen  ist  andrerseits  von  jüdischen  Schriftstel- 

iem  und  selbst  vom  Synedrium  «i  Paris  dtfs  Gegen- 

,  tbeil  behauptet,  und  von  der  katholischen  Kirche  seit 

dem  vierten  Jahrhundert  die  ^Bke  fiir  unstatthaft  und 

nichtig  erklärt  worden. 

Bei  der  Betrachtung  des  neuen  Testaments  ent- 
wickelt der  Tf.  zunächst,  dafs  Christus  die  Scheide- 
wand, welche  bis  dahin  zwischen  den  Völkern  bestand, 
aufgehoben,  indem  er  alle  für  die  Wahrheit  des  Evan- 
geüi  berief. .  Er  fafst  die  nenteetamentlichen  Grund- 
sätze über  das  eheliche  Verhältnifs  zusammen  und  fol- 
gert daraas,  dafs,  da  Christus  die  ursprüngliche  Ord- 
nung Gottes  für  die  Völker  herstellte ,  das  Cbristen- 
thum  an  sich  kein  absolutes  Hindernifs  der  Ehe  seiner 


114 

<  •       ^ 

Bebenner  unter, ridi  und  selbst  der  ehelichen  Verbii^ 
düng  mit  Nichtchristen  anerkennt,  indem  diese  viel> 
mehr  als  Mittel  zur  weiteren  Verbreitung  der  ehrisHii 
eben  Lehre  betrachtet  wird.  Er  verbreitet  sieh  dsn 
näher  über  die  Erklärung  des  Apostels  Paulus  io  1 
Coriutb.  VII,  12  folg.  und  des  Petrus  in  dessen  ersteh 
Briefe  III,  1  und  II,  7,  die  Aussprüche  in  I.  Corinth. 
VII,  39  u.  iL  Corinth.  VI,  14  beiläufig  berührend.  Au 
der  zuerst  genannten  Stelle  zieht  er  den  Schlufs,  diii 
damals  überhaupt  Ehen  zwischen  Gläubigen  und  Un- 
gläubigen vorgekommen,  dafs  aber  die  Worte  des  Apo- 
stels '  nicht  auf  dic^  bereits  geschlossenen  Ehen  b^ 
schränkt  werden  dürften,  da  der  Apostel  dergleicbn 
Ehen  durchaus  hätte  verbieten  müssen. 

Es  handelt  sich  hier  also  um  die  bedeutungsvolk 
Frage,  ob  nach  den  Grundsätzen  des  neuen  Testame&ti 
die  Verschiedenheit  des  Glaubens  als  ein  Ehehiude^ 
nifs  betrachtet  werden- könne?  Dieselbe  ist  abweidieoJ 
beantwortet  worden.  Bei  vorurtbeilsfreier  Betracfatuii; 
durfte  man  aber  wohl  zu  dem  Resultate  gelangen,  vd- 
ches  bereits  Augustinus  gewonnen:  Non  in  evangeiii) 
aut  ullls  apostolicis  literis  sine  ambiguitate  declarati» 
esse  recolo,  utrum  dominus  prohibiierit,  fideles  infide* 
libus  jungi : '  (de  adniterinis  conjugüs  lib»  I.  cap.  2S.) 
nnd:  Revera  in  Novo  Testamente  nihil  inde  praecep 
turnest^  (de  fide  et  operibns  c.  19.).  Indessen  iriri 
man  daraus  ebetr  eine  unter  Umständen  zu  rechtfeiti^ 
geade  Nachsicht,  als  eine  förmliche .  Billigung  oder  gtf 
Empfehlung  einer  solchen  Ehe,  gegen  welche  doch  in» 
mor  gewichtige  Gründe  sprechen,  folgern  können,  f» 
mal  da  einzelne  Stellen  der  heiligen  Schrift,  wie  it 
sonders  IL  Corinth.  VI,  14«  (^^  r^vaipt  iuQo^vycSJm 
^difiatoig  u.  s.  w.)  eher  dagegen  angeführt  werden  köiH 
neu.-  In  seiner  Opposition  gegen  die  Unduldsamkeit 
bjperorthodoxer  Katholiken,  welche  sogar  Christen  an- 
drer Confessionen  -als  infideles  betrachten,  geht  der  Vf« 
hier  «ohl  zu  weit  und  findet  namentlich  in  der  Stell« 
I.  Corinth.  VII,  12  folg.  zu  viel:  denn  daraus,  dsTi 
Paulus  die  Portsetzung  einer  von  Ungläubigen  eioge- 
gangeneaEhe,  wenfi  ein  Theil  sich  zum  Cbristenthasie 
bekehrt  und  der  andere  in  der  ehelichen  Gemeinscbaft 
zu  verharren  nicht  abgeneigt  ist,  empfiehlt,  kann  sof 
eine  wirkliche  und  directe  Billigung  einer  zwischen  et- 
nem  Gläubigen  und  Ungläubigen  erst  einzugeheodep 
Ehe  mit  unsefm  Verfasser  nicht  geschlossen  werden* 


(Der  Beschinis   folgt.) 


w  1  8  19  e  n 


J  a  h  r  b  tt  c  h  e  r 

für 

»  • 

s  c  h  a  f  t  lieh  e 


» 


Kri  t  i  k. 


Juli  1839. 


DU  geminchten  EAesiy  MmentUch  dar  KäihoUr 
ien  und  Pri^tesUmten,  nach  den  Ansichten  de» 
ChrütenthumSy  der  Oeschichte^  des  Rechtes  und 
der  Sittlichkeity  mit  besonderer  Rüchsicht  atf 
das  religiöse  Zeitbedürfni/s  dargestellt  von 
Dr.  Christoph  Friedr.  r.  Ammon* 

(ScUob.) 
D«r  Apostel  approbirt  die  Fortdauer  einer  eo  ge* 
mischt  gewbrdnen  Ebe,  theik   aas  Abneigung  gegen 
ScheiduDgen  überhaupt,  yon  weldien  im  Vorhergebenr 
den  die  Rede  isti  und  inBeziebnog  auf  welche  zunSobst 
10er  vorliegende  Fall  zur  Sprache  kommt,  theils  in  der 
Hoffnang}  der  andere  Theil  könne  jetzt  auch  durch  den 
gläul)ig  gewordenen  Tür  das  EvangeUum  gewonnen  wer* 
den  (vgL  L  Petri  UI,  1  folg.^).    Diese  Erwartung  ist  aber 
keine  GewiTsheit:  denn  was  weissest  du  aber,  du  M^eib» 
ob  da  den  Mann  werdest  selig  machen  ?  oder  du  Manui 
-«vas  weisae&t  du,  ob  du  das  Weib  ^werdest  selig  ma* 
chen}~('d«  h.  für  Christus' gewinnen)  (a.  a,  .0.  V.  16> 
Um  so  wenFger  kann  man  daher  mit  dem  Yerf«  anneh* 
men,  dafs  auf  dieses  Ungewisse  hin  ein  so   bedenkU- 
ches  Mittel  empfohlen  worden,  sei,   um  jenland  zum 
Chrirtenthum.  zu  bekehren,  abgesebn  dayon,  dafs  es  im- 
mer nicht  gerechtfertigt  werden  könnte,  die  Ehe  zum 
Nittel  für  einen  bestimmten  derartigen  Zweck.zu  machen. 
Wenn  der  Vf.  übrigens  (S.  25  Anm.  *)  erinnert, 
die  Praxis  der  christlichen '  Kirche  bis  in  das   vierte 
Jahrhundert  beweise  schon,  dafs   man  die  Stelle  des 
Apostels  auch  ton  künftigen  Eben  verstand,  so  mufs^ 
dagegen  bemerkt  werden,  ^vSs  für  dje^ Ansicht  der.Kir- 
cbe  aus  dem  Vorkommen  solcher  Eben,  welche  übei^ 
dies  wohl  meistens  erst  durch  den  Uebertritt  <wes  TbeiU 
gemischte  wurden,  nichts  gefolgert  werdeb  könne,  da 
der  Staat  solche  Ehen  gestattete  und  zuerst  im  Jahr 
339^  die  Ehe  zwischen  einem  Juden  mit  einer  Christin 
(c.  «.  C.  Theod.  de  Judaeis)  (XVI,  &)  und  im  J.  38» 

Jakrh,  f.  wiiunich.  Kritik.   J.  1839.    H.  Bd. 


überhaupi  zwischen  Juden  und  Cli^sten  verbot  (o.'  2.  C.  , 
Th.  de  nuptiis)  (UI,  7.)  o.  5.  C.  Tb.  ad  legem  JuUam 
de  aduUertis  (IX,  7.)  o.6.  C«  J.  de  Judaeis  (1, 9.),  überr 
dies  die  kirchliche  Gesetzgebung  gleich  seit  dein  An- 
fange, des  vierten  Jahrhunderts,  seit  welcher  Zeit  Irlr 
überhaupt  erst  besondere  Kirchensatzungen  besitzen, 
gegen  solche  Ehen  eiferte. 

In  dem  folgenden  Abschnitte  erhalten  wir  in  den 
Erklärungen  der  Kirchenväter  fast  nur  Auszüge  aus 
Kutscbker,  mit  Gegenbemerkungen  und  besonders  der 
Erinnerung,  dafs.  die  Väter  meistens  blos  von  Eiben  imU 
jBchen  Gläubigen  und  Dnglänbigen  sprechen,  deren  Ana» 
Sprüche  dahernicht  auf  Ehen  zwischen  Katludiken  und 
Protestanten  angewendet  werden  können»  Die  allein 
seligmachende  Kirche  (vom  Vf.  beiläufig  9,eine  tradi- 
tionelle  und  nach  unsern  Grundsätzen  häretische  Htfw 
che'*  genannt  S.  93  vgl.  S.  107)  kann  freilich  dAiniC 
nicht  widerlegt  werden,  denn  „die  katholische  Kirche 
hat^  (nach  Kutschker  S.  104)  noch  jederzeit  alle  Jene, 
welche  nicht  zu  ihr  gehören,  als  ihre  Feinde  betrach» 
tet  und  defshalb  ihre  Glieder  von  jedem  näheren  ven- 
trauteren  Umgänge  mit  ihren  Widersachern  zurückzu* 
ziehen  gesucht,  ohne  gerade  die  Gröfse  der  Entfernung 
zu  beachten,  in  welcher  sie  zu  der  katholischen  Kirche 
standen^'' 

Von  den  Kirchenvätern  wird  im  AllgOmeioen,  .mft 
etwaiger  AusnabmiB  des  Epiphanins,  Bischofs  von  Sa^ 
lamis,  um .  das  J.  366,  die  £he  von  Christen  mit  Nicht- 
chri^ten  gemifsbilligt.  Der  drste  aber,  welcher  nach 
der  Bemerkung  Kntschker's,.  dem  der.  Vf.  folgt,  „daa 
von  den  Bischöfen  in  Schutz  genommene,  aber  noob 
nicht  in  gesetzliche  Kraft  übergegangoie  Verbot  der 
Ehen  zwlsc|ien  Gläubigen  und  Ungläubigen,' aooh  anf 
die  Häretiker  ausdehnte"  ist  Ambrosius  (+  307);  Hr^ 
y. .  A«  befindet  sich  hier  aber  in  einem  Irrthume,  wenn 
er  behauptet,  jenes  Verbot  sei  noch  nicht  gesetzlich 
geworden«     Dagegen   sprechen  dfe  oben  angifithrten' 

19 


I  .<- 


147 


«.  Amm9Hy  M*  gmniteAtf»  Ektn. 


1« 


Stellen  des Tbeodotiadien Codex.  Aofih  intfendatuAti 
bereits  viele  Gesetze  gegen  di^  Häretiker  Uod  lii^söü- 
ders  gegen  den  Umgang  mit  denselben  erlassen  (m*  s. 
Co<,  Tbeod.  XVI,  5.). 

,  MieiU$  i4  bieraul  f  on  den  ScbUissed  d«r  Syno« 
den  die  Rede^  welche  der  Verf.  S.  60  als  „mehr  o^er 
weniger  alte  Verschreibungen,  Scheine  nnd  Anweisnn; 
gen''  bezeichnet,   wobei  an  „zerriebeneo,   unlesbaren 

*  und  falschen  Papieren  kein  Mangel  ist/'  Änch  hier 
tfhalten  wir  meist  nur  Wiederholungen  ans  Kntscliker, 
mr  mit  dem  Unterschiede^  dafs  der  Verf,  regelraäfsig 
einen  summarisdien  Bericht  über  den  ganten  Inhalt 
^r  Synoden  giebt^  um  dann  ein  allgemeines  rerweiv 
feades  oder  billigendes  UrdieU  dai'Uber  zu  ftUen.  Bei 
den  kritischen  Untersnchiwgen  iUb^  Alter  und  Aecht- 
heit  der  Synoden  würden  die  Perschangen  der  Ballerini 
■•  a.  mit  mehr  l^^^^olg,  ab  die  Ton  Care,  Mansi  u.  s. 

*  w.  beotttst  worden  aein»  Eine  tiefer  gehende  Unter^ 
mehmig  einzelner  wichtiger  Schlüsse,  wie  tot  allea 
dea  Trallanischen  Concils  nnd  des  voa  Trienh  vemis-' 
aen  wir  nngem«  Nach  dem  Vmrgaage  Kutschker'ii 
aeUiefst  der  Verf.  seine  Betrachtung  mit  dem  zaletzt 
erwähnten  Geocil,  und  läfst  die  vielen  späteren  deut» 
aohea  «ad  andern  Synoden,  von  denen  die  wichtigsten 
miter  andeiu  Stapf  (l^astoralunterricht  über  die  Ehe^ 
8.  210  f.)  namhaft  macht,  nobertcksiehtigt. 

Im  fünften  Abschnitte  gedenkt  der  Verf.  zunächst 
der  älteren  weltlichen  Gesetze.    Eine  Znsaii^menstel- 
lung  derselben  mit  den  älteren  Kircheogesetsea  hätten 
wir  schon  vorher  erwartet.    Ueber  die  Seoulargesetz* 
^ebnng  des  Mittelalters  schweigt  der  Verf.    und  be« 
sdiränkt  sich  darauf^  die  den  Gegenstand  betreflßendea 
,  SteUon  ans  dem  Corpos  juris  canonici,  und  dann  die 
Ansichten   der  Protestanten   und    Reichsgesetze    seit 
dem  aecbssehnteii  Jahrhundert  in  Kürze  nachzuweisen. 
Er  erinnert  ganz  richtig,  dafs  die  Verschiedenheit  des 
Cultus  in  Deutschland  untei;  den  Katholiken  und  Pro- 
testanten längst  aufgehört  habe,  ein  rechtliches  Hin- 
demiTs  der  zwiechen  deo  Verwandten  beid^  Confessio* 
nen  zu  sohliefsenden  Ehen  zu  sein« 

Der  selbstatändigste  "und  darum  am  meisten  zu 
beachtoade  Theil  der  Schrift  des  Hm.  v.  A.  findet 
skA  -in  den  letzten  Abschnitten.  Hier  wird  nun  zuv5r* 
derst  untersucht,  was  von  den  gemischten  Ehen  nach 
den-  Ansichten  der  'katholischen  Dogmatik  und  Sitten- 
lehre M  halten  sei.  Er  gedenkt,  dabei  ,,der  saonunentiiw 


llbhaa  Big4taschaft,  Airch  welche  sich  die  kafhbliaoheEke 
"Wesefittich'  von  der  protestantischen  untersoheidtti  soH," 
womit  denn  zusammenhängt  9,die  pirotestantiscbe  Ela 
kann  geschieden,  die  katholische  nun  und  niuMnenn^ 
gasoUaden  Irerden.'*  Indasaen  ^ytiat.  dieser  ^nd  dir 
Dinge,  wie  mirslich ,  er  auch  nach  dem  offenkundiga 
Zeugnisse  del^  Erfahrung  sein  mag,  seinen  Grund  we- 
niger in  der  Dogmatik  und  Sittenlehre  der  Protest» 
ten,  als  m  ihrem  YerhSItnisse  zum  Staate.**  Er  prBlt 
nun  dde  Lehre  von  den  Steramenteu  selbst,  mit  ia 
achlufs  an  das  Decret  des  Concila  Von  Floreaa  v« 
1439  zur  Vereinigung  mit  den  Armeniern  (iiicht,  irie 
es  im  Texte  heifst.  mit  den  Griechen,  füir  welche  uf 
dem  Goncil  ein  anderes  Decret  vom  4.  Juli,,  das  fir 
die  Armenier  ist  vom  22.  November  datirt,  erlasiei 
wurde).  Die  Zahl  der  Sacramente  hat  gewechselt 
denn  „die'  heiligen  tJrkiinden  des  Christenthums  spt«' 
eben  zwar  von  heiligen  Symbolen,  aber  niebt  VM  Si- 
eramenten,  bieten  nirgends  eine  dogmatische  FimM» 
lung  derselben  dar  uad«  enthalten  eben  so  wenig  fib* 
die  2Cahl  derselben  eine  bestimmte  Verordnung"  (& 
ISS,  134).  Alles  kommt  hier  indessen  auf  den  Begfi 
des  Sacraments  an,  über  welchen  man  Os  von  beid# 
Seiten  zu  eihem  friedlichen  Einverständnisse  brachte 
Dafs  die  Ehe  diesem  Begriffe  entspreche,  negirt  4ir 
Verf.  in  Beziehung  auf  die  einzelnen  Elemenf^  des  Si^ 
craments.  Die  Ehe  ist  keine  symbolische  Handlsugi 
sondern  zunächst  in  ihrem  Culminationspunkte,  At 
Gesqbleehtsvereinigung,  eine  rein  organische  und  il 
sich  selbst  abgeschlossene  Handlung.  Sie  beruht^ 
ner  nicht  auf  einer  Anordnung  Christi,  •  sondern  id 
schon  von  Gott  im  Paradiese  angeonbiet  vnd  M 
auch  nicht  die  Bf ittheilnng  einer  besondern  Gnatle  €h^ 
tes,  weil  sie  ein  Zeichen  der  Vereinigung  Ckristi  mk 
der  Gememde  ist,  da  vielmehr  die  sich  f&r  uns  as^ 
opfernde  Liebe  Christi  ein  Zeichen  und  Vorbild  der 
treuen  Gattenliebe  ist  und  sein  soll. 

Diese  Beweisföhrung,  wenn  wir  sie  so  nennen  wol* 
len,  hat  der  Verf.  sieh  zu  leicht  (i;emabht.  Er  mufetfl^ 
wenn  ihm  dieselbe  gelingen  sollte,  etwas  näbet  Atf 
katholische  Auffassung  der  einzelnen  Momente  d6s  Ss* 
eramentsbegrfffiB  selbst  beleuchten,  und  deren  Unziilis- 
sigkeit  dorthun.  An  seiner  Darstelhmg  bleibt  Jeden- 
falls eine  gewisse  WilikiHirKchkeit/ thit  welche;r  ei' 
den  katholischen  Lefarbegriff '  bdiandelt,  anszusetcen« 
Es  kann  hier  nicht  der  Ort  seid,  das  Resultat  desVft«« 


u* 


Mit  da«  wir  ielb«t  «hYVtstettdiB  äod,  ia  andrer  W^isa 
stt  begriiitfen,  und  swar  achoa  deshalb,  weil  uach  der 
von  den  Päpaten  aelbst  ansgeaprocheneQ  Ansiebt  auch 
^*bai  4leii  ganiaohten  Bhen  die  iaommentiüiacha  Bigen* 
aohaft  nioht  fehlt  im.  a.  >•  B.  BeaedietXlV  de  synädo 
dioeoeaaaa  üb.  Vit  oa^  V  4*  3.  ^.ßtUok  est  inatrimo- 
ninm  cum.  baeretioo  coutrahera  ao  nnuui  idem^ue  aa* 
oramentum  uaa.ouiD  eoden  tel  emnfic^re^  ai  uunirum 
ipsimet  coatrabeiitea  aiot  talia  aaeraiaea^  auniatfi,  quod 
anagii  ooaMHuioniltr  opinantar  Seholaatioi)  Tel  saltem 
f0teip0rey  ei  scilicat,  quod  alü  pm^rtkn  ax  reoentio* 
ribaa  theologis  antomant^  tilin«  miniater  sit  aolaa  aa- 
aerdeB**)*  Sodaan  tat  die  Unauflösbarkeit  der  Ehe,  nm 
die  aa  sieh  hier  besonders  handele  nicht  erat  ein  Ans» 
flufs  des  Saenunants,  sondern  schon  Folge  der  Taufe^ 
wie  dies  vielfach  die  katholische  Kirebe  ausgespro« 
eben  fiat  (m.  s,  s«  &  Benedict  XIV  a.  a.  O.  Itb.  XIU 
aap.  XXU  u.  aO«  I^^^*  ^^^  sittlichen  *  Standpunkte 
nichts  Erhebliches  g^en  dieae  Eben  erinnert  werden 
kdnne^  istroui  VerT  mit  Rücksicht  auf  die  Aeafsernn- 
gen  katholischer  Schriftsteller  ilb^  die  christlidie  Mo? 
ral  aasgefnfart  worden. 

Deuningeachtet  hat  Rem  bsharrlioh  die  gemischt 
ten  Eben  Terworfen  (S.  144  folg.)»  In  den  diesen 
Punkt  betreffenden  Nachweisuagen  erfahren  wir  daa 
aonst  schon  Bekannte.  Mit  Recht  geht  aber  der  Verf. 
Toa  der  Ansicht  aus,  dafs  hier  nikr  eine  Discij^linar* 
aaohe  vorliege,  and  er  seiht  darum  Piua  Vlll  9,eines 
acbweren  Irrtbunts,  wenn  er  die  nach  seiner  Ansicht 
seeiengefttbriichen  und  verbrecherischen  venaischten 
Ehen  als  Sonden  gegen  das  natürliche  uad  göttliche 
C^eseta  betrachtet*'  (B.  160),  da  aoaat  die  in  der  Vor- 
werfang  dieser  Ehen  einstipiniigen  Päpste  Benedict  XIV 
Sttid  Pius  VI  erklart  haben,  ,,dafs  es  sich  in  dieser 
Angelegentieit  nioht  um  einen  Ctegensats  mit  dem 
menscMichea  oder  gilttlicben,  sonüem  nur  mit  dem 
kirchlichen  Rechte  handelt.'* 

Daa  pnbKoistischa  und*  kirchKebe  Priacip  des  gao- 
sen  Streits  fiber  die  gemischten  Ehen,  nämbch  die  Pa- 
rität der  Confessienen  nnd  die  Lehre  von  der  alleia 
aeügmaohenden  Kirche^  beriibrt  llr.  v.  A.  öfter.  Wir 
Jfeeichnen  hier  nur  eine  Stelle  aus,  wo  es  in  Beziehung 
auf  beide  ingleich  keifst:  ,,I>ie  JLösunfi;  des  Problems 
k&iigt  einsig  davon  ab,  ob  emie  ehristlioiie  Kirche  das 
Beimt  haben  könne,  einer  andern  von  gleicher  politi* 
nehei'  Stetlnng,  und  swar  bei  einer  Uanmuog,  die  das 
(Thristeatbnm  für  erlaubt  und  zulässig  erklärt,  ihre 
atatntarisch  witikiihrlichen  Vorschrifteu  iiufiiudringen, 
nie  bei  Eingehung  einer  vermischten  Kbe  filr  rechtlos 
xn  erklären  and  ihre  Mi^lieder  zn  Uofsen  Proletarien 
für  eine  andere  Kircbengesellscbaft  herabzuwürdigen" 
(S.  164).     Er  verneint  dann  natürlich  bliese  Frage. 

%  Bei  der  Betrachtung  der  bürgerlichen  Gesetzge- 
bungen d^r  neuern  Z^it  über  dje  gemischten  Ehen  (S. 
167  folg.)  werden  die  Fragen  über  'den  rechtlichen  An« 
mruch  auf  die  Proclamation,  die  Einsegnung  der  Ehe, 
die  Ertheilung  der  Dimissorialien ,  die  Zulässigkeit 
und  Greozen  der  Kirchenzucbt  u.  s.  w.  mit  Stillschwei- 
gen übergangen  und  nur  der  eine  Punkt  wegen  der 


reÜMosen  Braieimng  der  Kin^r  nälier  gawftrdigt.  Wir 
md  aenotbigt,  uns  hierüber  ihn  so  specielier  auszu- 
sprechen, als  wir  dem  Vorschlage  des  Vfs.  mxM-  heU 
zutreten  vermögen.  •     ^ 

Als  zagMcben  müssen  *:wir  voranssetzen,  dafs  die 
katholische  Kirche  die  gemischten  Ehen  nur  aas  Grün- 
den der  Disciplin  (des  Kircheorechts)  untersagt:  denn 
wenn,  wie  in  neuester  Zeit  mitunter  behauptet  worden 
(s.  auch  vorhin  die  Erklärung  Pins  VIII),  das  J>oama 
{die  Principieu  des  göttliehen  Rechts  und  der  B^aik)' 
dagegen  sprächen,  so  müfsten,  was  überhaupt  coase* 
quent  wäre,  gemisohte  Eheh  schlechthin  unter  Aadro* 
hang  der  Nictittgkeit  verboten  werdmi    Nur  unter  je» 
ner  Voraussetzung  ist  a^qh  eigentlich  vom  kathoUsehen 
Standpunkte  Dispensation  zu  rechtfertiaen,   idso   Ztt* 
lassuDg  der  Ehe  unter  den  bekannten  Gmuseln,  insbi^ 
sondere  der  Erziehung  aller  Kinder  im  aHeia' seligma- 
chenden  Glauben.    Eben   so  wenig,   wie  diese  Lehre 
von  der  Katholicität,  ist  aber  in  den  deutsohen  Staates 
die  Forderung,  ^er  zur  Dispensation  nöthigen  Cautelen 
anerkannt  und  es  sind  daher  verschiedene  Grundsätze 
praktisch  geworden.    Von  diesen  whfd  aber  nur  deija» 
nige  allgemeine  Billiaung  verdienen,  welcher  die  Rechts* 
gleichheit  nicht  verletzt,  und  die  natürliche  Freiheit  ^ 
nicht  beschränkt.    Der  Verf.  äufsert  hierüber  Vorr.  B« 
XI^  XII:    „Der  Staat  kann  hm  als  Gesetzgeber  und 
Richter  nur  dann  eintreten,  wenn  die  Eltern  über  die 
Endebung  der   EindeV  nichts   bestimmt  haben,   oder 
wenn  sie  sich  im  Laufe  der  Ehe  über  sie  nicht  verei«* 
nigen  können,  oder  wen6  zwei  Kirchen  sich  über  den« 
selben  Gegenstand  entzweien,  folglich  auch  di^  Bat- 
scheidung des   Zwistes  von    der  Obrigkeit   erwarten 
müssen.''    Dabei  ist  aber  alleWiUkühr<fern  zu  haken,  ' 
„weil    es   sich   nm    ein   natürliches    und   persönliches 
Recht  der  Eltern    handelt,   dessen  Handhabung  joflb^ 
Parteilichkeit  und  Bevormundung  aussehlierst.    Es  ist 
auch  hier  keine  zufäUi^^  Rerainiscenz  an  die  väterlicha 
Gewalt  nach  dem  römischen  Rechte  zuzulassen,  oder 
den  besondefn  Respect  der  Kinder  gepen  den  Vater 
in  Anspruch  zu  nehmen;  denn  das  (^nnstentham  läfst 
hier  keiue  Hintansetzung  der  Mutter  zu,  uad  die  kiroh* 
liebe  Isolirung  in  der  heranwachsenden  Familie  ilrürda 
ihr,  namentlich  in  den  Tagen  des  Alters,  die  widerfah* 
reue   Rechtsberaolmng    dbppelt    schmerzlich  machen. 
Wunderlich  nehmen  sich  endlich  ia  einer  Angelegenheit) 
wo  es  sieb  einzig  und  aliein  am  das  strenae  Recht  han* 
delt,  die'administratirta  oder  sogenaanten  Nützlicbkeitst 
gründe  aus,  die  unter  dem  Verwände  der  FamiKenzwi^ 
tracht  die  Erziehung  der  Kmder  in'  mehreren  Confes* 
sionen  unzuläfsia  machen  solleü  n.  s.  w.  ->•  Die  Ent- 
scheidung nach  neu  Geschlechtern,  oder  nach  der  Rei^ 
henfolge  der  Kinder  scheint  demnach  die  einzige  za  sein,, 
die  sich  von  eaiptrischeh  Klügeleien  rein  erhält  und 
durch  gleiches  Gewicht  in  der  Waage  allen  gerecUan 
Klagen  und  Beschwerden  zuvorkommt^"  ,• 

VVenn  wir  mit  dem  Vf.  die  Sache  vom  strengsten 
Juristischen  Gesichtspunkte  aus  entscheiden  wollen,  sa 
würde  die  Erziehung  nach  der  Reihenfolge  der  Kinder 
am  Meisten  filr  sich  haben :  denn  nur  auf  diesem  Wege 


151 


ist  Doeh' bif  auf  ein  ziifttl%e»B  MiDiiaum  eine  ivirklicho 
Theilnng  der  Zahl  nach  zo  erreichen.  A)lein  jedes  an« 
dere  rationale  Prineip  würde  dieser  Maafsreffel  fehlen 
und  die  Inconvenienzen,  welche  aus  jderselben  hqi^vor- 
gehen,  so  grofs  und  vielfach  sein,  dafs  davon  schlecht- 
hin abznstenen  ist  An6h  li^t  bisher  in  keinem  Gesetze 
diese  Norm  fmerkannt  worden.  Es  bliebe  daher  die 
andere  Alternative,  Theilung  nach  deui  GescUechte. 
Dafs  für  diese  'Manches  spreche,  ist  nicht  zu  leugnen, 
und  nicht  ohne  Grund  ist  gleich  Anfangs,  als  dieser 
Streit  begann,  seit  der  zweiten  Hälfte  des  siebenzehn- 
ten'  Jahrnunderts  in  der  deutschen  Reichsgesetzge- 
bung^und  dann  in  vielen  Partikularrechten  (so  in  den 
filteren  preufsischen  Provinzialgesetzen  für  Schlesieii, 
Preufsen  u.  s.  w.,  im  Allgem.  Landrechte  Theil  II.  Tit« 
IL  §.'76,  in  dem  Sachs..  Weimar.  Gesetze  v.  19.  April 
3813,  dem  Bairiscfaen  Religions-Edicte  von  1818  Cap. 
III.  4.  12.  u.  V.  a.)  dieses  Prineip  aberkannt  worden, 
indessen  tragen  wir  kein  Bedenken,  uns  gegen  dasselbe 
zu  erklären:  denn  i|icht  blos  sog.  NützUchkeitsgründe 
sind  es,  welche  davon  abrathen,  sondern  die  Einheit, 
welche  in  der  Ehe  erreicht  werdett  soll,  spricht  dage- 
gen. Ist  schon  die  in  der  Ebe  durch  die  Confessions- 
Verschiedenheit  der  Gatten  selbst  begründete  Entzwei- 
ung, welche  gemischte  Ehen  überhaupt  niil'slicb  macht, 
duDchJZnneigung  uiUl  Bildung  glücklich  überwunden,  sOv 
bietet. sich  auch  nicht  das  Geringste  dafür  dar^  diesen 
Zwiespalt  in  den  zarten,  diesem^^ampfe  nicht  gewach- 
senen Kinder  wieder  aufleben  zu  lassen.  Die  Gatten 
sind  Eins  .geworden,  haben  die  trennenden  Grundsätze 
ihrer  Kirchen .  durch  ein  höheres  Prineip  ausgeglichen 
und- dürfen-  daher  nicht  genöthigt  werden,  in  den  man- 

'  nigfachen  Folgen  des  ehelichen  Verhältnisses  von  die- 
ser Einheit  abzufallen.  Wenn  ein  Gesetz  daher  eine 
allgemein^  Norm  über  die  Erziehung  der  Kinder  in  ge- 

.  mischten, Ehen  aufstellt,  so  scheint  am  Meisten  gerecht- 
fertigt werdi^n  zu  können,  dafs  die  Erziehung  in  Einer 
Con&ssion  vorgeschrieben  werde.  Dabei  dürfte  es  viel- 
leicht zweifelhaft  scheinen,  ob  die  Ileligion  des  Vaters 
^oder  der  Mutter  in  Betracht  kommen  soll.  Indessen  ist 
das  natürliche  Haupt  dervFamilie  der  Vater  und  so 
möchte  für  dessen  Religion  zu  entscheiden  sein^  Dafs 
diese  Rücksicht  eine  dem.  Bedürfnisse  am  Meisten  ent- 

.  sprechende  ist,  darf  wohl  mit  Grund  daraus  gefolgert 
werden,  dars  manche  Gesetze  dies  schlechthin  anerken- 
nen (so  das  Hanni)versGhe  v.  31.  Juli  1826,  das  Givil- 

'  gesetz  für  Aaran  von  1826  f.  175.  u.  a.),  andere,  wel- 
che Verträge  gestatten,  für  den  Fall^  dafs  solche  nicht 
Eesohlossen,  dies  gleichfalls  be^immen  (so  dasGrofs- 
^zl.  Hessische.  Gesetz  v«  27.  Febr.  1826,  das  Badi- 
acfae;Gesetz  v.  17.  Juni  1826,  das  königl.  Sachs.  Ge- 
setz V«  1.  Novbr.  1836  u.  a.)  und  dafs  die  meisten  Le- 
gislationen, welche  früher  die  Theilung  nach  dem  Ge* 
schlechte  bestimmt  hatten,  sich  später  für  diese  Maafs- 


r.  Ammon ,  die  gemuchiem  Ehen.  15S 

regel  entschieden  haben  (so  die  Prenfs.  Vei^rdMiog  t. 
2L  Nov.  1803, 7.  Öet.  1825,  das  Saohi..Viretmar.  Gesetz 
V.  7.  Gct.  1823  §.  51.  (nach  welchem  indessen  zunächst 
die  Confession  des  Gatten  in  Betracht  kommt,  desses 
Familie  am  Längsten  dem  Staate  angehört)  u.  a.) 

Uebrigens  sind  wir  darin  mit;  dem  Vf.  einveretm^ 
den,  dafs  jede  gesetzliche  Verfügung  immer  nur  ein 
naturale,  nicht  essentiale  matrimonii,  also  nur  in  aubai- 
diiim  anwendbar  sein  sollte,  wenn  die  Eltern,  deren 
Freiheit  zu  schützen  ist,  sich  über  keine  andere  Mona 
vereinig  haben.  Damit  wollen  wir  aber  nicht  etwa  die 
Zuläfsigkeit  bindender  Verträgje  vertheidigen,  da  theUs 
eine*  zwangsmäfsige  Erfüllung  in  Beziehung  auf  ein  so 
zartes  Vernältnifs  imfmer  höchst  bedenklich  ersct^eioea 
müfste,  (theils  nur  zu  leicht  die  Einwirkung  Dritter,  be> 
sonders  des  Clerus  den  Entscblub  der  Brautleute  fiir 
den  Augenblick  gegen  ihren  eigentlichen  Willen  sufes^ 
sein  geeignet  sein  dürfte.  Wir  können  daher  nicht  um- 
bin,^ die  Preufsische  gegenwärtig  bestehende  G^setzge» 
bung  als  eine  höcht  weise  in  dieser  schwierigen  Ango* 
legenheit  anzuerkennen.  Wenn  auch  nicht  alle  Beden* 
ken  durch .  diese  Legislation  beseitigt  sind  —  und  wird 
wohl  je  unter  gleiten .  Voraussetzungen  dies  möglich 
seini  — ,  so  ist  wenigsten^  den  rechtlichen  FordemBt 
gen  der  Parität  der  Gonfessionen  und  der  Ehegatten 
genügt  und  den  Mifsbräuchen  durch  den  Einflufs  dri^ 
ter  Personen  im  Allgemeinen  begegnet.  Gerede  in  der 
letzten  Rücksicht  ist  ind^fs  das  Gesetz  noch  lückenhaft 
und  es  darf  daher  wohl  unter  den  jetzigen  Umständea 
um  so  eher  eine  Ergänzueg  hierbei  erwartet  werden«. 

Was  in  den  bisherigen  Ausführungen  schon  mehD^ 
fach  angedeutet  worden,  fafst  Hr.  v.  A.  noohmaia  adi 
Ende  seiner  Schrift  zusaiiimen.  Es  steht  den  gemiscdi- 
ted  Ehen  überall  kein  sittliches  Hindernifs  im  Wegeu 
.und  wir  müssen  sie  daher  vom  Vorwurfe  der  Sündha^ 
tigkeit  und  Verwerflichkeit  vor  Gott  und  dem  Mea- 
scheugeschlechte  gänzlich  befreit  wissen.  Dieser  Wunsch 
irird  von  dem  allgemeinen, Verlangen  der  besseren  Zeit- 

Senossen  nach  dem  äufseren  Frieden  aller  christlichea 
leligionsparteien  kräftig  unterstützt  Die  drei  Haupt* 
schulen  christlicher  Pietät,  die  morgenländisch-griei»i- 
sche,.  die  abendländisch-katholische  und  die  proteatan- 
tische  sind  wie  Maria,  Martha  und  Lazarus  nur  Gli^ 
der  einer  Familie-  Noch  vor  wenigen  Jahrzehbnden  war 
man  unter  Katholiken  und  Protestanten  zu  dieser  Ue* 
berzeugung  gelangt,  die  jetzt  wieder  angetastet  worden. 
Mehr  als  jemals  ist  aber  die  Rückkehr  der  ii\neren  Elin^ 
tracht  und  des  kirchlichen  Friedens^  ein  laut  geworde- 
nes, dringendes  kirchliches  und  religiöses  BedürfniA 
unserer  Zeit,  begreiflich  schon  aus  dem  höheren  Stand- 
punkte allgemeiner  Bildung  und  gefordert  durch  die 
socialen  Verhältnisse« 

H.  F«. Jacobson. 


-I 


J  a  h  r  b  tt  c  h  e 

für 


Wissenschaftliche    Kritik. 


Juli  1839. 


^tt 


VIIL 

Gerichtsärztliche  Arbeiten  von  C.  Fr.  Burdachy 

IkönigL  Preufs.  Geh.-  Med.  Rathe^  Dirigenten 

des  med.  Colleg.  m.  Pref.  zu  IjCönigsbergy  Mit- 

.  ter  des  rothen  Adler-Ordens  Ater  Klasse.   Er^ 

ster  Band.     Stuttgart  und  Tubingen,  1839. 

ELs  giebt  Namen  unter  den  medizmiscben  Schrift- 
ftellerny  die«  wenn  sie  neo  erschienenen  Schriften  yor^ 
angesetzt  sind^  sogleich  ein  günstiges  Vorurtheil  über 
den  Inhalt  derselben  erwecken,  wenn  man  ieiuch  gewohnt 
iiar,  diesen  Nainen  soi)st  auf  andern  Gebieten  der 
.  Wissenschaft 'zu  begegnen«  Mit  einer  solchen,  du^ch 
die  {rnhem  Schriften  Burdach's  erzeugten  günstigen  Mei- 
nung wurde  auch  die  hier  in  Rede  stehende  Schrift 
Burdacb's  über  die  gerichtliche  Mediein  mit  VergnÜffen 
ergriffen,  nm  den'Inhalt  derselben  näher  kennen  zu  ler- 
nen. Weldies  Urtbeil  sieb  hiirdurteb  gebildet  hart  über 
die  Schrift  und  welchen  Eindruck  die  Bearbeitung  der 

-  ^älle  zurückgelassen  bat,  soll  in  diesen  Zeilen  ange- 
deutet werden«     -   .  ^ 

Wodurch  der  Vf.  Teranlafst  worden  ist  auch  als 
Schriftsteller  über  gerichtliche  Medicin  besonders  aufzu- 
treten, giebt  derselbe  selbst  an;  er 'wollte  Fälle«  wel- 
che dem  med.  Colleg.  in  Köuigsbcrg,  dessen  ältestes 
Mitglied  derselbe  ist,  vorlagen,  veröffentlichen  und  dem 

-  Beispiele  seiner  VorKänger  auf  dem  von. ihm  iunc  ha« 
benden  Lehrstuhle  für  die  gerichtliche  Medicin  (Bütt- 
ner, Meiz^er)  nützlich  fortzuwirken,  nachkommen. 

,  Zur  Herausgabe  wählte  derselbe  einen  Zeitpunkt^ 
dessen  Erinnerung  auch  für  die  Heilkunst  in  historischer 
Hinsicht  stets  eben  so  wiehtij^  sein  wird  als  er  es  in 
weltgeschichtlicher  Rücksicht  ist  -—  die  Feier  des  25. 
Jahrestags  der  Schlacht  bei  Leipzig.  Die  Erinnerubg 
an  eine  solche  Zeit-Epoche  und  die  grofsärtigen  Ereig- 
nisse selbst  als  Mann  durchlebt  zu  haben,  mufs  stets 
ein  erhebendes  GeftihI  erwecken.  Dieses,  verbunden 
mit  einem  zarten^  innigen  Freundschafts- Ver^ltnifs. für 
einen  hochstehenden  Justiz-Beamtep,  ist  iü  der  Zueignung 
der  Schrift  von  dem  Vf.  lebendig  ausgedrückt  worden. 
Die  allgemeinen  Bemerkungen,  welche  der  Vf.  im 
yorbericht  über  die  Abfassung  von  Gutachten  Seitens 
-der.,med.  Collegjen  und  über  die  Ursachen,  dars  die 
'ebengenannten  Behörden  im  Preufs.  oft  andere  Aussprü- 
che abgeben,  als  die  Obducenten  nnd  sonstigen  begut- 
achtenden einzelnen  Aente,  aufstellt,  sind  treffend  uod 
aus  der  Erfahrung    hervorgegangen.     Wenn  derselbe 

Jahrb.  f.  wiuenich.  Kntik.  J.  1839.  il.  Bd.       ^ 


aber  bemerkt,  dafs  er  bei  seinen  früher  abgerebenen 
Gutachten,  wenn  sie  ihm  späterhin  wieder  zu  Gesichte 
gekommen,  Manches  abzuändern  für  nötbig  gefunden 
habe,  so  Jcann  man  hierauf  nur  erwiedern,  dafs  diese 
Bemerkung  keinen  günstigen  Eindruck  macht.  Denn, 
wenn  man  auch  zugeben  mufs,  dafs  m  einer  Reibe  von' 
Jahren  die  Wissenschaft  sich  ganz  anders  gestaltet, 
dafs  Bueh  die  Erfahrungen  in  der  Ueilkunst  an  Gedie* 
genheit  mit  der  Zeit  und  unter  sorgsamer  Pflege  wach- 
sen, däfs  das  Drtheil  des 'Einzelnen  mit  den  Jahren 
hauptsächlich  an  Klarheit,  Bestimmtheit  nnd  Schärfe 
gewinne;  so  dürfen^ doch  gutachtliche  Aussprüche,  wel- 
che sich  auf  reine  l^rfohrnng  gründen  und  welche  von 
Behörden,  hei  welchen  mehrere  Mitglieder  mit  berathen, 
abgegeben  werden,  -  auch  späterhin  keioer  erheblichen 
Abänderung  bedürfen,  weil  es  sonst  scheinen  könnte, 
als  seien  sie  nicht  aus  einer  rieiflichen  Erwägung  allef 
Verhältnisse  und  aus  einer  gründlichen  Erörterung  von 
allen  Mitgliedern  hervorgegangen,  oder  als  seien  sie 
auf  nicht  haltbarem  Grunde  ruhend.  Das  Verhandeln 
Über  verwickelte,  ^iweifelhaft^  Gegenstünde  von  Galle- 
gien  hat  eben  den  grofsen  Vorzug  vor  dem  Bescblte- 
fsen  und  Bearbeiten  durch  einen  Einzelnen,  dafs  durch 
Opposition  und  freie  Aeufseron^  einer  andern,  aus  der 
Erfahrung  hevorgegangenen  Meinung  die  Wahrheit  oder 
die  ,Wahrscbeinlichkeit«hesser  an  den  Tag  kommt,  ein 
vorsichtigerer  und  zugleich  haltharer  Ausspruch  gege^ 
ben  wird,  als  dieses  von  ^inem  nur  mit  Einer  Memung ' 
begabten  in  der  Regel  geschieht«  — 

Die  erste  Abhandlung  über  die  „Advöcatnr^*  der 
Aerzte  enthält  ganz  ,  wichtige,  zeitgemäfse^  und  leider 
an  vielen  Orten  zutreffende  Bemerkungen.  Die  Nei- 
gung eines  Theiles  der  Med.-Personen,  Angeschuldigte 
m  gerichtlich -mediciniscben  Gutachten  als  schuldlos 
daVzustelien,  weil  manche  Punkte  nicht  mit  mathema- 
tischer Gewifsheit  bewiesen  werden  können,  ist  aller- 
dings in  manchen  FIllIeD,  besonders  bei  jungendlichen 
VerbrecheriT  und  nach  der  Erfahrung,  dafs  Leidenschaf- 
ten, Uebereilnngen  ^.  s.  w.  die  Handlungen  der  Men- 
schen, ohne  dafs  em  böser  Vorsatz  die  Triebfeder  da^ 
bei  ist,  so  sehr  bestimmen,  dafs  die  Grenzen  zwischen 
Leidenschaftlichkeit  und  bösem  Vorsatze  in  ooncreten 
Fällen  oft  so  schwer  zu  bestimmen  ist^  allerdings  mit- 
unter zu  entschuldigen  s  sie  spricht  wenigstens  immer 
für  einen  lobenswerthen  Zug  der  Humanität,  für  Ge- 
recbtigkeitsliebe  und  daßir,  dafs  man  auch  mit  den 
Unvollkonunenheiten  der  ärztlichen  Wissenschaft  be- 

'20 


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.   I 


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kannt  ist;  allein  es  artet  dieses  «ehr  ieicht  am;  es 
verdeo  bald  ilie  Grenzen  des  begatftcbtcftiden  Gerfölits- 
arztes  Überschritten,  das  Vertrauen  der  Gerichte  zu 
den  ärztlichen  Gntachten  wird  wankend«  und  ein  sol- 
ehei  VArfabren  "^macbt  selbst  den  Arzt  leicht,  zu  zag- 
Imft  in  seinen  Aussifrücheik 

Der  Eifer  des  Vfs.  ge'gen  eine  unpassende  Advo- 
Tocatur  der  Aerzte  ist  ganz  gerechtfertigt.  E^  ist  je- 
doch auch  zu  berüoksicbtigen^  dafs  man  es  nicht  für 
ein  Zeichen^  dafs  der  Arzt  einen  Angeschuldigten  ex- 
culpiren  woile,  betrachten  müsse,  wenn  die  von  dem 
Riebter  gerteilten  Fragen  nicht  so  bestimmt  beantwor« 
tet  werden  als  dieses  oft  gefordert  wird;  Solcher  Ge- 
wifsheiten  und  Wahrheiten,  wie  sie  der  Riehter  oft 
ausgesprochen  zu  sehen  Vü^scht,  giebt  es  in  der  Heil- 
kanst  und  Wissenschaft  nur  sehr  wenige;  meistens  be- 
wegen sieb  die  Aussprüche  -  der  Aerzte  nur  um  einen 
b()hern  oder  irie4em  örad  der  Wahrscheinlichkeit,  sol- 
chen nämlich;,  wo  allerdings  mehr  Gründe  dafür  als  da- 
w:ider  spreoben,  wo  sie  aber  auch  nicht  einwurfsfrei 
sind,  uer  gerichtli^iie  Arzt  hat  es  meistens  mit,  Benr- 
ttu^ilung  von  Vorgängen  im  organischen,  lebenden  Kör« 
per,  mit  dem  Effekt  gewisser  feindlicher  Einwirkungen 
puf  ein  Individuum,  init  Abschätzung  der  Wirksamkeit 
der  Naturkräfte^  der  Kunsthulfe  u.  s.  w.  zu  thun,.  wo* 
bei  er  nur  wenige  feste'  Grundlagen,  unabänderliche  Ge- 
setze zu  einer  vollkommen  begründeten  und  Jeden  über- 
feugenden  Ani^ahlne  benutzen  Kauii.  —  Den  Bemerkun- 
gen des  Vfs.  über  die  Besohaffenheit  der  Obductions* 
Verbandlungen  ist  ebenfalls  beizupflichten;  es  dürfte 
nur  Boeh  hinzuzufügen  gewesen  sein,  dafs  die.  Obduc- 
tionen  oft  lyicht  vollständig  genug  ausgeführt  werden, 
und  dals  auch  die  Obductionsprotocone  nur  selten  den 
Grad  d®i^  Vollständigkeit  besitzen,  dafs  sie  einem  voll- 

gültigen  Urtheile  zum  Grunde  gelegt  werden  könnteik 
icbt  unbemerkt  kann  es  bleiben,  dafs  es  bei  vollkom- 
Die^n  instruirten  Akten,  die  den  obducirenden  Aerzten 
BU|r  selten  zti  Gebote  stehen,  den  Medicioal-Collegien 
nllerdings  leichter  ist,  ein  dem  Falle  angemessenes, 
gründlicheres  Gutachten  abzugeben,  als  wenn  den  Ob- 
duceoten  nur  der  Obductionsbefund  zum  Anhaltspunkte 
dargeboten  isjL 

Dem,  was  über  den  Beweis  der  Vergiftung  nach 
dem  Allg.  L.  R.  Th.  IL  Tit.  20.  aufgestellt  ist,  würde 
liuck  noch  hinzuzufügen  gewesen  sein,  dafs,  wenn  keine 
Obduction  stattgefunden  hat,  der  Vergiftete  aber  binnen 
8  Tagen  gestorben  ist,  und  keine  andere  Ursache  des 
Todes  erhellet,  dieser  als  die  Wirkung  des  Giftes  an- 
genommen w^den  soll. 

Die  Andeutungen,  weswegen  nicht  immer  Gewifs- 
.heit  über  stattgefundene  Vergiftung  gegeben  werden 
kann  und  die  Erfordernisse  zu  einem  bestimmten  Aus- 
spruche iiber  eine  Vergiftung:  Beibringung,  Wirkung, 
Entdeckung  des  Gifts,  die  Wirkung  eines  bestimmten 
Gifts,  die  begleitenden  Erscheinungen  als  Zeichen  der 
Wirkung  im  lebenden  Zustande^  die  Veränderung  im 
Leichname,  die  Darlegung  der  pathologischen  Verände- 
rungen und  A»u  giftigen  Körpers,  Welcher  dieselben 
hervorgebracht  hat  •—  die  pathologische  und  chemische 


Burdaehy  geriekiM^xtlichs  ArbeüeH.    Bd.  f.  ISC 

Anälfse  ^  sind  rishtig;  jedoch  auch  von  dem  Vf.  m 
den  anfgefthrten  FMten  von  Vergiftungen  nicht  in  dem 
erforderlichen  Mafse  befolgt  und  bei  Bekundung   des 

Sutacbtiichen  Ausspruchs  nicht  volUtändig  in  Aiaweii» 
ung  gebracht  worden.*  • 

Soviel  aber  die  aUgemeiaen  Sütae  iin4  Bei^erkm 
gen'  des  Verfassers.  — 

Auf  die  einzelnen  Fälle  nun  näher  eingebend,  er* 
scheinen  nur  wenige  der  aufgeführten  von  besonderer 
Wichtigkeit  und  allgemeinerm  Interesse.  ' 

Bei  der  Begutachtung  der  einzelnen  ist  zniilUrfiat 
hervorzuheben,  dafs  der  Thatbestand  im  AllgemeineB 
zu  unvollständig  gegeben  ist,  weswegen  das  Sachrer- 
bältnifs  oft  nicht  genügend  überblickt  werden  kani^ 
nnd  einzelne,  auch  anderweit  schon  bekannte  FUle 
kanm  hier  wiedererkannt  wefden.  Dafs  zu  einer  voll- 
ständig motivirten,  überaeugenden  ^  BenrUieilaii«  ein 
vollständiger  Thatbestand  aber  das  oberste  Elrtorde»- 
niie  «ei,  unterliegt  keinem  Zweifel. 

Die  ersten  vidr  Begutachtungen  betreffen  Vei|p& 
tungen.  —  Es  mögen  hier  einige  Bemerkungen  dbcr 
dieselben  ffenügeni  In  dem  ersten  FuUe^  (p*  -42)  feb» 
len  fast  alle  die  (oben  bezeich oeten)  Requisite  zurCon* 
statirung  einer  Vergiftung.  Es  ist  nicht  festgestelHi 
dafs  Gift  (^Arsenik)  genommen  oder^  beigebracht  ist,  es 
ist  die  Wirkung  desselben  nicht  genügend  und  über» 
zeugend  durch  die  Zufalle  während  des  Lebens  und 
durch  den  Leichenbefund  dargethan,  noch  ist  irgend 
ein  gifti^r  Körper,  geschweige  Arsenik,  im  Korpef 
der  G»,  in  dem  Ausgeleerten,  noch  in  der  Grütze,  von 
welcher  Denata  genossen  hatte,  vorgefunden.  Wie  sehr 
sich  der  Verf.  auch  bemüht,  nacbzuw.eisen)  dafs  eine, 
aus  andern  Ursachen  entstandene  Cholera  nicht  yo^ 
banden  gewesen  sei,  so  überzeugt  er  durdi  die  dafür 
llieigebra^ten  Gründe,  die  überdieüi  In  der  Erfahntiig 
ihren  Haltpunkt  nicbt  haben,  doch  keineswegs.  » Wie 
die  Zufälle  der  Cholera,  denen  der  Arsenik-Vergiftung 
gleichen,  ist  eben  so  bekannt,  als  dafs  die  Cholera  nn* 
ter  solchen  Verhältnissen  oft  noch  früher  tödtct  ab 
es  hier,  am  6.  Tage,  der  Fall  war.  Aufserdem  hatten 
aber  auch  Einflüsse  auf  die  G.  eingewirkt  im  Verlaufe 
der  Krankheit  und  vofh.er,  welche  einen "tSdtlicben  Aus- 
gang derselben  wohl  bedingen  konnteta.  Die  G.  batie 
bereits  früher  an  ähnlichen  Zuständen  gelitten,  in  der 
letzten  Zeit  hatte  sie  wieder  häufig  Aerger  gefaabti 
nach  einem  heftigen  Aerger,  worauf  sie  Wurst  geges» 
sen,  verfiel  sie  früher  in  ein  ganz  ähnliches  Leidetti 
und  in  der  letzten  Krankheit  trank  sie  am  3,  Tagc^ 
von  Nachmittags  bis  zur  Nacht,  3  Flaschen  fiier.  -* 
Endlich  aber  ist  auch  nicht  festgestdH  worden,  ob  &t 
gekochte  Grütze  von  dem  Gefä&e^  worin  sie  gekocht 
worden^  oder  von  der  Milch  nichts  Schädliches  ange- 
nomuHsn  hatte,  —  ein  umstand,  der  hier  um.  so  irich*  . 
tiger  war,  da  die  Grütze,  wovon  die  6.  etwas  genom* 
men  hatte^  dem  Dienstmädchen  sauer  schmetokte^ 
Brennen  in  der  'ßruöt^  Uel^elkeit  nnd  Erbredien  eiw 
regte. 

Unter^  solchen  Umständen,  und  da  die  G.  mit  ihren 
Ehemann  in  Uneinigkeit  lebte,  .da  de^  letztere  sich  im 


Besits  Twi  ArseiHlr,  «les  er  in  «cimrPr^fMsioii  (Kfiradi- 


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aer)  gebraochte,  befand  lind  ntebt  naehweiden  konnte, 
iroxu  er  die  fehlende  Q^uantität  von  .1  Loth  nnd  59 
üfaa  dieser  Snbetai»  gebmucbt  haite:  da  aufserdem 
Ib  etaem  Tergefondeaes  Gläsa  einJGenisdi  von  If  Un« 
sen  Rnm  mit  Arsenik,  iNForoa-  ein  nnaufgeldster  Theil 


•hne  dals  siinftebtt  4er  Msgviv  yfii^  i^fibnlick  betrachtet  wir4^ 
pfiMair  affidrt  wiri«  i»t  nicht  giu  einzusehen. 

-  Endlich  ist  «her  auch  hier  4ie  chemische  Üotersuchung  nich( 
■o  umfassead  ffeschilöcrt,  dafs  sich  daraus  der  Sch|u£s  bilden 
lieise,  jes  sei  »hein  Arsenik»  kein  SubUmat  und  kein.  Kupfer  in 
der  Flüssigkeit  vorhanden  gewesen?' 

Der   4te  Fall,  eine  Vergiftung  nlt  Schwefelsäure   (p.  ^\,\ 


u\ph  ..A  Boden  befiuid    gef»de«wnrde,:könnte  alter..  f:ri.:it,Ä:5^"oÄ  Klt^oÄr^af^i;?^^^^^^^ 

diuga  der  Verdaeht,  dais  der  Krankbeitszustand  der  giftung  Schwefelsaure  ange^'endet  worden  sei ;  es  fehlt  ferner 

G«  ia  Feige  einer  VergifiuM  antelandea  sei,  rege  ^er->  die  Bexeichnnng  des  Kraakheits-Zustandes,  dei-  ZufiiUe  und  Er* 

den ;  allein  aus  dem  Ergebrnfs  der  (Jntersnohung  läfst  »cheinungen  während  des  Lehens  —  das  rerbindende  Glied  zwi- 

.ich  der  Schlaft      d«fs  mit  .iemK^er  Gewifshelt  aj^  -  :ä'|:,^;ÄaÄ"fe'ÄÄÄ^^^^ 
nnehoien,  der  Tod  der  i5..  sei  in  Folffe  einer  Vergif-     aus  nicht  beatimoit  hervor,  dafs  d^r  Chirurg.  H.  bald,  3  Stun. 


tang  diurob  Arsenik  erfelgt,"  nicht  re<|£tfer|^igen. 

Mehr  überaengend,  obgleich  ebenfalls  nicht  ▼olU 
stftnÄg  dargestellt,  ist  der  zweite  Fall  (p.  65),  wo  in 
MeblklMsen,  TÖn  welchen  der  L.  am  16/  genossen, 
aqd  wonach  er  Zu£äUe  hekommen  Jbatte,  Arsenik  nach«- 

Jewiesea  nnd  auch  ia  den  folgenden  Tagen  Zufälle 
eobachtet  worden  sind,  welche  bestimmter  auf  Ver^ 
giftung  schliefsen  liefsen«  Der  Obdnctionsbefund  war 
ebenfalls  ein  anderer  als  im  ersten  Falle.  Den  Anfor* 
derimgen  der  Wissenschaft  entspricht  dieser  Fall  je«> 
doch  in  sofern  ebenfalls  nicht  Tollkommen,  als  das  Veiv 
fahren  tur  Darstellung  des  Arseniks  ans  den  Meblklö- 
fsen  nicht  augegeben  und  auch  nicht  bemerkt  ist,  wel- 
ehes  quantitative  Verbältnifs  sich  darin  befunden  hat« 
Die  echUderting  der  Procedur  bei  der  Untersuchung 
der  Ycrschiedenen  Sabstanzen,  der  Excremente,  des 
lohalts  jles  Magens  u.  s.  w.,  wfirde  dem  Ganzen  ein^ 
überzeugende  Kraft  verliehen  haben. 

In  dem  8.  Falle  (p.  71)  waltet  ebenfalls  /  nur  der 

Verdaeht  einer  Arsenik* Vergiftung  ob,  obgleich  diese 

Todesart  nach  Angabe  des  Yerfs.   durch  die  Krank- 

heits-Erscheinungen   ,und    den  Leichenbefund   ,,wabr- 

•dieinlich  geonaäit"  worden  sein  solL    Dadurch,  dafs 


4en. später,  gegenwärtig  war;  nur  die  Angabe  der  speziellen  An- ~ 
Ordnungen  tind  der  in  Gebrauch  gezogenen  Mittel  (^eines  zweck* 
»äfsigea  ti«ilTerf&hrens)  würde  dieses  Toilständig  motiriren. 

Aus  diesen  kurzen  Bemerkungen  geht  herror,  dafs  die  Fälle 
▼on  Vergiftungen  »ieht  so  klar  und  vollständig  dargestellt  sii\dp 
wie  man  hätte  wünschen  niUssen,  däfs  daher  auch  die  Begutach- 
tungen, wie  sie  hier  vorliegen,  nicht,  ab  gute  Muster  betrachtet 
werden  können. , 

Vw^  den  €haaekieu  dftsr  Vtrwundimgen  und  Ferhivmgen  ia$ 
der  iüe  Fall  (p.  85),  „aelbstmord  undenkbar"  überschrif^ben,  in; 
teressant  und  die  Begutachtung  mit  vielen  Gründen  durchga* 
^fÜhrt.  Die  Ueberachrift  erscheint  Jedoch  zu  viel  sagend,  da  es 
immer  zweifelhaft  "bleibt,  —  vom  medicinischen  Standminkte  aüs» 
nach  der  Beschaffenheit  der  Wunde  geartheilt  —  ob  die  Vei^ 
letzung  von  der  penata  selbst  oder  von  deren  L4ebhfiber  zuge- 
fügt worden.  Di»  Unmöglichkeit  des  erstgenannten  Falls  ist 
fibrigens  niohC  ervi  lesen,  auch  nicht  das  „Undenkbare"  des  Selbst*. 
mordes^ 

Im  3fe)t  FMÜe^  ^rwürgnng  einer  dem  Tmnke  ergebenen  Frao» 
„Selbstmora  wahrscheinlicher -als  Mord"  nberseb rieben,  bleibt 
es  ebenfalls  zweifelhaft^  ob  Selbstmord  Mattgefunden.  Es  tritt 
1)ier  eine  Erklärung  des  Vfs.  des  Gutachtens,  dals  das  Herz  bei 
der  Obduction  nur  wenig  Blut  enthalten  -habe^  weil  dasselbe  bei 
Bewegungen  des  {«eichnams  vom  Herzen  hinweggeflosAen  sei/ 
als  wohl  nicht  in  der  ftatur  begründety  als  neu  und  nieht  nach- 
ahmung^werth  iiervor. 

Bei  dem  p,  103  geschilderten  Falle :  Schnittwunde  des  lin- 
ken Handgelenks  und  Zerbrechong   des  Kehlkopfs,  ^Selbstmord 


tdie  B.,  welche  Abends  2nyor  sich  unwohl  gefühlt  und  ,  mögliah)  wäre  eine  genauere  Beschreibung  der  Wunde  am  Halse» 


deswegen  Morgens  nichts  gegessen  hatte,  bei  ein^m 
Besuch  dennoch  nfichterne  ,P?laden  und  Warmbier," 
dann  Brot  und  iBramitweia,  darauf  Heringe,  Gänsebra- 
ten wad  wiedenraoi  B^t  und  Branntwein  nnd  ein  „Spit»- 
gi;laa  Runii"  an  sich  genommen  und,  nachdem  sie  bis 
Abends  um  10  Uhr  nicht  geklagt,  dann*  Leibschmens, 
Angst  und  Erbrechen  bekam,  dafs  sie  ,„Tafelbier"  wie- 
der aasbcach  nnd  am  3.  Tage  an  Magen-  und  Darm- 
entzündung starb,  kann  eine  Arsenikvergiftnug,  durch 
die  „Fladen  nnd  das  Warmbier**  erzeugt,  nicht  mit 
^Wahrscheinlichkeit  angenommen  werden;  um  so  weni- 
gfec,  da  die  Untersuchung  auch  nicht  eine  Spur  Arse^ 
iMka  ergeben  hatte.  Durch  die,  oben  genamten  Ein- 
flBsse  konnte,  ohne  dafs  ein  Gift  daran  Theil_  hätte, 
ein  todtlich  endigender  Krahkheits-Zustand  d^rjgenann«- 
teii  Art  wehl  herbeigeführt  werden.  Es  schemt,  als 
legte  der  Vf.  seinen  Erklärungen  der  Vorgänge  ein  zu 
pofses  Gewicht  bei  der  Beurtheilnn^  bei.  Es  ist  in 
manchen  Fällen  allerdings  leichter  eme  Erklärung  ztt 
geben,  als  den  öberzeuffenden  Beweis  aus  den  Thatsa- 
chen,  dafs  sich  die  Sache  wirklich  so  verhalten  habe. 
Wie  eine  cönsensuelle  Wirkung  des  durch  den  Magen 
giegangenen  Gifts  Ton  den  Därmen  aus  stattfinden  soll, 


so  wie  Auffuhrung  oerjenigen  Erscheinungen,  woraus  geschlos- 
sen werden  könnte,  dafs  die  Verletzuag  im  lebenden  Zustande 
zugefügt  worden,  erforderlich  gewesen. 

Was  der  Vf.  (p.  106)  über  die  Tödtlichkeit  4er  Verlstznn- 
geil  im  Allgemeinen  aufführt,  ist  interressant  und  wichtig;  nur 
scheint  es,  als  wenn  auf  die  verletzende  Handlung  zu  viel  Ge- 
wicht gelegt  würde,  da  doch  für  den  gerichtlichen  Arzt  in  die»' 
ser  Beziehung  die  Folge  und  )der  Effect  derEinwirkungen  wich- 
tiger und  besonders  deren  fiinflüfs  auf  den  Tod  zu  ermessen  ist 
Die  Aufstellung  der  Verletzungen  in  einem  Sehema  kann  nur 
als  wehig  Nutzen  versprechend  angesehen  werden. 

Beladen  übrigen  unter  den  Rubriken  „unbedingt  noth wendig 
tddtlich",  „bedingt  nothwendig,"  „individuell  bedingt  nothwendig^ 
^nd  „zufällig  todtlich"  aufgeführten  Fällen  von  Verletzungen  tritt 
besondersv  der  Uebelstand  hervor,  dafs  der  Th^tbestand  nicht 
vollständig  aufgeführt  ist;  es  eirscheinen  ,aus  diesem  Grunde  die 
abgegebenen  Gutachten  nicht  vollkomnien  motivirt. 

Eben  so  ist  in  dem  interessanten,  p.  135  beschriebenen  Falle 
Ton  Kopf-Verietzungeh  die  Verletzung,  das  übrige  Obdoetions- 
Rr^ebnlfs,  die  Behandhing  des  Kranken  nnd  die-Krankheits-Ge- 
^hichte  zu  unvollständig  gelchildert  nnd  mitgetheilt. , 

Bei  dem  p.  144  aufgeführten  Falle  wird  man  nicht  genügend 
mit  der  Bigenthümlichkeit  der  Verletzung  bekannt,  und  man  er- 
jaogt  keine  deutliche  Uebersicht  des  SachverhSltnisses  und  dsr 
hier  in  Frage  kommenden  Punkte. 

Der  zu  den  „bedingt  nothwendig  tSdtlichen  Kopfverletzon- 
gen"  gezählte,  |i.  151  erwähnte,  sehr  interessante  Fall,  wo  nach 
einer  Kopfverletzung   nach  103  Tagen   der  Tod  erfolgte»  lälst 


Burdifch,  gmicAts9rxtl$eie  ArteiUn.    A/.  H' 


\ 


159       / 

die  gneziellern  Angaben  über  des  Befinden  des  Verletaten  in 
den  verschiedenen  Zeitenr  die  Leibeebeechaffenheit  deneiMii 
die  'Bpeslelle  Behandlung,  eeio  Verhalten  und  Leben  eu  diefec 
Zelt  Terminen.  Bei  der  Beurtheilung;  des  b'influsses  der  Ver« 
tetzun;   mOrste   die  KenntnlCs   dieser  Verhältnisse  von  j^roiser 

Die  Erörterungen  des  Verfassers  bei  dem  p.  171  aufgefChr- 
(en  Falle,  über  den  zweifachen  Beghtt'  einer  Verletzung,  sind 
sehr  richtig  und  kummen  in  gerichtlich  medicinischer  Hinsicht 
nicht  selten  in  Betradit.  —  Dafs  durch  einen  Schlag  mit  einer 
Marke  auf  den  Köpf  ein  Rifs  des  queren  Blutleiteis  entsteht, 
wie  es  bei-  dem  Kammerer  Z.  der  tall  war,  ist  gewifs  höchst 
selten.  Zu  bedauern  ist  es,  dafs  in  diesem  Falle  nicht  angege- 
lien  worden,  et  nicht  zugleich  andere  Bedingungen:  besondere 
Beschaffenheit  des  Schädels  und  des  Blutleiters  an  dieser  Stelle» 
Aulser  der  durch  Aerger  herbeigeführten  Aufregung  mit  Biut*. 
andrang  zum  Kopfe  verbundeq,  hier  mit  obgewaltet  haben. 

Ob  in  dem  p.  179  beurtheilten  Falle  die  Aufgabe  war,  die 
^  verletzende  Handlung  —  Schlag  oder  Stofs  —  oder  vielmehr 
^ie  V^irkung  derselben,  wie  sie  sich  im  Leichnam  zu  erkennen 
«ib,  zu  beurthi^ilen,  geht  nicht  deutlich  hervor,  ^ar  letzterer 
tsejtcnstand  der  Beurtheilung  allein  —  es  fand  sich  eine  Ifc  Zoll 
!  lange  Fissur  im  linken  Scheitelbein,  von,  der  eine  zweite  nach 
unten  durch  die  vordere  untere  Jäck^  dieses  Knochens,  dann 
durch  den  linken  grofsen  FJügel  des  Keilbeins  und  dessen  run- 
des Loch,  von  da  durch  den  Köfper  des  Keilbeins  und  den  rech- 
ten grofsen  Flügel  eben  dieses  Knochens  bis  JEum  ruliden  Loche 
«verlaufend;  unter  dem  unteren  'I heile  de»  linkeii  Scheitelbeins 
iatr  auf  der  festen  Hirnhaut  ein  Extravasat  von  fast  geronnenem 
sthwarzeoi  Blut  4^  Zoll  im  Durdimesser  und  4  volle  £rslöüel 
iialtend,  wodurch  die  Jinke  Hemisphäre  des  j^rofsen  Gehirns  an 
Ihrer  Seitenfläche  ganz  aaeh  innen  platt  gedruckt  war  und  senk- 
recht herabstieg  —  so  dürfte  das  Tödtlichkeitsverhältnirs  dieser 
Verletzung  wohl  ein  anderes  sein.  Denn  die  Fissur  im  .Schei- 
telbeine —  in  dem  ^ungewöhnlich  dUnnen  Schädelgewölbe/' 
war  hier  offenbar  nicht  der  wesentlichste  Theil  der  VerleUung. 
Die  Verletzung  in  ihrer  Gesammtheit  betrachteti  dürfte  einen 
höhern  Grad  der  L^thaiität  bedingen.  Bei  dem,  bereits  durch 
•Klugs  Gutachten  bekannt  £«wordenen  Falle  wäre  eine  voUstän- 
digere  Aufstellung  and  kritische  Prüfung  des  XhatbesUndes 
wohl  sehr  erforderlich  gewesen,  h^r  Fall  würde  dann  nicht 
nur  eine  andere  Stelle  als  unter  der  Hubrik  „individuell  bedingte 
Nothwendigkeit  des  Todes*'  eingenommen  haben,  sondern  leich- 
ter als  eben  derselbe,  weicher  von  der.k.  uissenschaftlichenDe- 
^   patatioc  beurtheilt  ist,  wieder  ^erkahnt  werden. 

Bei  dem  p.  188  aufgeführten,  durch  Meningitis  .exsudativa 
nach  3J  Tagen  tödtlich  «wordenen  Falle,  wobei  Faustsehläge 
in  das  ^Gesicht  stattgefunden  hatten,  sucht  der  Verf.  nachzuwel- 
flen,.dafs  der  Tod  ivd  dieser  Krankheit  unter  andern  Umständen 
-Tielleicht  nicht  eingetreten  wäre.  Die  ^^Mifshandlung"  wird  den 
im  f.  169.  der  Cr.  O.  aufgeführten  VerUltungen  gleichgestellt. 
Sollte  jedoch  in  diesem  Sinne  die  dritte  der  .genannten  Fragen 
beantwortet,  werden,  so  hätte  müssen  auch  auf  die  stattgefun-  • 
dene  Behandlung  Rücksicht  genommen  werden. 

Ist  der  Tod  durch  die  Krankheit  herbeigeführt  und  war 
S[iicht  nachzuweisen,  dals  die  Meningitis  durch  die  Milshundiung 
entstanden  war,  war  ein  Zufall,  Zutritt  einer  äufsern  Schädlich- 
'keit,.oder  Mangel. eines  zur  .Heilung  erforderlichen  Umstände« 
nicht  vorhanden  und  so  die  Verletzung  tödtlich  .geworden;  so 
gehörte  die  Verletzung  ~  Trennung  der  Oberhaut  und  Sugilla- 
tion  der  Ober-  und^  Unterlippe  —  nicht  zu  den  „durch  Zufall" 
tödtlichen. 

Auch  dem  p«,t97  üufgefuhrtem  Falle,  wo  durch  einen  Schlag 
jnlt  ddm  Spaten  ein  Bruch  des  Schädels,  eine  Fissur  im  Schlä- 


100 


fenbeine  bis  in  die  Gelenkgnibe  die»«  Knodkens,  Zenptfktemag 
und  Bruch  des  Jochbeins,  40  dafs  ein  Stuck  des  Schläfenbeins 
mit  dem  Jochbogen  ausgebroöhen  war,  femer  Zerstörung. eini- 
ger Lamellen  dea'Schoppentbeils  im  Schläfenbeine,  Durchboh- 
rung der  harten  Hirnhaut,  welehe  zngleleb  mit  Eiter,  Blut  «nd 
Knochensplittern  bedeckt  war»  Vereiterung  der  Rindensubstan» 
des  Gehirns  im  Umfange  mehrerer  Zolle  und  der  Marksubatass 
^  Zoll  tief  —  entstanden  war  ^^  dürfte  eine  andere  Stelle  als 
unter  den  „durch  Zufall  tödtlich  gewordenen  Verletzungen"  an- 
zuweisen sein,  wenn  auch  das  Verhalten  des  Kranken  als  ein 
nachtheiliges,  wenigstens  unangemessenes,  zu  betraehten  ist.  Ob 
bei  einer  anderen  Behandlung  ein  anderer  und  namentlich  eia 
günstiger  Ausgang  erfolgt  sein  würde,  mufs,  bei  der  Wichtigkeit 
der  «Verletzung  MrspruDglich,  als  zweifelhaft  erscheinen. 

Nach  der  Exposition  In  dem  p.  205  aufgeführten  Falle  ist» 
wenn  rein  nur  von  der  „Ohrfeige"  die  Rede  ist,  -diese  gar  nieht, 
sondern  der  Fall  tödtlijch  geworden.  Der  F'all  mit  dem  Hinter- 
haupte.  auf  die  Erde  konnte  allerdings  die  Wirkung  einer  Caa- 
tu^ien  des  Gehirns  haben. 

Beachtenswerth  ist  der  Fall  einer  Brustwnnde  p.  218 :  Ver- 
letzung der  Pleura*  des  Zwerchfells,  des  Periton-  und  derLeber 
durch  einen  Stich  ;'fel«er  die  p  ^^  aufgeführte  Brstieknng  nm^ 
ter  Betten,  wo  durch  die  SugOlation  an  beiden  Elienbogea  er- 
«littelt  ward,  dafs  die  That  durch  einen  Andern  ausgeführt  wor> 
den,  so  wie  auch  die  Erstickung  durch  Zusammendrucken  des 
Kehlkopfs  und  Bruch  des  Zungenbeins  p.  226  und  *  die  p.  "Üi 
beurtheilte  Brwürgong  mit  .^Commotio  cerebri  sind  ^othsuchl 
vergesellschaftet 

Die  Annahme  einer  Lethalitas  per  se,  wenn  sie  überhaapt 
verdiente,' wieder  aufgenommen  zu  werden,  erscheint  in  dem  p. 
244  beschriebenen  Falle  nicht  an  ihrer  Stelle.  Darmwunden, 
"wte  diese,*  gehen,  wie  die  Brfabrang  beweist,  auch  sich  selbst 
überlassen,  nicht  immer  in  den  Tod  über;  der  Dann  tiad  die 
Wunde  verkleben  bekanntlich  mit  den  benachb|urten  Theiiea  Sa 
einzelnen  Fällent  bilden  künstlichen  After  oder  Kothüstela  unl 
das  Leben  wird  erhaltend  Wichtig  war  in  diesem •  Falle,  wor^ 
auf  nicht  Rücksicht  genommen  zu  sein  scheint^  dafs  der  99rg^ 
fttUtne  verwmden  Darm,  gegen  die  Regeln  der.  Kunst,  sofort 
zurückgebracht  ■  und  die  Wunde  gesphlossen  worden  ist.  Dalii 
das  Leben  des  Verwundeten,  wenn  der  Darm  in  eine  Schlinge 
genommen  und  in  der  Nähe  der  aofsem  Bauchwunde  erhalteSi 
Wenn  ferner  eine  ganz  zweckmäfsigfe  Behandlung  Tom  Anfange 
an  In  Anwendung  gekommen  wäre,  hätte  erhalten  werden  käh 
jteJi,  kann. nicht  in  Abrede  gestellt  .werden,  und  es  erecheiot  da- 
her auch  die  Annahme  einer  „bedingten  oder  wahrscheinlidier 
unbediiigt  nothwendigen  Tödtlichkeit"  der  Verletzung  nicht  gtp 
rechtfertigt. 

Audh  in  dem  durch  ein  glühendes  Eisen  -  herbeigeführten,  f. 
257  beschriebenen  Falle  einer  Banoh Verletzung  konnten  dl0  Vc^ 
Weigerung  zweckmäfsiger  Hülle  Seitens  des  Verwundeten,  das 

{^anz  unpassende  Verhalten  desselben,  die  .Verweigerung  der  Di- 
atation der  Wunde,  um  das  blutende  Gefäfs  zu  unterbinden,  und 
das  Abrejfsen  des  Verbandes,  wohl  als  Umstände  betrachtet 
werden,  welcha  einen  übejn  Ausgang  der  Verletzung  besoaden 
mit  bedingten.  Der  Mangel  an  Energie  des  Bildungspro^eseea 
und  des  Blutsystems,  welchen  der  Verf.  als  ungünstigen  indivi- 
duellen Umstand  des  Verletzten  betrachtet,  wurde  hauptsüchlidi 
mit  durch  die  hüufig  wiedergekehrten  Blutungen  nach  der  Ver- 
letzung bedingt.  Eine  ursprünglich  vorhanden  gewesene  ^be* 
dingte  Nothwendigkeit  des  Todes"  in  diesem  Falle  erhellet  nickt 
deutlich.  —  Diese  Bemerkungen  mögen  genügen,  um.  die  B» 
deutung  dieser  Schrift  unter  &n  Sammlungen  geriehtsärztlicher 
Gutachten  zu  bezeichnen, 

Nicolai. 


Jahrbücher 

« 

für 

w  i  s  8  e  n  8  c  h  a  f  1 1  i  c  h  e    Kritik 


August  1839« 


IX. 

OeschicAie  der  Einführung  der  Reformation  in 

die  Mark  Brandenburg.    Zur  dritten  Säkular" 

feier  am  1.  Nov.  1839  von  Christian  Wilhelm 

.  8 pieke rj  Doctor  der  Philos.  und  Theologie» 
Berlin,  1839.   XlL  u.  2^3  S.    8. 

Die  weithin  sich  regende  Aofmerbsamlceit  aaf  den 
'Gegenstand  dieser  Schrift  wird  ehne  Zweifel  auch  ihr 
selbst  sich  zuwenden,  welches  sie  aoch  in  hohem  Grade 
Terdienf.    Der  Hr.  Yf.  war  dazu  nicht  nnr  durch  seine 
Gdehrsamkeit  befähigt,  sondern  auch  durch  die  Selbst- 
Terleognung,  womit  er  den  gelehrten  Apparat  und  sc 
ibanche  mühsame  Vorarbeit  ganz  hat  in  den  Hinter- 
grund treten  lassen,  nm  ein  auch  dem  gröfseren  Pu- 
blicum lesbares,  jedem  gebildeten  Leser  verständliches 
Buch  zu  liefern  und  ihn  durch  Ton  und  Colorit  der 
ganzen  Darstellung  anzuziehen  und  zu  fesseln.  '  Wir 
mössen  daher  diese  Schrift  iiir  eine  in  jeder  Hinsicht 
jEweckm&fsige  erklären ,   welches  Lob   alles   in    sich 
begreift,  was  irgend  noch  weiter  zu  ihrem  Ruhm  zu 
sagen  wäre.    In  einer  kurzen  oder  Tielmehr  etwas  aus- 
fährltchen  Uebersicht  führet  uns  der  Hr.  Verf.  yon  der 
Stiftung  des  Cbristenthums  in  der  Welt  erst  noch  zu 
den  allgemeinsten  Veränderungen  in  der  christlichen 
Kirche  und  läfst  diese  in  festen  Zügen  und  wohlge- 
erdneter  Folge  an  uns  Torttbergehen,  um  yöu  dem  Ali- 
gemeinsten  so  den  Uebergang  zu  finden  zu  dem  Be- 
sondem  nnd  Bestimmten,    welches  die  Hauptaufgabe 
der  Schrift  ist.    Es   ist  in  diesen  ersten  sechs  Kapi- 
teln eme  grofte  Masse  von  Thatsaohen  kurz  und  bün- 
dig zusammengedrängt,  so,  dafs  der  weite  Umweg  nicht 
sehr  fühlbar  wird;  wir  wissen,  wie  schwer  in  bistori- 
soben  Dingen,  zumal  tut  den  Deutschen,  'der  fiberall 
gründlich  TorAhrt,  der  Versuchung  zu  widerstehen  ist,^ 
den  Faden  der  Er^gnisse  immer  weiter  rückwärts  zu 
Tsrfolgen,   in  der  Hoffiiung^    einen  gant   festen  Aa- 
,  JüM.  /;  wiiunnh:  KriHk.  J.  1839.  II.  Bd. 


knüpf uDgspunkt  zu  finden,  der  aber  nirgends  zu  finden 
ist,  da  die  Geschichte  überhaupt  als  solche  weder  ei- 
nen Anfang,  noch  ein  Ende  hat^  eine  Linie  oder  Kette, 
nicht,  wie  die  Wissenschaft,  ein  Kreif  oder  Sjstem 
ist,  worin  ^er  Anfang  auch  das  Ende,  das  Ende  auch 
der  Anfang  ist.    Auch  nun  von  da  an,,  wo  der  Hr.  Vf. 
den  Beginn  der  Reformation  beschreibt  und  zuletzt  in 
die  Mark  Brandenburg  übergeht,  begegnet  man  überall 
gedrängten,  lebensvollen  Zügen,  so,  dafs  das  Wichti* 
gere   gegen  das  Unwichtige  an  allen  Seiten  in  sein- 
rechtes  Licht  tritt  und  nichts  Wesentliches  verniifst; 
wird)  es  müfste  denn  etwa  gewünscht  werden,  der  Hr. 
Verf.  hätte  den  Tetzel  in  der  Mark  etwas  länger  fest- 
gehaltet  und   ihn  seine  Ablafsbude   in  Berlin    selbst 
aufschlagen  lassen,  wozu  es  nicht  an  Documenten  und 
selbst  an  eigenen,  von  da  ausgegangenen  Ablafsbriefen 
fehlt.    Dieser  Zug  hätte  nicht  übel  zu  dem  Reforma- 
tionsjubiläum  gestinnnt,  auf  weiches  vorzubereiten  diese 
Schrift  bestimmt  iM.  —    Indem  nun  so  die  Reforma- 
tionsgeschichte  der  Mark  in  die  allgemeine  Kirchen- 
und  Reformationsgeschichte  mit  grofsem  Geschick  hin- 
eingestellt ist,,  wird  der  Vortheil  erreicht,    dafs  aus 
dem  Allgemeiuen  auf  das  Besondere  überall  das  n5- 
tbige  Licht  fällt,  bis  dann  mit  dem  Tode  Joachims  L 
das  Interesse  sich  überwiegend  und  fast  ausschliefsDch 
der  itlärkiscben  Reformation  zuwendet     Der  Hergang 
und  die  Vollendung  derselben  hat  nichts  von  dem  üe- 
bereilten  und  Stürmischen,   womit  wohl  in   manohen 
andern  Ländern  die  Einführung  der  Reformation  be^ 
gleitet  war,  nichts,  was  an  eine  gewaltsame  Umgestal- 
tung, an  eine  Revolution,  sei  es  von  oben  oder  unten, 
"erinnert*    Weder  wird  sie  befebis weise  durch  deuLan« 
desherrn  eingeführt,  noch  auch  ihm  wider  seinen  Wil- 
len aufgedrungen.    Lebhaft  war  längst  das  Verlangen 
danach  im  Lande,  wiederhohlt  das  Bitten  der  Land- 
stände und  Städte ;  aber  mit  weiser.  Hand  hielt  Jos« 
ehim  II.  den  Strom  der  evangelischen  Begeisterung  in 

21 


163 


Spieker^  Eüi/ilArung  der  Rtf»m»at{Qn  in  die  Mark  Brandenburg.; 


■einen  Ufern  und  liers  ibn   sell^tt.  erst  ^rinen  inia|er 
weiteren  and  tiefem  Lauf  dnroh  die  Gemütber  nehmen, 
boTor  er  selbst  sich   an  die  Spitze  'dieser  Bewegung 
stellte.    Indem  so  der  heiligen  Freiheit  des  Glaubens 
ihr  Recht  ges^ehpn  yp4  ^'l^^ '  y^i'hfl.ttt,  wf^rdeji  wftr, 
was  einer  blinden  Neuerungslust  von  Seiten  des  Volks 
gleichen  konnte ,    that  er  selbst,   der  Churfurst,    den 
feierlichen  Schritt  der  Trennung  von   der  päpstlichen 
Kirche  und  nahm  die  Zügel  der  ferneren  Leitung  des 
.  KirciieiiweBena  in  seine  Hand ,  aber  auch  seinerseits 
Meß  darott  entfernend,  was  an  irdischen  Gewinn  oder 
i|iir. politische  Berechnung  erinnern  konnte  und  ^nieht 
irielfn9|ir  sich  rein  allein  anf  das  innere  Bedürfuifs  des 
reinen  Glaubens   und  ohrisflioheD   Seelenheils    bezog. 
Als  Landesherr  hafte  er  allerdings,  wie  der  Freiheit 
fle^  Glaubens  im  Volk,  so  auch  dem  Gedanken  sein 
nicht  geringeres  Recht  zuzugestehen  und  mit  der  Weis- 
heit der  Ueberlegung  den  Zeitpunkt  zu  bestimmen,  wo 
die  Frucht  als  Töllig  reif  zur  Oeffentlichkeit  anzuse- 
ilen sei.    Er  hatte  auch  qiancherlei  Schwierigkeit  erst 
noph  zu  fiberwinden,  sein  Verh&ltnifs  zum  Kaiser,  zum 
K&nig  yon'  Polen  als  seinem  Schwiegervater,  zu  sei- 
nem verstorbenen  Vater  selbst,   wie  auch  zu  seinem 
Oheim,  dem  £rzbischof  von  Maynz  und  Magdeburg. 
Auch  der  eigenthümliche  Standpunkt  des  Churfärsten 
als  bisherigen  Vermittlers  zwischen  den  beiden  grofsen 
Gegedsätzen  und  der  Respect,  womit  er  fortwährend 
innerlich  an  die  mit  der  Zeit  entstandenen  und  über« 
'  lieferten  Gebräuche  der  Papstkirche  gefesselt  war,  licfs 
ihn  zögern  in   der  öffentlichen  Erklärung  des  injhm 
selbst  gewifs   lange   zuvor   schon  feststehenden  Eut- 
Schlusses  $  denn  eben  so  grofs  als  seine  Besonnenheit, 
Vorsicht  und  Märsigung  war  auch  seine  Frömmigkeit 
imd  Vwehrung  gegen  das  reine  Evangelium.    Das  Dog- 
matische der    christlichen  Kirche  war  für  ihn  längst 
entschieden,  weniger  das  Rituelle ;  es  müfste  denn  sein, 
dafa  er  .auch  darüber  einen  Grundsatz  gehabt  und  seine 
Gesinniing  in  dieser  Besiehung  auf  ähnlichen  Prinzi- 
pien beruht  hätte,  als  man  nachher  in  England  bei  der 
Constituirung    der   protestantischen    Kirche^  b^ojgte^  - 
nämlich  den  evangelischen  Gottesdienst  nicht  von  allem 
liturgischen  Glanz  und  dem  Reiehthum  solcher  Gebräu- 
che zu  entkleiden,  welche  sich  als  nicht  unvereinbar 
mit  dem  Evangelium  erweisen  konnten.    Doch  gab  er 
auch  das  hierarchische  Prinzip  auf  und  erkannte,  dafe 
die  Cerimonien,  wie  er  eigenhändig  dem  ersten  Entwurf 


IN 

d^r  Kirch^no^dnung>eigeschrieben,  nicht  zur  Seligkeit 
nöthig  seien,  nicht  die  Gewissen  damit  zu  verstrick« 
dienen  sollten,  sondern  nur  zu  guter  äufserficher  Zudit 
und  Anreizung  der  Andacht.  Dafs  die  Festhaltong  m 
vieler  papistischer  Gebräuche  bei  Joachim  II.  soik 
noch  in  der  Kirchenordcung  um  ihrer  selbst  willen  so 
grofs  gewesen^  läfst  sich  bei  einem  in  der  Lehre  so 
erleuchteten  Fürsten  nicht  voraussetzen;  man  mufs  da- 
her auf  einen  'Grundsatz ,  wenigstens  auf  eine  weite 
Rücksicht,  die  nur  für  die  nächste  Zeit  gelten  solltej 
echliefsen;  Der  Uebergang  aus  dem  übergrolken  Reid»* 
thum  an  sinneblendeuden  Gebräuchen  zu  dem  übertim* 
liehen  Leben  im'  Geist  und  in  der  Wahrheit  war  fir 
Viele  schwer  und  in  3czug  auf  die  Natur  eines  cbrist* 
liehen  Gottesdienstes  von  der  Art,  dafs  er  nur  fai  » 
bitterten,  •  schwärmerischen  Gemüthern  zu  absoloter 
Verwerfung  alles  Cerimonieoschmucks  führte,  In  allen 
weiseren  und  besonnenen  aber  mit  der  Beurtheiloif 
und  Unterscheidung'  dessen  verknüpft  war,  was  davoi 
auch  nicht  im  Widerspruch  mit  dem  lautem  Wort  Got* 
tes  stehe  und  mithin  zu  anderweitigen  Zweoken  eio^ 
belebten  Gottesdienstes  noch  beizubehalten  sein  mOcibfft 
In  jedem  Fall  konnte  der  evangelischen  Freiheit  in  di^ 
sen  äufsem,  menschlichen  Anordnungen  aueh  f&r  ilil 
Zukunft  immer  noch  manches  auszumersen  und  fi 
läutern  überlassen  bleiben,  weshalb  derChurßirst  sidrt 
gleich  vom  Anfang  an  alles,  was  durch  den  langei 
Besitz  irgend  einem  christlichen  Gemfith  noch  theiier 
und  werth  war,  zerstören,  sondern  der  künftigen  Vc^ 
gleichung  darüber  auch  etwas  überlassen  wollte,  wieff 
am  Ende  seiner  Kirchenordnung  ausdrücklich  sagt« 

In  welcher  öemüthsstimmung  überhaupt  sich  da* 
mals  alle,  welche  nicht  nur  an  den  herrschenden  Ve^ 
derbnissen  Anstofs  nahmen  (denn  deren  waren  uraik* 
lige,  die  doch  darin  verblieben),  sondern  auch  die  be- 
fanden, die  auch  die  Energie  christlicher  Frömmigkeit 
hatten,  die  Verderbnisse  zu  überwinden  und  sich  li 
emanzipiren,  davon  haben  wenige  von  denen  ehleVo^ 
Stellung,  welche  sich  jetzt  im  sichern  Besitz  befinde^ 
noch  weniger  *aber   die,  welche   gegen  den  gdtlHoheii 
Beruf  der  evangelischen  Kirche  fortwährend  Streites* 
Die  Letzteren  nennen  in  ihrer  Unwissenheit  den  reisei) 
christlichen  Glauben  der  ersten  Kirche,  zn  welches 
man  nur  zurückkehrte,  und  diese  Rückkehr  selbst  ma^ 
neue  Religion  —  der  arme,  traurige  Hauptgedanke  ei- 
ner eben  ersehienenen,  nicht  ohne  Ltst  verfaftten  6^ 


Spiekery  Emfükrw^der'  Reßhrnmtion  in  die  Mark-  Brandenlurg. 


1» 

genioMft  nnter  dem  l^iMt  Zur  Vertheidigimg  der  ka- 
tholisohea  Kirelie  gegen  die  königlich  preursieche  Re- 
ligioB.  Eine  Paraphrase  der  Prediglett  des  Dr.  Maru 
iMineke,  in  Briefen  von  Georg  Joseph  Gdtz.  Regens- 
Iftfirg)  bei  Manz  (der  aligemeinen  Fabrik  aller  antieran- 
geUschea  Schriften)  1839.  — ;  sie  schreiben  die  Ursa- 
die  davon  einer  blofsen  Willkühr  und  Bigensinnigkeit 
an!  man  erkannte  aber  daEnmal  allgemein  eine  höhere 
Nothwendigkdt,  die  Pflicht  der  Sorge  für  das  ewige 
Heil,  eine  nnumgftngliche  Gevissenspflioht  darin;  sie 
iehen  sogar  eine  Trennung  von  der  allgemeinen  (ka- 
tboUseben)  Kirche  darin ;  man  erkannte  aber  die  ka* 
tiioUsche  damals  in.  der  papstlichen  gar  nicht  ^mehr; 
,  mit  dieser  Secte,  welche  aus  der  Universalität  des  Chri* 
atenthums  längst  in  die  bomirteste  JParticuIarität  über- 
gegangen war  und  nur  die  Kühnheit  und  Klugheit  g^ 
habt  hatte,  den  Namen  der  katholischen  Kirche  aus 
dem  SchifFbruch  des  Glaubens  zu  retten,  wollte  man 
niohts  mehr  zn  thnn  haben.  Itfan  findet  auch  nicht  in 
dar  ganzen  Reformatiopsseit  bis  zum  Religions-  und 
Wettpbälischen  Frieden  Ein,  dafs  man  die  Gegner  der 
Glanbensverbesserung  Katholiken  genannt  hätte,  son» 
dem  Papisten  nannte  man  feie;  mit  allen  wahren  Ka- 
tholiken, denen  aU  solchen  evangelische  Gesinnung 
und  Lehre  nicht  fremd  sein  kann,  war  kein  Streit.    In 


les 


in  der  heiligen  Schrilt,  in  den  Beschlftssen  der  ^  alten 
Conzilien  und  in  >  den  Schriften  rechtgläubiger  KirDbeiH 
"Väter  enthalten '  sind,  nnd  will  micA'anch  deiiAasspHI« 
eben  einer  Kirchenversamminng  unterwerfen ,  wenn 
solche  in  rechter  Weise  gehalten  wird.  Wie  ich  ehe- 
dem  gegen  die  Ungläubigen  ins  Feld  gezogen,  so  will 
ich  fernerhin  gegen  die  Feinde  Christi  tapfer  streiten.- 
Das  ist  meui  fester  Entschlufd.**  S.  160.  Vergl.  noch 
S.  174. 

Der  Hr.  Verf.  f&hret  die  Geschichte  der  iteforma* 
tion  in  der  Mark  bis  tum  Tode  Joachims  II.  Und  sei- 
nes Qruders  Johann  fort.    Dafs  der  Hr.  Vf.  den  Streit^ 

I 

punkt  über  den  Tag  und  Ort,  an  welchem  der  Chur- 
fttrst  das  Abendmahl  zuerst  unter  beiden  Gestalten 
nahm,  ob  aiii  31.  Gct.  oder  I..Nov.  und  ob  zu  Span- 
dau oder  zn  Berlin,  nicht  berührt,  sondern  sich  gera- 
dezu iiir  den  1.  Nov.  und  für  "Spandau  erklärt,  finden 
wir  einer  blos  darstellenden  Schrift,  die  keine  gelehrte» 
kitische  Untersuchungen  vor  den  Augen  des  Lesers 
anzustellen  hat,  ganz  angemessen.  Nnr,  dafs  doch 
nicht  wahrscheinlich  ist,  dafs  man  deip  Tage,  an  wel- 
chem Luther  durch  äf»  Theses  die  Reformation  ange* 
fangen,  deswegen,  weil  er  ein  Wochentag  war,  den 
folgenden  Tag,  der  das  Fest  aller  Heiligen  war,  tor- 
gezogen  hätte.  Da  die  beiden  verschiedenen  Termine 
diesem  Sinne  erklärt  Mch  auch  Joachim  U.  in  seinem'   nnd  Orte  sehr  bestimmte  Zeugnisse  für  sich  haben, 


Schreiben  an  den  Churfiirsten  zn  Maynz:  „Die  Mifs- 
bränche  in  der  römischeil  Kirche,  sagt  er,  sind  grofs 
nnd  allgemein  anerkannt;  in  die  Lehren  derselben  ha- 
*  ban  sich  gefährliche  Irrthümer  eingeschlichen;  auf  ein 
Conzllium,  das  die  Mifsbi^nche  abstellen  nnd  die  Leh- 
ren berichtigen  soll,  warten  wir  seit  vielen  Jahren  ver- 
gebens; es  ist  Pflicht  eines  christlichen  Landesherm, 
da  der  Papst  zur  Besserung  der  Sache  gar  nicht  ge- 
neigt sei,  hrilsam  einzugreifen  und  das  Seelenheil  der 
Unterthanen  wohl  za  bedenken;  zudem  ist  im  Lände, 
eis  wahrer  Hunger  nnd  Durst  nach  dem  Worte  Got- 
tes, Stände  und  Städte  verlangen  nach  der  reinen 
Liebre;  indefs  bin  ich  nicht  geneigt,  von  der  wahren, 
kaUiofischen  Kirche  abzuAiHen  nnd  werde  überall  mit 
TereiUit,  dem  Rath  frommer  Bfttaner  nnd  dem  Wort 
€tettes  gemäfs,  verfahren."  S.  158.  Und  in  dem  Schrei- 
bea  an  Sigismnnd,  den  Ktetg  von  Polen :  „Ich  denke 
mich  weder  von  der  Kirche,  noch  vom  Christenthum 
getrennt  zu  haben.  Ich  bekenne  mich  zu  den  wahr- 
haften Lehren  der  allgemeiaen  christlichen  Kirche,  die 


wird  es  wohl  dabei  bleiben  müssen  als  dem  wabr- 
scheinUchsten,  dafs  der  erste  Genufa  zn  Spandan  gleich- 
sam im  Pamilienki;eise  am  31.  Oct.  und  am  folgenden 
Tftge^  der  dazumal  noch  ein  grofser  Festtag  war,  zn 
Berlin,  mehr  in<  öffentlicher  Weise  statt  fand,  worauf 
dann  am  2.  Nov.,  der  ein  Sonntag  war,  die  Commu- 
nion  des  Hagistrati^  und  der  Bürgerschaft  zn  CSln  an 

der  Spree  erfolgte. 

D.  Mavhaineke. 


X. 

Aeithetik  der  Tonkunst^  von  D.  Ferdinand  Hahd^ 
Prrf.  und  G.  Hof  rath.  Erster  Theil.  Leip- 
xigy  1827.  bei  Hochhomen  nnd  Faumee.  X 
und  416  S.    & 

Da  die  Werke  der  schönen  Künste  die  vermittelst 
sinnlicher  Materiale  hervorgebrachten  Ausdrücke  von 
Ideen  sind ,  so  hat  die  Aesthetik  einer  einzelnen  Kunst 
die  Art  nnd  Weise  auf  Begriffe  zu  brmgen,  wie  die-' 


167 


Handy   Aeitketik  der   T^nkuntt. 


IflB 


•^Ibe  durch  .das  ihr  zu  Gebote  stehende  Material  ihre 
Jdeen  anBspricht,  Diese  Aufgabe  atellt  sich  bei  den 
eiDcehien  Eünsteo  Je  nach  ihrem  Terschiedenen  Mate- 
rial Terschieden; .  am' einfachsten  bei  den  redenden 
Künsten,  wo  das  Kunstmaterial  zugleich  das  im  Leben 
geläufigste  Ausdrucloimittel  der  Ideen  ist ;  bei  den  bil- 
dtaden  Eainsten,  welohe  durch  Gegenstände  der  sicht- 
baren Sinnenwelt  reden,  wird  di^  Aufgabe  eine  dop- 
pelte, indem  es  sich  einmal  fragt,  in  wiefern  die  dar^ 
{;estellt(^  Gegenstände  den  Ideen  entsprechen,  und 
dann,  wie  Behufs  ihrer  Darstellung  das  Kunstmaterial 
(z.  B.  bei  der  Malerei  die  Farbe)  zu  handhaben  ist; 
hier  also  giebt  es  erstens  eine,  häufig  von  Nichtkünst- 
lern  geübte,  Aesthetik,  die  man  die  populäre  nennen 
könnte,  bei  der  jene  letztere  Frage  unerörtert  bleibt, 
jind  eine  zweite,  welche,  auf  sie'  eingehend,  die  Tech- 
nik der  Kunst  mit  umfafst,  und  somit  nur  yon  Künst- 
lern .co;istruirt  werden  kann;  bei  der  Musik  aber,  de- 
ren sinnliche  Darstellungen  nichts  analoges  mit  dcü 
Erscheinungen  des  Lebens  haben,  Tällt  die  Beurthei- 
Inng  ihrer  Darstellungen  und  der  Handhabung  des^ 
Kunstmaterials  zusammen,  d.  h.  die  Aesthetik  der  Mu- 
sik läfst  sich  nicht  trennen  ron'der  Musiklehre,  und 
es  giebt  keine  populäre  Aesthetik  der  Musik/  Dies 
ist  der  Sinn  der  Yom  Verf^  des  yorliegenden'  Buchs 
zu  Anfang  der  Vorrede  nicht  gebilligten  Behauptung 
Nägeli'sf,  dafs  in  Sachen  der  musikalischen  Kunst  deqi 
Dilettanten  zu  sprechen  kauni  vergönnbar  sei,  was  auch 

'schon  Aristoteles  von  der  viel  einfachem  Musik  seiner 

•  »  ... 

.  Zeit  so  ausdrüekti  h  yaq  t&  xSv  ddvvdnmv  ^  %aXtnmv 
iarif  fi^  9toivtov9JaavT<xg  xm  SQymv  xQtra^  ytvia&oU'  ottov- 
daiovg.  Damit  ist  nicht  gesagt,  dafs  die  musikalischen 
Kunstwerke  blos  von  Musikern  und  nicht  von  jedem 
Andern  genossen  und  beurtheilt  werden  dürften,  und 
dafs  nicht  bei  jedem  einzelnen  Musikwerke  ein  in  die 
Kunst  Eingeweiheter  dem  Laien,  indem  er  ihn  auf 
SchöAbeiten,  Zusammenhang,  Häuptmomeote  aufmerk- 
sam macht,  eine  anleitende  Hülfe  geben  könne  zu  rich- 
tiger Würdigung  und  Verständnirs  der  vom  Künstler 
beabsichtigten  Wirkung ;  aber  die  wissenschaftliche  Be- 
gründung dieser  Wirkung,  die  der  Gegenstand  der 
Aesthetik  ist,  kann -nur  bei  vollständiger  Einsicht  in 
die  Natur  und  Handhabung  des  Kunstmaterials  zu  Stande 
kommen* 

(Der  Beschlttfs  folgt.) 


D.er  Verf.  ist  niißht  dieser  Ansicht,' und  sagt  %•  B. 
in  der  Einleitung,  p.  11t  SelSit  dßi  Farmaie 
gen  FerAäHnüsey  weh  As  der  Melodie  undJB^ 
zufallen  und  den  Inhalt  der  Lehre  von  der\  Seist^ 
kunet  ausmachen^  Jkömmi  nicht  volUt&ndig  it^  Bor 
trachiungj  welcher  Ansicht  im  (noch*  nicht  erscbioie- 
nen)  nothwendig  mehr  ins  specielle  gehenden  «weites 
Theile  treu  zu  bleiben,  wohlnoch  mehr  Sohwierig^kei- 
ten  verursachen  möchte  als.  im  vorliegenden  erste» 
Dieser  handelt  1)  vom  IVeeen  der  Mueik^  2).  ms 
dem  ^  Schonen  in  der  Totikunety  der  zweite  sol 
dann  enthalten:  3)  die  Oeeetxe  dee  mueikaliockea 
Kunetwerkij  4)  die  Regeln  der  ieeondem  JKun^ 
werke. 

Die  Musik  besteht  darin,  dafs  der  Mensch  das  Um 
von  der  Natur  gegebene  Material  (den  Ton)  für  aeinss 
Kunstiweck  verwendet,  und  so  theilt  sich  die  Liehn 
vom  Wesen  der  Musik  in  die  Lehre  yon  dieseoi  n^ 
türlichen  Material,  und  von  dem  menschlichen  Gebra» 
che  desselben.  Erster«  wird  im  Isten  Capitel,  von  det 
Muiik  der  Natur  (p.  14^46)  behandelt.  Hier  mab 
also  untersucht  ^werden,  was  der  musikalische  Ton  isl^ 
und  wieweit  unsere  Tonfolge  und  Harmonie  durch  das- 
jenige Naturgesetz  bedingt  wird,  welches  wir  durch 
die  zu  gleicher  Zeit  von  selbst  erkUngendign  Töne  ei> 
nes  bewegten  Körpers  (z.  B.  einer  vibrir^iden  Saite)  \ 
erkennen.  Dies  ist  das  uns  von  der  Natur  gelieferta 
todte  Material,  das,  zu  Kunstwerken  verbraucht,  sui 
lebendigen  Ausdruck  unseres  Geistes  wird ;  und  es  ge- 
schiebt  wohl  nur  aus  Wohlgefallen  an  poetischer  Dar- 
steilungsweise,  wenn  der  Vf.  den  Ton  an  sich  eine  Eat- 
äufserung  des  Geistes  und  Lebens  der  ihn  erzeagea- 
den  Körper  nennt,  und  sagt,  dafs  die  ganze  Natur  Idii 
und  folglich,  wenn  auch  unserm  Ohre  unvemebinbai^ 
töne,  die  Sphärenmusik  des  Pjthagoras  und  die  sao- 
berischen  Klänge  der  blühenden  Bäume  bei  Jean  Paal 
finfüfart,  oder  von  der  verschiedeneu  Fähigkeit  der  Ko^ 
per,  Töne  hervorzubringen,  p.  38  bemerkt:  Die  #db- 
ren  Metalle  behaupten  den  ehrenden  Namen  auch  m 
dieeer  Umsicht^  denn  eie  sind  xu  Tonen  geeigneter 
als  die  unedeln^  da  eigentlich  StafaU  uad  Messingsaitea 
weit  besser  klingen  als  Goldsaiten,  und :  Mit  dem  waehe^ 
ren  Leben  erhöht  sich  die  Regeamkeitför  Tonbildung. 


wissen 


^22. 

J  a  h  r  b  fi  c  h  e  r 

für 

s  c  h  af 1 1  ich  e 


K  r  i  t  i  k 


August  1839. 


Aesthetik  der  Tonkunst,  von'D.  Ferdinand  Hand, 

(Scblula.) 

Wir  sind  zwar  nicht  im  Stande^  die  gewifsauth 
in  Klängen  kund  teerdende  Bewegung  dee  xeülieken 
JPfliHixenleben»  durchs  Oehor  zu  erfassen  ^  aber  die 
Befähigung  zur  Vermiitelung  von  Tonen. sehen  wir 
den 'GUS  dem  vegetabilischen  Reiche  entnommenen 
Instrumenten  (die  eigentlich  doch  den  schönsten  Ton 
bekommen,  wenn  dem  Holze  durch  jahrelanges  Aus- 
dörren jedes  etwanige  Leben  genommen  ist)  in  einem 
vollkommnern  Grade  xugeiheilt^  als  den  aus  Metal- 
len bereiteten.    Pies  und  manches  andere,  wie  die  Be- 
roerknngen   über   angestellte  Thierconcerte,  über   die 
Terschiedenen  Singvdgel,  den  Fisch  Cottus  cataphrac- 
tus,  der  aach  Laute  hervorbringt  und  dergL,  wird  yiel- 
leidit  m'ancher  Leser  minder  ausgeführt,  und  dagegen 
der  hier  nothweiidigen  wissenschaftlichen  Grundlage  hin 
und  wieder  gröfsere  Genauigkeit  wünschen,  z.  B.  j  wenli 
es'p.  24  heifst:  Zwei  im  umfange  gleiche  Saiten 
.schwingen^  und  tönen  verschieden  bei  verschiedner 
Jjänge',  aber  auch  die  Spannung  des  Körpers  und 
dessen  Dicke  tritt  hinzu;   denn  der  scharf  ge- 
spminte  und  dünne  Körper  schwingt  schneller  und 
tönt  höher  \  doch  kann  auch  durch ^die  Stärke  des 
Körpers  eine  gröfsere  Steifheit  und  dadurch  eine 
-schnellere  Schwingung  hervorgebracht  werden^  wo 
die  Tiden  Ausdrficke  Umfimgy  hinzutretende  JHcke^ 
Stdtfke^    Steifheit  manchen  irrooi  können,    der  nicht 
weifs,  dafs  der  Verf.  mit  diesen  Terschiedenen  Aus- 
drücken nur  einen  einzigen  Begriff  bezeichnen  will,'  näm- 
lich die  Schwere  iter  Saite,   auf  die  es  aufser  ihrer 
»Länge^und  dem  sie  spannenden  Gewicht  (und  der  auf 
jedem  einzelnen. Thefle  der  Erde  immer  gleJohbleiben- 
den  Zahl  der  Fufse,  die  ein  frei  fallender  Körper  in 
.der  ersten  Secunde  zurücklegt)  allem  ankömmt,  und 
dafs  der  Sinn  Ton  de»  Ver^.  Worten  dieser  ist:   Es 
3aM.  /.  triiientcft.  Ktil^.  /.  1839.   II.  Bd. 


Terbalten  sich  die  Geschwindigkeiten  der  Schwingun- 
gen, 1)  wie  die  Quadrate  der  Spannungsgewichte,  2) 
umgekehrt  wie  die  Quadrate  der  Saitenschweren,  3)'  um- 
gekehrt wie  die  Quadrate  der  Saitenlängen ;  und  folg- 
lich, da  bei  Theilung  einer  und  derselben  $aite  zugleich 
mit  der  Länge  auch  diQ  Schwere  getheilt  wird,  Ter- 
balten sich  die  Geschwindigkeiten  der  Schwingmigen 
umgekehrt,  .wie  die  Längen  selbst 

Die  Verhältnisse  der  diatonischen  Scala  werden 
nicht  in  diesem  ersten  Capitel,  sondern  im  zweiten  von 
der  Musik  des  Menschen  erwähnt,  weil  der  Verf.  der 
Meinung  ist  (p.  49):  Die  Gestaltung  und  Ordnung 
der  TönCy  welche  wir  als  Tonfolge  oder  als  Ton- 
System  bezeichnen  ^  ist  eine  durch  Refiexion  be^ 
stimmte j  ein  Produkt  des  menschlichen  Geistes,  p.  50: 
.dasjenige^  was  das  Verhältnifs  der  Töne  zu  einan* 
der  ausmacht y  lehrt  nicht  die  Natur ^  sondern  wird 
durch  Reflexion  gewonnen  und  festgestellt-'  p.  61 :  die 
uns  gültige  Tonleiter  ist  ein  Produkt  ^willkührli- 
eher  fVahl.  Dies  ist  aber  doch  wohl  nicht  der  Fall ; 
.sondern  unsere  diatonische  Scala  singen  und  hören  wir 
als  diceinzig  wahre,  gezwungen  durch  ein  Naturgesetz. 
Denn  eine  frei  schwingende  Saite  läfst,  wenn  wir  ihren 
Ton  c  nennen^  durch  Theilungen,  die  die  Natur  selbst 
Terrichtet,  den  ganzen  Cdur  AocQlrd  tönen,  und  die 
einfachsten  Intervalle  desselben,  C  und  G  fuhren  auf 
ebenso  naturgemäfsem  Wege  zu  den  Accorden  der 
Ober-  und  Unterdominante  y  Und  g-,  so  dafs  dadurch 
der  für  jedes  menschliche  Ohr.  natürlichste  Harmonie- 
gang Ton  Cdur,  Fdur,  Gdur,  Cdur  entsteht,  welcher  die 
ganze  diatonische  Tonleiter  in  diesen  Verhältnissen 
enthält : 


k    i    ^  1    f    Ä 

i 

*         *         f        g         «         A 

C 

Ä     _i-      14      8      ».      i     a 

9             10             16            fro              •             16 

die  nichts  ist  als  (mit  dem  Verf.  zu  reden)  Musik  der 
Natur.  Denn  demselben  Gesetz  ist  jeder  andere  tönende 

22 


•    i 


171'  Eänd.   Aettk^k 

Körper,  so  wie  unsere  Kehle  und  Ohr  vaterworfen, 
und  wenn  ^es  Mensoben  und  Völker  giebt  und  gegeben 
hat,  Tön  80  stumpfem  Sinn  und  Sinnen,  dafs  sie  diese 
Musik  der  Natur  nicht  Tsmehmen,  so  ist  dies  eben  so 
wenig  em  Beweis  gegen  ihr  Yorhandensein,  als  es  un- 
sere gleichschwebende  Temperatur  oder  die  etwas  Ter- 
schiedene  Messung  der  griechischen  Scalen  ist,  welche 
beide  nur  Surrogate  der  natürlichen  Scalä  sind,  mbg'- 
liph  und  geduldet  dadurch,'  dafs  unseres  Ohrs,  wie  je- 
des anderen  Sinnes,  Wahrnehmungsfähigkeit  ihre  Grän- 
zen ,  hat.  Auch  kann  der  Verf.,  wiewohl  er  dieser  An- 
sieht  entgegen  ist,  sich  doch  nicht  ganz  Ton  ihr  lo^. 
machen;  z.  B.  p.  61:  Vergeblich  streiten  d%e  Aku- 
Mtißer  gegen  die  Meinung^  die  un$  gültige  Tonlei- 
ter sei  ein  Produkt  wiUhührlicher  fVahl^  da  ja 
vielmehr  die  Basis  in  der  Natur  sich  vorfinde  y  denn 
auf  dieser  unläugbaren  Basis  hat  die  Reftexiony 
ohne  selbst  den  ,Grund  voraus  erkannt  zu  haben^ 
das  Gebäude  au/geiauty  dessen  Verhältnisse  dann 
später  auch  mathematisch  gezeichnet  werden  konn^ 
tei^j  und  kann  nicht  umhin,  bei  Erwähnung  der  Ter- 
afehi^denen  Bestimmungen  für  TouTerhältnisse  bestän- 
dig die  Worte  rein  und  unrein  zu  gebrauchen,  wel- 
che ja  nichts  conTentioneües  bezeichnen,  sondern  das 
auf  Naturnothwendigkeit  gegründete  Urtheil  über  Ton- 
Terhkltnisse.  Folge  dieser  seiner  Ansicht  war  es  auch 
wohl,  dafs  der  Verf.,  die  hierher  gehörigen  Dinge  zu- 
weilen nicht  genau  genug  mittheilt,  so  dafs  freilich 
mancher  Leser,  der  sie  nicht  kennt,  nicht  immer  recht 
belehrt,  'und  der  sie  kennt,  Tielleicht  nicht  immer  ganz 
befriedigt  wird,  z.  B.  in  den  §§.  5.  und  6.  (p;  54  ff.) 
über  die  Scalen  der  Griechen,  wo  unter  anderem  bei 
Anführung  Ton  Kretschmers  Versuch,  die  enharmonischen 
Interralle  durch  lang  fortgesetzte  Quartenfortschritte 
zu  erklären,. gesagt  wird:  wir  berücksichtigen  hier 
nichts  ob  ausreichend^  oder  nur  im  Besondem  bil- 
ligetuuferthj  wodurch  eine  nicht  ganz  richtige  Vor- 
stellung Ton  diesem  Buche  erweckt  wird,  das  ipit  toII- 
kommenster  Consequenz  eine  Hypothese  durchfuhrt, 
die  entweder  ganz  gebilligt  oder  ganz  Tcrworfen  wer- 
den mufs.  So  heifst  es  §.  6.  Fbn  den  strengen  Kano* 
nikern  trennten  sich  die  Harmoniker  (welchen  statt 
Aristoxenianer  nqu  gebrauchten  Ausdruck  nicht  gleich 
jeder  Tcrstehen  wird,  da  die  Alteq  mit  Harmoniker  ei- 
gentlich etwas  ganz  anderes  bezeichnen)  und  entschie- 


der  Tonkmut. 


173 


den  nach  dem^  im9#  dem  Ohre  Befiiedigung  gewoAs^ 
te.  Beide  rechneten^  aber  die  Harmeniker  nicht 
ohne  Beachtung  des  PrineipSy  welches  die  mtissÄrmli- 
sehe  Darstellung  menschlicher  Ge/üh^  leitet^  was 
aach  nicht  jeder  sogleich  Terstehen  wird{  dentliahir 
wäre  gewesen:  Die  Pythagoräer  rechneten  naoh  SA 
tenlängen,  und  Aristoxenos  nach  InterTälltheilea,  md 
zwar  nach  OctaTenzwölfteln^  d.  h.  er  wollte  die  gleidh 
schwebende  Temperatur.  Denn  dafs  der  Verf.  dies 
mit  obigen  Worten  memte,  sieht  man  ja  ans  ieet  g;m^ 
zen  Lehre  des  Aristolenus  z.  B«  p.  56*  ed.  Meibont, 
wo  dieser  Schriftsteller,  Ton  der  Quarte  e — a  anage* 
hend,  erst  die  beiden  grofsen  Terzen  e— gts  und  a — ^f, 
dann  die  Quarten  gis^dis  und  f— b  nimmt,  und 
sagt:  nun  wird  man  hören,  dafs  dis — b  eine 
Quinte  ist.  In  Betreu  des  nächstfolgenden ;  ünte/^ 
griechischen  Theoretikern  wird  JLasus  als  derjS' 
nige  genannt^  welcher  den  Tönen  eine  Art  TVwjii 
ratur  .  zugestand  y  und  sie  die  Breite  dereeltem 
nanntCj  die  sieh  auf  die  Stelle  beim  Aristoxeaas  p«  3 
und  Burney's  Erklärung  derselben  gründen,  wurde  es 
wohl  besser  gewesen  sein,  Ton  dieser  Erklänuig  ab- 
zugehen, und  im  Gegentheil  zu  sagen,  dafs  Lasiis  db 
Temperatur  nicht  gewollt.  Denn  Aristoxenus,  ab 
Vertheidiger  der  Temperatur,  tadelt  in  jener  Stelle^ 
bei  Gelegenheit  der  gewöhnlichen  Definition  des  'masi* 
kaiischen  Tones,  wonach  er  eine  bestimmte  Höhe  ohne 
Spielraum  oder  Breite  ist,  den  Lasns  eben  deabalbi 
dafs  er  ihm  eine  gewisse  Breite  zugestehe^  näaili^ 
nur  wer  nicht  temperirt,  mächt  einen  ^Unterschied,  & 
B.  zwischen  ^fis  und  ges,  und  schreibt  einen  Splelram 
dieser  Tonhöhe  zu^  die  durch  die  Temperatur  zu 
einzigen  wird,  wie  auf  unserm  >  Fortepiano  zu 
einzigen  Taste!»  »Auch  die  bald  folgenden  Worte: 
jtuch  die  Abweichungen  des  Ptohmaeus  dürfen 
abgesehen  von  einzelnen,  Irrthümemy  nicht 
hin  als  Verunstaltung^  sondern  als  VorAereetung 
einer  künftigen  Reformation  betrachten^  können  l^cM 
einem  Leser,  der  den  Ptolemäns  nicht  kentnt,  eine  o» 
richtige  nnd  ungünstige  yorstellung  Ton  diesem  SebriA- 
steller  beibringen  $  es  ist,  wie  man  ans  der  gleich  fei- 
genden Erwähnung  der  Kirchentöne  sieht,  Ton  des 
Ptolemäus  Reductien  der  Tonarten  auf  sieben  die  Re- 
de, i^as  ein  nach  einem  sehr  einfachen  Prineip  cona^ 
qnent    durchgeführtes  Verfahren  war.    Schade,    dafs 


17S  SbmJy  AtttiHik 

^r  iMranf  erwilmte  ZusammoDbapg  der  KiroheDtdoe  - 
nit  den  siebM  Tonarten  de«  Ptolemäus  su  kurz  be- 
rftfart  wrcd)  nm  über  die  Anticfaf,  die  der  Verf.  eigent- 
lidi  ton  die«e0i  hdehst  iotereseanten  Gegenstand  ha- 
ben BHigi  den  Leser  .belehren  »i  können,  welcher  über- 
dies daduroh  etwas  yerwnrrt  werden  wird,  dafs  dem 
seneren  Mixolydisdi  statt  der  hypophrj^gischen  Ootave 
die  ionisohe,  eine  Toni  Ptolemftu«  rerworfme,  süge- 
•ehrieben  wird,  niefat  wissend,  dafs  der  Verf.  ■  dadurch 
SU  erkennen  geben  wollte,  er  >sei  einer  auf  eine  Stelle 
des  Pltttarch  (de  Mosica  o,  16.)  gegründeten  Hypothese 
Boeokhs  mgetban.  Die  bald  folgende  Stelle:  Bü  ins 
/im/keAnte  JuArAundert  war  man  auf  die  Octave 
AeBchrBnkt  gewesen  und  kannte  keine  Ausw0icAung 
M  einen  Neienten^  wie  dies  alte  Melodien^  z.  B.: 
fferr  Jesu  Christ  diek  xu  uns  wendy  von  Hufs 
(1400),  Nun  ruhen  alle  tValdery  von  Isaak  aus 
Frag  (1480)  noeh  erweisen^  wird  auch  manoheui  Le- 
ser SSehwierigkeit  machen,  weil,  ehe  er  bis  zu  den  an- 
geführten  Beispielen  gelesen,  er  Tielleicht  glaubt,  es 
wäre  (mit  etwas  Uebertreiboog)  das  fuufzehnte  Jahr- 
hundert vor  Christus  gemeint,  da  ja  die  Alten  schon 
ylel  längere  Scalen  aus  allen  Tonarten  hatten,  überall 
Ton  ]ldodula.tion  in  andere  Tonarten  sprechen,  und  al- 
lein schon  mit  ihrer  aus  füuf  Te^achorden  bestehen- 
den SoUa  in  die  Uoterdominante  ausweichen  und  der 
Terf.  auch  selbst  p.  121  berichtet:  jdls  im  zehnten 
Js^rhundert  der  mehrstimmige  Gesang  eingeßihrt 
seurde^  entwickelten  sich  ungekannte  Harmonien^ 
was  ohne  .'Modulation  nicht  wohl  möglich' ist.  Uebri- 
geos  kann  auch  eine  auf  eine  einsige  Octave  beschränkte 
Melodie  genugsam  moduliren,  und  es  waren  für  die 
beided  genannten  Choräle,  welche  ja  mehrmals  modu- 
liren, lieber  solche  zu  wählen,  die  es  'nicht  thun,  wenn 
ea  welche  giebtj  und  so  möchte  auch  die  darauf  fol- 
g;ende  Bemerkung,  dafs  nun  erst  nach  Jahrhhnderten 
die  Ootave  ihre  12  Stufen  und  darauif  gegründeten  Ton- 
arten  erhalten  hätte,  nnd  manches  folgende  durch  et- 
,wekM  mehr  Richtigkeit  dem  Leser  noch  nützlicher  ge- 
worden sein* 

Nach,  solchen  theils  philosophischen,  theils  histori- 
ndien  Andeutungen  geht  dann  der  Vf.  zu  der  eigent» 
lieben  Untersuchung  über  das  Aesthetische  in  der  Mu- 
eile  über,  wo  jedoch  den  Referenten  die  zu  Anfange  sei- 
nes Berichtes,  eingestandene. Verschiedenheit  zwischen 


ik¥  Tonkunst.  174 

seiner  nnd  des  Vfs.  Ansicht  abhält,  die  nidit  auf  emst- 
halftes  und  fofsliches  Eingeben  in  die  eigentliche  Mn» 
siklehre  gegründeten,  sondern  mehr  in  allgemein-phila- 
sophischen  oder  poetisch-schwebendei^  Ausdrücken  ab* 
gefafsten  Urtheile  über'  Mebdie,  Harmonie,  Interralle 
n.  s.  w.  oder  über  die  zabhreich  angeführten  einzehien 
Musikstellen  recht  zu  erfassen,  indem  für  ihn  die  psy- 
chologischen Auseinandersetzungen  des  Vfs.  meist  zu 
schwierig  und  undeutlich  sind,  und  die  in  das  wirklich 
MuBikalische  eingehenden,  ihn  nicht  recht  befriedigen 
können.  Auch  andere  Leser  werden  gestehen,  dafs  z. 
B.  die  Erörterungen  über  den  Sinn  der  einizeben  Inter- 
valle recht  zu  würdigen  schwer  ist,  wenn  es  z.  B.  p. 
204  beifst:  Die  (grofse)  Sexte^  welche  auch  als  um- 
gekehrte kleine  Ter»  {cat»a  e)  betrachtet  werden 
magy  trägt  die  Doppelnatur  der  Qrofse  in  sich^  und 
.t heilt  mit  der  Ten  den  Ausdruck  der  gleichmä/si- 
gen  Buhcj  /igt  aier  zugleich  durch  ihre  gr^sere 
Entfermmg  ^  eine  lebendigere  Beweglichkeit  hinzu^ 
und  so  besitzen  wir  in  'ihr  den  Ausdruck  eines  an- 
geregte^  lebendigen  Daseins^  einer  im  Maafs  gehaU 
tenen  ^Belebungy  aber  auch  darum  einer  intensiv  wir- 
kenden  Seelensti$nmungy  die  selbst  den  Schmerz  nicht 
ausschliefst  t#.  s.  w.y  oder  p.  205  Ton  der  Seeunde: 
Als  kleine ,  Seeunde  steigert  sie  den  Ausdruck  eines 
zerstörten  Qemüths  ins  Herbe  und  Orellcy  wie  in 
dtozarts  Ouvertüre  zum  Don  Juan  im  vielbesproche- 
nen Thema  des  Allegro  der  Ton  die  ein  Bild  för 
den  Inhalt  der  ganzen  Oper  if$  sich  vereinigt.  Nur 
fVortstreit  isfsy  dieses  Intervall  lieber  eine  Ubermir 
fiige  Prime  zu  nennen^  wie  man  in  Jener  Stelle  Mo^ 
zarts  nicht  einen  Accord  anzustaunen^  sondertp  nur 
im  melodischen  Durchgang  anzuerkennen  hat}  wo- 
mit es  also  der  Vf.  doch  auch  als  übermäfsige  Prime 
erklärt;  —  oder  die  Beschreibung,  wie  die  Musik  das 
Erhabene,  Ernste^  Pathetische,  Komische  u.  s.  w.  aus- 
drückt z.  B.  p.  402:  Fürs  Komische  spreche  ein  ein- 
ziges Beispiel  aus  Dittersdorfs  Oper^  Hieronymue 
Knickef.  Die  beiden  Alten  kommen  in  den  Keller 
und  heginnen  gemüthlich  den  Gesang:  Wir  wollen 
uns  placiren  und  hier  den  fVein  probiren.  Dann 
wechselt  die  lullere  Tonart  Adur  und  f  Tttkt  mit 
dem  ruhigem  Fdur  und  |  Takt.  Da  erblickt  der* 
Alte  den  Armenier  und  erstarrt  \  er  verliert  das 
Gleichgewicht  und  kommt  aus  Fdur  vor  lauter  Angst 


t 
\ 


175  Bmdy 

'  in  —  (hier  erwartet  man  eioe  colossale  Aosweichung)  — 
m  den  ^uartsestenaceörd  von  C:  fVer  ist  der  #Mt- 
derdare  Mann  f  Die  zweite  Frage  modulirt  in  OmoU. 
In  s0leAer  CAarakterieirung  kann  seldst  eine  an 
eich  emetey  ja  traurige  Melodie^  ein  langsames  Tem^ 
pOy  ein  gedehnter  RAytAmns  dem  Zwecke  des  KO' 
mnsckefp  dienen.  Das  Wort  und  die  Mimik  %ur 
Stütze  wä/siefid^  wird  so  die  Musik  auch  dem  nicht 
streng  musikalisch  auffassenden  Hörer  komisch  wer- 
den können.    Das  Resultat  aus  diesem  Allen  liegt 

.  nun  klar  vor  -^  und  pag.  404:  Die  Nachahmung 
einzelner  Figuren  durch  mehrere  Stimmen  oder  In- 
strumente wirkt  zugleich  ""komisch  und  lächerlich. 
So  in  Haydns  Quartetten^  wo  man  Gespräche  und 
Zänkereien  zu  vernehmen  meint,  u.  u.  w.  Aehn- 
lich  ist  es  mit  der  Charakterisirong  der  einzelnen 
'Tonarfen,  bei  denen  die  unleugbare  Verschiedenheit 
ihres  Ausdrucks  sich  schwerlich  anders  wird  einiger- 
mafsen  erklären  lassen,  als  auf  rein  akustischem 
Wege,  indem  aufser  der  aueh  mitwirkenden  Verschie- 

'  denheit  der  Tonhöhe  hier  noch  eine  feine  Verschie- 
denheit  in  den  Intcrvallengröfsen  stattfindet,  die  wir 
in  unserer  Vorstellung  eben  so  gut  in  die  gleichschwe- 
bende Temperatur  hineintragen,  als  wir  auch  bei  ihr 
die  sogenannten  euharmonischen  Verwechslungen  ver- 
nehmen. Denn  da  wir  immer  die  (oben  angeführten) 
Verhältnisse  der  natürlichen  Scala  im  Kopfe  haben, 
80  gewöhnen  wir  uns,  Intervalle  wie  c  i  d  (ß  i  9)  und 
d  i  e  (9  :  10)  etwas  verschieden  zu  denken,  und  ha- 
ben also  z.  B.  in  Cdur  als  erstes  Intervall  den  gro- 
fsen  Ganzton,  in  Ddur  aber  als  erstes  Intervall  den 
kleinen;  auf  diesem  Wege  ergiebt  sich  dann,  dafs 
gerade  die  in  Tonhöhe  wenig  verschiedenen  Tonar- 
ten, wie  z.  B.  Ddur  und  Bsdar,  welche  sehr  verschie- 
denen Charakter  zu  haben  scheinen,  in  den  Interval- 
lengröfsen  mehrfach  von  einander  abweichen,  wäh- 
read  Aridere,', weiter  von  einander  entfernte,  es  gar 
nicht  thun,  wie  Cdur  und  Edur,  bei  denen  wir  auch 
eine  gewisse  Aehnlichkeit  des  Ausdrucks  bemerken, 
80  dafs  hier  nur  die  bedeutend  verschiedene  Ton- 
bofae  den  Unterschied  macht.    Eine  kleine  Verwechs- 


der   Tonkunst.  116 

long  findet  statt,  wenn  der  Verfasser  im  Betreff  die* 
«es  verschiedene^  Ausdrucks  p.  211  Plato  end^Aii- 
stoteles  anfuhrt,  die  ja^  in  den  angef&hrten  StelleB, 
und  überhaupt,  wenn  bei  den  Alten  vom  Charakter 
der  Tonarten,  die  Rede  ist,  nicht  kiervon,^  soDdea 
Von  den  verschiedenen  Ootaven- Gattungen  sprecben, 
also  von  Unterschieden,  wie  zwischen  Moll  -und  Dur. 
In  der  darauf  folgenden  Uebersicht  der  Tonarten  kaaa 
der  Verfasser  dc^eh  nicht  umhin,  jeder  einzelnen  To» 
art  sehr'  verschiedenen,  oft  entgegengesetzten  Ai» 
druck  zu)(uschreiben,  z.  B.  p.  218.  -Gmoll  kann  nicht 
gerade  hin  nach  Schubert  durch  Mi/svergn^geut 
Groll  und  Unlust  bezeichnet  werden.  /H  disser 
Tonart  einigt  sich  fVehnmth  und  Freude,  SeAwer- 
nmth,  und  Beiterkeit  \  so  stellt  sie  die  Graxiey  sntf 
deren  Blick  ein  Zug  Schwermufh  ruht,  das  Mr- 
habene  in  romantischer  Färbung,  \das  TrvfgiMci- 
sentimentale  dar.  Die  Behandlung  kann  dies  edles 
atich  bis  zum  Ausdruck  des  Mifsvergnügene  umi 
der  Unlust  erhöhen,  indem  das  eine  beschrUnkmids 
Element  überwiegt.  Wem  schwebt  bei  diesem,  Tom 
nicht  alsjdeal  Mozarts  Symphonie,  die  ich  in  g^ 
wisser  Hinsicht  mit  Goethes  Iphigenia  vergleiehem 
möchte,  vor?  u,  s.  w.^  Andere  Zwecke  werden  Jire^ 
lieh  auch  auf  Trost  in  heidefi  hinführen,  anden 
die  Wonne  in  Thränen  bezeichnen;  was  AHm 
diese  Tonart' in  sich  trägt.  Eben  so  pag.  222  vna 
Hmoll:  In  langsamer  Bewegung  eignet  dieee  Ten- 
art  vorzüglich  för  Todtengesänge.  Umgeseixt  äa 
die  Unnatur  gewährt  diese  Tonart  im  ironische» 
tiohn  auch  Töne  der .  Hölle.  So  in  Webers  F^tti- 
schütz  Caspars.  t€9$fiisches  Lied,  u,  s.w.  Da  aai 
ähnliche  Vielseitigkeit  jeder  Tonart  zugescliriebee 
wird,  so  möchten  die  gegen  einen  Ausspruch  Zelters 
über  diesen  Gegenstand  geriditeten  Worte>  pag.  210: 
was'  mindestens  ein  Mchst  uniedachtsames  Uriheit 
enthält,  indem  es  nach  keinem  Prine^  fragt,  vA 
der  gefafst  sich  vielleicht  besser  ausnehmen.  Billige 
Beurtheiler  werden  dem  Verfasser  gern  zugeben,  dafii 
der  von  ihm  behandelte' G^enstand. ein  sehr 
ger  ist.  Belle riaann. 


M  23.         '  ' 

Ja  hrbücher 

f..     •  I 
u  r 

wissenschaftliche   Kritik. 


August  1839. 


m 


XL 

Die  PhUosopKie  des  Rechts  nach  geschichtlicher 

Ansicht  von  Friedrich  Julius  StahL     Zwei- 

ter  Bandk    Christliehe  Rechts-  und  Staatslehre. 

Zweite  Abthßilung.    Heidelberg,  1837.  X  und 

431  S. 

''      Wie  der  Kriticlsmus  Kants  der  deutseben  Philo** 
9opbie'  ihre  Metaphysik ,    gleichsam,  das  AUerheiligste 
ihres  Tempels,  tod  Grund  ans  niederreisseu  wollte,  so 
erblieken  vir,  in  Folge  dieser  Erscheinung,   auf  dem' 
Gebiete  der  Rechtswissensohaft  eine  Juristenschule,  die 
ebenfalls  ohne  dieses  Innerste  ihrer  Wissenschaft,  ohne 
Natnrreeht,  ausreichen  zu  können  glaubte.    Ohne  Zwei* . 
fei  war  es,  wie  bei  Kant,  das  Veraltete  der  Formen 
der  bisherigen  Wolfischen  Metaphysik,    wodurch  der 
Stifter  jener  Schule  in  diese  negative  Stellung  gegen 
die  Philosophie  gebracht  wurde.    In  der  Vorrede   zur 
zweiten  Ausgabe  seiner  Schrift   „Vom  Beruf  unserer. 
Zeit  für  Gesetzgebung'*  (1828)   beschränkt  er  selbst 
auf  die  Wolfische  Philosophie  und  deren  Naturrecht, 
vas  man  ihm  für  eine  Antipathie  gegen  jede  Philoso- 
phie ausgelegt  habe  (S.  V).     Doch  «da  er  häufig  im 
Werke  selbst,  mit  ausdrücklicher  Hintansetzung  des 
Ternunftrechts,  behauptet^  die  ächte  Begründung  alles 
und  jedes  Rechts  dürfe  nur  auf  geschichtlichem  Wege 
worgenommen  werden:  so  bleibt  es  immer  wahr,  dafs 
damit  die  Rechtsphilosophie  überhaupt  nicht  mehr  als 
ein  der  Jurisprudenz  zn  ihrer.  Vollendung  nnentbebrli- 
ohes  Element  angesehen  worden  ist.     Der  Hr.  Vf.  det 
irorliegenden  Schrift  erklärt  in  einem  frühern  Theile  der* 
Mlben  (Bd.  I.,  Vorrede,  S.  VIII)  dies  so,  dafs,  da  Hr. 
Wf,  Savigny  den  Zauber  einer  glücklichen  Anschauungs- 
gabe besitze,  er  sich  der  philosophischen  Forschung, 
fib^heben  dürfe,  indem  sein  Sinn  ihn  sicher  leite.    Die 
Toa  ihm  angeregten  Juristen  aber,  die  sich  die  histori« 
•obe  Schale  nennen,  weil  auch  sie  sich  ohne  Philoso« 
Jahrb.  f.  uiuentck  Kritik.  J.  1830.  II.  Bd. 


phie  zu  behelfen  suchen,  bewegen  sich,  nach  unserem 
Hm.  Vf.,  „in  vagen,  vieldeutigen  Reden."  Er  setzt 
(S.  IX)  hinzu:  „Ini  Innern  der  Schule  fehlt  €»  an  Ein- 
heit und  Klarheit  des  Bewufstseins;  und  sie  dürfte  ver- 
legen sein,  sollte  sie  bestimmt  angeben,  wodurch  sie 
sich  auszeichnet."  Seitdem  ist  nun  auch  derjenige  der 
historischen  Juristen,  der  eich  besonders  wieder  zum 
Naturrecht  wandte,  und  auch  in  den  Einleitungen  sei- 
ner übrigen,  positiven  Vorlesungen  sich  viel  mit  Philo- 
sophie zu  schaffen  machte,  ich  meine  Klenke,  bereits 
vom  Schauplatz  abgetreten. 

Jener  noch  femer  vom  Hm.  Vf.  am  angeftihrten 
Orte  höchst  ungünstig,  geschilferte  Zustand  dw  histö- 
'rischen  Schule  mufs  ihn  wohl  veranlafst  haben,  ihr  zu 
Hilfe  zu  eilen;  und  da  er  aus  einer  philosophischen 
Spbule  hervorgegangen  ist,  die  plötzlich  auch  angefan- 
gen hat,  sich  die  „geschichtliche"  zu  nennen,  so  nieinte 
er  gewifs,  dafs  ein  aus  diesendr  Lager  abgeschicktes 
rechtsphilosophiscbes  Armeecorps  der  historischen  Juris- 
prudenz willkommen  sein  würde.    Mit  dieser  geschieht- 
,  liehen  Philosophie  hat  es  aber  folgende  Bewandtnifs. 
>    Sehelling,  der  früher  eine  der  schönsten  Stufen 
in    dem  Entwickelungsgange  der  deutschen  Wissen- 
schaft eingenommen  hatte,  konnte  endlich  die  Kühnheit 
seiqer  Speculation  nicht  länger  behaupten.    Er  rifs  da- 
her den  Faden  der  Tradition,  der  ihn  an  die  frühere 
Philosophie  knüpfte,  entzwei,  und  floh  vor  seinem  ^i^ 
genen  Schatten  in  die  Unterwerfung  unter  ein  histo- 
risch Gegebenes,  Erfahrenes,  durch  und  durch  Positi- 
ves, unfi^cfähr  wi^  Friedrich  von  Schl^el,  der  Graf 
Stollberg  und  Andere,  als  das  Gebäude  ihrer  denken* 
den  Vernunft  im  Innersten   zusammenbrach,    und  sie 
nun  haltungslos  auf  dem  Meere  des  Zweifels  schwank- 
ten,   das  einzige' Rettungsanker  darin  sahen,    in  den 
Schoois  der  katholischen  Kirche  zurückzukehren.   Seit- 
dem die  Geistesobnmacht  auch.  Scbellingen  anwandelte, 
hat  seine  Verzweifelung  am  Denken  allmählich  in  sei- 

23 


179 


StaU^  PAil^9opkie  de*  Reehts.    2ier  Bd.    iie  Atth. 


im 


ner  Scfinle  sieb  bis  zum.Hafs  alles  Denkens  ^steigert* 
SchelKogs  jetzige  Uebeneugung  läfst  sich  in  folgende 
Worte  zusammenfassen:  ),Die  Vernunft  könne  an  die' 
Wirklicbkeit  nicht  herankommen.  Alle  Pbilosophiei 
die  Ernst  macht  mit  denkender  Erbenntnifs^  sei  Ratio- 
nalismus. Dieser  begründe  nur  das  nothwendig  zii  Den- 
kende,  d.  h.  eigentlich  das  nur  nickt  nicht  xu  Den^ 
kende.  Eine  solche  Erkenntnifs  sei  aber  nur  negativ ; 
sie  lefare  nur  das,  ohne  welches  nichts  ist,  aber  nicht 
das,  wodurch  irgend  etwas,  ist/'  Aus^estoben  von  der 
ächten  Philosophie,  wo  sollte  die  Scbellingsche  Schule 
mit  ihrem  „pörflivea  System,''  wie  Hr.  Stahl  es  nennt 
(Bd.  i,  S.  56),  noeh  einen  Anhalt  finden?  Da  sie  sich 
der  Rüstkammer  der  Vergangenheit  zugewendet  hatte, 
so  glaubte  sie  an  historische  Juristen  sich  mit  Zu?er- 
siobt  anlehnen  zp  können ;  wenigstens  machte  Hr.  Stahl 
.  einea  solchen  Versuch.  Erst  als  ScheHing  bereits  «ane 
spätere  Bildungsepoche  erreicht  hatte,  wurd^  Jener 
sein  Schüler;  und  er  hat  auch  manche  Brocken  der 
umgeänderten  Schellingschen  Denkweise  aus  Vorlesun- 
gen veröiTentlioht,  bevor  Schelling  selber  damit  her- 
vorgetreten ist  (Bd.  I,  S.  55,  Anm.,  334  Anm.}.  Nur 
hat  Hr.  Stathl  diesen  Standpunkt.  Schellings  dermafsen 
bis  zur  Caricatur  erweitert,  dafs  dieser  schwerlich  seine 
eigenen  Ansichten  in  den  Stahlschen  Sätlen  wiederer- 
.  kennen  wird. 

Die  pAihiBphische  Grundlage  der  Rechtsphiloso« 
phie  des*  Hrn.  Verfs»,  wie   sie  sich  besonders  am  An«* 
fan^  der  ersten  Abtheilung  des  zweiten  Bandes  seines 
Werkes  ent^ckelt  findet,  ist  schon  früher  Gegenstand 
eine)r  gründlichen  Besprechung  in  diesen  Blättern  ge- 
wt^sen.    Die  Quintessenz  der  Ansichten  des  Hrn.  Stahl 
gibt  Referent  daher  hier  nur  historisch  an:    „Der  Ra- 
tionalismus behauptet,  e^  gibt  keine  Veränderung.    Das 
Wesen  der  abstracten  Philosophie  ist:  nur  das  anzu- 
erkennen, waß  aus  der  Vernunft  folgt ;  -  es  mufs  das 
Gegentheil  undenkbar  sein.  '  Die  geschichtliehe  Ansidit 
ist  die,   nach  welcher   etwas   geschehen  ist   und  ge- 
schiebt, nach  welcher  es  eine  freie  T|iat  gibt.    Die  Be- 
gebenheit ist  das  Resultat  der  freien  Wechselwirkung 
Gottes  und  des  Menschen  gegen  einander.    Die  Welt 
ist  nicht  im  Wesen  Gottes  nothwendig  enthalten,  soa« 
dorn  erst' durch  seine  freiwillige  Schöpf ung  entstanden. 
Alles  ist,  weil   der    allmächtige  Urheber  es  eben  so 
wollte^,   nicht    weil   es  nicht  nicht  sein  kennte.    Gut 
ist  etwas  nur,,  weil  Gott  es  so  wollte :  bös,  weil  er  es 


verbot;  nicht  umgekehrt.  Man  mufe  den  Vermumfi' 
xuiommenhan^  4er  fVelt  ISugnen.  Gott  kann  nieht, 
wie  die  Vemqnft,  blos  Noth  wendiges  hervorbritfjgm 
Gott  kann  Glauben  fordern,  weil  er,  was  er  thot,  aueb 
unterlassen  könnte,  und  daher  die  Geschöpfe  ininse^ 
fort  nicht  wissen,  sondern  nur  glauben  können,  dafs  er 
es  thun  werde.  Jeder  Zweck,  nicht  blos  der  mensok 
liehe,  sondern  auch  die  Endabsicht  Gottes  setzt  freie 
Wahl  voraus.  Der  Glaube  nimnftt  eine  freiwillige  OS 
fenbarung  an^  Gott  hätte  die  Erde  anch  ungemaeht 
lassen'  können.  Gott  hat  eine  unendliche  schaffoids 
Wahl.  Es  war  nicht  nothwendig,  dafs  die  SchöpfiiBg 
gerade  diese  wurde,  die  sie  nun  wirklich  ist.  So  ist 
die  ganze  Schöpfung  und  ihr  Plan  nicht  von  Ewigkeit 
gegeben  durch  die  heilige  Natur  Gottes  und  seine  all- 
umfassende Weisheit.  Die  Schöpfung  ist  nicht  eint 
Falge  des  göttlichen  Wesens,  sondern  die  Tbat  der 
göttlichen  Freiheit»'  (Bd.  I,  S.  55,  48,  38,  56,  37,  «3^ 
117,  194,  223,  313;  Bd.  U.,  Abth.  1,  S:  25,  27,  31, 
203).  In  der  schon  ei^wähnten  Anzeige  ist  die  Unwi» 
digkeit,  Gott  eine  Freiheit  zuzuschreiben,  die  bloftt 
Willkür  ist,  sodann  die  Unfähigkeit  des  Hrn.  Yeift-^ 
wahre  Freiheit  anders,  als  nur  im  Widerspruch  gegea 
die  Noth  wendigkeit  zu  begreifen,  aufs  Scharfsinnigste, 
eirörtert  worden. 

Wie  gefährlich  wäre  es  ferner  filr  Recht  und  Sitt 

lichkeit,  das  Gelten  ihrer  Gesetze  lediglich  von   des 

bodenlosen  Willkür  einer   allmächtigen  Persönliclikeft 

abhangen  zu  lassen,    die  das  ewige  Yemunftreeht  in 

einen  ebenso  sdiwankenden  Zustand  bringen   wrärde^ 

als  es  in  unruhigen  Zeiten  der  Geschichte  die  positive 

Gesetzgebung  ist    Das  gläubige  Bewufstsein  wird  firei», 

lieh  hierauf  mit  Grund  erwidern  können:  Eui  giit%er 

Gott  hat  Alles   aufs  'Weiseste   eingerichtet.      Diese 

Worte   sind  aber,-  der  Meinung  dies  Referenten  nachi 

sinnlos,  wenn  sie  nicht  bedeuten  sollen,  dafs  die  ewige 

Weisheit  Gottes  unabänderlichen  Gesetzen  Ton.Urb^ 

ginn  an  mit  Nothwendigkeit  gefolgt  ist.  '  Wdltto  wir 

'Gott  eine  Wahl  zusehreiben,   so  müfste  er  zwiscbee 

Bessereni  und  minder  Besserem  schwanken,  und  Daeh 

vorhergegangener  UeberlegUng,   Berathscblagnng    urf 

EntscUufs  das  Eine  dem  Andern  Torzieheo.    Wir  wol^ 

len  annehmen,  dafs  er  das  Bessere  Torziehe,  'aber  aotiK 

wendig  ist  es  nicht.    Denn  wer.  das  Eine  wählen  kamii 

kann  auoh  fiirs  Andere  sich  entscheiden«    Mufs  er  m^ 

mer  das  Bessere  ergreifen,  nun -dann  ist  es.  eben  ketae 


181 


Siakt^  PhHo9öphie  d€9  lUehU.    2Ser  jBd.    2te  JUiA. 


182 


Wahl  mebr;  Gattes  Wille  ist  dann  selbst  diese  unab- 
iaderlidie  NothweDdigkeit  Wahl  überhaupt  wäre  das 
•ehlageadste  Zeicbeo  der  Unvollkommenheit,  selbst 
wem  nachher  das  Bessere  ergriffen  würde.  Denn  der 
WMilende  bedarf  der  Zeit,  eher  er  sich  fars  Bessere 
entscheidet;  se  lange  wenigstens  fehlt  ihm  also  die 
Bekenntnifs  des  Bessern.  Wer  steht  uns  aber  dann 
dai&r,  dafs  er  es  jetzt  darch  seine  Wahl  getroffen! 
Jeder  sieht  eia^  dafs  solche  Auffassungsweise  Gottes 
gana  unwürdig  ist^  Freilich  nach  Hrn.  Stahl  gibt  es  kein 
..Gates  nad  Gerechtes  an  sibh|. sondern  Alles  ist  gleich- 
gültig, •  bis  erst  ex  po9t  durch  Gottes  Wahl  ein.  Unter- 
aohied  eptsteht«  Bef.';  mochte  dann  aber  fragen,  worin 
denn  das  Wesen  Gottes  bestehe,  weon  es  niclit  das 
an  abd  für  sich  Gute^  das  an  und  für  sich  Gerechte, 
mit  einem  Worte  das  hSehste  Gut  ist.  Wer  also  die  Idee 
des  Guten,  das  Vemunftrecht,  oder  wie  man  es  nenpen 
will,  Aufhebt,  der  hebt  Gott  auf ;  denn  Gott  ist  alles 
dieses  selber.^  So  anschnldig  also  auch  ein  Läugner 
desNatarrechts  aussiebt,  seist  er  dennoch  ein  Atheist, 
weil  er  nur  Schwankendes  und  Veränderliches,  nichts 
Bleibendes  im  Wechsel  anerkennt. 

Diese   fürchterlichen  Conseqnenzen    seiner  Lehre 
.  schwebten . wohl  Hm.  Stahl  auch  duqkel  vor.    Wenig- 
stens biegt  er  ein,  und  es  kommen  auch  die  Sätze  Yor : 
„Auch  ehae  Vemunftznsammenbang  unterscheidet  sich 
die  Freiheit  Gottes  von  der  Zufilligkeit''  (Bd.  U.,  Ab- 
theiL  1^  S«  19) ;  wovon  der  Hr.  Vf.  uns  aber  den  Be- 
weis schuldig  geblieben  ist.    Ferner  gesteht  er:  „Die 
"Wahl  zwischen  Gut  und  Bds  ist  allerdings  bei  Gott 
sibbt*'  (Bd.  n.,   Abth.  1,  S.  25).     Warum  nicht,  wenn 
et  eine  unendliche  Wahl  hall  Hr.  Stahl  sähe  sich  also 
geswnngen,  su^ugeben,  dafs  sie  doch  eine  beschränkte 
sei*    Doch  nein  I  Wir  thun  Hrn.  Stahl  Unrecht.    Denn 
da  Gott,  erst  durch  seine  Wahl  etwas  zum  Guten  oder 
Bdaeii  macht,  so  war  sie  vorher  eine  unendliche;  und  auch 
nachher  wird  Hr.  Stahl  sie  durch  Präcedentien  nicht  ge- 
benden wissen  wollen.    Endlich  heifst  es  sogar:  „Gott 
ist  idlerdings  ancb  eine  Mdglibhkeit  versagt,  die  Mög- 
iiebkeit  des  UngSttlidben''  (Bd.  IL,  Abtb.  1^  S.  31). 
Gist!    Aber  erstens  ist  dies  eine.blofse  Tautologie s 
Gott  kann  nur  Gdttlicher  wollen«    Und  dann,  so  arm 
dieser  Satz  auch  an  inhaltsvoller  Erkenntnifs  ist,   so 
gpenngt  seine  formelle  Bichtigkeit  doch,   um  die  ganze 
Willkilrs-Theorie  des  Hm.  Verfs.  fiber  den  Haufen  zu 
fen.    Denn  Gott  kann.  Jbiemach  nur  das  mit  Noth* 


wendigkeit  aus  seiner  innersten  Natur  Fliefsende  than; 
Die  scharfsinnig  sein  wollende,  in  demselben  Zusam- 
menhang vorkommende  Distioction,  dafs^  die  Scbdplung 
der  Natur  Gottes  g^emaft^  und  doch  nicht  durch  sie 
gegeben  sei,  kann  höchstens  fiir  einen  AdvocatenknifF 
geltidu,  um  der  ostensibel  bekämpften  Ansicht^  der  gar 
nicht  auszuweichen  war,  nur  durch  eine  Hinterthür 
tritt  zu  gestatten. 

Doch  Bef.  wollte  diese  philosophische 
des  Stahlschen  Bechtssystems  nur  Nieder  in  Erinne- 
'  rung  bringen.  Hier  l>leibt  im  Allgeioeinen  noch  das 
aus  solcher  Grundlage  fliefi^ende  UecntMtyitem  selbst 
zu  würdigen  übrig,  und  zwar  in  seinem  Verhältnisse 
sowohl  zur  BechtswiBsenschaft  als  zur  Philosophie, 
bevor  Bef.  ins  Besondere  an  die  Kritik  der  Staats- 
lehre gehen  kann^  welche  in  dem  gegenwärtig  anzuzei-^ 
genden  Bande  enthalten  ist. 

Die  neue  Hechts-  und  Staatslehre,   welche  Herr 
Stahl  aufstellen  will,  kundigt  sich  sogleich  als  eine 
ehriatUche  an.    Diese  Worte  haben  ein^  guten  Klangf 
Nur  mufs  es  zunächst  auffallend  erscheinen,  dafs  diese 
christliche  Lehre  keine  vernunftige  sein  will  \  woraus 
Hm.  Stahl  nur  der  Schlufs  zu  ziehen  übrig  bleibt,  dafs 
das  Christenthum  vernunftwidrig  sei,  und.  darin  eben 
der  grofse  Vorzug  desselben  bestehe.    Hören  wir  ihn 
selber  über  seine  Furcht,  bei/der  Aufstellung  seiner 
christliehen  Bechts-  und  Staatslehre  dem  Yernünftrecht 
zu  begegnen,  sieh  aussprechen.    Er  fängt  damit  an, 
■u  sagen,  dafs  er,  „mit  einem  völligen  Ueberdrufs  an 
aller   philosophischen  Forschung  erfiillt,"   ^eh   „aue- 
Schliefslich  auf  das  Studium  des  positiven  Bechts*'  zu- 
rückgezogen habe  (Bd.  I,  Vorrede,  S.  V).    Dies  ist 
gerade  keine  günstige  Stin^mung,  um  eine  „Philosophie 
des  Bechts",  wenn  gleich  nur-  nach  „geschichtlicher 
Ansicht'',   zu  verfassen.    Denn    auch  Bio  Geschichte 
mufs    vernünftig  sein  und  mit  philosophischem  Auge 
betrachtet  werden.    Sodann  lesen  wir  ein   merkwührdi- 
ges   Stück  Argumentation   gegen  die  Existete  eines 
Veraunftrechts:  „Man  pflegt  die  Bechtsnormen^  welche 
wirklich  bestehen  und  gelten,  durch  die  Bezeichnung 
des    positiven  Bechts,    denjenigen   entgegenzusetzen 
welche  naclr  einer  bessern  Erkenntnifs   bestehen  und 
gelten  sollten,   die  man  dann  als  vernünftiges  Becht 
bezeichnet./  Nun  ist  aber  das  gerade  das  Wesen  des 
Bechtsj  wirklich  zu  bestehen  in   äufserer   Verkörpe- 
rung.   Es  kann  daher  kein  anderes  Becht  gebäi,  als 


% 


- 1 


183 


StaM^  Philoiopkie  de$  ReeAft.    2ter  Bd.    ^e  Abth. 


18i 


ein  positiv^  bestehendes*'  (Bd.  11^  Abti^.  1,  S.143— 
144).  .Freilieb,  so/ lange  der  TernüDftige  Inhalt  des 
Reohts  Dioht  positives  Gesetz  geworden,  ist  er  keine 
bindende  Rechtsnorm  fär  den  Richter.  Vor  den  Ge» 
richten  der  südlichen  Staaten  yop  Nordamerica  ist  also 
noch  jetzt,,  "wie  sonst  vor  dem  römischen  Prätor,  die 
Sklaverei  kein  Unrecht.  Dennoch  ist  das  Recht  auf 
Freiheit  der  Person  ein  unveräufserlicheS'  und  auf  rei- 
ner Vernunft  gegründetes ;  was  selbst  positive  Gesetz- 
gebungen anerkennen,  indem  z.  B.  das  Betreten  des 
englischen  Bodens  genügt,  um  einem  in  aller  Form 
Rechtens  gekauften  Sklaven  die  Freiheit  zu  verschaf- 
fen: welcher  Bestimmung  auch  das  Pteufsische  Land- 
Recht  beitritt  (Tb.  II,  Tit.  V,  f  200).  Ein  solches 
Vernnoftrecht  will  Hr.  ^  Stahl  nicht  anerkennen.  Des- 
halb verfuhr  er  auch  ganz  consequent,  wenn  er  an 
der  vorhin  angezogenen  Stelle  der  Vorrede  des  ersten 
Bandes  bencbtet,  er  habe  das  „Naturrecht"  aufgege- 
ben, und  seine  „akademische  Laufbahn  mit  Vorlesun- 
gen'über  —  PhiloMophie  des  pontweti  Hechts'**  be- 
gonnen. Was  ist  dies  nun  aber  für  ein  W^ecHselbalg 
und  Zwittergeschöpf  1  Heifst  das  Philosophische  am 
positiven  Recht  wohl  irgend  etwas  Anderes,  als  das 
Vernünftige  dessiilben}  Bei  Hrn.  Stahl  sieht  es  aber 
so  aus,  als  ob  das  Vernünftige  aufhörte  vernünftig  zu 
sein,  so  wie  es  positives  Recht,  d.  h.  wirklich  würde, 
wie  jene  Bestimmung  des  Preufsischen  Land -Rechts 
über  Sklaverei.  Des  Hrn.  Vfs.  Devise  ist  also:  W^s 
wirklich  ist,  ist  unvernünftig;  und  das  scheint  Ref.  ein 
sehr  .„negatives  System"  zu  sein. 

Aus  diesem  Gesichtspunkte,  unterwirft  Hr.  Stahl 
nun  im  ersten  Bande  alles  bisherige  Naturrecht  einer 
ausführlichen  Kritik;  wobei  der  Refrain  immer  ist, 
dafsi  es  an  dem  Mangel  laborirt,  das  Recht  aus  der 
„sinnlich-vernünftigen^  also  denkenden  Natur  des  Men- 
schen'' ableiten  zu  wollen  (Bd.  I,  S«  75).  In  der 
That  ist  die  Vernunft  der  Grund  der  Freiheit,  diese 
die  Basis  der  Persönlichkeit,  die  Person  aber  das  Prin- 
€ip  ^es  Rechts.  Fichte  soll  das  Naturrecht,  nach 
Hrn.  Stahl,  auf  den  hödisten  Gipfel  gebracht,  damit 
abe  auch  beschlossen  und  aufgehoben  haben,  indem 
nach  demselben  nur  der  persönliche  Mensch  berech- 
tigt sei,  und  Fichte  somit  die  völlig  gesetzlose  Will- 


kür zum  Principe  mache  (Bd.  I,  S.  165  —  166,  172). 
Wäre  dies  auob  der  Fall,  so  sollte  man  stuvorderst 
denken,  die  Willkürs- Theorie  des  Hrn.  Verfs.  oiüase 
ganz  damit  einverstanden  sein.  Hernach,  welche 
Beschränktheit  ist  ^,  Person  in  dem  Sinne  der  wilt 
kürlichen  Triebe  und  Neigungen  des  Einzelnen,  und 
nicht  vielmehr  als  den  unwankenden  BegriQP  des  Vei^ 
.nunft Wesens  aufgefafst  zu  haben*  Doch  auch  diesen 
Begriffe  der  menschlichen  Persönlichkeit  spricht  Herr 
Stahl  die  Fähigkeit  ab, '  das  Recht  zu'  begründen  (B4 
I.  S.  205).  Was  will  nun  Hr.  Stohl  an  die  Stelle  der 
menschlichen  Persönlichkeit  gesetzt  wissen  f  Nichts 
Geringeres,  als  die  göttliche  Persönlichkeit  (Bd.  I,  S. 
208).  Hier  bringt  er  auch  sein  Motto  an:  „Gott  ist's^ 
der  Alles  den  Menschen  bereitet"  (Bd.  II»  Abth,  I9  S^ 
18).  Auch  dagegen  ist  nichts  einzuwenden,  dafs  die 
Rechtsverhältnisse  aus  Gottes  Willen  fliefsen.  Abec 
dieser  Satz  scheint  Hrn.  Stahl  vollkommen  ausreidioidi 
seine  ganze  christliche  Rechts-  und  Staatslehre  da^ 
auf  zu  bauen ;  und  das  ist's,  weshalb  wir  ihn  tadda 
müssen.  Goft  ist  freilich  die  Ursache  von  Allem«  Ihu> 
um  aber  pafst  diese  Antwort  aus  dem  Piudar  ebes 
für  Alles,  und  ist  mithin  ganz  unbestimmt;.  Die  Auf- 
gabe der  Rechtsphilesophie  ist,  den  Willen  Gottei 
speculativ  zu  bestimmen  und  bis  dahin  zu  entwickeln, 
wo  er  Rechtsverhältnifs  wird.  Von  einer  solchen  De- 
duction  hat  Hr.  Stahl  keine  entfernte  AHnung^  *  Boa« 
dem  geht,  ohne  Vermittelung,  vom  Princip  zu  deoi 
was  er  dadurch  begründen  will^  über.  Hätte  er  diese 
Deduction  vornehmen  können,  so  würde  sich  dabei 
von  selber  herausgestellt  haben,  dafs'die  wahre  ebrist- 
liehe  Rechts-  und  Staatslehre  zugleich  die  dem  Ve^. 
nunftrecht  entsprechende  ist. 

Von  Schelling  und  Hegel  rühmt  Hr..  Stahl^  sie 
hätten  den  Uebergang  vom  Naturreoht  zu  seinem  Stand» 
punkt  gemacht,  und  zwar  durch  ihren  „Begriff-  des 
objectiven  Willens,  der  sittlichen  Organismen**  (Bd.  I, 
S.  241).  Dies  ist  allerdings  nichts  Anderes,  als  der^ 
Jn  den  pienschlichen  Verhältnissen  verwirklichte  W'ilte 
Gottes ;  und  so  nimmt  Hr.  Stahl  an  der  neuestea  Plu- 
losophie  das  Streben  wahr,  eine  christliche  za  sein 
(Bd.  I,  S.  353).      . 


(Die  Fortsetzung  folgt.) 


^24. 

J  ah r buch  er 

für 


wissenschaftliche    Kritik. 


August  1839. 


MHe  Philofophie  de»  Rechts  nach  geschichtlicher 
Ansicht  ron  Friedrich  Julius  Stahl.' 

(Fortsetzung.) 

Doch   Herr  Stahl,   und    aoch   hier   ivird  Schel* 
ling    gewifs    nicht    auf    seine    Seite    treten,    kann, 
venndge  seines   gänzlichen  Mangels  an  speculativem 
Sitin,  den  Willim  Gottes  nnr  als  einen  durchaus  äu« 
fserlichen  auffassen:    „Denn  es  ist  nun  eine  Ursache 
tiufser  dem  Mensehen  und  seinem  Denken  als  Grund 
des  Ethos  und  der  Rechte  anerkannt.''    Das  an  und 
liir'  sich  Gute  und  Rechte   sind   Yielmebr  nicht   dem 
.inenschliohen  Geist  Ton  Aufseo  gegebene  Mächte,  son« 
dem  solche,  die,  als  sein  eigenes  PathoA,  von  Innen 
beraus  s^in  Thun  und  Treiben  bestimmen;   sie  sind 
der  in  ihli  herabgestiegene  und  dort  lebendig'  wirkende 
Wille  Gottes.     Diese   Immanenz   des  Göttlichen  im 
Rechte  zu  .fassen,  ist  eben  die  Schwierigkeit,  an  der 
die  Rechtsphilosophie  des  Hm.  Sitahl  gescheitert  ist 
Obgleich  Recht  und  Sitte  höher  sind,  als  der  einzelne 
Mensch,   so  sind  sie  doch  nichts  Aeufserliches  für  ihn, 
da  er  aa  seiner  Vernunft  eine  höhere  göttliche  und  zu* 
gleich    inwohnende   Quelle    derselben    besitzt.      Der 
Wille  Gottes,  insofern  er  in  Form  des  an  sioh  Gerech- 
ten und  Guten  erscheint,  hat  also  im  Menschen  an 
der  Vernunft  das  Organ  spiner  Offenbarung.    Da  Hr. 
Stahl  aber  —  ein   würdiger   Schüler  Friedrichs  von 
Schlegel  —  die  Vernunft  ganz  jenseit  des  göttlichen 
Willens  setzt,   so  ist  auch  hier  r  im  Menschen  nichts 
Göttliches,    das   ihn  bestimmen   könne;    sondern  es 
kommt  an  ihn  nur  ein  von  Äufsen  gegebenes,   histo- 
fisoh  beglaubigtes  Gebot,,  dem  er,  auch  in  Bezug  auf 
seine  RechtsTerbältnisse^  sich,  mit  Gefangengebung  sei^ 
ner  Vernunft,  zu  unterwerfen  habe« 

Jenes  Lob  der  neuesten  Philosophie  ainiimt  Herf 
Stahl  dann,  wenigstens  so  weit  es  Hegel  betrifft,  spä« 
ter  wieder  znrüok,  indem  er  sagt,,  dafs  Hegel  gänzlich 

J0jirb.  f.  vüiemeK  KriHk.  J.  1839.  11.  Bd. 


in  den  Rationalismus  zurückgefallen  sei  und  ihn  voll- 
endet habe-  (Bd.  I,  S.  242,  292).  Dagegen  soll  Sa^ 
vigny  nicht  wenig  zur  Begr^lndung  dieser  christliehen 
Rechts-  und  Staatslehre  beigetragen  haben:  „So  sieht 
man  auch  diese  wissenschaftliche  Richtung"  (die  hi- 
storische Schule)  „auf  den  Grund  relfgiös  gläubiger 
Ansichten  gebaut.  Es  ist  ein  tiefer  Zug  der  Frömmig- 
keit, der  durch  ihre  bedeutendsten  Leistungen,  hm  mei- 
sten die  Savigny's,  unausgesprocAen  hindurchgeht" 
(Bd.  II,  Abthl  1,  S.  12--.  13).  Was  die*  historischen 
Untersuchungen  über  römische  Rechtsalterthümw,  Pan- 
dekten-Recht  u.  s.  w.  aber  für  Züge  christlichen  Sin- 
nes unausgesprochen  offenbaren,  ist  nicht  recht  abzu- 
sehen. Es  zieht  sich  überhaupt  durch  die  zwei'  ersten 
Bände  eine  absichtliche  Schmeichelei  und  ein  scbma- 
rotzerisches  Annähern  an  den  Urheber  der  historischen 
Schule  hindurch;  da  dasselbe  indessen  seinen  Zweck 
nicht  erreicht  zu  haben  scheint^  so  äufsert  sich  nun- 
mehr der  Törliegende  Band  nur  sehr  lau  und  im  Voi^ 
beigehen  über  Savigny.  Wie  dem  aber  auch  sei,  da 
Hr«  Stahl  selbst  das  Christliche  an  Hegel  und  Sa- 
yigny  als  Stufen  zu  seiner  Ansicht  ansieht,  so  ist  doch 
näher  zu  untersuchen,  wie  Hegel  und  Savigny  sioh  zu  , 
-^  Hrn.  Stahl  Tcrhalten,  und  ob  er  wirklich  die  reif- 
ste Frucht  ihrer  Bestrebungen  gepflückt  hat  Zu  dem 
Ende  müssen  wir  vor  allen  Dingen  den  Leser  mit  dem 
Rechtssystem  des  Hrn.  Stahl  bekannt  machem 

Die  wesentliche  Manier  y  die  bei  dieser  neuen 
Rechts-  und  Staatslehre  in  Anwendung  gebracht  wird, 
ist  nun  nicht  f  twa,  das  christliche  Dogma  denkend  zu 
erfassen,  und  dann  die  innigste  Uebereinstimumng  der 
rechtlichen  und  politischen  Institutionen  mit  dieser  er- 
kannten Wahrheit  aufzuzeigen.  Bewahre  d«r  Himmel  I 
Da  würde  ja  die  Vernunft  und  das  leidige  Denken  mit 
ins  Spiel  kommen,  und  dem  Hm»  Stahl  sein  Christen-, 
thnm  verderben*  Denn  aussöhnen  will  —  oder  kann 
er  nun  einmal  dasselbe  nicht  mit  der  Vernunft  und  ib- 

24 


187 


SlaAl^  Philosophie  des  Reckt».    2ter  Bd.    2ie  Ahth. 


rer  Philosophie.  In  Ermangelong  des  Denkeqs  nimmt 
der  Hk*.  Vf.  xu  dem  alten  probaten  Remedium  der  ^chel- 
liogdchen^  Schule  seine  Zuflucht;  er  setzt  die  Jfn- 
seAauung.HMk  die  Stelle  des  Denkeos.  Statt  nämlich 
.den  Begriff  eines  Verhältnisses  sn  denken,, wird  es 
hlos  mit  einem  andern  verglichen.  Unter  vielen  Ver- 
hältnissen wird  eins^  gleichviel  welches^  zu  Grunde 
gelegt,  um  alle  übrigen  an  diesem  Schema  zu  messen ; 
die  Erkenntnifs  geht  nur  bis  zur  Auffindung  gewisser 
ftufserlicher  Aehnlichkeiten,  die  ihnen  gen^einsam  sind. 
Diese  Construction,  wie  Schelling  in  seiner  ursprüng- 
lichen Philosophie  es  nannte,  mit  Geist  betrieben,  ent- 
behrt nicht  einer  glänzenden  und  blendenden  Origina- 
lität. Hr.  Stahl  darf  abe^  nicht  vergesseui  dafs  die 
Anschauungsweise  ScbeHings  doch  immer  noch  intel* 
lectueUe  Anschauung  oder  anschauende  Intelligenz 
war.  Das  intelligente  Element  derselben  ist  nun  aber 
vollkommen  bei  Hrn.  Stahl,  wie  schon  tbeilweise  bei 
frühem  Naihahmem  Schellings,  ausgeblieben.  Herr 
Stahl  setzt  ausdrücklich  die  Anschauung  der  Vernunft 
entgegen,  was  ScheUing  niemals  that:  „Es  bewährt 
sich  hier,  dafs  überall,  wo  nur  ein  Funke  des  Lebens 
und  der  That  i&t,  die  Vemunftformen  nicht  mehr  zur 
Erkenntnifs  hinreichen,  sondern  ein  totales,  nicht  ein- 
fache Beziehungen .  absonderndes  Vermögen  erfordert 
wird,  was  wir  eben  Anschauung  nennen''  (Bd.  I,  8. 
153).,  Ohne  die  Vernunft  ist  aber  auch  die  Anschau- 
ung nicht  das  Totale,  sondern  die  Totalität  nur  in 
der  Verknüpfung  beider  Thätigkeiten  zu  suchen.  In 
der  Schule  Schellings  wurde  solchergestalt  von  sei- 
ner Methode-  nichts  Anderes  übrig  gelassen,  als  ein 
-strohernes  Sehematieiren^  über  das  unser-  Hr.  Verf. 
nicht  hinauskann,  und  welches  sich  auch  nirgends  cras« 
aer,  als  in  dieser  christlichen  Rechts-  und  Staatslehre 
xeigt,'  wie  bald  aus  ihrem  Inhalt  erhellen  wird.  < 

Was  erstens  die  allgemeine  Ableitung  de»  Recht» 
betrifft,  so  tritt  hier  sogleich .  das  oben  beschriebene 
Vergleichen  ein.  Statt  das  Recht  in  sich  selbst  zu  be- 
trachten, und  es  als  eine  wahrhafte  Verwirklichung 
der  göttlichen  Idee  zu  fassen,  wird  es  als  ein  blofser 
Nothbehelf,  als  etwas,  das  besser  nicht  wäre^  zufalli- 
ger Weise  ist  und  auch  nicht  immer  bleiben  soll,  an- 
gesehen. Hr.  Stahl  hält  sieb  dabei  an  die  Vorstel- 
lung, dafs  die  menschlichen  Verhältnisse  auf  Erden 
das  zeitliche  Reich  Gottes  seien,  und  bezieht  nun  das- 
selbe auf  ein  ewiges  Reich  im  Himmels  „Die  Mensch- 


heit ist  geschaffen,  damit  sie  ^as  wahre,  d.  b.  das 
ge  Reich  Gottes  sei.  Allein  ein  ZuAtandj  dem  Rei 
Gottes  gerade  entgegengesetzt,  ist  durch  die  That  d 
Menschen  (den  Sündenfall)  bewirkt  worden.  Von 
aus  ^  soll  nun  die  Menschheit  zu  dem  Zustand^  ilmc 
Bestimmung  geführt  werden.  Diese  Führung  ist  dena 
das  zeitliche  Reich,  die  Geschichte.  Wie  nun  der 
zebe  Mensch  in  seinem  zeitlibhen  Dasein  eines  Le^ 
bes  bedarf,  als  Werkzeug  des  Geistes,  so .  auc^  bedarf 
die  Menschheit,  als  zeitliches  Reich,  eines  Leibes  als 
Werkzeug  für  die  Beherrschung  und  Führung«  Di»«' 
sen  Leib  bilden  die  dauernden  sittlichen  Verhältnisse»^ 
Als  der  Leib  des  zeitlichen  Reiches  Gottes  haben  sie' 
eine  Gliederung,  welche  sie  unter  einander  nnd  die 
Menschen  in  ihnen  bindet;  —  und  die»e  GUederumg 
i»t  da»  Rec/U.  Es  ist  wohl  nicht  ohne  Wahrschem- 
lichkeit,  wenn  man  annimmt,  dafs  der  Urgedanke  des 
Rechts  ein  ewiger  ist.  So  wie  der  einzelne  M ensdb. 
mit  seinem  Leibe  fortbestehen  wird,  so  auch  die  mensck« 
liehe  Gemeinschaft,  das  Reich  Gottes.  Das  faeifst:  m^ 
wird  nicht  blos  die  innere  Gemeinschaft  in  Gott^  80ih| 
dem  auch  ein  organisches  Sand  unter  den  Mensciicn 
besteben.  Dagegen  ist.  das  gewifs,  sowohl  die  Artdetj 
Bandes,  wie  es  dem  irdischen  Dasein  angehört,  als  diil 
Zustände,  welche  seinen  Inhalt  bilden,  sind  nur  zeit* 
lieh'*  (Bd.  IL,  Abtb.  1,  S.  100^101, 106, 106, 218).  Wir 
erfahren  hier  nur,  wie  das  Recht  sich  zu  einem  Anden 
verhalten  soll,  nicht  was  es  an  and  für  sich  selbst 
sei.  Allerdings  sind  Recht  und  Staat  nicht'  die  höohsf en 
Weisen  des  Daseins  des  Geistes,  sie  gehören  noob 
dem  endlichen  Geiste  an;  'sie  sind  al|»o  insofern  nac 
Stufen. und  Durchgangspuncte  zum  absoluten  Gei- 
ste. Darum  verlieren  sie^  aber  nicht  ihre  Nothwend%- 
keit,  noch  werden  sie  von  der  höchsten  Stufe  blos  ver* 
scblungen;  Es  sind  viele  Wohnungen,  sagte  Christas, 
im  Hause  meines  Vaters.  Da  nun  diese  obenein  noch 
höchst  schiefe  Angabe  des  Verhältnisses  des  Rechts 
für  keine  Definition  desselben  geltet^  kann,  so  scbeint 
diese  gegenwärtiger  Rechtsphilosophie  gänzlich  ausge» 
gangen  zu  sein,  während  doch  selbst  positive  Geseti^* 
gebungen,  z.  B.  die  Justinianische,  sich'  Mühe  gebea^ 
dergleichen  aufzustellen :  Jus  est  ars  aequi  et  boni 
(1.  1.  D.  de  just,  et  jure) ;  Juris  praecepta  sunt  baec, 
honeste  viyere,  alterum  non  laedere,  sunm  ouique  tri- 
buere  (§.  3.  J.  de  just,  et  jure). 

Es  findet  sich  zwar  auch  bei  &n.  Stahl  ein  Ka* 


189  SiaAl:,  Fhilotophie  d€$  Rechts.    2ter  Bd.    iu  Abth.  190 

pitel,^o  er  ausdrücklich  yom  ,, Begriff  des  Rechts'^  '^ns^  der  sittlichen  Organismeil  gefafst  habe;  wonach 


haodehi  willf  iodessea   selbst  hier  kann  er   seine  ar- 

sprÜDgtiohe  Yergleicbttogssocht  nicht  aufgeben ,    noch 

SBQ  einer  immanenten  Definition  des  Rechts  gelangen, 

indem  es  ihm  nur  als  das  Yerhältnifs  eines  Menschen 

m  einem  andern  erscheint :  ,^Recht  bezeichnet  eine  sitt^ 

UobOv  Macht,  die  ein  Mensch  über  andere  bat    Eine 

solche  sittliche  Macht  hat  nnn  ursprünglich  allein  Gott ; 

dem  Mensehen  ist  sie  nur  mitgetheilt,  und  sie  ist  ihqi* 

mitgetheilt  nm  seiner  jSottähnlichkeit  willed,  damit  auch 

er  SO  zu  fordern  begabt  sei,  auch  von  ihm  eine  solche 

flittliobe.  Wirkung  ausgehe  über  die  Gemüther  Anderer'' 

(Bd.  II.;  Abth.  1,  S.  128— 129).     Es  läfst  sich  auch 

wohl  Manclies  gegen  das  Passende  obiger  römischen 

Definitionen  anfuhren;.aber  die  hier  gegebene  ist  durchs 

wol%  Terfehlt.     Auch    wenn  jeder  andere  Mensch   ans 

dem  Spiele  gelassen  wird,   hat  eine  einzelne  Person 

Hechte  an  eine  Sache,  z.  B.  durch  Oocupation  auf  ei- 

mer  wüsten  Insel.«  Robinson  Crusoe  hatte  Eigcnthum 

ssn  seiner  Hütte,  Kleidung,  Beute,  ohne  die  mindeste 

anttiiche  Macht  über  Andere  auszuüben.     Oder  sollte 

^rklich  erst  die  Ankunft  einer  zweiten  Person,   eben 

weil  nnn  die  Möglichkeit  einer  Verletzung  durch  einen 

Andern  gegeben  ist,  dem  einsamen  Besitzer  diese  Rechte 


also  das  Recht  ein  sittlicher  Wille  ist.  So  wenig,  weifs 
der  Hr.  Verf.  aber  heute,  was  er  gestern  lobte,  dafs 
er  hinzusetzt:  „Das  Recht,  ist  nicht- Wille,  sondern 
Macht  über  Willen''  (Bd.  H.,  Abth.  1,  S.  132). 

Hier  wären  wir  endlich  auf  6ine  der  Form  nach 
richtige  Definition  bei  Hrn.  Stähl  gestofsen;  aber  si^ 
ist,  dem  Inhalt  nach,  auch  verkehrt  genug.  Ist  das 
Recht  eine  Macht  über  den  Willen,  so  haben  wir  Hob* 
bes'  Le?iath«n  und  la  raüan  du  plus  fort:  nur  dafs 
bei  Hobbes  die  stärkere  Willkür  eines  Menschen  über 
die  andern,  bei  Hm.  Stahl  die  gröfsere  Macht  Gottes 
der  Grund  der  Rechte  ist.  Die  Anwendung,  die  Hr. 
Stahl  Ton  seinen  philosophischen  Principien  aufs  Recht 
macht,  liegt  nun  zu  Tage.  Nur  hätte  er  gleich  damit 
anfangen  sollen  zu  sagen,  dafs,  da  Gottes  Willkür 
überhaupt  der  Grund  von  Allem  ist,  so  auch  vom 
Rechte.  Wie  die  Macht  über  den  \Yillen  diesen 'aber 
jedesmal  be^immen  werde,  mufs,  wegen  des  Principe 
der  Willkür,  wieder  unbestimmt  bleiben,  da  man  ja 
nach  Hrn.  Stahl  die  freien  Thaten  Gottes  nidit  vor- 
her  wissen  kann.  Am  Liebsten  wäre  es  daher  Hm. 
Stahl  gewesen,  wenn  die  Bibel  alles  Recht  gleich  selbst 
bestimmt  hätte.    Da  dies  aber  nicht  geschehen,  6o  vor* 


verleihen J    Freilich  das  volle  Bewnfstsein  des  Eigen- \  weist  er  (ur  das  Uebrige  auf  die  Wissenschaft:  „Die 


•thunis  tritt  erst^.ein,  wenn  ich  das  Dasein  d^s  Willens 
aaiSh  in  einer  andern  Person  anschaue,  so  dafs  ich  die 

4 

Sphä^  ihrer  Freiheit  so  gut  anzuerkennen  habe,  als 
sie  die  meinige.  Das  weitere  Bedürfnifs  dieser  An- 
scbanung  fuhrt  zum  Vertrag,  als  dem  durch  den  Wil- 
len einer  andern  Person  vermittelten  Eigcnthum.  *  Aber 
sam  unmittelbaren  BegriiT  des  Eigentbums  ist  das  Da- 
Bein  einier  zweiten  Person  nicht  nöthig.  Anders  stellt 
flieh  freiKch  die. Sache,  wenn  es  kein  Vernunftrecht 
^bt,  sondern  nur  das  Recht  ist,  was  durch  positive 
Sestimmung  der  menschlichen  Gesellschaft  dazu  erho- 
ben wird.  Hr«  Stahl  mufs  aI,so  einem  solchen  einsa- 
men Menschen  nach  seiner  Theorie  schon  deswegen 
jedes  Recht  absprechen,  weil  auf  der  Insel  keine  Ge- 
rlebte vorhanden  sind,  die  etwas  als  ein  bestehendes 
Itecsbt  in  Schutz  nehmen  könnten.  Aber  nicht  nur  dem 
Inhalt,  audi  der  Form. nach  ist  jene  Definition  unhalt- 
bar. Denn  es  steckt  das  Definitum  in  der  Definition, 
indem  sittlich  selbst  eine  Seite  des  Rechtsbegriffs  ist, 
wie  Hr.  Stahl  ja  auch  schon  zugestand,  dafs  Hegel 
das  Recht  richtig  als  den  Begriff  de^  objectiven  Wit 


Philosbphie  mufs  die  feste  unbedingte  göttliche  Auto- 
rität über  sich  anerkennen.  Für  Vieles  gewährt  aber 
der  Buchstabe  des  Evangeliums  keine  Entstcbeidung. 
Wie  soll  sie  nun  gesucht  werden,  als  durch  die  Wis* 
senschafti  Wissen  selbst  bleibt  also  noch'  zu  erringen^ 
da  wir  mehrerer  und  mehr  entwickelter  Erkenntnisse 
bedürfen  und  sie  Uns  ervrerben  sollen,  als  welche  das 
Evangelium  mitthei}t"  (Bd.  I,  S.  356,  358r-359).  Es 
ist  aber  schwer  einzusehen,  wie  sich  die  Wissenschaft 
bei  Erforschung  dieses  durch  vdas  Evangelium  noch 
nicht  bestimmten  Rechts  zu -benehmen'  habe  j  da  das 
Recht  nach.  Hrn'.  Stahl  nicht  blos  „aus  göttlicher 
Anforderung,  sondern  auch  aus  menschlicher  Willkür 
hervorgeht''  (Bd.  IL,  Abt<;.  I,  S.  12»),  Willkür  aber 
eben  das  Zufällige  ist^  das  sich  jeder  Berechnung  ent«^ 
zieht.  Hr»  Stahl  freilich  hat,  wie  wir  sehen  werden^ 
an  dem  Schema  ein  unfehlbares  Zaubermittel,  seine 
phantastischen  Constructionen  auszuführen.  '  Wollen 
wir  übrigens  wissen,  woher  Hr.  Stahl  diese  so  rechts- 
widrige Definition  des  Rechts,  bewufst  oder  bewufst- 
los,    überkommen  hat^    so  ist  ihre  erste  Quelle  keine 


191 


SiaAii  Phih99pkie  de$  A^ekts.    2Ur  Bd.    ^0  jUtk. 


ISS 


andere,  als  der  auch  tod  Hrn.  Stabl  so  versobrieeDe 
tractatas  peliticua  d^  Spinoza.  Es  heifst  ^  daselbst 
(c  I,  §.  3.)s  Hinc  quod  rerlim  naturalinoi  potenidOf 
qua  existunt  et  operantur,  ipsissima  Dei  sit  potentia^ 
facile  intelligimus,  quid  Jtu  natorae  sit,  Naui  quoniara 
Deus  jus  ad  omnia  habet,  ei  Jus  Dei  nihil  aliud  est 
fuam  ipsa  Dei  poteniia  guatenus  Äaec  absolute  li^ 
bera  eonsideratuTj  hino  sequitur,  unamquamque  rem 
naturalem  •  tonnen» /ifTM  ex  natura  habere ,  fuautum 
potentiae  habet  ad  existendum  et  operandum*  Aus  sol- 
<^hem  ,,pantheistisQhen"  Naturrecbtslehrer  schöpft  Hr. 
Stabl  also  seine  christlichen  Definitionen  I 

Was  bleibt  nun  Wahres  an  der  Stahlscbeu  Defi« 
nition  des  Rechts  •  übrig  ?  Eine  Macht  ist  das  Recht 
allerdings^  aber  nicht  über  den  freien  Willen  Anderer^ 
sondern  iiber  die  eigenen  sinnlichen  Triebe  und  Nei« 
gungen,  um  diese  dem  Yemünftigen  Willen  unterzuord« 
nens  und  das  ganze  Rechtssystem  ist  eben  nichts  An* 
deres,  als  die  Herrschaft  des  yemiinftigen.Willens  über 
seine  Sinnlichkeit  Das  Recht  ist  daher  gerade  WillCi 
Dasein  der  Freiheit   und  Anerkennen  dieser  Freiheit 


hidem  es'doch  zu  paradox  klingen  wurde^  Gott  Redte 
im  Yerhältnifs  zu  den  Menschen  zuzuschreiben«  weil 
er  dann  anch  Pflichten  gegen  sie  haben  würde;  denB» 
sagt  Hr.  Stahl  selber,  ^^edem  Recht  mufs  einePflicIit 
entspredien."  Das  mufs  aber  doch  ein  höchst 
barer  Begriff  sein,  der  erst  dann  zu  seiner 
kommt,  wenn  seine  Ursprünglichkeit  aufgehob,en,  lUid 
er  in  einer  abgeleiteten  Beziehung  gefarst  virdi 

Vielleicht  sah  Hr.  Stahl  das  Gefahrvolle  emer  äU* 
gemeinen  Definition  des  Rechts  nach  seinem  Systeme 
ein,  während  wir  sie  aus  dem  Systeme  der  Vemiinfl^ 
wo  die  Willkür  unterdrückt  ist,  mit  ToUer  Evidems  h^r» 
leiten  könnten.  Vielleicht  auch  wollte  Hr.  Stahl  seine 
Definitionsgabe  erst  für  die  einzelnen  Seiten  des  Rechts 
glänzen  lassen.  Aber  die  Gefahr  war  hier  fiir  ihn  nkAt 
geringer;  uj^d  wir  sehen  ihn  vollkommen  derseObeo  na» 
terliegen/ 

Der  Hr.  Verf.  theilt  das  Redit  in  Priuat-Reek 
und  öffentliches  Rechte  die  er  auf  fiolgeiide  Weise  de- 
ducirt:  ,,In  Beziehung  auf  den  Menschen  erftUan  die 
Rechtsverhältnisse    eine   zwiefache  Bestimmung,    n&4 


der  Andern  selbst  im  Widerspruch   mit  unsem  Trie- *  scheiden ,  sich  danach  in  zwei  Rlassenl    Die  Bestian 


ben,  ^-  nicht  aber  eine  Unterwerfung  des*  freien  Wil- 
lens Anderer  unter  fremde  Machtsprüche^  wie  Hr.  Stahl 
es  auffafst,  wenn,  er  sagt :  „Ein  lebendiger  Wille  mufs 
die  Ursache  des  Ethos  sein,  aber  nicht  der  der  ein- 
zelnen Menschen,  sondern  dessen,  der  alle  andern  Wil- 
len bindet  (Bd.  I.,.  S.  227).  Durch  das  Recht,  weil  es 
4ie  innere  Substanz  des  menschlichen  Willens  ist,  wird 
dieser  vielmehr  befreit,  wie  auch  Goethe  sagt,  dafs 
der  Gehorsam  gegen  4>®  Gesetze  die  wahre  Freiheit 
sei«  Hr.  Stahl  aber  hafst  das  Gesetz  nicht  minder, 
als  die*  Vernunft,  weil  in  ihrer  Nothwendigkoit  die  Will- 
kür gebunden  wird«  Am  meisten  Mifstrauen  müssen 
uns  aber  die  Grundsätze  des  Hm.  StaU  erwecken, 
wenn  wir  femer  entwickelt  finden,  dafs  Gott,  der  doch 
die  ursprüngliche  Macht  über  alle  anderen  Willen  hat, 
selbst  k^üi  Recht  über  dieselben  haben,  und  das  eigent- 
liche Recht  nur  von  der  abgeleiteten  Macht  gelten  soll: 
9,Gott  selbst  aber  schreiben  wir  deshalb  keine  Rechte 
z^,  weil  diese  nur  die  mttgetheilte  Macht  bezeichnen, 
nicht  die  ursprüngliche''  (Bd.  11^  Abth.  1,  S.  129).  Zu 
diesem  Atisweg  sieht  sich  der  Hr.  Verf.  gezwungen, 


mung  der  einen  ist  es,  dafs  der  Mensch  Gott  ahnliek 
sei,  die  der  andern,  dafs  Gottes  Reich  und  HeirlieUEeft 
über  die  Menschen  bestehe.  Jedes  Verhältnifs,  in  vpsI* 
ohem  der  Mensch  steht,  weil  er  das  Ebenbild  Gottes 
ist,  ist  ein  Verhältnifs  des  Privatrechts ;  in  welofaen  sr 
aber  stebi,  weil  er  das  Geschöpf  Gottes,  ihm  sa  die* 
neu,  von  ihm  erföUt  zu  sein  bestimmt  ist,  ist  eia  .Ye^ 
hähnifs  des  öffentlichen  Rechts.  Das  Urbild  des  F^' 
vatrechts  ist  das  Wesen,  das  des  öffentlichen  die  Hor»j 
Schaft  Gottes"  (Bd.  U.,  Abth.  I,  S.  11»).  Was  ist  dal 
nun  für  ein  spitzfindiger  Unterschied  von  Ebenbüd  mk 
Geschöpf?  Ist  der  Mensch  aus  irgend  einem  andenl 
Grunde  Ebenbild  Gottes,  als  weil  er  das  Meister8ttiGl( 
der  Schöpfung  ist?  Wird  er  nicht  eben  dadur<di 
Ebenbild,  dafs  er  „von  ihm  erfüllt'*,  ist?  Wie  k 
ako  dies  Erfülltsein  des  Menschen  von  Gott  a 
der  Kreaturlicfakeit,  nicht  der  Ebenbildlichkeit  d 
Menschen  zukommen?  Ist  mit  jenen  Worten 
ner  nur  irgendwie  die  Bestimmtheit  der  •recht 
eben  Verhältnisse  angegeben,  und  kann  nicht 
Menschliche  unter  .diesen  Gegensatz  gebracht  >werdefi 


(Die  ForuetaBUng  folgt.) 


/ 


J  ahrbüch 


e  r 


für 


wissen  seh  aft  liehe    Kritik. 


August  1S39. 


UM?  Phües^phie  des  Eechts  nmch  geschieküiehw 
AtmcKt  ron  Friedrich  JhUm  S tnhl. 


(Fortsetzung.)  * 

So  bohl  endlick  diese  unterschiede  schon  an  und 
f&r  Moh  sind)  sa  dieaea  sie  doch  dem  Hm«  ^Vf.  dazo, 
noch  eine  Menge  ganx  absurder  Conseqnenzen  daraus 
üu  ziehen :  »^Der  Staat»  die  Kirche,  die  von  einem  per- 
aonticben  Gott  gewollt  siqd)  sind  zwar  göttlich,  aber 
nicht  seihst  Gott;  sie  sind  unmittelbar  hoher,  als  der 
Mensch*  Insofern  Er  sie  will,  mufs  dieser  sich  ihnen 
iNiterordiieD«  Aber  sie  sind  nicht  das  zuletzt  Gewollte, 
da  dM  EbenbSd  Gottes,  der  persönliche  Mensch,  ein 
Höheres  sein  «ufs,  als  das  ihm  nicht  Gleichende^  Un- 
fen&vü^W  CBd.  L,  S.  265—266).  Wir  übergehen  den 
WidersfMTUcfa,  dafs  einmal  der  Staat,  als  das  von  ei« 
nem  personlicheD  Gott  gewollte  Göttlfcfae,  höher  ist, 
fda  der  einzelne  Mensch:  .and  dann  doch  der  einzelne 
Mensch,  als  das  zuletzt  von  Gott  Gewollte,  wiederum 
Iköher  ist)  ald  der  Staat,  der,  weil  er  ein  Unpersönli- 
^es  aei)  Gott  nicht  gleichen  soll.  'Wir  hätten  also 
ein  Göttliches,  das  Gott  nicht  gleicht  Genug,  Hr. 
^tahl  tritt  Plato^  Aristoteles  und  Hegeln  gegenüber, 
die  dep  Stai^  für  höher  und  vollendeter,  als  das  luili* 
/vidwili  halten»  während  ihm  der  einzelne  Mensch  der 
letzte  Zweck  ist  (Bd*  L,  S.  20,  26,  306).  Er  zieht 
also  andi  das  Privatrecht  dem  öffentlichea  Rechte  vor. 
Bier^mikBsen  wir  ihm  aber  nun  einwenden,  dafs  ihn 
d4Mm  die  Beschukligiviig  triflFt,  die  er  selbst  den  bishe* 
rigen  Natarrechtslehrera  maeht^  das  einzelne  vernünf- 
lige  Sionenweien  dem  ganzen  Rechte  zu  Grunde  zu 
legen.  Er  vennoohte  also  nicht,  jenen  Fortschritt 
Stellings  und  Hegels  festzuhalten,  welche  das  walu> 
liafte  Recht  in  dem  objectiven  Willen  und  dessen  sitt* 
Heben  Oi^wisfaen  finden  wollten*  Dergestalt  läuft  die 
Stahlsche  Reflexion  von  Einer  Ansicht  zu  der  andern 
Jakrh.f.  wi$ien$ck.  Kriük.  J.  1839.   U.  Bd. 


hin  und  her,  bekämpfend  die,  welche  sie  billigte,  und  in 
,  die  Abwege  fallend,  ^e  sie  verdammte. 

-  Im  Vorgefühl  dieser  Unbeständigkeit  hat  die^r  Herr 
Wert  daher  auch  über  das  Resultat  seiner  Forschnii-  ^ 
gen  folgendes  Geständnifs  abgelegt ;  „Nur  das  Wol>  / 
lern  oder  vielmehr  nur  das  Sehnen  und  Hingebeo  ist 
des  Menschen,  nicht  aber  das  VollbriBgen.  So  ist 
auch  diese  gegenwärtige  Schrift  nur  dem  Wunsche 
und  der  Gesinn^ung  des  Vfs.  nach  christlich ;  ubcA  der 
wirklichen  Linstung  hingegen  vieüctch^  nur  thei- 
sStischJ*  (Allerdings!)  ,^E]s  ist  nämlich  darin  von  de« 
Problemen,  der  Rechtsphilosophie  gezeigt  worden,  dafs 
sie  ohne  die  Persönlichkeit  Gottes  sich  nicht  lösen 
lassen.  Um  'christlich  zu  sein,  h'eAie  sie  aber  auch 
zeigen  müssen,  dafs  dieselben  ohne  den  Sündenfall^^ 
die  Versöhnung,  die  Dreiein^keit  und  jene  Ferjpgi»^^ 
in  Judäa  u.  s.  w.  unerklärlich,  durch  diese  aber  er-  ' 
klärt  sind.  Das  ist  aber  theils  gar  nicht,  theil»  doch 
nicht  mit  Evidenz  geschehen"  (Bd.  I,  S.  362).  M|m 
hätte  gespannt  darauf  sein  können,  wie  so  die  Leidens* 
geschichte  Christi,  die  sich  in  Judäa  zugetragen^  zu^ 
Erklärung  des  Eigenthuins,  des  Vertrags  tt.  s.  w. 
nothvendig  sei«  höchstens  eine  bestimmte  Art  des 
Eigeathums  und  des  Vertrags  -—  die  dem  Christen- 
thum  gemäfse  —  könnte  aus  ihm  erklärt  werden»  Daf 
Aufweisen  solcher  Gemäfsheit  und  solchen  Zusammei^ 
hange  ist  aber  eine  lange  Untersuchung^  die  nicht  mit 
einem  Paar  Schemata  abzumachen  ist«  Ins  Reson* 
dem  müfste  man  sich  aber  wundem,  warum  der  Herr 
Vf»,  dem  doch  jene  heilige  Geschichte  nicbt  unbekannt 
gebliehen  ist,  dennoch  in  semem  Buche  diese  Rechts- 
Institute  so  schlecht  erklärte,  wogegen  die  römischen 
Juristen  vor  und  nach  Augustus,  obgleich  die  Passions- 
geschichte  damals  entweder  noch  nicht  geschehen  oder 
doch  wenigstens  noch  nicht  bekannt  'geworden  war^ 
dieselben  dennoch  so  meisterhaft  erklärten. 

25 


195  v^        Stahly  Phao4iophiexh$  Reekis.    2ter  Bä.    2ts  Jtitk.  .196 

Ferner  ist  es  wohl  nur  Bescheidenheit  von  Seiten  gegenseitige  Anerkennung  der  Persfinlichkeit,  Yemid* 

des  Hrn.  Verfs.^  wenn  er  behauptet,  das   christliche  gen  und  Familie.    In  ihnen  'susanmen  offenbart   aidi 

Dogma  der  Dreieinigkeit  sei  in  seineu  Constructionen  voUitäniKg    die   gottähnliche    Natur    des    Mensch«^ 

zu  wenig   angewendet  worden.    Denn  er  unternimmt^  Denn  die  Persönlichkeit  des  Menschen  ist  das  Abbild 


.  / 


.M  wirklich,  das  Privatrecht,  nachdem  er  es  dichoto- 
misch  aus  der  Persfiniichkeit  Gottes  abgeleitet  hat, 
auch .  in  einer  Trichotomje  mit  der  Dreieinigkeit  in 
Verbindung  zu  bringen.  Es  heifst  zuerst:  „Die  erste 
Gliederung  der  Rechtsverhältnisse  ist  die  Freiheit  und 
das  Vermögen,  das  Abbild  der  Freiheit  Gottes  und 
seiner  Macht  über  den  Stoff,  ihn  zu  beherrschen,  in 
ihm  zu  schaffen.  Die  zweite  ist  die  Familie;  sie  ist 
das  A1)bild  der  schöpferischen  Liebe  Gottes,  das  In- 
nigste Band  der  Personen,  aus  welchem  ihr  Ebenbild 
gezeugt  wird*'  (Bd.  II,  Abth.  I,  S.  110).  Zwei  Eigen- 
■Schäften  des  persönlidien  Gottes,  Macht  und  Liebe, 
reichen  also  hin,  um  alle  privatrechtlichen  Verhältnisse 
unter  ein  Schema  zu  zwängen.  Doch  wie  ein  unvor- 
sichtiger Apotheker  die  Büchsen  anders  mischt  und 
die  Etiketten  verwechselt,  so  klebt  Hr.  Stahl  auch  das 
Schema  der  Dreieinigkeit  auf  die  sich  nun*  zu  einer 
Dreiheit  ausspinnenden  privatrechtlichen  Verhältnisse. 
Er  sagt  zwar  selbst:  ,>Die  Lehre  Gottes  von  der  Drei- 
einigkeit wäre  eitel  und  thöricht^  wenn  sie  nichts  An- 
deres bedeuten  sollte,  als  seine  Persönlichkeit^  (Bd. 
II,  Abth.'  1,  S.  32;.  Und  doch  geht  er  ganz  leicht- 
Binnig  von  dem  einen  Dogma  auf'  das  andere  über. 
Um  nun  die  zweite  Nebeneintheilung  des  Privatrochts 
%vl  verstehen,  müssen  wir  erst  das  Schema  d^r  Drei- 
einigkeit nach  dem  Hm.  Vf.,  das  auch  schon  ziemlich 
dürftig  geräth,  angeben,  bevor  wir  von  da  zum  Schemen 
dieses  Schemens  gelangen  können:  „Freiheit,  Wesen 
und  Geist  sind  die  drei  Unterscheidungen,  die  in  jeder  Per- 
sönlichkeit gemacht  werden  müssen«  Gott  der  Vater 
igt  wir&lich  der,  der  d^  schafft  und  unendlich  wählte 
Der  Sohn  Gottes  ist  wirklich  das  fVesen  und  das  In- 
nerste  desselben,'  die  Liebe  Gottes.  Der  heilige  Geiit 
ist  wirklich  das  Bewufstsein  und  der  beherrschende 
Wille  Gottes''  (Bd.  II,  Abth.  I,  S.  32).  Man  sieht 
zwar  nicht,  worin  sich  der  Vater  und  der  Geist  unter- 
scheiden^ denn  die  Wahl  setzt  doch  wohl  Bewufstsein, 
und  das  Schaffen  beherrschenden  Willen  voraus.  Wie 

sich  dies  nun  aber  auch  verbalte,  aus  solchen  dürren 

f 

Abstraotionen  sollen  alle  Rechtsverhältnisse  deducirt 
werden:    „Das  Privatrecht  begreift  di^  Verhältnisse, 


der  götf licbeip,  das  Vermögen  des  Menschen'  eptspric|l 
de^  Schöpfung,  die  Familie  der  ewigen  Zeugung  Got- 
tes'' (Bd.  II,  Abth.  1,  S.  224).  EigenÜioh  sind  dock 
nur  wieder  die  zwei  ersten  Personen  Gottes  die  Grund« 
läge  dieses  Schema«  Und  die  dritte  göttliche  Person 
kommt  erst  im  öffentlichen  Recht  an  die  Reihe:  ,>Die 
dritte  Gliederung  ist  der  Staat  und  die  Kirche.  Der 
Staat  ist  für  das  zeitliche  Reich  der  Geschichte  das 
Organ  aller  Führung  und  Entwickelung.  Die  Kirche 
aber  ist  das  Organ  für  das  ewige  Reich.  Staat  und 
Kirche  sind  das  Abbild  des  Geistes,  welcher  alles  €S^ 
schaff ene. und  ihm  selbst  Nachgebildete  beherrscht  ak 
sein  Reich"  (Bd.  II,  Abth.  1,  S.  111).  Mit  wekshea 
ungeschickten  Händen  ist  hier  das  grofse  Mysterium 
%des  Chrlstenthums  betastet.  Solche  spielenden  Ver- 
gleichungen  wären  gefährlich,  wefin  sie  etwas  AndereS| 
als  läppisch  ^ären. 

Die  Eintheilung  de$  PrivtiireekiM  in  Persoaeii» 
recht,  Vermögensrecht  und  Familienrecht  ist  übrigens 
ganz  neu,  und  Hr.  Stahl  thut  sich  gewifs  auf  diese 
Originalität  nicht  wenig  zu  Cjute.  Die  Eintheilung  bei 
den  klassischen  Juristen,  die  auch  dem  Gajua  (I,  §» 
8.)9  nnd  den  Institutionen  Ji^stinians  (4*  12.  J.  de  jor« 
natur.)  zu  Grunde  liegt,  ist  noch  die  erträglichafe^ 
und  das  Mai^gelbafte  derselben  aus  einem  historisohcn 
Grunde  zu  rechtfertigen.  Das  erste  Glied  -ist  noch 
dort  das  Personenrecht.  Es  fragt  sich  nämlieii  si^ 
nächst,  was  ist  das  Subject  der  Rechte.  In  den 
christlichen  Staaten  ist  die  Person  lals  Pensen,  der 
Mensch  als  Mensch  frei,  eben  weil,  wegen  der  Einheit 
der  göttlichen  und  menschlichen  Natur,  die  einaelne 
Person  zu  einer  uuendlichen  Geltung  gekommen  ist* 
Verleiht  nun  bereits  der  allgemeine  Charakter  des 
Menschen  ihm  Rechtsfähigkeit,  so  braucht  man  ans 
der  Lehre  von  der  Persönlichkeit  keinen  besondeni 
Abschnitt  ,  zu  machen,  weil  Alles  mit  zwei  Worten 
gesagt  ist.  In  Rom  war  es  jaber  ein  Zufall,  ehs  Jbe* 
sonderes  Glück,  ein  ttattM^  wenn  die  Person  frei  wer. 
Das  Personenrecht  war  also  dort  die  Lebre  von  den 
Bedingungen  der  Rechtsfähigkeit.  Hier  galten  nun  der 
Sklav,  die  Frau  in  manu^  der  ßUus /kmäia»  n.  s.  f. 


197 


Simily  FläosopUö  dss  Jteeits.    2ter  Bd.    Qte  Bd, 


198 


nMit  ab  fiwte  ReiDlitBflidi|]«etey  sondern  nur  diejenigen, 
weicke  $m  jm%s  waren.  -  Die  Lehre  von  der  Familie« 
ist  dann  als  Eingang  am  Ofte;  sie  ist  bei  den  lU- 
mem  eigentlich  nur  die  erste^.  natüriiohste  Weiise  des 
Bigenthums,*  wie  denn  auch  die  Sklaven  yoraugsweise 
JJBimUi^  genannt  wurden.  Darauf  folgt  nun  iweiiens 
das  reelle  Dasein  der  Person  in  einer  änfserlichenSa- 
ohe,  die  Verwirklichung  derselben  im  Ventt(^gen,  das 
Ifermdgensrecht,  welches  Sachenrecht  und  Obligatio- 
nenveeht  in  sich  schlofs«  Das  Dritte  ist  nothwendig 
die  'Wiederherstellung  deii  verletzten  Rechts^  das  Ac- 
tipnenreoht,  wozu  die  obligationes  quae  ex  delicto  na- 
soiintur  (Jnstiniani  Inst«  IV,  tit.  1  sqq.)  den  Ueber- 
g^ang  bildeten•^  Die  Liebe  zu  trichotomischen  Einthei-' 
loDgen,  die  schon  Bugo  an  den  römischen  Juristen 
rflhmte,.  hatte  sie  wohl  Termocbt,  Sachenrecht  und 
ObKgationenrecht  in  Eins  zusammenzuziehn,  um  nicht 
lier  CHieder  zu  bekommen.  Spttter  hatte  nun  das  ger- 
manische JRecht  und  die  germanische  Sitte  gelehrt, 
die  Familie  aus  einem  hdhem,  als  dem  Mos  juridischen 
Gesichtspunkte  zu  betrachten,  wie  denn  auch  nament- 
lich die  Ehe  nach  kanonisdiem  Recht  zu  einem  reli- 
gidsen  Institute  wurde.  Es  bleibt  freilich  immer  eine 
jaristiscbe  Seite  an  der  Familie  übrig:  nämlich  übe'iv 
all)  wo  sie  sich  aufldst  durch  Tod,  Scheidung  u.  s. 
w.^  da  treten  sogleich  rein  rechtliche  Beziehungen  wie-' 
der  ein ;  die  bestehende  Familie  gehört  aber  der  Sitt- 
lielikeit  weit  mehr,  als  dem  strengen  Rechte  an«.  Be- 
itels unendliches  Verdienst  im  Natnrreclit  ist  es  also, 
die  Familie  der  Sittlichkeit  eingereiht  zu  haben/  so 
dufs  fttrs  Pijyatrecht  die  trichotomische  Cintheilung  in 
Sathenrecht  (Eigenthum),  Obligationenrecht  (Vertrag), 
«ad  Wiederherstellang  des  verletzten  Rechts  specula- 
tiT  begründet  werden  konnte. 

'  Für  eine  iiolirte  Betrachtung  des  Privatrecbts  ist 
ea  allerdings  unumgänglich  ndtfaig,  auch  die  an  der 
Familie  hervortretenden  rein  privatrechtlichen  Verhält- 
nisse in  einen  systematischen  Zusammenhang  mit  den 
übrigen  JMaterien  zu  bringen.  Und  da  ist  es  denn  ganz' 
coAsequent^  .wie  Savigny  in  seinen  Vertrügen  über  Pan- 
dektenrecht, '  QanM  in  seinem  „System  des  römischen 
Civil -Rechts*'  und  viele  neuere  Juristen,  nach  Kants 
Vorgang,  thaten,  die  Familie  als  das  dritte  Glied  zu 
dm  dinglichen  und  persönlichen  Rechten  (Eigenthum 
und  Vertrag)  zu  behaupten.    In  der  That  ist  die  Fa- 


milie ein  Verhältnils  von  Person  zu  Person,  wie  der 
Veitrag,  das  aber  zugleich  nicht,  wie  dieser,  eine  ver-. 
eiazelte  Aeuiserung  der  Persönlichkeit  ist,  sondern  ge« 
wissermafsen  auf  dingliche  Weise  den  ganzen  Umfang 
derselben  betrifft,  freilich  nicht,  wie  Kaiit  in  seiner 
Definition  der  Ehe  will,  um  die  Person  wie  eine  Sachen 
die  ich  in  meinem  Eigenthum  habe,  zu  behandeln.  Son» 
dem  indem  jede  Person  den  ganzen  Umfang  der  an^ 
dorn  Person  besitzt,  so  empfängt  jede  sich  ganz  zu- 
rück, wie  sie  siDh  ganz  der  andern>  hingegeben;  tand 
darin  ist  ihre  beiderseitige  Freiheit  erhidten.  Ein. 
solches  Verhältnifs  ist  nun  eben  kein  blos  rechtliches^ 
sondern  schon  ein  sittliches,  wie  auch  Savigny  diesen 
doppelten  Charakter  der  Ehe  sehr  wohl  anerkannt  hat 
(Beruf  unserer  Zeit,  S.  46).  Die  jetzt  reoipirte  Ein« 
theilung  des  Privatrechts  im  dogmatischen  Vortrage 
läfst  sidi  also  volllcommen  rechtfertigen,  am  so  m^r, 
da  ja  auch  die  Wiederherstellung  des  verletzten 
Rechts  sich  im  Procefs-  und  Criminal- Recht  zn  eige- 
nen Discipliutti  gestalten  mnfste.  tVas  soll  man  aber 
von  dem  Verfahren  des  Hrn.  ätahl  denken  1  Da  es 
unglücklicher  Weise  für  seine  Eintheilung  bei  uns 
keine  Sklaven  mehr  gibt,  noch  Weiber  und  Kinder, 
die  als  solche  tractirt  werden,  so  wird  der  erste  TheH- 
.  seines  Privatrecbts,  als  „der'  Schutz  der  P€r%^n* 
liekkeie'  (Bd.  U,  Abth.  1,  S.  225—23»),  zu  etwas  ganz 
Leerem,  da  der  Schutz  der  Vermögensrechte  noch 
nicht  dahin  gerechnet  werden  kann.  Hr.  Stahl  hat  daher 
auch  nur  der  Real-  und  Verbal  -  Injurien  zu  erwfihnen  \ 
demi  das  sind  Verletzungen  der  Rechte  der  Person  als 
solcher.  Indem  er  aber  auch  vom  Schutz  der.  Ocoo- 
pation,  von  der  bindende^  Kraft  der  Verträge  und  dem 
Schutz  der  Ehe  spricht,  so  zieht  er  damit  das  gaase 
Privatrecht  in  diesen  ersten  Abschnitt  herein. 

Noch  viel  schlechter  kommt  das  Vertni^enM' 
Recht  foH:  „Der  Mensch  ist  das  Ebenbild  Gottes, 
nicht  blos  an  Freiheit  mid  Persünlichkeit,  sondern  aucii 
an  Macht  über  den  Stoff.  Er  ist  als  Herr  in  die  Na- 
tur gesetzt,  sie  soll  ihm  dienen  zn  seiner  Befiriedi- 
gung;  —  darauf  beruht  das  Vermdgen''  (Bd.  U,  Abth. 
1,  S.  231).  Welch'  ein  Nest  von  Irrthümem  ist  in 
diesen  wenigen  Worten  enthalten!  Erstens  ist  Clott 
dem  Menschm  hierin  vielmehr  sehr  anlUinlich;  denn 
er  bat  durchaus  keine  Bedürfnisse,  zu  deren  Befiriedi- 
gung  der  Stoff  der  smnlichen  Natur  dienen  könnte. 


1«9 


ShdU,  FkOMopU»  d«t  lUeitt.    2ur  Bd.    2te  JtUh. 


ZweiteBB  behemchi  €Mt  dev  Stdl  «nf  gams  andere 
"Weise,  al»  die  eknelne  Pereeoi  Drüleas  kaiui  ich  ja 
«leiiie  flbebe  aoeb  Diobt  gehraoekeay  ileadevli  eie  eer^ 
üireB]  eie  Iuhi  »ir  seiist  ecfcadeay  so  dafe  sie  dw<^ 
aas  flicht  meine  Tri^lw  befriedigt^  ebne  daf»  icb  das«> 
am  aafhdrte,  ein  Reebt  aaf  sie  so  hab«D.  Endlieh  Qfld 
vomebsslieii  ist  das  Dienea  des  Stoffs  zor  Befriedi* 
gang  der  Bedti^nisse  neck  gar  aiebt  du^  was  das  ja« 
ridisclM  YerbäHniis  begrüadety  soadeni  .obno  das  aiin« 
deste  Reefal  aa  eine  Sacbe  zu  habea,  kaan  ick  sie  sa 
Befri0d%«Bg  meiner  BedClrfaisse  gebraueben.  Hr.  Stahl 
dedncirt  ako  hier  aar  das  Faetun  des'  recbtlosen  Be^ 
Btixksy  nicht  das  Eigeifthum;  deaa  der  Besitx  ist  ja 
«ken  die  Macht  und  der  W3ie'  über  eine  Sache  (ani»> 
mo  el  eorper^  possidere),  um,  sie  kneincn  Trieben  die« 
aen  tn  lassen,  «renn  gleich,  wegen  der  ^nnlrennkaren 
C!o.exi8tenz  des  aE%enieinen  Temünftigen  Willens  mit 
dem  etnaelnen  onrechtlicken,  in  jedem  noch  so  recbtlo* 
aen  Besitz,  anch  ein  gewisses  Reckt  der  Person  liegt, 
•der  gelegt  werden  kann,  welches  dann  gegen  jeden, 
der  einen  noch  gcfringeni  Aaspra^  daran  bat,  ge- 
aebfitzt  wo'dea  mnfs» 

H^.  Stahl  ist  demgemäß  der  Begriff  des  Eigen^ 
iAttms^  dieser  Grundbegriff  der  ganzen  Jurispmdenz, 
gänzlich  abbänden  gekommen  $  —  natürirofa,  da  der 
Menseb  seine  Rechte  nor  als  eine  Ttei  einem  andern 
tViUen  abgeleitete  Macht  besitzen  soll.  th.  Stahl  schreibt 
dabet  auch  meist  Besitz,  Vermitgen^  wo  er  Eigentbum 
liitte  setzen  müssen ;  inid  dieser  Aasdruck  kommt  nur 
beilänfg  einige  Male  tot;  Statt  Bigentkömet  wird 
aacb  „Herr^'  gesagt.  Man  begreift  kaum,  warum  diese 
Recbtsphitosopbie,  in  dieser  Hinsieht  gewifs  einzig  in 
ihrer  Art,  den  Begriff  des  Eigentbums  so  äagstlich 
unterschlägt]  es  sri  denn,  dafs  flr.  Stahl  firebtet, 
dnreh  diesen  Begriff  wieder  in  die  verderbliche  Theorie 
Ten  der  Selbstständigkeit  ded  Verouaftwesens  im  Na- 
tarreckt  z«  fallen,  welche  sick  atterdiags  am  Eigen- 
tham  so  gläasend  bewUirt*  Auch  der  weitern  Momente 
des  Sacbenreehts,  des  ämnimium  und  ietjura  in  rv, 
wird  aa  dieser  SteHe  nnt  keiner  Silbe  erwähnt,  ttber- 
hadpt  die  gante  Lehre  ziemlick  äbers  Knie '  gebrochen. 
Mar  flniber  kommt  der  Hr.  Verf.  etninal  beiläufig  auf 
die  Senwtut^  and  das  Pßmdreckt  au  sfrecben,  und 
meinte  in  Bezug  auf  das  letztere>  Br.  Prof.  Pmcit» 

(Die  FortietzQtig  folgtj 


habe  „gawifii  da»  iänesste  Wesen  Am  Pfaidreqhts 
getroffen,  wenn,  er  es  als  daa  Recht  aaf  dsa  Wi 
eiaer  Sacke  bezeiekaeV'  (Bd.  IL,  Abtb.  I^  &  146^1 
Will  Hr.  StaU  rieUeicbt  dämm  diesen  gaas  L 
nad  einfachen  Begriff  umstoisen,'  wml  jener  histi 
Jurist  ihn  dem  Hegelsehen  Natanrsißbt  eatlebat 
Was  ist '  aber  das  Pfandrecht,  da  es  selbst  das  Va 
äafeerangsreebt  in  sich  scblisfst.  Anderes,  als  dis  fi 
genthnm  an  demjenigen  Theil  des'  Wertbs  der  la 
pTändeten  Sache,  der  der  Grdfiie  des  Wertbs 
Forderung  entspricbtf  leb  sage  „Eigaatfanm.^'  Dm 
nach  den  richtigen  Bestimmungen  uaaeres  LfasdiedA 
(Tb.  L,  Tit.  8,  §.  1^-2.)  bat  Eigentbam  eias  viel  4 
gemeinere  Bedeutung ,  als  im  romisebea  Rechte 
so  kann  es  auch  Eigentbum  an  Porderaage%  js 
an  dem  Gebrauch  —  denn  dieser  ist  nur  die  end» 
nende  Seite  des  Eigentbums  ^  geben.  Das  Letitei 
ist  z.  B.  der  ususjrudus.  Von  allen  solchen  Begriff 
findet  sich  bei  Hrn.  Stahl  keine  Ahnung,  wohl  weil  lid 
keine  Analogie  derselben  mit  den  gSttlicbea  Diafa 
auftreiben  liefs.  Auffalleader  köante  es  scbeineD,  ibb 
ibm  auch  geistiges  Eigenthuas,  z.  B.  an  scbriftsteUe» 
sehen  Werken,  ToUkomnien  unbekiamt  ist,  weil  yß^ 
Entdeckung  Ton  Oben  eingegeben'*  (Bd.  II.,  Abtb.  \ 
S.  321)  i  wonach  ein  Schriftsteller  um  so  mdir  Eigea- 
thum  au  seinem  Prpducte  haben  müfsle,  je,  icblechk 
es  wäre.  Hr.  Stahl  ist  in  dieser  Lekre  ein  ToUksamM 
Matertalist;  denn  dias  JBigenlbum  ist  ihm  ja  nurdafirA 
Be£riedignng  der  sinnlieben  Triebe.  In  den  Gecetetf 
gegen  den  Nachdruck  will  er  daher  nicht  Sohsts  <■<> 
Eigentbums,  sondern  nur  „Sebuta  gegee  EatiielHMV 
des  Vortheils''  (Bd.  IL,  Abtb.  1,  S.  822)  srbUek«' 
Warum  sebützt  der  Staat  denn  aber  diesen  Vertkl 
aus  meiner  Arbeit,  den  der  Nachdraek  mir  entii^ 
will!  I>ocb  wehl  aus  kemem  andern  Grande,  als  vel 
ick  em  Recht  auf  diesen  YortkeU,  d.  b.  £igeiitbifli 
habe.  Die  einfadisten  juristiscfien  Grundbegriffe  g^ 
diesem  historischen  Kopfe  ab,  der  zuerst  eine  poiwvt 
Philosophie  bekemit,  die  aksh  sckitcbtem  nach  ev^r 
Jurisprudenz  umsieht,  and  dann  ein  pesitiTes  B^ 
hat,  daa  mit  aller  Gewalt,  doch  Tergebtich>  eiMg^  if'^ 
losophiscbe  Slitsbalken  unter  eich  herza^iehea> 
raubt  ist. 


;  .JW  2«. 

J  a  h  r  b  tt  c  h  e  r 

•  für 

wissenschaftliche 


Kritik. 


August  1839.. 


I  Die  PAättopkte  det'  Rechts  nach  gesehickth'cher 
^  ■    Antickt  von  Friedrick  Julius  Stahl. 

» 

(Fortsetzung.) 

>  -   ^   FeUl  hiernaofa  besoiiders  dem  Eigentbum  jede  vis* 

BeaKhafUiche~^  BegrÜBdung)  »o  scheint;  Hr.  Stahl  dage* 

goa  für  das  OiUgoiÜHUHrecht  eifriger  besorgt  sa  seia } 

und  es  wird  unglaoblioh  fein  deducirt,  für  den  Aus- 

i  toick  Vertrag  aber  auch  meist  9, Verkehr"'  als  das  Un» 

joridisehere  gebraucht:  »Ela  ist  der  Wille  Gottes^  deif 

in -den  Dingen,  die  er  anfser  sich  hervorgebracht  hat 

imd  arhält,  dem  Menschen  iUs  Si^ff^  (die  sinnliche 

Materie  ist  xum  Willen  Gottes  geworden  I)  >,ca  seiner 

Befriedigung  dient."    (Wir  essen  und  trinken  also  den 

.W^illen  €pOttea,  wenn  wir  von  unserem  'Eigenthum'  uns 

eroäbreiK)   ^^Desbalb  mufs  aber  auch  der  Mensch,  um 

Gott  zu  gleichen,  seinen  Willen  aum  dienenden  Stoff 

&r  andere  HMicben  können.    Nur  geschiebt  dies  von 

ihm  dnrcb  vorübergehendes  Tbun,  —  JU^Utungen^  weil 

er  mAXy  wie  Gott  ein  bleibendes  Dasein  anber  sich 

schaffen  kann.*'    (Bd.  IL,  Abtfa.  1,  S.  233.)    Warum 

denn  nichtl   Ein  Tisch ,  den  mir  der  Tischler  macht, 

iat^  wie  jedes  Kunstwerk,  ein  bleibenderes  Dasein,  als 

die  Kirsche,  die  iidi  Vom  Baume  pflücke ;  und  doch  ist 

leder  nur  eine  Lebtong  des  Menschen,  das  Obst  aber, 

mn  mit  Uro.  Stahl  w  sprechen,  Gottes.    Wie  wenig 

viaia  ttjtte  Religiosität  ins  Gemfith  des  Menschen  ein- 

{(edruugen  seiu,  vder  die  Religion  durch  Belebe  spafs- 

hafte  Beziehungen  hendiznwUrdigen  wagt 

Aber  dieser  Scherz  wird  auch  bitterer  sohaaderep- 
regender  Ernst,  und  das  sehen  wir  an  der  schematl^ 
airfnA^a  Betrachtnag  des  Famüün  ^  Jieekts  i  ,^Damit 
endlich  der  Mensch  aoob  durch  Zeugung.  (Sott  fthnUch 
sei,  befindet  er  siqh  in  dqr  Familie.  Die  g^ffenbarte 
Lehre  von  der  ewigeo  Zernag  des  Sohnes- kann  allein 
das  Wesea  der  Familie  au£kliire«"  (Bd.  IL,  Abtb.  h 
S.  24(^.,   Statt  :dar9  das  natürliche  Y^rb&ltaiis  der 

Jahrb.  f.  vittenich.  Kriäk.  J.  1839.  U.  Bd« 


menschlichen  Zeugung  symbohseh  das  erhabenste  Dogma 
der  Religion  erklären  soll,  daniiit  dieses  der  gewöhnli- 
chen Vorsteilungsweise  der  Menschen  zugänglich  wei^ 
de,  behauptet  hier  Hr.  Stahl  -^  es  grenst  an  Blasphe- 
mie —  in  der  natürlichen  Zeugung  eine  Aehnliehkeit 
Gottes  und  der  Menschen  zu  finden.  Ja,  um  die  d^ei 
Momente  der  Familie,  Ehe,  Täteriiclie  Gewalt  und  Erb- 
schaft, zu  schematisiren,  wird  gesagt:  „Die  Zeugung 
besteht  in  ihrem  ^  Urbilde  wesentlich  aus  zwei  Verhält- 
nissen. Das  erste  ist  die  Vollkommenheit  und  Selig- 
keit Gottes,  welche  der  Zeugung  vorausgebt  und  das 
Motiv  derselben  ist;  das  andere  ist  das  Verbältnira 
Gottes,  nun  des  Faiersy  au  dem  Gezeugten.  Damit 
verbindet  sieb  ein  drittes:  die  Mittheilung  seines  Rei- 
ches an  den  Sglta.  Dies  sind  die  Urverhältnisse,  ihnen 
entsprechen  die  drei  Graadverhältaisse  der  Familie: 
Ehe,  Verbältnirs  der  Eltern  uud  Kinder,  Erbsehaft'' 
(Bd.  IL,  Abtb.  1,  8.  241).  Das  Dienstbetenverhältnirs 
und  die  Vormundschaft  kann  Hr.  Stahl  schlechterdings 
nicht  in  die  Zeugung  des  Sohnes  hineinpassen.  Er 
entschlifefst  sich  daher, '  sie  der  „irdischen  Nothdurft" 
gänzlich  in  die  Schuhe  zu  schieben  (Bd.  11^  Abtb.  1, 
S.  242-^243),  die  auch  schon  Schuld  an  der  Modifica- 
tion  der  drei  ersten  Verhältnisse  sei,  z.  B.  der  @he: 
,^Die  Vollkommenheit  Gottes  ist  in  dem  nachgebilde- 
ten. Verhältnisse  der  Ehe  nach  dem  Charakter  des 
Mensehen  an  zwei  Geschlechter  vertheilt,  welche  sich 
dfirch  sie  dann  zu  dem  leinen  vollen  Menschen  ergän- 
zen'' (Bd.  IL,  Abtb.  1,  S.  241—242).  -Hr.  StaU  hat 
hierbei  wohl  an  den  Arislopbanisobeä  Mjthus  Im  Pla- 
tonischen Symposium  oder  an  Schillers  ,,Geheimdifs 
der  Remiaiscenz"  gedacht.  Aber  Referent  scheut  sich 
fast  hinzuschreiben^  wie  Hr.  Stahl  dies  weiter  aus-' 
Spinat)  so  gotteslästerlich  klingt  es:  „Indem  der 
Meosch  das  Ebenbild  Gottes  ist,  das  tolle  Bild  des 
Menaeben  aber  nur  in  beiden  Geschlechtern  zusamaaen 
besteht,  sc  inufs  in  Gett  das  Urbild,  nach  welchem  dei^ 

26 


V 


203         .  Stahle  PMlotophü  de9  JRecJU$.    2fer  Bd.    2ie  Aith. 

Meosoh  geschaffen  ist,  das  beider  Geschtecbter  in  ih-     die  Theilung  der '  Geschlechter 


rer  Einheit  sein.  Gott  unterscheidet  und  erkennt,  von 
Ewigkeit  sich  aelbst'  als  den  Allmächtigen,  Herrlichen, 
Mixest  ätischen,  Gerechten,  a/#  welcher  er  da»  Urbild 
dee  Mmnnee  ist:  und  als  den  Sanften,  und  demäthigen 
Herzens  voll  hinopfernder  Liebe,  wie  wir  es  im  Sohne 
gesehen  haben,  als  welcher  er  das  Urbild  des  Wei- 
bes ist''  (Bd.  n„  Ahth.  1,  S.  243^244).  Der  Sohn 
Gottes  ist  also  gewissermafsen  auch  das  Weib  jn  Gott! 
Nor  bei  einig<^  der  als  Ketzer  vemrtheilten  Gnostiker 
kommt  eine  ähnlicho ,  Theilung  de^  Geschlechter  in 
Gott  vor.  Bei  Hrn.  Stahl  lesen  wir  aber  noch  Aerge- 
res:  „Aus'  der  Ehe  ,ist  erst  das  Urbild  wieder  zu  er- 
kennen, welchem  aUes  Geschleobtsverhältnifs  nachge- 
bildet ist,  wie  es  in  Gott  selbst  eichßndet.  Denn  in 
Gott  ist   kein  Begehren  und   keine  bedürflige  Sehn- 


204 

-  horabsetzte.,  Dodi 
solches  kindische^  Geschwätz  verdient  keine  'Widerle- 
gung. Und  was  gewinnt  Hr.  Stahl  durch  die  vermeiiit- 
liobe  Höhe  seines  Standpunkts  und  die  hochtrabende 
Anknüpfung  aller  rechtlichen  VerkältnUse  an  gdttlicke 
Vorbilder  1  Eine  Definition  der  Ehe,  die,  ohne  dafa  er 
es  auch  nur  im  Mindesten  vermuthete,  die  Kantische  aa 
Schändlichkeit  noch  um  Vieles  ;übertrifft :  „Die  Ehe  ist 
in  unserm  Zustande  auf  den  physischen  Trieb  gegrin- 
det,  der  durch  Wollust  den.  Geist  bewältigt,  nad  hat 
sich  dadurch  gerade  im  Momente  ihrer  höchat^i  Er- 
ftilliMig  vom  Urbild  entfernt,  indem  das  Motiv  der  2iew^ 
gungy  welches  bei  Gott  nur  die  Liebe  zum  Sohne  isf 
(nach  Hrn.  Stahls  Dogmatik  war  dies  ja  aber  auch  die 
Liebe  zum  Weibe),  „beim  Menschen,  wenigstens  will- 
rend  derselben,  in  der  Selbstbefriedigung  der  Geeohlech- 


ducht,  sondern  du  ewige  Befriedigung''  (Bd.  IL,  Ahth. '  ter  liegt**  (Bd.  H.,  Ahth.  1,  S.  246).    Hr.  Stahl   ver- 


1,  S.  244—245).  So  wird  es  dem  Hrn.  Verf.  nun  auch 
klar,  wie  die  Ehe  ein  Sinnbild  der  „sehnenden  inbrün- 
stigen Liebe'* '  Christi  und  seiner  Gemeinde  ist }  und  der 
Urheber  dieser  Rechtsphilosophie  würde  also  auch  das 
hohe  Lied  Salomonis  orthodox  erklären  können.  Auch 
,^er  Erzählung  des  alten  Testaments,  dafs  die  Frau 
aus  der  Rippe  des  Mannes  genommen  wurde,  entspricht 
diese  Darstellung  des  Urbildes  der  Ehe.  Ja,  es  scheint 
sogar  nach  jener  Erzählung,  dafs  der  Mensch,  anföng- 
lich  audi  hierin  Gott  ähnlich,  als  ein  in  sich  vollkom- 
menes Wesen  geschaffen  worden,  und  erst  nachher 
die  Sonderung  in  zwei  Geschlechter  mit  ihih  vorgegan- 
gen sei"  (Bd.  IL,  Abth.  1,  S.  245—246),  Freilich, 
wenn  Gott  die  unendliche  schaffende  Wahl  hatte,  so 
konnte  er  den  Menschen,  nach  Hm.  SUhls  göttlichem 
Urbilde,  zuerst  als  Hermaphroditen  geschaffen  haben, 
um  dann,  bei  nachmaliger  Reflexion,  als  er  sich  eines 
Bessern  besonnen,  das  Weib  aus  der  Rippe  heraus  sn 
schneiden.  Wie  konnte  dies  aber  das  Bessere  sein, 
da  der  Mensch  durch  das  erste  Verhältnifs  dem  Stahl- 
sehen  Gotte  weit  ähnlicher  warf  Auch  hat  Gott  ja  den 
Menschen  n'aeh  Hrn.  Stahl  vollkommen  gut  geschaffen 
(Bd.  n.,  Abth.  1,  S.  61),  so  dafs  die  UnvoUkomikien- 
heit  erst  später  durch  des  Menschen  eigene  Sünde 
hereingekommen  sei.  Wie  Hr.  Stahl  die  Sache  aber 
hier  darstellt,  hat  Gott  selbst  hinterdrein  diese  Unvoll- 
kommenheit  begründe^  indem  er  später  den  Menschen, 
noch  vor  dessen  Fall,  vom  Urbild  der  ursprünglichen 
Sehdpfong  in  ein  .viel  creatüflkAeres  Verhältnifs  — 


gleiche  hiermit  die  Worte  der  klassis^Shen  Juristen,  die 
doch  noch  nicht,  wie  er,  von  dem  Lichte  der  ohristli- 
eben  Wahrheit  erleuchtet  waren ;  und  er  wird  gestefaäi 
müssen,  dafs  sie  eine  viel  christlichere  Definition,  ab 
die  seinige,  aufgestellt  haben  :^  Nuptiae  sunt  viri  et 
mulieris  eonjunctio^  indimduam  vitae  don)suetudinem 
continensy  et  eonsortium  omnis  vitae\  divini  et  *^ 
mani  juris  eomniuhicatio  (§.  1.  J.  de  patr.  potesti 
/.  1.  JD.  de  ntu  nupt,). 

Was  haben  nun  die  historUehen  Juristen  mk  ei- 
ner so  unchristlichen  Recbtslebre  zu  söhaffenf  Wie 
kann  Hr.  Stahl  es  wagen,  sich  an  sie  heranzudrängen  f 
Zwar  lehrt  er:  „Alle  Rechtsinstitute  sind  allein  aas 
ihrem  geschichtlichen  Ursprung  zu  erklären**  (Bd.  IL, 
Abth.  1,  S.  171).  Die  Ausfuhrung  kehrt  sich  aber  an 
diesen  Satz  durchaus  nicht.  Denn  statt  auf  die  Rechts- 
geschichte  zurückzugehen,  heftet  der  Hr.  Verf.  Alles 
nur  dem  christliohen  Dogma  auf.  Jener  Satz  ist  übri- 
gens dem  Savigny'schen  Werke  über  den  „Beruf  nnse* 
rer  Zeit'*  entnommen,  welches  nicht  uneben  das  Natur» 
recht  der  historischen  Schule  genannt  worden  ist«  Ge» 
faen  wir  auf  diese  Quelle  zurüek,  so  treffen  wir  daiselbst 
folgende  Worte  an:  „Jeden  gegdbenen  Stoff  durch 
historische  Ergrüudung  zu  upterwerfen  und  bis  n  sm* 
ner  Wurzel  zu  verfolgen,  ist  der  Charakter  der  histo* 
rischen  Methode**  ($.  117, 113,  140).  Als  diese  War- 
fteln  betrachtet  Savigny  nun  „rtfmisdies  Recht,  gei^ 
manisches  Recht,  und  neuere  Modificatiokien  beider 
Rechte**  (S.  118).    Es  ist  ganz  richtig^  dafs  erst  in 


■  A 


205 


StM^  PAilö0opA$e  de9  MeehU.    2ier  Bd.    2ie  Abth. 


206 


Rom  das  fteoht  als  atreDget^  eigentliches  Recht,  als 
Privätreoht  in  seiner  wekhiaiwrisoheo  Bedeatang  anftrat« 
Fürä  Priratrecht  k^innte  also  ein  Zurückgeben  nur  bis 
auf  rdmische  Grundlagen  vielleio&t  binl&nglich  sehet* 
nen.  Bis  zur  Wura^l  ist  es  aber  immer  nicht  Nim 
sprach  TAibaut  (CiyHistische  Abhandlungen,  S.  433) 
seine  beröhmten  Worte,  die  auch  Savignj-  (S.  165)  ci- 
tlrt':  „Zehn  geistvoile  Vorlesnngen  über  die  Rechtsver- 
fassung  der  Perser  und  Chinesen  würden  in  unsern 
'  Studierenden  mehr  wahren  joristischen  Sinn  wecken, 
als  hundert  über  die  jämaierlichen  Pfuschereien,  denen 
die  Intestat-Erbfolge  von  Augnstu^  bis  Jostinian  unter- 
lag/* Diese  vollwichtigen  Worte  waren  es,  welche 
Gans  den  Anstofs  dasu  gaben,  noch  tiefer  an  die  Wur- 
sel  des  Rechts  zu  dringen,  als  die  historische  Schule 
gefhan  hatte«  Gans  ist  selbst  ein  historischer  Jurist 
im  vollsten  Sinne  des  Worts ',  er  ist,  'wie  mehrere  der 
neuesten  Philosophie  Zugewandte,  in  den  Hörsälen  der 
hbtoriscben  Schule  gebildet  worden,  "und  hat  der  bisto- 
visdien  Ansicht  im  Rechte  einen  weitem  Gesichtskreis 
verschafft»  'In  einem  gr^fseren  Werke  hat  Referent 
bermts  über  dieses  Yerbältnifs  der  neuern  Philosophie 
xnr  historischen  Jurisprudenz  eioigb  Worte  gesagt  (6e- 
sditcbte  der  letzten  Systeme,  Bd.  IL,  S.  666—668); 
auch  über  Hm.  Stahl  ist  daselbst  im  Vorbeigehen  Man- 
ches bemerkt  worden  (S*  407  Aum.,  409,  415  —  416). 
Ueber  den  ersten  Punkt  liefse  sich  hier  noch  Folgbn- 
des  hinzufügen.  Fuhren  wir  jedes  Recbtsinstitut  durch 
den  ganzen  Verlauf  der  Geschichte  hindurch^  von  sei- 
nen ersten  Anfängen  bei  dem  ersten  historisdien  Volke 
bis  zu  seiner  Ausbildung  in  unsem  Zeiten,  so  haben 
wir  allerdings- die  Verounflb  dieses  Verhältnisses.  Die 
totale  Empirie  ist  selbst  die  Speculation,  aber  auch  nur 
durch  diese  verständliohf  Die  in  der  Geschichte  ausein- 
andergelegten einseitigen  Bestimmungen  jedes  Verhält-., 
Bisses  können  nur  von  der  Speculation,  mit  Abstreifung 
dieser  Einseitigkeiten,  zu  Einem  harmonischen  Ganzen 
zasammeng^fafst  werden,  um  so  mit  dem  Resultate  der 
speculativen  Gedankenentwickelnng  übereinzustimmen» 
Der  historische  Weg  und  der  specnlative  gehen  also 
von  entgegengesetzten  Enden  aus,  um  sich  in  Einem 
Mittelpunkt  zu  begegnen.  Die  historische  Juristen- 
sohule  ha(  den  Begriff  der  Jurisprudenz  erfafst,  indem 
sie  die  Genesis ,  des  Rechts  in  den  Fintben  der  Welt- 
geschichte sudite«  Jurisprudenz  und  Geschichte  bilden 
fortan  nur  Eine  Wissenschaft»    Die  Geschichto  ist  der 


Geist  eines  Volkes,' wie  ersieh  in  seinem  Rechte,  Staat 
und  den  weitem  Momenten  des  Volkslebens  entwickeltf 
Hegel  setzt,  ganz  dem  entsprechend,  die  Philosophie 
der  Weltgeschichte  als  den  Gipfel  und  die  Vollendung 
des  Re'cbtssystems.  Die  von  Gans  im  AUgemeinen 
begonnene  Versöhnung  des  positiven  Rechts  mit  der 
Philosophie  mufs  von  seinen  Nachfolgern^  bis  ins  Ein^ 
zeine  aller  Rechtsinstitute  geleitet  werden. 

Woriu  divergiren  nun  also  noch  die  neueste  Phi- 
hsaphie  und  die  historische  Jurisprudenz  von  einan- 
der? Die  Philosophie  hat  längst  die  Geschichte,  wenn 
auch  nur  in  ihrer  Totalität,  gewissermafsen  als  die 
Probe  des  speculativen  Resultates  angesehen.'  Das 
mit  änfserer  Nothwendigkeit  auf  historischem  Wege 
entstandene  Recht  ist  uns  zugleich  das  dttrch  innere 
Vemunftentwickelong  gegebene,  Beides  ist  die  Mani- 
festation der  göttlichen  Wahrheit ;  und,  in  diesem  Sinne 
allein  könnte  das  Recht  als  dem  Willen  Gottes  ent- 
flossen angenommen  werden.  Wie  Gans  die  philoso- 
phische .Natur  des  Erbrechts  aus  dem  geschichtlichte 
Erbrecht  von  China  bis  auf  tinsere  Zeiten  constmiren 
wollte,  so  suchte  Referent,  seiuem  Beispiele  folgend, 
die  Moral  und  im  Criminalrecht  die  Lehre  von  dem 
dolue  und  der  culpa  aus  der  totalen  Geschichte  die- 
ser Verhälthisse  speculativ  zu  erbauen.  Von  Seiten 
der  historischen  Juristen  bedarf  es  nur  eines  Aufiaeh- 
mens  oder  wenigstens  eines  Geltenlassens  der  philoso- 
phischen Bestrebungen,  auf  dafs,  mit  Hintansetzung 
jeder  Persönlichkeit,  die  feindliche  Stellung,  die  durch- 
aus keine  nothwendige  ist,  aufhöre«  Das  Aposteriorische 
der  Geschichte  ist  ihnen  das  allein  Vernünftige,  Noth- 
wendige;. und  wir  nehmen  eine  aprioristische  Nothwen- 
digkeit der  wirklichen  Geschichte  an.  Liefse  sich  nicht 
von  hier  aus  eine  Vereinigung  bewerkstelligen  f  Wenn 
wir  dann  bei  Savigoy  Idäen,  „Wir  sehen  noch  täglich 
Leute,  die  ihre  juristischen  Begriffe  und  Meinungen 
Mos  deshalb  für  rein  vemttnflig  halten,  weil  sie  deren 
Abstammung  nicht  kennra"  (Vom  Beruf  unserer  Zeit, 
S«  115):  so  wäre  dagegen  zu  erinnern,  dafs  das  Be- 
wnfotsein  über  die  geschichtliche  Abstammung  des 
Rechts  gar  nicht  seiner  Ableitung  aus  der  Vernunft 
widerspricht.  Denn  das  Vernnnftrecht  ist  der  letzte 
Gipfel  und  die  höchste  Ausgeburt  des  historischen  Rechts, 
das  eben,  als«  die  Genesis  des  Vemonftrechts ,  nicht 
selber  ganz  vemunftlos  sein  kaiin,  sondern,  wie  die 
Philosophie  der  Geschichte  nachweisen  mufs,  an  sich 


207  ^  StM,  Phih$opki§  de$  Reehts,    "Her  Bd:  "Ite  Mth* 

«elbst  ein  stetes  Vernänftiger^verdeu  darstellt:  so  dafs  dang  sufHeÜen  sein  verde«!  Diese  ist  es  ettes^  weldbe 

bei  emeff  bobea  Gntwiokelnng  des  Menscbeogesehleohts,  sie  perborreschren,  und  ««s  Fnreht  vor  derselbea  lio> 

wie  vir  sie  doch  unserer  Zeit  nicht  werden  absprechen  ber  gar  keine  Gesetzbücher  haben  wollen,  weil  dabei, 

können,  das  Veranoftrecbt,  wenn  auch  noch  nicht  voll- '  wie  Savigny  sieb  in  den  Institntionen  (1820 — ^1831}  wa- 

stäodig  realisirt, '  doch  dem  scharfem  Blicke  des  For*  drückte,  ,)die  individuelle   Vernunft  das  alleik  Scha£> 


schera  aus  den  kräuselnden  Well^i  der  Geschichte 
schon  entgegenwinkt.  Nur  darf,  was  die  Verirrung 
der  geschichtlieben  Ansi&t  wäre,  das  Vergangene,  als 
ejn  GesebicbtUcbess  nicht  fttr  das  Höchste  gesobätzt, 
noch  die  Gegenwart  nach  dem  Muster  der  Vergaagen- 
bttt  umgemodelt  werden.  Beide  Wege,  der  histori«' 
sehe  sowohl  als  der  pbikisopbische,  sind  biemaob  gleich 
nothw^dig:  der  eine  ist  so  fördwnd  für  d^i  andern, 
als  dieaef  für  jenen  \  und  sie  werden  der  Wissenschaft 
«m  desto  erspriefslicber  sein,  je  mehr  sie  sieb  in  jedem 
Individuum  vereinen,  um  von  ihm  verbunden  geband- 
babt  zu  werden. 

Auch  in  gegenwärtigem  Werke  des  Hrn.  Stahl 
konnte  Mancher  nun  geneigt  sein,  eine  Versöhnung 
und  Ausgleichung  der  Historie  und  Philosophie  xu  er- 
blicken. Der  Hr.  Vf.  selbst  wenigstens  wiU  durchaus 
für  den  Reditspbilosophen  der  historischen  Schule  gel- 
ten. Aber  welcher  Art  ist  diese  Ausgleichung  I  Die 
barocken  Einf&Ile  des  Hrn.  Stahl  haben  weder  mit  der 
einen  noch  mit  der  andern  Richtung  der  Wissenschaft 
das  Geringste  gemein,  wiewohl  er  manches  Einzelne 
auch  wieder  von  Hegel  entnimmt,  und  die  Polemik  der 
zwei  ersten  Bände  gegen  ihn,  umgekehrt  als  bei  Sar 
vignj^  in  der  zweiten  Abtheilung  des  zweiten  Bandes 
durch  eimges  Lob  dämpfen  will  (S.  152  Anm.,  319  Anm., 
365  Aum.).  Statt,  wie. die  historischen  Juristen,  fardie 
Auffindung  des  wahren  Rechts,  bis  zum  römischen 
Recht  zurücksi^ehen,  wendet  Hr.  Stahl  sich  nicht  ein* 
mal  an  das  geschichtliche  Recht  der  christlichen  Vöt 
ker,  das  kanonische  und  germanische,  —  wohl  auch  an 
ein  ^Geschichtliches,  nämlich  die  Begd^iAeiten  und 
Vorfälle  in  Galiläa  und  Jodäa.  Aber  die  Kette  der 
Tradition,  die  diese  Facta  mit  den  juridischen  Verhält- 
nissen vermitteln  soll,  zerreifst  er,  da  doch  die  bisto* 
rischen  Juristen  auf  eine  continuirlicbe  organische  Ent- 
Wickelung  des  Rechts  aus  seiner  Wurzel  bähen.  Die 
Willkür  des  Scbematisirens  ist  die  witzelnde  Stange, 
an  der  er  hüpfend  aber  den  Graben  springt,  der  das 
D<»gma  vom  j[ttristiscben  Institute  trennt.  Ob  die  bisto« 
rischen  Jwnsten  mit  so  einer  willkürlichen  Recbtsbil- 


fende  ist,  so  dars  der  Emzelne  allein  das  Recht  bat 
au  bestimmen,  was  Recht  sein  soll«*'  Gerade  das  Ptw» 
cip  der  historischen  Schule  ist,  „dafs  man  dem  R«ebts» 
zustand  ein  eigeues  inneres  Leben  zuschreibt,  ata  eiae 
innere  aus  der  ganzen  Geaehiidite  bervargegaagene 
Not b wendigkeit.  Dann  kann  von  einer  Willkür  Bieht 
mehr  die  Rede  sein,"  Referent  bat  hierbei  die  ungo^ 
druckte  Fassung  des  Gedankens  vergezogen,  'weil  sie 
ihm  bestimipter  schien,  als  die  im  „Beruf  unserer  Zeit?* 
(S.  8  flg.)  bereits  abgedruckte.  Wie  verträgt  sieh  aber 
mit  diesen  Sätzen  Hm.  Stahls  Behauptung,  dafs  AHes 
auch  hätte  anders  sein  kdnnenl  Er  sagt:  „Reditc, 
die  durch  Geschichte  entstanden  sind  und  sie  voraus^ 
setzen,  sind  nicht  die  logisch  notfawendigen'*  (Bd.  L, 
S.  106).  Gerade  das  sacht  aber  die  historische  Schals 
au  beweisen.  Bei  Savignj  heifst  es:  „Die  erste  lEal^ 
stehung  rechtlicher  Ueberzeugungen  liegt  über  alle  Ge> 
scbjcbte  hinaus;  ihre  Entwidcelung  und  Verandemag 
wird  durch  innere  Nothwendigkeit  bestimnrt."  Jene 
Wurzel,  die  über  alle  Gesebichte  binausliegt,  ist  eben 
die  von  der  Philosophie  erkannte  absolute,  g«ittlicbs 
Vernunft,  aus  welcher  mit  eben  der  immanenteu  Noth- 
wendigkeit das  Veraunftrecbt  iiefst,  mit  welcher  es 
als  das  letzte  Resultat  ans  der  gaazen  Geschiohts 
hervorgehen  wird.  Vor  jenem  speculatirea  ReauHat 
hat  die  historische  Schule  sich  also  nicht  zu  scheuen, 
da  es  seinerseits  die  Bestätigaag  und  die  Probe  der 
ricbtig  angewendeten  historischen  Methode  ist.  Wftb« 
rend  Hr.  Stahl  femer  den  Einsehen,  wie  wir  Bähen, 
als  den  letzten  Zweck  setzt,  sagt  Savign^  ansdruek- 
licb,.  dafs  „die  Nation  eia  organisches  Wesen  hd* 
berer  Art  ist,  als  der  Einzefaie;"  was  Hr.  Stahl  ge* 
rade  auch  an  Hegel,  und  andern  ächten  Pbiloao^iea 
tadelte.  Und  so  lie&e  sich  noch  Manches  anf&hVea^ 
wo  Hr.  Stabl  nur  s^nen  Worten,  nicht  der  Sache 
nach,  mit  der  bistorisohea  Schule  ftbereinsüinait 
Alle  Anknüpfungspunkte  dieser  „gescbiehtlMhen"  PU- 
loBophie  aa  die  historische  Jurispradeaa,  die  Hr. 
Stabl  berversuobt,  sind  rein  künstlich,  und  in  den 
meisten  Fällen  behauptet  e«  das   gerade  GegentheiL 


(Die  Fortsetzsng;  fi>l§t) 


^27. 

J  a  h  r  b  tt  c  her 


für 


\^  i  8  8  e  n  8  c  h  a  f  1 1  i  c  h  e    Kritik. 


August  1839. 


w^''^'wiff^r*'^^ffffwrHff)™^fwnf^'ff'*n8yis 


EBifr 


Hie  Phitoghpkie  des  RechU  nach  geschichtlicher 
Ansicht  von  Friedrich  Julius  Stahl. 

(Fortoetzung.) 

SicberlMi  viirde  die  historisohe  JuristMitebale 
-also  mit  einem  solehen  Genosaeo  keinen  Ruhm  ond 
Ehre  eint^rndten,  und  darf  es  somit  nicht  dulden,  dafs 
räae  ee  Terkemnene  altereechwache  Philosophie  sidh 
an  sie  heransauge,  um  Saft  und  Kraft  zur  l^ristung 
ihrer  armseligen  Existenz  daraus  zu  ziehen,  und  ncrok 
ein  Paar  Jahre  eines  gewissen  Ansehns  in  Deutschland 
zu  geniefeeb.  Wie  die  Sachen  jetzt  stehen,  ist  sie  um 
allen  Credit  gekommen  :n  und  wßt  sich  mit  ihr  einläfst^ 
mufs  fürchten,  gleiches  Sehicksal  mit  ihr  eq  haben. 

Es  bleibt  uns  nur  noch  die  „christliche  Staats» 
ieArs^*  des  Hrn.  Verfs.  übrig,  wie  sie  am  Ende  der 
ersten  Abtheihing  und  in  der  zweiten  Abtheiinng  des 
zweiten  Bandes  seines  Werks,  aber  auch  noch  nicht 
Tollständig,  dargestellt  ist.  Am  Ende  der  ersten  Ab- 
theiluDg  handelt  er  von  der  „Oemeinde,  Stand  und  Ge- 
aasstfnscbaft,  als  dem  Elemente  des  Staats'*  (6d.  IL, 
,  Abth.  1,  S.  29i).  Die  zweite  Abtbeilimg  bildet  das 
j^entUche  Staatsrecht.  In  einer  dritten  Abtheiinng 
aoll  dann  die  Lehre  vom  Völkerrecht  und  der  Kirche 
folgep  (Bd*  n^  Abth.  3,  Vorwort  Ili)»  Unserem  Ver- 
atorbenen  Mäarbeiter  -Gans  war  die  Beurtheilung  die- 
aer  aweiten  Abtheiluog  übertragen  gewesen ;  er  wollte 
die  dritte  Abtheiinng  abwarten,  und  ist  nun  selbst  dar- 
fiher  heimgegangen.  Eine  ernste  Pflicht  gebot  Refe- 
.veuten ,  sieh  deo^  ihm  gewordenen  Auftrage  nicht  zu 
antziehen,  and  aa  die  Stelle  des  aasgaschiedenen 
Kämpfers  dem  Feinde  mathig  entgegeazntre'ten. 

Zuniishst  sucht  nunmehr  der  Hr.  Verf.  das  Herbe 
seiner  Ansspriohe  gegen  den  V^rnnnftzusamyaenbang 
der  Well  zu  mildem,  und  bei  fsrfdauemder  Polemik 
gegen  „ein  Reieh  der  Vernunft  nnd  Freiheit''  naeh  der 
rationalistiseheo  ReehlspfailosopUe  spricht  er  denn  doch 

Jahrb.  /.  wiigeniph.  Kritik.   J.  1839.  II.  Bd. 


mssfi 


S^SBZSB 


beiläaCg  iü  einer  Anmerkung  von  „dem  hohem  Roch 
der  wahren  Veraunftherrscfaaft ,  d.  h.  der  Herrschaft 
Gottes  und  der  wahren  Fr^heit'*  (Bd.  H.,  AMh.  2^  S. 
13) ;  *-*  als  ob  die  Vernunft  so  doppdtes '  Mafs  nnd 
Gewicht  hätte,  und  es  eine  gSttliobe  und  daneben  noch 
eine  menschliche,'  eine  wahre  und  eine  falsche  Vernunft 
gäbe.  Vemttnfiig  ist  im  Mensohen  Etwas  nur,  inso- 
fern es  göttlich  ist,  das  UnTeraönftige  aber  das  Un- 
gttttlicfae;;  mnd  Hm.  Stahls  Spielereien  sind  wahrlich 
nicht  OflPenbarupgeu  der  rechten  gottliehen  Vernunft, 
aoch  eine  Auffassung  der  Dinge  ihr  gemifs. 

Auch  die  Marotte  des  Schematisirens  hat  Hr.  Stahl 
noch  nicht  ablegen  können ;  sie  tritt  nur  behutsamer, 
und  damit  um  destso  gefährlicher  auf.  Die  ^^drei 
Mächte  im  Staate*  entwickelt  er  folgendermafsen: 
„Die«  Regierang  ist  das  eigentliche  Herrscheraait;  sie  ;^'- 
steht  über  Allen.    Die  Volksvertretung  ist  ein  Mittler- 

« 

amt,  ein  Amt  des  Schutzes  und  der  Fürsprache  iiir 
das  Volk  bei  der  Regierang.  Die  öffentliche  Gesin- 
nung ist  eine  Macht  der  Einigung  und  geistigen  Ge- 
meinschaft'' (Bd.  U.,  Abth.  2,  S.  66).  Dies  ist  offen- 
bar nach  dem  Schema  yon  Vater,  Sohn  und  Geist  ge- 
macht. Hr.  Stahl  dachte  wohl  an  die  Worte  Jacob 
Böhmes:  „Ueberall  ist  der  Qüellbrunn  der  heiligen 
Dreifaltigkeit.''  Wir  Tsrmissen  aber  in  diesen  neuern 
Nachahmungen  deu"  Geist  des  alten  Theosopheo.  Be- 
seaders  bei  dem  Mittleramt  ^et  ständischen  Vertre- 
tang  ist  dieser  Parallelismus  unabweisbar.  Hr.  Stahl 
macht  auch  deshalb  dazu  die  Bemerkungs  „Möge  man 
diesen  Ausdruck  hier  doch  ja  nieht  ftir  identisch  bat 
ten  mit  der  Bedeutung'  desselben  in  der  christliobea 
Dogmatik."  (Auch  in  den  frühern  Bänden  war  das 
Verhlkltails  des  Menschjidien  zum  Göttlichen  imnter 
nur  eia  analoges.)  „/M  wrl&ügne  niekt  -den  Typus 
gittlieher  Bexiehungen  iu  aliem  ii^isehen\  aber 
gege<1^  jedes  unmittelbare  Anknüpfen  und  Ableiten,  ge- 
gen jede  weitere  P^aliele  mufs  ich  mich  auf  das  Fei* 

27 


211 


Stuhly  Philosophie  deM  lUekti.    2ter  Bd.    2ie  Abth.' 


213 


erlicbste  verwahren"  (Bd.  IL,  Abth.  2,  8.  70).  Zieht 
,  der  Hr.  Vorf.  aber  nicht  die  Parallele  und  macht  er 
nicht  die  Beziehung*  im  AugenbUcke,  wo  er  sich  dage- 
gen verwahren  will?  Hätte  er  Mos  ven  einer  vermit- 
telnden  Thätigkeit  der  Stände  gesprochen,  so  hätte 
dies  Niemanden  befremden  dürfen.  Auch  die  Momente 
der  Regiemngsgewalt  werden  nach  den  Eigenschaften 
Gottes  sohematisirt ;  wobei  der  Polizei  die  Weisheit 
cngefheilt  wird  (Bd.  IL,  Abth.  2,  S.  337),  dem  Militär 
die  Macht  (Bd.  II.,  Abth.  2,  S.  317),  der  Rechtspflege 
natürlich  die  Gerechtigkeit  (Bd.  IL,  Abth.  2,  S.  363)  u. 
8.  £•  Gerade  diese  beiden  Punkte,,  das  Läugnen  des 
Vernunftzusammenhangs  und  das  Schematisireu  nach 
der  göttlichen  Dreieinigkeit^  waren  am  meisten  ange- 
griffen worden,  oder  boten  sieh -doch  am  ehesten  dem 
•Belächeln  dar.  Schon  früher  war  die  Furcht  davor 
leise  in  Hrn.  Stahl  aufgedämmert:*  „Es  ist  dies  ein 
Buch  von  allerdings  unerhörtem  Inhalt  fiir  unser  Zeit- 
alter* Manche  werden  es  als  eine  sonderbare  Erschei- 
nung betrachten''  (Bd.  IL,  Abth.  1,  Vorrede,  S.  XI). 
Hr.  Stahl  mufs  also  jetzt  einige  Conpessionen  machen, 
um  unter  ihrem  Schutze  seine  unwissenschaftlichen 
Sprünge  fortsietzen  zu  können. 

Fragen  wir  nun,  was  diejenige  Verfassung  sei,  wel- 
che der  Hr.  Verf.  als  das  Ideal  der  Vollkommenheit 
setzt,  so  miifsten  wir  dieselbe  so  bezeichnen :  Eine  auf 
mittelaltriger  Grundlage  ruhende,  von  orientalischer 
Theokratie  durchfloohtene  repräsentative  Monarchie. 

Dafs  Hr.  Stahl  sich  theohrtxtischen  Grundisätzen 
hinneige,  .will  er  zwar  nicht  Wort  haben.    Die  Behaup- 
tung MohUy  dafs  alle  Staaten,  deren  Zweck  Vorberei- 
tung für  jenes  Leben  sei,  tbeokratisch  regiert  werden 
(Bd.  IL,  Abth.  2^  S.  296),  bestreitet  er  durch  das  Bei- 
spiel des  jüdischen  Volks,  das  „bekanntlich  nicht  auf 
jenes  Leben  gerichtet  war,  und  doch  eine  theokrati- 
ache  Verfassung  hatte.''    Dies  beweist  aber  nur,  dafs 
audi  Völker,  die  nicht  an  die  Unsterblichkeit  der  Seele 
glaubten,  wie  die  Juden  vor  der  Babylonischen  Gefan- 
'-genschaft,  doch  tbeokratisch  regiert  sein  können.    Am 
Unwiderleglicbsten  würde  sich  der  theokratische  Stand- 
punkt des  Hrn.  Verfs.   herausstellen,  wenn  wir  schon 
die  dritte  Abtheilong  des  zweiten  Bandes  hätten,  wo 
er  von  der  Kirche  handein  will.    So  müssen  wir  uns 
auf  einzelne  Aeufserungen  und  beiläufige  Notizen  be- 
iBchrAnken,  die  aber  klar  genug  sprechen:  5,Es  wird 
nicht  mehr  die  Alles  umfassende.  Alles  durqhdringende 


Nähe  der  Kirche  empfunden ;  sie  ist  auf  den  Terapd 
beschränkt.    Nur  Eine  Idee  herrscht  in  den  Institutio- 
nen dea  Zeitalters,  die  der.  persönlichen  Freiheit   and 
Menschenwürde;    darum   ist  es  profan.    Der  Priester 
gilt  allein  als  Organ  des  heiligen  Geistes  $  der  geui^ 
liehe  Stand  ist  der  höchste*    Jedes  Amt  im  Staate 
eines  christlichen  Volks  ist  ein  Bischofsamt;  und  jedes 
soll,  wo  es  sich  trifft,    zur  Förderung  der  Kirche  {ge- 
braucht werden.**    (Auch  die  Anmafsungen  der  katlio- 
lischen  Geistlichkeit  ge^en  den'  protestantischen  Laa- 
desfürstenl)  „Die  Vollkommenheit  der  Verfassuag;  be- 
steht darin,  dafs  Gottes  Ordnung  gesichert,  der  Staat 
Gottes  Einwirkung  zugänglich  sei"  (als  ob  irgend  eise 
Verfassung  ISottes   Einwirkung  sich   mehr   entziehen 
könne,  als  die  andere;  es  sei  denn,  dafs  die  Yenustf* 
tigere  die  Gott  zugänglichere  genannt  würde)*    ^^Uies- 
dnrch  wird  der  Staat  geeignet,  Werkzeug  Gottes  st 
sein.    Die  Gewalt  ist  nicht  des  Herrschenden,  Sonden 
des  Höhern  $  eine  solche  ist  nur  die  Gottes  über  die 
Menschen:    kein  Mensch   ist   höher,  als   der   andere. 
Was  in  jedem  Momente  geseheben   soU^   dfs  kana 
nicht  gewufst  werden,   wenn  nicht  dw.  heilige  Geist 
Gottes  es  in  jedem  Momente  eingibt,  vfio  Gott  hei  des 
besondern  Ereignissen  sein  besonderes  Gebot  an    die 
Könige  und  Propheten  Israels  und  an  sein  Volk  ge- 
langen liefs.     In  diesem   Sinne  sagt  Samuel  za  den 
Juden:  Ihr  habt  übel  gewählt,  dafs  ihr  einen  König 
wollt,  —  nämlich  statt   der  unmittelbaren   Fähroiig 
durch  Gott.    Das  Gesetz  kann  also  in  keiner .  ViTeise 
die  Eingebung  des  Geistes  Gottes,  die  Wahl  und  Auf- 
forderung aus  seinem  freien  Willen  und  AatbsoUnliB 
ersetzen''   (Bd.  U.,  Abth.  1,   S.  192— 193,  196,  dOS; 
Bd.  IL,  Abth.  2,  S.  287,  fi6;  Bd.  11^  Abfb.'l,  S.274-, 
Bd.U.,  Abth.  2,  S.  247-248;  Bd.U.,  Abth.  1,  S.  78-- 
79,  220  Anm.).    Der  WUIe  Gottes  soll  im  Staate  i«^ 
gieren.    Das  läfst   sich  hören.     Aber  nicht  durch  das 
Organ  der   praktischen   Vernunft   des    Miensdiea,    — 
nicht  durchs  Gesetz,   das  nur  die  ausgelegte  Vernunft 
des  Volkes  ist.    Denn  nach  Hrn.  Stahl  ist  die  Ver- 
nunft sogar  dem  christlichen  Principe  znwidea:^     Was 
bleibt,  also  übrig,  um  den  Willen  Gottes  zuverküadeo, 
als  ein  Priesterstand,  oder,  wohin  Hr.  Stahl  noch  mehr 
sich  hingezogen  fühlt,  die  wiilkürlicben  Entschliisee  der 
Menschen,  die  dann   für  Eingebungen   des  göttlicben 
.Geistes  genommen  werden.     Auch  einen  guten  Girund 
gibt  Hr.  Stahl  dafür  an^   dafs  das  „Wohl  nnd  Wehe 


913 


SiiMy  PAih49pkU  des  Bethts.    2ter  Bd.    2ie  Aiih. 


214 


'9mB^  Volkes  in  .die  H&nde  eines  Menscbeo  gelegt''  ver- 
öde, DJknlioh  den,  dafs  es  ein  Flach  der  Sünde  mid  de« 
iseitliclien  Däsetps  sei,  wlmaoh  „die  Menschlieit  nicbt 
in  Gott  ist,  noob  von  ibm  selbst  beberrscht  wird  $  per- 
.«Bnlicti  herrscht  Gott  nur  in  den  ewigen  Verhältnissen'' 
(Bd.  IL,   Abtb.  2,  S.  74,  2).     Darum  sagt  er   andere 
wärt«:  „Deshalb  verhält  sich  auch  die  christliefae.Of- 
fenbiining  so  gleicbgiltig  gegen  Recht  und  Staat;  denn 
wie   bat  es  nnr    mit  dem  Ewigen  zu  thun"  (Bd.  IL, 
Abtii.  I.,  S.  220).    Wie  kann  sie  dann  aber  noob  alle 
^iese  irdischen  Verhältnisse,  die  nnr  Werke  der  Sünde 
•md,  bestimmen  1  Selbst  die  Censur  über  wissenscbaft<> 
^cbe  Werke  will  Hr.  Stahl  der  Geistlichkeit  überge- 
Jben  (Bd.  II.,  Abth.  1,  S.  284).     VTas  fehlte  uns  als* 
4aiiw  noch  an  einem  römischen  index  Hbrorum  pr^hi-. 
4ßkarumf  Nach  Hm.  Stahl  ist  überhaupt,  wegen  jäner 
jtiindhafiigkeit  der  Menschen,  der  ganze  Organismus 
-de«  Staats  und  der  Gang  der  Weltgeschichte  nur  eine 
*aiif  Gegenseitigkeit  nach  bell^lancastriscber  Methode 
•gegründete  göttliche  Stratanstalt:  „Gott  gebraucht  den 
'Zorn  der  Völker  als  ein  Mittel  gegen  das  Unrecht  der 
•Könige,  wie  er  die  Tyrannei  der  Könige  gegen  das 
Dnreeht  der  Völker  gebraucht"  (Bd.  U.,  Abth.  2,  S.  261). 
Seine  ganze  Theodicee  -  läuft  also   auf  den  höchst  tri- 
vialen Satz  hinaus:  „Hieraus  erklärt  es  sich  auch,  dafs 
durch  die  Revolutionen  Englands  und  Frankreichs  Er- 
folge für  den  öffentlichen  Znstand  bewirkt  worden  sind, 
ilie  recht  und  gut,  daher  gewifs  in  der  Absicht  Gottes 
-sind,  obwohl  diese  Revolutionen  an  sich  durchaus  un- 
rechtmäfsig  und   sündlicb    waren''   (Bd.  IL,    Abth.  2, 
S.  26l-*262).    Lassen  wir  diese  Sätze  auch  gelten,  so 
müssen  wir  es  doch  rügen,  dafs  Hr.  Stahl  den  morali- 
schen Gesichtspunkt  als   den  höchsten  setzt,  der*  im 
e'wigen   Reiche    Gottes    allein    zu   seiner   Vollendung 
komme,  während  Recht  und  Staat  nur  irdische,  unvoll- 
kommene Mittel  für  diesen  Endzweck  des  Einzelnen 
seien  (Bd.  II.,  Abth:  1,  S.  I17i  Abth.  2,  S.  374). 

VTas  für  eine  Religionssecte  soll  nun  aber  als  Staats- 
rekgi&n  die  Grundlage  dieses  neuen  Staates  seini 
Hr.  Stahl  bekennt  sich  zwar  zum  Protestantismus  (Bd. 
n.,  Abth.  I^  Vorrede,  S.  ICV).  Die  religiöse  Ansicht 
aber,  womit-  er.  seinen  Staat  beglücken  will,  ist  ein  sehr 
zweideutiges,  zwitterhaftes  •  Mittelding  zwischen  >  Pro^ 
testantismus  und  Katbolicismus,  mit  einem  gehörigen 
Uebei^gewicht  des  letztern,  wohin  schon  der  grofse  Einr 
fittfs,  den  er  der  Priesterscbaft  in  dieser  Theokratie 


einräumte,  ihn  von  selber  fuhren  mnfste«  Gegen  diese 
geschlossene  Kaste  müssen  wir  Alle,  bistorische  Juri- 
sten, Philosophen  u.  s;  w..  Hm.  Stahl  hothwendig  ala 
Laien  erscheinen ,  denen  der  Wille  Gottes  sich  nicht 
offenbart,  sondern  die,  wegen  ihrer 'IJnaiündigkeit,  sich 
den  Aussprüchen  der  Kirche  unterwerfen  müssen.  Sp 
möchte  er  wohl  die  Zeiten  der  Scholastik,  so  gut  es 
geht,  zurückftibren.  Ja,  die  Scholastiker  sind  Hm. 
Stahl  noch  viel  zu  rationalistisch.;  denn  „sie  setzten 
noch  eifie  üx  aetema  über  Gott  in  seiner  heiligen 
Natur,  die  vor  allein  Entschlüsse  in  ihm  sei," — ^wodurch 
denn  die  abscheuliche  Denknoth wendigkeit  auch  in  das 
Wesen  Gottes  eingedrungeu  wäre  (Bd.  I.,  S.  71).  Hr. 
Stahl  sagt  nun  zur  nähern  Bestimmung  seiner  Staats- 
religion:  „Die  protestantische  Kirche  wird  vielleicht 
Manches  auch  vom  Katbolicismus  wieder  aufnehmen 
müssen"  (Bd.  I.,  S.  359).  Was'  dies  sei,  lehrt  uns  der 
Verfolg  det  vorhin  citirten  Vorrede:  „Es  wird  mir 
nicht  als  eine  Lauigkeit  gegen,  das  Bekenntnifs  meiner 
Kirche  ausgelegt  Werden  duirfen,  wenn  iclf  mich  zum 
Theil  von  der  in  ihr  üblich  gewordenen  Lebrart  ent* 
ferate,  und  ihr  die  altkatholiscben  Begriffe  von  der 
Autorität  des  kirchlichen  Verständnisses  der  Scbrlft| 
von  der  Ueberlieferang,  Von  der  ununterbrochenen,  seit , 
den  Aposteln  fortgeleiteten  geistlichen  Weihe,  v^r 
Allem  von  der  sichtbaren  als  organische  Anstalt  wirk* 
samen  Kirche  wieder  zu  gewinnen  strebte^'*  Da  haben 
wir  die  Bescherung !  Und  wo  er  nun  auch  einzelne  Be^ 
Stimmungen  seines  Staate  aus  dem  cbristlipben  Prin* 
dp  ableiten  will,  hält  er  sich  an  ganz  äufserliche 
Reflexionen:  „Doch  mufs  auch  freiwilliger  Eintritt  in 
einen  Staat,  und  freiwilliger  Austritt  aus  demselbea 
(Auswanderung)  statthaft  sein.  Dies  liegt  nothwendig 
in  der  christlichen  ErkenntBifs,  nach  welcher  die  Men- 
schen in  emem  hohem  Verbände  noch  stehen,  als  dem 
des  iStaats"  (Bd.  IL,  Abth.  2,  S.  239).  fm  Procefs- 
Recht  wird  das  In^sitionsverfabren  dem  accnsatori- 
schen  vorgezogen,  j,weil  es  ganz  im  Sinne  des  christ- 
lichen Staates  ist"  (Bd.  H.,  Abth.  2,  S.39»).  Hat  Hr« 
Stahl  dabei  etwa  an  die  Inquisition  der  katholischen 
Kirche  gedacht!  Eine  der  ersten  Aufgaben  der  Staats- 
kunst wäre  nach  Hm.  Stahl  auch  die  Purificatioa  der 
Beamten,  besonders  aber  der  Professoren  der  Philoso- 
phie. Denn  mit  einem  Stofsseufzer  klagt  er,  „dafs 
unter  den  christlichen  Beamten  selbst  die  Mehrzahl 
jetzt  nichts  Anderes  glaube,  als  was  ein  aufgeklärter 


<  I 


215 

Jade  oder  Mabataedftner  glaubt''  (Bd«  II.,  Abtb.  2,  S^ 
287).  Wer  bei  Hrn.  Stahl  4lie8er  Statistik  io  gewifa 
gemaobtt  Ana  dem  »^cbristUohen  Pribcip  der  Polizei,'* 
dem  er  eis  gaozeq  Kapitel  widmet  (Bd.  IL,  Abtb»  2^ 
Sp  349)9  soll  indessen  so  viel  flieftten:  nicht  jygegen^ 
w&rtig  die  gevröbnlicben  rationalistischen  Lehrer  yom 
Amte  zu  entfernen"  (Bd.  U.,  Abth.  2,  S.  350).  In  ei- 
nigen Jahren^  wenn  die  Philosophie  etwa  nicht  mehr 
ao  m&ebtig  wirken  sollte,  dann  konnte  es  zeitgemäfser 
sein,  solche  ,Jrrlebren  niobt  mehr  zu  gestatten"  (Bd.  II., 
Abth.  1,  S.  285),  Und  das  ist  der  einzige  'Unterschied 
des  Hrn.  Stahl  von  dem  Hrn.  Leo,  der,  wie  Domitian, 
alle  Philosophen  gleich  weggejagt  wissen  will,  und  mit 
welchem  Hr.  Stahl  auch  sonst  brüderlich  harmonirt  (z. 
B.  Bd.  IL,  Abth.  2^  S.  297). 

Wir  gehen  zn  den  mittel^trigen  Elementen  über, 
die  Hr.  Stahl  in  seine  ideale  Verfassung  durchaas  wie- 
der aufnehmen  will.  So  bricht  er  zuvöderst  in  eine 
Bewunderung  für  den  „ganzen  Staatenbau  des  Mittel* 
alters,"  für  diesen  *,praGht vollen  Bau  des  weltliehen 
und  geistlichen  Reiches"  aus,  und  nennt  ihn  »^ein  po- 
sitiv' hohes  Kunstwerk,"  eben  „weil  sioh  allea  dles^ 
auch  anders  denken  läfst,  als  es  hier  bestand,  dine 
dafs  deshalb  der  Begriff  des  Rechts  aufhörte"  (Bd.*!., 
&  195-196  \  Bd.  IL,  Abth.  2,  S.  191;,  ~  also  das 
leidige  nur  nicht  nicht  zu  Denkende  der  Vernunft  dabei 
fortfallt.  Dafs  nämlich  der  Willkür  und  Particularität 
4e8  Willens  so  grofser  Spielraum  im  Mittelalter  gelas^ 
aen  wurde,  gefiel  unserem  Hrn.  Verf.  besonders  daran. 

Was  das  Einzelne  betrifft,  so  will  Hr.  Stahl  unter 
Anderem  den  Adel  in  seiner  mittdaltrigen  Macht  wie- 
derherstellen, —  diese  Macht  der  grofsen  Vasallen, 
welche  durch  die  „Gröfse  des  Grundbesitzes  viele  von 
sich  Abhängige  haben,"  damit  auf  diese  Weise  „eia 
Stand  stetiger  Privatmacht  erlialten"  werde  (Bd.  II., 
Abtb.  1,  S.  32S'~329).  Hr.  Stahl  will  zwar,  dafs  der 
Adel  nur  „Vertreter  der  Landesinteressen"  sei.  Aber 
wer  steht  uns  dafür,  dafs  dieser  Stand  stetiger  Privat- 
jnacht,  wenn  man  ibm  das  Ritterschwerdt  wieder  in  die 
Hand  gegeben,  nicht,  wie  die  ganze  Geschichte  des 
Mittelaitors  gezeigt  hat,  noch  lieber  seine  eigenen  In- 
teressen, als  die  des  Landes  verfolgen,  nad  sich  damit 
gegen  die  Krone  in  stete  Opposition  setzen  werde? 
Der  Geschichte  der   letzten  Jahrhunderte  verdanken 


Oitahl^  PhiUäephie  des  Aeekts.    2ier  Bd.    2ie  Aith. 


2lf 

wir  das  Erstarken  der  Staatsg0wall  giegea  diese  Wül- 
kiir  der  grofsen  Vasallen  $  die  FVonde  war,  wie-ÜSf^g^ 
net  sagt,  der  letzte  Peldsn^  der  Aristokratie  gegoa 
die  Krone.  In  solche  rechtlose  Zostlinde  und  blutige 
VaaalleBoFebden,  aus  denen  wir  glücklicher  Weise  her- 
aus sind,  will  Hr»  Stahl  uns  zarQckscblendeirn,  weil  sei- 
ner beliebten  Willkür  dadurch  Vorschub  gesobftbe.  Za 
diesem  Zwecke  schlägt  Hr.  Stahl  vor,  die  U'&Hgkek 
des  germanischen  Rechts  wiedereinzuführen,  damit  dar 
Adel  stets  über  ein  wohldisdpiinirtes  Corps  von  Mea^ 
neu  zu  gebieten  habe :  „Der  Grundherr  sehiitzt  ued 
färdert  den  Gmndholden  durch  seine,  politische  and 
Vermögensmaoht,  der  Grundhold  gewährt  dem  Grand- 
herrn  die  rnhig  gesicherte  arbeitslose  Existenz"  (Bd«IL, 
Abth.  I,  S«  330).  Wenn  selbst  der  König  in  ouseiB 
Staaten  Arbeit  hat,  und  wahrlich  niobt  die  kleinate^  ve- 
rum soll  der  Adel  müfsig  gehen  können  f  Versteht  flr. 
Stahl  unter  Arbeit  aber  nur  Thätigkeit  fiir  die  Be&ie 
digung  der  sinnlichen  Bedürfnisse,  so  sind  auch  alle 
Beamten,  Geistlichen,  Gelehrten,  Künstler  u.  a.  w., 
derselben  enthoben.  „Besteht  eine  woh%eordiiete,  be- 
festigte Grundherrliebk^t,  so  ist  die  Madit  des  La» 
des  bei  den  Gründherrn,  deren  Fahne  die  GrundboMei^ 
dieser  würdige  Stand  der  Bauern^  folgen  ^  wo  oicfa^ 
80  gebt  sie  über  an  die  Fabricanten  und  Kaufleute^ 
die  ihre  Tagelöhner  bewaffnen,  wie  die  letzte  Iraiislk 
sische  Revolution  das  gezeigt  hat"  (Bd.  IL,  Abth.  I, 
S.  336).  Es  gibt  wohl  noch  ein  Drittes  zwisohee  die^ 
ser  Alternative,  dessen  Möglicbkeit  eben  durch  jenes 
oben  berührte  Erstarken  der  Staatsgewalt  herbeigefekt 
ist,  die  zugleich  das  Gleichgewicht  und  die  friedliche 
Harmonie  beider  Stände  zu  bewerkstelligen  im  Stande 
sein  wird« 

Hiermit  ist  denn  nun  aueb  natürlich  duie  viroleols 
Polemik  gegen  die  neue  Gestaltung  der  persönliehca 
und  Eigenthums- Verhältnisse  des  Bauernstände«  ver- 
bunden, wie  sie  in  Frankreich  zuerst  durch  die  Stärme 
der  Revolution  vollführt,  nach  beruhigter  Gäbrung  ab^ 
in  Deutschland  unter  Preubens  Vortritt  ailmählig  und 
geräuschlos,  gewährt  warde.  Wie  die  Englischen  Hoch- 
kirchen-Männer  bei  der  Zebnten>Frage,  sieht  Br.  StaU 
aber  in  der  Auflösung  des  Verhältnisses  der  Bttaen 
zum  Gutsherrn  nur  eine  Ungerechtigkeit,  eine  Verlet- 
zung des  Eigenthuns  (Bd.  U.,  Abth.  1,  S.  329  Amn.). 


(Der  Beschlafs  folgt.) 


J^  28. 

J  ahrbiicher 


f  u  r 


iiv  i  8  8  e  n  8  c  h  a  f  1 1 1  c  h  e    Kritik. 


August  1839. 


«c 


Die  Phäosophie  deg  Rechts  nach  geschichtlicher 
Ansicht  von  Friedrich'  Julius  Stahl. 

(Schlaff.) 

■ 

Er  bricht  sogar  in  die  Jereiniade  aas:  ,,In  unse- 
rer Zeit  ist  es  eine  LieblingsineiDung,  ja  gewisserma- 
feen  raie  politisch^  Wuth,  dieses  Band  zu  lösen.  Man 
blllt  sieh  dabei  an  den  Klang  des  .W<Mrts!  das  Bigen- 
tbum  va  befreien*  Der.  Landmann  soll  nicht  genothigt 
seiB,  einen  Tbeil  seines  Arbeitsertrags  Andern  abza- 
geben';  (Bd.  11.^  Abth.  1,  S.  331).  Nun,  und  wäre  dies 
Abgeben -Müssen  nicht  eben  die  Ungerechtigkeit,  über 
die  sich  Hr.  Stahl  im  entgegengesetzten  Fall  beklagt? 
Uebrigens  können  wir  ihm  aus  Preufsen  die  beruhi« 
gende  Nachricht  mittbeilen,  dafs  jene^^politische  Wuth/' 
vie  er  es  nennt,  bei  uns  bereits  ansgetobt  hat ,  und 
ohne  Gefahr  Toriibergegangen  ist.  Der  edle  Zweck 
der  Befreiung  des  Eigeothums  ist  hier  ^um  Aerger  des 
Hm.  Stahl  ziemlich  aligemein  erreicht  .Dafür  gibt 
es  aber  auch  bei  uns  nicht  solche  Obscuranten,  wie 
Hr.  Stahl,  welche  'die  Zeiten  des  Mittelalters  und  der 
,,  Grundholden"  zurückwünschen.  Auch  behauptet  er, 
dafs  bei  Stiftungen  „die  Einziehung  für  Staatszwecke 
immer  Unrecht''  sei  (Bd.  IL,  Abth.  2,  S.246).  Ebenso 
-«rill  er  die  Zehiitett  unangetastet  wissen  (Bd.  II.,  Abth. 

2,  S.  332,  Anm.). 

Die  Klage  über  diese  neuen  Einrichtungen  beglei- 
tet bei  Hm.  Stahl  oft  dn  kindischer  Mifsmuth  über 
das  Bestehende  und  die  geltenden  Ansichten,  die  sei- 
nen Terfinstemden  Vorschlägen  nicht  entsprechen ;  und 
er  glaubt  Alles  gethan  zu  haben,-  wenn  er  sie  fortwäh- 
tend  durch  die  Ansdrficke  „herrschende  Lehre",  „Irr- 
I  lehre"  u.  s.  f.  mit  dem- Siegel  der  Verwerfung  gebrand- 
l  markt  hat    Namentlich  ist  er  «auf  Preufsen  und  das 
I  Preiifsiache  Landrecht  nicht  gut   zu  sprechen,    eben 
weil  jemir  Staat  den  Fortschritten  der  Intelligenz  und 
Cif  ilisation,  huldigt.    Wo  er  z.  Bi  Ton  der  Einrichtung 

Jahrb.  /.  wiuenich.  Kritik,   J,  1830.   II.  ßd. 


der  Gemeinden  und  den  neuem  Genieindeordnungen 
spricht  (Bd.  IT,  Abth.  1,  S.  306),  ist  dasr  Lob,  das  er 
ihnen  im  Allgemeinen  zollt,  ziemlich  lau;  und  nicht  im 
Entferntesten  erwähnt  er  d^r  Preursischen  Städteord- 
nung, die  doch  eins  der  wichtigsten  und  TortrefFIich- 
sten  Gesetze  über  diesen  Gegenstand  und  das  Palla- 
dium unserer  Municipal-Freiheiten  ist  Ein  ander  Mal 
trifft  er  das  Preufsische  Landrecht  mit  einem  Seiten- 
hiebe,  indem  er  gegen  das  Bestreben  der  positiven  Ge- 
setzgebungen eifert,  Definitionen  und  Begriffsbestim- 
mungen aufzustellen;  diese-  recusirt  er,  zweifelsohne 
weil  dadurch  die  liebe  Willkür,  so  weit  ets  geht,  be^. 
schränkt  würde.  Wo  er  nämlich  eine  gewisse  Defi- 
nition des  geifaltsamen  Diebstahls  kritisirt  (Bd.  II, 
Abth.  1,  S.  215),  läfst  sich  die  ganz  unverfängliche 
des  Preufsiscfaen  Laudrecbts  (Tb.  U,  Tit  20,  §.  1163 
flg.)  nicht  verkennen.  Ja,  er  propfaezeiht  dieser  Ge- 
setzgebung, dafs,  wenn  sie  so  „mit'  ihren  Begriffsbe- 
stimmungen fortfahren"  sollte,  „sie  zuletzt,  wie  die 
Philosophie  Hegels,  bei  der  Definition  des  reinen  lee- 
ren Seins  anlangen"  werde.  Solche  Drohungen  sind 
possierlich  genug«  In  der  Hegclschen  Philosophie  ist 
indessen  unseres  Wissens  jene  Definition  nicht  die  letz- 
te, sondern  die  erste.  Zu  solchen  kindischen  Kritiken 
kann  nur  die  Furcht  verleiten,  dafs  zeitgemäfse  Ge- 
setzgebungen den  unordentlichen,  durcheinandergewmr* 
feiten  Wust  und  Kram  mittelaltriger  Rechtsbestimmun- 
gen ersetzen,  und  somit  die  Willkür  der  Urtheilsfin- 
dnng  aufheben  werden.  Denn  die  Willkür  und  „das 
eigene  Ermessen"  sind  die  Schlagworte,  die  Hr,  Stahl 
stets  im  Munde  führt. 

Was  endlich  die.  sUfaisreeAtüchen  Maximen  die* 
ses  Historikers  unter  der  Jesuitenkappe  betrifft,  so  ist 
sein  Prittcip,  nuter  dem  Scheine  der  Bestreitung y  der 
„herrschenden  Lehren",  es  doch  mit  keiner  der  beiden 
Partheien  zu  verderben,  die  iä  Europa  sich  schroff 
einander  gegenttberatehen,  ohne  darum  die  vahre  Mitte 

28 


9    1 


.' 


219 


Stahly  Philo ftophie  det  Reeht:    2ter  Bd.    2ieA6th. 


220 


zu  treffen,  die  nicht  aus  dorn  Schematisirei,  sondern 
alleiu  aus  achter  Speculation  sich  ergeben  kann.  Was 
er  den  Absolutisten  mit  der  rechten  Hand  reicht,  das 
niuvnt  er  ihnen  mit  der  linken,  um  es  den  Liberalen 
xumstecken.  Daher  das  Schwankende  und  Wider- 
sprechende in  seinen  Bestimmungen.  Man  könnte 
seine  Staatslehre,  wie  die  Dialektik  der  Kantischen 
Kritiken,  unter  das  Schema  Ton  Thesis  und  Antithe- 
Bis  bringeB.  Denn  wenn  er  die  aehaeidendsteii'  G^ea- 
Sätze,  ganz  bewnfstlos  von  einer  Seite  zur  andern 
übergf^hend,  herausgekehrt  bat,  dann  bricht  er  ab,  um 
sich  in  neue  zu'  stürzen.  Wenige  Beispiele  werden 
schon  hinreichen,  dies  zu  beweisen.    Bd.  II,  Abtb.  2, 

S.  91: 

TketU.  Antithetit, 

„Der  König  ist  über  den  Staat  „Umgekehrt  ist  wieder  der  Staat 

gesetzt,    wie  dite   Haupt   über  über  dem  König,  wie  der  ganze 

den  Leib  "  Leib  und  sein  Gesetz  über  dem 

Haupte  ist." 

Thßtii  (S.  113).  Autitkeiii  (S.  115). 

„Der  König  beruft  die  Perso-  »Dies  ist  das  Prin'cip  der  Un- 

neo  zu  den  Aemtern,   und  eat-  entfembarkeit  der  Beamteu." 
ferntsie  nach  seinem  Ermessen." 

Theiii  (S.  171).  Jntitheiii. 

„Niemand  zwar  kann  einen  Be-  n Allein  die  Stände  können  beim 

amten  wegen  seiner  Amtshand-  Könige  Anklage   erheben  gegen 

lungen  ror  Gericht  stellen,  als  den    Beamten,    damit    er    ihn 

allein  der  König;  sonst  wäre  er  Tor    Gericht    stelle;    und    der 

nicht  mehr  das  Haupt  der  Re-  König   darf  dieses    nicht    ver* 

gierung/'  weigern." 

T/Um  (S.  177).  AntUhsiü. 

„Das  Verhältnis  ron  König  und  »Es  sind  zwei  Mächte  von  ganz 

Standschaft  ist  in  keiner  Weise  verschiedener  Art"  (S.  178  wird 

eine    Theilung    der    Staatsge-  »och    sogar    von    „ständischer 

^alt."  Gewalt"  gesprochen). 

Die  beiden  letzten  Gegensätze  folgen  unmittelbar  auf 
einander,  und  dennoch  heben  sie  sich  gerade  absolut 
auf.  Hier  ist  nicht  einmal  Platz  fiir  die  Entschuldi- 
gung, dafs  Hr.  Stahl  yergessen  habe,  was  er  auf  einer 
frühem  Seite  niederschrieb.  Die  Tinte  der  Thesen 
war  noch  nicht  getrocknet,  als  die  Antithesen  schon 
aus  der  Feder  flössen.  In  diesem  Genre  meist  sehr 
platter  Lehren  und  Sätze  treibt. die  ganze  politische 
Weisheit  des  Hrn.  Stahl  im  Strudel  umher.  Es  ist 
oft  um  nichts  besser,,  als  Zeitutigs-Räsonnement,  wie 
er  denn  auch  häufig,  wohl  um  seiner  Darstellung  den 
Reiz  des  Neuen  und  Pikanten  zu  Terleihen,  auf  die 
Tagespolitik  und  Journalistik  Rücksicht  nimmt.  Die 
höchste  Spitze  des  Unsinns  bietet  aber  wohl  der -Ge- 


gensatz dar,  dafs  -Kdnig  und  Volk  gegenseitig  ihren 
irrigen  Meinungen  nachgeben  müssen  (Bd.- II,  Abth.2, 
S.  234— 235),  —  als  wenn  es  sich  in  derPolitikum  nichts 
Anderes  drehte,  als  um  das  moralische  Ertragen  und 
zu  Gute  Halten  gegenseitiger  Schwäishop,  Welcber 
von  beiden  Partheien  will  oder  wird  Hr.  Stahl  durch 
dergleichen  Redensarten  gefallen  1  Ein  Kapitel  der 
Stahlschen  Staatslehre  handelt  auch  von  „Staatsstrei* 
chen  und  Revolutionen*'  (Bd.  II,  Abtb.  2,  S.  282)^  als 
ob  damit  nicht  alles  Staatsrecht  au%ehobeii  wftie; 
und  er  geht  in  seinem  Liberalismus  doch  so  weit^  dea 
aotiven  Widerstand  zwar  fiir  unerlaubt  zu  halten:  „da- 
gegen der  passive  Widerstand  und  die  Verweigerung 
des  Gehorsams  ist  erlaubt  und  nach  UmBttedea 
Pflicht,"  —  nämlich  wenn  „das  Gebot  der  Obng;keil 
gegen  das  Gebot  Gottes  ist,'*  in  Aikwendung  des  hh 
blischen  Satzes :  „Du  sollst  Gott  mehr  geherehen,  ab 
den  Menschen"  (Bd.  U,  Abtb.  2,  S.  264).  Wekte 
Willkür  legt  aber  in  Hrn.  Stahls  Staate  den  wiUkirii* 
oben  Willen  seines  Gottes  anst 

Zum  Schlufs  hat  Ref. «noch  einige  Proben  hintori» 
scher  Unrichtigkeiten  und  grober  Unwissenheit  sa  lie* 
fern,  die  sich  dieser  „Geschiektlicbi^''  su  Schuldea  ko» 
men  iälst  Wer  den  Pindar  liest  •*-  oder  ciCirt,  mfilale 
doch  wenigstens  so  viel  Griechisch  verstehen,  um  niebt 
das  Wort  Kategorie  drei  Bände  hindurch  bestimdig 
mit  einem  th  zu  schreiben.  Auch  die  deutsche  Gram* 
matik  kommt  nicht  unverletzt  davon.  Statt  zu  aagcn: 
Es.  kann  nicht  fehlen,  kommt  dftera  vor:  „Es  kann 
9itk  nicht  fehlen'*  (z.  B.  Bd«  U,  Abth.  2,  S.  177). 
Spricht  man  so  in  Baiemt  Ferner  die  tidatfioria  des 
Aristoteles  nimmt  Hr.  Stahl  (Bd.  I,  S.  25)  im  Sinne 
der  eudämonistischen  Lehren  des  vorigen  Jahrhm* 
derts,  während  Aristoteles  darunter  das  höchste  Gnt 
versieht,  und  dieses  in  der  Ausübung -der  Tugend  fio« 
det.  Sodann  citirt'  er  als  Hegels  Worte  aua  der 
Rechtsphilosophie  ^  87:  „Das  Recht  üt  das  Unrecdü^ 
der  Betrugt'  (Bd.  I,  S.  275),  um  zu^beweisen,  dafa  Ue* 
gel  Recht  ufkd  Unrecht  nicht  unteradieidet.  Bei  He- 
gel heifst  es  aber:  „Das  Allgemeine  von  dem  beson« 
dem  Willen  zu  einem  nur  Scheinenden  «^  zunnolMt 
iiH  Vertrage  zur  nur  äurserliohen  Gemeinsamkeit  dea 
Willens  —  Iierabgesdfet,  ist  es  der  Betrug."  Alee 
wenn  eine  Glasperle  für  eine  ächte  Verkauft  wird^  so 
glaubt  der  Betrogene  zwar  im  Vertn^  ^denselben 
Werth  zu  erhalten,   den  er  im  Kaufpreise  gibt;    die 


SütUi  Fkäoköpliie  de*  Rseh*^    2t^  M.   Hie  Bd.  222 

des  Willens  i%t  vorhanden,  und     Verfs.  in  dem  Grade,  dafa  er  moht  einmal  das  Suvro«> 


a.iif8«re 

der  Vertrag  in  ullen  Formen. des  'Rechts  abgeachlos* 
aen.  Aber  dieses  Recht,  dieses  AHg^emeine,  ist  yom 
bea'oadem  Willen  <r-  hier  dem  Betvü($er  -^  zu  einem 
blofsen  Schein  herabgesetzt;,  und  dieser  Schein  des 
Rechts,,  die  blofse  Form  Rechtens  abgesehen  von  der 
Substanz  —  nicht,  wie  Hr.  Stahl  will,  das  Recht,  selbst 
«— •  iHy'  nach  Hegel,  da^  Unrecht,  der  Betrog.  Wie 
-wurde  es  der  historischen  Jurißprudenss  gefaUop,  wenn 
dieser  Historiker  ihr  ihren  ülpian  und  Papinian  in 
4UinJicher  Weise  interpretirte,  wie  er  es  hier  mit/He«- 
gel  thut.  Endlich  kommt  der  Hr.  Verf.  auch  auf  die 
Gescbworaen«- Gerichte  zu  sprechen  (Bd.  U,  Abth.  2, 
S.  420  flg.)*  Hier  verdankt  er  Vieles  dem  gehaltvol- 
len Aufsätze  yonOans:  ,oDie  Richter  als  Geschworne*' 
in  dessen  „Beitragen  zur  Revision  der  Preursisoben 
Gesetzgebung»  (1830),  Bd.  I,  Abth.  I,  S;  68— 96,  der 
der  Ansicht  beipflichtete,  dafs  das  Institut  dar  Ge- 
schwomen  aus  den  Eideshelfern  des  Mittelalters  her- 
vorgegangen sei.  Hr.  Stahl  entscheidet  sich  zuletzt 
gegen  di^  Einführung  derselben  in  Deutschland,  indem 
er  sagt:  „So  mögen  sich  nicht  andere  Völker,  am  we^ 
Digsten  das  deutsche,  versucht  fühlen,  sie  von  jenem 
mittdalttigeb  Boden  auf  den  ihrigen  zu  verpflauzen^ 
(Bd,  U,  Abth.  2,  S.  430).  Woher  kommt  Hrn.  Stahl 
luit  einem  Male  der  Abscheu  vor  dem  Mittelalter? 
Weil  dies  Institut  der  Geschwornen  eben  nicht  meht 
mittelaltrig  ist,  sondera  ein  aus  der' Wurzel  der  Or- 
dalien  und  Eideshelfer  organisch  hervorgeschossener 
und  mit  der  modernen  Rechtspflege,  besonders  der  der 
Engländer,  innig  verwachsener  *  Zwei^  ist,  —  darum 
will  Hr.  Stahl  es  nun  nicht  mehr.  Wäre  er  ein  ächter 
historischer  Jurist,  so  müfste  er  es  mit  ofifenen  JLrmen 
anoehmen,  es  sei  denn,  dafs  er  den  ganzen  Baum  ab- 
bauen und  nur  die  WuraTel  behalten  wollte.  Doch  — 
warum  Ref.  alles  dieses  anführt  -^  Hr.  Stahl,  nach- 
dem er  das  Geschwornengericht  verworfen  hat,  und 
bei  tnangelndem  Beweise,  den  es  eben  zu  ersetzen  be- 
stimmt ist,  uns  doch  nicht  ger'ade  das  Gottesgericht 
und  die  Tortur  des  Mittelalters  anpreisen  möchte,  be- 
gnügt sich,  uns  mit  der  >abtolutio  ab  instantia  aus 
dem  Grunde  zu  trösten,  weil  „die  menschliche  Beur* 
'  theilung  ihre  Grenze  hat,  wo  sie  das  non  liquet  aus- 
sprechen mufs.'*  Richtig !  Aber  diese  Grenze  mnfs  doch 
so  weit  als  möglich  hinaiisgeriickt  werden  $  und  hier 
zeigt  sich  eben  die  juristische  Unwissenheit  des  Hrn. 


gat  :des  Geschwornengerichts  kennt,  welches  das.  Preur 
fsische  Landrecht  apgenommen  hat,  da  er  es  mit  kei^ 
ner  Silbe  berührt.  Referent  meint  die  aufserordentli^ 
^che  Strafe,  wo  die  Richter  iq  der  That  als  Geschworne 
den  Mangel  des  objectiven  Beweises  ersetzen,  und  aus 
ihrem  Gewissen  heraus  das  Schuldig  aussprechen.  Der 
Garantie  der  Gesellschaft  ist  damit  genug.' gescheheD^ 
dafs  der  Schuldige  nicht  durchkomme.  Doch^  auch  das 
Recht  des  Verbrechers  ist  anerkannt,  und  zwar  in  h6t 
herer  Weise,  als  durch  die  Geschwornen,  indem  bei 
uns  dann  nie  der  Tod,  sondern  immer  nur  eine  gerin- 
gere Strafe  eintritt.  — 

Der  Hr.  Verf.  äufsert  sich  über  seine  Hoflbungen 
für  die  Zukunft  einmal  folgendermafsen :  „Kehrt  der 
Glaube  wieder  zurück,  und  werden  in  Folge  davon  die 
festen  unverrückbaren  Grundlagen  in  jeder  Wissen- 
schaft gewonnen,  aufweichen  sodann  aUe  weitere Elnt- 
wickelung  vor  sich  zu  gehen  hat:  dann  ist  ein  neues 
4^bweichen  zu  Irrlehren  über  jene  Grundlagen  nicht  mehr 
zu  gestatten,  in  keinem  Fache.  Eis  werden  aber  dann 
auch  nicht  mehr,  wie  in  der  vergangfeueu  Periode,  die 
besten  Talente  und  würdigsten  Männer  —  durch  einen 
wirklichen  beruf  für  die  Zukunft  unbewurst  getrieben. — 
sich  4lem  Irrthum  zuwenden,  sondern  nur  solche,  wel- 
che  laus  Schwäche  des  Verstandes  oder  Eitelkeit  def 
Willens  ihm  olTen  stehen.  Dafs  eine  solche  Zeit  he* 
vorsteht,  ist  keine  übertriebene  Hoffnung^  da  sich  in 
unserer  Literatur  bereits  die  ersten  Anfänge  derselben 
kund  geben''  (Bd.  U.,  Abth.  I,  S.  285—286).  Referent 
glaubt  durch  die  Darlegung  des  wissenschaftlichea 
Werths  der  Stahlschen  Rechtsphilosophie  gezeigt  zu 
haben,  dafs  an  depi  Hrn.  Verf.  wenigstens  diese  Pro- 
phezeiungen desselben  noch  nicht  in  Erfüllung  gegan- 
gen sind,  und  es  sich  also  an  ihm  noch  nicht  bewährt 
hat,  wie  das  Talent  den  Abfall  von  der  Philosophie 
begehe.  Hr.  Stahl  hat  vielmehr  seine  Glaubensphilo-. 
Sophie  und  darauf  gegründete  christliche  Rechts-  und 
Staatslehre  mit  ebensowenig  Talent  als  Wissenschaft- 
liebem  Gehalte  vorgetragen.  Mehr  als  einer  solchen 
Rechtsphilosophie,  wenn  sie  Eingang  finden  könnte, 
bedürfte  es  nicht,  um  das  aus  der  neuern  Philosophie 
hervorgegangene,  nunmehr  auch  unter  den  positiven  Jur 
risten  wieder  zu  Ehren  gekommene  ächte  Nfiturrecht 
der  Jugend  zu  verleiden  und  mit  Stumpf  und  Stil  aus- 
zurotten.    Doch  die  Entwickelnag  der  Wissenschaft 


ChrütUehe  Kunsi^mboUJk  und  Ikonographie. 

Iftfftt  ueh  niclit  «urüokdrängeii.  Wir  wäoschen  also 
Hrn.  Stahl  durch  uoser  strenges,  aber  wohlgemeintes 
und  ernstes  Urtheil  cur  Einsicht  darüber  zu  bringen, 
dafs  seine  constitutionelle  Mdnt;bsstadt  einen  ganz  iso- 
lirten  Auswuchs  deutscher  Philosophie  darbietet.  Wäh- 
rend'Or  min  dennoch,  obgleich  nur  mit  dem  Munde  Pro- 
testant, seinen  Zusamnienhang  mit  der  protestantischen 
Antarkie  nordischer  Wissenschaft  festzustellen  sucht: 
so  mufs  er  dadurch  yieluieh^  in  den  grellsten  Contrast 
gegen  dieselbe  gcrathen,  und  somit  eben  Terlassen  in 
eeiner  Blorse  dastehen. 

Michelet 


224 


XIL 

ChrUtUehe  Kunitsymiolik  und  Ikonographie.  Ein 
Verbuch  die  Deutung  utid  ein  bessere*  Verstand- 
nifs  der  kirchliclien  Bildwerke  des  Mittelalters  xu 
erleichtem.  Frankfurt  a.  31.  1839;  J.  C.  Her- 
mann'sche  Buchhandlung.  KXXVIII  und  222 
Seiten,    gr.  8. 

An  gelehrten  archäologiscteii  Werken,  wekhe  uns  Tollstän- 
dig  über  die  Attribute  ägyptischer,  indischer,  griechischer  und 
cömischer  Bildwerke  belehren,  haben  wir  keinen  Mangel ;  aber 
solche,  die  Über  die  uns  weit  näher  liegende  christliche  Kunst- 
Symbolik  und  IkAnographie  genugenden  Aufschlufs  gäben,  fehl- 
ten bis  jetzt  gänzlich,  obgleich  die  Renntnifs  hieion  fast  aus 
Sem  Leben  ges(1i\iunden  ist,  und  von  Wenigen  nur  besessen  wird. 
ISie  zu  erlangen,  erforderte  es  ein  mühsames  Studium  in  den 
jtirchcfi Vätern,  in  altem  Lef^endenbuchern  und  Lebensbeschrei- 
bungen der  Heiligen,  in  vielen  Fällen  gewann  ma^  sie  nur  au 
den  uns  Übrig  gebliebenen  in  allen  Landen  der  Christenheit  zer- 
streuten Monumenten.  Unser  Verfasser  hat  sich  nun  das  gro- 
fse  Verdienst  erworben  einem  sehr  fühlbar  gewordenen  Be- 
dürfnisse unserer  Zeit  aiff  eine  Weide  entgegengekommen  zu 
«ein,  die  den  Dank  aller  Freunde  des  kirchlkhen  Aiterthums 
und  der  KUnttler  verdient.  Denn  -sein  Werk  «ntluilt^  einen  sel- 
tenen Reichthuni  an  Kenntnissen  .aus  den  unmittelbarsten  Quel- 
len geschöpft  und  verrüth  eine  solche  Umsicht  und  einen  sol- 
chen Geist  der  L'nportheilichkeit  bei  sich  gegenüberstehenden 
Ansichten,  wie  sie  nur  weltumfassende  und  gründliche  Studien 
gewähren  kb'nnen.  N(*ben  vielen  Notizen  über  dtis  Einzelne 
giebt  dieser  Versuch  auch  Interessante  Nachrichten  über  das 
Entstehen  der  ältesten  mystischen  iiymbole,  berichtet,*  wie  ne- 
ben ihnen  und  spätem  auf  das  Leben  der  Heiligen  bezüglichen 
Attributen  gewisse  symbolische  Bildei'  aufgekommen,  die  sich 
aus  den  bildlichen  Redensarten,  besonders  in  der  Linie  der 
Victoriner,  von  dem  Pseudo  -  Dionysius  und  Clemens  Romanus 
bis  herunter  zu  Tauler  entwickelt  haben  und  denen  viele  Kunst'» 
Denkmale  des  Mittelalters  auf's  genaueste  entsprechen;  ferner 
zeigt  er,  wie,  nachdem  das  rechte  Verstanduifs  und  die  ursprüng- 
lich^ Bedeutung  verloren  gegangen,  visionäre  Bilder  oder  auch 


germanische  Mythen  den  Grand  su  rieUn  Le|fen4en'der  Heiftr 

geh  gebildet,  die  durch  die  früh  sehr  verbreitete  Legenda  Aurctt 
des   Bischofs  Jacob  von'  Voragine.  aHgemeiae  Gültigkeit^  erhol- 
ten. —  Unser  W  erk  zerfällt   in  eine,  kurze  Vojrrede,   eine  sehr 
unterrichtende  Einleitung   und    in    zwei  alphabetisch   geordnete 
Uaupttheile,  deren  erster  die'  Erklärungen  der  Symbole  umI  At- 
tribute, deren  zweiter  ein  Verzeichnifs  aller  im  Buche  vorlum- 
menden   Personen   und  Sinnbilder  enthäJt     Das   Auflinden  iker 
Gegenstände  wird  hiedurch  sehr  bequem,  allein  es  entsteht  ans 
dieser  Anordnung  der  Miisstand,"  dafs  die  Angaben  über  die  Hei- 
ligen,  welchen   mehrere  Attribute   beigegeben   werden,   in   den 
Y^erke  zerstreut  stehen,  was  leicht  .vermieden   werden   konnlep 
wenn  die  Angaben  über  die  Heiligen  und   ihre  Attribute  voran- 
gesetzt  wären,    der  darauf  folgende  Index  aber  die  Namen  der 
Symbole,  Attribute  u.  s.  w.   mit  Hinweisung  auf  die  Heiliges* 
deneu  sie  beigegeben  werden,  enthielte.    Bei  einer  zweiten  Auf- 
lage   dürfte    diese  Anordnung   zu  berücksichtigen    sein«     Da^ 
nach  der  ersten  Ausgabe  eines    solchen  Werkes  noch   manches 
Einzelne  zu  entdecken  und  nachzutragen  bleibt;  d>ifs  viele  Nacb- 
richteu  undAnsichteu  eine  groisere  Entwicklung 'zolassen  und  Be» 
richtigungen  nicht  ausbleiben  werden,  wird  jeder  entschuldigend 
vorsehen,  der  sich  in  irgend  einer  Arbeit  dieser  Art  versucht. 
Es  wird  daher  den  von  uns  hochgeschätzten  Vf.   nicht  überra- 
schen, wenn  schon  hier  beispielsweise  eini^^es  in  dieser  Bezie- 
hung angedeutet  wird.    —     Im  Artikel'  fJSnget*  termissen  wir 
Notizen  über  deren  Rangordnung  und  einige  ihrer  Bezeichaoa^ 
gen,   da  sie   in   mittelalterlichen  Kunstwerken  vorkommen,  na- 
mentlich in  Miniaturen.    Nach    deu  angeblichen  Schriften   des 
Areopagiten    Dionysius  giebt   es   neun    Engelordnun;;en,   die  in 
drei  Hierarchien   eingetheilt  sind:     Die   der  ersten   Hierarchie, 
im  Allgemeinen  Thronen   genannt,   stehen  in  der  erhabeastM 
Nähe  unmittelbar  um  Gott,  und  werden  näher  in  Seraphim,  Che- 
rubim und  Thronen  eingetheilt.    Erstere,  deren  Namen  Anzün- 
der oder  Wärmende  bedeutet,  werden  beständig  mit  s^cha  Flih 
geln  und  feuerrolh  dargestellt;  durch  die  heilige  sechsfache  Bil- 
dung  der« Flügel  istj  nach  Dionysius,  jene  unendliche,  hochite 
Aufregung  zum  Göttlichen  in   den  ersten,  mittleren  und  letzten 
Geistern  angedeutet.    Die  Cherubim,  gleichbedeutend  mit:  FuUe 
der  Kenntnils  oder  Ergufs  der  Weisheit,  haben  gleichfalls, sechs 
Flügel  und  sind  von  blauer  Farbe.  —    Die  Engel  der  mittlem 
Ordnung  oder  der  zweiten  Hierarchie  bestehen  aus  Herrschaf- 
ten, Mächten  und  Gewalten.    —    Die  dritte  Hierarchie   endlich 
aus  Füi'stenthüniern,  Erzengeln  und  Engeln.    Letztere  nur  stän- 
den  mit   Mensehen  in  unmittelbarer  Verbindung,   während  die 
Erzengel  als  Herrscher  der  Völker,  z.  B.  Michael   als  der  des 
jüdVschen  Volkes,   angegeben    werden.    —    Im  Artikel   „Aforisr 
ist  die  in  Italien  vorkommende    „Madonna  del  Soccorso"  nicht 
erwähnt.    Sie   wird   mit  einer  Waffe,  einer  Keule  oder  einem 
Speer,  versehen  dargestellt,  indem  sie  auf  einer  Mutter  Flehen 
deren  Kind  vor  dem  Teufel  schützt  und  diesen  bekämpft.  —  JMa- 
ria,  einen  weiten  Mantel  ausbreitend,  unter  welchem  viele  Bit- 
tende, wird  in  Italien  „Madonna  del  p^opoio"  genannt.   —    Alf 
dem  Achseltbeil  des  blauen  Mantel^  ist  häufig  bei  italienisi^a 
Madounenbildern    des    14.   und    15.  Jahrhunderts    ein   goldener 
Stern  angebracht,  wahrscheinlich  in  Bezug  auf  die  In  Litanetea 
und  Kirehengesängen  öfters  vorkommende  Benennung  der  Maria 
als  Morgenstern.    —     S.  Pelroniun,   der  Schutzpatron  der  Stadt 
Bologna,   trägt  auf  jieiner  Hand  nicht  sowohl  eine  Kirche,    als 
vielmehr  die  von  ihm  wieder  erbaute  ganze  Stadt  Bologna,  de- 
ren  Wahrzeichen    der   schiefe    Vertheidigungsthurm    la    Mox» 
oder  Torre  Garisenda  genannt.  —    Möcixten  diese  wenigen  An- 
merkungen  dem   verehrten  Verf.    zum   Beweise  dienen,    welche 
TheUnahme  sein  Herk  in  uns  geweckt,  wie  sehr  wir  wünsche«, 
es  zu  jnoglichster  Vollständigkeit  ausgebildet  zu  sehen.    Inz^ki- 
sehen  bekennen  wir  dankbar,   vieles  schon  jetzt'  dorch  dasselbe 
erworben  zu  haben,  und  empfehlen  es  mit  guter  Zuversicht  al- 
len  Freunden    mittelalterlicher   Kunst  und  allen  Künstlern,  als 
eine  sehr  erfreuliche  und  willkommene  Gabe,  die,  ganz  auf  hi- 
storischem Boden  ruhend,  höchst  geeignet  ist,  richtige  Kennte 
nisse  und  Ansichten  über  unsere  Vorzeit  zu  verbreiten  und. das 
Studium  der  christlichen  Kunst  zu  erleichtem. 

'  j.  D.  Passavant.. 


wisse  n 


Jahrbücher 

für 

■ 

s  c  h  a  f  1 1  i  c  h  e 


K  r  i  t  i  k. 


August  1839. 


XUL 


'  Ueher  Goethe»  Tor^ptato  Taa»o.  Von  Dr.  Frü- 
drich  Lewitx.  Königsbergs  1S39/  beiAuguit 
JFUhelm  Unzer. 

Befereot  würde  iiber  8eioe  eigoe  literarigcbe  Thär 
tigfceit  den  Stab  breeheii,  veno  er  nicht  jedes  Unteiv 
iidbiii*eo  grofse  Kunstwerke  denkend  zu  betrachten  und 
'  inssenechaftlich  zu  be|a;reifen  willkommen  bieise,  als  ein 
ZeicbeOf  dafs  der  Geist  nnabl^fsig  bemüht  ist^  sich 
auch'  in  das  Besondere  zu  vertiefen  und  daraus  neue 
AnaehauiuigeB  su  gewinnen.  Wie  sollte  es  nun  aber 
nicht  besonders  nahe  liegen^  die  Scböpfuiigen  Goethes 
.  'in  ihrer  ganzen  Architektonik  zu  entfalten  und  dadurch 
xngleicb)  'sowohl  das  Versiändnifs  des  grofsen  Dich- 
ters,  ak  der  Knnstbetrachtung  überhaupt  zu  erweitern« 
Eine  Wiedergeburt  des  Kunstwerks  durch  das  Me- 
dium des  Gedankens^  aber  getragen  von  dßm  un- 
•iohlbaren  Geiste,  der  das  Kunstwerk  selbst  hervor- 
brachte^  noch  umduftet  von  "'dem  Hauche  der  Poesie, 
.der  Aach  den  reinen  Gedanken  noch  umwebt  und  die 
Kälte  seiner  abstrakten  Thätigkeit  mildert,  ist  die  gro- 
'  fse  Aufgabe,  welche  die  wissenschaftliche  Behandlung 
bedeutender  Biobtar werke  zu  h>sen  hat.  Dies  wird  der 
Denker  iminer  am  sichersten'  erreichen,  wenn  er  zu- 
erst die  mai^nigfaltigen  Strahlen  des  Kunstwerks  in  ei- 
nen Brennpunkt  aammett  und  diesen,  nachdem  er  seine 
•volle  Wirkung  err^ich^  den  Geist  ganz  und  auf  ein- 
mal ^leuchtet  zu  haben,  wieder  entbindet  Auf  wel- 
chem empirischen  W^ge  der  Einzelne  dazu  gelangt 
•ein  loag^  ist  gleichgültig  $  genug  es  komnüt  hierbei, 
wie  im  Grunde  bei  aller  acht  wissenschaftlicben  Thä- 
tiglDeit  darauf  an,  diese  mühsam  erklommenen  Spros- 
sen dem  Auge  w  entziehen  und  gleichsam  das  Gerüst 
hiiier  sieh  abzubrechen ,  um  den  Leser  sogleich  auf 
eine  Höbe  sa  stellen^  von  wo  er  dann,  aber  freilich  in 
ganz  anderer  Weiset  «uch  den  ganzen  Kreis  des  Be- 

Jahrb,  f.  wU$en$ck.  KriSik.  J.  1830.  II.  Bä.  ^        ■ 


sondern  und  Einzelnen  zu  überschauen  und  in  seiner 
harmoiiischen  Verbindung  mit  dem  Ganzen  zu  begrei- 
fen vermag.  Wird,  namentlich  bei  Kunstbetrachtungen, 
der  Leser  erst  durch  den  dornenvollen  Weg  der  Einzeln- 
heiten mühsam  hiodurchgeleitet,  so  geht  grade  die  volle 
und  wesentliche  Wirkung  dieser  Thätijg^keit  verloren, 
sich  sogleich  in  eine  freie  Welt  des  Gedankens  y  und 
die  schöne  Mannigfaltijgkeit  des  Kunstwerks  in  die  Ein- 
fachheit der  Idee  erhoben  zu  sehn ;  während  der  Weg,  * 
auf  dem  man  sich  mühsam,  durch  eine  immer  nur 
äufserliche  Aneinanderfügung  «von  Einzelnbeiten ,  die 
freie  Aussicht  auf  das  Ganze  bahnen  soll,  uns  sogleich 
ans  der  Region  der  lebendigen  Kunstanschauung  in  die 
trockene  Sphäre  dcfr  sammelnden  Thätigkeit  versetzt 
So  werden  wir  unmittelbar 'aus  dem  Genufs  an  djp 
mühselige  und  unerquickliche  Arbeit  ge^viesen,  die  uns 
vielleicht  späterhin  durclv  ein  Resultat  zu  entschädigen 
vermag ;  aber  vor  der  Hand  unsem  Verlast  noch  durch 
nichts  ^ersetzt.  Bbi  der  ersteren  Methode  hingegen  nö- ' 
thigt-man  den  Leser,  indem  er  die  schöne  Lebendig- 
keit eines  Kunstwerks  aufgiebt,  durch  die  Anschauung 
einer  philosophischen  Idee  selbst  wieder,  nur  in  ande- 
rer Weise,  produktiv  zu  werden  $  er  vertauscht  also 
nur  eine  Form  der  Anschauung  mit  einer  andern  aus 
demselben  Gebiete  des  absoluten  Geistes. 

Schon  indem  der  Hr.  Verf.  diese  Methode  vermei- 
dend^  den  Weg  eingeschlagen  hat,  durch  die  Zusam- 
menstellung der  Einzelobeiten  in  den  Charakteren  sich 
die  GmndanschauuBg  des  Ganzen  zu  bilden,  hat  der- 
selbe  sich  in  seiner  Darstellung  derjenigen  Lebendig- 
keit beraubt,  welche  grade  bei  Kunstbetrajchtungen  so 
wohltbätig  wirkt,  indem  sie  gewissermafsen  fttr  den  Vei'- 
lust  entschädigt,  dem  wir  uns  dabei,  für  den. Augen- 
blick wenigstens,  unterziehi)  müssen*  Diesen  Eindruck 
einer  gewissen  Trockenheit  und  einer  bei  dieser  Me- 
thode zugleich  unvermeidlichen  Breite,  hat  >  uns  daher 
die  ganze  Darstellung  des  Hrn.  Lewitz  gemacht,  in-  ^ 

29 


227 


LewiiXy  über  GoetAes  Torfuai^  Ta$s0. 


dem  wir  uns  imoier  vergebens  sehnteo^  die  freie  Luft 
eines  die  Einz^Inheiten  yerzehreuden  Gedankens  zu 
athmen,  dagegen  uns  aber  fast  durchgängig  in  der 
atahbigen  Atmosphäre  eines  so  eben  abgerissenen  Pracht- 
^bättdes  befandeui  das  wir  aus  .den  einzelnen  Mate- 
rialien erst  wieder  erbauen  sollen.  Wie  sehr  diese 
ganze  Weise  unsers  Verfs.  ungeeignet  ist,  fiir  die  KuHst- 
betrachtung  zu  erwärmen^  zeigt  sich  auch  aus  der  ganz 
natürlichen  Folge^  dafs  die  Darstellung  der  Charaktere 
durchaus  den  Charakter  der  Paraphrdlie  bat,  der  nnle- 
bendigsten  und  zugleich  der  schönen  künstlerischen 
Einheit  widerstrebendsten  Form. 

Nachdem  wir  uns  über  die  von  Hrn.  Lewitz  befolgte 
Methode  der  Kunstbetrachtung  ausgesprochen,  wenden 
wir  uns  zu  dem  besondern  Inhalt  .seiner  Schrift,  indem 
wir  uns  zunächst  in  die  Darstellung  der  Charaktere  ein- 
fassen...  Hier  müssen  wir  uns  sogleich  in  vieler  Bezie- 
hung als  Gegner  des  Hm.  Lewitz  bekennen,  der  uns 
bei  der  Auffassung  der  Charaktere  gar  sehr  von  sei- 
ner Grnndanschauung  des  Ganzen^  welche  derselbe  erst 
gc^en  den  Schlufs  des  Buches  ausspricht,  geleitet  wor- 
den zu  sein  scheint,  und,  so  unbefangen  sich  auph  seine 
Untersuchung  anläfst,  doch  fast  ununterbrocheif  von 
vorgefi)lsten  Ansichten  bestimmt  worden  ist.  Wir  über- 
gehn  die  ersten  Abschnitte  d6s  Buchs^  das  Verhältnifs 
Goethes  zu  Schiller  betreffend,  weil  dies  durchaus  in 
keine  (innere  Beziehung  zum  Folgenden  gesetzt  ist,  so 
wie-  das  nachfolgende  übrigens  manche  treffende  Be- 
merkung enthaltende  Kapitel  über  Goethe  um  das  Jahr 
1787,  und  lassen  uns  sogleich  auf  die  Auffassung  und 
Begründung  der  Charaktere  ein,  wobei  wir,  dem  Hrn.* 
Yerfi  folgend,  mit  dem  Antonio  den  Anfang  machen« 

Der  Hr.  Verf.  spricht  Jn  der  die  Auffassung  der 

Charaktere  einleitenden  Betrachtung  den  Gedanken  aus, 

*  dafs  man  mit  Unrecht  ge^gt  habe,  es  sei  im  Tasso 


der  JnhaU' dieser  Stelle,  so  wenig  enthält  sie  Chardb* 
teristisches  für  den  Torquato  Tmso"^  am  wenigstea 
shet  liegt,  wie  der  Hr.  VeH;  meint,  das  ideale  Ele- 
ment, welches  man  vorzugsweise  dem  Tasso  zuachreibc^ 
hierin*  In  einem  jeden  ächten  Drama  ist  das  Stoffap* 
tige  überhaupt  überwunden,  ja  selbst  in  jedem  wahr» 
haften  Eistorisohen  Drama  wird  jede  Begebenheit  eigent* 
lidi  erst  als  ein  Produkt  der  handelnden  Individiieo  und 
unabhängig  voa  de;  geschichtlich  beglaubigtea  That 
hervorgebracht  und  bildet  dann  zugleich  ein  hSb^nes 
.Gesetz  des  Geistes  ab.  Eine  Begebenheit,  die,  wie  ein  * 
fester  unbezwingbarer  Pflock  die  Charaktere  und  die 
Handlung  zu  einem  anderen  Laufe  ndthigte,  als  den 
ihres  eigenen  Gesetzes,  wäre  ein  nnorganischer  Stoff, 
den  alle  wahr^  ^oesie  ein  für  allemal  ausscheidet«  Al- 
les oben  Gesagte  gilt  von  allen  Shakespearschen  Dni^ 
men,  ja  selbst  von  den  geschichtlichen,  während  die 
ganze  Haltung  obiger  Stelle  dijs,  auch  durch  roancbe 
andere  Wendung  des  Verfs.  unterstützte  Vontellmig 
erweckt,  als  dürfe  es  auch  Dramen  geben,  in  denen 
die  blofse  Begebenheit  eine  gestaltende  Madit^  gleich- 
sam  eine  die  Charaktere  zwingende  Gewalt  ansäbte» 
Die  Ueberwindung  des  Stoffartigen,  dder,  was  dasselbe 
ist,  die  Verwandlung  Jedes  empirisch  gegebenen  Ele- 
mentes in  em  organisches  Glied  des  Ganzen,  tiieUl 
unser  Kunstwerk  mit  allen  klassischen  Dranlfen  der 
antiken  und  der  modernen  Welt. 

Bei  der  Auffassung  des  Antonio  wird  es  nun  in» 
nächst  recht  klar,  wie  sehr  sich  der  Hr.  Verf.  von  ei- 
ner Idee  hat  beherrschen  lassen,  die  sich  ihm  als  die 
Seele  des  Kunstwerks  dargestellt  hat,  und  der  man 
freilich  den  Vorwurf  antiquirt  zu  sein  nicht  -vrird  ma- 
chen können.  Unserm  Verf.  ist^  nämlich  Antonio  „em 
Höfling  m  scAlitnmsten  Sinne  det  fForts^  dem  an 
Fürstengunst  nnd  äofserer  Ehre  gar  viel  gelegen  ist, 


zu  wenig  Handlung  ^  „nur  die   Handlung  entwickelt  ,  der  auch  krumme  Wege  nicht  scheut,  wenn  er  darin 


sich  hier  allein  ans  den  Charakteren,  allein  aus  deren 
Conflikten,  sie  hat  hier  nichts  Stoffartiges,  nichts,  was 
den  Dichter  genöthigt  hätte,  seinen  Charakteren  diese 
Odei^  jene  Wendung,  diese  oder  jene*  Färbung  zu  ge- 
ben. Es  tritt  hier  keine  Begebenheit  ein,  welche  die 
Personen  zti  einer  bestibfimten  Handlungsweise  hin- 
zwäng^,  sondern  einzig  durch  das  Harmonirende  und 
Diäharmonirende,  das  gegenseitige  Verhältnifs  der  Cha- 
raktere entstehn  die  Begebenheiten,  schürzt,  und  löst 
sich  der  Knoten  der  Handlang.^^    So  wahr  im  Ganzen 


sich  beeinträchtigt  glaubt,  den  Leidenschaften  und  swl^ 
von  recht  gewöhnlicher  Art  noch  in  fieberhafte  Rda* 
barkeit  versetzen  können,  kurz,  er  mag  ein  trefflicher 
Fürstendiener,  ein  feiner  Staatsmann  sein,  grofsartige 
eder  gar  edle  Elemente  treten  uns  in  ihm  nicht  entge- 
gen.'' (p*  55)  Man  n^ufs  es  dieser,  wie  allen  fcrfgen» 
den  Darstellungen  der  Charaktere  lassen,  dafs  sie  siok 
von  dem  Fehler  des  Idealisirens'  wenigstens  völlig  firri> 
gehalten  und  die  Wahrheit  darum  nicht  eingebfifst  hap 
ben,  weil  sie  in  den  Aether  einer  überirdischen  Bmpfin- 


I  • 

LfttiiXj  Mie^  GoetAes  Torfuaie  Ti$$i6. 


230 


inng  T^srfl&ditigt  worden  sind.  lo  der  That  tnfir^te 
ihnen;  atiek^  nach  des.  Hnit  Verfs«  VorstellnDg  Vom 
Gaosen,  jene  wahre  Idealität  entsogen  werdeo,  welche 
wir  darein  eefxen^  jafs  die  Charaktere  iH  ihrer  konkre« 
ten  Lebendigkeit  angleich  ebe  wesentliche  Seite  des 
Lebens  abspiegeln.  Wenigstens  ist  nns  immer  grade 
darin  der  Zauber  deftGoethischen  Tasso  erschienen) 
dals  wir  hier  mit  Gattnngscharakieren  der  dorcbgebiU 
detsten  Art  verkehren  ^  deren  jeder  eine  wesentliche 
Lebensrichtnog  abbildet  tmd  denen*  der  Dichter  doch 
ttgleidiy  was  das  Schwierigste,  aber  auch  der  eigent« 
liehe  Prüfstein  höchster  poetischer  Gestaltongsfahigkei.t 
ist,  die  grdfste  individnelle  Lebendigkeit  geliehen  hat. 
Antonios  Auffassung  setzt  sich  natürlich  in  der 
Bentnng  der  einzelnen  Züge  dieses  Charakters  fort, 
welche  sieh  alle  darin  fugcAi  i^iüssen«  Folgen  wir  dem 
Hrn.  Verf.  darin  nach.  Zunächst  begreift  Hr.  Lewitz 
nicht  recht,  wie  Antonio  in  der  ersten  Scene  zu  dem 
hohen,  vielsagenden,  an  direkte  Beleidigung  nahe  an- 
«tseif enden  Ten  gegen  den  Dichter  kommt,  der  ihn 
niohts  weniger  wie  verletzt  hat.  „Wie  ziemt  es  dem 
Tollendeten  Staatsmann,  der  Selbstbeherrschung  als 
die  erste  aller  Eigenschaften  besitzen  mufs,  hier,  ohne 
sichtbare  Veranlassung  so  heftig,  so  auffallend,,  ja  ich 
möchte  sagen,  so  täppisch  auf  einen  Mann  loszufah- 
ren, den  ItaDen  schon  damak  verehrtet'*  Die  Laune 
mls  Gmnd  clafur  anzunehmen,  scheint  auth  dem  Hrn« 
Yerf.  zn  unpoetisch,  er  verweist  uns  til8#  nur  auf  den 
freilich  wenig  Aufschlufs  bietenden  Gedanlcen:  „Man 
wergesse  ja  nicht,  wir  befinden  uns  hier  auf  dem  glat- 
ten Boden  eines  Hofes;"  eine  Reflexion,  welche  dem 
Hnu  Verf.  gewifs  selbst  die  Haltung  des  Antonio  nicht 
erklftrt,  wie  er  denn  auch  im  Folgenden  zu  der  zuerst 
Ausgesprochenen  Unbegreiflichkeit  stillschweigend  zu- 
rückgekehrt ist,  indem  wir  über  sein  erstes  Auftreten 
weiter  nichts,  vornehmen«  Die  Ehrlichkeit,  mit  der  der 
Hc*  Vwf.  hier  an  seiner  Auffassung  des  Antonio,  als 
eines  höfischen  Ffirstendieners  selbst  Anstofs  nimmt, 
^hfttte  wohl  für  ihn  die  Folge  haben  sollen,  zunächst 
an  aeiner  ganzen  Auflassung  dieses  Charakters  zu  zvei- 
-felii  nnd  die  Seltsamkeit  in  der  dichterischen  Darstel- 
Iniig'  des  erstens  Erscheinens  Antonios  auf  einen  An-» 
genblick  als  eine  Folge, seiner  seltsamto  Auffassung 
tu  denken.  Es  ist  dies  eine  von  den  Stellen,  in  wel- 
chen sich  das  Unzulängliche  und  Schiefe  einer  aus  fal- 
schen Prämissen  abgeleiteten  Meinung  recht  klar  her- 


ausstellt. Versuchen  wir  den  Gedanken,  der  dem  er^ 
sten  Erscheinen  des  Antonio  zum  Grunde  liegt,  mit 
Wenigem  anzudeuten. 

.  Antonio  kündigt  sich  sogleich  als  der  Manu  Hen 
Staats,  als  der  Vertreter  des  praktischen 'Geistes  an,  . 
dessen  höchste  Verwirklichung  der  Staat  ist.  AUed 
hat  ihm  nur  ViTerth  und  Geltung,  insofern  es  dieses 
sittliche  Ganze  fördert  und  zu  seinem  Gedeihen  heim- 
trägt. Je  uümittelbarer,  je  sichtbarer  dieses  Eingrei«^ 
fen  ist,  je  direkter  eine  Thätigkeit  zur  Erhaltung  des 
Gebäudes  mitwirkt,  desto  anerkennenswerther  ist  sie 
ihm,  desto  mehr  Anspruch  hat  sie  auf  den  Lohn  der 
Mitwelt  und  des  Fürsten,  in  dem  der  Staat  gleichsam 
persönlich  geworden  ist.^  Diesen  Maafsstab  der  direk* 
ten  Förderung  des  Staatszweckes  überall  anlegend, 
tritt  Antonio  zugleich  in  den  Gegensatz  mit  jeder  an- 
dern als  Selbstzweck  auftretenden  Thätigkeit.  Indem 
ihm  alle  Kunst  ubd  Wissenschaft  nur ,  als  ein  integri** 
rendes  Moment  im  Staatsleben  erscheint,  von  ihm  nur 
als  dem  Staate  dienend  anerkannt  vird,-  so  gilt  ihm 
auch  die  Stellung,  welche  die  rein  -  ideale»  Thätigkeit 
künstlerischen  Schaffens  einnimmt,  im  Veirgleich  mit 
der  unmittelbar  in  ^das  Getriebe  des  praktischeU  Gei- 
stes eingreifenden,  als  eine  untergeor^pete.  Der  hoch-  • 
ste  Lohn  darf  daher  auch  nur  dem  Staatsmanne  aufbe^- 
halben  bleiben,  ihn  mit  dem  Künstler  theilep,  heifst 
ihm  die  Belohnung  vergeuden  und  den  wohlverdienten 
Mann  herabsetzen.  Dies  ist  das  Pathos  des  Antonio^ 
das  er,  eben  weil  «ss  in  seiner  ganzen  Schärfe  und  faerb^ 
sten  Einseitigkeit  von  ihm  vertreten  wird,  sogleich  in . 
verletzender  Weise  geg^n  denjenigeVi  äufsem  mufs, 
dem  in  seinen  Augen  eine  Ueberschätzung  von  denje^ 
nigen  zu  Theil  wird,'  welche-  zu  lehnen  berufen  sind, 
und  welche  die  höchste  Anerkennung  nur  dem'  Staats- 
mann, nach  vollbrachter  mühseliger  Arbeit,  zum  Wohle 
des  Ganzen,  zollen  sollten.  Die  verletzende  Bitterkeit 
Antonios  *  ist  der  natürlichste  Ausdruck  eines  Pathos^  - 
das  ihn  grade  in  einem  Momente,  wo  er  sich  des  gan<> 
zen  Vollgehalts  seiner  .Thätigkeit  bewufst  geworden, 
beherrscht.  Zur  Entfaltung  dieses  Pathos  konnte  kein» 
Situation  künstlerischer,  gedacht  werden,  als  die  \er^ 
hällnisse,.  unter  denen  Antonio  unis  zuerst  erscheint» 
Der  Vertreter  des  praktischen  Geistes  konnte  nicht 
schlagender  gezeichnet,  die  Werkstatt  dieser  Leben- 
digkeit nicht  besser  enthüllt  werden.  Sein  Pathos  ist 
aber  auch  Antonios  Einseitigkeit,   die  ihn  auch,  in  die- 


•  l 


23r 


LimitXy  übei^  Obethst  Torftutto  Tmtsä. 


332 


« 

Schuld  hineinreiffit*  Diese  entfaltet  ddb  das  Zusain« 
inenstofsen  mit  Tasso  im  zweiten  Akt,  m  velcbem 
sich  nur  das  im  ersten  Akt  schon  ausgesprochene  Be- 
wufstseia  fortsetzt  und  dem  Vertreter  der  entgegenge- 
setzten-Richtung  gegenüberbis  zur  schneidendsten  Ver» 
letzung  desselben' entwickelt.  Die  Schuld  des  seiner 
selbst  und  der  Verhältnisse  stets  bewufsten  Geistes 
beruh't  aber  darin,  den  in  einer  selbstgeschaffenen  Welt 
lebenden  Dichter,  der  an  die  Dinge  und  Menschen  nur 
denMaafsstab  seiner  Phantasie  anlegt,  auf  die  gewähl- 
teste Weise  bis  zu  einem  völligen  Verkennen  aller 
Schranken  der  Wirklichkeit  und  der  objektiven  Ver- 
bäiltnidse  fortgerissen,  ihn  gleichsam  bis  zum  Hohne 
gegen  das  Gesetz  sollicitirt  zu  haben.  Dies  ist  aber 
auch  die  Genugtbuung  des  Antonio  dem  Gegner  die 
Kluft  zwischen  seiner  geträumten  und  der  wirklrchon 
Welt  geöffnet,  und  die  harte  JBufse  für  die  Entfrem- 
dung von  der  letzteren  aufgezwungen  zu  haben.  Der 
besonnene,  die  Dinge,  wie  die  Menschen  klar  anschau- 
ende  Geist  Antonios  kehrt  .auch  damit  in  sich  zurück 
und  erkennt  sich  durch  das  mahnende  Wort  des  Für- 
sten als  denjenigen,  welcher  yon  seiner  praktrschea 
Ueberjogenheit.einen  unmäfsigen  Gebrauch  gemacht  und 
sich  selbst  in  der  .Einseitigkeit  seines  Pathos  verirrt 
habe.  Dafs  sich  der  besonnenste  Mann  selbst  als  sol- 
chen erfährt  und  in  dem  milden  Ausdruck  seines  fürst- 
lichen Freundes  dessen  inne  wird,  ist  seine  Bufse,  die 
er  in  den  Schlufs werten  des  zweiten  Akts,  eben  so 
eindrfnglich,  als  einfach  ausspricht: 

f,Gar  leicht  gehör dU  in««  einem  gnien  Herrn,    . 
Der  überzeugt^  indem  er  uns  gebietet»" 

Hr.  Lewitz  sucht,  seinem  einmal  aufgefafsten  Bilde 
treu,  darin  nichts  als  eine  hdfische  Wendung,  die  An- 
tonie nur  auf  das  Zureden  des  Fürsten  brauche  (p.  61), 
wie  er  in  der  gmizeu  Scene  nur  die  unedle  Benutzung 
der  Uebereihmg  Tasso»  erkennt,  um  einen  Staatsstreich 
zu  spielen  und  ihm,  „um  es  in  baarer  Prosa  auszu- 
drucken, ein  Bein  zu  stellen.**  Nach  Hm.  Lewitz  be- 
wegt dann  freilich  den  Antonio,*  den  er  eine  kleine 
Seele  nennt  (p*  64),  nui*  der  Unmuth,  ,Tasso  im  Besitze . 
der  Hofgbnst  za  sehn,  die  ihm  allein  gebühre.  Nach 
dem  HrQ«  Verf.  treibt  allein  das  kleinlichste  Intriguen- 
sptel  den  Antodo,  dessen  Bildung  sogar,  nateh  Hm. 


Lewitz  eigenem  Ausdrack^  (p.  73).,, nur  ein  Aooideu 
ist,  das  als  Vehikel  selbsfsüchtiger  RcguogeD  gemif» 
braucht,  dem  genaueren  Blicke  nur  desto  deutlicher 
das  verzerrte  Bild  des  Egobmus  enthüUf*  Von  'dtm 
Bubstanzielli^n  Elemente,  das  den  Antonio  belebt,  vai 
seine  Stärke,  wie  seine  Schwäche  aiismacbt,  bat  Hr. 
Lewitz  keine  Ahnung.  Deshalb  verkehrt  sich  ihm  aack 
der  tiefere  Sinn  der  wichtigstea  Momente,  wovon  wir 
so  eben  eiQ  auffallendes  Beispid  gesebn,  oder  ea  g^ 
ihm,  indem  er  das  einmal  gefafste  Bild  festhalten  iriD, 
der  Charakter  in  Trivialitäten  zu  Grunde.  Denn  mir 
also  können  wir  die  Reflexion  unsere  Yerfs.  bezeich- 
nen, wonach  er  die  nach  dem  zweiten  Akt  folgendea 
Schritte'  des  Antonio,  die  niobt  die  geringste  Feindse- 
ligkeit gegen  Tasso  athmen,  d'adnrch ,  erklärt^  dnfs  er 
sich  und  Tassos  Kräfte  in  dem  Kampfe  gemesson,  wai 
dabei  gefunden  habe,  dafs  der  Dichter  ihm  weiter  nicht 
gefährlich  sein  könne ;  (p.,  65)  dessea  Entfemnng  er 
aber  doch  später  begünstige,  weil  er  sich  so  dieeci 
unbequeAien  Persönlichkeit  auf  die  beftte  Weise  cntb* 
digen  könne,  (p.  69)  Dem  Antonio  gilt  nach  den 
Hrn.  Verf.  nur  sein  persönlicher  Zweck,  die  Bildnag 
hat  nur  Werth  för  ihn^  insofern  sie  ihm  und  eetaea 
Zwecken  nutzt  Doch  welches  sind  diese  Zwecke! 
Aus  dem  Vt^treter  des  Staats ,  dem  Manne ,  der  sick 
als  Organ  des  praktischen  Geistes  erfafst  nnd  di« 
Dinge,  wie  die  Menschen  allein  von  diesem  Standpunkte 
aus  ^nifst,  itft  ein  intriguanter  Höfling  geworden,  den 
es  allein  nm  seine  Stellung  bei^Hofe  zu  thnn  ist«  In 
der  gänzlichen  Verkennung  seiner  subs&nziellen  Be- 
deutung, hat  er  daher  fiir  Hrn.  Lewitz  aueh  in^deri 
Architektonik  des  Dramas  keinen  anderen  Zweck^  ds 
die  Handlung  zum  Fortschreiten,  die  Ereignisse  in  die 
aothwendige  Gährung  gebracht  zu  haben,  (p.  66)  Da 
dies  mit  'dem.  Schlafs  des  zweiten  -Akts  geschehe»  ss 
ist  also  auch  seine  eigentliche  Rolle  zu  Ende.  Was 
aber  mit  der  Schluissceue  des  ganzen. Schauspiels  nM- 
eben  ?  Ur«  Lewitz  fühlt  wohl,  dab  sie  wnih  seinem  ^b> 
fonio  nicht  wohl  einfägen  ki^nne.  Die  tröstspu^eelicn^ 
den  Worte  zn  Tasso  sieht  er  sich  freilich  genfithigt 
als  aufrichtig  und  wahr  zu  nehmen.  Aber  der  entweih 
fisnen  Charakterzeichnimg  därfen  sie  mich 
dersprecheff.  * 


(Die  Fortsetzsng  folgt) 


Ja  h  r  b  ü  c  h  e  r 

Xu  r  , 

wissen  s  c  h  a  f  t  liehe    K  r  it  ik 


August  1839. 


Vthtr  Goethet  Torquato  Tauo.    Von  Dr.  Frie- 
drich Lewitx. 

V 

m  ■  ■ 

(Fortsetzung.) 

Hr.  Lewits  hilft  sich  daher  mit-derfleflexioD)  dafs' 
klug  Bein  darom  noch  nicht  heifst  schlecht  sein«    „El- 
Wkem  gedehmiitfaigteii  Feinde  mit  Schadenfreude  entge- 
^entreten^  das  vermag  nur  ein  gemeinfer,  ein  niedrig 
denkender  Menaeh«    Das  Berechnende  der  Gesinnung, 
iias  sich  Steifen  auf  den  eignen  Vortbeil,«  schliefst  bes-^ 
■ere  Gefühle  unter  'Umständen  keineswegs  aus/'    Man 
sieht»  SU  welchem  Mifiiverständttifs  ein^einmal  gefafstes 
irrige«  Bild  eines  Charakters  führen  kann,  eine  Kqu- 
aeqaens,'  die  sich  namentlich  an  derjenigen  Scene  her- 
Torthon  mufste,  in  welcher  sich  das  Substanzielle  des 
Antonio  ganz  rein  heraushebt,  und  die  Ver85hnung  der 
Gegensätze  vermittelt    Hier  reichte  kein  Zug  der  islei- 
nen,  intriguanten  Seele  zur  Erklärung  aus,  weil  Anto- 
nio hier,  entkleidet  jeder  Gegnerschaft',  dem  aus  allen 
Himmeln  in  den  Abgrund  eigner  Verirrungen  Gestofse- 
nen«   zwar  die  unwandelbaren  Gesetze  der  wirklichen 
"Welt  stillschweigäid  entgegenhält,  aber  zugleich  dem 
tief  Verwundeten   als  ein  milder,   heilender  Arzt  zur 
.  Seite  steht,  um   ihn  zu  der  freien  Anerkennung  der 
objektiven  Mächte  der  Wirklichkeit  zu  bewegen  uufl 
ihm  dadurch   den  Grimm    gegen   ihre  Schranken,  zu 
nehmen.    Ueber  Tasso  ist  grade  dadurch  das  entsetz- 
lichste Verhängnifs  hereingebrochen,  dafs  er  eine  Macht 
in  ihrer  furchtbarsten  Stärke  an  sich  selbst  erfahren 
nafs.  der  er  sich  vollkommen  entnommen  wähnte^   In 
diesem  widerwilligen  Beugen  unter  diese  Macht  liegt 
MW  tragisdies  Geschrck,   was  auch  Rahel  an  einer 
4Btelle  in  origineller  Weise  also  bezeichnet  i  „Ganz  sei- 
ner innersten  Natur  zuwider  mufs  Tasso  sich  am  Ende 
m  X  den  halten,    der  ihm  das  Abscheulichste   ist )   im 
Kampfe  mif   der   Seligkeit  seines  Herzens  überwun- 
den, sie  fahren  lassen  und  endliöh  nm  das  Vemünf» 

2akrk\  /.  wu%€mck.  Kritik.  J.  1839.  II»  Bd. 


tige  zn  ergreifen  die  Seele  nach  der  unnatürlichsten 
Lage  hinrenken.^' 

.    So  wenig  wir  uns  mit  der  ganzen  Fassung  des 
Antonio  befreunden  konnten,,  weil  sie  ihm  grade' sein 
wahrhaftes  Leben  abtödtet  und  ihn  zuletzt  sogar  als 
Aushülfe  zu  einem  zwischen  einer  nichtswürdigen  und 
edlen  Natur  schwebenden  moralischen  juste-milieu-Mann 
macht,  so  wenig  hat  uns  die  Erörterung  zugesagt,  wo- 
durch der  Hr.  Verf.  Herders  Persönlichkeit  in  ihrem' 
Terhältnisse  zu  Goethe,  als  ganz  besonders  einflufs- 
reich  auf  die  Entstehung  des  Antonio  in  des  Dichters 
Phantasie,  darstellt.    Wenn  der  Hr.  Vf.  die  von  ihm 
meh^als    fmgeführten   Worte    Goethes:     „Er   habe 
schon  zu  viel  Eigenes  in  seinen  Tasso  gelegt,"  auch 
hierbei  citlrt,  so  scheint  er  uns  das  Eigene  in  viel  zu 
beschränktem  und  particulärem  Sinne  genonunen  zu 
haben,  während  es  doch  nur  die  grofsen  Erlebnisse 
und   Kämpfe    der  Dichtematur    mit    der    objektiven 
Welt  und  ihren  Verhältnissen  bezeichnet    Wir  zwei- 
feln sehr,  ob  die  über  Herders  V,erhältnifif  zu  Goethe 
citirten  Ställen  viele  Leser  von  irgend  einer  Verwandt- 
schaft des  Antonio  und  Herdes  überzeugen  möchten. 
Nicht'  viel  besser  als  dem  Antonio  .ist  es  in  der 
Auffassung  des  Hrn.  Vfs.  detti  Fürsten  Alphons  ergan- 
gen. Hier  mischen  sich  wahre  itnd  falsche  Züge  durch- 
einander, aber,  da  auch  die  wahren  nicht  rein  Jierv,or- 
treten,   so.  haben  sie  auch  die  Pbysionotnie  des  Für-" 
sten  vor  einer  Entstellung  nicht  schützen  können.    Al- 
phons Zusammenhang,    heifst  es  p.  92,  mit  den  übri- 
gen Personen  ist  sehr  locker,,  gleichwohl  ist  er  für  die 
Handlung  des  Stücks  so  unentbehrlidi,^daf8  o\^ne  sein 
Eingreifen  dieselbe  zerfallen,    öder   mindestens  einen 
ganz  andern  Gang  nehmen^  müfste.    Schon  hier  mufs 
die  bei  unserm  Verf.  mehrmals 'wiederkehrende  Bemer- 
kung auffallen,   dafs  ihm   die   dramatischen  .Figoren 
immer  nur  fiir  die  Handlung  wichtig  sind,  als  ob  die 
Handlung  selbst  ein  letzter  Zwecl^  sei,  und  die  lodivi* 

-  30 


235 


MJeteitXf  Hier  Ooithea  Torqußto  Tatto- 


23( 


/  • 


duen  nur  dazu  dienten^  ihr  eine  bestimmte  RichtUDg 
zu  geben.  Alpbons  Bedeutang  soll  also  nur  darauf 
xbenihen,  dafs  ohne  ihn  die  Handlung  hätte  einea  an- 
detn  Gang  nehmen  müssen.  Es  drängt  sich  dabei  die 
natürliche  Frs^e  auf,,  ob  und  varum  denn  die  Hand- 
lung selbst  diesen  Gang  habe  nehmen  müssen,  und 
'wer  ihr  denn  das  Recht  zuerkenne,  ^ie  eine  in  Be- 
uregüng  gesetzte  ])(Iaschine  die  Individuen  für  sich,  wie 
mechanische  Kräfte,  zu  verwenden?  Eiq  nicht  durch 
sich  selbst,  d/  h.  durch  die  Organisation  des  Indivi* 
duums  an  und  üir^sich  und  die  Organisation  des-  Gan- 
zen, d,.h..  duilch  die  gestaltende  Idee  nothwendiger  und 
gerechtfertigter  Zug  scheidet  sich .  als  ein  unorgani- 
sches Element  aus  dem  Kunstwerke  aus.  Die  Hand- 
• 

lung  kann  schon  aus  dem  einfachen  Grunde  nicht  die 
Gestaltung  der  Individualitäten  bedingen,  weil  sie  selbst 
nur  ^in  Moment  der  konkreten  Idee  ist»  Am  wenig-> 
sten  wird  also  ein  verfehlter .  Zug  aus  der  Handlung 
jemals  gerechtfertigt  werden  dürfen,  w^eil  diese  durch- 
.  aus  nichts  Selbstständiges  ist,  also  auch  kein  Recht 
bat,  die  Individuen  für  sich  zu  verwenden.  Lenken 
wir  wieder  auf  den  Alphons  ein. 


fb ,  welche  den  Fürsten  bei  seiner  « HandlnoggvetN 
leiten,  nur  äufserliche,  persdnliche,^  nur  selbstsüchtipr 
Art  seien.  Aber  es  ist  eine  Selbstsucht  der  grofssio- 
nigsten  Art,  von'  dem  Gedanken  durchdrungen  se!^ 
„dafs  die  Macht  den  eignen  Yortheil  Dur  dann  beft^ 
dert,  indem  sie  das  Gedeihen  der  Beherrschten  begiii' 
stigt."  Denn  da,  denkVich,  hebt  sich  die  Selbstssckt 
auf,  indem  sidi  der  Mensch  in  dem  Gedeihen  desGas^ 
zen  geniefst  und  darin  seine  Befriedigung  findet.  Der 
Hr.  Verf.  hat  übrigens  .bei  .d^  Daratellung  des  il- 
phpns  eine  richtige  Bemerkung  gemacht:  „Er  isttov 
dem  Dichter  mit  Absicht  ohne  bestinamten  individuel- 
len Charakter  gezeichnet,  ja  er  durfte  keine  durchgrei- 
fenden Eigenschaften  des  Geistes  oder  des  Herzen 
haben,  wenn  nicht  die  ganze  Handlung  ei^e  andere 
werden  sollte,  und  diese  Nothwendigkeit  ist  wohl  eine 
der  schwächsten  Seiten  des  Stücks,  was  dessen  Aa- 
lage  und  Architektonik  betrifft."  Anstatt  von  dta  e^ 
öten'ganz  richtigen  Beobachtung  aus  die  richtige  Fahrte 
zum  Ziele  zu  verfolgen,  irrt  der  Hr.  Verf.  nicht  oor 
Toliständig  ab,  sondern  es  verleitet  Um  auch  diese  fo 
m^rkung,  weil  er  sie  nicht  dem  Ganzen  einzuordnei 


Dem  Hm.  Vf.^  ist  Alphons  eine  Personification  der  ^  vermag,  zu  einem  kleinmeisternden  Tadel  des  Koost' 


Macht,  wie  sie  in  einem  Stück  dieser  Art  und  Ten- 
denz  nicht  fehlen  durfte.  Um  seine  Gunst  bewerben 
sich  Alle,  weil  er  über  Alle  zu  herrschen  die  Macht 
hat.  Von  ihm  konnte  daher  allein  die  Verurtheilung 
Tusso*»  ausgehen,  denn  er  allein  habe  die  Gewalt  und 
die  Gründe  dazu  (p.^  93).  Wenn  Alpbons  durch  kein 
innereis  Band,,  sei  es  der  Neigung  oder  der  Abneigung, 
weder  mit  Tasso,  noch  mit  Antonio  zusammenhänge,- 
so 'begünstige  er.  auch  ja  dem  Dichter  nicht  die  Per- 
son, ja  nicht  einmal  die  Dichtkunst,  sonderp  schütze 
-vielmehr  das- Talent^  das<  ihn  verherrlichen  solle.  „Die 
Macht,  sagt  Hr.  Lewitz  p.  97^.  was  könnte  sie  weiter 
Ton  der  Dichtkunst  verlangen,  als  gestützt,  gepriesen 


Werks,  eine  leidige  Konsequenz  aus  dem  auch  hier 
wieder  auftauchenden  Irrthum,  die  yon  Hm«  Lewiti 
Torgestellte  Handlung  als  das  Ziel  des  Ganzen  zu  be* 
zeichnen,  von  der  die  Gestaltung  der  einzelneo  fa- 
sonen  das.  äufserliche  Gesetz  empfange. 

Aber  allerdings  ist  Alphons  weniger,,  als  alle  ubri* 
gen  Figuren,  mit  individuellen  Zügen  ausgestattet,  oder 
vielmehr  er  vertritt,  und  dies  ist  der  absolute  Gcttod 
dafür^  kein  bestinuntes,  ihn  völlig  durchdringendss  Pa- 
thos. Er  schwebt  Tielmehr,  •  als  die  alle  Gegensätse 
einigende  und  in  sich  vermittelnde  Einheit,  über  isf 
sich  unter  seinen  Augen  entfaltenden  Handlung.  Se 
gewinnt  Alphons  gleichsam  eine  dem  aütiken  Gbonif 


und  verherrlicht  zu  werden.'^    So  macht  es  denn,  von  *   fast  ähnliche  Gestalt .  und  erscheint  als   der  -  geistige 


diesein  Standpunkte  ans,  derHr.Vf«  dem  Fürsten  zum 
Vorwurf,  in  dem  Streite  zwischen  Antonio  und  Tasso 
so  rasch  entschieden  zu  haben,  was  wieder  in  dem 
•ben  beleuchteten  Sinne  dadurch  entschuldigt  wird^ 
dilfs  die  Handlung  sonst  mindestens  aufgehalten  wor- 
den wärcf  deshalb  mufste  denn  auch  Alphona  charak- 
Wlos  gezeichnet  wjerden.  Diese  Grundzüge  vor  JLu- 
gen  darf  es  uns  daher  nicht  wundem,  als  ein  Enduf>- 
theil  vMi  Hm.  Lewitz  zu  vernehmen,,  dafs  die  Moti- 


Rahmen,  der  dem  ganzen  Gemälde  erst  dio.inneieib- 
geschlossenfaeit  giebt.  Von  ihm  beschützt,,  dürfen  wir 
behaupten,,  gedeihen  Antonio  wie  Tasso^  er  i^iirdigt 
ihr  Verdienst,  hält  jede  der  beiden  Richtungen  hoeh 
und  strebt  unablässig,  ihnen  die  gegenseitige  Anerksi^ 
nung  abzugewinnen.  Dabei  fällt .  also  natürlioh  hi 
Alphons  jßdes  scharfe- Verfolgea  ^iner  einseitigen  Ri<A' 
tung»  und  also  zugleich,  die  schasf  ausgeprägte  Ei^ 
schiedenheit  des  Charakters,,  als  Ausdionck  einei^  aoi- 


238 


«cAliebeoden  Willensrichtnng,  fort  Deshalb  ist  aber 
Alphons  im  gewöhnlichen  Sinne  weder  charakterlos, 
noch  weniger ^selbst8üchtig.  Er  ist  das  erstöre  nur  in 
«ofem,  als  ihm  die  Einseitigkeit  eines  bestiniimt^  Fa^ 
tho8  abgeht,  unter  seinen  Fittigen  grade  alle'  Lebens« 
nchtnngen  gedeihen,  nnd  er  die  ausschliefsende  Gel- 
tung einer  einzigen  dnrch  die  gleiche  Anerkennung  dör 
^Dtgegengesetzten  mildert.  In  diesem  Sinne  straft  er, 
das  Gesetz  handhabend,  den  Dichter,  der  die  Schran- 
ken Terletzt,  aber  sein  schönes  Gemüth  dämpft  durch 
die  persAnliche  Milde,  mit  der  es  die  Strafe  über  ihn 
verhängt^  die  Strenge  des  Urtheils,  wühfend  er  dem 
Antonio  zugleich  den  klaren  Spiegel  seiner  Schuld  mit 
sanftem  Ernste  TOrhält.  So  wird  uns  das  Bild  einer 
Tormgsweiiete  liebenswärdigen,  beschwichtigenden  Per- 
Bönlichkeit,  in  deren  Strahlen  sich  Alle  sonnen,  und 
welche  darum  so  wohlthuend  wirkt,  weil  in  ihr  selbst 
die  Barten  des  Lebens  z^  zarten  Umgränzungen  ge- 
worden^  welche,  eben  so  bewufstyoU  als  leidenschafts- 
los, einem  antiken  Chore  gleich,  nur,  der  Natur  der 
Sache  nach,  persönlicher,  über  dea  sich  entfaltenden 
Gegensätzen  waltet.  '  Aber  da*  Pathos  derselben  geht 
seinen  ruhigoa  Gang  fort  nnd  yermag  auch  nicht  durch 
das  Erscheinen  des  Fürttten  in  seiner  Eatwickelung 
gebannt  zu  werden*  Alphons  weist  nur  von  Hause 
ans  Tersdhuend  auf  dio  objektive  Versöhnung  der  idea- 
len nnd  realen  Welt  hin.  Mit  feineip  Sinne  hat  ihn 
daher  der  Dichter  auch  zum  Fürsten,  also  dem  Re- 
präsentanten des  Staatsgeistes  gemacht,  unter  dessen 
Aagen  alle  Lebensbewegungen  gedeihen  und  der  einer 
jeden  von  ihnen  die  ihr  eigenthümliche  Stellung  anzur 
weisen  ventiag.  Daher  ist  er  gleichweit  entfernt  von 
einer  .Richtung,  die  Alles  nur  auf  die  unmittelbare, 
nichste  Förderung  des  Staatszwecks  Jbezieht  und  da- 
nach würdigt,  wie  von  einer  sich  der  Wirklichkeit  ent- 
fremdenden, die  sie  in  -selbstgeschaifenen  Gebilden 
verkennt.  Nnr  so  vermögen  wir  die  Worte  zu  deuten^ 
welche  er  Akt  5  Auftritt  1  zu  Antonio  spricht:. 

„Nicht  AUei  dienet  vn$  auf  gleiche  Weite, 
Wer  Vielee  brauchen  wiü,' gebrauche  Jede§^ 
In  eeiner  Art,,  $o  Ut  er  wohl  beäietiL" 

Yen  diesem.  'Standpunkte  aus  ergab  sieh  daher  sowohl 
die  Nothwendigkeitv  ihn  nicht  mit  einzelnen  hervorste- 
chenden, alsoanssefaiiersend  herrschenden  Eigenschaft 
ten  des  Geistes  und  Herzens  auszustatten^  denn  dies 
hätte  grade  jene  so  liebenswürdige  Harmonie,  aller 


Kräfte  des  Gemüths  und  des  Geistes  gestört,  als  sieh 
darin  zugleich  ein  wesentlicher  Vorzug  für  di^  Orga- 
nisation des  Ganzen  beurkundete,  das  in  Alphons  erst 
seinen  geistigen  Scblufsstein  gewinnt. 

Während  sich  dem  Hrn.  Vf«  Antonio,-  der  Fürst 
und  die  Gräfin  Leonore  nur  als  Egoisten  der  gewöhn«- 
liebsten  Art  darstellen,  die,  jeder  in  seiner  Weise,  ^un» 
edler  Selbstsucht  Löhnen,,  deren  Seele  von.  dem  Roste 
des  gemeinen  Lebens  angefressen  ist,  so  tritt  ihm  da- 
gegen in  der  Prinzessin  und  Tasso  eine  höhere  Ge^ 
sinnung  entgegen,  der  das  Leben  nicht  blos  um  seiner 
glänzenden  Zierratben,  um  seines  augenfälligen  Scbmuk* 
kes  willen  Werth  hat,  sondern  die  in  ihrem  Innersten 
immer  strömende  Quelle  trägt,  aus  der  alle  Freuden 
-und  .alle  Schmerzen,   und  darum  oft  doppelt  quälend 
emporsteigen."     Freilich  fliefst  dem  Hrn.  Verf.,  nach 
der  für  die  Tendenz  des  Ganzen  von  ihm  ausgegebe- 
nen Vorstellung,  der  Quell  nicht  rein  und  ungetrübt 
und  hat  aus  seinen  Umgebungen  manche  unlautere  Be- 
standtheile  in  sich  au%enommen^    Demnach  hat  aifch 
die  Prinzessin  moralischer  Zurechtweisung  nicht  eni- 
gehn  können.    j^Die  Hofluft,  für  welche  die  Natur  sie. 
nicht  bestimmte^  hat  auch  diese  hohe  Seele  angeweht 
und  mit  ihrem  Hauche  das  edle  Bild  nur  empfindlich 
verletzt  und  getrübt.**   Wie  jEIr.  Lewitz  in  dem  ersten 
Gespräche  der  Fürstin  mit  Leonoren   eine  kleinliche 
List  sieht,  die  Gesinnung  der  Freundin  gegen  Tasso 
zn  erforscheo,   so   macht  er  derselben  den  Vorwurf^ 
absichtlich  den   Sturm  in  Tasso*s   Seele   erregt  und 
äurch  eine  wohlberecbnete'  Weq^ung  zum    Ausbruch 
gebracht  au  haben.     Nach  der  Vorstellung^. die  sich 
der  Hr.  Vf..  zur  Rettung  seiner  Auffassung  des  Gan- 
zen von  der  Prinzessin  gebildet  hat,  darf  es  uns  nicht 
wundem,  den  Ausbruch   der  Empfindung  Tasso's  in 
der  herrltdien  Unterredung  mit  der  Prinzessin  im  zwei- 
ten Akt  als  einen  nicht  auf  dem  Wege*  der  Natur  er- 
folgten, sondern  mit  voller  Absicht  von  Seiten  der  Ffliw 
stin  herbeigeführten  bezeichnfet  zu  finden.    Es  soll  der 
Ausdruck,  dafs  sie  das  Geheimnifs  seines  Caedes  zn 
verstehen  glaube,  der  Ruhe,  dem  stillen  Gleichmuth* 
des  Benehmens  der  Fürstin  entschieden  widerstreben  ^ 
f&%  hätte  de»  Dichters  Seele  hinlänglich  kennen  mü»- 
sen,  um  .die  Wirkung  einer  solchen  Aeufserung  auf 
sein   sturmbewegtes  Innere  zu  berechnen.    Diese  Be- 
rechnung wirft  dann  natürlich  einen  dunklen  Sohattea 
auS  den.  Charakter  der  Prin^essin,^  „der  uns  verletzt^, 


239 


Mer  GoethtB  Torquato  ■Ttt*$o. 


240 


f  m 


weil ,  er  uns  plötzlich  dem  Kreise  entreirst^  innerhalb 
dessen  wir    eiil  edles  weibliches    Wesen  sich  bewe* 
gen  sehn  wollen^  der  uns  empfindlich  stdrt,  weil  wir 
nach  der. Haltung  und  dem  Charakter  der  Fürstin  im 
Stück   selbst  einer  solchen  Schwäche  nicht  gewärtig 
waren.".   Bei   der  Deutung  der  Absicht  durften   wir 
auf  den  Vorwurf  der  Selbstsucht  gefafst  sein«    In  der 
That  soll  sie  durch  diese  kleinliche  Tendenz  ihres  Be» 
nehmens  nu/  beabsichtigt  haben,  den  Freund  zur  Ei» 
nigung  mit  Antonio  zu  bewegen,  um  seine  Entfernung 
vom  Hofe  zu  Terhindem;    Wovor  will  sie  den  Freund 
bewahren,  fragt  Hr.  Lewitz  (p.  134).    „Vor  dem  Ver- 
etofs  gegen  die  konventionellen  Formen  des  Lebens, 
höchstens  vor  dem  Verlust  der  Fürstengunst.     Und 
was  will  sie  fihr  ihn  gewipnenf    Er  mufste  sich  vom 
Hofe  entfjßrnen,  wenn  er  sich  mit  Antonio  nicht  eini- 
gen kan'n.    Das  ist  vorauszusehn»    Allein  verliert  die 
wahre  Liebe   wesentlich  durch    eine  Entfernung,   die 
mifserdem  am  Ende  doch  bedingt  war  durch  die  nicht 
auszufüllende*  Kluft  beider'  Charaktek'e,  wie  durch  die 
von  der  Natur  selbst  gegebene  Differenz  des  Dichter- 
geistes  mit  dem  Hofleben  !*'*    So  sehn  wir  uns  denn, 
nach  dem  Hrn.  Verf.,  wieder  auf  eine  Hofaktion  vor- 
wiesen,  die  uns  statt  der  Offenbarung  eines  liebenden 
Herzens  geboten  werde  (p.  130).    Weil  isich.der  Herr 
Vf.  nun  freilieb'  selbst  an  dieser  Auffassung  das  Mifs- 
verbältüifs  mit  der   ganzen  Erscheinung  der  Fürstin 
nicht  verhehlen  kann,  so  bleibt  der  Vorwurf  dieser.  Cha- 
ra&terzeichnung  auf  der  Tendenz  des  Ganzen  haften; 
dieser  Mangel   wird    zu  einem  Fluche  des  Stoffs  ge^ 
macht,  der  sich  an  der -SchöpfuAg  selbst  rächt,  (p.  135) 
Wir  können  nicht  utnhin,   dies  ganze  von  uns  darge- 
legte Räsonneiqent  unsere  Verfs«  als  die  seltsamste 
.Klügelei  zu  bezeichnen,  die  zuletzt '  mit  dem  wunder- 
lichsten Tadel  gegen  den  Dichter  endet,  daCs  sich  hier 
der  Fluch  des  Stoffes  räche,  wodurch  derselbe  wieder 
als  eine  Alles  bezwingende  Macht  bezeichnet  wird,  der 
4as  Herrlichste  in  das  Unnatürlichste  verkeljire.    Soll 
aber  mit  dem  Stoffe,  wie  es  fast  scheint,  die  Idee  des 
Ganzen  bezeichnet  sein,  so  erscheint  uns  doch  dieje- 
nige Tendenz  gewifs  als  eine  höchst  unpoetische,  wel- 
che alle^  auch  die  edelsten  Natui^en  mit  dem  Schmutze 
des  Lebens  befleckt  und  die  reinsten  Züge  des  acht 
Menschlichen  zur    Grimasse  verzerrt.    Dafs  auch  die 
Prinzessin  selbst   einer  solchen  Auffassung   sich  hat 


ünterwiöden  müssen,  gilt  uns  als  der  schlagendste  Be- 
weis für  die  Zähigkeit,  mit  der  Hr.  Lewitz  an  aeiiier 
einmal  gefafsten  Idee  festgehalten. 

\yas  uns  von  jeher  der  Gestalt  der  Fürstin  die- 
sen einzigen  Zauber  verliehen,'  ist  grade  jene  stille 
Grdfse  eines  tiefen  Gemüths,  das  die  intensivste  Nei> 
gung  zu  dem  Dichter  in  sich  verschliefst  und  sieb 
durch  die  glühende  Gewalt  des  Herzens  so  wejt  hin- 
durchgearbeitet hat,  dafs  diese  nur  noch  wie  ein  mit 
der  Strahl  das  Ganze  erleuchtet  und  erwärmt,  dar  mir 
auf  Augenblicke  noch  bisweilen  den  ganzen  Schacht 
des  Innern  erhellt.  Wir  erblicken  nicht  mehr  die  hd- 
fscn  Strahlen,  welche  einät  diese  Natur  getroffen,  son- 
dern nur  die  milden  Früchte,  welche  dieses  Ringen 
gezeitigt  hat.  Wir  vernehmen  zugleich  jen^i  unsicht- 
baren Geist,  der  uns  unablässig  zuflüstert,  wieviel  sie 
gelitten,  ehe  sie  sich  der  Macht  der  Verhältnisse  Vit- 
lig  ergeben,  ehe  sie  der  ehernen  Wirklichkeit  ihr 
'Recht  zugestanden,  wie  ihr  aber  auch  dadurch  eine 
gewisse  Seligkeit  des  Schmerzes,  aus  der  Tiefe  he^ 
Torgebrochen  sei,  die  jede  eitle  Klage  über  die  Klofli 
welche  sie  für  immer  von  dem  Dichter  getrennt,  voV 
lig  verbannt  hat.  Dafs  sie  jenes  Wort  gesprochen, 
das  der  Hr.  Vf.  der  Fürstin  als  eine  absichtliche  Thst 
einer  kleinlichen  Hofintrigue  auslegt,  ist  grade  eili  uii- 
endlichr  tiefer  Zug  des  Dichters.  In  diesem  Worts 
bekennt  sie  jene  herzengewinifende  Macht  des  Dich- 
ters, der  ihr  völlig  persönircb  geworden,  mit  leisen  Td- 
nen.  Dadurch  hat  uns  der  Schöpfer  dieses  Charak- 
ters einen  Blick  in  dies  zartbesaitete  Innere  vergönnt, 
das  erst  nach  langer  Berührung  bis  zu  dem  auch  ans 
vernehmlichen  Laute  der  süfsen  Empfindung  verloekt 
worden  ist.  In  dem  Gefühle  des  Kampfes,  den  sie  ge- 
rungen, uud  in  der  Versöhnung  mit  der  Sitte,  die  sie 
ganz  beherrscht,  fordert  sie  von  dem  geliebten  Freooda 
die  Mäfsigung  und  das  Entbehren.  Aus  diesem  am 
dem  Erzittern  ihrer  Seele  sich  immer  wiederherstellee- 
den  Gleichgewicht  ist  endlich  das  Entsetzen,  welohss 
die  Fürstin  ergreift,  erklärlich,  als  Tasso  in  wilder 
sich  selbst  völlig  vergessender  Itühofhejt  alle  Schran- 
ken nberbraust  und  gewaltsam  das  Getöude,  welches 
der  Geist  der  Wirklichkeit  errichtet,  einzureifsen  wer- 
sucht,  sich  fand  das  Gemüth  der  Fürstin  m  dem  Sta«be 
bedeckend,  den  er  aus  dem  rasenden  Angriff  auf  das- 
selbe rings  aufgewirbelt. 


(Der  Bescbluis  *  folgt) 


'  J^  31. 

J  a  h  r  b  u  c  h  e  r 

für 

wissenschaftliche    Kritik. 


j.    •' 


August  1839- 


lieber  Goethes  Torquato  Tmmo.     Von  Dr.  Frie- 
drich Letaitz. 

(Sehlufr.) 

Nachdem  nnsemi  Hrn.  Verf.  keine  der  bisher  be- 
sprocheneu  Figuren  für  das  menschliche  und  sittliche 
Interesse  Befriedigung  gewährt,  so  bleibt  auch  für  den 
Tasso  selbst  venig  Hoffnung,   denn  „auch  seine  edle 
SimieBart  ist  durch  die  Terworreoen  Verhältnisse  des 
Hcrfes  getrübt.'*    Der  Hr.  Verf.  erkennt  allerdings  zu- 
nflchst  die  wachsende  Haltnngslosigkeit  des  Dichters 
ED,  gesteht  ferner  zu,  dals  hier  ein  edles  Gemöth  nicht 
durdh   wirkliches"  Unglück,   sondern   durch    die   eigne 
Verkehrtheit,  dureh  die  krankhaften  Einbildungen  sei- 
iier.  Terdnsterfen  Seel^  zerstört  werde,  aber  er  schei- 
tert zugleich  an  dem  Bekenntntfs,  dafs  in  dem  weiteren 
Verlaufe  der  Darstellung  der  Charakter  Tassos  eine 
vnervartete  und  in  .seiner  ersten  Erscheinung  nicht 
vobl  begründete  Wendung  nehme.    Daher  ergiefst  sich 
4er  Hr.  Verf.  auch  nur  in  Klagen,  dafs  Tasso  zu  ei- 
ner'^ unmännlichen  Schwäche  der  Gesinnung  und  des 
•  ^Willens  herabsinke  und  bürdet  dies  wieder  dem  Stoffe 
und  der  Handlung  aiif,  indem  er  es  wohl  als  ein  noth- ' 
Wendiges  Motiv  zur  Losung  des   Ganzen  betrachtet, 
aber  zugleich   als  einen  Mangel  in   der  Anlage   der 
Handlung,  wodurch   dieselbe  den  «Charakter  einer  ge- 
wissen Zufälligkeit  erhalte,  bezeichnet  (p.  148).    Dafs 
er  aber  gar  die  geschichtliche  Wahrheit  d.  h.  die  tra- 
töionell  gewordenen  Züge  des  Charakters  als  ein  Mo- 
tiv der  Gestaltopg  unsere  Tusso  ansieht,  dünkt  uns 
eine  Ansicht,  welche  billig  der  Hr.  Verf.  als  eine  aller 
wahren  Knnstbetracbtung  ganz  äufserliche  längst  hätte 
aafgeben  sollen.    Aber  freilich  rächt  sich  darin  nur 
üe  AnschttDung,   welche  Situationen  und  Churakter- 
aige  von  dem  Stoffe  und  der  Handlong.abhängig  macht. 
la  Tasso,  wie  bei  allen  anderen  Figuren,  mit  Ausnah- 
'me  des  sehr  offen  daliegenden  Charakters  der  Gräfin 
Jahrh,  /.  m$$enuk.  Kritik.   J.  1839.   II.  Bd. 


Leonore,  haben  wir  unsem  Verf.  immer  theils  init  dem 
Ausdruck  der  Unbegreiflichkeit,  theils  mit  einem  aus 
dem  ersteren  freilich  folgenden  Vorwurf  für  den  Stoff 
und  die  Handlung  enden  sehn.  Weil  die  Tiefe  des 
Gegensatzes,  welche  unser  Kunstwerk  enthüllt,  dem 
Hm.  Verf.  verborgen  geblieben  ist,  mutste  sich  auch 
die  Person  des  Dichters  in  ihrer  wachsenden  Verstim- 
mung dem  Verständnifs  entziehn.  Tasso  hörte  aller- 
dings, wie  Hr.  Lewitz  bemerkt)  nur  auf  die  Stimme 
seines  Innern  und  gräbt  sich  in  eine  selbstgemachte 
Welt  so  völlig  hinein,  dafs  ihm  mit  jedem  Schritt  die 
wirkliche  Welt  unter  semen  Füfsen  versinkt,  imd  er 
sich  zuletzt  in  der  ganzen,  entsetzlichen  Einsamkeit 
semes  ^ewufstseins  dieser  Wirklichkeit  gegenüber  er- 
kennt, an  deren  ehernen  Gewalt  er  gescheitert  ist. 
Dm  dieses  Pathos  war  es  aber  grade  zu  thnn,  wie 
beim  Antonio  um  die  Darstellung  des  praktischen  Gei- 
stes in  seiner  ganzen  Schärfe  und  Consequenz.  So 
treten  in  den  beiden  Charakteren  zwei  Welten  in  den 
Kampf.  Der  einseitige  Idealismus  Tasso's  zerschellt 
an  der  Kraft  der  nicht  umzubiegenden  objektiven  Welt^ 
während  seine  Substanz,  die  frei  gestaltende  dichter!* 
jiche  Phantasie  sich  erhält,  um  den  tiefgebeugten  Geist 
durch  das  lebendige  Dichterwort  wieder  zu  versöh- 
nen, während  uns  die  Gestalt  des  Antonio^  an  dem 
sich  Tasso  aufrichtet,  die  Bürgschaft  fiir  die  objektive 
Versöhnung  beider  Seiten  des  Lebens  bietet  und  die 
Aussicht  auf  einen  tief  in  der  Brust  des  Dichters  zu 
erarbeitenden  Sieg  über  den  einseitigen  Idealismus  er- 
öffnet. Von  dieser  Andeutung  der  absoluten  Tendenz 
des  Ganzen  aus,  können  wir  zuletzt  noch  den  von  dem 
Hm.  Verf.  als  die  Seele  des  Kunstwerks  ausgesproche- 
nen Gedanken,  aus  dem  alle  seine  Verirrungen  über 
die  Charaktere  hervo|gegangen  sind,  bezeichnen. 

Hr.  Lewitz  bekämpft,  ehe  er  äeine  eigne  Ansicht 
vorträgt,  zwei  Auffassungen  unsers  Kunstwerks,'  wel- 
che wir  freilich  auch  nicht  billigen  wollen.    Nach  der 

31 


243 


LewÜXy  Mer  OoetAei  Taryttaie  Tas$o. 


%U 


eratereo  sei  des  Dichters  Absicht  gewesen^  den  Kaanpf 
eines  edlen  weiblichen  Herzens  mit  sich  selbst  und  sei- 
ner Liebe  nnd  den  ihr  entgegenstehenden  Verh&Itnw- 
isen  SU  schildern  (p.  161).  Wir  wollen  nns  nicht  in 
die  mannigfachen  Bemerkungen,  welche  der  Hr.  Verf. 
bei  dieser  Gelegenheit  üb^r  das  nicht  Tragische  ein^s 
solchen  Schicksals  macht,  einlassen,  obwohl  wir  Viel 
dagegen  zu  erinnern  hätten,  sondern  uns  mit'  der  von 
Hrn.  Lewitz  aasgesprochenen  Reflexion  begnügen,  dars, 
wllre  dies  die  Tendenz  des  Dramas,  dann  die  Prinzes- 
sin als  Hauptfigur  herFortreten  und  die  Entwickelung 
ihres  ferneren  Lebens  im  Drama  selbst  zu  einem  be- 
stimmten Ziele  gelangen  mufste  (p.  162). 

Die  zweite  Ton  dem  Hm.  Verf.  aufgeführte  An- 
weht setzt  das  Wesen  unsers  Werks  in  die  Dar- 
stellung des  Dichter-  und  Hoflebens,  ein  Gegensatz,  der 
von  Hrn.  Lewitz  auf  den  Kampf  des  Idealen  nnd  des 
gemeinen  nur  auf  den  Genufs  hingebenden  Realismus 
zurfk^Lgeföhrt  wird.  Auch  wir  weisen  diesen  Gedan- 
ken entschieden  ab,  aber  freilich  aus  ganz  andern  Grün- 
den, als  der  Hr.  Verfasser.  Derselbe  verwirft  ihn,  weil 
weder  Tasso,  noch  die  Fürstin  rein  das  Leben  im  Gei- 
ste darstellen,  weil  der  Erstere  nicht  in  freier  edler 
Männlichkeit  den  Hofkünsten  entgegenarbeite,  sondern 
ihnen,  auf  eine  ungeschickte  Weise  trotzend,  erliege, 
auch  die  Schlufsscene  nicht  zu  erklären  sei,  die  Fürstin 
aber,  -auch  in  die  gewöhnlidien  Künste  des  Hoflebens 
verstrickt,  eine  Natur  sei,  welche  sich,  so  gut  als  es 
gebn  wolle,  mit  der  Welt  abzufinden  suche  (p.  167). 
Wir  dagegen  erklärm  uns  gegen  diesen  Gedanken, 
weil  uns  ein  solcher  Kampf  kein  wahrhaft  in  sich  be- 
rechtigter ist  und  darum  auch  kein  tragisches  Moment 
darbietet.  Dafs  der  Mensch  in  seinem  edelsten  Leben 
und  Wirken  doch  endlich  der  gemeinen  Wirklichkeit 
erliege,  ist  überhaupt  eine  eben  so  trostlose,  als  ge- 
meine Vorstellung.  Die  Wirklichkeit^  welche  hier  nur 
in  dem  rohen  Sinne  gefafst  wird,  dafs  sie  den  irdischen 
Genufs  allein  bezwecke  und  denjenigen,  welche  ihren 
Sinn  auf  sie  riditen,  nur  dep  hohlen  wesenlosen  Schein 
biete,  trikgt  in  sich  selbst  so  sehr  den  Stempel  der 
Nichtigkeit,  4afs  die  Schilderung  dieses  Gegensatzes 
eine  platte  und  unpoetische  Aufgabe  wäre,  welche  schon 
darum  ein  wahrer  Dichter  sich  nicht  setzen  kann,  weil 
er  im  Untergange  des  Siibjekts  nur  die  trostloseste 


Siege  desselben  aber  immer  noch  k^ine  erbebende  Idee 
offenbart  hätte. 

Nach  so  gespannter  Erwartung  giebt  uns  endfioh 
der  Hr.  Verf.  seine  eigne  Aufl^assung  des  Ganzen^  we^ 
che  er  dabin  ansspricbt  (p.  170):  „Es  IM  nämlicU  w»> 
der  der  Konflikt  des  Dichter-  und  Hoflebens,  nooh  der 
Widerspruch  der  idealen  und  realistischen  Geistearid^ 
tung,  iOftdem  vielmehr  einzig  und  allein  dae  Hoße- 
Sen  in  seinem  ganzen  Umfange  und  in  seinem  HeJ^ 
sten  IVesen^  was  uns  d^  Dichter  schildern  witt^ 
und  dessen  Darstellung  die  teahre  im  Drama  ge- 
loste  AufgaSe  bildet.  Diese  Absicht  durchdringt  das 
ganze  Stück  und  veranlafst  und  beherrscht  seine  Eü»- 
zelnheiten;  von  diesem  Gesichtspunkte  aus  erkiärea 
sich  seine  Unvolikommenheiten,  wie  seine^  VorKuga 
Auf  diesem  Gebiete  allein  ist  das  Eigne  zu  suehen,  das 
der  Dichter  in  seinen  Tasso  niedergelegt  hat,  und  vea 
diesem  Standpunkte  aus  ist  denn  auch  die  genetische 
Entwickelung  des  Stücks  in  Goethes  Seele  auf  «ne 
richtige  und  naturliche  Art  nachzuweisen."  Der  Ht. 
Verf.  fuhrt  nun  weiter  aus,  wie  der  Dichter  selbst  im 
Kleinliche  und  Nichtige  dieser  Zustände  erfahren  und 
dadurch  in  sich  zurückgedrängt  worden  sei,  bis  er  ead- 
lich  sich  in  Italien  von  allen  beengenden  und  qn&Ies- 
den  Gefühlen  erlei<5htert  habe.  Demnach  ist  Hm«  Lewiti 
der  Torquato  Tasso  „ein  wirkUehes  Hofstück,  4as  em 
lebendiges  Bild  giebt  aller  geheimen  und  bekaDotsn 
Triebfedern,  durch  welche  jene  künstlichen,  gewaltsam 
-Terschränkten  Lebensverhältnisse  in  Bewegung  gesetit 
werdefa,  und  der  Charaktere,  wie  sie  unter  diesem  Um- 
ständen sich  entwickeln  kennen  und  müssen.  ]>aker 
ist  in  allen  Personen  und  in  allen  einzelnen  Zogen  Sk- 
rer  Handlungsweise  die  Schwäche,  die  Halbbeity.  ja 
selbst  jdie  Unsittlichkeit  der  Gesinnung  auf  ganz  glsi- 
che  Weise  verhüllt  und  überkleidet  durch  Ueadendcii 
Schmuck  der  Rede,  durch  zierlich  und  glatt  ins  Ohr 
sich  einschmeichelnde  Worte.'*  So  sehr  sich  auek  der 
Hr.  Verf.,  wie  wir  bereits  gesehn,  abgemüht  hat,  die 
Charaktere  und  Situationen  von  dieser  Hofluft  anga- 
weht  zu  zeigen,^  so  haben  sich  doch  gewisse  Ersehci- 
nungen  hartnäckig  geweigert,  sich  in  diese  Atmosphlfe 
bannen  zu  lassen«  VomämUch  biklet  Tasse's  Verstim- 
mung, die  gänzliche  Verdüstemng  seines  sonst  klareo 
Gemüths  einensolchen Zustand,  an  dem  auch  alle  Vm^ 


•Misere  der  menschlichen  Natur  dargestellt,  bei  dem     suche>  ihn  als  eine  durch  die  Sonne  des  Hefes  genni» 


SMS 


Lewitx^  iA§r  GoeiAes  T^rfuato  Tusso» 


%iS 


€%tB  Fracht  ämmstellen^  sohMterii.  D«  aber  dem  Hrii* 
Verf.  seine  Ansicht  die  Würde  eines  Dogma  erhal- 
ten,  dem  sieh  aaeh  ^ie  Vernuaft  des  Dichters  beugen 
nufs,  so  bleibt  ihm  ifnr  der  einzige  Ausweg  dieses 
tuglitokliche  Bewufstsein  Tasso's  als  eine  UnvoUlLom- 
menheit  des  'Werks  in  beieichnen.  Indem  es  sich  nicht 
iil  das  oredo  des  Hm.  Verfs.  einordnen  läfst,  mufs  es 
flieh  gefallen  lassen  als  eine  httretische  Ansicht  aus 
dem  geschlossenen  System  berausgewiesen  su  werden« 
MattrUdi  mub  grade  das  ganze  Pathos  des  Tasso 
aelbst  in'  seiner  sich  immer  mehr  und  mehr  in  seine 
eigne  Welt  einhausenden  Tbfttigkeit,  worin  er  die  Yer* 
hftMntBse,  wie  die  Menschen  gleich  sehr  Tcrkennt»  das 
▼on  Hrn.  L.  gesponnene  Nets^  der  Hefintrigue  gewaltsam 
serreiÜBen  und  es  als  unzulänglich  für  diese'  Natur  dar- 
^dion«  Gleichwohl  hat  weder  dies  Mifsverhältnifs  noch 
so  Tieie  Toa  uns  berührte  gewaltsame  Deutungen  die 
Wirkmig  ausgettbt,  den  Hrn.  Verf.  an  seiner  Auffa»- 
sang  des  Ganzen  zweifeln  zu  machen.  Das  Uopoeti- 
sohe  dieser  Idee,  das  Werk  des  Dichters  zu  einem 
Hofstück  zu  degradiren,  bat  denn  auch  seinen  Einflufs 
dahin  ausüben  müssen,  die  Charaktere  alle  im  Lichte 
mos  nur  auf  die  Selbstsucht  gerichteten,  unedlem 
Zwecke  (röhneoden  Lebens  erscheinen  zu  lassen. 

Wir  haben  bei  der  Kritik  der  einzelnen  Charak- 
tere bereits  anf  den  wesentlichen  durch  und  durch  poe« 
tisohen  Gehalt  des  Ganzen  hingewiesen,  einen  Gehalt, 
durch  dessen  Darstellang  auch  die  eiszeleen  Indivi- 
dnini)  wie  ihre  Zustände  eben  so  gerechtfertigt,  als 
dieliteriseh  erseheinen.  Indem  bei  der  oben  beröhrten 
«wetten  Ansicht  über  die  Tendenz  des  Ganzen  der  Ge- 
gensatz des  Idealen  und  des  Realismus  berührt  wurde, 
hatte  es  sich  der  Hr.  Verf.  unmöglich  gemacht,  die 
Wahrheit  des  Inhalts  zu  erfassen,  weil  ihm  der  Rea- 
lismns  nur  in  der  Gestalt  der  gemeinen,  mithin  nichti- 
gen und  prosaisehen  Wirklichkeit  erscheint.  Da  war 
es  freilich  unmöglich  den  Kampf  der  freien  Phantasie 
mit  der  Wirklichkeit  als  die  Seele  des  Kunstwerks 
so  begreifen,  und  darin  zugleich  die  Versobnang  beider 
Elemente  zu  erbKekenj  ein  Gehalt,  der  so  sehr  das 
innerste  Leben  Croethes  und  seiner  Schdpfiingen  bil- 
det, dafs  man  ihn  tMtk  unaUässig  um  diese  Hineinbil- 
dnng  des  Sulijekts  in  die  oBJektiye  Welt  und  ihre  Le- 
benskreise bewegen  sieht*  Aussprüche,  welche  Antonio 
dem  Tusso  gegenüber  thut,  wie  etwa:  „Inwendig  lernt 
kein  Menteh  sein  Innerstes   erkennen**  und :    „Es  ist 


wohl  angenehm,  sich  mit  sich  selbst  beschäftigen,  wenn- 
es  nur  so  nützlich  wäre,'*  dri^cken  so  sehr  die^immer  wie- 
derkehrende Polemik  iinsers  Dichters  gegen  alle  sich 
von  der  Welt  ablösende  und  sich  auf  die  Beschäfti- 
gung mit  sich  selbst  beschränkende  Thätigkeit  aus, 
dafs  wir  ihn,  sowohl  in  seinen  Kunstwerken,  als  in, 
einzelnen  zerstreuten  Aussprüchen,  immer  von  der  Notb- 
wendigkeit  erfüllt  sehn,  sich  aus  seiner  Innerlichkeit 
heraas,  2Um  ernsten  Eingebn  in  die  vernünftige  Wirk- 
lichkeit zu  entschliersen«  Beruht  doch  auch  der  Wil- 
helm Meister  im  tiefsten  Grunde  auf  dieser  Bewegung, 
worin'  das  Individuum  seinen  einseitigen  Idealismus  auf- 
giebt  und  abarbeitet,  um  den  Sinn  für  das  Reale  und 
für  das  freie  Eingebn  in  die  objektiven  Verhältnisse 
zu  gewinnen.  Dieser  tiefste  Gegensatz  mnfste  sich 
natürlich  auch  in  der  Brust  unsers  Dichters  durchkäm- 
pfen, und  dies  ist  das  Eigenste^  wie  das  Allgemeinste 
zugleich,  worin  auch  unser  Tasso  wurzelt.  Das  Ei- 
genste ist  es,  insofern  er  das  tiefste  Erlebnifs  des  In- 
nern Goetbes  selbst  darstellt,  indem  er  sich  selbst,- zur 
Versöhnung  mit  der  vernünftigen,  in  sieh  berechtigten 
Wirklichkeit  bmdurchringt,  ohne  seine  Idealität  einzn- 
büfsen,  und  doch  ist  er  auch  wieder  das  AJIgtaieinste^ 
indem  er  zugleich  den  gewaltigsten  Kampf  unserer  mo- 
dernen Welt  überhaupt  yersinnlicht.  Wie  wir  Wil- 
helm Heister  an  der  Hand  Nataliens  entlassen,  mit  der 
Sicherheit,  dafs  er  sich  denjenigen  Sinn  für  das  Reale 
gewonnen  habe,  der  ihn  von  dem  unstäten  Treiben  ei- 
nes subjektiven  Idealismus  befreit  und  vor  jedem  Rück- 
fall in  denselben  gesichert  hat,  ohne  dafs  derselbe  den 
Kern  dieses  Idealismus  eiagebüfst,  so  sehn .  wir  dem 
schmerzbewegten  Dichter,  selbst  mitten  in  seinen  er- 
schütternden Klagen,  doch  mit  dem  Tröste  nach,  den 
uns  die  Ueberzeugung  bietet,  dafs  er  sidli  vermittelst 
seiner  idealen  Kraft,  der  unversiegbaren- Stärke  seiner 
dichterischen  Natur  >  mit  der  Wirklichkeit,  die  ihn  so 
herbe  verletzt  hat,  versöhnen  und  sich  frei  machen 
werde  von  dem  Drucke,  den  sie  bisjetzt  auf  ihn  aus- 
übte. Dadurch  ist  von  Tasso,  wie  von  Goethe,  der  sein 
eigenstes  Wesen  darin  zur  Anschauung  gebracht,  eine 
neue  Stufe  der  Entwickhing  erstiegen  und  in  dieseni 
Sinne  unser  Kunstwerk  auch  als  eine  der  schönsten 
Früchte  des  Aufenthalts  in  Italien  zu  preisen,*  der  ihn 
Ja  in  so  vielen  Beziehnng^i  von  früheren  Schwäclien  und 
Ebseitigkeiten  befreit  hat.   '       H.  Th.Roetscber. 


247 


D.  SchuUy  das  Wesen  und  Treiben  der  Berliner  eißang.  KireAenxeitung. ' 


XIV. 


218 

ratioDBlistisohen  Aogriffe  nicht  -  unterliegen  kann:  ae 
geht  nun  Ref.  ohne  Scheu  an  die  Anzeige  der  TOrlie- 
genden  Schrift,  und  das  Interesse,  um  desseot willen  er 
sie  unternimmt,  liegt  für  ihn  eintig  und  allein  in  dtr 
Untersttchang,  viie  das  feindliche  Zusammentreffen  im 
supranaturalistischen  und  der  rationalistischen  Seite 
für  beide  entscheidet. 

Freilich  ist  es  nicht  nur  der  Kampf  des  Suprana- 
turalismus  gegen  seinen  theologischen  Widersacher, 
was  die  evangelische  Kirchenzeitung  als  ihre  höchste 
Aufgabe  betraohtef,  um  das  Theologische,  sofetm  ei 
sich  auf  das  reine  Wissen  bezieht,  ist  es  ihr  nicht  u 
thun,  sondern  wie  es  der  berühmte  Theologe  ausdrück- 
te, der  sich  zuerst  von  ihr  lossagte,  „auf  ein  prai' 
^McA-christliches  Interesse  ist  sie  zunächst  berechdiet»" 
Dadurch,  dafs  sie  in  der  Polemik  wider  ibren  Gege» 
satz  darin,  schon  genug  gethan  zu  haben  glaubt,  wem 
Ehren  zu  begrürsen,  so  möchte  dieser  Umstand,  allein '  sie  ihn  nur  beschreibt,   ihn  an  seinen  Merkmalen  — 


Das  Wesen  und  Treiben  der  Berliner  erange- 
lischen  Kirchenzeitung  beleuchtet  von  David 
.    Schult.    Breslau  1839,  bei  Hirt.    1?9  S. 

I  X 

V 

Ref.  bekam  vorliegende  Schrift;  in  die  Hand,  als 
auch  seine  gegen  die  Theologie  dies  Hrn.  Dr.  Heng- 
stenberg  gerichteten  Bogen  im  Drucke  fertig  und  zur 
Ausgabe  unter  das  Publikum  vollendet  waren.  Wenn 
ein  anerkannter  und  in  einem  dreifslgjährigen  Dienste 
l^ewährter  Veteran,  wie  Hr.  Dr.  Schulz,  und  ein  Jün- 
gerer, der  noch  in  der  ersten  Dienstzeit  steht,  im  An- 
griffe auf  eine  feindliche  Stellung  unerwartet  zusam- 
mentreffen, so  scheint  es  d^m  letzteren  nicht  zu  ge- 
ziemen, dafs  er  die  Taktik  und  den  Erfolg  des  älteren 
Feldherrn  benrtheile.  Thut  er  es  dennoch,  statt  den 
unverhofften  Bundesgenossen  mit  allen  kriegerischen 


schon  verdächtig  scheinen  und  das  unangenehme  Licht 
einer  rivalen  Gesinnung  auf  ihn  fallen  lassen.    Besser 

^  wäre  es  daher  wohl,  stillschweigend  das  unpartheiische 
Urtheirdes  Publikums  abzuwarten,  als  zur  Meinung 
Anlafs  zu  geben»  dafs  man  demselben  voreilig  vorgrei- 
fen wolle.  Und  wie  oft  ist  dann  nicht  auch  ein  Feld- 
zug'goscheitert,  wenn  diejenigen,  die  sogar  nur  zufäl- 
lig in  demselben  Augenblick  ihn  unternehmen,  statt 
um  so  fester  zusammenzuhalten,  auch  nur  den  gering- 
sten Scheid  von  Uneinigkeit  sehen  lassen. 

Von  solchen  und  ähnlichen  Bedenken  müfste  Ref. 
sich  allerdings  bestimmen  lassen,  wenn  es  einerseits 

.  Pflicht  wäre,  immer  den  üblen  Schein  zu  meiden,  und 
dann,  wenn  es  darum  zu  thun  wäre,  dafs '  der  Gegner 
in  jedem  Falle  und  "^um  jeden  Preis  gestürzt  werde. 
Da  aber  Ref.  jenen  Schein  der  Rivalität  in  diesem 
Falle  gar  nicht  zu  fiirchten  braucht,  weil  seinem  An- 
griffe ein  schlechthin  verschiedener  Qperationsplan  zu 
Grunde  lie^t,  -^  da  es  ihm,  wi^  jeder  auf  den  ersten 
Anblick  sehen  wird,  unmöglich  darum  so  dringend  zu 
thun  sein  kann,  auf  den  Unterschied  der  vorliegenden 
und  seiner  Schrift  hinzuweisen  —  da  eine  Unterneh- 
mung deshalb  nicht  glücklicher  wird,  wenn  zufällig;  zu 
ihr  zusammenkommende  für  einen  Augenblick  ihre  Dif- 
ferenz vergessen  —  da  der  Gegner  in  jedem  Falle  gar 
nicht  zu  unterliegen  braucht  und  sogar  als  der  ent- 
schiedenste Vorkämpfer   des  Supranatiiralismus   dem 


und  das  sind  imuier  nur  äufsere  —  kenntlich  macht 
und  nun  blos  die  Laien  vor  ihm  warnt,  und  die  welt- 
liche Obrigkeit  gegen  ihn  in  Beii^egung  zu  actsea 
sucht,  dadurch  hat  sie  sich  gegen  den  Rationalisnras, 
dem  es  doch  um  die  reine  Kritik  des  bisherigen  Giaur 
bensinhalts.  zu  thua.  ist,  in  Nachtheil  .gebracht.  Ihre 
Polemik  erscheint  dadurch  oft;  als  absichtlich  bereoh- 
net,  und  sie  giebt  ihrem  Gegner,  wenn  er  sich  daxn 
versteht,  sie  anzunehmen,  eine  füi  sie  selbst  gefährli- 
che Waffe  in  die  Hand.  So  kann  es  Hr.  Dr.  'Scholz 
mit  Recht  als  absichtliche  Berechnung  bezeichnen,  wenn 
die  Kirchenzeitung  im  Maiheft  des  vorigen  Jahi^anges 
„die  jüngsten  Schriften  des  Consistorialraths  und  ProC 
Dr.  David  Schulz"  zur  Anzeige  bringt,  ,und  unter  die* 
sen  „jüngsten"  Schriften  als  die  bedeutendste  fin  Werk 
aufzählen  mufs,  das  bereits  im  Jahre  1834  in  zweiter 
Auflage  erschienen  war.  Setzt  sich  aber  dadurch  die 
praktische  Tendenz  des  Supranaturalismus  in  Naeh- 
theil  gegen  ihren  Widersacher,  so  wird  derselbe  wie- 
der aufgewogen,  indem  sich  der  Gegner  in  denselhea 
Nachtheil  bringen  lüfst,  und  die  Waffen  benutzt,  die 
sie  ihm  darbietet.  Und  er  mufs  sie  sogar  annehoieii) 
da  der  Rationalismus  dui^ch  seine  negirende  Kritik 
keinen  wesentlichen  Gehalt  gewinnt,  in  dem  er  sich 
mit  vollkommner  Ruhe  bewegen  könnte  oder  den  er 
nur  zu  entwickeln  brauchte,  um  durch  diese  Eatwick: 
lung  allein  jeden  Angriff  zurückzuweisen. 


(Die  Fortsetzung  folgt.) 


Ja  h  r  h 

f  ü 


32- 

fi  c  h  e  r 


wissenschaftliche    Kritik. 


August  1839. 


Htfft  Weun  und  Treiben  der  Berliner  et^angeU- 
sehen  Kirckenzeäung^  beleuchtet  roit  David 
Schulz. 

(Fortsetzung.) 

Klagt  die  Kirchenzeitung  vor  der  Obrigkeit  ihren  Geg- 
ner a%  80  verliert  dieser  die  Geduld,  er  gewinnt  in  sich 
«elbBt  Hiebt  die  nötbige  Fassung,  und  so  'ist  schon  das 
Scbaa^piel  eingetreten,  dars  der  vor  der  Regierung  ange- 
klagte   Gegner  des  Supranatoralisuius  an  diese  auch 
aich  if endet  und  sie  zur  Hülfe  anruft.    Nun  kann  er 
aigeiitlieb  nicht  mehr,  die  praktische  Tendenz  der  Kir- 
chenzeitung schelten,    denn  statt  ihr  gegenüber  sich 
tein  in  der  Theorie  zu  halten,  wird  er  selber  prßA- 
UJeA^  klagt  er  vor  der  weltlichen  Obrigkeit,  dafs  ihm 
keine  Ruhe  gelassen  verde,  als  ob  er  sie  als  Wissen 
weht  in  sich  selbst  so  nnerschütterlich  hegen  müfste, 
dafis  kein  Angriff  sie  stören  könnte.    Und  so  uiufs  er 
von  der  Staatsregierun^^  hören,  dafs  er  eben  so  fehle 
wie  «ein  Gegensatz,  wenn  er  sie  zur  Entscheidung  ei- 
nea   tkeplogischen  Streites  aufrief.     Erweckt    es  die 
kSeliste   Bewunderung    gegen   den  Standpunkt    eines 
Staates  and  dl«;  Weisheit  seines  Oberhauptes,  wenn 
TOB  ihm  die   entscheidende  Einwirkung  auf  die  Ver- 
sduedenh^it  dogmatischer  Systeme  in  der  Theologie 
abgeldmt  wird,  wie  tief,  mofs  man  dann  sagen,  steht 
raie  Parthei,  die  wider  einen  theologischen  Gegensatz 
die  Hülfe  der  Obrigkeit  anruft,  die  nicht  aufhört,  die 
gtaalaregiening  zu  beschwören,  dafs  sie  in  Betreff  der 
dogoiatischen  Theorie  ebschreite«    Hier  aber  ist  nicht 
der  Thett  allein  schuldig,  der  von  seiner  Seite  zuerst 
den  Staat,  dessen  geistige  Macht  in  der  Erhabenheit 
fiber  den  Gegensätzen  besteht,  in  den  Zwiespalt  der 
Theorie  hineinzieht,  sondern  apch  der  Theil  gerüth  in 
dieselbe  Schuld,  der  angegriffen  und  provocirt  zu  seir 
nem  Schutze  sidi  anf  d^e  Weisheit  der  Staatsregie^ 
rang  beruft. 

Jükrh.  f.  winenuk,  Kriäk.  J.  1830..  II.  fid. 


Handelte  es  sich  um  die  rein  geschichtliche  Auf- 
gabe, die  Haltung  der  evangelische;i  Kirchenzeitung 
darzustellen,  so  müfste  allerdings  die  Beziehung,  die 
sie  sich  von  Anfang  an  zur  Obrigkeit,  obwohl  ohne 
Erfolg,  zu  verschaffen  gesucht  hat,  einer  Kritik  unter- 
worfen werden.  So  könnte  es  Jauch,'  wie  Herr  Dr. 
Schulz  in  vorliegender  Scbrift  öfter  thut,  als  revolu- 
tionär bezeichnet  werden,  wenn  die  Kirchenzeitung  es 
als  ein  „schreiendes  Unrecht"  bezeichnet,^  dafs  die  Re- 
gierung rationalistische.  Professoren  in  evang:ell8ch- 
theologischen  Facnltäten  anstelle,  wenn  sie  dies  Un- 
recht zum  öffentlichen  Bewufstsein  bringen  will.  Die 
geschichtliche  Darstellung,  würde  aus  dieser  Haltung 
der  Kirchenzeitung  nicht  einen  Stoff  der  Anklage 
oder  des  Verwurfee  ziehen,  sondern  sie  aus  der  inne^ 
ren  Natur  dieser  Richtung  erklären  und  zwar  daraus 
erklären,  dafs  der  Supranaturalismns  durch  seine  Ohn- 
macht, weil  er  seinen  Gegensatz  nicht  innerlich  über- 
winden konnte,  endlich  zu  dem  Versuch  getrieben  wer- 
den mufste,  ihn  durch  äufserliohe  Gewalt  zu  unter- 
drücken. 

Eine  solche  geschichtliche  Darstellung  müfste 
man  erwarten,  wenn  Hr.  Dr.  Schulz  „das  Wesen  und 
Treiben  der  evang.  Kirchenzeitung*'  beleuchten  will. 
Und  wirklich  bedarf  es,  damit  die  Darstellung  mög- 
lich sei,  nicht  noch  einer  längeren  Zeit,  da  die  we* 
sentliche  Tendenz  jener  Zeitung  als  fertig  bereits  der 
Vergangenheit  angehört, 'und  ihre  gegenwärtigen  Ver- 
suche, sich  durchzusetzen,  nur  die  ermüdende  Wieder- 
holung desselben  für  die  geistige  Welt  erfolglosen 
und  längst  abgeschlossenen  Schauspieles  sind.  Als 
rein  historische- Aufgabe  kann  aber  Hr.  Dr.  Schulz 
jene  Darstellung  nicht  fassen  und  durchfuhren;  we^en  * 
der  Natur  seines  Standpunktes  ist  er  noch  zu  sehr 
als  unmittelbarer  Gegner  mit  seinem  Gegensatze  ver- 
wachsen, er  kann  die  Tendenz  der  Kirchenzeitung  noch 
nicht  als  eine  der  geistigen  Vergangenheit  anheün- 

32 


'  I  

251  Z>.  ScAul»,  das  fVesen  und  TreHetn- 

gefallene  betrachten  und  sie  zum  reinen  GegeMtaode 
der  theoretischen  Betrachtung  machen,  also  auch  nicht 
in  ihrer  innersten  Bestimmtheit  fassen.  So  wenig  die 
Ki^henzeitung  eines  der  Güter,  die  sie  in  Gefahr  glaubt, 
lur  das  Selbstbewufstsein  gesichert   hat  und  daher  es 

'  äufserlicb  zu  sichern  sich  anstrengen  uiufs,  so  wenig 
bat  der  Rationalismus  für  ein  einziges^  ddr,  Dogipen, 
die  er  gestürzt  hat,  auch  nur  Eine  irgendwie  bestimmte 
AnschauuDg.  geschaffen.  Wie  die  Kircbenzeitong,  um 
ihren  Glauben  zu  behalten,  immer  nach  aufsen  kämpfen 
mnfs,  so  mufs  der  Rationalismus,  um  seine  unbestimmte 
Freiheit  und  sein  reines.Licht  zu  bewahren,  den  äufse- 
ren  Angriff  des  Bestimmten,  Positiven  immer  zurück- 
schlagen, und  er  bedarf  dieser  Reaction,  um  zu  sein. 
Hr.  Dr.  Schulz  sagt  p.  22.  23  ganz  richtig,  wenn  „für 
seine  Gegner  kein  Feind  mehr  anzugreifen  und  zu  rich- 
ten wäre,  80  ginge  ihnen  der  Odem  aus."  Sie  würden 
nicht  .einmal  ihre  Orthodoxie  Jm  Besitz  behalten,  wenn 
die  Heterodoxie  gefallen  wäre,  denn  jene  besitzen  sie 
nur  durch  den  Gegensatz  und  sie  würden  sie  Terlieren, 
wenn  dieser  nicht  wäre.  Aber  dasselbe  muts  auch 
Tom  Rationalismus  gesagt  werden;  denn  da  seinem 
Licht  die  innere  Fülle  fehlt,  da  er,  um  bestimmt  zu 
sein,  des  äufseren  Gegensatzes  bedarf,  so  würde  auch 
er  in^s  Unbestimmte  zer&Uen,  wenn  ihm  der  Gegner 
nicht  mehr  gegenüber  stände.  Der  Rationalismus  hat 
nur  den  Schein  der  absoluten  Sulbstständigkeit,  er  lebt 
nur  durch  den  Widerstand  gegen  den  äufseren  Anstofs 
und  als  dieser  Widerstand*  Frei  kann  er  daher  den 
Gegner  nicht  betrachten,  weil  er  abhängig  von  ihm  ist 
und  zwar  abhängig  i^yofern,  als  er  nur  lebt,  wenn  er 
angegriffen  wird  und  deni  Angriffe  Widerstand  leistet. 
Die  Schilderung  seines  Gegners  wird  bei  dieser  Lage 
der  Dinge  nicht  eine  geschichtliche  Darstellung  oder 
eine  Orientirang,  die  Etwas  zum  Abschlufs  bringt,  son« 
dorn  nur  der  Wiederhall  des  tom  Gegner  ausgespro- 
chenen Wortes.  Klagt  dieser  an»  so  klagt  er  wieder 
an,  wendet  sich  jener  an  die  Obrigkeit,  so  thut  er  es 
auch,  oder  er  bleibt  wenigstens  rn  diesem  Verhältnifs 
zur  .Obrigkeit  insofern  stehen,  als  er  nnn  zeigt,  wie  der 
Gegner  seine  Pflichten  gegen  die  Obrigkeit  verletze 
und  zum  Widerstand  gegen  dieselbe  aufrufe.  ' 

Wie  hoch  steht  der  Staat,  der  es  als  seine  Auf- 
gabe weifs,  diesem  Spiel  mit  unendlicher  Geduld  zuzu- 

'  sehen,  wie  nnendttch  ist  das  Ganze,  das  die  Gegen- 
sätze in  sich  befefst^  ohne  seine  Gleichheit  mit  sich 


der  Berliner  eyang.  Kirchenxeiiung. 

selbst  zu  verlieren,  und  wie  erscheinen  dagegen  ib 
Einzelnen,  die  i^s  in  jenes  Spiel  bineindehen,  währeel 
es  selbst  in  setner  rahigen  Gediegenheit  warf  et  ^  bis 
durch  seine  allgemeine  Bewegung  der  Gegen«atz  ge> 
lost  ist. 

Der  Rationalismus  hat  es  seinem  Gegner  oft  ge- 
nug zum  Vorwurf  gemacht,  dafs  er  die  Personen  an- 
greife, sie  verdächtige,  statt  sich  nur  mit  der  Saclip 
zu  beschäftigen.  Auch  Hr.  Dr.  Schulz  macht  der  evna- 
gelischen  Kircbenzeitong  diesen  Vorwurf  (z.  B.  p*  €8^ 
aber  so  innig  entsprechen  sich  die  Bewegungen  beider 
Seiten  des  Gegensatzes,  der  Be^wegung  der  einen  Seite 
folgt  so  bestimmt  die  gleiche  der  andern  Seite,  dafii 
man  glauben  sollte,  man  sehe  einen  Organismna  vor 
sich,  dessen  Glieder  sich  in  einem  unwillkührlidien  Pa^ 
rallelismus  bewegen  müssen.  Das  persönliche  Selbsl- 
bewcfstsein  eines  Mannea  wird  zwar  immer  zuglekk 
geschildert,  wenn  man  eines  seiner  Werke  oder  etnea 
vollständigen  Kreis  derselben  beurtheilt;  aber  gesofaü- 
dert  wird  es  dann  nur  soweit,  als  es  sich  in  den  Wer» 
ken  dargestellt  hat.  Für  das  geschichtliche  BewnfiBl> 
sein,  das  sich  über  die  Kämpfe  einer  an  sich  abfpe^ 
schlossenen '  Periode  bereits  erhoben  bat ,  kann  ein 
Mann,  der  in  dieselbe '  bedeutend  eingegriffen  hatten 
auph  nach  seiner  besonderen  Lebensstellong  in  Be- 
tracht kommen,  doch  freilich  nur  soweit,  als  dieselbe 
von  allgemeinem  Interesse  ist,  d.  h.  soweit-  sie  nlobt 
nur  private  Bedeutung  hat,  sondern  die  individoteHe 
Erscheinung  allgemeiner  geschichtlicher  Verhältniase 
war.  Ein  solches  Interesse  ureifs  aber  är.-  Dr«  Scbuii 
seinem  Gegner  nicht  abzugewinnen,  so  wenig  als  di^ 
ser  im  Rationalismus  mehr  als  die  WHlkähr  eünnel' 
ner  Personen  zu  sehen  vermag.  Das  Höchste,  was 
die  Kirchenzeitung  erreicht,  wenn  sie  ihren  persteik 
eben  Gegnern  eine  gröfscre  Orukdlage  geben  will,  nt 
das  unbestimmte  Phantom  eines  allgemeinen  revmbh 
tianärers  Triebes.  Und  so  ist  auch  die  höchste  Aa> 
schanung,  zu  der  sich  der  Rationalismus  aufschwingf^ 
w^nn  er  seinen  Gegner  nicht  mehr  blos  als  isolirfe  Per- 
son fessen  will,  der  schreckende  Hintergrund  einer 
„lichtscfaenen  Propaganda^'  p.  31,  welche  die  Person 
gehoben  und  zur  Ausfährung  ihrer  geheimen  Zweehe 
vorgeschoben  hatte.  Ein  anderer  Pragmatishnus  ist 
einmal  dem  .Verstände  auf  beiden  Seiten  nicht  si^iag- 
Itch  und  namentlich  der  Rationalismus  hat  seit  rf^te 
ersten  Aufgange  der  Aufklärung  das  Positive  nur  d$ 


\   - 


Ik  8ei9Üiy  das  Wesen  und  Treuen 

* 

Mittel  eiier  Maeht  denken  kdnoeD,  die  in  einem  ge-. 
keimen  HmtergniBde  stehen  bleibe  nnd  es  npr  für  ihre 
iesanderen  Zwecke  beButze  und'  wirken  lasse. 

Ist  es  nan  nioht  dieselbe  Art  der  Verdächtigung, 

-die   der  Rationaiisinus  der  Kirchenzeitang  so   schwer 

snurei^net,  wenn  Hr.  Dr.  Schulz  auf  die  erste  Entwick- 

Imgsgescfaiehle  des  Hm.  Dr.  Hengstenberg  zurückgeht, 

f^  29  berichtet,    wie  derselbe    9,vcin   ausschweifendem 

Liberalismus  zu  kirchgläubiger  Buchstaben-  und  For- 

■selkneehtsohaft!^  übergegangen  sei  und  wenn  er  p.  30 

•ebHefst,    dafs  „solch  ptötsliehes  Ueberspringen  Ton 

einen  Extrem  zum  andern  kein  Zeugnifs  tou  Geistes- 

gesuadheit  und  Charaktecstärke  abgebe.*^    Selbst  die 

aUgomeine  Erscheinung,  daf^  der  damalige  Liberalis- 

siu's  die  meisten  seiner  Anhänger   in  das  Gegentheil 

trieb,  kann  Hr.  Dr.  Schulz  sich  nicht  anders  erklären, 

^ala  dafs  diese,  „nachdem  es  ihnen  mit  dem  Griffe  nach 

der  weltlichen  Gewalt  nicht  hat  gelingen  wollen,  nun 

Teraacbten,   ob  sie  etwa  in  geistlichen  Dingen  einige 

Herrschaft  in  die  Hand  bekommen  könnten,**  als  ob 

dieser  Umschwung  iioh  nicht  hinreichend  aus  der  Leere 

jräes  Libwaliamns,  die  nun  in  ihr  Gegentheil,  in  star- 

tee  Festhalten  des  Positiven  umscblagen^mufste,  erklä- 

ven  lieTse.    Und  will  toian  eininai  durchaus,  aus  jenem 

Ueberspringen  von   einem  Extrem  zum   andern  einen 

SchluTs  anf  die  IndwUkuUUat  ziehen,  so  könnte  es 

wolx  so  geschehen,  dafs  die  fuantiiaiive,  also  gleich- 

gfillige  BeUimmikBÜ  der  Energie  in  Betracht  käme 

wnd   da  würde  jener  Uebergang  nur  für  einen  hohen 

-Onid  der  Enei^e  zeugen. 

Wozn  kann  es  audi  dienen,  wenn  Hr.  Dr.  Sdiulz ' 
e«ff  die  „ungewöhnlich  rasche  Ascensiim'*  seines  Geg- 
»era  Jn  der  Fakultät  der  Berliner  Universität  und  dar- 
wt£j  dafs  nicht  „das  Mindeste  verlautbarte,  wodurch 
eie  bezeichnet  wordeb  wäre**  p.  90  aufmerksam  macht 
oad  das  Räthsel  nur  andeutend  löst,  wenn  er  p.  31 
sagt,  dafa  sein.  Gegner  ,yznm  Erstaunen  aller  Welt  es 
«eht  T^irschmihte,  den  nominellen  Referenten  einer 
Kebtaoheuen  Propaganda  bei  dem  unkundigen  Haufen 

PttblilnuBS  abzugeben."  Für  den  Gescbichtschrei- 
r..der  eine  Persönlichkeit  zbt  schildern  nuruntemeb- 
BMtt  kann,  wenn  er  in  ihr  die  lebendige  Erscheinung 
eines  uUgemeinen  Hintergrundes  sieht,  kann  das  Obige 
kein  Ritbsel  sein,  das  nur  so  zu  lösen  wäre,  dafs  der 
Herausgeber  imt  Kirohenzeituag  ^bösartiger  Anklage* 
rei  sam  Organ,  Debkmantel  und  Vertreter  diente*'  p.31. 


der  Berliner  ewing.  Kirckenxntung.  254 

Ueberhanpt  mufs  auch  hier  det  Rationalismus  mit  selr 
nen  Versuchen  scheitern,  wenn  er  das  Aiiftreten  der 
Kirohenzeituag  und  ihres  Herausgebers  geschichtlich 
erklären  will,  er  müfste  ja  die.  ungeheure  Unbefangep^ 
beit  und  Sic))erbeit  zugestehen,  in  der  er  zu  jener  Zeit 
hinlebte  und  die  jene  Reaction  hervorrufen  mufste. 
Er  war  Alleinherrscher  und  hatte  sich  dock  mit  sei-  , 
nem  bereits  längst  abgeschlossenen  Sjstem  überlebt, 
die  philosophische  Richtung  hatte  fUr  das  allgemeine 
Bewufstsein  erst  ihre  Zukunft  zu  erleben  und  die  mit  * 
dem  Gefühl  verbundene  Kritik  begann  erst  dch  auszu- 
breiten. Die  Art  und  >  Weise  nun,  wie  die  Kirchear 
Zeitung  anklagte,  kann  nicht  vertheidigt  werden,  aber. 
Aufapferutig  für  eine  geeehiohttic/^  Coüisian  mufs 
man  den  Henoismus  nennen,  mit  dem  ihr  Herausgeber 
einer  m  sieh  ffoUendeten  geistigen  IVelt  sich  entge- 
genwarf und  sie  bis  zur  Vernichtung  bekämpfen  woll- 
te. Wundert  sich  Hr.  Dr.  Schulz,  dafs  sein  Gegner 
so  „rasch"  gestiegen  sei,  so  erklärt  sich  das  hinläng^ 
lieh. '  Die  Zeit  erkannte  ihren  Helden,  dessen  sie  be- 
durfte, and  sie .  durfte  nicht  säumen,  ihn  an-  den  Ort 
zu  stellen,  wo  er  für  sQin  Werk  stehen  mnfste,.  dii 
der  Augenblick  nicht  fern  war,  wo  eine  nene  Maeht  - 
auftreten  sollte,  und  da  deren  Auftreten  durch  .den 
letzten  geschichtlichen  Kampf  der  alten  Gegensälze 
fnr  das  allgemeine  BewufBtsein  vorbereitet  wurde,  lie- 
ber seinen  Gegensatz,  mit  dem  er  smfgewaehsen  wai^ 
hatte  der  Rationalismus  siegen  können,,  da«  zwischen 
beiden,  auch  fiir  ihr  gegenseitiges  Bewufstsein  zu  yiel 
Gemeinschaftliches  war.  Aber  so-  allein  auf  dem 
Kampfplatze  konnte  ihn  das  wiedererwachende  Selbst- 
gefühl des  Positiven  nicht  lassen,  es  raffte  sich  wi»» 
der  zusammen,  um  sich  zu  änfsem,  und  könnte  es 
unter  den  geschichtlichen  Bedingungen,  da  ihm  ein 
fertiges  System  entgegen  stand,  auch  nur  se  thun^ 
dafs  es  sich,  dem  eben  %<>  fertigen  Sjstem  der  sym- 
bolischen Lehr^  hingab<  nnd  mit  deniselben  retten  woll- 
te. Das  war  der  Schaden,  in  dem  die  Kirchenzeitung 
vom  ersten  Augenblick  ihren  Lebens  an  den  Keim  des 
Todes  trag.  War  sie  auch  hervorgerufen  durch  die 
Zeit,  so  war  es  doch  nur  fiir  einea  Augenblick  der 
l^eere  gesehehep,  die  zu  viel  Freude  an  sich  selbst 
erlebte,  als  dafs-  sie  nicht  aus  ihrem  Traume  vom  ewi* 
gen  Frieden  haltte  gestört  werden  dürfen.  War  die 
Kiichenzeitung  em  Resultat  geschichtlicher  Vermitt- 
lungen^ so  trug  sie  in  sich  selbst  nicht  den  Leben»» 


,  >« 


255  .        D.  ScJMzy  Ms  Wesen  und 

nm  4n$$erer  Eniuiekehingj  sölideni  fertig,  wie  sie 


in  ihrem  Systeme  war^  konnte  sie  das  Fertige  der 
Welt  nur  entgegenhalten  und  vas  ihrem  MaaCsstabe 
nicht  eotspraeb,  nur  anklagen  o^er  Tielmehr  nur  Ter> 
dtaimen. 

Gekämpft  hat  sie  nun  bereits  genug,  aber  was 
hat  sie  gewonnen)  Hr.  Dr.  Schulz  kann  es  ihr  mit 
Recht  vielfach  Torhalten,  dafs  sie  es  nicht  einmal  über 
die  inneren  Angelegenheiten  der  evangelischen  Kirche^ 
namentlich  über  das  Unionswerk  zu  einer  klaren  Yor^ 
Stellung  gebracht  habe.  Bald  billigt  sie  das  entschied 
dene  Festhalten  am  lutherischen  Lehrbegriff  vom  Abend- 
mahl und  Niemand  wird  das  tadeln,  wenn  man  be- 
denkt, dars  die  Union  die  unterschiedenen  Symbole 
der  yereinigten  Gemeinde  nicht  aufgehoben,  sondern 
nur  das  anerkannt  hat,  dafs  sie* nicht  mehr  ein  Grund 
s4ien,  beide  Gemeinden  zu  trennen.  Bald  aber  glaubt 
sie  die  Union  nnr  so  behaupten  zu  können ,  dafs  sie 
die  Differenz  in  der  Abendniahlslehre  für  unwichtig, 
ungewifs,  für  blofse  Theologie  erklärt,  die  nicht  zum 
(glauben  gehöre.  Da  hat  Hr.  Dr.  Schulz  eine  andere 
und  gewifs  bessere' Ansicht  von  der  Sache,  wenn  er 
sagt,  däfs  die  Vereinigung  der  getrennten  Gemeinden, 
sobald  sie  „unter  Beseitigung  oder  Freistellung  unwe- 
sentlicher Lehnneinungen'*  gesch^en  sei,  auch  „eine 
wirkliehe  Fortschreitung  zu  einem  höheren  Stand- 
punkte'' aein  müsse,  und  da  hat  er  auch  das  Redit 
bekommen  zu  fragen,  warum  dbnn  die  anderen  Dog- 
men nicht  auch  blofse  Meinungen  sein  sollen. 

Sie  sollen  es  aber  auch  sein  und  sie  sind  nichts 
Allgemeines,  das  zu  sagen  hat  die  Kircfaenzeitung  über 
sich  bringen  können,  wenn  sie  ausruft:  kommt  und 
verwerft  eure  particulftren  Symbole  I  Wenn  sie  so 
spricht^  die  sonst  immer  die  Verpflichtung  auf  die  Sym- 
bole und  das  nttverbrächliche  Festbalten  an  denselben . 
forderte,  die  sonst  alles  Heil  an  das  Bestehen ,  der 
Symbole  knüpfte,  was  können  wir  in^  ihrer  Aussage 
denn  Anderes  sehen  als  das  Geständnifs,  dab  sie 
vergebens  gearbeitet  habe,  was  anderes  als  den  Aue» 
ruf  der  Verzweiflung,  die  der  gewaltsamen  Anspan- 
nung folgen  mufs.  Dieselbe  Kjrchenzeitnng,  die  sonst 
aagty  die  evangelische  Kirche  habe  qnit  den  Raliona- 
liaten  nichts  gemein,  begiebt  sich  in  den  Kreis  des 
verabscheuten  Rationalismus  und  sie  gewährt  Hrn.  Dr« 
Sohnlz  die  Mittel,  ihr  die  Anflösui^  ihres  Werkes  in 


der  Berhn&r  evang^  KirehenMekung^ 

emem  unheilbaren  Widerspnicli  naohzawetsen»  Den» 
sie  ist  nicht  im  Stande,  den  Widersprach  wirklich  sn 
lösen.  Wie  es  bei  ihr  nnr  eine  kühne,  wenn  suich 
lange  Zeit  mit  krampfhafter  Festigkeit  aufrecht  erbak 
tene  Behauptung  war,  dais  das  kirchUche  Symbol  gslr 
ten  müsse,'  so  ist  es  auch  nur  eine  Behauptung^  dafr 
.  die  Symbole  ^als  Menschen^erk"  au  betrachten  aeicai 
Wer  beide  Sätie  zusammenbringen  will^  behält  diign 
weder  Math  noch  Zeit  übrig,  die  freie  Forschung;  at 
yerdammen.  Nicht  Mutti,  denn  wer  wirklich  ilanutf 
emgdit,  die  symbolischen  Schriften  als  ein  Seeutule 
res  geeehiehtlie^s  Produety  „als  Menschenweyrk'* 
einer  Kritik  zu  unterwerfen,  wird  den  Feind,  den  er 
draurseu  bekämpft,  lebhaft  genug  in  sich  empfinden. 
Aber  jene  beiden  Sätze  durchdringen  sich  im  Bewaist- 
sein  der  Kirchenzeitung  nicht  und  werden  nicht 
schieden  zu  einander  in  Beziehung  gesetat.  Der 
dafs  die  symbolischen  Schriften  gelten  mfissen, 
zu  unbeweglich  ftir  sich  fest,  der  andere^  dafs  sio  M( 
schenwerk  seien,  ist  nur  der  Schein  grofsmttthiger  Lät 
beralität,  die.  sich  sogleich  wiedef  verläugnen  wtode^ 
wenn  sie  ernst  genommen,  oder  zur  wirklichen  Tkm$ 
gebracht  werden  sollte.  Das  beifst  über  nur^  jener 
erste  Satz,  der  auch  txit  eine  Behauptung  ist,  fiiUt 
sich  nicht  so  stark,  dafs  er  sich  in  die  gefahrdrohüpda 
Nadibarschaft  mit  dem  zweiten  bringen  liefse. 

Das  bleibt  aber:  Hr.  Dr.  Schulz  kann  es  ata  A» 
erkennung  seines  Standpunktes  betrachten,  wenn  nein 
Gregner  fiLr  einen  Augenblick  auch  nur  die  scheinbaiw 
Miene  macht,  die  symbolischen  Schriften  als  Mmaehc»* 
werk  antusehen.  Begiebt  sich  die  Kirchenzeitnng  in 
das  Gebiet  ihres  Gegners,  so  zeigt  ea  sich  leicht,  d«fii 
anch  dieser  gerade,  indem  er  sie  bekämpfen  will,  ihre 
Grundsätze  zu  den  seinigen  macht.  Sie  will^  dafs  die 
symbolischen  Büeher  gelten  sollen^  weil  sie  geltess 
weil  sie  Autorität  sind.  Man  sollte  meinen,  Hr«  Di^ 
Schulz  würde  nun,  wenn  er  beweisen  will,  dafs 
nicht  gelten  können,  zuerst  die  Berechtigung  der 
torität  bezweifeln  und  angjreifeiL  Er  yeriuoht  es 
wenn  er  sagt,  „die  Erbsünden-  und  Erlösnngslehre 
nur  Willktthrlehre  (p.107),  in  den  ältesten  christlicheB 
Jahrhunderten'*  sei  von  ihr  nirgends  die  Rede,  sie  nei 
in  keiner  der  ältesten  Bekenntnifäfonnfliln  der  Kirake 
mit  einem  Worte  erwähnt  und. der  orientidischen  Kir- 
che sei  sie  zu  allen  Zeiten  fremd  geblieben''  p.  12IL 


(Der  BeschlniSi  folgt) 


wissen 


Jahrbücher 

für 

8chaft  liehe 


Kritik 


•  I 


August  1839. 


JDiM  Weuen  und  Treiben  der  Berliner  erernffe- 
lüehen  Kirchenzeitung^  beleuchtet  von  David 
Bchufzl 

(Schlnffl.) 

Nim,  da  vird  ja  die  Autorität,  wenn  sie  an  einem 
Punkte  bestritten  i»%  doch  wieder  anerkannt^^ -vetin 
AMsh  nur  an  einem  anderen  Punkte  \  aber  Autorität 
Uttbt  Aaterität  und  die  Zeit  nur  wird  {geändert.    Voll- 
kommen  identisch  endlich  werden  beide  feindliche  Sei- 
leo)  wenn  Hr.  Dr.  Schuk  gegen  jene  „Willkührlehren" 
einwendet,  dafs  die  'Frage  über  den  Ursprung  des  B5- 
•en  wohl  nie  Ton  einem  Sterblichen  zu  lösen  sei  p.  109, 
mid  wenn  er  „snletzt'  fragt  p.  133:  „wohin  soll  denn 
das    erfolglose  Streiten  über  unerfQr$ehliohe  Dinge 
Inluren  and  wosu  soll  es  dienen}"  Ja  wohl,  in  der  Art 
ist  es  wirklich  erfolglos  und  woxn  es  dienen  soll,  wer- 
den wir  sogleich  sehen.    Erfolglos  ist  esi,  weil  beide 
Smien  im  Nichtwissen  Eins  sind  und  wohin  es  führt, 
ist  swar  für  beide  Seiten  Tersohieden,  aber  in  der  That 
fär  die  l^acbe  gleichgilltig.    Das  Nichtwissen  fährt  den 
cinea  nun  Symbol,  den  andern  wendet  es  davon  ab; 
aber  weil  das  Eine  wie  das  Andre  gleich  sehr  d.  h. 
mit  dem  gleichen  Mangel  ebjectiver  Bestimmongen  im 
Nichtwissen  be(|pröndet  ist,  so  hängt  die  Entscheidung 
finr  beides  von  gleich  zufälligen  Anlässen,  von  der  all- 
gemeiaen  Stimmung  der  Individualität  oder  von  Le- 
kenserfahmngen  ab,  in  denen  ohnehin  jeder  auch  nur 
aein  mehr  oder  weniger  ausgedehntes  Ich  erfährt. 

Wellte  nur  jede  der  beiden  Seiten  die  Kraft  der 
smdeni  in  sich  aufnehmen,  so  wurde  der  Streit  mehr 
Erfolg  haben«  So  aber  theilen  sie  sich  nur  ihre  Sohwä- 
ehen  mit  ond  sogar  ohne  zu  wissen^  wie  jede  dadurch 
ihre  Mgeae  Stärke  in*  Gefahr  bringt. 

Weza  der  Streit  dient  I  Um  eine  Aufgabe  aufrecht 
za  erhalten,  die  gegenwärtig  mit  dem  Ernst  und  der 
Gotschiedenheit,  die  ihre  Lösung  fordert,  i^och  nicht 

Ukrh.  /.  wUuiüch.  Kritik.   J.  1839.  II.  Bd. 


behandelt  werden  kann  und  noch  nicht  das  Bedürfeifs 
ihrer  Lösung  im  allgemeinen  Bewufstsein  erweckt  hat. 
Es  ist  die  Aufgabe,  die  bisherigen  kirchlichen  Symbole 
und  die  Fortschritte  des  neueren  Selbstbewufstseins  mit 
fliren  Ansprächen  und  Forderungen  gründlich  ausein- 
anderzusetzen. Die  Gegensätze,  die  bisher  sich  über 
das  Symbol  gestritten  haben,  können  die  Sache  nicht 
zum  AbscUufs  bringen,  da  die  eine  Seite  das  Negative 
der  andren  sich  nicht  wirklich  aneignet  und  es  zur  in- 
neren Kritik  umbildet,  und  die  andre  den  Gehalt  von 
jener  gar  nicht  anerkennt,  also  eigentlich  auch  nicht  für 
werth  achten  kann,  ihn  einer  inneren  Kritik  zu  unter- 
werfen. Jene  Gegensätze  sind  nur  ein  elementariecher 
Procefa^  der  die  Spannung  des  Ganzen  erhält,  und  die 
Fruchtbarkeit  des  Bodens  bedingt,  aber  nicht  die  orga- 
nische Zeugungskraft  selbst  besitzt. 

Streitet  nur  in^merfort  I  „Endlos,"  wie  Hr.  Dr. 
Schulz  p.  133  fürchtet,  ist  der  Zwist  nicht  Hat  die 
Gegenwart  in  den  biblischen  Untersuchungen  sich  über 
euch  erhoben,  hat  sie  dem  eioien  Theil  von  euch  den 
Inhalt  entzogen,  dem  andren  das  äufsre  Instrument  der 
Prüfung  genommen,  und  es  zur  Innern  Kritik  umge« 
schaffen,  so  wird  es  auch  nicht  mehr  lange  dauern, 
dafs  dasselbe  in  Betreff  dm  symbolischen  Frage  ge- 
schehen wird.^  Ihr  l^önnt  euch  gegenseitig  nicht  scha^ 
den,  aber  ihr  dient  dem  Ganzen,  wenn  ihr  ihm  die  wei- 
tere Aufgabe  erhaltet* 

Merkwürdig  ist  es  noch,  wie  beide  Seiten  sich  zum 
philosophischen  Denken  stellen.  Nur  einmal  spricht 
sich  Hr.  Dr.  Schulz  darüber  aus:  „nachdem  der  Haupt- 
anschlag gegen  die  halliscben  Theologen  mifslungen,'* 
sagt  er  p.  21,  habe  die  Kirchenzeitung  „kaum  noch 
gewufst,  womit  sie  ihre  Hefte  vollmachen  sollte." 
„Denn  was  für  Stoffe  haben  sie  seitdem  nicht  in  bun- 
tester Mischung  aus  weiter  Ferne  Aerbeige%errt.^*  „Die 
Cholera  z.  B.,  das  Hambacher  Fest,  das  junge  Deutsch- 
land, die  Hegeische  Philosophie,  Akens  Menagerie." 

33 


259  ^  WüOer,  LeArtmfA 

p.22.  Köstlich  r  Die  Nachbarschaft  ist  herrlich  I  Nicht 
die  Nachbarschaft^  in  iwelche  die  Kircheozeitaitg  der- 
gleichen  stellt  —  denn  ganz  in  der  Art  würfelt  sie  das 
Heterogene  nicht  znsaouneii  —  sondern  die^mchbar- 
^chaft,  in  welcher  Hr.  Dr.  Schob  die  Hegeische  Phi- 
losophie unter  Dingen  aufzählt,  die  für  eine  kirchliche 
Zeitung  fremd  und  gleichgültig  sein  müfsten  und  nur 
mit  Gewalt  ,,jberbeigezerrt*\  werden  könnten.  Es  sieht 
fast  so  aas,  als  ob  Hr.  Dr.  Schals  es  nicht  fUr  recht 
halte 9  dafs  eine  Zeitung,  die  sich  eigentlich  nur  mit 
dem  Rationalismus  beschäftigen  sollte,  ihre  Aufmerk- 
samkeit auch  einmal  auf  einen  fremden  Punkt,  wie  die 
Hegeische  Philosophie^  richte.  Nunl  Da  steht  dieKir- 
ohenaeitnng  doch  etwas  höher.  Verstieg  sie  sieh  aucA 
viel  zu  weit^  wenn  sie  auch  da^  philosopische  Denken 
in  den  Kreis  ihrer  Polemik  xu  ziehen  suchte  ^  so  er^ 
kennt  sie  doch  die  Bedeutung  desselben  für  die  Ge* 
gcinwart  und  für  das  kirchliche  Bewurstsein  an ;  aber 
sie  meint  nicht,  dafs  es  für  dasselbe  gleichgültig  sei» 

B.  Bauer^  Lic. 


XV. 

Lehrbuch  der  Mathematik  für  Gymnasien  und 
JRealschulen^  nebst  vielen  üebungsaufgaben 
und  Eacursen;  von  J.  H.  T.  Müller^  Direc- 
tor  dei  RealgjfmnMiums  zu  Ootha.  Erbtet 
Theüy  die  gesammie  Arithmetik  enthmltend* 
Halley  1838.  Verlag  der  Buchhandlung  des 
Waisenhauses.  ,    '     ] 

Obgleich  sich  in  diesem  Buche  ebige  nicht  unbe- 
deutende Mängel  nachweisen  lassen»  so  erhebt  es  sich 
im  Ganzen  doch  entschieden  über  den  Rang  eines  ge- 
wöhnlichen algebraischen  Compendimns,  Deshalb  ent- 
schlofs  sich  Ref.  nicht  ungern,  in  Folge  erhaltener 
Aufforderung,  in  den  Jahrbüchern  für  wiss.  Kr.  einen 
kurzien  Bericht  darüber  zu  erstatten.  Bei  ziemlich  be- 
trächtBdiem  Umfange  (35  Bogen)  überschreitet  das 
Werk,  namentlich  in  den  Anhängen  semer  Abschnitte, 
nm  Vieler  die  gegenwärtigen  Grenaen  des.  Gjmnasial- 
Unterrichtes ;  auch  will  der  Vf.  die  Anhänge  in  der 
Regel  nicht  für  diesen,  sondern  zum  Privatstudium  be- 
nutzt wissen;  es  macht  aber  eme  wesentliche  Bigen- 
thümlichkeit  und  einen  bedeutenden  Vorzog  des  Buches 
aus,  dafs  jene  Uebersohrmtang  weniger  in  der  Anzahl 


4er  Mathemaiik. 

der  zur  Sprache  gebrachten  Hauptgegenständh  hi^ 
als  in  der  umfassenden,  oft  nicht  gewöhnliche  Bäht 
rang  gewährenden  Weise,  nach  welcher  jeder  eiDsehi 
behandelt  wird.  Durch  die^e  Eigenschaft)  flbetwieyij 
Terbunden  mit  Klarheit  und  einer  gewifs  grdblenthBii 
im  Unterrichte  selbst  geprüften  Planmäfsigkeit  der  Dv- 
Stellung,  welche  sichtbar  darauf  hifizielt^  den  Leier 
beständig  zum  Zurückgehen  auf  das  VoraJogegaDgaa 
SU  nöthigen,  überhaupt  Erinnerung  oiid  AnichsDUf 
des  bereits  Gewonnehen  immer  lebendig  zu  Mhalte%^ 
durch  diese  Eigenschaften  vermag  daa  Buch  in  bsdn- 
tendem  Grade  bildend  und  anregend  zu  wirkea»  nd 

■  * 

in  seinen  Lesern  das  Interesse  des  Denkens  und  F«^ 
sch^ns  zu  wecken,  von  welchem  es  seihst  ausgegaopi 
zu  sein  sich  offenbar  ankündigt. 

Zu  dem  Inhalte  des  Buches  ^hergehend,  wirdM 
sich  bemühen-,  das  Dasein  der  hiermit  angedtaWn 
Vorzüge  nachzuweisen,  in  so  weit  solches  mdgCeh  ii^ 
ohne  jeden  Abschnitt  mit  allen  seinen  Anhäagen  pm 
zergliedert  darzulegen  -^  wozu  sich  Ret  nicht.  soU* 
achig  machen  kann.  Was  aber  die  MUngel  aagsli^  m 
ist  es  bei  einem  Buche  von  der  Bedeptuag  des.?» 
liegenden  n5thig,  ihrer  genau  und  mit  gehötqfsr  B»* 
gründung  des  Urtheils  zu  erwähnen» 

Die  Einleitung  fafst  sich,  in  Betreff  aligesMMr 
Definitionen,  mit  vollem  Rechte  kurz.  Die  Mathemti 
kann  nicht  mit  philosophischen  Speovlatiooen  hflga* 
neu ;  sie  stützt  sich  auf  entschieden  vorhandene  JU* 
scl^anungen,  und  ihre  ersten  Definitionen  haben  Mtf 
diese  auszusprechen.  Eine  solche  einfache  AnscbiioiV 
bezeichnen  die  Worte  gleich  und  ungleich ;  diese  «M 
aber  durch  die  hier,  wie  auch  in  anderen  BücbetH)  ke^ 
liebte  Erklärung  nicht  ausgesprochen,  sondern  ventas* 
kelt.  .  Sie  heifst:  „Gleichartige  Grdfaeft  nernit  smb 
gleich,  wenn  sich  die  eine  statt  der  anderen  tetMD 
läfst."  Umgekehrt  stellt  man  sonst,  und  richtiger,  te 
Grundsatz  auf:  Gleiche  Gröfsen  laaseu/  sich  überall  fif 
einander  setzen,  nämlich  ohne  etwas  an  ändern.  Di^ 
ser  Grundsatz  nützt  zu  etwas,  er  spricht  em  weseotfi- 
ehes  Element  der  mathematischen  Methode  antt  ta 
Prinzip  der  Suistitution.  Obige  Definjtioii  hiog^ 
kann  schon  wegen  des  mangelnden  Beisatwa  iKhert» 
angefochten  werden ;  in  vielen  Fällen  lassen  steh  i< 
auch  ungleiche  Grofsen  für  einander  setzen,  ohne  d* 
was  zu  ändern.  Denkt  man  sich  dieee  Lücke  ergisst^ 
so  bleibt  es'  doch  nnriehtig ,    die  eiafaohe  klare  Vo^ 


«tdloDy  der  OleieU^ü  znrttekfiihreii  sn  vollen  auf 
die  imklero  einer  V^rtmuMehbark^  m  mlün  FäUetiy 
Ar  welebe  doeh,  wieder  iigeiid  eb  Merkmal  inüfste  an*' 
f;egeben  werdeo»  Glriebheit  ist  Tielmehr  nur  Einerlei*  . 
Iisit,  IdentitAt;  swei  gleiebe  Zahlen  sind  nur  dieselbe 
mederliolt  geaetste  Zahl  $  zwei ,  Linien  sind  gleich, 
«enn  sie  sieh  deckend  auf  einander  legen  lassen,  so 
dafs  nie  dann  nnr  eme  Länie  bilden;  n.  s.  f.' 

In  den  beiden  ersten  Abschnitten  behandelt  der 
Verf.  die  tier  ersten  Speoies  sunäobst  in  ganzen,  dann 
in  gebroehenen  Zahlen,  — ^  nicht,  wie  in  einem  Rechen- 
bnebe,  in  nnmerischen  Beispielen,  welche  den  GetNraach 
irgend  eines  bestimmten  Zahlensj^tems  yoranssetzen, 
wetron  hier  noch  gar  nicht  die  Rede  sein  kann,  —  son* 
dem  anf  die  gehörige  allgemeine,  Ton  fremdartiger 
Znthat  reine  Weise.  Die  Grundbegriffe  jener  Opera* 
tionea  werden  znnttchst  für  ganze  Zahlen  aufgestellt; 
dann  auf  die  Bräche,  als  eine  neue  Art  von  Zahlen, 
deroi  Einffihmng  sich  im  Fortgange  als  nothwendig 
erweist,  ausgedehnt«  Ein  Anhang  über  die  Bildung 
Yon  duadrattafehi  und  deren  Benutzung  zur  Mnltipll- 
cation  zweier  Zahlen  mit  einander,  ist  eine  zweckmä- 
ßige Zugabe^  noch  lehrreicher  geworden  durch  An- 
gabe der  Formel,  nach  welcher  Tafeln  der  dritten  Po- 
lenzeB  gebraudit  werden  müfsten,  am  aus  ihnen  unmit- 
telbar das  Product  ans  drei  Zahlen  durch  blofse  Addi« 
lioo  und  Sabtraction  zu  fioden.  In  solchen  Zusätzen* 
arigt  sieh  am  augenfälligsten  das  durchgängige  Stre* 
bea  des  Yerfs*  nach  Vollständigkeit;  Ref.  wird  freilich 
hl  der  «Folge  durch  die*  Absicht,  seinen  Bericht  abzn- 
kfirzeo,  oft  genöthigt  sein,  Hinweisnngen  dieser  Art  z'a 
aaterdrttcken,  und  bemerkt  hier  nur  noch  im  Ailgemei- 
BOD^  dafs  eben  die  Aufnahme  so  vieler  sonst  als  Ne- 
bendinge behandelter  Sachen  die  im  Eingänge  gerühmte 
wohlbedachte  Anordnung  um  so  ndtbiger,  aber  auch 
inn  so  scbwieriger  machte. 

Im  dritten  Abschuift  wird  die  Lehre  von  den  in* 
eammeasurabeln  Gr^fsen  und  Verhältnissen  mit  befrie- 
digender Strenge  behandelt:  die  Einfifibrung  eines  all- 
gemeinen Satzes,  der  übrigens  schon  von  Anderen  ge- 
braaobt  wordea  ist,  beseitigt  hier  die  sonst  gewöbnii- 
ahe  AnhänfiBag  von  indirecten  Beweisen,  Nur  hätte 
mch  —  meint  Ref.  —  dieser  Satz  (Seite  68  Artikel  36;) 
noch  klarer  aussprechen  lassen;  auch  heifst  es  in  der 
Aussage  desselben  mit  Unrecht  „zusammengehörige 
StUeJke  zweier  Arten   von^  veränderlichen    Oröfsen;'^ 


der  Mathematik.  .  2ffil 

besser:  zusammengehörige  fFierihe.  ~  AnfsjBr  den 
geometrischi^n  findet  man  auch  die  sogenannten  bar» 
monisehea  Proportionen  in  angemessener  Kürze  behan- 
delt. Gegen  den  Anhang  A.  lassen  sich  aber  Ei;iwen- 
dungen  erheben.  Die  Andeutung  zum  Beweise '  des 
Satzes  „die  Summe  emer  irrationalen  und  einer  ratio* 
naIenZahl  ist  irrational'*  (Seite  ,76  unter  2.)«  verlangt 
dafs  man  zeige,  dafs  jene  Summe  stets  zwiscben  zwei 
rationale  Grenzen  fällt,  die  einander  beliebig  nahe  ge* 
bracht  werden  k6onen.  Dieser  Beweis  fuhrt  aber  zu 
nichts,  weil  sich  zwischen  je  zwei  rationale  beliebig 
genäherte  Grenzen  immer  wieder  rationale  Zahlen  ein- 
schieben lassen;  auch  folgt  die  iUchtlgkeit  des  aufj^»' 
stellten  Satzes  ohne  Weiteres  ans  der  unmittelbar  ein« 
leuchtenden  Unmöglichkeit  des  Entgegengesetzten.  Noch 
fibler  steht  es  mit  dem  Satze  unter  b.  „die  Summe 
zweier  Irrationalzahlen  ist  irrational.'*  Dieser  ist  un« 
richtig,  denn  z.  B.  die  Summe  von  1/2  und  3-*|/2, 
—  und  das  sind  doch  zwei  irrationale  Zahlen  -^  ist 
rational. 

Der  vierte  Abschnitt  handelt  von  den  vier  ersten 
Operationen  mit  Aggregaten^  hierbei  kommt  der  Verf. 
auf  die  Lehre  von  den  positiven  und  negativen  Grö» 
fsen,  die  aber  etne  schwache  Seite  des  Buches  aus* 
macht.  Um  dies  zu  zeigen,  mufs  auf  die*  gleich  im 
Anfange  aufgestellte  Erklärung  der  Subtraction  zurück- 
gegangen werden.  Dort  heifst  es  (S.  7):  ,>Der  Unter- 
schied zweier  Zahlen  ist  die  Zahl,  welche  man  zur 
zweiten  .addiren  mufs,  um  die  erste  zu  erhalten."  Ab- 
gesehen vion  der  mifslichen  Unbestimmtheit  .der  Aus- 
drücke: erste  und  zweite  Zahl,  setzt  die  I>efinition 
offenbar  den  Blinuendus  gröfser  als  den  Subtrahendui 
voraus ;  in  einem  anderen  Falle  bietet  sie,  weil  eben 
der  Begriff  negatirer  Grdfsen  noch  nicht  vorhanden 
ist,  keiiie'n  klaren  Sinn  dar.  Nun  wird  aber  S.  92,  und 
ohne  inzwischen  jene  Voraussetzung  anderweitig  he* 
seitigt  zu  haben,  eine  negative  Zahl  definirt  als  „Üur 
terscbied  zwischen  Null  and  irgend  einer  Zatil,'^  so 
dafs  —  0  so  viel  bedeuten  soll  als  0  —  0.  Man  weifs 
aber  gar  nicht,  was  0  —  0  heifst,  oder  welche  ZaU 
sa  a  addirt  v^erden  soll,  um  die  Summe  Null  zu  erhak 
ten.  Auf  diese  Art  hat  man  das  Negative  nicht  auf 
rechtem  Wege  eingeführt,  sondern  verstohlnerweise 
einschleichen  lasseo,  um  es  hernach  zu  bfauchen.  — 
Zweckmäfsig  istj  dafs  überall  nicht  blofs  die  Gleich- 
heit, sondern  auch  die  Ungleichheit,  überhaupt  also  die 


263 


MMM^  Lehrbuch  der  Mathematik. 


Verglachutig  der  GfSfaen  zum  Gegei^staod  der  Un* 
tersuobunff^  gemacht  wird.  So  *  gsBchah  es  früher 
bei  den  Verhältnisse)!,  so  hier  bei  der  Lehre  von  den 
pil&itiven  und  negativen  Zahlen«  —  Ein  Anhang  £e- 
trifft  die  Zerlegung  der  Aggregate  in  Factoren,  wb 
einige  (Inbequemlichkeit  für  den  Vortrag  dadurch  ent- 
steht, dafs  der  Verf.  die  Ausdrücke  ganze  und  ge* 
broehne  Faotoren  nicht  anwendet,  sondern  durch  Um- 
achreibiingen  ersetzt  (S.  135,  Art.  249.).  Zu  einer  Be- 
merkung des  wesentlichen  Inhalts,  dafs  ein  Aggregat 
nur  eine  letzte  Zerlegung  in  rationale  ganze  Factoren 
Buläfst,  wenn  es  'überhaupt  in  solche  zerlegbar  ist,  — 
wird  hinzugefügt  (S.  136),  der  strenge  Beweis  dieses^ 
Satzes  könne  erst  spater  folgen,  nachdemgezeigt  wor- 
den, dafs  jede  ganze  Z«hl  sich  nur  auf  eine  Weise  in 
Primzahlen  zerlegen  lasse.  Ref.  begreift  nicht,  wie 
dies  faierher  gehört.  Dafs  a^  — b^  sich  iit#rin  (a  +  ^) 
(ff  —  ^)  auflösen  läfst,  hat  mit  der  Theorie  der  Prim- 
zahlen nichts  gemein,  und  wird  ohne  diese  bewiesen. 
Es  herrscht  wohl  zwischen  der  algebraischen  Zerle- 
gung der  Polynome  und  der  arithmetischen  der  Zah- 
len in  einfache  Factoren  eiqe  gewisse  Analogie,  die 
aber  hier  unrichtig  angewendet  worden  ist  und'  über- 
haupt innerhalb  der  Elemente  eher  abgewehrt  als  zu- 
gelassen zu  werden  verdient.  Uebrigens  werden  über 
die  Hülfsmittel  bei  der  Zerlegung  in  Factoren  einige 
gute  Bemerkuogen  gemacht,  denen  auch  passende  Bei- 
•piele  folgen ;  im  Ganzen  aber  könnte  man  wünschen, 
diese  Aufgabe  mehr  mit  der  Auflösung  der  Gleichun- 
gen in  Verbindung  gebracht,  und  da  solche^  an  dieser 
Stelle  nicht  anging,  an  einer  anderen  aufgenommen  zu 
«eben.  Doch  mufs  zugestanden  werden,  dafs  die  Zer-  . 
legung  in  Factoren,  blofs  durch  Versuche,  ohne  ander- 
weitige Hülfsmittel,  eine  vortreffliche  Uebung  gewährt, 
wenn  die  Beispiele  den  Kräften  des  Schülers  angemes- 
«en  gewählt  werden.  Offenbar  hat  das  Bedürfnifs  die- 
ser Uebuhg,  und  nicht  der  Zweck  auf  den  Grund  der 
Saefae  zu  g^hen,  hier  dem  Verf.  vorgeschwebt;  da- 
duroti  erscheint  eine  Anordnung  vollkommen  gerecht- 
fertigt, gegen  die  sich  etwas  einwenden  liefs  aus  dem 
retnwisBenscfaaftliohen  Gesichtspuncte ,  welcher  aber 
dem  Bedüffiifsse  des  Unterrichtes  nicht  ausschliefsUch 
genügen  kann,  veil  der  Schüler  durch  diesen  erst  zu 
jenem  herangebildet  werden  mufs.  — 


Ref.  benutzt  die  hier  gebotene  Gelegeiiheft)  änCB 
Wunsch  auszusprechen,  den  auch  dieses  Back  leider 
unbefriedigt  läfst,  näoilrch  dafs  die  Lehre  von  der  Zer- 
legung algebraischer  Brüche  endlich .  in  die  Lehrbö- 
ober  der  Algebra  aufgenommen  und  somit  die,  HoffDOii^ 
begründet  werde,  sie  künftig  aus  detiLehrbüehem  der 
Integral-Rechnung  verbannt  zu  sehen.  'Unter  den  A»- 
hängen  zum  vie/ten  Abschnitt  dieses  Buches  behandelt 
einer  die  Aggregate  von  Quotienten,  also  die  Addifies 
algebraischer  Brüche ;  an  diese  konnte  die  umgekehrte 
Aufgabe,  welche  durch  den  Nameüs  Zerlegung^  alge* 
braischer  Brüche  für  Kundige  genügend  bezeidmet 
wird,  leicht  angeknüpft  werden.  Hierbei  waren  die 
Factoren  des  Nenners  ald  gegeben  anzusehen,  damit 
das  bei  Anwendungen  allerdings  oft  faervortreteade, 
der  Aufgabe  selbst  aber  fremdartige  Bedjirfiiirs  der 
Auflösung  von  Gleichungen  nicht  f^intrat.  Diese  Zer- 
legung ist  eine  wichtige  Transformation,'  auf  vrelcke 
zwar  das  Bedürfnifs  der  Integral-Rechnung  zuerst  ge- 
führt hat,  die  aber  auch  in  der  Algebra  weseotlicbe 
Anwendungen  findet,  und  ihr  um  so  mehr  ausschliefa- 
lich  angehört,  als  auch  ihre  Herleitung  durchaus  der 
Differential«  Rechnung  nicht  bedarf,  wenn  gleich  diese 
früher  dazu  gebraucht  worden  ist^ 

Im  fünften  Abschnitt  gelangt  der  Verf.  unter  an- 
deren auch  dahin,  wo  der  Elemeotar-Unterricht  auzn- 
fangen  pflegt,  nämlich  zum  Numeriren ;  es  wird  abte 
hier,  wie  sich  versteht,  eben  so  wohl  gezeigt,  wie  dja- 
discb  oder  dodckadisch«  als  wie  dekadisch  zu  nuoieti- 
ren  ist.  -  Die  Ueberschrift  giebt  am  besten  den  Inhalt 
des  Absehnittes  an;  siebeifst:  „Von  den  vier  Grund- 
operationen  mit  Zahlen,  welche  durch  ein  bestimmtes 
Zahlensystem  ausgedrückt  werden.''  Besonders  erwäh* 
nenswerth  ist  die  sorgfältige  Bestimmung  von  Gren- 
zen für  die  aus  Vemacbläfsigung  entfernter  Decimal- 
stellen  entspringenden  Rcchnungsfehler.  Auch  findet 
man  hier  Fourier's  sinnreiche  Regel  der  geordiieten 
Division,  welche  bei  Divisionen  mit  grofsen  Zahlen  ge- 
braucht werden  ;kann,  um  durch  möglichst  sparsanhe' 
Rechnung,  die  dem  gewöhnlichen  Verfahren  keineswe» 
ges  eigen  ist,  den  Quotienten  gerade  bis  auf  so  viele 
völlig  zuverläfsige  Decimalstellen  zu  erhalten,- als  de- 
ren verlaiTgt  werden. 


(Der  Besehliifs  folgt.) 


'  »'• 


•     jr  34. 

J  ahrbttcher 

f  u.  r     . 

w  i  s  s  e  n  sc  h  af  1 1  i  c  h  e 


Kritik. 


•  •   •  • 


August  1839. 


Lehrbuch  der  MMhematik  för  Oymnamn  un4 
Mealsehnlen^  neb$t  vielen  Uebung$iH(fgaben  und 
Escursen:  von  J.  U.  T.  Müller. 

(Schlafs.) 

Eben  90  beschr&nkt  sich  der  sechste  Abschnitt 
(AnsnehuDg  der  Quadrat-  und  Cubikwurzclo)  keines- 
weges  auf  die  allgemeio  bekannten  Regeln,  sondern 
giebt  auch  andere  weniger  bekaqnte,  deren  Gebrauch 
Tortbeilhäft  nnd  deren  Studium  für  angehende  Mathe- 
matiker bildend  ist. 

Der  siebente^Abscbnitt  enthält  die  Lehre  von  d^n 
einfadien  und  zusamDiengesetzten  Zahlen,  im  Anhange 
einige  der  höheren  Arithmetik  angehörige  S&tze.  Lei- 
der entspricht  hier  die  Darstellung  der  zu  Gninde  lie- 
geadeo  guten  Absicht  durchaus  nicht,  indem  sie  er- 
hebliche Mängel  darbietet.  Seite  247  heifst  es  in  der 
AniDcrkiuig  zu  einem  Satze:  „der  y^n EttingMhauten 
m,  Baumgartners  Zeitschrift  für  Physik  und  Mathe- 
matik gegebene  Beweis  scheint  nicht  scharf  genug  zu' 
sein.*'  Nach  einem  Grunde  dieses  Scheinens  sieht  man* 
sich  Tergebens  um ;  in  deni  Beweise  selbst  hat  ibp  Ref. 
nicht  entdecken  können  ^  findet  vielmehr  diesen  ganz 
befriedigend.  Hingegen  scheint  in  der  Tbat  der  hier 
gewählte  Beweis  nicht  scharf  g^nug  zu  sein^  und  zwar 
ai^  folgenden  Gründen :  Erstens  weil  nicht  naohgewie» 
San,  ist,  wie  die  Induction,  mit  welcher  der  Beweis  au- 
ffingt, zur  Allgemeinheit  erhoben  und  namentlich  die 
Endformel  in  ihrer  einfachsten  Gestalt  ganz  allgemein 
edaogt  werden  kann;  zweitens  aber  bietet  auch  die 
ladnction  selbst  erheblichen  Anstofs  dar,  indem  behaup- 
tet wird,  die  Menge  der  Zahlen  zwischen  1  und  P,  wel- 
che durch  abj  ae^  ie  tbeilbar  sind,  betragen  P^^  + 
/»^^  .*.  P^^  —  P^l,^.    (Das  ZeiqbeQ  P^  bisdentet  die 

in  dem  Quotienten  S-  enthaltene  ganze  Zahl,   oder 

Jal^b,  f.  wUiMich.  Kritik,  J.  1830.   II.  ßä. 


auch  hier  diesen  Quotienten  selbst,  weil  P  durch  a, 
6^  Cf  0 .  theilbar  angenommen  ist.)  Zum  Beweise  wird 
auf  das  Vorangegangene  verwiesen ;  Ref.  hat  aber  diesen 
Zusammenhang  nicht  begreifen  können.  Im  Gegehtheil 
ist  die  Behauptung  unrichtig;  denn  die  Menge  der  durch 
aby  ac  und  bc  theilbaren  Zahlen,  unter  denen  von 

1  bis.P,  beträgt  P^^  +  P^^  +  ^Ac-2.-Pa*c3  ^eU 
effenbar  in  der  Summe  der  drei  ersten  Glieder  dieses 
Ausdruckes  die  durch  abc  theilbaren  Zahlen  dreimal 
gerechnet  sind..  Nach  der  obigen  Formel  des  Verfs. 
betrüge  die  Menge  der  durch  eine  der  Zahlen  6, 10, 15 
theilbaren  Zahlen  von  1  bis  30,  ^  +  f?  -H  J^  —  Jg 
«8  9;  IßB  sind  ihrer  aber  nur  8.*  Hieraus  erhellet  ge- 
^  nngsam,  dafs  die  Inductidn  fehlerhaft  ist ;  bei  der  Ver- 
besserung will  Ref*  nicht  verweilen.  —  Sehr  unpas- 
send ist  der  vom  Verf.  gebrauchte  Ausdruck  „nicht 
quadratischer  Rest"  anstatt  des  gewöhnlichen :  ^uadroj 
tucher  Nichtre%t  (S.  249) ;  ja  man  könnte  aus  den 

\yorten  ,Je  nachdem  der  Divisions-Rest  ven 


a 
P 


em 


Nichtquadrat  oder  ein  Quadrat  ist'*  auf  ein  zn  Grunde 
liegendes  Mifsverstüdnirs  schliefsen.  Denn  da  nach 
der  Natur  der  Sache  hier  allemal  o  kleiner  als  p  an- 
genommen  werden  darf,  *  so  ist  a  selbst  der*  Divisions- 
Rest,  nnd  mitbin  käme  es  nach  dem  Verf.  darauf  an, 
ob  a  ein  Quadrat  wäre  oder  nicht.  Dies  ist  aber  un- 
richtig und  soll  vielmehr  heifsen^  ob  a  quadratischer 
Rest  oder  Nichtrest  von  p  ist.  Man  nennt  nämlich 
eine  Zahl  a  quadratischen  Rost  in  Bezug  auf  eine  an- 
dere p^  oder  kürzer :  von  p^  wenn  sich  ein  Vielfaches 
von  p  finden  läfst,  welches  zu  a  addirt,  eine  Qmidrat- 
zahl  ausmacht;  so  ist,  z.  B.  3  quadratischer  Rest  von 
11^  weil  2  « II  +  3  das  Quadrat  von  5  ist.  Hingegen 
ist  6  quadratischer  N'ichtrest  von  11,"  weil  man  leicht 
beweiset,  dafs  niemals  ein  Vielfaches  von  11,  vermehrt 
um^,   ein  Quadrat  ausmachen  kann,  oder  dafs  keine 

34 


N. 


1/ 


267  '  Mällery  Lehrhieh 

Qiiadratauihl,  durch  11  dividirt,  den  Rest  6  jassea  kano. 
D^b^rhaopt  theilen  sich  djie  Zahleo  von  1  bis  10^  in 
Bezug  auf  den  Modul  11,  in  die  beiden  Gruppen  1,  % 
4^  5,  »  und  2i  6^^  7,  9,  10  \  jene  enthält  die  ^adiati- 
aablen  Roste,  diese  die  quadratischen  Nichtresta  von  11. 
Nach  der  Ausdrucksweise  des  Vcrfs.  hätte  man  aber 
unter  quadratischen  Resten  blos  die  Quadrate  1,'  4,  9 
SU  verstehen;  die  übrigen'  jener  Zahlen  sind  freilich 
^i^btquadrale"  und  in  so  fem  sie  als  Divisionareste 
angesehen  werden,  unmittelbar  auch  „nichtquadratische 
Reste;'*  aber  solche  EiDtheiluog  in  Quadrate  und  Nicht- 
quadrate  würde  hier  ganz  verkehrt  sein. 

Der  Anhang  E.  zum  siebenten  Abschnitt  betrifft . 
die  ,,Aafsuchung  des  gröfsten  gemeinsamen  Theilers 
zweier  Polynome/'  also  eine  rejn  algebraische  Auf- 
gabe, die  Ref.  nicht  in  die  Mitte  arühmetücher  Un- 
tersuehangen  versetzt  zu  ^hen  gewünscht  hätte.  Of- 
fenbar hat  sich  der  V£  durch  die  schon  oben  erwähnt« 
Analogie  zwischen  der  Theorie  der  Polynome  und  der 
Zahlen  leiten  lassen  $  auch  bedient  er  sich  hier  man* 
'eher  Ausdrücke,  die  nur  auf  Zahlen,  nicht  anf  Poly- 
nome passen.  Denn  genan  gesprochen,  wird  ja  hier 
nicht  der  „grofste"  gemeinsame  Thetler  zweieir  Poly- 
nome gesucht ,  sondern  der  höchste ,  d.  h.  der  tom 
höchsten  Grade  unter  allen  vorhandenen.  Wenigsten« 
hätte  doch  gesagt  werden  müssen,  dafs  der  Ausdruck 
grqfser  hier  nioht  dem  Zahlenwerthe^  sondern  ledig- 
lich dem  Grad«  des  Polynoms  gilt.    S.  257  heifst  es: 

„Wä«e  A^  >  A^  anstatt:  A^  von  höherem  Grade 

als  A^^  denn  die  A  sind  Polynome.     Von  Faotoren,' 

welche  gegen  ein  Polynom  „relative  Primzahlen'*  sind, 
(S.  261  Z.  1  V.  o.  und  256  Z.  12  v.  u.>  kann  nicht 
luglich  die  Rede  sein,  sondern  nur  von  solchen,  die 
mit  jenem  keinen  gemeinsamen  Theiler  haben ;  zu  knr-. 
zer  Bezeichnung  dieses  Verhältnisses  mag  dann  irgend 
ein  Ausdruck  gewählt  werden,  der  aber  nicht  schon 
eine  andere  mit  dieser  unvei^rägliche  Bedeutung  ha- 
ben darf.  Was  übrigens  jene  Analogie  zwischen  der 
Theorie  der  Polynome  und  der  Zahlen  betrifft,  so  kann 
sie  vielleicht  noch  zu  bedeutenden  Dntersnchungen  An- 
lafs  geben ;  ob  es  aber  gut  ist,  schon  Anfanger  darauf 
hinzuweisen,  läfst  sich'  mit  Grund  bezweifeln ;  gewifs 
aber  darf  solches  nur  mit  gehöriger  Erläuterung  ge- 
schehen, damit  auch  das  Verschiedenartige  kenntlich 


der  Mßtkematik.  2CB 

«US  einander  gehalten  und  nicht  Anlafs  cn 'falschen 
Vorstellungen  gegeben  werde.  Dafa  «o/lr^«' bei  Abfas- 
sung des  Buches  wrirklich  obgewaltet  haben,  zeigt  nicht 
aUein  die  schon  oben  erwähnte,  im  vierten  Abachnitl^ 
9l  136  befindlich«  unrichtige  Bemerkung,  aondam  auch 
hoch  entschiedener  die  Aufstellung  eines  völlig  inthiini- 
lichen  Satzes  im  15ten  Abschnitt  (untelr  23.),  von  wel- 
cher später  die  Rede  sein  wird. 

Sehr  ausführlich  ist  die  Lehr«  von  den  periodischen 
Decimalbrüchen  behandelt ;  fast  za  sehr,  da  da«  Ganze 
doch  nur  eine  *  besondere  Anwendvng  der  Potenzen*!!^ 
ste  ist,  und  nur  ans  diesen  gehörig  verstaaden  ytmtdm 
kann.  Etwas  gröfsere  Allgenieinheii  wäre  hier  wtkSt  za- 
läfsig  und  selbst  der  Klarheit  förderlich  gewesen.  So 
hätte  z.  B.  der  unter  56.  (S.  264)  aufgestellte  Satz 
allgemeiner  ausgedrückt  und  zugleich  kürzer  bewiese« 
werden  können.  Denn  wenn  Jlf  und  iV  relative  Prii«- 
zahlen,  und  6^  e  die  kleinsten  Zahlen  sind^  die  für  eni 
gegebenes  a  (im  Buche  ist  dieses  10)  beziehungsweise 

geben :  a^  =  Ij  med.  M  und  a^  =  1,  med.  ^j  so 
folgt  fast  augenblicklich,  daf«  das  kleinste  gememsnnie 
Vielfache  von  i  und  e  eine,  und  zwar  die  kleinstSi 
der  Zahlen  ist,  welche  für  'x  gesetzt,  der  Congruenz 

«^  =  1,  mod.  MN^  Genüge  leisten«    Dies  int  aber 

wesentlich  der  dortige  Satz.  Der  Yerfasser  liedicnt 
sich  übrigens  des  von  Ooums  eingeführten  Zeichens  = 
(gelesen:  congrucfnt)  nicht,  sondern  führt  eine 
andre  Sprech-  und  Schreibweis«  ein;  Ref«  würde  jed* 
falls  Uebereinstimmuttg  der  Zeichen  mit  dteen  andercf 
Efohriften  vorgezogen  haben. 

Der  achte  Abschnitt  enthftlt  die  allgeneitfe  TImo» 
rie  der  Potenzen,  Wurzeln  und  Logfupithmen;  der  neun!« 
die  Gleichungen  des  ersten  Grades,  im  Aahanjj^  di« 
Crom^rsche  Regel  zur  unmittelbaren  Bestimmung  T«n 
n  Gröfsen  aus  eben  so  vielen  GfeicEungew  ersten  Gm» 
des.  Im  sehnten  Abschnitt  folgt  die  Theone  der 
dratischen  Gleichungen,  wo  der  Yerf.,  nach  seiii^ 
das  aligemein  bekannte  durch  werthvotte  Zugehen  ^we^ 
niger  bekannten  Inhalts  zu  würzen,  auch  die  Fe — ^ — 
sehe  Methode  zur  Auflösung  quadratischer 
gen,  vermittelst  der  schon  erwähnten  geordneten  Di' 
sion,  mittheilt  und  weiter  entwickelt*  •.  Ja  dem  Anli 
über  die  imaginären  Ausdrücke  wird/ä^  376  die  F 

mel  (cos.  9  -f-  s  sin.  f/  »■  cos.r9  +  i  «in»  r^ 


MUllery  LekrhHth  der  Mathematik. 


fiir  gebrocluie  ExponenttD  gültig  erklärt ;  besser  stände 
d»ch  auf  der  reehteo  Seite  2  it  n  +  ^  statt  (^,  um  die 
VMdttitigkeit  aogleieb  uzweigeB,  die  übrigens  Jiaeb- 
her,  bd  Auflösung  der  zweigliedrigen  Gleichmigen,  zur 
ßprache  gebracht  wird.  Im  llteu  Abschnitt  folgt  eine 
sehr  sorgfaltig  bearbeitete  uad  überhaupt  empfehlens- 
werthe  Theorie  der  KettenbrUche«  Die  unabhängige 
combinatorisdie  Darstelhiog  des  iftea  Näherungswe^ 
tkes  ist  für  sich  von  Interesse;  aber  für  den  Ge- 
bfauch  steht  sie  des  Sttccesaiven  Bereehnang  weit 
nach,  obgleich  die  Vorrede  das  (Segentheil  andeutet* 
An  cfiesen  sich  passend  anachliefsend,  behandelt,  der 
folgende  Abschnitt  die  unbestimmten  Gleichungen  er- 
sten Grades. 

Der  dreizehnte  Abschnitt  enthält  die  Theorie  der 
Reihen.  Die  der  arithmetischen«  ron  aUen  Ordmm- 
gen,  ist  recht  gut  behandeh;  weniger  die  Binomial- 
Reihe,  deren  Herleitung  aus  dem  Journal  for  reine 
und  angewandte  JMtathematik  -  entlehnt  ist.     Dieselbe 

seigt  aber  nur,  dafs  (1  +  xy  gleich    ist    der  Summe 
der   ersten  n  Glieder   der  bekannten  Reihe  1  -f-  ^;r 

(welche  Summe  wir  &  nemen 


"L^^^x- 


•    • 


wollen),  yermehrf  um  einen  Rest  i?,  fiir  welchen  eia 
bestimmter  Ausdruck  angegeben  wird ;  also  (1  -f-  xy 

BEB  S  -f-  ü.    Um  hieraus  den  binomischen  Lehrsatz  zu 

'  ♦     '       ■       • 

erhalten,  hätte  bewiesen  werden  müssen,  daCs  R  mit 
wachsendem  n  zieh  der  Null  nähert.  Den  Mangel  die- 
ses Beweises  ersetzt  nicht  der  später  folgende  Be^ 
wris  der  Convergenz  der  binomischen  Reihe;  denn  aus 
diesem  sieht  man  nur,  dafs  die  Reihe  überhaupt  einen 
Werth  hat,  der  aber  unbekannt  ist.  Bezeichnet  man 
denselben  mAf[ps^^  so  convergirt  das  obige  8  mit 
wachsendem  n  gegen  die  Grenze  y(^),   folglich  das 

•b^  R  fSßg/ui  die  Grenze  (1  -f-  xf  — /^C^),  während 
wiehMhr  au  beweisen  war,  dafs  R  gegen  Null  conyer- 
girt.  ^  Gegen  die  bi^rauf  folgende  Herleitung  der 
logarithaiiscben  und  der  exponentieUen  Reihe  durch 
Anwendung  unbestimmter  CoetPicienten  gelten  ähnlt 
clie  BrinnerBiigen.  Die  Form  der  Reihe  erscheint  als 
«ein  willkürliche  Voraussetzung;  dafs  die  aus  solcher 
bergeleitete   Reihe   auch   convergirt,    beweist   nicht, 

dafs  sie  gegen  die  Grenze  log.  (I  -i-  x)  oder  ^  oonver- 

fprt  —    Das  Capitel  T^n  der  Convergenz  der  Reihen 


ist  übrigens  ^ariA  Binfachheit  uad  Klarheit  der  Daxu 
stelhmg  em^efalenswerth.  Unter  dea  Beispielen  and 
Aufgaben  über  Reiben  möchte  folgendes'  lieber  feh«» 
len:  „die  Summe  von  Primzahlen  ist,  Venu  sie  eiijie 
einfache  arithmetische  Progression  bilden,  immer  eine 
zttsasnnengesetzte  Zahl,  z.  B.  9  +  &  +  7  ■■  3  •  5/' 
Kaan  0b  wohl  einem  Schüler  einfallen  sicbf  zu  wui^ 
dern^  wenn  eine  Smnne  von  Primzahlen' nicht  gerade 
wieder  eine  Primzahl  ist  f  Solfte  überhaupt  ein  solcbef 
Satz  aufgestellt  werden,  so  konnte  ja  allgemein  von 
der  Summe  einer  arithsietischen  Reibe  gssoer  Zaklei 
die  Rede  sein. 

Der  vierzehnte  Abschnitt  liefert  eine  sehr  reiche 
haltige  Darstellung  der  Combinatlonsleh^e;  unter  an- 
deren findet  sich  hier  eine,  wie  es  scheint,  sonst  noch 
nicht  gemachte  gute  Bemerkung  über  eine  gewisse 
Art  von  Combinationen,  die  der  Verf.  Combinationen 
ohne  Folgen  nennt  (S.  489  unter  34.).  Der  Abschnitt 
zerfällt  in  zahlreiche  .(Jnterabtheiliingen,  die  Ref.  je- 
doch nicht  einzeln  auflPübren  wiH  \  er  begnügt*  sich  im 
Attgemeinen  za  bemerken,  dafs  ihm  das  Ganze  sehr 
durchdacht  und  wohl  angeordnet  erschienen  ist.  Eine 
im  Anhange  unter  26.  aufgestellte  Aufgabe  hätte  voll- 
ständig gelöst,  werden  können,  was  nicht  geschehen 
ist.  Sie  betrifft  diie  Entwickelung  gewisser  symmetri- 
scher Piroducte,  wie  (—  a,  +  a,)  [ai^  —  «,),  (— a, 

"*•<»£+  «3)  («1  —  »g  +  Ö3)  (^1  -H  »g  —  «3)5  «•  ö-  ^' 
Der  Verf.  zeigt,  wie  die  CoefKcienten  der  Glieder  in 

der  Entwickelung  solcher  Producte  sich  auf  combina- 
torischem  Wege  finden  lassen,  und  hält  sein  Verfahren 
für  neu.  Es  giebt  aber  ein  leichtes  Mittel,  zu  der  all- 
gemeinen Form  der  gesuchten  Coefficienten  zu  gelan- 
gen, worin  offenbar  auch  die  wahre  Lösung  der  Auf- 
gabe liegt.  Führt  man  nämlich  die  Summe  a«  +  a« 
■*"  «3 .+  •  •  •  +  ^ü  ™  *  ein,  so  erhalten  obige  Producte 
folgende  ein&ohere  Gestalt:  (*— 2aJ  {i^Ta^  .... 
(«  —  20«).     Um  nun  den   Coefficienten  des  Gliedes 


«» 


«« 


'3 


.  .  • 


zu  finden,  entwickele  man  je- 
nes Prodnct  nach  Potenzen  von  #,  und  diese  Poten- 
aen  nach  dem  polynomischen  Satze,  bezeichne  noch 
die  Sunune  der  Exponenten  a^,  a^,  a,  .  •  •  a«  mit 
Ol,  die  Summe  ihrer  Producte  zu  zweien,  zu  dreien 
n.  s.  f.  (ohne  Wiederholungen)  mit  ag,  ffs  •  •  •  (wobei 
übrigens  das  Zeichen  o«  nur  der  Gleichförmigkeit  we- 


r   ■  , 


.   -■•       * 


271  Müller^  Lehrbuch  der  Mathematik. 

gen  BD  die  S.t6lle  seioee  Wertfaea  n^  gesetzt  ist);  80 
findet  man  folgenden  Ausdruck  jenes  Coefficienten : 

l  .  2  •  3  .  m^^  ft  -—  1  •  A 


272 


men.    Derselbe  heHst  xnr  HMfte  sot    ^Wenn  =^i^ 


1-« 


(•- 


1  «S«  3  ••  a|'*  1.2,3«  •  0^  • .« ••^•2* .  •*€e 


oder 


keine  ganzen  Zahlen  sind,  so  ist  « 


2^cj, 


s  « - 1 . »       nr-2.n-\M 

Diese  -Ldsung  erfordert  Hur  Mittel,  die  der  vorange- 
gangene Theil  des  Buches  darbietet;  dashalh  ist  es 
Schade,  dafs.  sie  nicht  bemerkt  worden  ist. 

]>er  letzte  Abschnitt  betrifft  die  algebraischen 
fiileichnngen.  Hier  findet,  sich  leider  im  Anfange  ein 
anoh  anderwärts  oft  yorkomniender  Mangel,  nämlich 
JJehergehung  des  Beweises  vom  Dasein  der  Wurzeln, 
{lach  einigen  nichts  beufeisenden  Bemerkungen  heifst 
0s:  „demnach  darf  man  annehmen,  dafs  Jede  Gleichung 
.wenigstens  eine  reelle  oder  imaginäre  Wurzel  hat.'* 
Die  mathematische  Strenge  giebt  zu  dieser  Annahme 
keine  Erlaubnifs.;  auch  glaubt  Ref  >  in  Rücksicht  auf 
die  beträchtlichen  an  dieser  Stelle  des  Buches  schon 
gewonnenen  Mittel,  dafs  der  einfachste  unter  den  hier- 
her gehörigen  bekannten  Beweisen,  nämlich  der  von 
Cauchjfy  in  gehöriger  Bearbeitung  sich  hätte  aufneh- 
men lassen.  Weiter  folgt  dann  aie  Budansehe  Me- 
thode .zur  numerischen  Lösung  der  Gleichungen.  Die- 
ses bekanntlich  auf  dem  Cartesiscben  Satze  beruhende 
Yerfahcen  genügt  für  Gleichungen,  die  nur  reelle  Wur- 
zeln habenj  im  Allgemeinen  aber  läfst  es  Schwierig- 
keiten übrig,  die  nur  die  Feuriereche  Methode  befrie- 
digend hebt.  Die  Mittheilnng  dieser  ist  aber  dem  Vf., 
wie  aus  einer  Anmerkung  S.  527  herTorzugehen  scheint, 
zu  weitläufig  erschienen.  Ref.  glaabt' nicht,  tadeln  zu 
dürfen,  dars  der  Vf.  bei  einem  Gegenstande,  den  er 
als  aufserhalb  der  wesentlichen  Grenze  seines  Unter- 
nehmens liegend  anerkennen  mufste,  auf  die.  sonst  fast 
durchgängig  erstrebte  Vollständigkeit  verzichtet  hat. 
Von  dem  nooh  Uebrigen  mag  nur  das  Capitel  über  die 
allgemeine  algebraische  JLösung  der  Gleichungen  drit- 
ten und  Tierten  Grades  genannt  werden,  dessen  Ge- 
genstand dem  Plane  .  des  Verfs.  viel  näher  lag,  .auch 
recht  befriedigend  bearbeitet  ist.  —  Noch  ist  Ref.  ge- 
zwjmgen,  auf  den.  unter  23.  (S.  622)  aufgestellten, 
achon   oben   vorläufig   ejrw&hnten  Satz  zurückzukom- 


poeitive  Wurzel  der  Gleichung  Fx  =  a,  Toraus^eseti^ 
dafs  alle  CcfefBcienten  ganze  Zahlen  sind.''  Die  Hit- 
tbeilung  der  andern,  die.  negativen  Wui^eln  aogeheo- 
.  den  Hälfte  des  Satzes  ist  überflüssig.  Also  wenn  0 
eine  positive  Wurzel  d^r  Gleichung  Fx  «  a  mit  gu- 

zen  Coefficienten  vorstellt,  so  i^t  -7^^ ^  oder  -^-^ 

1-^«  1+Ä 

jeine  ganze  Zahll  Das  Widersinnige  —  so  mnfs  mm 
sagen  —  dieser  Behauptung  springt  sogleich  m  die 
Angen,  wenn  man  bedenkt,  dafs  die  Wurzel  o  irratio*. 
nal  sein  kann.  Zum  Beweis  wird  auf  Artikel  7.  Te^ 
wiesei^  wo  der  Satz  steht,  dafs  Fx  durch  x-*a  tbeO- 
bar  ist,  wenn  a  eine  Wurzel  der  Gleichung  fx^% 
vorstellt.  Offenbar  ist  dieser  Irrthum  entsprungen  au 
einer  Verwechselung  zwischen  dem  algebraischen  and 
dem  arithmetischen  Begriffe  der  Theilbarkeit,  zvi- 
sehen  dem  Begriffe  des  ganzen  Polynomes  und  der 
ganxen  Zahl.  Es  wurde  also  vorhin  nicht  mit  Un- 
recht gesagt,  dafs  man  sich  vor  der  erwähnten  Aaitlo- 
gie  fast  m.  hüten  hat.  Weitere  Folgerungen  irerdea 
übrigens,  glücklicherweise,  aus  diesem  vernieiotüdieD 

,  Satze  nicht  gezogen. 

Refer.  gesteht  gern,  dafs  einige  der  von  ibm  b^ 

^  rührten  Mängel  nicht  sehr  erheblich  siod ;  von  and^ 
Jen  aber  gilt  dieses  nicht.  Hingegen  enthält  das 
Buch  auch  «0  viel  Gutes,  ja  Vorzügliches,  wovon  « 
anderen  Lehrbüchern  nicht  die  Rede  ist,  dafs  das  be* 
kannte  uhi  plura  nitent  hier  mit  Recht  geltend  ge* 
macht  werden  darf.  Unter  Leitung  eines  kondigea 
Lehrers  kann  das  'Buch  auch  zum  Privatstudium  seh^ 
erfolgreich  benutzt  werden.  Reichhaltige  historisch 
und  litterarische  Notizen,  die  den  verschiedenen  Ab* 
achnitten  beigefugt  sind,  erhöhen  den  Werth  derse^ 
ben.  —  (Seite •  395,  Z.  11  v.  u.  Jese  man  anstatt  «dis- 
qoisitiones  generales  circa  superfic.  etc."*:  disqn.  circa 

seriein  infinitam  etc.)  

Ferd.  Mindiog. 


Jlf 


'^#« 


Ja  h  r  b  fi  c  h  e  r 


für 


wissenschaftliche    Kritik, 


August   1839. 


XYI. 


Handbuch  der  allgemeinen  Staatslunde  von  Eu- 
ropoj  ron  Dr.  Friedrich  Wilhelm  Schubert, 
ard.  Prof.  der  Geschichte  und  Staatskunde  an 
der  Universität  zu  Königsberg.  Ersten  Ban- 
des  erster  Theit:  die  allgemeine  Einleitung  und 
das  Russische  Reich.  Königsbergs  1835.  bei 
den  Oebrudem  Bornträger.  "Ersten  Bandes 
zweiter  Theil:  Frankreich  und  das  Britische 
Reich.  Königsb.y  1836.  bei  den  Gebr.  Bomtr. 
Ersten  Bandes  dritter  Theil:  die  Reiche  8pa- 
nien  und  Portugal.  Königsby  1836.  bei  den 
Gebr.  Borntr.  Ersten  Bandes  vierter  Theil; 
die  Italienischen.  Staaten  Neapel  und  Sicilien^ 
Sardinien^  der  Kirchenstaat^  Toscana,  Parma^ 
JUodenay  Lucca  und  S.  Marino.  Komgtjbergy 
1839.  bei  den  Gebr.  Bornträger. 

Die  Statistik  —  Staatskunde  Ton   Schubert  ge- 
nannt —  hat  die  Anfgahe  9  em  Bild  yon  dem  gegen- 
wftrtigen  Znstaude  eines  StaatSy.deoi  Leben  und  Trei- 
ben ^er  Belrohner  desselben,  dem  ihnen  in  Grund  und 
Boden  und  sonst  gegebenen  Naturfonds,  ihren  Erwerbs- 
>nitteln,  ihrem  Wohlstande,  ihrer  Bildung,   ihren  Ver- 
b&ltnissen  zurllegierung,  von  der  Einrichtung,  Orga- 
jiisation  und  den  zu  Recht  und  factisch  bestehenden 
VerhAltnissep  der  Regierung  selbst,  zu  entwerfen.  — 
^.Jcf  mehr  dies  Bild  der  Wahrheit  entsprechend,  klar, 
aicberi  soTerläfsig,  Tollständig  und  lel;endig  ist,  um  so 
.besser   wird  die  durch  die    Statistik    eines    bestimm- 
ten Staats  gelieferte  Darstellung  ihre  Aufgabe  gelöst 

Ilaben.  —  . 

« 

£s  folgt  ans  diesen  Umrissen ,  wie  schwierig  die 
Aufgabe  der  Statistik  sei.    Wären  auch  alle  Materia- 
wiß  leider  wohl  n^oh  bei  keinem'  Staate  der  Fall 
Jmhrh.  f.  wininick.  Krifik.  J.  1830.  II.  Bd. 


ist,  YoUständig  yorhanden,  so  müfste  doch,  wer  ans 
ihnen  eine  genugende  Darstellung  liefern  wollt^  jeden- 
falls ein  sehr  allgemein  und  hochgebildeter  Mann  sein, 
denn  er  bedarf  der  Kenntnisse  sehr  viele,  er,  mufs  in 
sehr  vielen  Wissenschaften  wohl  bewandert  sein,   um 
seinen  Zweck  zu  erreichen.    Aus  der  Geognosie  und  ; 
Geographie  mufs  er  in  seine  Darstellung  anfiiehuien, 
alles  was  zur  Beschreibung  der  natürlichen  BeschalPen- 
heit  des  Landes  gehört,  das  in  den  Grenzen  eines  ge- 
gebenen Staats  liegt ;  er  bedarf  landwirthschaftlicher, 
technologischer,  naturjiistorischer  Kenntnifs  aller  Art, 
sopst   kann   er   die   Quellen   des  Nationalwohlstandea 
nicht  zeichnen ;  er  mufs  Hörr  sein  der  politischen  Oeco^ 
nomie  nach  allen  ihren  Verzweigungen,  sonst  kann  er 
nicht  darstellen,   wie  die   Menschen  in  einem 'Staate 
erwerben,  san^meln  und  verzehren;  er  mufs  hoch  ste- 
hen in  allgemeiner  Bildung,   sonst  kanli  er  den  intel- 
lectuellen  Zustand  einer  Nation  nach  ihren  verschie- 
denen Richtungen  nicht   übersehen;    staatsrechtliche,' 
überhaupt  juristische  Kenntnisse  dürfen  ihm  nicht  feh- 
len,  sonst  vermag  er  nicht  die  Rechtsverhältnisse  un- 
ter den  Menschen,  die  Organisation  der  Behörden,  die 
Verfassung   und  Verwaltung   in   einem  Staate   darzu- 
.stellen.    Ganz  insbesondere   aber  mufs   er   Historiker 
sein.    Die  gegenwärtigen  Verhältnisse  in  einem  Staate 
haben  sich  nach   und  nach  entwickelt,   wie  sich   ge- 
schichtlich  der  Staat  gebildet;    sie^  ruhen   meist   auf 
historischer  Basis ;  sie  sind  nicht  verständlich  ohne  ein- 
zudringen in  die  geschichtliche  Bildung  and  Entwicke- 
lung   eines  gegebenen   Staats;   und  nur   zu  wahr  ist 
Schlözers  Wort:   die  Geschichte   ist  eine  fortlaufende 
Statistik,  die  Statistik  eine  stillstehende  Geschichte. 

Ist  es  hiernach  ein  Grundirrthum,  wenn  man  meinte 
statistische  Darstellungen  liefsen  sich  liefern,  wenn 
Jemand  nur  fleifsig  sanvnielt>  wie  ehrenwerth  solche 
Bemühungen  an  sich  sind,  so  hat  die  Bearbeitung  der 
Statistik  eines  Landes  noch  andere  besondere  Sohwie- 

.  35 


Schubert^  allgemeime  Sta^tJkunde  von  Europa*  27f 

soll  Thatsaobw   nsamtiesfl^ellefi»     lar  «s  \%i^  in  ein^m  Octavbande  aibnintliche  &a«tai 


275 

rigkeiten,  . — 

Bei  Darstellung  der  Yerfassopg  und  Verwaltung  eines 
Landes,   der  Bildung  des  Territorialbestandes  sind  es 
geitehiehtliohe'StudJen,  f^aue  ^rüfui%  der  üj^er  flie 
«flHttiäliligeN.  Bildung  eines  Ittaats  öffentlich  bt^kaint  ge- 
machten Verbandlungen  und  Documente,  vielleicht  auclip 
"WO  es  mdglich,   sorgfältige  Durchsicht  archivalischer 
Nachrichten,    die^   nach  gewifs  oft  mflhsainer  Arbeit^ 
zum  Ziele  führen.    Bei  vielen  andern  Theilen  der  Sta- 
flMik  aber  erscheinen  die  Thatsachen  als  Zahlen,  und 
es  gehört  gtofee  Uebong  uttd  Kritik  dazu,  die  Zahlen, 
"die  oft  mit  sehr  unsicher  und  thellweis  vorhanden  sind, 
SU  abl^rürftlti^  tfurd  zu  sichten.    Hiernach  ist  es  f&r 
Staatsmftnni^r,  denfen  nach  amtlicher  Stauung  die  Nach- 
Hdif&n  der  Behörden  zugißben,  eine  würdige  Aufgabe 
des  L/ebens,  &(t  einen  einzelneli,  gegebenen  Staat,  die 
Nachrichten  zu  pröfen,  zu  sondern,  ihre  Berichtigung 
ta  veranlassen,  und  nach  und  nach  die  einzelnen  Theiie 
-der  Statistik  des  gegebenen  Landes  so  zu  velrbessera 
und  zu  Tc'n^nständigen,  dafs  fiir  das  allgemeine  BesU 
fn  aller  Itiüsicht  darauf zbHickgegangen  werdeakamij  — 
dafti  f&t  das  PubK(n}im  in  öffentlichen  Mittheilungen  die 
genauere  Kenntnifs  des  gegebenen  Staats  immer  rich- 
tiger ^ieh  verbreite ;  dafs  die  numerisdien  Verhältnisse, 
^iese  unerbittlichen  Richter  iti  den  viel  bestrittenen  Ver- 
h&Hliisscfn  der  Staatswirthsohaft,  wie  AI.  v.  Humboldt  sie 
nennt,  Immer  sicherer  ermittelt,  immer  genügender  und 
iclarer  zusammengestellt  werfleO.  Für  eineuGelehttcn,  dcl* 
In  det  Bauptsucbe  nur  aus  öffentlich  bekannt  gemachten 
'Zahlen  und  Documenten  schöpfen  kann,  ist  es  schon 
Ec/hr  anerkeunenswerth,  wenn  ein  solcher  die  zerstreut 
liegetiden  Nachrichten  für  einen  oder  den  andern  Staat 
sotgsam  sammelt,  und  aus  ihnen  mit  Utpsicht,  Sinn 
Hfid  'Geschick  das  Bild  eines  und  des  andereu  Staates 
zu   entwerfen  glücklich  versucht.    Grofsartig  aber  ist 
fttt  einen  einzelnen  Gelehrten  das  litterarisoho  Unter- 
nehmen, von  alten  Staaten  Europa*s  nach    einander 
eine   Statistik  zu  scbreibeti,    uod  in    einem    solchea 
Wärke   den   gegentcärtigen   Zustand    aller   einzelnen 
Staaten  Europa^s  zu  schildern.  —    Dies  ist  die  Auf- 
gäbe, die  si6h  Ptof.  Schobert  in  dem  oben  angezeig- 
ten Werke  ges^t^'htit.    AUcfdings  erschien  schon  1822. 
Bassets  Lehrbuch  der  Statistik;   gleichfalls  die  eure- 
p'äischeu  Staaten  umfassend,  aber  abgesehen  davon, 
dafs   die   dort  mitgetheilten   Nachrichten  jetzt   schon 
veraltet  sind,  giebt  dieses  Lehrbuch,  wie  sehr  sch&tz- 


und  enthält  daher  überall  nur  den  damaligen  Zustand, 
•fN>  weit  ihn  der  Verf.   ermittelt  hatte,  in  einer  atalisti- 
sehen  Uebersicht,   phne  'nähere  Vermittelung  luid  Mo- 
>  tivirung  der  obwaltenden  Zustaide  dureh  biitpriscfte 
Rückblicke  auf  frühere  Zeiten.    Freiherr  von  Malchas 
und  Prof.  Schnabel  haben  182$  und  1833  vergleichende 
Staatskunden  in  Werken  von  einem  oder  zwei  'Octav- 
bänden  herausgegeben,  und  in  diesen  die  versobiedd- 
nen  Zustände  in  Europa  verglichen;  aber  die  Vergfci- 
chung  beschränkt  sich  am  Ende-  auf  mehrere,    aller- 
dings wesentliche  statistische  Verhältnisse  und  nur  auf 
die  wichtigsten  Staaten  in  Europa«  '  Viele  VeilialtnMse 
bleiben  uuberührt,  —  wie  iDteressant  manche  2^i 
'mcnstellung,  ist  das  Ganze   doch  mehr  ein  B3d 
zelner  Momente  im  Staatsleben,  die  gegenwirtSgaa  Zu- 
«tände  eind  niolit  aus  früheren  entwickek.  es  ist  kern 
Aufbauen    und    volbtändiges  DarMdlen    des    gPgia^ 
wärtigeii  Zustandes  der  verschiedenen  Staaten.  —  Dias 
.  soll  nicht  zum  Nachtheil  jener  verdienstlichen   Werifce 
gesagt    sein,    sondern  nur   den   Standpunkt  bezeicb* 
neu,  von  welchem  aus  sie  geschrieben  sind.    Hr.  Sclui- 
foert  giebt  in  den  vorliegenden  vier  Octavbftnden 
«Statistik   von  Kufslaod,    Frankreich,  Groi^bri 
Spanien,  Portugal  und  den  verschiedenen  ilalienMciieB 
Staaten.    Er  constroirt  Von  einem  jeden  diese«  Staa- 
ten die  gegenwärtigen  Zustände  nach  den  verscUoie- 
nen  Ricbtungea  und  Gesichtspuncten,  die  in  der  8ta-' 
tistik  gefordert  werden ;  er  bemüht  sich  vpu  einent  je- 
-den  Staat  das  UM  m«g(idhst  ToUstftndig  und'  Wsei- 
tig  zu  entweifen;   konnte  der  Vtsvf«,  inebesondelpe  bei 
Mittheiiung  von  Zahlen,  solche  meist  auch  nicht 
neuen   und   ungedruckten  Quellen   schöpfen,    war  w 
also  nicht  seines  Amtes  und  nicht  in'  seiner  SttfUtmg^ 
r^eue  Resultate  ans  noch  ungenutztem  Material  xn  fie» 
fern,  so  hat  er  doch  mit  aufserordeatlichem  Fletfa  nai 
<mit  Kritik  die  Zahlen  aus  den  verschiedensten  Selirtf^ 
teu  uud  Nachrichten  zusammengebracht,  g^erdnel  and 
Itiur  und  geschickt  mitgetheilt;    die  mühsame  Saaaa^ 
lung,  die   lichtvolle  Darstellung  ftind  turin  VardiettiBl; 
und  es  gelang  ihm,   diese  eines  Theils  dareh  gll^U^ 
che  Durcharbeitung  des  hie  und  da,  wie  in  EngUalJ 
und  Frankreich,  überwältigenden  Stoffes;  -^  aaltof^rJ 
seits  durch  ämsiges  Aufsuchen  'und  rasttesea,  nner« 
müdliches  Erforschen   und   Ermitteltt  und  PrMta  iec 
oft  spärlichen  Quellen,  die  {B^  Statistik  ^iii  Portugal^ 


: 


977 


^MtAett;  ^fgmetM  Stiuitikmkh  000^  £mropa. 


ans 


-dern  iUSeeMkek  Staaten  Atefsen.    HödiBt  iiitereMaiit 

^md   wMiti|^,  ttnd  in  dieser  Art  der  Aiiffafistaii^  oiid 

'JLnsBHiniPg  nem  vad  tin  ^eeonderes  Verdictifit  dcto  Vfii. 

"iat^-  dafii  dersenife  aicbt  bloa  ibi  AligenieiBeii,  sondeHi 

4iMt  bei  eiaeai  Mea  eiaM^ben  Abschoitt  der  Statifilik, 

Aar  Bildaag  des  TerritorialbestaadeB)  dem  Zjustaad^ 

ier  ManafaetbtiNi }   Pabrikea   und    dem   ge^erUuAM 

Leben,  den  Fiaanxen,  der  Yeifasfluag  und  VerwaHmig 

den  degenatand  hiitoriack  auffafat,  md  die  früheren 

gescbichtlioben  Verhältnisse,  welche  den  gegenwäfti- 

gan  »ZtfBtand    herbeigeftihrt  haben  ^    überaichtlioh  an-^ 

mgt    Eine  giftiane  Litteratnr  giebt  jedem  Leser  dfo 

Hf^ri,  dnaeloe  Gegenatinde  veiter  su  yerfolgen.  Der 

CManke:   in  einer  solpben  Weise  die  Siatistik  der 

{Staaten  Eoropa^s  snsammenzustellen,  war  BedörfuHb 

der  gebildeten  Welt,  und  wir  jFreuen  uns,   dafs  sron 

dem  längst  als  Historiker  rüfamliobst  bekannten  VeHl, 

iffieaea  Bedärfiiifs  ansaufillen,  mit  so  vielem  Eifer  und 

mo^  Tielem  Glnok  unternommen  ist.  -— 

In  dem  ersten  der  oben  bezeichneten  vier  fi&nde 
f^ebt  Schobert  aanäcfast/aaf  120  Seiten    eine   allge- 
tnmie  Einleitung  in  die  Statistik  überhaupt,   die  «iH 
Saehkeantnifs,  Belesenheit  und  Gelehrsamlc^it  gearbei- 
tet ist.  ^Elr  entwickelt  zuerst. den  BegriiF  der  Wissea- 
mchaft,  spricht  sodann  von  ihren  Hülfswissensohaftea, 
-den  Theilen^  dem  Ntttzen,  den  Quellen  dersetben,  und 
g^ebt  hierauf  in   einer  längeren  Auäfiihrnng   die  Oe- 
8«^tdite,  der  Statistik   als  Wissenschaft.     Es  foflgen 
-sodann  aügemeine  Bemericungen  über  das  Verhältnis 
ISfuropft's  zu  den  Übrigen  Erdtheilen,  namentlich  in  Be- 
treff der  BcTAkerung,  worauf  der  Yf*  tou  den  Staa- 
i:en  Europa's  nach  dem  Alter  ihrer  souveraineu  Selbst- 
atändigk^y  nach  ihrem  Range,  nach  ihrer  Regierunga- 
forra,  ihren  finanziellen  Verhältnissen,  ihrer  Land-  und 
ISteemacht  spricht.  —  Der  Vf.  sagt,  man  unterscheide 
^ew^hnlich  vier  Rangklassen  -der  Staaten:    1.  Staaten 
enrten  Ranges,  welche  bei  allen  wichtigen  'Ereignissen 
'die  entscheidende  Stimme  fiibren,  entweder  ganz  allein 
-jBe  VerhäKnisse  regeln,  oder  doch  einen  solchen  iEin- 
■fltjrfs  auf  die  Beiftimmting  derselben  ausüben,  dals  kern 
Widerstreben  gegen  denselben  gedacht  werden  kann. 
Der  Verf.   berührt  geschicfatircb,  %ie  Frankreich  und' 
Oeaterrerob  diese  Bedeutsamkeit  seitdem  politischen  Zu- 
aammentreten  der  Staaten  im  Mittelalter  stets  behaup- 
tet^  das  Britische  Reich  durch  diä  Königin  Elisabeth^ 


Itursländ  Mit  Peter,  Pranfsen  seit  Friedrich  dem  €^ 
fsen  in  *^se  Reibe  efttf^aten  seieiir   Spanien^  din 
Osmanisßhe  Pförta,  die  Niederlande,  Schweden  haben 
in  friiherer  Zeit  a«  diesen  Rei<diett  ersten' Rsnges  ge- 
biert, sind  aber  darch  die  geschioUliche  Entwickelung. 
der  Verhältnisse  jetzt  Reiche  «weiteo  Randes  gewor- 
den^ welche  twar  Aicht  einen  gebietenden  Einspruch, 
wie  RuAland,  Oesterreieh,  Frankreich,  England,  Preu- 
fsen,  abi^  doch  eine  so  gewiehtVolle  Macht  besitzen, 
dafe  sie  jedenfalls  in  der  Clesammtheit,  oft  aber  auch 
•einzeln  an  der  Leitung  und  Berathnng  der  mUgemm^ 
nen  Europäischen  Angelegenheiten  Theil  nehmen«    Ea 
gehören  nach  dem  Vf.  hierher  aufeer  den  in  diese  Ka- 
tegorie zuriickgetretenen,  oben  genanntea  TierReicfaen 
tioch  Portugal,  Neapel  und  Sicilien,  ^rdinien,  Däne- 
mark, Belgien,  die  Schweiz,  Bayern.  ^—  Zur  ill.  Classe 
Technet  der  Verf.  den  Kirchenstaat,  die  übrigen  deut- 
schen Königreiche,'  Griechenland,  Toscana,   die  deut- 
schen Orofsherzogthihner   sammt   Kuthessen,   BraunF- 
schweig,  Nassau, .  Parma  und  Piaoenza  und  Ifedena« 
Er  beseicfaaet  diese  Staaten  als  sdcbe,  die  nach  dem 
Umfang  ihres  Territoriums  und  der  Gröfse  ihrer.  Be- 
TÖlkerung  auf  eine  gröfsere  Selbstständigkeit  A^pruch 
machen  können,  und  wirft  alle  übrigen  in  die  IV.  Classe« 
Es  ist  zwar  richtig,  dafs  yon  diesen  Staaten  die  mei- 
sten "kaum  20  bis  30  Quad.  Meilen,  keiner  über  50  Q. 
M.    umfafst,  während  —  mit  Ausschlufs   des  nur  36 
Q.  M.  umfassenden  Meklenburg-Strelifz  —  alle  übri- 
gen ad  m.  genannten  doch  bis  70  oder  100  Q.  M.  in 
minimo  haben.    Indessen  sind  wir  mit  dem  Verf.  ganz 
einverstanden,  dafs  die  Unterscheidung  der  Classen  III. 
und  IV.  von  dem  Zufall  augenblicklicher  Ereignisse 
abhängig  ist,   und    die   generellere  Unterscheidung  in 
gröfsere,  mittlere,  kleinere  Staaten  vielleicht  richtiger 
ist.    Interessant  ist  die  S.  108  gegebene  Zusammen- 

s 

Stellung,  die  In  Zahlen  'beweist,  dafa  die  5  grofsen 
'Mächte  Europa's  .mehr  als  f  an  Ar^sal  und  Bevölkd- 
rung  Europa's  umschliefscn;  die  Staaten  11.  Ranges 
liaben  etwa  ^  des  Areals  und  der  Bevölkerung;  die 
Staaten  III.  und  IV.  Ranges'  zusammen  genommen 
no<$h  nicht  ^  in 'beiden  Beziehungen.  Die  Einleitung 
enthält  femer  sehr  wichtige  Angaben  über  die  Fort- 
schritte der  Bevölkerung  in  Europa  S.  79,  80.  Es  ist- 
hier  sowohl,  wie  im  ganzen  Buch,  in  der  Regel  ein- 
fach so  gerechnet,  'dafs  dieDiflferenz  zwischen  der  frü- 
heren, und  späteren  Bevölkerung  dturch  die  Anzahl  der 


279 


Sehubert^  mllgemaine  StaaiäJkumde  tfon  EürßjHL 


an 


•  • 


t  • 


dazvtsobeii  übenden  Jabre  dividü^,  der  Quotient  als 
eiojftbriger  Fortschritt  gwommetty  and  nach  dieeem 
der  Prooeotsatas  im  Verbältair«  zum  Anfangsjabre  er- 
mittelt ist.  So  X.  B.  ist  (II9  349)  gerecboet:  die  l^e- 
Teikening  GroTsbrifanDieDs  war  1811:  12596803^  1821: 
14391631$  der  Zuwachs  beträgt  also  1794828  ia  zebu 
Jahren,  mitbin  in  1  Jahr  179482,  oder  If  Procent. 
(12596803  +  179482  »  12776285.  Es  ist  abear 
12596803  :  12776285  »  100  :  101^  oder  genauer  100 
:  101,424.)  Streng  genommen  kann  so  nicht  gerech- 
net werden.  Nach  den  angegebenen, Zahlen  ist  nicht 
zu  sagen:,  Die  Bevölkerung  Grofsbritaaniens  mehrte 
sich  Ton  1811: 1812  um  179482;  die  Vermehrung  mufs 
1811  :  1812  geringer,  dagegen  1820  :  1821  höher  als 
179482  eingenommen  werden.  Sie  steigt  jn  geometri- 
scher Progression.  Ist  m  der  Theil  des  Mensobenca- 
-pitals,  um  den  solches  j&brlich  wächst,  C  die  Anfangs- 
grMse,  If^  die  Endgröfse  desselben,  n  die  Zeit  des. 
-Wachsens,  also  im  vorliegenden  Falle  C  sa  12596803, 
IFa  14391631;  ^  »  10,  so  berechnet,  sich  nach  der 

Formel  fV  ^  C  Ct^SY  die  Zahl  m  auf  72,9927: 

d.  h.  auf  Procente  reducirt,  die  Bevölkerung  wuchs 
wie  100 :  101,37,  nicbt  wie  100 :  101,42.  —  Für  gewöhn- 
liehe  kleinere  Ueberscibläge  und  kürzere  Perioden  ist 
diese  gröfsete  Genauigkeit  freilich  ^icht  nötbig,  und 
konnte  daher  von  dem  Verf.  in  solchen  unbedeutenden 
Fällen  wohl  unberücksichtigt  gelassen  werden ;  —  nur 
für  Igröfsere  Perioden  und  insbesondere  zur  Yerglei- 
chung,  ob  und  in  wie  fern  bei  einer  bestimmten  Zäh- 
lung der  Fortschritt  der  Bevölkerung  im  Progressions- 
satze geblieben,  oder  ob  und  wieviel  er  davon  abge- 
wichen ist,  wird  die  geoauere  Berechnung  doch  wichtig. 
Der  Verf.  giebt  höchst  interessante  Resultate  über 
die  Geburten,  die  Todesfälle,  die  Trauungen  in  den 
yerscbiedenen  Staaten  Europa's,  die  Anzahl  der  un-^ 
ehelichen  Kinder.  Wir  halten  den  statistischen  Durch- 
schnitt: auf  13  eheliche  Kinder  komme  ,1  uneheliches 
für  Prieufsen,  Frankreich^  Schweden  für  richtig,  wäh- 
rend in  England  ein  viel  geringeres  Verhältnifs  (meist 
nur  ^),  im  südlichen  Deutschland,  namentlich  in  ganx 
Bajern,  ein  viel  höheres  eintritt  (wie  1:4);  in  Mün- 
chen selbst  wie  1:1;  —  so  dafs  wir  doch  bedenklich 
sind  13  :  1  als  allgemeinen  Durchschnitt   für  Europa 

mit  einiger  Zuverlässigkeit  auszusprechen- '  Wir  über- 

(Die  Fortsetzung  folgt) 


gehen  die  änderweit  auf  den  eratea  129  Seiten  dei 
Werks  besprochenen^  aDKiehend  snaanunengesteUtes 
statistischen  Momente,  verweisen  den  geneigten  Leier 
nur  noch  iiuf  die  S*  112  und  folgende  gegebene,  ui» 
nige  Zusammenstellung  der  finansiellesi  Verbältnii^ 
namentlich  der  Staatss^buldenlast  10  gans  Eloropi, 
und  behalten  uns  vor,  bei  der  Eintheilang  der  statisti- 
schen Darstellung,  die  für  alle  Staaten  gleichartig  an* 
genommen  ist,  au(  Einzelnes  in  der,  wie  wir  wiedeibo- 
.len,  sehr  zweckmäfsig  gehaltenen  Einleitung  zurück- 
zuweisen. -^ 

Der  Yf.  giebt  zunächst  bei  der  Statistik  emes  J^ 
den  Staats  die  allgemeinen  Quellen  und  Hälfsmittd 
an,  d.  b.  die  bessern  Landkarten  und  die  für  die  Sta- 
tistik des  Lanfies  im  Ganzen  wichtigen  Schriften,  b' 
|io  fem  letztere  für  gewisse  Abschnitte  nor  von  Widi- 
tigkeit  sind,  finden  sie  sich  bei  diesen  aufgeführt..— 
Die  Angaben  zeichnen  sich  durch  Sorgsamkeit  ooj 
Vollständigkeit  aus.  Es  ist  in  Betreff  des  britisch« 
Reichs  eine  interessante  Bemerkung,  dafs  erst  in  der 
Gegenwart  unter  Leitung  der  Ordnance  Survej  (das 
.Feldzeugmeisteramts)  eine  mosterhafte  grdfsere  Karta 
der  drei  Königreiche  bearbeitet  whrd ;  —  sonst  akr 
.wir  in  Bezug  auf  genaue  Karten  Englands  weniger 
.versorgt  sind,  als  bei  andern  Ländern^  da  das  Gao- 
vernement,  weil  Grofsbritannien  in. den  letzten  Jahr- 
hunderten keioen  länger,  dauernden  Kriegsschaoplalz 
abgab,  auch  hier  der  Generalstab  nicht  so,  wie  in  den 
bedeutenderen  Staaten  des  Continents,  zu.topograpU- 
scher  Aufnahme  benutzt  wurde,  die  Herausgabe  tob 
Karten  lediglich  der  Privatunternehmung  überliefs.  Es 
is^  gut,  dafs  auch  auf  die  früheren  Karten  mit  ßezn{ 
auf  die  früheren  politischen  Eintheilungen  zurfickgegaa- 
^en  ist;  wie  uns  auch  in  dieser  Beziehung  die  Erväii- 
mung  des  historisch -politischen  Atlasses  von  Bru^ond 
Gnadet  bei  Frankreich  willkommen  war«  —  Die  Lite- 
ratur, die  im  Druck  vielleicht  noch  etwas  schärfer  tod 
den  Karten  als  besondere  Rubrik,  zu  scheiden  und  xs 
bezeichoen  i^äre,  ist  fleifsig  zusammengestellt;  sie  i9t 
.fireilich  bei  manchen  Staaten  nur  noch  schwach,  wies* 
B.  für  Rufsland ;  —  für  Portugal  ist  Links 'Reise  nach 
immer  für  .viele  Zustände  und  auch  statistisch. wichtige 
Verhältnisse  eine  der  besten  Quellen  und  voio  ^^^"* 
.auch  gebührend  hervorgehoben. 


wissen 


jahrbttche 

für 

Schaft  lieh 


e    Kritik. 


Auglist  1839. 


Hanikmeh  der  aUgememen  Bi€tataktmde  «on  Eu- 
rapoy  von  Dr. Friedrich  fFilhebn  Schubert. 


\    ' 


(ForUetzuB^) 

Nach  den  allgemeben  Quellen  and  Halfsmittela  ist 
d^8  gesammte  statiatisehe  Material  jedes  Staats  in  vier 
Abtheilftngen  bebaodek:  GrandiBaoht^  Cultur,  Verfas- 
aung  mid  Vwwaltiing.  Man  kann  rechten  über  die* 
'  Eintbeilung  einer  statistischen  Darstellung;  man  kann 
Tielleicbt  der  eiofiaeheD :  Land,  Leute,  Regierung  -^  den 
VorEUg  geben ;  —  immer  kommt  e^  nnr  darauf  an,  ob 
das  Bild  einee  Staates  ^  welches  nach  der  gewählten 
Form  geHefiMrt  wird,  mnd,  vollständig,  klar  hervor* 
tritt  i  und  wir  werden  sehen,  in  wie  vorzüglichem  Grade 
Sohab^rt  diesen  Zweck  bei  der  von  ihm  gewählten  Dar- 
stelluag  allerdings  erreicht.  — 

Bei  der  A.  GrundmaeAt  behfuidelt  Schidbert  su* 

nächat  das  Grundgebiet  (Territorium)  nach  seiner  Aus- 

dehonng  und  Eintheilang,  und  dann  .die  Bevölkerung, 

nadi  ihrer  Ansahl  nnd  ihrer  Verschiedenheit  nach  Stäm« 

aen,  Ständen  und  Religionsbekenntnifs.  —    Die  Dar« 

ateUung  des  Länderumfi)ngs  beginnt  Schubert  bei  allen 

Staaten  mit  einer  geschichtlichen  Einleitung  über  den 

nllmäbligra  Anwachs  und  hieraus  jetzt  sich  ergeben^ 

den  Länderbestand.     Diese  tibemll  gründlich,  nnd  doch 

klar  und  übersichtlich  gehaltenen  historischen  Einlei- 

fangen  sind  vom  höchsten  Interesse,   und  wir  halten 

die  hier  zusammmigestelkett  Uebersichten  für  eine  vor* 

ZBgliche  Seite  des  Buchs  nnd  eine  Bereicherung  der 

Wissenschaft.    Von  den  bis  jetst  beschriebenen  Staa* 

te&' sind  Portugal  (bei  welchem  angemerkt  ist,  dafs  die 

Verbindnng  mit  England  schon  bis  au  den  Jahren  1294 

mil  1306  zurückgeht)  und  der  Kirchenstaat  sdt  dem 

12.  nnd  13.  Jahrhundert  siemlich  gleich  in  ihrer  Aus« 

dehmmg  geblieben;  —  andi  Grobbritannien  hat  sich 

a^t  der  Vermaignng  mit  Schotthind  1603  in  Europa 

nicht  -im  Länderumfang  erheblich  geändert.    Dagegen 

.Jmhrb.  /.  wuitnieh.  Kritik.  J.  1639.  11.  Bd. 


wird  für  Portugal  und  England  die  JGescbichte  der 
aufsereuropäischen  Erwerbungen  verwiekelt  nnd  wich- 
tig. —  Wir  übergeben  die  zweckipärsig  gefafsten  hi- 
storischen Einleitungen  bei  Spanien,  den  verschiedenen 
italienischen  Staaten.  Bei  Rufsland  wird  die  Bildung 
des  Reichs  bis  auf  Iwan  h  Wasiljewitsch  1462,  bis  stt 
der  Vereinigung  der  Grofsfarstentluimer  Wladimir  und 
Moskwa  surückgefiihrt;  —  schwierig  war  und  geschickt 
behandelt  ist  der  Anwachs .  Ffankreichs  $  bei  webbem^ 
Staate  die  Territorialgeschichte  in  der  Haoptsacbe  Ton 
Ludwig  XI.  ab  gegeben,  wird.  — "  Der  Umfang  der  ein*^ 
seinen  Vergröfserungen  ist  wohl  nach'  alten  Karten, 
da  in  der  Regel  die  Angaben  in  Qnadratm^en  in  frü- 
heren histotischen  Werken  fehlen,  gemessen.  Für 
Frankreich  bemerken  wir,  dafs  der  Ländereomplexus, 
den  Heinrich  II.  mit  Frankreich  vereinigte,  wohl  grdfser 
war,  als  72  Q.  M.,  die  Schnbert  angiebt.  -*  Zu  den 
Erbländern  des  Königreichs  Navarra  gehörten  anfser 
UttterN^varra  und  Beam,  noch  Scale,  BigOrre,  Foix; 
und  diese  mit  Navarra  and  Beam  mögen  wohl  300— 
350  geogr.  Q.  M.  umGafst  haben.  Hierzu  treten  aber 
noch  Albret,  P^rigord,  Limoges,  Besitzungen  des  Hau^ 
■es  Albret,  die  freilich  wohl  nicht  ganz  so  souveraine 
Besitzungen  mögen  gewesen  sein,  aber  doch  selbststän- 
dig von  dem  Hanse  .Bonrbon  -.—  Atbret  -^  Navarra ' 
besessen  wurden,  und  gleichfalls  etwas  über  300  Q.  M. 
omfafsten.  —  Ebenso  ist  S.  11  das  Fnrstentham  Orange 
auf  18^  Q.  M.  angegeben;  «^  nach  'de  >la  Pise  nnd 
der  in  diesem  gröberen  historiscbed  Werke  enthalte« 
neu  Karte  war  aber  OrangCi  als  ForstGOlhum,  nicht 
gföber  als  S^  bis  6  Q.  M. 

Nach  dieser  Terrttorialgeschichte  eines  jeden  Staats 
folgt  die  palüiseJke  Eintheilong.  Auch  hier  ist  zweck-^ 
mäfsig  meist  die  frühere  Eintheünng  gegeben,  welchem 
sodann  die  jetzige  folgt.  Sehr  merkwürdig  ist  in  Eng- 
land diese  Eintbeilung  seit  Jahrhunderten  sich  gleich 
geblieben.  —    Bei  Frankreich  insbesondere  giebt  dia 

'    36 


283 


SeAuStrtf  attgemeifia  SUMtkimde  von  Europa. 


284 


AosfübniDg  der  frfiheren  politischen  Eintheiliing  gegen 
die  jetzt  beatehende  zu  infereasanten  Vergleicbungen 
Yeranlaaaung.»  Bei  Portugal  fallt  die  politiache  Ein- 
theiluDg  genau  mit  geograpbiacher  BegränzuDg  zuaain- 
inen.  Die  aufaereoropäiachen  Beaitzangeii  Portagala, 
Englands.,  sind  meist  von  ?iel  gröfaerem  Umfapg, 
"als  das  Mutterland;  nnd  die  ganz  besonderen  Ver« 
hältnisso  derselben,  die  grofse  Verscbiedenbeit  in 
Betreff  der  Bevölkerung,  des  Klima's,  der  natörliohen 
.  Qeschaffenbeit  des  Bodens,  lassen  in  der  Regel  Ver- 
gleiöbung^n  zwischen  ihren  und  den  Districten  undBe« 
zirken  des  Mutterlandes  nach  dessen  politischer  Ein« 
theilung  gar  isicht  zu. 

Es  folgt  sodann  im  §.  A.  bei  den  einzelnen  Staa- 
ten: Physische  Beschaffenheit  des  Bodens,  klimatische^ 
Verhältnisse,  Gebirge,  Flusse,  Kanäle,  Landstrafsen, 
« Brückenbau.  — *  Es  sind  hier  zunächst  immer  die  geo- 
gnostisehen  Verhältnisse  angegeben.  Nach  dem  Ural 
und  den  Gebirgen  sind  die  vielfachen  Wasserve^bin- 
düngen  Rufslands,  aber  auch  die  Stellen,  tro  solche 
fehlen,  wohl  hervorgehoben.  Die  aufgenommene  An« 
•gäbe  Herrmanns,  dafs  |  der  Oberßäche  Rufslands  Un« 
land  und  unbebaut  sei,  veranschaulicht  die  Verhältnisse, 
so  wie  die  hierher  gehörigen,  hervorgehobenen  grofsen 
Steppen.  Es  ist  übrigens  sehr  schwierig,  von  dem  un- 
geheuren Reiche  geognostisch  nnd  nach  der  natürlichen 
Beschaffenheit  eine  Darstellung  zu  liefern ;  denn  es  ist 
S.  143  Th.  1.  der  Umfang  des  Staats  durch  die  An- 
gabe gut  erläutert,  dafs  ^enn  es  in  Petersburg  1  Uhr 
8  Minuten  Nachmittag  ist,  in  demselben  Reiche  am 
O^tcap  11  Uhr  4M)  Minuten  ist.  —  In  Frankreich  ist 
bei  der  richtigen  Darstellung  der  Gehirge  die  statistisch 
interessante  Notia  mitgetheilt,  dafs  jetzt  17000  Fuhr- 
werke und  46000  Saamthiere  jährlich  den  Mont  Cenis 
übersteigen  $  —  wie  überhaupt  Frankreich  durch  seine 
Chansseen  sich'  auszeichnet  —  Mehr  sind  derselben 
wohl'  noch  in  England ,  woselbst  man  fast  gar  nicht 
unchaussirte  Wege  sieht.  Die  Ausdehnung  der  Chaus- 
seen ist  von  dem  Verf.  S.  340  bei  Grofsbritannien  in 
Zahlen  nachgewiesen.  —  England*  ist  aber  nicht  so 
flach,  als  es  S.  321  geschildert  wird.  Es  macht  den 
sehr  eigenthomlichen  Eindruck  eines  fast  durchweg 
hügligen,  i wellenförmigen  Terrains,  welches  für  die 
Verhältnisse  der  Agrieukor,  wie  auch  der  Benutzung, 
der  Wasserkraft  bei  Vielen  Bächen  u.  s.  w.,  für 
die  Industrie  überaus   wichtig   ist.    Bei  den  Ketten- 


knicken  hätte  S.  344  die  Menajbridge  wohl  noch  be* 
sonders  hervorgehoben  werden  sollen.  Spanien  hat 
nach  dem  Verf.  an  Kunststrafsen  jetzt  416  Meilen  ^^> 
Spanien  hat  8447  Q.  M.;  —  Preufsen  etwas  ülm 
5000  Quadratmeilen  und  jetzt  mehr  als  1200  Meüaa 
Chaussee.  —  In  Portugal  fehlen  heute  noch  die  Chau»- 
s^en  fast  ganzi 

Zur  Grupidmacht  rechnet  der  yerf.  nun  ferner  die 
Bevdlkemngsverhältnisse.  Es  ist  vollkommen  richtiji^ 
zur  Grundmacht  aurser  dem  Grundgebiet  die  Bevölk^ 
rung  zu  zählen  \  ja  letztere  ist  wichtiger  und  bedeuleo- 
der  zur  Constitüirung  des  Begriffs  Grundmacbt,  ab 
ersteres.  Es  sind  Menschen^  die  in  Staaten  leben,  fär 
welche  die  Regierung  zu  soi>gen  bat,  nicht  da«  an  sidi 
todte  Areal.  Ein  kleiner  Staat  mit  dichter,  woblba* 
bender  und  gebildeter  Bevölkerung  ist  wichtiger  aii 
ein  grofses  Reich  mit  weiten  Flächen  aber  obtis 
Menschen. 

Der  Verf.  giebt  die  allgemeinen  Bevölkeruogpivei^ 
hältaisse  im  §.  ,5.  bei  den  verschiedenen  Staaten  $  er 
zeigt  auch  hier  in  historischem  Wege,  wann  ZSblnB- 
gen  beg^nen  in  *den  verschiedenen  Ländern,  wie  ridi 
die  Bevölkerungen  nach  und  nach  vermehrt  haben^  er 
giebt  den  jetzigen  Bestand,  nach  Geschlecht  und  Alter^ 
so  weit  die  Nachrichten  vorhanden  sind,  getrennt)  dis 
durchschnittliche  Zahl  der  Geburtoi,  der  TrauungeB, 
der  Todesfälle,  und  sciiliefst  danach  auf  die  Bewegung 
der  Bevölkerung;  er  giebt  die  Dichtigkeit  der  Bev4rt« 
kerung,  zeigt  solche  auch  nach  Provinzen  und  Diatrie- 
ten.  Er  scheidet  bei  den  Geburten  Knaben  und  Ml4* 
chen;  giebt  auch  bei  mehrer<^n  Staaten  die  Anzahl  nnÜ 
das  Verhältnifs  der  unehelichen  Kinder;  er  seigt^ 
wo  es  sich  thun  liefs,  die  Anzahl  der  Familien,  nnd  wie 
viel  Köpfe  und  Kinder  auf  die  Familie  zu  reebnen  f 
bei  manchep  Ländern,  wie  z.  B.  Grofsbritannien  ist 
nach  der  Häuserangabe  berechnet,  wie  viel  Menaobes 
durchschnittlich  auf  ein  Haus  kommen;  er  zeigt  die 
V^rtheilung  der  ländlidien  und  städtischen  Bevdlb^ 
rung,  und  filhrt  in  letzterer  Beziehung  die  VolkasaU 
der  wichtigsten  Städte  zuip  Theil  auch  mit  Rückblickett 
auf  frühere  Jahre  an.  Im  ^  6.  folgt  die  Verschiede»» 
beit  der  Bevölkerung  jedes  Landes  nach  den  Vott!^ 
Stämmen,  wobei  in  der  Regel  die  Zahlen  nnr  ungeAlbr 
geschätzt  werden  können;  diesen  Betrachtungen  acbiie- 
fsen  sich  im  §.  7.  die  Verschiedenheitea  der  Stände 
an^  bei  denen  auch,  so  viel  es  ging,   Zahlen  milge» 


SeAuiert^  mllgememe  Staaiskmuh  v&n  A^r^pk* 


tbeOt^  nmä  bei  welebein  Abschnitt  die  AbstafongeB  des 
Adels  tt»  flk  w.  meist  recht  ^aasf ährlich  angegeben 
aiiMl ;  es  tfcbliefsen  die  Bev5lk:eningsangaben  nach  der 
Reügionsverschtedenheit  iind  den  allgemeinen  kirob- 
lidi^n  *  V^rUHtnissen.  Man  siebte  wie  rielseitig  der 
Gcg^eastsnd  anfgefiifst  ist,  nnd  wie  die  bemerliten  mehr* 
'fiachen  Beziehnugen  wohl  geeignet  sind,  ein  ungefäh- 
re« Bild -des  Lehms  in  einem  Staate  anzudeuten.  —  — - 
Im  britischen.  Reich  ist  der  Nachweis  des  Anwachses 
der  ^ipaelnen  Städte  ,Tom  besonderen  Interesse.  Für 
Fraakieioh  hätten  wir  die  merkwürdige  Erscheinung 
WMS8  im  Allgemeinen  langsameren  Forttschritts  der 
Bevölkerung,  der  erst  in  aller  neuester  Zeit  rascher 
wird,  gern  etwas  näher  ausgeführt  gesehen.  In  Spa* 
oieii  ist  der  65ste  Mensch  ein  Geistlicher,  im  Kirchen* 
■taälder  48stel  Portugal  ist  diohter  bevölkert  alsSpa- 
BieD*  Ist  gleich  Lissabon  bcTölkerter  als  Madrid,  so 
ist  rerhältnifsmärsig  doch  in  Spanien  eine  stärkere 
atadtiache  Be?ölkerung  als.  in  Portugal;  und  dies  ist 
iHD  so  merkwürdiger,  als  Portugal  im  Handel  seine 
eigeBtliche'BedeutuDg  hat,  und  f  des  Landes  unbebaot 
Hegt.  Ueberans  grofs  ist  die  Klasse  der  Diener  nnd 
Battier  in  Spanien;  eben  so  arg  ist  dies  in  Neapel  und 
SicHien,  woselbst  (S.  48  Bd«  4.)  der  Ste  Mensch  als 
Bettler .  bexeichnct  wird.  In  Neapel  und  Sicilien  ist  die 
greise  Wichtigkeit  des  Adels  und  der  Geistlichkeit,  so 
irie  des  Bürgerstandes  in  den  Städten,  g^gen  die  toU- 
kcNiiiiiiie  Unbedeutendheit  des  durch  Herrendienst  und 
Abgabenlast  ganz  niiedergedrückten,  und  ohne  alle  ei- 
genthflmliche  Entwiokelung  in  gröfsester  Dürftigkeit 
lebenden  Bauernstandes  hervorgehoben  $  im  Kirchen- 
staat ist  der  Adel  und  die  Geistlichkeit  sehr  wohlha» 
beaid)  und  der  beste  Abnehmer  für  den  Bdrger^tand, 
ee  dafs  swischea  diesen  Ständen  keine  Animosität 
.Statt  findet;  auch  hier  aber  ist  der  Bauer  blos  Päch« 
ter>  und  lebt  in  den  beschränktesten  Verhältnissen  i  — 
Tiel  besser  und  der  glänzendste  Strich  Italiens  für  die 
Entwickelnng  der  Gesammtbe?5lkemng  ist  Toscana, 
ireaelbst  schon  seit  1775  die  Frobndienste .  au^ehobea 
mmdy  in  ReligionsTerhältnissen  nicht  gleiche  Strenge 
ist,  als  in  Neapel  und  Sicilien,  Rom  und  Sardinien^ 
überall  eine  freiere  und  glücklichere  Existenz  aller 
Klassen  s^it  längerer  Zeit  tbegründet*  ward. 

£s  dem  Abschnitt  B.  Cuitur  hat  der  Verf.  in  den 
bei  allen  gröfseren  Staaten  correspondirenden  fünf  Pa* 
ragrapben  9.  10.  IL  12.' 13.  nach  einander  geschildert: 


a)  -Productipnsverhältttisse  und  landwirthschaClIiche  In- 
dustrie, 6)  technische  Cultur,   d.  h.  die  Fabricationsr 
Verhältnisse,  e)  Handel,  und  zwar,  innerer  Verkehr  und- 
äufsere  Handelsverbältoisse,  d)  geistige  Cultur  in  Un- 
terricbtsanatalteo,  Bibliotheken,  Sammlungen,   «)  gei- 

4 

stige  Cultur  in  anderweit  statistisch  wichtigen  Ergeb* 
nissen,  d.  i.  Leistungen  und  berühmte  Männer  inKün«. 
sten    und   Wissenschaften,    Buchhandel,    Zeitschri^ 
ten  u.  s.  w. 

Wir  können  im  Ganzen  über  diese  Art  der  Anf- 
fassung  der  Cultnnrerhältnisse  in  einer  Nation,  der 
äufsereiii  und  inneren«  dem  Verf.  nur  die  vollste  Aner- 
kennung  gewähren.  Sie  ist  vielseitig,  und  läfet  äbnli« 
che  Darstellungen  in  anderen  statistischen  Schriften 
weit  hinter  sich  zurüde«  Mit  grofsem  Fleils  sind  die 
hieher  gehörigen  Materialien  zusammengebracht,  und 
geschickt  unter  zweckmäfsige  Gesichtspunkte  gestellt. 
Einzelnes,  wesentlich  zum  Beweise,  wie  glücklich  ge-  . 
sehen,  nnd  das  Wichtige  herrorgehoben  ist,  zum  Theil 
zur  Andeutung,  wie,  wenn  schon  viel  gefunden,  noch 
durch  andere  Auffassung  und  Ermittelung  das  Bild  des  ' 
Ganzen  in  der  Folge  vielleicht  hie  und  da  noch  ver- 
vollständigt,  und  klarer  hingestellt  werden  könnte^  lasr 
sen  wir  Paragrapenwhei»  folgen.^  — 

Im  §.  9.  —  der  von  dem  Verf.  sehr  richtig  genauet 
so  bezeichnet  ist :  die  verschiedenen  Zweige  der  phy« 
sischen  Cultur,  Ackerbau  und  Gartenbau  f  Viehzucht^. 
Seidenbau  und  Bienenzucht;  Forstzucht  und  Jagd;  Fu 
scherei,  Bergbau;  —  steht  bei  dem  Ackerbau  bei  Rufs- 
land  die  interessante  Bemerkung  oben  an,  dafs  der* 
selbe  hier  meist  noch  auf  seiner  ersten  Stufe  steht,  und 
fast  keine  Provinz^  nur  halb  so  viel  Ertrag  gewährt, 
als  sie  liefern  konnte  f  wWhalb  es  in  Rulsland  meist 
nicht  sowohl  auf  die  Grofse  des-  Guts,  ids  auf  die 
männlichi^n  Seelen  ankommt,  die  den  Acker  bestel- 
len. —  Bei  dem  britischen  Reiche  findet  sich  emcf  sehr 
gelungene  speciellere  Ausführung  über  die  Komge- 
setze.  Bei  Spanien,  Portugal,  ist  hervorgehoben,  dafa 
das  Ausdreschen  des  Getreides  meist  durch  das  Aus- 
treten von  Pferden  und  Rmdem  auf  daau  im  offenen 
Felde  eingerichteten  Tennen  geschieht.  In  Sicilien, 
wo  10  und  20facher,  ja  4Dfacher  Ertrag  und  mehr  ge> 
Wonnen  wird,  ist  wegen  strenger  Feudal- Verhältnisse 
und  de»  hemmenden  Besitzes  der  Communen  (worüber 
auch  in  den  Waoderungen  durch  Sicilien  und  die  Le- 
vante.   Berlin  1834.  — >  (von  Parthei)  sich  iuterressante 


287 


Scititerty  aßgememe  Stmattktmd»  v«n  Emrtftä. 


» 


Dat«^  Jndett)  die  Hälfte  des  Landes  nicht  uut^r  dem     «ngefiihrt    Bei  FranicreiGh  ist  bemerkt,  data  der  mit 


Pflug.  Der  so  froclitbare  Kircheast aat,  bei  dem  die 
Landwictbsdiaft  iu  de>  Uoigegend  Roms  sehr  Teniachi 
läfsigt  ist,  erhält  eine  Menge  Getreidesufuhr  aus  Odessa. 
So  aaph  bedarf  das  Königreich  Sardinien  grofser  Go« 
treidesnfiihr.  Um  den  Ackerbau,  den  Getreidegewinn, 
.  mSgliohat  in  Zahlen  damisteUen,  sind  Tielfach  die  Re« 
sultate  der  Eirdr uschtabdlen  angegeben.  Wir  sind  be? 
.  denklieb,  da,  wo  solche  Tabellen  noch  geliefert  wer* 
<deo^  ihren  Ergebnissen  zu  folgen.'  Allerdings  ist  es 
Pflicht  des  Statistikers,  and  Ton  diesem  Gesichtspunkte, 
oosv  wollen  wir  für  diese  Mittheilungen  den  Verf.  in 
keincar  Ait  tadeln,  solche  Nachrichten  aufzuführen;  — 
wir  könnten  ihnen  allein  aber  nicht  wohl  Vertrauen  ge- 
ben. Im  Preufsischen  Staate  bat  in  früherer  Zeit  eine 
vie^äbrige  Erfahrung^  gelehrt,  dafs  sie  durchaus  un- 
richtig waren.  -^  Wenigstens  ist  su  wünschen ,  dafs 
gegen  die  aus  den  Erdruschtabellcn  gefundenen  Restd- 
tate  ähnliche  ans  andern  Verhältnissen  entnommene 
yerglichen  werden.  Wo  die  Consumtionen  von  Brod, 
Mebl,  Getreide  besteuert  werden,  geben  diese.  Steuer« 
listen  bisweilen  Vörgleichnugspunkte.  Der  Verf.  lie« 
rechnet  aus  den  Einsaat-  und  Ertragtabellen  Tb.  I.  S« 
213  für  flufsland  eine  Consumtion  von  15  oder  nacb 
Abzug  der  Ausfuhr  doch  eine  Verzehrung  von  10  Schef- 
feln Getreide  pro  Kopf.  Das  ist  2  bis  3  Schefi^el  mehr 
i^ls  in  England  wid  Frankreich,  und  6  bis  7  Scheffel 
mehr  als  in  Preufsen^  und  wenn  auch  der  Kartefiel- 
bau  in  Rafsland  noch  nicht  so  eingreifen  mag,  ah  in 
Prenfsen,  so  bezweifeln,  wir  doch  die  blos  aus  den 
Erdruscbtabeilen  gezogene  Folgerung,  dafs  10  Schef- 
iel  in  Rufsland  pro  Kopf  an  Getreide  yerzehrt  werden.  -^ 
Den  übrigen  Tegetabilischen  Erzeugnissen  des  Acker- 
bans, Kartoffeb,  Wein,  Hopfen,  Hanf  nnd  Flachs, 
Tabak,  in  den  italischen  Staaten  Reifs  und  in  Neapel 
nnd  Sicüien  auch  Baumwolle  n.  s.  w.  ist  nun  ferner 
bei  den  verschiedenen  Staaten  die  nöthige  Ausführung 
gewidmet.  Kastanien  sind  auch  in  Piemont,  wie  der 
Verf.  Tom  südlichen  Frankreich  angiebt,  ein  Hauptnah- 
mngsmittel  des  gemeinen  Mannes.  Dem  Weinbau  ist 
von  dem  Verf.  mit  Recht  besondere  Aufmerksamkeit 
geschenkt.     Es  smd  fast  überall  die  Ertragssummen 


Wein  bestellte  Flächenraum  jetzt  über  2  MilL  Hecta- 
rte  betlägt,  d.  i.  über  300  a  M.  ~  Es  wäre  wichtig, 
das  mit  V^ein  bepflanzte  Areal  in  allen  Lftadem  in 
Quadratmeilen  vergleichen  zu  können.  letelressant  siad 
die  Angaben  des  Verfs.  über  die  Vernacblafsiguag  des 
Weinbaus  im  Kirchenstaat;  über  die  Art,  wie  deraelbe 
in  Portugal  betrieben,  und  im  Portwein  lieinen  geirie> 
senen  Absatz  in  England  bat;  u.  dglm.  Der  FtJ^ 
Mtand  gehört  zu  den  allerwicbtigsten  KennseicheD  dsr 
Prodttctionsverfaältnisse  in  einem  Liande.  Der  Vct£ 
giebt  für  jeden  Staat  die  Zahl  der  Pferde,  Esel,  MmA 
tbiere,  des  Rindviehs,  der  Schaafe,  der  Ziegen,  der 
Sdiweine.  Es  sind  diese  Zahlen  in  der  Regd  oar  in' 
Ganzen  angegeben;  da  für  viele  Staaten  z.  B.  Spa- 
nien, Portugal  n.  s.  w.  schon  diese  zu  erhalteD,  gevifi 
4iehr  schwierig  war.  Bei  Frankreicfa  ist  specieUev  aa* 
gegeben  die  Anzahl  der  Stiere  und  Ochsen,  derKübi^ 
des  Jungviehs«  ««<-  Hier  'ist  berechnet,  dafs  ta  Ftank- 
ifAch  auf  1000  Menschen  213  Stück  Rindvieh  konsiMBi 
also  auf  je  5  Menschen  d.  i.  eine  Familie  1  StAek 
Vieh.  In  Spanien  sind  auf  12,087991  Einwohner  IfiGSO» 
Stück  Rmdvieh,  d.  h.  auf  1000  Menseben  88  Stfiflk 
Vieh;  also  auf  11  oder  12  Menschen  erst  1  Stnok 
Vieh.  Es  ist  eine  ganz  andere  Exist«as  unter  dsa 
Menschen,  wenn  die  Milch  gebende  Kuh  fiir  jede  Fsp 
milie  verbanden  ist,  als  wenn  für  2  oder  3  Famüsoa 
erst  1  Kuh  sich  berechnet;  und  traurig  bleibt  das  Be* 
sultat  för  ^anien,  wenn  auch  die  Ziege  und  die 
genmilch,  wie  der  Vf.  richtig  hervorhebt,  emigen 
dem  gemeinen  Mann  gewährt.  —  Im  britischen  Reiclis 
sind  11,200000  Stück  Rindvieh;  d.  i.  bei  24,306719 
Einwohnern  auf  1000  Menschen  460  Stück,  d.  b.  mtf  1 
Familie  zu  5  Personen  2  bis  3  Stück  Viebl  Und  di 
kommt  die  sehr  richtige  Anmerkung  (II.  422),  dafs 
gute  Kuh  englischer  Race  taglich  bis  SOBerliner'Qiunrt 
Milch  giebt.  —  Kleines  Landvieh  in  hiesiger  Gegend 
giebt  oft  nur  5  bisweilen  kaum  3  daart.  Mit  ReaU 
sagt  der  Verf.  vom  britischen  Reich,  dafs  in  Betieff 
der  Viehzucht  dieser  Staat  keinen  ihm  vSHig  gleiehcn 
Nebenbuhler  finden  dürfte  I 


(Der  Beschlois  folgt.) 


•  I- 


wisse 


•  J^  37. 

J  a  h  r  b  tt  c  h  er 

I  u  r 

n  s  c  h  a  f  t  liehe    Kritik 


August  1839* 


HiMmümch  der  allgememen  StaaUhinde  non  Em-' 
ropay  ton  Dr.  Friedrich  Wühelm  Schubert 

(Sehlafs.) 
Der  Verf.  sagt  io  der  EinleitUDg,   dara  die  Vieh- 
elaadstabellen  in  dem  Verdacht  der  Unriohtigkeit  stän« 
den,  weil  die  Yiebbeeitzer  besnrgteD^  bei  st&rkenn  Vieh- 
et«n4  mehr  zu  den  Sffentlichen  Lasten  heraiigeaogen 
MU  werden^  dafs  aber  diese  Fehler  doch  schwerlieh  5 
Proeent  übersteigen  dürften.     Wären  es  auch  10  Pro« 
eenft  nnd  mehr^    wie  bei  dem  kleinen  Vieh  namentlich 
vohl  mdgliMi  isty  so  kann  das  doch  durehaua  nicht  hin- 
detti,  fortdauernd  den  Resultaten  der  Viehstandstabel* 
lea  die  gröfseste  Aufmerksamkeit  zu  widmen.    Man  ist 
ftiaiDlioh  sicher 9    dafs  nicht  zuwenig  angegeben  sei; 
md  es  ist  ein  grofser  Unterschied  von.  einem  Manne 
Uns  zu  wissen,  er  sei  reich,  oder  er  besitze  80 — 100000 
Thaler;  eine  Familie  sei  wohlhabend,  lebe  sorglos,  oder 
tte  Terzebre  zwischen  2  nnd  3000  Thlr.  jährlich.    Nichts 
Mhcfint  nns,  zeichnet  die  Agricaltunrerhältnisse  eines'Lan- 
^8  bestimmter,  als  der  Viehstand,  weshalb  wir  sogar 
sweckmäfsig  halten  würden,  wenn  der  Viehstand  tabel« 
lariaoh  nach  den  Provinzen  jler  Staaten,    wo  solches 
siöglich   ist,  aufgeführt  wäre.    Es  giebt  wichtige  An« 
limlts-  nnd  Vergleiobungspnnkte,  wenn  man  übersieht 
gegen  Areal  und  Bevölkeruug,  in  welchen  Gegenden 
eines  Landes  das  meiste  Rindvieh  gehalten  wird,'  wo 
die  stärkste  Pferdezucht,  wo  der  gröfseste  Schaafstand 
.  ist.    Hiezn  kommt,^  dafs,  wo  das  Vieh  dicht  ist,  wo 
Tiel   Rindvieh  gehalten  wird,    dassdbe  in  der  Regel 
anoh  besser  ist,  als  in  Gegenden,  in  denen  ein  gerin« 
ger  Viehstand  sich  zeigt.    Man  muHs  in  solchen  Dar* 
stellnagen  versnchen»  so  weit  zu  kommen,  als  es  irgend 
geht    In  Spanien  wird  sich  freilich  der  Schaafstand 
provinzenweis,  nicht  scheiden  lassen,  wie  -aus  der  an- 
siehenden Beschreibung  des  Verfis.  der  aus  einer  Ge- 
gend in  die  andere  gehenden  Trashuroantes  (Th.  3.  S. 
^61)  hervorgeht.  *— 

JMkrb.  f.  wüunick.  Kritik.   J.  1839.   II.  Bd. 


Nach  dem  .Viehstand  bebandelt  der  Vf.  —  Seiden 
bau -und  Bienenzucht  $  ersterer  für  die  südlichen  Staa- 
ten v,on   grofser  Wichtigkeit;    dann   Forstzocbt  und 
Jagd. '—  Letztere  ist  staatswirthsohaftlicb,  und  fiir  die 
Nahrung  der  Einwohner  fast  in  keiuem  Staate  ein  er- 
hebliches Object;  indessen  knüpfen  sich  doch  an  die- 
selbe  manche  wichtige  Bemerkungen  für   das  Leben 
und  den  Culturzustand  der  V5lker.     Das  Königreich 
Sardinien  bnt  noch  mit  Wölfen  zu  kämpfen;  Jm  Kir- 
chenstaat ist  für  Italien  die  reichlichste  Jagd ;  in  Rufs- 
land  ist  die  Jagd  wegen  der  Pelze  auch  von  staats- 
wirthschaftlicher  Wichtigkeit.    Bei  der  ForstxucAt  ist 
in  allgemeiner  Beschreibung  bemerkt,   wie  iai  Spanien 
und  Portugal  selbst  Holzmangel  zn  besorgen  ist;  wie 
im  britischen  Reiche,  mit  Ausnahme  Schottlands,  der 
Hobbestand  wegen  des  Ueberflnsses  an  Steinkohlen 
zu  einem  groTsen  Theiloi  in  Waldungen  verschwunden 
ist ;  bei  Frankreich  ist  bemerkt,  dafs  25^  Million  Pren» 
fsischer  Morgen,  etwa  ^  oder  ^^  der  ganzen  Bodeuflä* 
che  Jes  Landes,  mit  Holz  bestanden  sei.  —  Dei^Verf. 
spricht  sodann   über  die  in  vielen  Ländern  wichtige 
Fischerei^  und  schliefst  mit  dem  Bergbau'^  bei  wel- 
chem die  verschiedenen  Mineralien  aufgezählt  und  die 
Fundorte  bezeichnet  werden;  —    auch  sich  Angabep  ' 
über  den  Ertrag  und  Werth  der  Producte  der  anorga- 
nischen Natur  finden,  welche  zu  der  wichtigen  Frage 
über  die  relative  Bedeutsamkeit  der  einzelnen  Producte 
des  Bergbaus  schätzbare  Materialien  liefern.  , 

Der  4«  10*  spricht  bei  den  verschiedenen  Ländern 
von  der.  techniMchen  Cuitur.  Nach  der  Einleitung  soll- 
ten die  Hauptabschnitte  sein:  Leinen-,  Wolle-,  Baum«» 
wolle-,  Seiden-Manufecturen,  Metali-,  Thon-  und  Glas- 
waaren,  Papier-,  Oel-^ühleuy  gröfsere  Mahlwerke  $ 
gröfsere  Gewerbe  im  Brennen,  Brauen,  Sieden,^  Schiffbau. 
Diese  Unterabtheilungen  sind  auch  im  Ganzen  .gehalten; 
indessen  ist  es  richtig,  dafs  diese  Kategorieen  hier  und 
da  erweitert  smd;  wie  denn  Gerbereien  und  Lederfa- 

^  ^  37 


291 


SeAuierty  aligemeine  Staatekunde  von  Europa.. 


brioatioD  in  sefas  tieleQ  Ländern  unzweifelhaft  zu  Hanpt- 
abtheilupgen  der  technischen  Cultnr  gehören  dürften. 
Es  ist  bei  diesem  ganzen  Abschnitt  ein  besond«- 
re^Vecdiemst  des  Verfs.,  den  gescbickilichen  Weg  ler- 
folgt  ~ZQ  haben.    Er  bemüht  sich  liberall  zu  zeigen,  Vie 
die  verschiedenen  Gewerbe  und  Mräufacturen  in   die- 
sem oder  jenem  Staate  nach  und  nach  sich  entwiciielt^ 
welche  Veranlassungen  sie  her?orgerofen  und  befördert 
haben.    Er  zeigt^  wie  die  Seidenmanufacturen  in  ^rank- 
ireich  erst   seit   dem  17.  Jahrhundert  recht  gestiegen 
sind,  wie  das  englische  Tuck  schon  seit  dem  14.  Jahr- 
hundert ni  Europa  geachtet  war/  wie  die  Industrie  im 
Kiröhenstaate    wegen    des    Zusammenflussesr  reicfaer 
Leute  in  Rom  seit  dem  Miftelalter  die  eigenthümliche 
Riehtung  auf  Schmuck  und  Kostbarkeiten  in  Kunst* 
Werkstätten,  welohe.  die  Päpste  begünstigten,  genom- 
men hat,  u.  dgim.  —    Bei  der  französischen  Industrie 
hätte  vielleicht  noch  etwas  nähere«  von   der  dort  ia 
neuester  Zeit  gestiegenen  RuDkelräbenzuckerfkbr!cation 
g^agt  werden  können.'   Um  die  YerhäUnisse  in  Zah- 
len klar  zu  machen^  ist  der  Werth  der  Fabricate,  die 
Anzahl  der  in  den  Fabriken  beschäftigten  Menschen^ 
auch  sind  bei  England  und  Frankreich  die  Stühle,  wel- 
che in  Baumwolle  und  Seide  gehen,  angegeben.    Bei 
einzahlen  Fabriken  sind  auch  die  Orte  .und  Gegenden 
namhaft  gemacht,  in  denen  solche  blühen«    Noch'  üb«v 
sichtlicher  itfürden  diese  Verhältnisse  sich  erkennen  las- 
.aen,   wenn  in  Tabellenform  die  Anzahl  der  Stühle  in 
Wolhe^  Baumwolle,  Leinen,  die  Gerberei^  die  Müh. 
len  nach  ihrer  tersehiedenen  Bestimmung  nach  Distrio- 
ten  und  Provinzen  hätten  zusammengestellt  werden  kön- 
nen. —    Wäre  diese  Tabellenform  gewählt,  so  hätte 
aich  auch  da,  wo  Notizen  darüber  vorhanden  sind,  eine 
fibersichtliche  Anschauung  der  gewerblichen  Thätigkeit 
in  den  eigentlichen  Handwerken  geben  lassen. '  Die  An* 
nahl  der  Maurer  und  Zimmerleute,  Tischler,  Schuster, 
Schneider,  n.  s.  w.  u.  s.  w.  giebt  für  ein  Land  ein  aller» 
dingd  wichtiges  statistisehes  Moment  der  gewerblichen 
Thätigkeit   Es  kann  ein  Land,  eine  Provinz,  eine  Stadt 
gröfsere  Fabriken  entbehren,    und  doch  in  demselbeo 


viel  Handwerker  feiierer  Art  gegen  die.  weniger  kfiaatl^ 
eben  vorhanden  sind,  zeigen  sich  bisweilen  interessante 
Besulti^te.  Wie  hoch  wir  Fabriken  als.sölche,  die  gvo« 
Cse  Fabrication  überhaupt  anschlagen,  wie  sehr  wir  über. 
zeugt  sind,  dafs  ohne  solche  viele  Bedür&issa  des  Li^- 
bens  gar  nidit  gewährt  werden  könnten,  die  wir  jetxt; 
zu  den  wohlfeilsten  Preisen  ankaufen,  wie  sehr  wir  Am^ 
her  einverstanden  sind,  dafs  die  Anzahl  der  gröfeerea 
Fabriken,  der  in  Bezug  auf  solche  direct  oder  indirect 
beschäftigten  Arbeiter  u.  s.  w.  sehr  hervorzuheben  aio^ 
so  scheint' uns  dies  fiir  die  gewerbliche  Thätigkeit  ei- 
ner  Nation  dach  noch  nicht  erschöpfend,  und  wir  wiinach-' 
ten  dem  eigentlichen  HandwerkefBtand  in  •statietiacheii 
Schriften  mehr  Aufmerksamkeit  zugewandt^  ala^gewöluip 
lieh  za  geschehen  scheint. 

Im  ^.  11.  ist  bei  deü\yersbhiedenen  Zweien  .def 

Handel»  gleichfalls  sehr  zi^eckniäfsig.  in  geacbiohtlii^ 

eher  Auffassung  verfahren  undvgezeigt,   wie  der  Hau» 

del  des  betreffenden  Staates  näish  seinen  verachiede* 

neu  Kategorieen  nach  und  nach,  sl^h  entwickelt,   und 

welclie  Stadien  er  durchlaufen  hat.    Itoi  dem  inneram 

Verkehr  sind  die  Postverbindungen  nnd^ldid  Mittel  der 

Communication,  die  bedeutendsten  Städtte  uud  Plätae 

des  Handels,  das  Wichtigste  in  Betreff  d^s  Geldum» 

laufa,  namentlich  der  Banken,  die  Messen  uind  gröfae» 

ren  Märkte  in  übersichtlicher  Beschreibung  dargestellt. 

Es  ist  zu  einer  Schätzung  des  eircuIirenden\Creldee 

bei  einzehien  Staaten  der  Betrag  der  letzfea  iBuqprl&* 

gungen  in  Gold-,  und  Silbermflnzea  angegeben  \  m  ^^^bJ^ 

voa'  dem  inneren  Handelsleben  der  Nation  wohlV  ^eh 

ein  Bild  herausstellt.     Wir  würden   fiir   gut  hal 

wenn  bei  diesem  Abschnitte  kurz  über  Maaüs,  J^ 

und  Gewicht  das  Nöthige  im  Vergleich  zu  den 

fsischen  Einheiten  angeführt,   und  aufserdem    dij 

«euester   Zeit  für  den  kleinen  Verkehr  und  denl 

stand  des  gemeinen  Mannes  so  sehr  hedeutufigs^ 

Spareaseen  näher  erwähnt  wären.  Das  inmittelsj 

dem  Freih.   v.   Malchus  erschienene   fleifsige 

die  Sparkassen  in  Europa  wird  hier^  binreichenj 

terialien  liefern.  —    Bei  dem  auswärtigen  Hai 


gerade  In  den  Arbeiten  der  Handwerker  ein  grolbes, .  zunächst  in  den  gröfaeren  Staaten   die  >  Ges^ 


gewerbliches  Leben  und  Treiben  sein.  Vergleicht  man 
die  Anzahl  der  Mensehen,  die  in  eunem  Staate  als  ei* 
gentliche  Handwerker  beschäftigt  smd,  gegen  die,  wel* 
ehe  in  Fabriken  arbeiten,  so  wird  meistentheils  jene 
bei  weitem  überwiegen.    Audi  in  der  Vergleichung,  wia 


fuhr  gegen  die  Gesammtaüsfuhr  berechnet,  und 
das  Resultat  der  Handelsbalance  gezeigt    Be7 
land  ist  eisv  Ueberschufs  von^etwa  11  Mill,  Thli 
England  von  betnahe  20  Mill.  Thfarn.  Seitens  ' 
fuhr  über  die  Einfuhr  berechnet;  —  bei  Poi* 


gpgBo  flbenteigt  die  Binfitlir  um  das  Drei-  und  Tier« 
bohe  die  Aoiifuhr;   eben  so  Ist  in  Spanien  ein  bedeu« 
tettder  Uebersohub  der  Einfuhr;  imd  auch  bei  Franic« 
reiob  übersteigt  die  Einfiibr  um  4|  Mill.  Tl^r.  etw» 
nach  dem  Dnrehschnitt  der  letzteren  Jahre  die  Ausfuhr 
alljihrlich.    Wir  haben  nun  zwar  gegen  diese  genaue« 
wo  Bereehnungen  einer  solchen  Handersbabmoe  man« 
eherlei    Bedenicen.     Ein  Staat,    der   andauernd   eine 
solche  schlechte  flandelsbalance  hätte^  inüfste  ja  noth« 
wendig  alle  Jahre  bedeotende  Schulden  machen,  um 
■or  existiren  su  können.    Womit  will  denn  Frankreich 
1.  B.  das  Deficit  tou  4^  Mill.  Thlrn.  decken,  die  es 
jährlich  mehr  aa  das>  Ausland  abgiebt,  als  es  von  dem» 
selbes  erhält!    Nach  Schuberts  eigenen  Angaben  ge^ 
winnt  Frankreich  an  Gold  so  gut  als  nichts,  aa  Silber 
etwa  70000  Thir.    Dieser  Ertrag  deckt  doch  bei  wci- 
tem  nicht  4^  Mill.  Tbaler;   und  wenn  er  ausgefiihrt 
wird,    steckt  er  ja   schon  unter  dem  Ansfuhrwerthe. 
Die  Berechnungen  sind  nach  den  Quantitäten  und  ganz 
besonders   nach    den    Werthen    der   Artikel    viel    zu 
sdftwankend,    als  dafs  sich    daraus  sichere  Schlüsse 
ziehen   liefsen.     Ein  Staat  gleicht,  Was  er  vom  Aus- 
lände erhält,  durch  Waaren   des  Inlandes  aus,    und 
in    der   Hauptsache   mufs    in  gröfseren    Zeitabschoit- 
ten  Einfnbr  und  Ausfuhr  flbereinstimmen,  wobei  Gold 
und  Silber  bei  Einfuhr  und  Ausfolir  als   fVaare  sich 
b«ecluiet.     Nicht  '  an    d^r  günstigen  Handelsbalance, 
sendam  am  Fortschritt  der  Befölkeruog  und  besseren 
Exietenz  der  Bewohner  erkennt  man  das  Gedeihen  der 
Nation.  —  Dieser  allgemeinen  Einwendungen  ungeach- 
tet, wollen  wir  aber  die  Mittheilongen  solcher  Handels- 
»balaneen  Seitens  des  Yfs.  keinesweges  tadeln.    Es  war 
nicht  Oir  ihn,  sie  zusammenzustellen,  denn  sie  haben 
TisIFach  officiellen  Charakter.    In  grofsen  Zügen  läfst 
sich  andi  sagen,  dafs  wenn  bei  Nationen,  wie  Spanien 
und  Portugal,    eine    längere  Reihe  Ton  -Jahren   sich 
iWrausstellt,    dafs    sie  in    ^nz   entschiedener   Weise 
iiem  Auslande  Tiel  mehr  empfangen,  als  sie  zurüokge- 
l^n,  so  yiel  immer  folgen  wird,   dafs  eine  solche  Na- 
|{on  sich  im  Rückschritte  befiuden  mufs,  ni^d  entweder 
^nch  zusammennehmen  mufs,  um  viel  mehr  als  bisher 
:hnrch  Pieifs  aus  dem  ihm  gegebenen  Naturfonds  Wer^ 
^lie  herauszuschaffen,    od^r  sie  mufs    an  Perölkcirung 
jiod  Wohlstand  abnehmen.     Ferner  aber  lassen  sich 
Lina  diesen  Listen  der  Einfuhr  und  Ausfuhr,  ^und  dies 
L  st  Ton  dem  Verf.  sehr  fleifsig  und'  umsichtig  gesche- 


291 

heu,  die  eanztlnen  Objecte  der  Einfuhr  und  AusfiilMr 
erkeauen,  und  ^es  ergiebt  sich,  darch  welche  Waaren 
bauptaächlich  ein  Land  die  Bedürfnisse  des  Auslandes 
deckt,  und,  weicht  diese  Bedürfnisse  vorzugsweise 
sind.  Ebenso  hat  der  Ver&  zweckmäßig  gezeigt,  mit 
welchen  Ländern  jeder  Staat  vorzugsweise  nach  den 
Einfuhr-  und  Auafubriisten  in  Verkehr  'steht,  und  dien 
auch  durch  die  Angabe  der  Handelsmarine,  der  See- 
schiffe jedes  Staats;  der  Anzahl  und  Tonnenlast  > der 
in  die  verschiedenen  Häfen  eines  Staats  eingebenden 
und  fius  ihnen  außgehenden  Schiffe  erläutert,  aus.  sei* 
oben  Zahlenangaben  auch  die  Wichtigkeit  der  .ver* 
schiedenen  Häfen  eines  Staats  nach  ihrer  relativen  Be- 
deutung in  auzieheuden  Resultaten  anscbaulish  gemacht« 
Der  §•  12.  behandelt  die  geistige  Cultur  der  Staai« 
ten  in  ihren  UnterricAt9an$taliM\  die  Universitäten, 
Gynmasien  und  Lyceeu,  die  Specialschulsn  und  den 
Elementarunterricht.  — -  Auch  übet  Bibliotheken,  Mu- 
seen, Gemäidesamniiungeu  sind  die  udthigen  Notizea 
gegeben«  Der  §.  Vi.  enthält  die  geistige  Ci^ltur  in  ih- 
ren statistisch  bemerkenswertben  Ergebnissed  fär  den 
Staat;  d.h.  es  ist  geschichtlich  gezeigt,  wie  bei  einem 
jeden  der  verschiedenen  Staaten  die  schönen  Künste 
sich  entwickelt  habett,  welche  Perioden  Malercfi,  Bild- 
hauerkunst, Musik  in  diesem  oder  jenem  Staat  durch- 
laufen' haben,  welche  bedeutende  Männer  in  diesen 
Künsten  aufgetreten  sind,  welchen  Einflufs  sie  durch 
ihre  Werke  auf  die.  Nation  gehabt  haben;  eben  so  ist 
die  Dichtkunst,  und  sind  dann  die  Üauptkategorieen 
der  Wissenschaft,  politische  Beredsamkeit  und  politi» 
sehe  St;udien,  Theologie,  Jurisprudenz  Medicin,  rhilo- ' 
Sophie,  wie  wir  die  l<acultäten  theilen,  und  jede  den- 
sefben  nach  ihren  vielfachen,  verschiedenartigsten  Un- 
terabtheiluqgen  gründlich  und  immer  mit  Hervorbe-« 
bung  der  in  den  einzeben  Staaten  wichtigsten  litera- 
rischen Richtungen  und  Erscheinungen  darcbe;efii^rt. 
Es  folgen  sodann  statistische  Nachrichten  über  die 
gesammte  literarische  Ausbeute  piner  Nation,'  d.  h. 
die  Zahl  der  erscheinenden  Bücher  und  Kunstwerke, 
ferner  die  Resultate  der  Tagesliteratur,  d.  i.  die  An- 
zahl der  Zeitschriften,  und,  wo  es  möglich  war,  deren  . 
Absatz.  Wenn  in  diesen  Darstellungen  der  Verf.  über^ 
all  als  der  gebildete  Mann  auftritt,  der  die  Linien  und 
Punkte  kennt,  an  denen  die  CiviKsation  und  geistige 
Entwickclang  einer  Nation  sich  anlegt,  von  denen  sie 
gehoben  worden  und  ihren  Aufschwung  genommen  hatf 
so  führen  die  Zahlenverhältnisse  zu  überraschenden 
Resultaten.  In  Rufsland  erschienen  180^  durchschnitt* 
lieh  261  Werke  jährlich )  1831  724}  1832  694$  183a 
758s  Die  Einfuhr  ireinder  Werke  ist  im  letzten  De- 
cennio  gegen  die  ersten  20  Jahre. dieses  Jahrhunderts 
geradehin  auf  das  Doppelte  gestiegen.  In  England  er^ 
scheinen  weniger  ntv^e  Bücher  alljährlich  als  in  Deutsch* 
land ;  aber  von  denen,  die  erscheinen^  erleben  verhält* 
nifsmäfsig  in  England  viel  mehr  neue  Auflagen  als  in 
Deutschland}  uqü  dergl.  mehr.  Besonders  wichtig  sind 
die  Resultate  des  Elementarunterrichts.  Während  in 
Frankreich  und  Engbrnd  für  die  Bildung  des  Volks 
in  neuester  Zeit  sehr  viel  geschehen  ist,  hegt  der  Ele* 


295 


JSciMertf  aUgemtiiM  •  St«flttJkunde  V9n  Ewf^ptt. 


I    < 


Dientariinterricht  in  Spanien  und  Portugal  und' den  mei* 
tten  italienifloben  Staaten  ganz  danieder.  Im  Kircben* 
Staat  geht  von  den  achnlfähigen  Kindern  ^  den  Kin-* 
dem  zwisdieo  dem  7.  und  14.  Lebensjahre,  wie  Sehn- 
ber(  reebnet,  nai^  das  5.  auir  Scbuje;  so  dafsinan  im 
Kircbenstaat  ^  der  Einwobner,  als  ohne  alle  Bildung 
aufwachsend,   beseiebnen  kannll  -** 

Die  Resultate  des  Elementarunterrichts  geben  den 
wichtigsten  Einblick  in  den  Biidungszu^tand  des  Volks. 
Sie  zeigen  ini  grofsen  üthrissen,  ob  die  Sorge  ^ler  Re- 
gierung fär  den  Unterricht  der  Nation  Ton  Erfolg  ist^ 
Es  giiebt  ein  iebendiges  Bild  von  dem  Zustand  des  ge* 
meinen  Mannes,  wenn  sich  zeigt  der  6.,  7.,  8.  Mcnscb 
oder  nur  der  15.,  20.,  50.  geht  zur  Schule;  7— a/A?  kön- 
nen lesen,  schreiben^  rechnen,  oder  sehr  wenige.  — 
Läfst  sich  nach  der  Anzahl  der  Trauungen,  der  Kin- 
der in  der  Ehe,  der  uneheliehen  Kinder,  der  Sinn  für 
Faifiilienleben  schildern,  nimmt  man  hierzu  die  Anzahl 
der  Verbrechen,  namentlich  ob  grobe  Verbrechen  ab- 
nehmen  u.  dgim.,  so  ergeben  sich  daraus  Anhaltspunkte 
fiir  die  Sittlichkeit  in  der  Nation.  Die  Verzehrungs- 
«nd  Verbranchsrerhältnisse,  wie  viel  Getreide,  Fleisch, 
Wein,  Bier,  Branntwein,  Tabak,  Gewebe  und  Kleidung 
aller  Art  o.  s.  w«u.  s.  w«  berechnet  sich  durchschnitt- 
lich auf  den  Kopf,  geben  die  wesentlichsten  Anhalts- 
{lunkte  fär  die  äufsercn  Existenzmittel  einer  Nation« 
st  es  indglith,  unter  Angabe  der  Preise  der  wichtig- 
sten Lebensbedürfnisse,  zu  zeigen,  wie  viel  die  Familie 
des  gemeinen  Mannes  notbwendig  bedarf,  und  ob  und 
in  wie  weit  diese  Summe  der  Taglöhuer  n.  s.  w.  jähr- 
lich verdient^  so  rundet  dies  die  Darstellung  noch  mehr. 
Vieles  der  hieher  gehörigen  Verhältnisse  hat  der  flei- 
fsige  Vf.  in  den  so  vielseitig  und  umsichtig  behandel- 
ten Cutturverhältnissea  und  anderweit  angeführt  und 
eingestreut.  Viellefieht  gelingt  es  in  ferneren  Darstel- 
lungen die  Resultate  der  hier  bezeichneten  Art  zusam- 
iiten  zu  fassen,  wie  die  Engländer  in  statistischen  Wer- 
ken wohl  eine  (Jeberschrift  lieben :  Food,  dress  and 
babits  of  the  Bulk  of  4he  people,  — .Nahrungsmittel, 
Kleidung,  Sitten  und  Gewohnheiten  >  der  Masse  des 
Volks.  Die  Wohlhabenden  und  Gebildet;en  iebeu  in  den 
verschiedenen  Staaten  Europa's  in  ziemlich  ähnlicher 
Weise;  -^  bei  dem  gemeinen  Mann,  der  überwiegeiN 
den  Mehrzahl  der  Nation,  treten  die  .Verschiedenheiten 
hervor;  Die  Statistik  hat  vorzugsweise  die  Aufgabe: 
das  Volksleben  zu  zeichnen;  —  damit  die  Regenten 
und  ihre  Verwaltung  ihre  wichtigste  und  schwierigste 
Bestimmung  Erfüllen  -können,  den  Zustand  des  FeiAs, 
in  aller  Weise  zu  verbessern. 

Die  Abschnitte  Q.  und  D.  in  der  Schubertschen 
Staatskunde  umfassen  die  Regierungsverhältnisse  der 
einzelnen  Staaten.  Unter  C.  der  Verfassung  sind  ge- 
geben:  erstlich  die  Grundgesetze  (in  den  meisten  Staa- 
ten §.  14.)^  in  England  beginnend  mit  der  magna  qliarta 
von  1215,  in  (Portugal  mit  dem  Reichsgrundgesetz  von 
1143  und  dann  fortgeführt  bis  zur  neuesten  Zeit',  in 
allen  Staaten  die  Angabe  der  die  Verfassung  in  we« 
sentlicbst^r  Beziehung  begründenden  Verbältnisse;  -^ 
dann  folgen  (^.  15«)  Staatsforui)  Rechte  der  höchsten 


,296 

Staatsgewalt  und  der  Iregierende^  Dynastie,  Titel,  Wap- 
pen,  Hofstaat*  Orden,  f.  16.  Die  Rechte  der  Stände -^  — 
§.  17.  das  Verbältnifs  der  Kirche  zum  StUat.  —  Un- 
ter, dem  Abschnitt  D.  is^  die  Verunsltung  behandelt; 
aäjnlicb  1.  innere  Verbältnisse:  0)  CentralbehördeB  (4 
18.)  die  Minister,  das  Cahinet,  der' Staat srath  $  b)  dw 
innere  Provinzial-  und  Polizei* Verwaltung  (§.  19.);  die 
Organisation  der  Verwaltungsbehörden  in  den  Provin- 
zen, Districten,  Cdinniunen.  c)  Die  Rechtspflege  (§.  20.]^ 
worin  eine  Uebersicht  der  im  Lande  gültigen- Kechls, 
und  Rechtsbücher,  nebst  Darstellung  der  Gerichtsbe^ 
hörden  und  deren  Verfahren ;  und  ist  bei  der  Criminal- 
justiz  die  statistisch  wichtige  Angabe  der  VerbretAen 
nach  ihren  verschiedenen  Kategorieen  sehr  sorgfältig 
behandelt.  Wie  wichtig  die  Verbrecberstatistik  sei^  ha- 
ben wir  schon'  oben  angedeutet.  Man  möge  aber  ja 
nicht  hier  sich  mit  der  blofsen  Zahl  begnügen;  -^  wenn 
Morde  abnehmen,  kleine  Diebstähle  sich  eti^as  yermeh« 
rptt ;  und  wegen  letzterer  die  Gesammtzabl  der  Verbre* 
eben  gröfser  erscheint,  so  geht  der  sittliche  Zustand 
der  Nation  noch  nicht  zurück.  —  Die 'Verbrecbersta- 
tistik. will  mit  grofser  Vorsicht  behandelt  sein ;  richtig 
aufgefafst,  giebt  sie  aber  die  wichtigsten  Andeutungea 
über  den  sittlichen  Zustand  in  einem  Volke.  Der  VL 
behandelt,  sodann  d)  die  Finanzverwaltung  (§.  21.). 
Hier  findet  sich  bei  den  bisher  bearbeiteten  (Staaten 
eine  sehr  interessante  Darstellung  der  Staatsschulden; 
ßodann  sind  die  Budgets  erläuternd  mitgetheilt  e\  INe 
Kriegsverwaltuug ;  Landheere  uud  Seemacht  (§.  22.)  IL 
Auswärtige  Verhältnisse.  Hier  ist  unter  der  Ueberscbrift 
des  politischen  Verkehrs  mit  andern  Staaten  (§•  23^) 
geschichtlich  das  Veirhältnifs  des  betreffenden  Staates 
zu  dem  übrigen  Europa  geschildert,  und  danach  der 
politische  Standpunct  jedes  Staates  festgestellt.  Heut' 
nächst  sind  (§.  24.3  ^^^  wichtigsten  jetzt  gültigen  Staats« 
Verträge  und  Bündnisse  angegeben.  Wir  halten  die  Bear* 
beltung  dieser  beiden  Abschnitte  C.  und  D.  für  besonders 
gelungen.  Der  Vf.  war  hier  auf  dem  Gebiete  der  Historie 
uod^  des  Staatsrechts,  denen  er  längst  befreundet  war.  ~ 
X  Das  Werk  empfiehlt  sich  auch  in  typographischer 
Hinsicht.  Einige,  jedoch  nicht  wichtige  Fehler^  sind  im 
Druck  trotz  der  grofsen  Sorgfalt  des  Vfs.  stehen  ge- 
blieben, wie  bei  einem  Buche  so  voller  Zahlen  gar  woU 
zu  entschuldigen  ist.  So  giebt  die  Addition  I.  S.  130  voa 
nr.  6-24  nicht  21,452000,  sondern  20,052000 ;  IL  S.  109 
statt  74,^040000  Fr.  und  21,99ü808Thlr.,  —  74,070000  Fr. 
und  19,990800  Thlr. ;  II.  S.  354  mufs  es  statt  3,351396 
beifsen  3,331398;  III.  S.  21  giebt  die  Summe  3,717433, 
nicht  3,707643;  IV.  8.  563  mufs  es  statt  41243  «iimI 
41489  beifsen  41242  und  41759. 

Für  die  Hauptresultate  sind  diese  Unrichtig,keitea 
in  einigen  Zahlen  von  keinem  bedeutenden  EinOufs,  und 
ftir  die  Darstelhmg  des  Ganzen  durchaus  unerbeblidi; 
wir  glaubten  aber  dem  sehr  geachteten  Hrn.  Vf.^  <lcr 
durch  diese,  seine  Schrift  ein  wahrhaftes  Verdienst  on 
die  Statistik  sich  erworben  hat,  solche  für  den  Fall  ei- 
ner zweiten  Auflage,  die  einem  so  wichtigen  Werk  ge- 
wifs  nicht,  fehlen  irird,  nicht  vorenthalten  zu  dürfeD« 

.  Dieterici. 


J  a  h  r  b  fi  c  h  e 

I  u-r 


i;v  i  8  8  e  n  s  c  h  a  f  1 1  i  c  h  e   Kritik. 


August  1839. 


XVIL 

Semswn  der  Lehre  vom  Oahano-Voltaismui. 
Van  Dr.  C.  H.  Ff  äff,  Köntgl  Dan.  Etat^ 
rathy  Prof  zu  Kiel  u.  s.  w.    Altona^  1837. 

Wenn  eine  SchrifV,  wie  die  vorliegende,  eine  Ue* 
fcamiobt  der  gegenwärtigen  Beschaffenheit  der  LeVe 
wom  Galvanisnuns  qntev  yergleichendeui  Rückblick  auf. 
den  Zustand  dieser  Disciplin  in  ihrer  früheren  Ent« 
Wickelung  zu  geben  verhelfst,  während  ihr  Verfasser, 
so  wie  Herr  'Etatsrath  Pfaff,  ein  anerkanntes  Recht 
liat^  fast  yon  der  ersten  Zeit  der  Entwickelung  die- 
ses bedeutungsvollen  Zweiges  der  Naturwissenschaft 
an  sn  den  eifrigsten  und  verdieustvollsten  Pflegern 
desselben  gezählt  su  werden:  so  kana'sie  ohne  Zwei- 
fel nicht  nur  die  Theilnahma  der  eigentlichen  Physi- 
ker.  sondern  selbst  auch  die  Aufmerksamkeit  derer  in 
Asspmcb  nehmen,  die,  wenn  auch  in  andern  Richtun- 
gen begriffen  und  den  Gegenstand  nfcht  mit  dem  Blicke 
des  Kenners  nach  äHen  Einzelnheiten  verfolgend,  ihn 
denfoch  in  seinen  wesentlichen  Grundbeziehun^en  zur 
Naturwissenschaft  wie  zur  Geistesentwickluag  der  Zeit 
fiberhaupt  ins  Auge  zu  fsssen  geneigt  sind. 

Pas  Wort  Galvanismus  hat  bereits  an  sich  mit 
eeiser  Entstehung  die  Physiognomie  einer  als  eigen- 
thumlich  gebeimnifsvoll  bezeichneten  Welt  der  Erschei- 
Busgen  gewonnen,«  mit  deren  Darlegung  die  Natur  ihre 
verborgensten  Tiefen,  aufgeschlosseu  und  dem  forschen- 
den Geiste  den  Zugang  zu  ihren  Wundem  auf  eine 
firüher  ungeahnte  Weise  eröffnet  habe.  Schon  darum 
Verden  alle,  die  von  lebendigem  Interesse  für  den  all- 
gemeinen Fortschritt  des  Wissens  erfüllt  sind,  mit 
grofser^r  Spannung  auf  die  Geschichte  der  Hauptef- 
gehoisse  dieser  unergründlich  reichen  Offenbarungs- 
Mfttte  binblicken  und  nicht  leicht  wird  einer  unter  ihnen 
gtnzlich  unberührt  geblieben  sein  von  der  Reihe  grofs- 
artiger  Entdeckungen v der  neuesten  Zeit,  welche  auf 

jQkrh.f.  mueuMch.  Kriük.  J.  1830.  II.  Bd. 


die  seit  Jahrtausenden  in  Dunkel  gehüllten  Rätksel  der 
Erde  ein  Licht  warfen,  das  schon  in  ilrenigen  Decen» 
nien  Richtung  uud  Umfong  bisheriger  Ansichten  und 
Grundlagen  des  Wissens  nach  allen  Seiten  hin  zu  er- 
weitern und  umzugestalten  vermochte. 

Doch  schon  bei  diesem  ersten  Hinblick  auf  den 
Gegenstand,  dessen  sachgemärse  Darstellaxig  von  der 
vorliegenden  Schrift  zu  erwarten  wäre,  mufs  der  Refe^ 
reut,  fern  von  jedem  Gefühl  eines  partbeiischen  Ent- 
gegen treten^,  den  Unterschied  des  Standpunctes  zu 
erkennen  gebe%  der  zwischen  dem  Verfasser  und  ihm 
in  der  Würdigung  des  Feldes  der  Erscheinungen  und 
der  Beschaffenlieit  seiner  Früchte  obwaltet.  Für  Herrn 
Pfaff .  sind  gewissermafsen  die  grofsen  Offenbarungen 
der  nächsten  Vergangenheit  im  Gebiete  des  Elektro- 
magnetismus und  der  Magnetelektricität  nicht  da  ge- 
wesen; es  ist  als  leugnete  er  sie,  in^  so  fem  er  allen 
durch  sie  nothwcndig  bedingten  Bestrebungen  einer 
Umgestaltung  des  wissenschaftlichen  Bodens  zu  einer 
den  mahnenden  Thatsachen  angemesseneren  Auffas- 
sung seine  Anerkennung  verweigert'.  Die  uranföngli- 
.che  Ansicht  der  Volta'sohen  Zeit,  die  alle  galvanischen 
Erscheinungen  nur. auf  die  kleinen  elektrischeo  Pulse 
zurückführte,  welche  durch  Volta  in  der  von  ihm  ent- 
deckten Contactelektricität  auf{^efunden  und  nachge- 
wiesen wurden',  das  ist  der  Standpunkt,  auf  dem  allein 
Herr  Pfaff  auch  ferner  noch  fufsen  zu  müssen  wähnt 
und  den  er  auch  jetzt  noch,  so  wie  ehemals,  als  Ba- 
sis aller  der  grofsartigen  und  mannigfaltigen  Phüntj^ 
mene  geltend  zu  machen  trachtet ,  welche  die  Ent- 
deckungen  neuerer  Zeit  uns '  gebracht  haben.  .  Sein 
Buch,  so  wenig  daran  das  Verdienst  schätzbarer,  be- 
lehrender und  scharfsinniger  Mittheiluoigen  für  äie  Wis^- 
senschaft  bestritten  werden  mag,  erfüllt  daher  nicht 
den  in  der  Ueberschrift  angedeuteten  Zweck  ein#r  un-, 
partfaeiischen  Darlegung  des  Gegenstandes,  es  trägt 
vielmehr  durchgeheuds  des  Charakter  einer  subjecti- 

38 


N      . 


\    ». 


299  Pßfß^^  Revision  der  Lehre 

iTen  Polemik,  die  gegen  ilas  Bedürfnifs  des  Fortschrittes 
einer  freieren  EntwickeloDg  ifirisseDschaftlicher  Grund« 
ansichten  gerichtet  und  fast  überall  nur  yon  Parthei- 
lichkeit  fOr  die  Stabilität-  einer  den  Thatsachen  and 
Ergebnissen  der  Zeit  nicht  mehr  entsprechenden  Hy- 
pothese der  frühereit  Voltasohen  Periode  erfüllt  ist. 

Selbst  schon  auf  dem  Titelblatte  begegnen  wir 
dieser  Partheilichkeit  des  tierrn  Verfassers  (Ur  Yotta 
und   dessen  Ansichten   in  sehr  bestimmtem  Gepräge. 

'  Voltagilt  ihm  in  solchem  Girade  als  eigentlicher  Be- 
gründer der  Kenntnifs  des  ganzen  Erscheinungsgebie- 
tes, dafs  er  dem  ursprünglichen  Entdecker  Galyani 
die  Ehre,  es  nach  seinetn  Namen  zu  nennen,  nicht 
anbedingt  zn  Theil  werden  läfst,  sondern,  dem  Rechte 
des  längst  befestigten^  Sprachgebranchbs  entgegen,  statt 
des  Wortes  OalvanismuM  die,  schon  durch  ihre  Länge 
widerstrebende  Form :  Galvano^  Fohoiemus  zum  Ter- 
minus der  Bezeichnung  seines  Gegenstandes  erwählt 
hat.  So  werden  wir  denn  auch  hier  im  Drange  einer 
zu  gröndlic^her  Reform  empor  strebenden  Periode  der 
Wissensdiaft  dasselbe  gewahr,  was  sich  auf  anderen 
Feldern  der  Entwicklung  zuträgt;  wir  sehen  auch  hier 
von  neuem  bestätigt,  dafs  die  Geschichte  des  Wissens 
und  .die  Normen  ih|res  geistigen  Verlaufs  überall  die- 
selben sind,  dafs  sie  zugleich  den  Typus  aller  übrigen 
Arten  von  Entwickelungen  und  Umgestaltungen  darbie- 
ten^ welche  in  der  culturgeschichtlichen  Welt  des  Men- 
schen wie  in  der  grofsen  Offenbarungswelt  der  Natur 
als  gleichzeitige  Momente  ihres  zastlosen  Fortschrit- 
tes begrülidet  sind.  Von  der  einen  Seite  ein  Streben, 
welches  die  von  der  Gegenwart  ^bgestofsenen  Inter- 
essen einer  früheren  Zeit  noch  mit  einem  Eifer  ver- 
theidigt,  der  selbst  in  Nebendingen  und  Namen  das- 
jenige noch  fest  zu  halten  trachtet,  was  dem  Wesen': 
und  der  Sache  nach  kaum  mehr  an  den  letzten  Ter- . 
dorrten  Fäd^n  seiner  yormaligen  Bedeutung  haftet.- 
Von  der  anderetf  Seite  dagegen  eine  Vemichtungsten- 
denz,   die  mit  den   unbrauchbar  gewordenen  Formen 

«  and  Beziehungen  der  früheren  Entirickelung  auch  den 
wesentlichen  Gehalt  derselben  verdrängen  will,  der 
Tielmehr,  statt  aufgegeben  zu  werden,  im  Kampfe  des 
Länterungsprocesses  nur  vollständigere  und  höhere  Gel- 
tung gewinnen  soU. 

Diese  Kehrseite  am  wissenschaftlichen  Gepräge, 
dessen  G^sammtbild  wir  auf  Veranlassung  des  H^rm 
Verfassers  zu  würdigen  haben,  stellt  sich  uns  hier  zu- 


vom  Oalvano*VoUaiimu$i      ' 

• 

erst  dar  in  den, Arbeiten  and  Belianptoi^a  rinas 
deren  Physikers,  des  Herrn  de  la  {live  inr  Genf,  der 
die  Effecte  der  Volta'schen  Contactelektridtit  itieht 
nur  als  unznlängliche  Motive  der  galvanischen  EracM- 
nuogen  betrachtet,  sondern  selbst  die- fiiktisbbe,  Wi 
chemischen  Erfolgen  unabhängige  Existenz  derseilMi 
gänzlich  leugnet.  Gegen  ^diese  Vefnichtangstendett 
ist  der  erste  Abschnitt  der  vorliegenden  Schrift  geridi- 
tet  und,  wie  Referent  ohne  Weiteres  versichern  n 
dürfen  glaubt,  mit  so  siegreichem  Erfolg,  dafs  Ce 
Uebereilung  und  Grundlosigkeit  der  vwsncfaten  Nega* 
tion  dadurch  in  aller  Entschiedenheit  nachgewiesen  wer- 
den ist.  In  den  drei  folgenden  Abschnitten  besehlf- 
tigt  sich  Herr  Etätsrath  Pfaff  noch  femer  mit  Bestiah 
mnngen,  die  sich  auf  Contactelektricität,  und  ini  drit- 
ten Abschnitt  namentlich  auf  das  Verhalten  swieoitf 
Metallen  und  Flüssigkeiten  bei.  gegenseitiger .  Berik- 
rung,  beziehen.  Wir  können  auch  hier  im  Ganzen  das 
Verdienst  d^s  Herrn  Verfassers,  sowohl  in  der  wieder- 

* 

holten  Constatirung  von  Thatsachen,  als  in  der  Be- 
richtigung mancher  dahin  gehörigen,  wiewohl  minder 
erheblichen  Ansichten  einiger  andern  Physiker,  um  se 
bereitwilliger  anerkennen,  als  wir  hinsichtlich  einet 
ner,  bei  dieser  Gelegenheit  ausgesprochener  Meinoa- 
gen  des  Verfassers,  mit  denen  wir  nidit  einrerstandea 
sein  können,  im  Folgenden  noch  hinreichende  Veranlas- 
sung zu  Gegenänfserungen  in  einem  gröfser^a  Zon»- 
inenhange  erhalten  werden. 

Ein  Hauptpunkt  der  Entscheidung,  auf  den  eick 
auch  bei  weitem  der  gröfseste  Theil  des  Inhnitn  der 
übrigen  Abschnitte  in  der  vorliegenden  S<!brtft  iienelit, 
ist  jedoch  nun  der,  dafs  der  Volta*schen  Contactelek- 
tricität, auch  wenn  sie  als  ein  von  chemischen  Wir* 
kungen  unabhängiges  Factum  an  und  für  sich  in  Gif- 
tigkeit bleibt,  dennoch  nicht  der  Antheil  an  den  Erfbl- 
gen  des  Galvauismus  zugestanden  wird,  den  die  Vol- 
taisten,  und  mit  ihnen  gan^  besonders  unser  Anter, 
ihr  zuschreiben.  Dem  von  der  Theorie  unbestodienea 
^Beobachter  dringt  sich  überall  gewaltsam  die  Frage 
auf,  wie  die  geringfügigen  elektrischen  Erregongea, 
welche  im  Contact  der  Glieder  einer  galvanisdien 
Kette  hervorgerufen  wcrdeti,  ohne  Rnckwirkuog  «kr 
chemischen  Function  zu  der  in  glänzenden  Fnnkcn 
ausbrechenden  Spannung  gesteigert  Werden  können, 
wie  sie  (ur  sich  allein  den  kraftvollen  chemisohen  P^i- 
cefs,  die  partielle  Glut  nnd  die  intensive  magnetische 


ML 


Pßtffs  Jt^ffisU^  der  Lehre  pHk  Oahmne-Voliaunme. 


ao3 


firr^gttiig  4^  fesdUosseoen  Kette  vx  bewirken  yeraid- 
Ben.    Dasa  kiHomt,  dafa  die  Volta'sobe  Theorie  den 
ZaaammenhaDg  der  xaletrt  genannten  EracheiaaDgen 
aik  der  Elektrieität  jeder  Zeit  aar  als  ^ein  Räthsel  zu 
behandeln  vermoobt  bat>  das  sie  in  Bezng  auf  die  ohemf- 
•eben  Wirknngenr  nnr  dnrcb  neue  HülfabypotbeseD,  de- 
mea  xugleitib  die  Elektrocbemie  ibr  precärea  Dasein 
Terdankt,  aaf  eine  gezwungene^  rein  formale  Weise  zu 
Ideen  Tersncbti   und  in  Bezng  auf  die  magnetiscben 
Bifaote  bat  sie  niobt  einmal*  den  Tersncb  einer  soloben 
-blofs  formalen  Ldsnng  aufzuweisen.    Sie  entbält  aufser 
4er  factiecb  ^>enstatirten  Contacteiektricität  nicbts  zu- 
TerUUs^esy  was  dem  gesucbten  Verständnisse  der  Er- 
•ebeinnngen  als  ein  baltbarer  Stützpunkt  sieb  darbfite, 
»Dafs  die  im  Contact  bervörgerufenen  elektriscben  £r- 
«egnngen^  gleiob  Strömen,  dnrcb  den  gescblossenen 
'Kreis  der  galf  aniseben  Kette  sieb  ergiefsen,  dafs  diese 
del^triscben  Strdme  den  cbemischen  Prooefs  der  Kette 
bewurken,  dafs  sie  nicbt  wieder '  die  partiellen  Effecte 
dhMi  £rgl&bens  und  den  Magnetismus  der  Kette  erzeu- 
fjen  oder  identiscb  mit  ibm  seien,  das  alles  sind  Hy- 
pothesen, die  durch  nicbts  erwiesen  werden  und  bei 
denen  der  naebzuweisende  Zusammenhang  von  Wirkung 
•uid  {Irsache  dennoob  wiederum  eine  Vermittelung  durch 
^ene   abermaligen  elektroobemiscben   Bjpotbesen    er- 
'heieekt,  in  denen  aogenommen  werden  raufs,  dafs  die^ 
sogenannten  Atome  der  Substanzen,  welche  im/gescblos- 
'.senen,  Kreise  der  Kette  die  chemischen  Veränderuogen 
eri^den,  ursprünglich  bereits  mit   elektriscben  Erre- 
gungen behaftet  seien,  vermöge  welcher  sie  Ton  den 
hypothetischen  elektriscben  Strömen  der  Kette  ergrif- 
fen, fortgefiihrt,  abgestofsen  und  dergestalt  tbeils  aus- 
cbiattder,  tbeils  zusammen  getrieben  werden,  'Wieesden 
-bewirkten  cbemisoben  Zersetzungen  und  Verbindungen 
gem&fs  ist,  wenn  diese,  was  jedoch  wiederum  ^uf  keine 
•Weise  Befriedigung  gewährt,  als  formale  Resultate  ei- 
ner blofs  änfserlfcben '  Trennung  oder  Vereinigung  der 
ateaustisch  gesetzten  Bestandtbeile  betrachtet  werden. 
Es  ist  eine  starke  Zumutbung  fiir  den  denkenden 
Gmt»  bei'so  bedeutungsvollen  Erscheinungen  das  rege 
Bedflrfnifs  nach  ^Q^^Utativen  Bestimmnugen  ibres  Zu- 
aammenbanges  mit  nicbtigen  Hypotbesen  binzubalten, 
^e  niobt  einmal  den  formalen  Schein  einer  Verknüpfung 
anders,  ah  durch  abermalige  npcb  gruodlosere  Fictio- 
nen  zu  gewähren  vermögen,  und  es  bleibt  unter  solchen 
Umstände  eine  nnbegreifliche  Aeufserung  des  Hrn.  Vfs., 


wenn  er  in  der  Eiuleitung,  S.  6,  die  Volta'sohe  Theorie 
als  eine  solche  cbarakterisirt,  die  aus  dem  Fundamen- 
talfactum  der  Contacteiektricität  ein  einfaches  Erklä- 
mngsprincip  abgeleitet  habe,  aus  .welchem  sich  alle  be- 
aonderen,  selbst  die  <|em  Anschein  nach  böphst  vier- 
wickelten  Fälle'  leicht  ableiten  und  voraus  bestitaunea 
lassen.  Aber  selbst  dann,  wenn  dieser  Theorie  auch 
die  NachweisuDg  des  qualitativen  Zusammenhanges  zwi- 
schen ihrem  so  hoch  veranschlagten  Fundamentalfootum 
der  C.ontaotelektrioität  mit  den  übrigen  Erscheinungen 
der  galvanischen  Kette  einen  Augenblick  erlassen  bleibt, 
fao  ergiebt  schon  die  blofse  quantitative  Yergleicbung 
der  leisen,  kaum  in  die  Sinne  fallenden  Regungen  die- 
ser Contacteiektricität  mit  den  mächtigen  Wirkungen 
des  Chemismus  und  Magnetismus  der  Kette,  wenn  diese 
als  die  prädicirten  Ergebnisse  von  jenen  ins  Auge  ge-. 
fafst  werden,  ein  so  schreiendes  Atirsverbältnifs,  dafs 
ein  vorurtbeilsfreier  Erkenntnifstrieb  die  Unangemessen- 
heit der  Volta'scben  Theorie  darm  notbwendiger  Weise 
ergreifen  und  das  Bedürfnifs  nach  einer  solideren 
Grundlage  der  Verknüpfung  der  Erscheinungen  auf 
das  «lebhafteste  empfinden  mu/s.  , 

So  bat  sich  denn  in  Folge  dieses  unabweislicben 
Bedürfnisses,  gegenüber  der  Volta'schen  Contactth^o- 
rie  eine  andere,  die  sogenannte  chemische  Theorie  des 
Cralvanisnius  gebildet^  welche  den  Chemismus^  selbst 
als  die  Fundamentalqnelle  der  im  Galvaniamus  com- 
binirten  Erscheinungen  betrachtet;  und  als  vornehm- 
ster StimmfttbreJr  dieser  Lehre  erscheint  Faraday,  der 
berühnite  Entdecker  der  Magnetelektricität,  gegen  den 
daher  auch  vorzugsweise  unser  Verfasser  als  Verfecb-* 
ter  des  Voltaismus,  bei  sonst  gerechter  Würdigung 
der  verdienstlichen  Leistungen  seines  Gegners,  in,  die 
Schranken  getreten  ist,  wenn  gleich  keineswegs  mit 
so  sicherer  und  siegreicher  Waffe,  als  sie  Herr  de  la 
Rive  bat  erfahren  müssen. 

Hätte  Faraday  von  einem  höher  gelegenen  Ge- 
sichtspunkte aus  die  Angemessenheit  des  Feldes,  wel- 
ches er  als  neue  .Grundlage  der  Theorie  erwählt  bat, 
in  diesem  Bezüge  nach  seiner  wahren  Bedeutung  ei^ 
kannt,  so  könnte  Referent  hier  sich  auf  die  Priorität 
berufen,  mit  der  er  bereits  vor  dreizehn  Jahren  syste- 
matisch aus  einander  gesetzt  hat  (derPrpcefs  der  gal- 
vanischen Kette  von  G^F.  Pohl.  Leipzig,  1826.),  dafs  die 
Physik,  in  ihrei:  bisherigen  Betrachtungsweise  des  Pro- 
cesses  der  galvanischen  Kette,  nach  der  Cöntactelek- 


y 


aod 


Pßfjf^^  JUeviswM  der  L$hre  mm  Galvmm^ •VeHaümuf. 


n 


ttkit&t  der  Metalle  nur  so  wie  eia  Kind  naoh  dem, 
was  bUtoend  in  die  Augen  ftllf,  gegriffeii  und  die  we- 
Mntlicheren  Q'ttalit&ten  in  der  Relation  der  Flüssige 
keit  zu  den  Metallen,  wenn  niobt  übersehen^  doch  fast 
gftnzSich  Temachlässigt  habe.  Aber  Faraday^  noch 
•  ftm  davon,  doreh  «100  klare  Anscbaunng  des  innem 
Zusammenhanges  der  Ersobeinungen  geleitet  zu  weiv 
iden,  ist  vielinehr  nur  in  Folge  der  Ton  Aufsen  her 
toiob  anfdringenden  Präsumtion  der'  Unzulänglichkeit 
des  bisherigen  Volta'schen  Standpunktes  von  diesem 
zu  dem  seinigen  äbergegangen ;  er  hat  den  Vortheil 
der  naturgemäfseren  Stellung  voraus,  ohne  ihn  weder 
gehörig  zu  kennen,  noch  zu  benutzen;  er  stützt  sieh 
auf  eine  Identität  des  Chemismus  und  der  Elektricität, 
ohne  den  eigentlichen  Punkt  der  Gemeinschaft '  und 
Versdiiedenheit  beider  auf  eine' positive.  Weise  vor 
Augen  zu  haben;  diese  Faradajsöhe  Identität  ist  eine 
unbegreifliche,  in  allen  Punkten  congruirende,  Einerlei- 
lieit  dessen,  was  vielmehr  nur  in  einer  Beziehung  zu- 
sainmenfullty.in  allen  übrigen  aus  einander  liegte  die 
Elektricität  ist  und  bleibt  auch  ihm  .das  bisherige  ge- 
heimnifsvolle,  unerklärliche  Agens  und  der  Unterschied 
zwischen  ihm  und  dem  Volta'schen  Antagonisten  kommt 
lediglich  darauf  zurück,  dafs  der  eine  nach  seiner 
Behauptung  die  Elektricität  aus  däm  Chemismus,  der 
andere  dagegen  den  Chemismus  ^  aus  der  Elektricität 
hervoi*gehen  läfst,  während  auf  keiner  von  beiden  Sei- 
ten ein  deotiiehes  Bewufstsein  über  die  Beschaffenheit 
dieses  Zusammenhaoges  der  beiden  Momente  unter 
sich  und  über  ihren  Zusammenhang  mit  dem  Magne- 
tismus obwaltet.  J         . 

So  stehen  beide  Partheien  wie  zwei  Kämpfer  mit 
verbundenen  Augen  sich  gegenüber,  die  nicht  nur  über 
die  Richtung  d^r  einzelnen  auf  einander  geführten 
Streiche,  sondern  selbst  auch  über  die  Natur  ihres 
Kampfs  im  Ganzen  in  Ungewifsheit  sind.  Denn  in 
der  That  ist  dieser  Kdtnpf,  den  Herr  Pfaff  noch  auf 
der  vorletzten  Seite  seiner  Schrift  als  die  grofse  Streit- 
frage zwischen  der  Volta'schen  und  chemischen  Theo- 
rie bezeichnet,  nicht  minder  wie  so  viele  andere  Käm- 
pfe, die  nur  grofs  zu  nennen  sind  in  Bezug  auf  die 
grofse  Befangenheit^  durch  welche  allein  sie  genährt 
worden,  ein  an  sich  nichtiger  und  vollkommen  niüfti- 
ger  Streit. « Dasjenige  nämlich,  was  als  Entscheidungs- 


punkt darin  festgehalten  wird,  sohliefst  der  Natur  der 
Sache  nach  schon  eine  anverraeidlielie  Dopptlgtiti|. 
keit  jn  sich,  von  derselben  Art,  wie  sie  x.  B«  ein  Streit 
ober  die  Frage  mit  sich  fährte^  ob  die  Pflanze  •» 
dem  Saamea  oder  ob  der  Saame  ans  der  Pflanze  $1» 
lEeugt  werde.  Wenn  Saame  und  Pflanze  yon  vorn  ke^ 
ein  nicht  anders,  wie  in  den  t>bigen  Theorieen  Elet 
tricität  und  Chemismus,  in  einer  gäns  be8limmQDgBle^ 
reu  Causalitätsverknttpiung  nur  so  4>benbin^aB  ma» 
der  gehalten  werden,  so  ist  filr  sich  klar,  dafs  aas  1» 
zähligen  Erfahrungen .  eben  so  wohl  fite  die  csosale 
Priorität  auf  der  Seite  des  Saamens  als  auf  Seiten  der 
Pflanze  entschieden  werden  kanii.  Die  Wahrheit  iä 
aber  nur  vollständig  vorhanden,  wenn  man  die  E» 
-seitigkeit  der  Alternative  ganz  fallen  läfst,  und  beide 
Seiten  vielmehr  in  dem  concreten  Begriffe  der  Pflaitt 
zusammenfafst,  kraft  dessen  die  Realität  des  eisei 
Moments  gar  nicht  ohne  die  identische  Realität,  dei 
andern  gedacht  werden  kann,  während  doch  zAgteiek 
beide  und  zwar  eben  damit  in  der  bestimmtesten  Ve^ 
schiedeaheit  aus  einander  gehalten  sind,  dergestik 
dafs  der  Saame  als  die  noch  unentwickelte  Pfiaase^ 
als  Tendenz  derselben,  jlie  Pflanze  hingegen,  als  ea^ 
wickelter  Saame,  als  eigentliche  Vollendung  ihres  B^ 
griffes  erscheint.  Völlig  gleiche  Bewandnifs  hat  ei 
mit  dei:  angemessenen  Auffassung  des  VeriiältiiiiMe 
•der   Elektricität  und    des   Chemismus,    Es  fehlt  fir 

w 

keine  der  beiden  .obigen  Theorieen  an  Thatsadm^ 
durch  welche  eine  jede  vcn  ihnen  das  abstracto  Caap 
salitätsverhältnifs,  das  sie  in  ihrem  Sinne  im  Giqpe» 
satz  der  andern  für  das  richtige  hält,  rechtfertiges  it 
können  wähnt.  Aber  die  auf  keiner  von  beiden  Set 
ten  ungetrübt  vorhandene  Wahrheit  tritt  nur  Jn  volles 
Licht,  wenn  der  Chemismus,  in  bestimmter  Ansehsi^ 
upg  seines  Begriffs,  als  eine  allgemeine  Fanetion  dci 
•Naturlebens,  und  die  Elektricität  als  eine  beseadeNf 
Aeudserungsform  desselben,  als  seine  gleichzeitige  vi 
ihm  identische  That,  jedoch  eben  damit  zugleich  aiiik 
nach  ihrer  Verschiedenheit  von  ihm  als  diejenige  Seite 
sriner  Wirksamkeit  gefafst  wird,  nach  welcher  er  eieh 
vorzugsweise  nur  als  Tendenz  änrsert^  sei  es  un  Bir 
^ne  ttnd  Uebergange  zum  vollständig  entwickilti> 
chemischen  Procefs,  oder  im  Nachlassen  und  bei  «»* 
tretender  Upterbrechung  desselben* 


(Die  FortsetzsDg  folgt) 


wissen 


jr  39. 
J  a  h  r  b  tt  c  h  e 

f  ü  r 

js  c  b  a  ft  lieh 


e    Kritik. 


August  1839. 


HfTMMM    dtr  Lekte  «•»   Qtdvmnn  -  Voltaumu». 
Vit  Dr.  C.  B.  Pf  äff. 

(PorfMtemig.) 
Diese  bereite  in  der  obeo  erwäbiiteii  Schrift  auf« 
gestellte  AttBicht  des  Hefereatea  macht  die  Graedlage 
aifter  Theerie^  derea  Bestandtheile  die  Gewährleistang 
«ioer  objeetiTen-  Reslitit  mit  sich  führen,  wie  sie  bei 
Foimattheorieen  nach. Art  der  Voite'schen  nnd  chemi^ 
mdma  nicht  Tcirhanden  sein  kann,  denen  der  Vorwurf 
flieh  ans  Bypoiheseni  ans  subjecü?en  GesiohtspnnkteHy 
ohne  Hingebong  an  die  Natnr  nnd  ohne  unnfiissende 
«hjeetiTe  Orientirnng  begründen  au  weilen,  schon  ^Ton 
▼om  herein  anabweisUeh  aar  Last  fiUlt.   Referent  mufs 
hier  die  weitere  MetivirnDg  seines  Urtheils   über  die 
ireriiegeDde  Sohiift    einige  Augenblicke   verschieben, 
«m  teiv0cderat  die  Ormidzüge  dieser  seiner  gaWanip* 
acben  Theorie  in  wenigen  Sitaen  dersnlegen«    Bs  ge^ 
wA^^  saaftchst  nm  der  Sache  selbst  willen^  da  di^ 
Hanptpnnkte^  die  augleich  iiir  jedes  künftige  System 
der  chemischen  Physik  überhaupt,  das  anf  Wahrheit 
4napruoh  machen  soli^  nnerlüfslighe  Fundamentalbcr 
atioumuigen  biUen^  noch  nirgend  in  der  Abgeschloi^ 
aenbeit  nnd  Entsidnedenheit  wie  hier  vorliegen,  nnd  es 
geaehieht  zagleich  aaC  die  geeignetete  Veranhssuog, 
nns  die  nntea  weiter  su  yerfolgeade.Beurtheilang,  mit^ 
lebt  einüacher  Zurückweisung  auf*  die  nädist  folgei^ 
den  Paragrapiien^  dttieh  die  Beseitigung  nmstipdUohe^ 
res  Ansf  inandersetsuag^n  an   den   betreffenden  St» 
lea  mogUchst  abankniaen« 

§•  1.  In  allem  Leben  ist  sewoU  ein  Trieb  yeii* 
hMiden,  siriae  Entwiekeinng  weiter  an  führen,  als  auch 
eitt  Trieb,  sie  au  hsnmen  oder  an  besohräf  kon.  Diese 
mttim  im  Begt^  enthaltene  ttrsprüngKcbe  Pohirifftt 
ward  augkieh  vem  teleolegiseken  Gesichtspunkte  au$ 
gaCoidert.  Was  aaa  medeter  Stufe  der  Entwiekehtog 
an  einer  hdbeien  fiiitecfareitet,  ist  eben  se«wobl  gend* 
tiugt,  durch  bestitfinite  Faectienen  aeinen  Zusaamen^ 

Jmkrh.  f.  vüi€n$€h.  Kritik.  J.  1830.  U.  Bd. 


haag  mit  dem  tiefer  liegenden  Standpunkte,  nach  Mars«, 
gäbe  der  mehr  oder  minder  Torgeschrittenen  Bntwickei- 
lung,  noch  fest  an  halten,  als  es  darch  aodere  Funkv 
tionen  der  Reife  des  höheren  theilhafby  zu  werden 
trachten  mnfs. 

§w  2:  Daher  in  der  Einheit  des  Gesammtlebens 
die  polare  Doppelseite  desselben  als  Leben  <des  Gef- 
ates  nnd  der  Natur.  In  der  Natur  wiederum  der  Ge- 
gensata  organischer  und  nnorgasischer  Wirksamkeit; 
Im  uttorganischen  ferner  die  polaren  Functionen  chemi*^ 
scher  und  mechanischer  Thütigkeit.^  Endlich  ini  Chemis- 
mus der  polare  Gegensatz  der  Oxydation  und  Desoxyda- 
tion, wie  im  mechanischen  der  durchgreiftnde  Gegensatz 
peripherisch  centrifogaler  und  centripetaler  Bewegnog. 

4.  3.  Der  Chemismus,  als  die  grofse  rermittelnde 
Function  zwischen  der  unorgani'scbeti  und  organisch'en 
Natur,  wirkt  in  der  Richtung  der  letzteren  und  zu  ih*- 
reu  Gunsten  mittelst  der  Oxydation.  Die  Oxydation 
bereitet,  durch  Verwandlung  des  Metalls  in  keimf&hige 
Erde,  der  Vegetation  nnd  Animulisation  den  j^oden, 
sie  vergeistigt  die  organischen  Bildungen  du^ch  immeir 
entschiedeaere  Zurfickdrüsgong  und  Ueberwindung  deft 
Metalls,  welches  dem  Uriiustande  der  Materie^  dem 
lauern  der  Brdmasse  noch  in  der  tiefsten,  UDäilfge- 
achlossensten  Daeeinsweise  angehört.  Der  polare  6e- 
geneffect  der  Desoxydation  und  Reduction  erhftlt  da^ 
Gleichgewicht  und  bedhigt  den  gentftftigten  Entwicke- 
lungsrerlauf  awiscben  den  beiden  Sphären  des  orgd^ 
nisohen  und  unorganischen  Natttriebens« 

4''  4.  Mit  jedem  besondercD  cbetnisohen.  Procefs 
der  jetzi|;en  Epoche  der  Eiltwickehing  wird  das  obige 
GruHdgeseta  der  polaren  chemischen  Wirksanfkeit  auf 
awiefiicbe  Weise  erftiHt.  Erstens  *  dadurch,  dafs  der 
Procefs  nater  der  Wechselwirkung  zweier  differenteU 
Stoffe  erfolgt,  die  in  den  eotgegengesetzten  Polaritftt8«> 
lichluttgea  gegen  einander  thfltig  sind.  Der  ehe  ron 
beiden,  der  Oxydatiensfactor,  wirkt  rorzugsweise  oiy<* 

39 


^    I 


307.  Ppff'i  ^i^  Lehre  mm 

direod  anf  den  andern  eib,  wählend-  er  selbst  desoary- 
dirt  wird ;  der  andere  als  Desoxydationsfactor  wirkt ' 
.  Torzugsweiso  desoxydirend  auf  jench  zurück,  während 
er  ,8elbjBt  oxydirt  wird.  .  Indem  so  der  eine  auf  eine  nie- 
dere' Oxjdatiossstufe  zurück  geht  und  gleichzeitig  der 
andere  auf  eine  höhere  hinauf  nickt,  begegnen  sich  beide 
anf  gleicher  Stufe  der  Metamorphose  und  bilden  das ' 
chemische  Product,  das  nun  weder  den  einen  noch  den 
andern  Factor  in  froherer  Gestalt  enthält,  sondern  ei- 
iien  dritten,  von  beiden  Töllig  verschiedenen,  in  sich 
durchgehends  gleichartigen  Stoff  darstellt,  der  jedoch 
üuch  unter  geeigneter  Einwirkung  anderer  Stoffe  von 
neuekn  die  entgegengesetzte  rückgängige  Metamorphose 
erleiden  und  in  die  früheren  Formen  der  anfänglichen 
Faktoren  nach  beiden  Seiten  hin  wiederum  auseinander 
treten  kann» 

^  5.  Die  andere  Weise,  nach  welcher  sieh  die 
chemische  Polarität  in  jedem  einzelnen  Procefs  realisirt, 
besteht  darin,  dafs  der  Gegensatz-  nicht  nur  in  'beiden 
Factoren,  sondern  auch  in  jedem  einzelnen  für  sich  auf- 
tritt, dergestalt,  dafs  aufser  ^er  in  jedem  Factor  vor^ 
zugsweise  herrschenden  Thätigkeitsrichtung  auch  eine 
zweite  Seite  seines  Verhaltens  nach  entgegengesetzter 
Jlichtung  in  ihm  vorhanden  ist.  Der  Oxydationsfactor 
ist  in  geringerem  Grade  zugleich  als  Desoxydationsfao- 
ior  und  eben  so  der  Desoxydationsfactor  in  geringe- 
rem Grade  ancK.  als  Oxjdationsf^ctor  wirksam.  Die 
aolchergestalt  vorhandenen  secundären  Gegenthätigkei- 
;teo  begegnen  sich  eben  so  wie  die  ursprünglichen,  sie 
•haben  auf  den  Verlauf  und  das  Resultat  des  Processes 
einen  nicht  miqder  entscheidenden  Einflofs  als  jene^ 
denn  die  ursprünglichen  Polärwirkougen  können  nur  in 
sofern  zu  thätigem  Verhalten  gelangen,  als  auch'  diese 
secundären  im  mehr  oder  weniger  reellen  Austäusch 
ihrer  angeregten  Tendenzen  gleichzeitige  Beschäftigung 
£nden*  Die  Krq^t  und  EnUchiedenheit  deM  ganzen 
JPraee^tse  Aeruht  uuf  der  TAätigieitserAöAung,  wel- 
ehe  aus  der  gegenseitig  gesteigerten  Wechsehvir^ 
kutig  der  ursprünglichen  und  secundären  Pelari^ 
iäisrichtungen  hervorgeht. 

4^  6»  "Wenn  die  obigen  seeundäi'en  Tendensen  im 
ebemiscben  Procefs  einen  solchen  Grad  der  Wirksam- 
keit gewinnen^  dafa  in  Folge  derselben  ein  besonderes 
zweites  Product  neben  dem  duroh  die  ursprüngliche  Po* 
laritätsriohtung  erzeugten  entsteht,  so  gehdrt  der  Pro- 
cefs in  die  Claas«  derjenigen»  welche  als  l^rfolge  der 


Galvano 'Foltaifsnus* 

sogenannten  -doppriten  Wahlverwandtschaft  bezeietnet 
zu  Jwerden  pflegen.  Kommt  das  zweite  Prodnct  nicht  sa 
Stande,  sondern  nur  auf  dein  Wege  zur  Bildung  des- 
selben ein  so  genanntes  Educt,  so  ^bört  der  Ptoteh 
zu  den  Erfolgen' einfacher  Wahlverwandtschaft*  Aber 
auch  in  allen  übrigen  Fällen,  in  denen  weder  ein  zwei- 
tes Product,  noch  ein  solches  Educt  entsteht,  sind  dock 
die  Tendenzen  zur  Bildung  eraes  zweiten  Prodoots  in 
den  secundären  Polaritätsrichtungen  mit  dem  ang^[S- 
benen  Einflüsse  auf  das  Verhalten  demrsprfingfiohsi 
Pola^wirkungen  vollständig  vorhanden.  Jeder  cihami 
sehe  Procefs  ohne  Unterschied  inu/s  daher  stete  nach 
dem  Typus  eines  solchen^  der  einen  Erfolg  do/^seltmr 
Wahlverwandtschaft  darbietet^  von  etatten  gshnm 

-  §•  7.  Mit  dem  obigen  Satze  ist  zugleich  die 
liehe  Nonn  aller  sowohl  chemischen,  als  aneh  gal 
sehen  und  elektrischen  Wirksamkeit,  ansgesprodie»; 
aneh  beruht  auf  ihm  das  Gesetz  der  ProportioneB*  öder 
Aequivalente  in  den  ci|emischen  Erfolgen.  Denn  sawie 
zwei  Stoffe,^  die  einen  Erfolg  doppelter  Wahlverwaadt- 
sohaft  bewirken,  diesen  nur  nach, Mafsgabe  des  0egnh 
s^itigen  Austausches  hervorbringen,  so  dafs  jedes  di^ 
sen  Bedarf  übersteigende  Quantum  auf  der  einen  oder 
andern  Seite  für  den  Prorcefs  unbenutzt  bleibt:  so  snd 
nicht  anders  mufs  auch  bei  jedem  eigeatiichen  chenu- 
sehen  Procefs  ohne  Unterschied  eine  gleiche  Gesetzlieb- 
keit  obwalten,  eben  weil  der  Procefs  jeder  Zeit  nor  mh 
ter  dem  Typus  eines  Erfolgs  doppelter  Wahlverwaadl- 
schaft  zu  Stande  kommt. 

§.  8.  Der  galvanische  Procefs  ist  nur  eine  Modili- 
cafion  des  chemischen  Processes ;  er  enthält  dieselben 
Momente,  welche  dem  letzteren  aiigeh6ren*  W«ui  sohw#> 
felsäürehaltiges  Wasser  und  Zink  anf  einander  ^wirken, 
so  entsteht  ein  chemischer  Procefs,  in  welchem  die  Flüs- 
sigkeit vorzugsweise  der  Oxydationsfactor  und  das  Bie- 
tall den  Desoxydationsfactor  bildet.  Die  Flüssigkeit 
wirkt  aber  zugleich  nach  beiden  Richtungen  auf  das 
Zink ;  (§.  5.)  in  der  Oxjdationsriehtung  tritt  sie  'ihai 
als  Sauerstoff,  in  der  Desoxydationsriohtung  als  Was- 
serstoff entgegen  und  das  Zink  begegnet  lieideB  ilicb> 
tnngen  durch  die  Tendenz  zur  Oxydation,  die  es  wirk- 
lich erleidet,  niid  durch  die  nicht  realisirte  Tendens  aar 
Desoxydation,  der  gegenüber  der  Wasserstoff  als  ein 
keineswegs  blofs  accidentelles  Educt  erscheint.  -  So  we^ 
ist  der  Procefs  ein  rqin  chemiseher,  als  diePankta,  in 
welchen  die  beiderseitigen  Thätigkeüarachtongsa  in 


■.    I 


Pfe^^  die  Ij0hr9  V9m 

ander  groifen,   über  d»  ganlte  io  Wirkfamkeit  begrif-  ' 
fsne  Oberfläohe  des  Zinks  und  d^ r  Flässigkeit  gleiefa- 
SDftfsig  darch  eioander  vertheiit  sind. 

§.  9.  Dagegen  wird  derselbe  Prooefs  dadurch  be- 
mls  xatn  gaWanisoliea ,  dafs  am  Metall  oder  an  der 
Flässigkeit  irgend  wo  ei^  locales  Uebergewicht  in  der 
Smpfängliehkeit  oder  Thätigkeit  der  einen  oder  andern 
PolarwirkuDg  statt  findet.  Dieses  gescbie|it  schon,  wenn 
das  Metall  anf  einisr  Seite  mit  geringerer  Fläohengröfse 
als  auf  der  andern  in  die  Flüssigkeit  taucht,  oder  wenn 
as  an  einer  Stelle  darch  eine  minder  glatte  Oberfläche 
fiv  den  OzydationsefFect  empfänglicher  ist,  als  an  eine^ 
andern ;  am  entschiedensten  jedoch,  wenn  es  im  Contact 
mit  einem  minder  ozjdabeln  Metall,  wie  z.  B.  Kupfer, 
der  Fiftssigkeit  ^dargeboten  wird,  wo  alsdann  der  Sauer- 
stoff äberwiegend  anf  dmr  Zinkseite,  dagegen  der  Was- 
serstoff ansschliefslicb  an  der  Kupferseite  auftritt. 

.  \^  10.  Das  hiemit  in  der  so  gegebenen  galvanischen 
Kette^  offen  herrortretende  polare  Verhalten  des  Che*- 
fttismus  ist  es  nnn,  was  von  den  Formaltheorieen  nach 
Volta,  Faraday  u.  a.  anf  ihre  Weise  gedeutet  wird. 
•Weil  sie  den  Chemismus  nicht  als  eine  vom  Gesammt- 
leben  getragene  Funetion  und  seine  Polarität,  so  wie 
die  Macht  seiner  Metamorphose,  nicht  als  eine  ihm  mit 
dem  Leben  äberhaupt  zugetheilte  Bestimmung  ton  vorn 
beretn  erkepnen,  so^  glauben  sie  es  anderswo  suchen  zu 
afissen  und  setzen  die  Polarität  fälschlich  auf  RocIk 
ming  der  Elektricität^  die  im  Contact  der  Glieder  dejp 
Kette  entsteht,  oder  die  sie,  sofern  sie  damit  noch  nicht 
anaznreichen' wähnen,  ganz  willkührlich  aus  dem  che« 
mischen  Proeefs-  entstehen  lassen.  In  seinen  wesentli« 
«hen  Momenten  tritt  aber  der  Chemismus,  so  wie  er 
•sich  in  der  galvanischen  Kette  äursert,  durch  seine  ihm 
zugehörigen  Bestimmungen  nicht  anders  wie  in  jedem 
andern  chemischen  Peocesse,  ohne  irgend  eine  äufser- 
jiche  Abhängigkeit  von  der  Elektricität  anf;  die  beiden 
'Metalle.,  sind  nicht  sowohl  als  zwei  verschiedene  Glie- 
ds der  Kette,  sondern  nur  als  die  beideux  differenten 
Seiten. eines  und desselbenvmetallischen Factors  zu  be- 
trachten und  der  Procefs  würde,  wenn  gleich  keines- 
vages  quabtitativ,  doch  qualitativ  völlig  derselbe  sein,  , 
aochohne  alle  dufch  den  Goataet  oder  sonst  irgend 
-wie  'bewirkte  elektrisdie  Nebenerr^ung« 

\.  11«  Alle  elektrische  Erregung  ist  al&  solche  eine 
Anregung,  zn  cbemiseher  Tbattgkeit»  Der  positiv  elek- 
trisch «rregte  Körper  spricht  als  solcher  die  Tendenz 


Gabimü^Foliaümfu.  310 

aus,  sich  zu  oxydiren,  der  negative  eben  so  die  Ten- 
denz sich  zu  desoxydiren..  Bei  einem  angemessenen 
Grade  dieser  Erregung  geht  unter  den  erforderlichen 
Bedingungen  diese  Tendenz  m  einen  ihr  entsprecbea** 
den,  mehr  oder  ^minder  vollständigen  chemischen  Effect 
über,  mit  welchem  die  bisherige  Erregung  augenblick- 
lich erlischt,  sofern  sie  nicht  durch  fortda^iemde  Erre^ 
gungsbedingung  von  neuem  hervorgerufen  wird*. 

^.  12.  Wie  und  aufweiche  Weise  indefs  irgend  eine 
elektrische  Erregung  auch  zu  Stande  kommen  möge,  so 
geschieht  dies  niemals  unter  so  eingeschränkten  Um* 
ständen,  als  ee  nach  den  herrschenden  Ansichten  dar- 
über gewöhnlieh  .vorgestellt  wird;  sondern  J^ite  auch 
die  leüeste  elektrische  Erregung  tritt  ütets  nur  u«- 
ter  Anlage  aller  Momente  nach  dem  vollständigen 
Typus  des  chemiselien  Processes  (^,  5.^.  7.)  hervor^ 
dergestalt,  dafs  die  ursprünglichen  und  secundären  Po- 
laritätsrichtungen der  Tendenz  nach  immer  gleichzeitig, 
mit  einander  ausgesprochen  sind^  und  dafs,  beim  üeber-  ^ 
gange  zum  reellen  chemischen  Effect,  dem  Procefs  auf 
der  Seite  der  ursprängliehen  Thätigkeitsrichtungen  nur 
durch  eine  gleichzeitige  Realisirung  der  secundären  Ten^ 
denzen  Genüge  geschehen  kann.  Der  elektrische  Funke 
ist  immer  nur  eine  solche  partielle  meistens  mit  Hülfe 
der  Lufi;  in  der  Form  ekiefr  momentanen  unvollkomme- 
nen Verbrennuogsprocesses  und  zwar  lediglich  auJfSei* 
ten  der  secundären  Tendenzen  erfol|;ende  Realisirung 
des  nach  allen  seinen  Momenten  zugleich  angeregten 
und  in  Wirksamkeit  tretenden  Processes  überhaupt. 

§.  13..  Das  Obige  läfst  sich  gerade  da,  wo  es  bis- 
jetzt  noch  am  wenigsten  erkai^nt  ist,  bei  der  Reibnngs- 
und  Maschinenelektricität  auf  das  Bestimmteste  nach- 
weisen.  Die  Wirkung,  welche  das  metallische  Amal- 
gam des  Reibzeuges  durch  die  Reibung  am  Glase  er- 
leidet, ist  ein  entschiedener  Oxjdationserfolg,  der  nur 
in.  sofern  in  der  Bedeutung  der  ursprünglichen  wechsel- 
seitigen Thätigkeitsrichtungen  beider  Factoren  zu  Stande  ' 
kommt,  als  die  gleichzeitigen  elektrischen  Tendenzen 
des  Reibzeuges  und  Glases  in  der  Bedeutung  secondä- 
rer  Gegenerregungen  ihre  Befriedigung  erhalten«  Die 
negative  Elektricität  des  ReiAsieuges  und  die  positive 
Elektridtut  des  Glases  treten  also  nicht  im  Sinne 
der  eigefitliehen  durch  die  AeiAung  angeregten  744- 
tigkeitsticAtungen^  als  gleidhartig  mit  ihnen  hervor^ 
sondern  es  sind  nur  die  ihnen,  gerade  entgegengesetsr 
te»  .  secundären  Polariffecte.    Wäre  die  elektrische 


311 


Pfaffe  RetMön  der  Lekr^  fWfn  Galvano'  V^Uauumi* 


3ia 


ErwgttBg  des  ReibEeuges^  die  ohnedies  mtob  Aufeeo  Us, 
ia  einer  Riehtimg  auftritt,  velehe  der  TluUigkeitarioi^ 
lang  des  Beibseiiges  ztun  Glase  gerade  entgegetigesetfit 
ist,  gleichartig  mit  jener  Thätigiceit,  so  miirste  sie,  da 
der  Oxjdationseffect  auf  der  Seite  des  Reibs^uges  volir 
xogeo  wird,   poüti?^ .  nicht  aber,  vie .  sie  sieb  wiriciieh 

>  seigt,  negativ  sein.  Das  Umgekehrte  gilt  in  Beziehung 
auf  die  £rregaog  und  das  Verhalten  des  Glases.  *-* 
fis  miteriiegt  keiaem  Zweifel,  dafs  die  elektrischen  Er- 
mgungen  und  Ergiefsuogeo  der  Atmosphäre  im  Grofsen 
eben  so  nur  als  secuadäre  Reactionen  von  /Thätigkei* 
ten  naftreten«  die  in  der  üninittelbareii  Berührung  und 
nrsprüaglicben  Wechselwirkung  zwischen  der  Atmo^ 
spb&re  oad  Erdmasse  selbst  begründet  sind* 

§•  14.  Die  faktischen  Erregungen  der  Volta'schen 
Contaotelektricität  sind  eben  so  nur  die  secundären 
nach  Attfsen  geworfenen  Tendenzen  von  ursprünglichen 

^nach  Innen  gekehrten  entgegengesetzten  Thätigkeits* 
richtnngCQt  Das  Kupfer  ist  gegen  das  Zink,  so  wie 
das  Reibzeug  gegen  das  Glas,  ursprünglich  positiv  und 
als  secun^äre  Gegenerreguog  zeigt  es  nach  Aufsen  die 
negative  Erregung*  Das  Umgekehrte  gilt  vom  Zink*. 
Dieses  tritt  ursprünglich  dem  Kupfer  im  Sinne  eines 
Ozydationsfaetors  entgegen,  in  der  Tendenz  jenes  zn 
oxjrdiren,  sich  selbst,  als  das  bereits  oxydirtere,  zu  des* 
oxydiren,  also  im  Sinne  der  negativen  Erregung  und 
seine  nach  Aufsen  hin  versichtbarte  secundäre  Gegener^ 
regung  ist  die  erfabrungsmäfsige  positive. 

A$mtrk'  Die  Bestimmupgen  dieses  Paragraphen  sind  in  der 
früheren  Darlegung   der   galvanischen  Theorie  des  Uef.   ver- 

'  fehlt ;  derselbe  ist  vielmehr  dadurch,  dals  er  in  diesem  Punkte 
VOM  den  herrschenden  Vorstellungen  des  Volta'schen  Systems 
sich  damals  noch  nicht  völlig  frei  gemacht  hatte,  zu  falschen 
Conseqsenzea  verleitet  worden,  die  er  jedoch  bereits  in  seir 
ner:  „commentatio  principiorum  tarn  in  physice  uni versa  quam 
praesertim  in   eiusaem    parte   cheQiica  adhuc  desideratorumi 

.     VratifilaT.  1837."  vollstftndi|^  xuruckgenOmmen  hat 

4. 15.  Wird  dagegen  das  Zink  mit  gesäuertem  Was- 
ser ^oder  einer  Salzlösung  inContact  gebracht,  so- tritt 
demselben  die  Flüssigkeit  als  Oxydationsfaotor  entge- 
ged';  die  ursprOngliehe  Erregung  auf  Seiten  der  letzte- 
ren ist  negativ,  auf  Seiten  des  Zinks  positiv  und  die 
seeundäre  Gegenerregnng  desselben  nach  Auben  ist  die 
negative,  eben  diejenige  in  d^ren  Sinne,  das  Zink  dem 
Kupfer  im  Contaete,  seiner  urspri^nglichen  Thätigkeits^ 
riohtung  nach,  begegnet.  Wenn  femer  dem  Zink  ge* 
genttber  mit' derselbea  Flüssigkeit  Kupfer  in  Berührung 
gesetxi  vrird,  so  ist  die  ursprüngliche  Tbätigkeitsricb- 


tiiilg  der  Flüssigkeit,  vdohe  gegen  das  Zink  negativ 
war,  gegen  das  Kupfer  positiv  und  die  gegenseitige  des 
letzteren  negativ.  Seine  secundäre  Gegenerregung  nach 
Aufsen  ist  mithin^  die  positive,  die  nehmliche,  in  deren 
Sinn  es  dem  Zink  beim  Contact  nach  seiner  uraprün^ 
liehen  Thätigkeitsrichtung  .begegnet« 

§.  16.  Werden  also  Kupfer  und  Zbk,  während  sie 
mit  der  Flüssigkeit  in  Berührung  bleiben,  zligleicb  nn* 
ter  sich  in  Contact  gesetzt,  so  greifen  die  elektrischen 
Erregnngen  sowohl  von  Seiten  der  Volta'schen  Cootaolr 
elektricität  der  Metalle,  als  auch  von  Seiten  der  un 
Contaiit  der  Metalle  mit  der  Flüssigkeit  hervorgerafi^ 
nen  Blektricität,  , überall  mit  den  chemisch^i  Effecten 
der  geschlossenen  galvanischen  Kette  unter  überein» 
stimmigen  Thätigkeitsriohtungen  in  einander.  Die  von 
der  Gesammtwirkung  aufgenommenen  Partialtendemen 
werden  so  zu  reellen  EiFeeten  verstärkt  und  durch  diese 
wiederum  die  Gesammt^hätigkeit  deiT  Kette  zu  •  dem  er- 
höhten Grade  ihrer  Wirksamkeit  gekräftigt. 

§.  17.  Die  elektrischen  Erregungen  der  galvani* 
sehen  Kette  sind  mithin  durchgebends  nur  die  gleich» 
namigen  Tendenzen  derselben  chemischen  Effecte^  wel* 
che  bereits  durch  den  Chemismus  und  seine  ihm  ni^ 
sprünglich  zugehörige  Polarität  bestimmt  siud.  Indem 
also  mit  der  ursprüngKcfaen  chemischen  Wirksamkeit 
auch  jene  Tendenzen  zum  reellen  chemischen  Effect 
gesteigert  werden,  so  geschieht  damit  durchana  nichts 
solcher  Art,  was  die  Vorstellung  von  elektrischen  Sti^ 
men  zu  postuliren,  geschweige'  zn  recht&rtigen  Ter* 
möchte.  Die  Elektricität  ist  weder  ein  sogenanntes 
I^luidum  noch  überhaupt  jetes  r&thselhafte  Agens  der 
gewöhnlichen  Vorstellung,  das  ftir  sich  in  selbststandip 
ger  Bewegung  begriifen  wäre  und  damit  dem  cbemt 
9chen  Procefs  der  Kette  erst  seine  Entstehung,  Fenn 
und  Energie  gäbe,  sie  ist  vielmehr  nur  eine  besondere 
Form  und  Aeufsernngsweise  des  chemischen  Preceasei 
an  nndfär  sich  selbst.  Die  im  tScbliefsungsmomeat  der 
Kette  sich  äufserude  Elektricität  ist  nicfata  anders  als 
derselbe,  in  allen  übrigen  Elementen  der  Kette  her^ 
achende  chemische  Procefs^  nur  mit  dem  Unterschiede^ 
dafs  wie  er  dort  zwisdien  Flüsugkeit  und  Metall  ia  der 
entsprechenden  Form  der  Polareffecte  erscheint,  de»> 
selbe  hier  zwischen  Luft  und  den  sehliefsenden  Glie> 
dem  in  der  minder  vollkommenen  Gestalt  des  meistens 
nur -momentanen  Verbrennttnjgsprocesses  sich  änfimt« 


(Der  Beichlsfii  folgt.) 


f  . 


•  l  1 


J  ah  r b  fi  e  h 

für 


e  r 


w  i  s  s  e  n  s  c  h  af  1 1  i  c  h  e    Kritik. 


August  1839. 


JRtvüum   der  Lehre  vom   Oafvano-Voltaümut. 
Vorn  Dr.  C.  H.  Pf  off. 

%.  18.  Der  sogenannte  elektrische  Strom  bat  also 
keine  objectire  Realität  \  er  ist  nur  das  Erzengnifs  uih 
stattlialler  Voransoetaimgen  und  dasjenige,  was  an  seine 
Stelle  zu  setzen  ist,  kann  ohne  Willkilhr  und  Inconse- 
^ena  nicht  mit  seinem  Namen  bezeichnet  werden.  Die 
(oheoDisoben.  PoUreffede»  die  im  elektrischen  Funken 
oder  aaf  irgend  eine  andere  Weise  an  swei  entgegmi- 
gesetzten  Seiten  eines  Theils  der  geschlossenen  Kette 
j^ajisirt  werden^  erstrecken  sich  nur  bis  auf  seine  Ober* 
flicfaei .  in  der  dazwischen  liegenden  Masse  geschieht 
snchts,  A^,  eine  gegen  diese  Effecte  gerichtete  Reao- 
tiott.  Wenn  dadurch  gleich  einerseits  dieselben  Effect^ 
sn  der  Oberfläobef  auf  welche  sie  beschränkt  bleiben^ 
.woBk  SO  mehr  gesteigert  werden,  so  ist  dafür  im  Innern 
daa  Widerstreben,  mit  welchem  die  Masse  der  Einwir- 
kung Yon  Auben,  statt  sie  als  ein  gleichartiges  'aufzu- 
aehnien  nad  fortznleiten,  vielmehr  zn  entfliehen  strebt, 
so  heftig,  dafs  der  Znsammenhang  der  Masse  durch 
Zerplatzen  und  Zerstieben  darüber  verloren  gehen  konn, 
oder  dafs  im  Metall,  welches  vorzugsweise  durch  die. 
Gediegenheit  der  Masse  solcher  Wirkung  widersteht^ 
die  Tendenz  dazu  sich  auch  vorzugsweise  in  seinem 
Transversalmagnetismus  äufsert  \  und  auch  hier  wird, 
wenn  die  Heftigkeit  der  Reaction,  bei  localer  Beschrän- 
kong  der  Masse,  4lich  in  dieser  zur  Glat  steigert,  mit 
der  Schmelzung  und  YerfliichtiguDg  der  reagirende  Cha- 
rakter des  Verhalteos  durch  eine  noch  vollständigere 
Zorsturnng  des  Znsammenhanges  der  Masse  nur  um 
so  entschiedener  ausgcsprocheu. 

Wir  werden  jetzt,  nach  dieser  Durlegung  und  mit 
Bezug  auf  sie,  die  wesentlichsten  EinzelAbeiten,  wol- 
•che  in  der  vorliegenden  Schrift  noch   unsere  Berück- 
sichtigung fordern,  um  so  leichter  auf  die  zugehörigen 
Johrh.  /.  wu$€nuk.  KrUik.   J.  1830.   II.  Bl 


Gesichtspunkte  znröckftihren  können.  Im  5.  nnd  6;  Ab- 
schnitt bat  der  Vf.  ganz  besonders  Faradays  Einwar- 
fen gegen  die  Volta*sche  Theorie  nnd  dessen  Aeufse- 
mngen  und  Ansichten  Ober  die  chemfscfae  Theorie  zu 
hegegnen  gesucht.  Die  Controverse  beginnt  nach  ei- 
ner kurzen  Einleitung  mit  einem  Zugeständnifs  in  der« 
Weise  eber  gerechten  Vertheidignng.  Es  heifst  S.78: 
„die  Volta>che  Theorie  habe  niemals  behauptet,  ^ah 
die  Contactelektricität  Blofs  von  der  wechselseitigen 
Berührung  der  Metalle  abhänge,  sondern  sie  habe  von 
Anfang  an  gelehrt,  dafs  eine  gleiche  Elektricitätserre- 
gung  in  Folge  der  Berflhmog  der  Metalle  mit  den 
Flüssigkeiten  eintrete*^'  Der  Gegner  wird  nnd  kann 
dies  nicht  einränmen,  sondern  nur  so  viel,  dafs  die 
Yolta'sche  Theorie  das  letztere  wohl  beiläufig  bemerkt, 
niemals  aber  eigentlich  gelehrt^  d*  h.  als  ein  Begrfin- 
dungsmoment  der  Theorie  irgendwo  benutzt  und  in 
sieh  anfgenomsMn  habe.  Es  ist  vielmehr  jn  allen  Fäl« 
len,  wo  des  elektrischen  ContactefFectes  der  Flüssig-' 
keit  bei  Yolta  gedacht  ist,  die  Contactelektricität  *  der 
Metalle  gerade  um  so  .  entschiedener  als  das  einsige 
Princip  der  galvanischen' Wirkung  geltend  gemacht 
worden,  wie  es  f&glich  auch  nicht  anders  sein  konnte^ 
da  jene  Effecte  denjenigen  des  Metallcontacts  entge- 
gengesetzt, nnd  somit  der  Theorie  mehr  hinderlich  als 
förderlich  sich  zeigton,  und  weil  sie  überdies,  nach 
obenbin  geuiacbten  Beobachtungen,  fiir  viel  schwächer 
als  die  Effecte  des  Metallcontacts  gelten«  Dafs  nun 
hier  dieselben  Effecte  nichts  desto  weniger  nnd  unter 
dem  Schein  eines  der  Theorie  von  je  her  zugehörigen 
Bestandtheils  zn  Gunsten  derselben  in  Anspruch  ge- 
nommen werden,  ist  in  der  That  fäc  nichts  anderes, 
als  ein  verdecktes  Zugeständnifs  ihrer  bisherigen  man- 
gelhaften Begründung  anzusehen,  uud  es  ist  aufserdem 
nichts  damit  gewonnen,  wie  es  überall  um  jede  ^14er- 
theidigung,  die  zur  Coalition  mit  einem  ihr  fremdarti- 
gen Princip  getrieben  wird,  schon  sehr  mifslicb  steht. 

40 


315 


JfUvüiSn  der  Jb^kre  iom  Galvano  ^Föltidimug, 


Faraday  hat  nämlich  den,  Funkw,  welcli4r  ^wisctte 
Zink  und  Kupfer  einer  einfacheif  gaKanfechen' KMfe 
beim  Schliefsen  noch  vor  dem  Contacte.der  MetaUe 
entsteh^  als  eine  Instanz  gegen  die  Volta'sclie  Coti-" 
ta^th^ori^  he|vor«ebobeii  und  der  Yf«  will  di^en  Ein- 
^iMrf  aben  durch  Jena  Berufung  auf  jtien  i^leltris^ien . 
Contacteffeet  der  JgJüssigkeit  mit  dem  Metall  und  durch 
die  Ableitung  des  Funkens  aus  dieser  Erreguugsqiielle 
entkräften.  Wenn  nun  aber  auch  dem  Voltaismus  eine 
solche  Berufung  auf  ein  nicht  zu  seiner  Begründung 
gehöriges  Moment  zugestanden  vlfd,  so  kann  ate  ihm 
dennoch  als  Sohutzmiltel  nichts  fruchten,  da  die  elek- 
trisciie  Erregung  der  Metalle,  weun  sie  in  die  Flüssig- 
keit getaucht  siud,  höchstens  etwa  nui-  derjenigen  ihres 
ContacteB  unter  sich  an  Starke  gleich  kommt;  wer  aller 
hat  jemals  die  letztere  bei  irgend  einer  noch  ao  gra- 
faen  Berührungsfläche  ohne  Condensation  oderVerviet 
fältignng  in  Gestalt,  eines  Funkens  wahrgeuommcul 
Wie  soll  afeo  der  fragliche  Funke  durch  4lie  Voka\ 
sehe  Theorie  nuch  unter  der  zu  Hülfe  gerufenen'  fle- 
ziebuog  gerechtfertigt  werden  f       .  ^    ^    -  \ 

Auf  der  andern  Seite  fehlt  es  jcdot^h  eben  so  auch 
der  chemischen  Theorie  an  deutlichen  Bestimmungen 
zirr  genügenden'  Aufkiärung   des    in  Rede   stehenden 
Fäotuiiis  und  wir  müssen  in  dieser  Hinsicht  selbst  zum 
«ofsen  Theil  dasjenige  bekräftigen,  was  der  >f.  als 
•Vorwurf  der  Unklarheit  darüber  seinem  Gegner  zurück 
triebt.    Denn  wenn  dieser  Im  Wesentlichen  nichts  wei- 
ter  für  die  innere  Begründung  diesea  Faetus»  yorau- 
bringen  weifs,  als  data  es  die  directe  Erzeuffung  etnea 
elektrischen  Funkens  durch  rein  chemische  Kräfte  be- 
weise, 80  kann  diese  blorse  Berufung  auf  einen  ohne 
weifcfe  Angabe  der    Momente  des  Zusammenhanges 
ganz  im  Dunrkeln  Äelassenen  Begriff  s«^  wenig  auf  seir 
nor  Seite»  wie  die  blofse  Berufung  auf  die  Coutactelek- 
tricität  von^  Seiten  des  angegrifteuen  Theils,   als  eine 
Behauptung  des  tStandpubkteä  gelten. 
•     "  Die  Schwierigkeit   einer    befriedigenden  Deutung 
des  Erfolgs  wird  aber  für  beide  Theile  noch  viel  ent- 
achiedener  durch  einen  Umatand,  den  jeder  von  ihnen 
übersehen  hat.    Ref.  hat  bereits  viel  früher  als  Farä- 
day   denselben    räthselhaften    Schliefsnngsfunken    der 
einfachen- Kette   dem  Voltdismus  zur  Lösung  vorge- 
führt (Poggend.  Ann.  J.  1829.  S.  102)  5  aber  mit  der 
.  seiner  Erfahrung  und  Ansicht  gemäfseu  Beschränkung, 
dafs  der  Fnnke  nur  unter  der  Bedingung  eines  bereits 
yorhandehenCJontacts  differenter  Metalle  entstehe,-  wenn 
nftmlich  die  einander  genäherten  Extrlsme  des  Kupfers 
und  Zinks  mit  dÜTeretttcn  metallischen  Anhängseln,  z. 
B.  Platiudräthen  oder  dcrgl.,  verbunden  siud.  Auch  ia 
den  von  Faraday  und  dem  Vf.  angegebenen  Versuchen 
findet  diese   Bedingung  statt,  mittelst  eines  auf  der 
Zinkplatte  befindlicnen  Quecksilbertropfens,  über  wel- 
chem der  Funke  erscheint.     Die   Volta'sche   wie  die 
chemische  Theorie  gerathen  nun  mit  ihrer  Rechenschaft 
über  das  Phänomen  no6h,  mehr  in  Röckstand,   soferti 
sie  zugleich  bestimmte  Gründe  fiir  die  Verknüpfung  des- 
selben mit  der  angegebenen  Bedingung  vorzulegen  ha* 
ben.     Für  die  Volta'sche  Theorie  wird  durch  ihre  obl- 


ie  Berufffng  auf  Ae  negative  Errenng  dea'Ziaka  in 
fieinem  6«ntmst  nftT  der  Flttasigkett  die  BedriüigMfii ' 
jetzt  gerade  noch  vergrMsert,  da  das  Zink  im  g:leidH 
zeitigen  Oontact  mit  dem  Quecksilber  auch  poaitilr  ms 
r^gt  wird,  iftd  dar  E^rfolg  aDnach  in.ibre^i,Siiftie  luil« 
den  gageawärtigan  (Jiiistliilden  ^iehnehit  (unlprdrictt 
als,  begünstigt  werden  mfifste.  Dagegen  bat  sich  eben 
so  auch  das  Ungenügende  der  blofsen  Berufnnjg  aal 
rein  chemische  Kräfte  von  Seiten  der  chemischen  The#i> 
rie  durch  den  unverkennbaren  Einflufa  der  Coota«^ 
clektricifUt  auf  tlTe  Hervorbringtil^  dOl  P1IIII9IMM  ^IM 
so  entschiedener  beransgestfellt.    -  .  . 

Die  befriedigende  Constrnction  des  ßrfolga  enri^ 
9ich  nur  auf  der  Grundlage  der  in  uaserer  obigeii  Theo* 
rie  dargelegten  Momente.  Es  ist  das  ZusammenfaHca 
der  Wirkung  des  Confacta,  sowohl  der  Metalle  unter 
sich  als  in  ihrem' elektrischen  Effect  mit  «der/ Flüssig- 
keit, welches  nach  den  Momenten  der  ursprfingliebep 
und  secundären  Tendenzen  (§.  14 — 16)  eine  aoicte 
durch  gegenseitige  8teigcrnng  bewirkte  ErbHiiQng  der 
xlektriachen  Erregung  zur  Foiger  hat,  dafs  diese^  b% . 
vor  noch  die  eigentliche  chemische  Thätigkeit  bcuroi 
neu  hat,  mit  ihrem  Eiutritt  bereits  im  elektrischen  Pol 
ken  sich  äufsert.  Die  Entstehung  des  letzteren  mnh 
4aher  wohl,  in  sofern  auch  die  Elttktrioitit  eiM  FoM» 
tiep  des  Chemismus  ist,  diesem  im  All^jemeinen  .beige- 
messen werden;  aber  in  sofern  Elektricität  und  Chi^ 
mismns  beide  auch  durch  völlig  bestimmte  Moihentb 
ties  Unterschiedes  ans  einander  liegen,  ist  ea^'nidit  al> 
lein  unaureiobend,  sondern  a^ch  unklar  und  ttoriohfqf^ 
wenn  mau  mit  Faraday  den  Funken  aus  einer  prfc- 
existirenden  chemischen  Kraft^, .  aus  emer  in  der  *Biil> 


femung  sich  äufsernden  Art  von  Sp^ming  d^  _ 
lieben  cbemi8die&  Thärigkeit  berIcMen  'will.  Ea  nnifa 
vielmehr  im  Sinne  exacter  Auffassung  mit  Eotschiedei^ 
beit  gesagt  werden,  dafs  der  Funke  nicht  dem  cbemi* 
scheu  Processo  der  Kette,  sondern  zunächst  der  aobon 
vor  seinem  Beginne  in -Regsamkeit  beffriffenen  Contäel- 
elektricität,  jedoch  nach  den  dargclegteD  MMnentep 
ihrer  durch  wechselseitige  Steigerung  newirkten  Vei^ 
Stärkung^  angehöre. 

Wenn  Faradajs  Verstellungen  nicht  -zur  Beatin»» 
mung  des  ersten  Anfanges  des  {^roceaaes  der  (^alraat- 
schen  Kette  ausreichen^  so  könuen  sie  sich  noch  v^ 
niger  zur  Deutung  des  weiteren  Verlaufs  diesea  Pr^ 
ccsses  genügend  erweisen.  Er  hat  die  entschiededa 
Ansicht,  dal's  es  mit  der,  Volta^schen  Cootactcieh%rieit> 
tat  und  der  bisherigen  elektrochemischen  At^uibtik 
nicht  gethan  sei;  aber  er  ist  über  diese  Negatioo-  ii 
keinem  wesentlichen  Erkenntnifspunkt  hinausgeg^anga 
und  zu  irgend'  einem  positiven  Ersatz  ftlr  das  Au%^ 
gebene  gelangt.  Er  nngt  in.  tausend  durch- CombnMk 
tion  und'  Erfolg  anerkenhungswertben  Versuchen  und 
noch  sichtbarer  in  einer  Menge  entbehrlicher  Tertiiino* 
logieen  nach  neuen  Gesichtspunkteu  einer  angemeaae* 
neren  Auffassung;  aber  der* feste  Boden  zu  klarer Att- 
sch'auung  und  consequenter  Deutung 'der  Braobeiaanges 
will  sich  ihm  nicht  darbieten,  kr  kennt  weder  daa< 
Gesetz  der  Bipolarität  der  ^shemiscben  Factoreii  {§.  5), 


\ , 


•. 


UM 


JV^  M^vi$i0H4hr  l^t^hßik  €ülvmMtt'^FitiaigmHit 


fliMAi  er^M'  6nifi^^ler  und  tttt«Miihift«rii«Km  Ti^- 
g«r  ^aUer  db^nfiisck  galvan}fceli«ii  Encbeidungeii, -Hoob 
Sie  Art  intd  Wetoe,  wie*  dto  Contactelektrioität  nach 
#beii  dieAemGeset«  (4.  7»  12«)  thiHrfi  'ibre'Veffichmel- 
miQg  itfil  der  *  eigenttiebeQ  oheaiiAcliea  Thätigkeit  «a 
%bieiii  Venrtärlmiigsbebel  der  Wlrkmigen  ^ird  (f.  14. 
1&.  16.)9  dttreh  veloben  Zerectzangserfolge  von  solcber 
Intensität  «dd  Ponit  rermltfelt- werden,  wie  sie  aus  dea 
«laagelbaftetl  Begriffen  voo  ehemiaeher  Verwandtsehafly 
ailf  wdebe  Faraday  besobrankt  bleibt^  imd  aus  den  vm- 
^eo  ViBrati986tisüttgen  •  von  gegeBseitig  in  elektrisober 
Gestalt  ubertrageoen  AffioitAteja  jemals  eben  so  ve- 
«ig  als  ans  h^end  einer  blofsen  Reflexionstbeerie  des 
Momratisühen  4iud  matbematisehen  Formalisnins  auf  doe 
IbefHedigende  Weise  abzuleiten  sein  werden. 

Es  wurde  kq  weittftuftig  aein,   in  das  Detail  d«r 
Conliete  einer  solchen  Reformtenden«  von  der  einen^ 
Wid  der  conservativen  Tenacität  des  Autors  von  der 
smder;!  Seite  umstftndlicber  einzugehen  und  die  verfehl- 
ten Beziebtingen  überall  naebia weisen^    Statt  der  er- 
HiQdenden  Auseinandersetzungen,  mit  denen  wir  so  bald 
-dem  einen,  bald  dem  andern  der  beiden  Theile  mehr 
edler  weniger  beipflichten  oder  widersprechen  müfsten, 
warfen  wir  uns  hier,  nnr  auf  die  Bemerkung  bßschrän- 
icen,  dafs  wir  bei  lüler  Anerkennung  von  Faradays  Ta- 
lent und  Verdienst  doch  nicht  in  das  Uebermaars  dos 
l:<obes  mit  einstimmen  köunen,   welches  ihm  unter  aa- 
dem  taeb  vom  Vf«  über  die  dargelegte  Gesetzmäfsig- 
-ftint  der  .den  ebemisehen  Aeuuiyaienten  entsprechenden 
galvanisobet»  Zersetz^ngsetf olge  so  reioUicb  gespendet 
ittrd.    Wenn  man  freilich  die  Erscheinungen  nur  nach 
#^  Maafsstabe  der  VQlta'scben  oder  irgend  einer  «lek- 
trocfaemisehen  Fomaltheorie  beurtheilt  und  Kategorieeo 
solfsher  Att^  in  denen  vom  elektrischen  Strom,  vom 
Ijfeihmgswiderstande,    von-  der  durch  die  Substanzen 
UndurchstrdttKinden  Quantität  der  Elektricitftt  und  der- 

e eichen  gesprocbeti  wird,  nicht  hinter  sich  gebracht 
\t :  0O  kann  es  allerdings  als  ein  miraculösea  Ereig- 
Difs  angesehen  w'erden,  dafs  hier  unter  dem  verpieinten 
Etnflafs  des^  elektrischen  Stroms  eben  dasjenige  sich 
sntrUgt,  was  anderswo  in  der  Sphäre  des  gemeinen 
ehemiseben  Proeesses  zur  Tagesordnung  gehört.  Weifs 
man  hingegen  bereits,  dafo  die  galvanische  Action  keine 
andere  als  die  unter  ihren  verstärkten  Polareffecten 
Bwr  nm  so  entschiedener  auftretende  Thätigkeit  des 
Cbemtsums  selbst  ist,  so  müfste  es  vielmehr  fär  ein 
W^uader  gelten,  wenn  im  geschlossenen  Kreise  der 
Kette  nicht  eine  gleiche  Gesetzlichkeit  wie  überall  in 
jedem  Kreise  chemiseber  Wirksamkeit  bestehenr  sollte. 
"Was  lehren  denn  jene  Faraday'schen  Versuche  anders, 
ahi  was  wir  schon  mit  jed^.  einfachen  Wasserzersetzong 
diiteh  die  golvi^ische  Kette  erfitbreo,  dafs  ein  Bestand* 
tbeil  immer  nur  unter  gesetzlieh  bestimmter  Quantität 
im  Verhältttifs  zum  andern  hervortritt.  Es  ist  ein  vor- 
dieostliches  Unternebmioi,  dieselbe  Getsetzlichkeit  in 
einer  grofeen-  Zahl  anderer  Fülle  zu  constaliren;  aber 
eine    solche   Leistung   als   eine    bewunderungswürdige 


Xeht  entziehen,  om  es  im  Dunkeln '  d«^di  )ien  eiaaoi^ 
gen  Schimmer  einer- Kerze  zu  blenden.  —  Eine  enifc- 
sehiedene  Ungerechtigkeit  läfst  sich  der  Vf.  zu  Sohni- 
den  kommen,  wenn  er  S.  89  die  Anhebten  Faradays^ 
„dafs  nicht  die  elektrochemischen  Polarwirkungen,  aoiv 
dorn  die  Affinitäten  der  kleinsten  Tlieilcben  die  ga^ 
vanisoh-cbemischen  Wirkungen  entscheiden,'*  als  ganz 
nreoe,  an  welche  alle  frühere  Erklärungen  nicht  ge. 
dacht  hätten,  darstellt.  Späterbin  hat  er  einmal  8.  22$ 
zu  unbe^ufster  Selbstrüge  bereits  neben  Faraday  auch 
V.  Grotthttfs  in  gleicher  Beziehung  genannt;  wer  aber 
nicht  nur  im  wesentlichen  dieselbe  Ansiebt  gehabt,  sotf- 
dera  üp  zugleich  anf  einer  solideren  Grundlage  ats' 
Famday,  froher  und  viel  weiter  als  er,  verfolgt  hat,  ist 
Ref.  setfest,  der  in  seiner  oben  genannten  Scbrifk  übdr 
den  Procefs  der  galvanischen  Kette  schon  den  innem 
Hergang  bei  der  Krjstallbildung  (a.  O.  8.  421  fp.) 
nach 'gleichen  Gesicbtspuuktcn  betrachtet  und  auf  sol- 
che  Bestimmungen  zurückgeführt  bat,  die  er  noch  jetzt, 
eben  so  wie  damals,  für  die  naturgemäfsen  Ausgangs- 
nnnkte  zn  weiterer  Verfolgung  nnd  Begründung  dea 
Gegenstandes  erkennen  mufs. 

Der  Vergieichung  des  Details  in  BetreiF  der  gal- 
vanischen Theorie  des  Hrn.  de  la  Rivsf,  welche  der  Vf. 
im  folgenden  7.  Abschnitt  zur  Sprache  gebracht  hat, 
können  wir  ans  um  so  mehr  bei  der  Kürze  des  Rau- 
mes überhoben  halten,  da  der  Genfer  Physiker  durch 
giinzliebe  Vernaohlässigungder  Contactelektricitätnicht« 
anders  als  die  Einseitigkeit  des  Volta*schen  Prlncipa 
Dur  nach  seiner  diametralen  Entgegensetzung  repräsen- 
tirt  und  schon  damit  einer  Mangelhaftigkeit  der  Ef- 
Boheinungsdeutung  verfallen  ist,  die,  wie  der  Hr.  Verf. 
mehrmals  trelfend  gezeigt  hat,  durch  manche  Ünange- 
^messenbeit  in  der  Wahl  und  Anordnung  der  Versuche 
nur  noch  vermehrt  wird. 

Wichtiger  ist  die  Berüoksicbtigiiog  der  galvanischen 
Theorie  des  Hrn.  C.  J.  B.  Karsten,  welche  den  Gegen- 
stand des  8.  Abschnittes  ausipacht.  Sie  bietet  die  in- 
t^essänte  Seite  dar,  dafs"  sie  in  dem  Punkte,  welcher 
die  Bestimmung  der  elektrischen  Erregung  des  Mefalla 
im  Cootact  mit  der  Flüssigkeit  betriflPt,  uusenn  obigen 
Grundgesetz  der  cbemisclien  Bipolaritüt  der  Faotoren 
(4.  5^  15.)  oonform  ist.  Hr.  K.  setzt  sehr  richtig  di^ 
Erregung  der  Ziukseite  der  Kette  nicht  allein  von  der 
Flüssigkeit  abwärts  negativ,  sondern  gleichzeitig  auch 
in  ihrem  Contaet  mit  der  Flüssigkeit*  positiv  und  die 
let'/tere  selbst  dagegen  wiederam  negativ  und  betrach^ 
tet,.  während  das  Verhalten  auf  der  Knpferseite  durch 
die  eiitsprecbcndeo  Gegenerregungeu  bestimmt  ist,  die 
chemischen  ETfecte  auf  beiden  Seiten  als  Erfolge,'  wel- 
che unter  der  Ausgleichung  der  elektrischen  entgegen^ 
gesetzten  Erregungen  zwischen  der  Flüssigkeit  und 
fien  unter  sich  verbundenen  Metallen  stattbab^,  — 
Das  Uaoptargument,  welches  Hr.  Etatsrath  Pfaff  dieset 
Ansiebt  entgegenstellt,  ist  solcher  A^t,  dafs,  wenn 
nicht  auf  Recbniing  seines  unbegrähsten  Eifers  fiir  die 
Aufrechthaltung  des  VoitaTsmus  geschrieben/  es  zwei- 


Entdeckung,  als  ein  ganz  neues  der  Erkenntnifs  ange»-  Mbaft  bleiben  kpnnte,  ob  es  ihm  damit  Ernst   gewe- 
attndetes  Licht  bezeichiion,  beifst  das  Auge  dem  Tageui-     sen  sei*    Er  sagt  näinlicb,  da  bei  den  obigen  Ausglei- 


319 


/yiyf,  iMMöM  der  Lekre  v9m  43tihMm» - y$ft0i§mmi. 


m 


chmif  seiTeiteii  die  Electricitftt»  von  der  Flüeeigkeit  aun^ 
ihren  Weg  an  der  Oberftäche  des  Metalls  nach  dem 
entfemtereo  Extrem  hin  nehmen  müsse»  eine  Fimifslage 
aber,  mit  der  er,  am  dem  prddieirtien  Forfffanffe  ^er 
Elektrioität  den  Weg  aUascbneiden,  das  Metall  um- 

febea  habe,  in  .den  Erscbeinnngen  keine  Aenderung 
erYorbringe,  so  sei  damit  die  Theorie  viderlegt.  Wir 
haben  nichts  weiter  nothig,  als  uns  nur,  auf  die  G^ 
genfrage  zo  beschränken,  wanim  Hr.  PfaiF,'  m  Folge 
der  ungestörten  Fortdauer  des  Processes  der  Kette, 
.hei  der  Umgehung  eines  Theils  ihrer  metallischen  Lei- 
tung mit  einer  isolirenden  Hülle,  die  den  elektrischen 
Strom  der  Yolta'schen  doch  so  gut  wie  den  einer  je- 
den andern  Theorie  aufhalten  müfste,  niobt  auch  die 
Volta*sche  Theorie  für  widerlegt  ansieht  Hr.  K,  bat 
aeine  Ansicht  innerhalb  der  durch  sie  selbst  gesetzten 
Schranken  an  einer  grofsen  Zahl  galvanischer  Combi- 
natiooen  in  solcher  Weise  durchgeführt,  dafs  das  Ganae 
xur  Fixirung  geregelter  Gesichtspunkte  geg^  die  ex- 
travaganten Richtungen  .neuerer  Reformtbeorieen  jeden- 
falls einen  schättbaren  Beitrag  bildet.  Die  bipolare 
Erregung  der  Metalle  in  ihrem  ge^^enseiligen  Contact, 
ao-  wie  die  bipolare  Erregung  der  Massigkeit,  das  Ver- 
hält nifs  dieser  elektrischen  Erregungen  zum  chemischen 
Procefs,  die  Natur  des  letzteren  als  universelle  Func- 
tion nach  dem  Grundgesetz  seiner  polaren  Thätigkeit, 
das  gegliederte  Ineinandergreifen  dieser  Tbfttigkeiten 
tar  Einheit  des  Gestfmmtprocesses,  das  alles  sind  Mo- 
mente, welche  aufserhalb  des  Umfanges  seiner  Dar- 
stellung liegen,  die  durch  diesen  Mangel  zwar^  wie  es 
nicht  anders  sein  kann,  vielfältig  getrübt  ist,  aber 
schön  von  Seiten  ihres  positiven,  in  dem  bezeichneten 
Punkte  der  Natur  adftquaten  Gehaltes,  gröfseren  Werth 
aU  die  Volta'spbe  und  alle  teueren  Formaltheorieen 
des  Galvanismus  in  sich  schliefst. 

Im  folgenden  9.  Ab^cbhilt  werden  die  Ansichten 

der  Hu.  Faraday  und  de  la  Rive  über  die  Intensität  der 

-Wirkung  der  galvanischen  Kette  vom  Yf  .zur  Rechen- 

aehaft  gezogen.     Ref.  hat  sich  bereits  hinlänglich  ge- 

Sen  die  Kategorieen  erklärt,  nach  welchen  der  Verf. 
ie  hieher  gehörigen  Bestimmungen  lediglich  in  Bezug 
auf  einen  hypothetischen  elektrischen  Strom  zu  geben 
versucht;  ist  aber  darin  vollkommen  mit  ihm  einver- 
alanden,  dafs  F.  in  einem  einzelnen  Fall,  auf  eine  in- 
nere specifische  Verschiedenheit  der  Thätigkeit,  aus 
der  Unveränderlichkeit>  der  Quantität  der  Wirkung,  da 
mit  Unrecht  geschlossen  hat,  wo  diese  Unveränderlich- 
keit  lediglich  in  einem  zufälligen  äufseren  Umstände, 
nämlich-  in  der  unverbältnifsmärsigon  Grofse  der  Zink- 
fläche zur  Kupferfiäcbe  der  Kette  ihren  Grund  hatte; 
und  was  die  specifischen  Unterschiede  des  sogenann- 
ten elektrischen  Stroms  nach  den  Vorstellungen  des 
Hrn.  de  la  Rive  anbelangt,  so  sind  jedenfalls  die  Tbat- 
aachen  noch  erst  w  erwarten,  aus  denen  sie  gefolgert 
werden  könnten. 

Hinsichtlich  des  10.  Abschoittesj  ii  elcher  eine  vom 


^Ref.  seUkst  vor  gevaumer  Zeit  migwAtU  Chaaa  vep 

Slvanisehen  Erscbeinnngen  betrifft,  welcbe  der  Vec€ 
iber  gänzlich  in  Abrede  gestellt«  hier  aber  bedingignga- 
wei^e  anerkannt  Jiat,  mnfs  ,Re/.  auf  eine  Abbandloag 
in  Poggendorfs  Annaleo  Bd.*46.  S.  595  verweisoB«  wäi^ 
in  er  den  Gegenstand  ausführlicher,  als  es  hier  im 
Raum  gestattet  haben  würde,  zur  Sprache  gebracht 
und  die  anbedingte  Gültigkeit  der  Erfolge  durch  Ana- 
logie und  innere  Nethwendigkeit  derselben  jMM^h  neMM 
und  erweiterten  Gesichtspunkten  dargethan  bat. 

Auch  bei  dem  II.  Abschnitt,  der*  in  einem  van  Fa- 
raday aogegebeneU)  zu  bequemem  Gebrauch  eiagerich» 
teten  gaivanisehen  Zellenapparat,  t>hne  feste  Qne^ 
wände,  einen  zwar  an  Veranlassungen  zu  wissenacbaft- 
lichen  Erörterungen  sehr  ergiebigen.  Jedoch  zunächst 
mehr  einem  praktischen  als  theoretischen  Intereaae  an- 
gehörigen  Gegenstand  umfafst,  sieht  Ref.  durch  den  be- 
•schräuKten  mum  sich  genötfaigt,  hier  auf  umstäadU- 
chere  Bemerkungen  darüber  zu  verzichten. 

Endlich  ist  noch  im  letzten  Abschnitte  ganz  besoi»- 
dcrs  die  elektrochemisch-galvanische  Theorie  des  Bra. 
Beci|uerel  vor  das  Forum  Volta'scber  Urtheilsprindpien 

Sebracbt  worden.  Der  Vf.  fuhrt  die  Eutscbeidunff.  ob 
ieser  Theorie  Haltbarkeit  zukomme,  denn  nur  Halt- 
barkeit,  nicht  Wahrheit j  wird  zu  diesen  suhiectiven  Bjr 
pothesengeweben  erfordert,  auf  die  oben  besprochene 
•  Frage,  ob  die  Elektricität  aus  dem  Cbemismua  oder 
dieser  aas  jener  entstehe,  iturück  und  sonach  wäi«,  mit 
dem  Zerfallen  dieser  Frage  in  Nichts,  auch  jenen  Ei^ 
Zeugnissen  das  Prognosticon  gestellt  worden.  Es  sind 
Gespinnste,  mit  denen  der  Geist  des  Erkennens  ia  UcliA> 
losen  Uebergangsperioden'  sich  umbaut,  um^  sie,-  weaa 
Auge  und  Flügel  gewachsen  sind,  nur  su  durchbrechea 
und  tief  unter  sich  zurück  zu  lassen.  ^  Für  den  Vf«  ist 
ein  solches  allgemeines  Entwickelungsmotiv  in  allen  der 
Reihe  nach  augeführten,  von  ihm  eben  deshalb  andh 
ganz  unzusammenhängend '  behandelten ,  Materien  der 
za'ölf  Abschnitte  seiner  Schrift  nicht  vorhanden«  Ihm 
sind  sie  nichts  als  so  viel  gesonderte,  nur  von  der  Sehe 
ihres  Antagonismus  gegen  den  Voltaschen  Standpunkt 
ins  Auge  gefafste  Tendenzen,  denen  er  zur  Bebaai^ 
4ung  seines  für  allein  richtig  gehaltenen  Principa  vüit 
Eifer  entgegen  zu  arbeiten  gesucht  bat.-  Vom  objecto 
ven  Standpuncte  aus  ist. es  dagegen  entschieden,  ddb 
man  den  beiderseitigen  Conflicten  und  ferneren  etwaai- 
gen  Metamorphosen  der  Volta'schen  wie  der  nßuerea 
chemischen  Theorie  in  allen  ihren  >Nüancen  mit  Glcidh 
muth  zusehen  und  sie  gewähren  lassen  könne,  da  die 
Umrisse  und  Fundanientalbestimmungen  bereits  vorU^> 
gen,  auf  welche  eine  neue'  wissenschaftliche  Uma;estai- 
tuog  der  Lehre  vom  Galvaäismus,  an  der  Stelle  je- 
ner beiden  sich  gegenseitig  negirenden  Richtangea 
nothwendig  zurückkommen  mufs,  wenii  der  Zeitpunkt 
der  Reife  und  des  allseitigen  Durchbruchs  erschienen 
sein  wird. 

G.  F.  Pohl. 


J  a  h 


Jlf  41. 

r  b  fi  c  h 


'   \ 


e  r 


für 


wissenschaftliche    Kritik. 


September  1839. 


xvur. 

Oe$chtchte  der  Rrformation  in  der  Marh  Brän-  ' 
denburg  mm  Doctor  Adolph  Müller,  Pro- 
fessor.    Berlin,  1839.     Verlag  von  Hermann^ 
SchuUze.    VIII.  340  S.  • 

J 

f 

Je  grdfiier  der  Segen  ist,  deir  die,  vrenn  auch  nicht 
VOD  Lnther  henrorgerufeDO,  doch  durch  ihn  gezeitigte 
und  in  den  Gang  ihrer  Entwicidang  geführte  Reforma- 
tioD  der  Kirche  den  folgenden  Jahrhunderten  gebracht 
bat ;  ale  desto  bedeutender  müssen  die  einzelnen  Mo- 
Diente  erscheinen,  in  denen  die  Hemmnisse,  ii'eLcbe  sich 
ibre^  weiteren  Verbreitung  entgegenstellten,  zurücktrar 
ten  oder  überwunden  wurden,  dest<^  tbearer  mufs  das 
Andenken  an, dieselben  den  kommenden  Geschlechtern 
sein.  Selbst  in  der  bewegten  Zeit  des  dreifsigjiihrigen 
Krieges  ging  daher  das  Jubelfest  der  durch  Joachim  IL 
bewerkstelligten  Einfülirung  der  Reformation  in  die 
Mark  Brandenburg  nicht  ungefeiert  vorüber  *),  und  wie 
es  in  dem  folgenden  Jahrhunderte  die  lebendigste  Theil- 
nabme  fand,  so  bürjg;t  schon  jetzt  die  allgemeine  Auf-, 
merksamkeit,  die  sich  der  Erinnerung  an  jenes  wich- 
tige Ereignifs  zuwendet,  für  eine  angemessene  Feier 
seiner  Wiederkehr. 

Zwar  ist  das  Jahr  1S34,  das  an  die  Zeit  erinnerte, 
da-  anf  dem  mit  dem  13.  Sec^mber  1534  beginnend^t 
Landtage  zu  Treptow  an  der  Rega  die  Einführung  de^ 
Kirobenverbesserung  in  Pommeni  beschlossen  wurde, 
in  dieser  Provinz  ungefeiert  und  fast  npheacMet  yor- 
fibergegangen ;  denn  die  von  Fr.  jC«  B.  v«  Aledem  ge- 
schi:iebene  Geschichte  der  Einführung  der  evangelischen 
L^ehre  im  Herzogthuoi  Poumiern  ^*\  die  an  diese  Zeit 

«)  SeckeAdorf.  Historia  Lutheranismi  III.  LXXV.  3.  ' 

**)  Geschichte  der  Einführung  der'  eraAgelischen  Lehre   im 

Hersogth.  Pommers.    Nebet  einer  Sanmlang '  eriftutemder 

Beilagen.    Greifswaid  1837.     Die  Darstellung  ist  der  Chro- 

i^k  KantaoWs  entlehnt,,  ja  eigentlich  nur  ein  diesen  Gegen- 

Jahrb.  J.  wUitnich.  Krüik.  J.  18?0.  \l.  Bd. 


zu  mahnen  bestimmt  war,  erschien  leider  zu  spät,  um 
diese  besondere  Absiebt  zu  erreichen.    Doch  die  rege 
Tbeilnahme,  welche  die  am  19;  Mai  dieses  Jahres  (am 
Piingstfeste)  in'  Leipzig  veranstaltete  Feier  des  Tages 
(25.  Mai  1539  am  Pfingstfeste),   an  welchem   Herzog 
Heinrich  dort  die  Kirchenverbesserung  begann,  gefun- 
den bat,  liefert  den  Beweis  dafür,  dafs  das  Andenken 
an  jene  wichtigen  Tage  nicht  überall  auf  gleiche  Weise 
zurückgetreten  ist.     Allerdings  hatte  dieser  Tag  für 
die  Länder  des  Herzogs  damals  eine  besonders  grofse 
Bedeptuog.     Das   allgemein   und    lebendig  hervortre- 
tende, aber  gewaltsam  zurückgewiesene  Verlangen  nach 
einer  Kirchenverbesserung  wurde  Aoxt  plötzlich  befrie« 
digt,  und  die  Einführung '  der  Reformation  ooncentrir-- 
te  sich  deshalb  gleichsam  auf  einen  Tag,  der  dadurch 
bestimmter  hervortritt,  während  in  der  Mark  Branden« 
bürg  schon  Joachim  I.  den  Mifsbräucheu'  entgegenge- 
arbeitet, Joachim  IL  aber  die  Einführung  des  evang^ 
lischen  Gottesdienstes  in  vielen  Orten  seiner  Länder* 
bereits  stillschweigend  geduldet  hatte ;  so  dafs  der  1. 
November  1539  nur  der  Tag  war,  an  welchem  er  selbst 
seinen. Beitritt  zu  der  neuen  Lehre -^fTfotlich  erklärtet,- 
nnd  demnach  das  Werk  vollendete,   dessen  Grund  be- 
reits früher  gelegt  worden  war.    Nichts  desto  weniger 
war  dieser  Schritt  von  der  gröfsten  Bedeutung;  denn 
nun  erst  konnten  durchgreifende  Mafsr^geln'genommen^ 
überall  den  Mifsbräuchen  enei^scb  entgegengetreten, 
der  im  weitlichen  Interesse  begründete  Widerstand  be- 
seitigt nnd  solche   Mafsregeln  ergriffen  .  werden,   die, 
indem  sie  einen  neuen  Rechttzustand  begründeten,  die 
Rückkehr  zu  dem  alten  Zustande  unmöglich  machten. 
Mit  lebhafter  Freude  begrüfsen  wir  daher  ein  Wer^, 


stand  betreffender  Abschnitt  aus  derselben.  Höchst  interes- 
sant und  wichtig  sind  dagegen  die  beigefügten  Urkunden, 
durch  deren  Aufsuchung  und  Mittheilung  sich  ^er  Heraus- 
geber ein  Verdienst  erworben  hat^  das  die  dankbarste  An- 
ericennung  verdient. 

41 


323 


Müller^  Oeseliiehte  der  Refwma^ion  in  äer  Mark  Brandenburg. 


das  bei  der  Annäherung  des  dreihondertjährigea  Jubel- 
festes'der  Einführung  der  Reformation  in  die  Mark 
Brandenburg  die  Erinnerung  an  diese  merkwürdige  B«- 
gebenheit  zn  beleben  ond  das  Bewufstsein  des  hoben 
Werthes  der  in  jener  grofsen  Zeit  in  achwerem  Kampfe 
'  erworbenen  .Güter  zu  wecken  bestimmt  ist;  um  so  mebi^t 
da  dasselbe  nicht  nur  durch  eine  licht  und  lebenyolie 
Darstellung  diesem  Zwecke  entspricht,  sondern  auch 
in  wissensohifftlicher  Beziehung  allen.  Anforderungen 
genügt,  die  an  ein  Werk  dieser  Art,  das  nicht  für  den 
Gelehrten  von  Fach  .  ausschliefslich  bestimmt  ist,  ge- 
macht verdän  dürfen.  Nicht  nur  sind  die  reichhalti- 
gen , gedruckten  Quellen  über  jene  Zeiten  und  Bege- 
benheiten mit  grofsein  Fieifi9e  und  iwar  vollständiger, 
als  es  aus  den  Gitaten  sich  ergiebt,  ja  was  Tiel  wich- 
tiger ist,  mit  Sorgfalt  benutzt  worden;  sondern  der  Vf. 
bat  auch  durch  Benutzung  des  ihm  geöffneten  König- 
lichen Geheimen  Staats-Archivs  ^o  wie  der  Magistrats- 
Arohive  vieler  Mürkischen  Städte  einen  reichen  Schatz 
bisher  uubj^kannter  Daten  an*s  Licht  gebracht.  Was 
aber  dem  vorliegenden  Werke  einen  entschiedenen 
Werth  giebt,  das^  ist  der  wahrhaft  christliche  Sinn^ 
der  uns  überall  aus  demselben  entgegen  weht,  der  Ernst 
und  zugleich  die  Wärme, , mit  der  der  Gegenstand  be- 
hanjlelt  worden,  die  richtige  Auffassung  der  vorhan- 
denen,  Zustände  und  der  Art^  wie  sie  sich  natürlich 
gebildet  haben,  und  die  Unparteilichkeit,  mit  der  sie 
beurtbeilt  werden.  Der  Verf.  hat  es  sich  nicht  zur 
Aufgabe  gestellt,  durch  Mittbeiiuug  .der  pikantesten 
Data  uns  in  dem  Zustande  der  Kirche  vor  der  Refor- 
mation  ein  Zerrbild  aufzustellen,  dessen  Dasein  man 
nicht  bf greift  und' imnier  von  Neuem  ^u  bezweiflen  sieh 
'  gedrungen  fühlt  \  und  dann  wieder  einen  kühnen  Recken, 
der  das  Ungethüm,  das,  so  entsetzlich  es  aussreht, 
doch  bei  der  leisesten  Erschütterung  v^n  selbst  zusam- 
«inenfallen  zu  müdsen  scheint,  mit  Ueldeumuth  bekämpft 
und  überwindet;  sondern  er  zeigt  uns  ^ie  natürliche 
Entstehung  einelr  furchtbaren  Krankheit  in  einem  an- 
fangs gesunden  Körper,  zeigt  uns,  wie  das  Gift  durch 
die  Adern  läuft,  alle  Säfte  verderbt  und  in  den  ein- 
zelnen Glieilern  in  ekelhaften  Geschwüren  hervorbricht, 
qnd  dann  den  Arzt,  der  homöopathisch  die  in  dem  Kör- 
,p^r  vorhandene  gesunde  Kraft  zur  Thätigkeit  reizt, 
/damit  sie  selbst  den  Stoff  der  Krankkeit  überwältige. 
Er  läfst  uns^sehen,  wie  Lehre  und  Leben  überall  Hand 
in  Hand  geht,    und  wie   die  L^hre  Luthers  von  der 


.Rechtfertigung  dür6h  den  Glauben  das  beselende  Prin- 
zip ist,  das  die  Reformation  bewerkstelligt.  Eine  aol- 
cbe  Darstellung  niindert  freilich  das  stupide  AnstauDOi 
der  Albernheiten  und  Verkehrtheiten  einer  früherca 
Zeit,  indem  sie  diese  Erscheinungen  begreiflich  macU^ 
und  verschmäht  das  während  des  Kampfes  so  nafürli- 
che,  später  aber  unverzeihliche^Verfahren  derjenigen» 
die  die  Aufgabe  des  Geschichtschreibers  so  gänxUch 
verkennen,  däfs  sie  statt  das  Verständnifs  der  Zeiten 
tu  öffnen,  nur^das  Staunen  zu  vermehren  suchen,  das 
den,  der  in  einer  anderen  Zeit  lebend^  auf-  ganx  ande- 
rem Grund  und  Boden  fufst,  bei  dem  Anblick  der  Ver^ 
gangenbeit  von  selbst  befällt.  AbAr  eine 'solche  W^se 
der  Darstellung,  die  deu^  Beschauer  die  Möglichkeit 
einer  gleichen  Verirrung  in  sich  selbst  zeigt^  weit  ent« 
fernt,  den.Abseheu  vor  dein  vorhandenen  Verderben 
zu  verringern  und  den  Eindruck  su  ttchwäoben,  lelyit 
uns  vielmehr  erst .  in  die  Tiefen  desselben  hinabsusrtei* 
gen  und  den  Abgrund  desselben  zu  ermessen ;  nnd 
während  sie  auf  der  anderen  l^eite  die  Rolle  dea  Help 
fers  dem  Individuum  abnimmt,  um  sie  auf  den  in  der 
Menschheit  waltenden  göttlichen  Geist  zu  übertrugen, 
läfst  sie  die  erhabenen  Gestalten,  deren  lieh  dieser 
Geist  als  Werkzeuge  bedient,  in  desto  hellerem  Glanxe 
erscheinen. 

Das  Werk  zerfallt  in  vier  Abschnitte.  Der  erste 
bandelt  von  dem  Zustande  des  kirchlichen  Lebens  in 
der  Mark  vor  der  Reformationr.  S.  1-^-^.  Nach  ei- 
ner kurzen  Uebersicht  der  Brandenburgischen  Ge* 
schichte  vor  der  Reformation  und  einer  Darstellung 
der  Form,  in  welcher  das  Christenthum  in  die  Mnrk 
gekommeoi'  zeigt  der  Verf.  nicht  nur,  wrö  „die  Bieniw 
chib  mit  ihren  eigenthümlichen  Instituten  und  ihrem 
unermefslichen  Einflüsse  auf  alle  sowohl  weltliche, 
wie  geistliche  Lebensverhältnisse  des  Abendlandes  sieh 
nur  deshalb  zu  solcher  Macht  und  Höhe  entwicketfe^ 
weil  diese  Entwicklung  der  christlichen  Menschheit  J» 
aer  Zeit  in  Folge  früherer  Zustände  wahrhaft  nothwen» 
dig  und  förderlich  war;"  -sondern  auch,  wie  gerade 
diese  Form  am  entschiedensten  geeignet  war,  einen 
wohlthätigen  Einflufs  auf  das  Märkische  Volk  anszn* 
üben.  Das  noch  rohe,  zu  einer  geistigen  Auffassung 
des  Christenthums  noch  wenig  gereifte  Volk  bedurfte 
zunächst  einer  strengen  Zucht^  einer  Anleitung  sn  ei- 
nem gesetzlich  geordneten  Leben,  und  ^er-  pmchtirolle 
Kultus  der  Kirche  war  ganz  geeignet^  ihr  die  sohwie- 


MülUffy  OsseÄicite  der  Jts/brmäfißn  in  der  Mark  Brandeniurg. 


32<r 


iAg%  Aufgabe»'  die  ihr  (jeworden,  su  erleichtevn.  Dabei 
waltete  aber  damals  iu  deraelben  und  Ju  allen  ihren 
Inelitaten  der  ehristliebe  Geist,  aus  dem  sie'hervorge- 
§;aBgeo,  und  mufste  deskiilb,  wenn  anob  die  Völker 
nooh  nieht  zum  lebendigen  Bewofstsein  desselben  ge- 
langtea,  seinen  trehlthfttigen  Einfiufs  auf  die  Gemütber 
ftnfoem.  ,,G8  war  die  Zeit^  in  der  die  abendländische 
Christenheit  voll  religiöser  unB  ritterlieber  Begeiste- 
rung gegen  den  Orient  stürmte,  um  das  Land  zu  er« 
ober»,  auf  dem  der  Fufs  des  Herrn  gewandelt,  in  der 
die  mächtigen  und  wunderbaren  Dome  und^  Münster, 
tn&efatig  und  wunderbar  wie  die  Thaten  der  Kreuzhel« 
ideo  zum  Himmel  aitfstiegen,  indem  das  ganze  Kirchen- 
tknni,  wie  Ton  einem  neuen  Geiste  eriiillt,  sieh  ver« 
jftogte  und  neue  eigentbümliche  Gestalten  herYorbracb- 
te.'''  Die  Geistlichen  waren  die  Träger  der  Wisseu- 
aeliaft  und  Bildung.  Bisthümcr,  Domstifter,  Abteien, 
Kl^ter,  geistliehe  Ritterorden  waren  nicht  mtifsige 
faetitate,  sondern  entsprachen  einem  yorhaudenen  Be- 
di&rfnisse  und  wurden  von  dem  Geiste  erzeugt,  der  in 
der  Kirche  waltete.  Die  Mouche  wurden  in  jeder  Be- 
tidmiig  Lehrer  des  Volkes  $  Ackerbau  und  Gewerbe 
bekansen  durch  sie  einen  neuen  Aufschwung,  ja  zum 
Theil  die  erste  Grundlage.  „Die.Odkonomie  der  Cister« 
cienser  war  eine  Art  Musterwirthschaft  für  den  Land« 
bau  des  Mittelalters  —  und  oft  berief  der  Adel  Cister- 
eienser  Mönche,  um  seine  verfallenen  Güter  wieder  in 
Aufnahme  zn  bringen.** 

Aber  die  Kirche  in  ihren  Instituten  trug  schon  den 
Keim  des  Yerderbens  in  sich.  Das  Streben  nach  Herr- 
schaft, das  ihr  beigemischt  war,  machte  sich  immer 
mebr,  ja  fast  ausschliefslioh  geltend;  der  Geist  wich 
allaiftlig  ans  der  Form,  die  ihre  BestiminuDg  erfüllt' 
hatte  und  dennoch  festgehalten  wurde.  Dieses  Fest- 
halteB  der  Form,  die  nicht  mehr  ein  Produkt  des  Gel- 
stes  ist,  tritt  recht  anschaulich  hervor  in  den  hohlen 
Ausdrücken  und  Bildern,  deren  sich  die  Päpste  noch 
immer  bedienen,'  wofür  ein  passendes  Beispiel  in  dem 
Sdumben  Boirifaoius  VHI  vom  Jahre  1303  an  den  r&- 
miflofaea  Kdnig  Albrecbt  I.  geliefert  ist. 

Der  Verf.' giebt  .nun  eine  -kurze  Andeutung  des 
Verderbnisses  der  Päpste  und  der  Kirche  und  dann 
eiae  -  ausführlichere  Darstellung  des  verderbten  Zu- 
etandes  der  märkischen  Bisthümerj  Domkapitel,  nie- 
deren Geistlichkeit,  Schulen  u.  s.  w.    Von  Alexander 


VL  wird  das  Verhältnifs  angegeben,  an  welches  das  -^ 
so  vielfach  in  joner  Zeit  citirte  Distichon  dea  Sjnoerus 
Sannazarus  *)  erinnert:  Hie  jacet  in.tumulo  Lucretia 
nomine,  sed  re  Thaif :  Alexandri  filla,  sponsa,  nurus. 
Refer.  erscheint  dies  nicht  genügend,  um  eine  nichtige 
Vorstellung  tou  dem  Verderbbirs  des  Papsttbums  zu 
geben.  Gegen  das,  was  nach  unverdächtigen  Zeugnis* 
sen  an  dem  Hofe  dieses  Papstes  vorgegangen,  erscheint 
Jenes  entsetzlicbe  Verhältnifs  fest  nur  ab  eine  Verir* 
ruug  der  Natur  und  zwar  in  einem  Individnum,  auf  das 
auch  das  Verbrechen,  das  seinen  Tod  herbeiführte^  - 
zurückrällt,  während  das,  was  Job.  Burohardus  von 
den  von  Alexander  veranstalteten  Festlichkeiten  er« 
zählt,  den  Geist  des  Papsttbums  im  Allgemeinen  sobil-  ' 
dort;  denn  einem  Einzelnen  wäre  dergleichen  uamüg« 
lieh  gewesen.  Freilioh  hätte  es  nur  angedeutet  wer- 
den können ;  denn  wir  sind,  zu  weit  entfernt  von  jener 
Zeit,  als  dars  unser  (Jnwille  lebhaft  genug  sein  könnte^ 
uui  unsere  Sobaam  zu  fiberwältigen.  Dafs  es  mit  den 
Bischöfen ^ind  der  niederen  Geistlichkeit  nicht,  besse?  - 
werde  gestanden  haben,  läfst  sich  erwarten.  Der  Mehr* 
zahl  der  märkisclien  Bischöfe  wird  indessen  das  Lob 
zugestanden,  dafs  sie  zu  den  Besseren  ihres  Standes 
gehörten.  „Kriegslust  und  Theilnabine  an  weltlicheQ 
Geschäften  sind  ihre  Hauptfehler,  aber  diese  sind  es 
auch  gerade,  die  von  den  herrschenden  Ansichten  be* 
schönigt  werden.''  So  billig  indessen  dieses  Lob  auch  . 
ist,  so  darf  es  doch  nur  sehr  relativ  genommen. wer* 
den.  Mit  der  Kriegslust  hängt  Manches  zusammen) 
und  wenn  ihre  Zeitgenossen  nidit  viel  Anderes  zu  ihrem 
Nachtheile  berichten,  so  liegt  dies  wohl  zum  Theil 
darin,  dafs  man  zu  sehr  an  gewisse  Fehler  gewöhnt 
war,  um  sie  auffallend  zu  finden.  Qühmt  doch  segar 
Angelus  dem  gewifs  unter  die  Zahl  der  besseren  Bi- 
schöfe zn  rechnenden  Hieronyipus  Scaltetus  naoh,  dafs 
er  „nicht  allein,  wenn  ^r  nüchtern  gewesen,  sondern 
auch,  wenn  er  ^inen  guten  Rausch  gehabt,  die  herrlich* 
sten  Orationes,  bisweilen  drei  Stundea  lang,  habe  hal- 
ten können,  in  des  Kaisers  und  vieler  anderen  Poten* 
taten  Gegenwart.'*  Die  niedere  Geistlichkeit  und  vor 
Allem  die  Mönche  erscheinen  leider  nicht  in  so  günsti- 
gem Lichte.  Sehr  zu  loben  ist  es,  dafs  der  Verf.  bei 
der  Darstellung  des  sittlichen  Zustandes  derselben  den 


^)  Wolff  lect.  memoriib.  et  recond.  1.  I.  935. 


327  Mütter^  Geschichte  der  Reformation^  in  der  M^rf:  Bran^hniurg. 

-  * 

gewöhnlichen  Weg,   einzelne  Ton  gleichzeitigen  oder*    man  betrede  ^  ^jnen  papen  oyel   tu  donde  inet  synen 


/ ' 


doch  der  Zeit  näheren  Schriftstellern  beigebrachte  That- 
Bacfaen  und  Urtheile  aufzutischen^  gänzlich  verläfstl 
Dergleichen  Anekdoten  erhalten^  wenn  man  ihnen  auch 
▼ollen  Glauben  beizumessen  berechtigt  wäre,  doch  nur 
durcb  ihre  Masse  überzeugendes  Gewicht  und  siud 
einzeln  von  gar  keiner  Bedeutung.  Wie  sehr  aber  das 
llrtheil  der  Zeitgeqossen  durch  die  polemische  Rich- 
tung gegen  die  katholische  Kirche  bestochen  war,  das 
weifs  Jeder,  der  mit  jener  Zeit' einigermafsen  bekandt 
ist..  Man  denke  nur  an  die  abgeschmackten,  aber  all* 
gemein  verbreiteten  Gerüchte  über  Paul  III.,  der  nicht 
nur  Nordbrenner,  sondern  sogar  Brunnenvergifter  nach 
Sachsen  geschickt  haben  soHte,  so  wie  an  die  schänd- 
lichen Heschuldigungen,  die  eine  unter  dem  Namen 
des  Bernhard  Ochinus,  vielleicht  von  Vergerius  ver- 
fafste  Schrift  bei  seinem  Tode  gegen  ihn  erhob  *); 
eder  auch  auf  der  anderen  Seite  an  die  lächerlichen 
Fabeln  über  Luther  und  .  seine  Anhänger,  die  damals 
von  seinen  Gegnern  verbreitet  und  öhoe  Zweifel  von 
der  anderen  Partei- geglaubt  wurden.  Ref.  kann  na« 
türlicb  nicht  meinen,  dafs  jene'  Urtheile  über  den  Zu« 
stand  des  Clerus  im  Allgemeinen  unbegründet  seien; 
aber  er  ist  geneigt,  jedes  einzelne  Faktum  mit  Mifs- 
trauen  zu  betrachten,  und  mufs  es  lobenswerth  finden, 
wenn  sich  der  Verf.  theils  auf  Zeugnisse  der'  Gegner 
beschränkt,  theils  Verordaungen  und  Verträge  reden 
läfst.  So'^die  VerorddUDg,  dafs  derjenige,  welcher  be- 
trunken zu  den  kanonischen  Stunden  kommen  würde,  '  ten  ist  die  nun  folgende  Darstellung  des  Znstandes 
drei  Groschen  als  Strafe  erlegen  sollte;  ferner  ein  der  Märkischen  Schulen,  Klöster  und  geistlichen  BiH- 
Vertrag  vom  *Jahre  1435  zwischen  dem  Probst  und  derßchaften,  so  wie  der  Reliquien-  und  Heiligen- Vereb- 
Rath  zu  Berlin  und  Cöln  und  ein  Gesuch  des  Rathes  rung  und  der  Wallfahrtsörter  in  der  Mark.  Der  Abo« 
an  den  Probst  um  Abstellung  mancbelr  Mifsbräuche.  glauben,  der  sich-^  in  diesen  Dingen  zeigt,  überatog^ 
Wir  wünschten  nur,  dergleichen  Zeugnisse  in  etwas  v jedes  Maafs.  99 Wie  tief,  sagt  der  Verf.^  und  bis  is*s 
'gröfserer  Zahl  zu  finden.    Das  Material  dazu  ist  reich-,  innerste   Leben  hinein  sich  dieser  Schaden  gefressen 


echten  wive  in  eyner  hejmeliken  ateden,  sluge^he   en 

O 

dot  oder  wunde  he  en  sere,  he  lede  darvmme  en  g^- 
nen  ban. —  Grepe  eyn  pape  ejne  frouwe  vnhonescheB 
an  met  tasten,  und  wolde  he  sj  ovei  tu  wiakelwaiC 
bringen  met  gewalt,  und  die  frouwe  sich  werde  and 
sluge  en  und  wunde  en,  die  frouwe  lidet  darvmme  noch 
ban  noch  geistlich  recht,  wen  sy  ore  ere  hat  gewe- 
ret"  *).  Was  setzen  nicht  solche  Bestimmungen  vor- 
aus, und  welch  ein  ungeheures  Gewicht  haben  sie  nicht 
gegen  hundert  einzelne  Tbatsachen.  Wie  mifalich  es 
überhaupt  um  diese  steht,  und  wie  leicht  sie  auf  Mifs- 
Verständnissen  beruhen  können,  mag  folgendes  Beispiel 
zeigen,  das  der  Verf»  auch  zum  Beweise  der  Unwis- 
senheit des  Clerus  erzählt.'  9,Ein  Bischof,  der  in  einer 
Herberge  das  neue  Testainent  fand  und  die  Worte  las: 
So  halten  wir  nun,  dafs  der  Mensch  gerecht  werde 
ohiie  des  Gesetzes  Werk,  allein  durch  den  Grlanbe% 
rief  unwillig  aus  :  Siehe  da,  Paule,-  bist  du  auch  loihe* 
risch  geworden ! "  Wie,  wenn  nun  der  Bischoif  seiDcn 
Text  sehr  wohl  gekannt  und  gewufst  hätte,  dafs  die 
Worte:  „allein  durch  den  Glauben."  (ein  Zusatz  Lxk 
tbers,  der  ihm  so  viele,  gewifs  unverdiente  Vorwurfe 
selbst  in  neuerer  Zeit  zugezogen  hat)  darin  nicht  ste* 
ben  %  In  diesem  Falle  bekäme  die  Anekdote  eine  u- 
dere,  gewifs  kein  ungünstiges  Vorurtheil  für  Um  er- 
weckende Bedeutung. 

Höchst  ansprechend  und  reich  an  interessanten 


lieh  vorhanden«  Wir  fähren  aus  dem  alten  Schöffen- 
recht der  dem  Verf.  so  genau  bekannten  historisch* 
diplomatischen  Beiträge  zur  Geschichte  der  Stadt  Ber- 
lin von  Fididn  nur  eine  Stelle  an:  „Weretj  dat  eyn 


hatte,  sieht  man  daraus,  dafs  selbst  noch  im  Jahre 
1552,  als  bereiis  dreizehn  Jahre  öffentlich  für  -die  Kir- 
chenverbesserung  in  der  Mark  gewirkt  worden,  die 
WegschafTung  des  Wunderblutes  (in  Wilsnack)  nicht 
ohne  Gefahr  versucht  worden.'' 


*)  Sleidan  de  statu  rel.  et  reip.'  Carcio  V.  Caesare   im  18.  n. 
:Jl.  Buche. 


0  Theil  I.  S.  148. 


(Die  Fortsetzung  folgt.) 


J  a 


J^  42. 

h  r  b  ü  c 


her 


für 


MV  iH  Ä  e  Ja  s  c  ha  ti  1  i  c  h  e    K  r  itl  k. 


September  1839. 


Geackichte  der '  Reformation  in  der  Mari  Bran- 
denburg von  Doctor  Adolph  Mit II er. 

(Fortsetzung.) 

Es  mnfs  indessen  .bemerkt  werden,  dafs  die  ge- 
l&ngliehe  Einuehung  der  betheiligten  Personen  Ton  dem 
Domkapitel  ra  Havelberg  ausging,  das  noch  in  dem 
alten  Interesse  bandelte  *);  auch  darf  nicht  verschwie- 
gen werden,  dafs  .bereits  1450  der  Bischof  Arnold  xn 
Liubedc  auf  Befehl  und  Anhalten  des  Papstes  Nikolaus 
Y«  eine*  Untersuchung  veranstaltete  und  an  den  Bischof 
Conrad  xu  Havelberg  schrieb:  Sanctifati  sojae  a  non- 
Bullia  magaae,  autoritatis  viris  significatnm  fuisse,  jn- 
iramerabiles  committi  errores  atque  populi  deceptiones 
ni  Wilsnacco  ^.  Uebrigens  dauerte  derselbe  Aber^ 
glaobe  noch  lange  fort,  nahm  sehr  allmälig  ab  und  ist 
im  Volke  leider  noch  jetzt  viel  be<lentender,  als  n^an 
gewdhnlidi  glaubt/  Im  secbszehntcn  Jahrhundert  war 
aber  nichts  so  abenteuerlich^  dafs  die  gelehrtesten  Man« 
ner  es  nicht  geglaubt  hfttten.  Angelds  tragt  gar  kein 
Bedenken,  die/selbeu  Geschichten,  die  er,  sobald  es 
den  Gegensatz  gegen  den  Papismus  gilt,  Aberglauben 
nennt,-  seinen  Lesern  als  Wahrheit  zu  erzählen,  wo 
4peeer  Gegensatz  fehlt  Ja  es  ist  ihm  jrecht  eigentlich 
um  dergleichen  zütbun.  Unter  den  unzähligen  Proben, 
die  er  liefert,  kann  Ref.  nicht  umhin,  einige  wegen 
ihrer  naiven  Ausdruoksweise  herzusetzen;  In  diesem 
Jabre  hat  man  Raben  und  andere  Vögel  in  der  Luft 
fliegen  gesehen,  welche  glühende  Kohlen  in  ihren 
Schnäbeln  geführet  und  damit  Häuser,  Scheunen  und 
Ställe  angesteckt  haben.  Diese  Raben  und  Vögel  wer- 
den ebne  Zweifel  nichts  anderes,  denn  lebendige  Teu- 
fel gewesen  sein,,  die  u.  s.  w«  ****)  oder:  Es  hat  Blut 


*)  Angdtts  Aanales  Marphise  Brandenburgica^. 

•♦)  ibid.  8.  aai. 

♦•*)  i)bid.  S.  IW. 
Jmhrh.  /.  wintwK  KriHh,  h  1839.  II.  Bd. 


S.  3i5. 


geregnet,  also  ,dafs  nian's  eigentlich  auf  den  Blättern 
der  Bäume  und  Kräuter  bat  sehen  kennen.  Ob  man 
aber  wohl  pbjsicas  causas  solches  wunderbaren  Blut- 
regens  hervorbringen  kann  (wie  denn  dieselben  von 
Gelehrten  in  libris  meteorologicis  erzählt  werden)  \  je* 
doch  theologischer  Weise  davon  zu  reden,  müssen  wir 
bekennen  u.  s.  w.  ^).  Wie  besonnen  Luther,  den  wir 
fibrigens  von  dieser  eigenthümlichen  Richtung  meiner 
Zeit 'nicht  freisprechen  wollen,  doch  in  der  B^nrtbei- 
long  solcher  Dinge  und  in  der  Behandlung  derselben 
verfuhr,  zeigt  die  merkwürdige  von  Vielen  (Jostus,  An- 
gelus,  Seckendorf,  der  sie  aus  Angelus  entlehnt  bat) 
beriditete,  ursprünglich  aber  des  CbristQpb.  Stjmnielii 
tractatua  de  miraculis  entlehnte  Erzählung  von  der 
Magd,  in  Frankfurt  a.  d.  0.,  die  1536  mit  dem  Teufel 
ein  Bündnifs  geschlossen,  und  der  er  versprochen,  er 
wolle  ihr  so  viel  Geld  geben,  dafs  sie  es  fressen  möch- 
te, und  die  nun,  wohin  sie  griff,  Geld  fafste  und  es 
vcTf  cblang«  Nach  vielfachen  vergeblichen  Beschwörun- 
gen von  Seiten  der  Papisten,  fragte  der  evangelische 
Prediger  Ebert  Luther  um  Rath,  und  dieser  zi^igt  sich 
zwar  nun  geneigt,  die  Sache  zu  glauben ^  ßigt  aber* 
doch  hinzu :  Rogo  te,  omnia  velis  certissime  explorate, 
ne  subsit  aliquid  doli,  et  imprimis,  an  moneta  iieu 
nummi  isti,  quos  pnella  rapit  et  vorat,  sint^veri  nummi 
et  usum  fori  sustineant.  Nam  ego  tot  facis,  dolis, 
technis,  mendaciis,  artibus  ^tc«  haCteniui  siun  exagita-' 
tus,  ut  cogar  difficilis  esse  ad  credendnm  ^— •  Quare 
vide  et  prospice  tibi,  ne  quoque  üsllare  et  ego  perlte 
fallar  ^).  Als  Mittel  räth  er  zu  nichts  Anderem  als 
zum  Gebet,  das  denn  auch  geholfen  haben  solL 


•;  ibid.  8.  400. 

'^*)  Luthen  Briefe  rob  de  Wette  5,  13.  Da  Seckendorf  An- 
gelus  alB  seinen  Geufihrsmann  angiebt,  so  hätte  de  Wette 
wohl  jenen  nachsehen  sollen,  wodurch  sich  ergeben  haben 

.  würdet  dais  die  Lesart  rideat  statt  rideat  und  die  Auslas- 
sung der  Worte  quos  puella  rapit,   die  Angdus  hat,    aaf 

'42 


331 


Müller j   Ge9fihichte  der  Reformation  in  der  Mark  "Brandenburg. 


Der  Verf.  redet-  dann  von  der  EuistehuDg  des  Ab- 
lafswesens  uod  von  dem  üufuge,  der  alluiälig  damit 
getrieben  wurde*  Dieses  Unwesen  ist  ihm  nicht  eine 
zufttilige  Ersckeinung,  sondern  entwickelt  sich  ganz 
natürlich  aus  dem  Yejrfail  der  Lehre  und  dem  Vfsr- 
schwinden  christlicher  Gesinnung.  Treffend  sagt  der 
Verf.:  ^,,Für  die  augenblickliche  Versöhnung  des  Sün- 
ders mit  Christus,  für  augenblickliche  Beseligung  und 
innere  Rechtfertigung  versprach  der  Priester  nichts, 
und  der  Laie  erwartete  niclits  dafür.  Das  Reich  Got- 
tes, das  Himmelreicfa  war  über  die  Erde  hinausgesetzt, 
in  eine  Zukunft  nach  dem  Tode  gerückt;  und  wie  es 
für  den  Menschen,  keinen  Himniel  mehr  auf  Erden  gab, 
fio  wurde  au<sh  ^  jede  Heimsuchung  Gottes  für  seine 
Sünden  und  Missethaten  in  ein  Jenseits  nach  dem  Tode 
fainausgeschoben.  Durch  diesen  heillosen  Wechsel  der 
Ansichten  vwrde  die  Indulgenz  oder  der  Nachlafs  der 
Kirchenbvfsen  in  einen  völligen  Brlafs  der  Sünden  ver- 
kehrt, und  der  Süiider  suchte  in  Folge  dieser  weltli- 
chen Attffassungsweise  sich  nicht  mit  seinem  Qewissen 
auszusöhnen,  sondern  nur  diesen  äufseren  Aufovderun- 
gea  2tt  genüjgen.''  Die  Habsuclit  der  Päpste  und  Geist- 
lichen voUendete  das  Werk,  und  so  wurde  der  Verkauf 
des  Ablasses  eine  Quelle  reichen  Gewinnstes,  Unge- 
heuer sind  die  Summen,  die  daraus  gelös't  werden. 
Wenn  der,  Verf.  indessen,  um  ihre  Gröfse  zu  zeigen, 
zur  Beurtheilung  des  damaligen  Geldwerthes  ans  Möh- 
sens  Geschichte  der  Wissenschaften  anfuhrt,  dafs  1507 
der  Wispel  Roggen  33  Groschen  9  Pfennige,  ein  Schef- 
fel Hafer  12  Pfennige  u.  s.  w.  ^  und  1512  zu  Gardele- 
gen der  Scheffel  Roggen  nur  20  Pfennige,  die  Mander 
Eier  3  Pfennige  kosteten^"  so  mufs  Ref.  hiezu  bemer- 
ken, dafs  solche  einzelne-  Angaben  nur .  dazn  dienen, 
^as  Urtheil  irre  zu  leiten.  Der  Preis  der  Naturprodukte 
war  damals  begreiffioher  Wsise  viel  gröfseren  Schwan- 
kungen unteriYorfen  als  jetzt  Mit  Möhsens  Angaben 
stiiiimen  .die  von  Angelos  in  demselben  Jahre  überein, 
sonst  kommen-  sogar  noch  niedrigere  bei  ihm  ^or. 
Aber  Angelas  bemerkt  ausdrückiioh,  dafs  es  sehr  wohl- 
feile Zeit  gewesen.  In theurer Zeitdagegen  1546  giebt 
er  den  Preis  des  Scheffels  Roggen  auf  einen  Thaler 
an  und  dasselbe  ist  auch  in  nndereu  Chronikenschrei- 


RechnuQg  der  Flüchtigkeit  Secke^dorfs  za  setzen  sind  und 
also  nicht  ids  Varianten  angeführt  werden  dürften.  Nun 
hat  aber  Angelus  wieder  aus  Stymmelius  gesehöpfti  und  so 
kommt  Altes  aa(  eine  Quelle  zurück. 


*  — 

bern  zu  finden.  Femer  ist  bei  den  früheren  Angabe« 
zu  ermitteln,  was  für  Groschen  gemeint  seien«  Die 
böhmischen  Groschen  hatten  einen  Werth  von  mehr 
als  7  Groschen  nach  unserem  Gelde;  die  märkisdieii 
galten  ^öch  mehr  als  andertbalb. 

In  dem  zweiten  Abschnitte :  Einwirkung  der  Be- 
formMion  auf  die  Mark  während  Joacbim's  I.  Regie- 
gierung  S.  89 — 151  erhalten  wir  eine  h!>ohst  anziehende 
Schilderung  Joachim's.  Sie  ist- mit  Wärme, -ja  man 
kann  sagen,  mit  Vorliebe  für  diesen '  ansgeteichiieteB 
Kurfürsten,  aber  zugleich  mit  UnparteillchkcSt  und 
Wahrheit  ge9chrieben.  Wir  sehen,  wie  Joachim  dordi 
Erziehung, '  durch  sejne  ganze  Stellung  und  aus  iniief- 
ater  Ueberzeuguog  ein  Gegner  dpr  neuen  Lehre  war 
und  sein  mufste,  und'  wie  das  Verhältnifs  zu  seinem 
Bruder  nicht  geeignet  war,  eine  andere  Ricbtuii^  zu 
begünstigen.  Wir  stimmen  dem  Verf.  vollkomnneii  bei, 
wenn  er  sagt;  „Es  träre  zu  wünschen,  dafs  jeder  ap 
allen  Zeiten  sich  so  entschieden  und  fest  für  eeiae 
Meinung  aussprechen  möchte,  wie  er.  Wii'd  für  den 
Augenblick  daun  auch  die  Wahrheit  zurückgedrängt, 
80  wird  sie  doch  ebenso  ,  durch  den  erregten  Gegen- 
satz. baUl  nachher  mit  verdoppelter  Gewalt  sich  Balm 
brechen  und  schneller  zu  dem  Zi^le  allgemeiner.  Auei^ 
kennung  und  GeltuiTg  gelangen,  als  es  aiif  dem  Wege 
der  Indifferenz,  der  Lauigkeit  und  der  Schwäche  ge> 
schehen  kann.'*  Das 'milde  Urtheil  über  den  Erzbisehef 
Albrecht  können  wir  indessen  schon  um  dieser  Worte 
willen  nicht  gerechtfertigt  linden«  Seine  weniger  feind- 
selige. Stellung  gegen  die.  neue  Lehre  ist  aicfata  ab 
Gleichgültigkeit  und  Schwäche«  Was  an  ihm  war, 
darüber  bedarf  es  kaum  eines  andern  Zeugnissee  ah' 
der  höchst  interessanten  Urkunde  in  Gei^ken'a  CJedez 
diplomaticus  *)  v.  Jahre  J1509,  aus  weleher  sich  er* 
giebt,  dal^  er  in  diesem  Jahre,  also  doch  sehen  19 
Jahre  alt,  und  nachdem  er  bereits  für  fähig'  geballca 
worden  war,  das  Bisthum  Utreeht  zu  Terwattea  **), 
als  iDomherr  in  Mainz  förmlich  upter  die.Aufsidit  «• 
nes  Hofmeisters '  des  Dr«  Ditrich  von  Diskou  gestelil 
werden  mufste.  Der  Kurfürst,  sein  Bruder,  bezabil 
seine  Schulden  und  gie1)t  ihm  die  nötbige  Summe  <9 
seiner  Residenz  in  Mainz  s  doch  das  Geld  wird  ditt 
nioht  anvertraut,  sondern  in  die  Hände  des  Diskou  ge- 


*)  Gerken,  Codex  diplomaticus  BrBndeAburgeiuu  Tll«  No.  96& 
»♦)  Gerken,  Cod.  dipL  VII.  No.  207. 


333 


Müli^Ty  OescJiiehte  der  Reformation  inßerMark  Brandenhurg. 


334 


legt,  ohne  dessen  Wissen  und  Willen  er  nichts  kaufen 

~-eder  sonst  ansgeben  soll;  ja  diesem  sogiir  das  Recht 
sogesprochen,  Diener^  Edel  oder  unedel,  abzuschaffen 
und  zu  verändern,  ,,dabei  es  auch  sein  Gnad  bleiben 
sollen  lassen«"  Fär  weitere  Schulden  irill  der-Kur- 
Itlrst  nicht  haften.    Auch  die  mehr  als  ^^freundliche  und 

'  nadigiebige"  Antwort,  welche  er  Luthern  auf  dessen 
Dlrohung,  sein  Büchlein  wider  deo  Abgott  zu  Halle 
tuisgehen  zu  lassen  und  aller  Welt  anzuzeigen  Unter- 

'  8€bied  zwischen  einem  Bischof  und  einem  Wolf^  er- 
theilte,  sind  ebenso  wie  Luthers  Schreiben  an  ihn  nur 
ein  Beweis  Air  des  Erzbisohofs  charakterlose  Schwä- 
isiie  und  unedle  Gesinnung. 

Mit  Yergnligen  folgeii  wir  dem  Verf.  durch  die  ge- 
drängte und  doch  reiche  und  lebensyolfe  Darstellung 
der  Begebenheiten  der  Reformation  bis  auf  den  Reichs* 
tag  zn  Worms,  üeberall  nimmt  der  Verf.  Rücksicht 
auf  die  Verhältnisse  und  Ereignisse  in  der  Mark.  In 
Tetzel  finden  wir  zwar,  den  unTerschämtenAblafshänd- 
ler  wieder,  lernen  aber  auch  zugleich  den  talentvollen, 
für  sein  Geschäft  ganz  geeigneten  Ablafs/ir^e/ig'er  ken- 

:  nen,  der  die  Gemüther  des  Volkes  wohl  zu  beunruhi- 
gen und  zu  ergreifen  vermochte.  Ein  Ablafsbrief  in 
deotscher  Uebersetzung  ist  eine  willkommene  Zugabe. 
Tetzel  absolvirt  einen  gewissen  THImann  von  Köpnick^ 
der  eine  San  schlagen  wollte,  aber  seinen  Knecht  traf 
und  toiltete.  Wir  machen  den  Verf.,  der  Angelus  285 
.titirt,  darauf  aufmerksam,  dafs  dort  zwar  delr  Brief 
selbst,  aber' ohne  Namen  steht.  Marheineke,  Geschichte 
der  teotsohen  Reformation  I,  57,  der  den  Inhalt  dieses 
AMafsbriefes  nach  SeideFs  Hist.  und  Gesch.  Dr.  M. 
LiUtheri  S.  14  angtebt,  spricht  von  einem  Edelmann. 
Angelus,  Cramer  (Pommersche  Kirchen-Chronik)  und 

'Andere  sagen  nur:  N.  N.  von  N.  Brafudenburgensis 
dioeoesis.  Es  wäre  lustig,  wenn  man  deshalb  diesen 
vrilknann  von  Kdpnick  für  einen  Hrn.  v.  Köpnick  an- 
gesehen hätte. 

Doch  Luthers  Thesen  fanden  in  ganz  Dentsdi- 
lalid  Anklang  und  Widerhall ;  und  was  auch  die  Freunde 
dw  FJnstemiCs  thun  mochten,  Tetzel  und  seine  Sache 
jEti .  schützen :  sie  war  gerichtet  und  unwiderbringlich 
TerlorM;  nod  Tetzel,  obgleich  durch  die  Würde  eines 
I>ecti>f8  der  Theologie,  die  ihm  die  Universitiit  Frank- 

^  fnrt  nach  der  von  ihm  dort  gehaltenen  Disputation 
gleichsam  ,als  Zeichen  des  Sjleges  ertheilte,  aufs  höch- 
ste geehrt,  starb  verachtet  in  eineni'  Kloster  zli  Leip« 


zig.  Vergebens  sehleudert  der  Vatikan  seine  BKtze; 
vergebens  nimmt  er  die  Hülfe  des  Kaisers  und  des  Rei- 
ches in  Anspruch.  Der  Reichstag  zu -Worms  verov- 
tliiBilt  zwar  die  Sache  des  Refonnators,  wird  aber  zu- 
gleich der  Höhepunkt  seines  Glanzes.  Unaufhaltsam 
sind  die  Fortschritte  des  einmal  begonnenen  Werkes, 
das  nicht  mehr  die  Sache  eines  Einzelnen  ist,-  sondern 
ein  allgemeiner  Kampf  des  Lichtes  gegen  die  Finster- 
nifs.  Jeder  neue  Versuch,  die  mächtigen  Wogen  zu 
dämmen,  zeigt  von  Neuem  die  Kraft  des  Elementes, 
das  die  Schranken  niederwirft:,  die  Menschenhaad  ihm 
setzen  will  Auf  dem  Reichstag  zn  Augsburg  trügt 
die  katholische  Partei  den  Sieg  der  Form  nach,  die 
protestantische  der  Sache  nach  davon. 

Auch  die  Mark  konnte  der  neuen  Lehre  nicht  ver- 
schlossen bleiben.  Zwar  trat  Joachim  L,  der  sich  auf 
dem  Reichstage  zu  Worms  durch  eine  kurze  Unterre- 
dung mit  Luther  leicht,  davon  überzeugt  hatte,  dafs 
an  eine  gütliche  Vergleiohnng  der  obwaltenden  Gegen- 
sätze nicht  zu  denken  sei,^  als  entschiedener  Gegner 
des  Lutherthums  auf.  Aber  abgesehen  davon,  dafs  er 
die  herrschenden  Mifsbräuche  erkamite  und  ihnen  cnt- 
gegenarbeitete  und  dem  einmal  erwachten  BedürfniCs 
einer  lebendigeren  Erkeuntdifs  des  Evangeliums  durch 
die  Erlaubnifs,  jede  Uebersetzung  der  Bibel,  nnr  nicht 
die  lutherische;  zu  gebrauchen,  abzuhelfen  suchte;  so 
lag  es  in  der  Natur  der  Sachcj^  dafs  alle  hemmenden 
Verordnungen  ihren  Zweck  nicht  erreichten,  und  die  fast 
einjährige  Abwesenheit  Joachim^s  aiis  seinen  Ländern 
1531  begünstigte  die  allmälige  Ausbreitung  der  evangeli- 
schen Lehre.  Ja  selbst  in  -sein  eignes  Haus  fisnd  sie 
den  Weg.  Seine  fromme  Gemahlin  wandte  sich  der- 
selben zu,  trennte  sich  1528  von  ihm  und  flüchtete 
nath  Sachsen  zu  ihrem  Oheim  dem  Kurfürsten  Johann* 
Joachim  beunruhigte  sie  deshalb  nicht  und  gestattet« 
selbst  .später  seinen  Kindern,  die  Mutter  zu  besuchen 
und  oft  Monate  lang  bei. ihr  zn  verweilen.  — '  Vor  Al- 
lem aber  gedenkt  der  Vf.  ntft  Recht  der  grofsen  Ver- 
clienste,  welche  sich  Mathias  von  Jagow,  Domprobst 
in  Spandau,  und  seit  1526  Bischof  von  Brandenburg, 
um  die  Einführung  der  Reformation  in  die  Mark  schon 
dfiunals  erwarb.  > 

Der  dritte  Abschnitt  enthält  die  Einführung  der 
Reformation  in  der  Mark  durch  Joachim  II.  und  Jo- 
hann V.    S.  151-279. 

Joachim  L  starb  am  11.  Juli  153$  und  nun  erhielt 


335 


Maller j  GeMcluißkle  der  Befyrmation  in  der  Mark  Branäeniurg. 


336 


der  Korprinx  Joachim  II.  die  Kurmark  sauimt  der  Kpr- 
vürde,  der  Markgraf  Johann  aber  die  Neumark.  Der 
,  webltbatige  Eipflufs  ihf*er  frommen  Mutter  iiud  die 
durch  diese  herbeigeführte  Bekanntschaft  mit  dem  Re- 
formator selbst^  dessen'  S^brlftea  Joachim  U.  eifrig 
las',  ma'cbtbn  sie  schon  früh  der  Sacbe  des  Evange- 
liums geneigt.  Auch  fand  die  Wahrheit  um  so  leich- 
ter den  Eingang  in  ihre  Herzen,  da  sie  in  der  Zeit  je- 
ner grofsen  Ereignisse  und  Bewegungen  in  einem  Alter 
standen^  in  velcbem  noch  nicht  eingewurzelte  Vorur- 
theilD  sie  Terblendetea.  Das  heldenmüthige,  gottbe- 
geisterte  Bckenntnifs  Luthers  auf  dem  Reichstage  xu 
Worms,  die  einfache  und  klare  Darlegung  der  wieder- 
gewonnenen Wahrheit  auf  dem  Reichstage  zu  Augs- 
burg müfsten  einen  tiefen  Eindruck  in  ihnen  zurücklassen. 

Nach  dem  Todq  des  Vaters  trat  der  Markgraf  Jo- 
bann offen  mit  seinem  Bekeiintnifs  hervor.  Er  wollte 
das  Reformatiönswerk  ohne  Rücksicht  und  Bedingung 
cSfFentlicb  betreiben  und  sogleich  für  einen  evangelischen 
Fürsten  gelten.  Der  Ruf  seiner  Gesinnung  gmg  ihm 
voran  und  ebnete  ihm  den  l^eg.  '  Doch  trotz  seiner 
entschiedenen  Gesinnung  und  seines  heftigen  und  stren- 
gen Charakters  verfuhr  er  nirgends  gewaltsam,  sondern 
wandte  überall  die  gröfste  Besonnenheit  und  Umsicht 
an  und  reformii*te  nur,  wo  sich  das  Verlangen  dafür 
aussprach,  oder  wo  offenbare  Mifsbräuche  sein  Ein- 
schreiten  nöthwendig  mächten.  Im  Jahre  1538  feierte 
Johann  zum  ersten  Male  das  Abendmahl  auf  evangjeli- 
sch^  Weise  öffentlich  in  Cfistrin,  uhd  richtete  bald 
darauf  seine  Hofkircfae  und  den  Gottesdienst  nadi  der 
Nümbergiscbeil»  und  Anspachischen  Kirchenagenäe  era. 

Anders  verfuhr  Joachim  Ü.  Nachdem  er  den  ron 
ihm  beschlossenen  Schritt  durch  ein  Schreiben  an  sei- 
nen Schwiegervater  und  an  den  Kaiser  vor  diesen  ge- 
rechtfertigt hatte,  trat  er  mit  seinem  Bekenntnisse  df- 
fentlich  heryor,  und  empfing  am  I.November  in  Span- 
dau, dem  Wittwensitze  setner  Mutter,  zuerst  das 
Abendmahl  nach  evangelischer  Weise  in  beiden  Ge- 
stalten.  Hier  nun  ist  es  uns  aufgefallen,  dafs  der  Vf. 
der  Unsicherheit,  welche  nicht  iiur  über  den  Ort,  son- 
dern auch  über  die  Zeit  obwaltet,  gar  nicht  erwähnt. 
Ref.  hat  liberall  da,  wo  ßs  ihm  gestattet  war,  die  An- 
gaben des  Vfs.'zu  prüfen,  ihn  so  zuverlässig  gefni>- 
den,  und  die  Erwähnung  einzelner  Umstände  lafs>  so 
zuversichtlich  auf  bestiomit  vorliegende  Data  sehlie- 


fsen,  dafs  er  den  Angaben  de^  Vfs.  unbedingt  za  tränen 
geneigt  ist.  Auch  erwähnt  der^elbb  ja  einiger  Rechnungen 
in  dem  Archive. der  Kämmereikasse,  die  diesen  Ge- 
genstand betreffen.  Da  der  Vf.  indessen  selbst  über 
Mangel  an  umständlichen  Nachrichten  sowohl  in  dem 
rathhäuslicben  als  auch  indeni  Kirchen-  und  Inspeo- 
tions- Archive  zu  Spandau  klagt,  so  hätte  er  die  io 
dieser  Beziehung  obwaltenden  Zweifel  billiger  Weise 
berücksichtigen  und  lösen  sollen.  Die  Frage  ist;  eh 
Joachim  IH  das  Abendmahl  zuerst  zu  Spandau  oder 
zu  Berlin,  und  ob  am  31.  October  oder  am  1.  Novbr. 
gefeiert  habe.  Seckendorf  ist  über  die  Zeit  zweifek 
haf)^.  Er  sagt  am  1.  November  oder,  ut  in  conciouibns 
Jubilaeis,  Berolini  anno  1640  excnsis,  refertur,  den  31. 
October.  Als  Ort  wird  .von  ihm,  wie  fast  übend^ 
Cöln  an  der  Spree  genannt.  Am  folgenden  Tage  ge- 
schah dasselbe  a  senatu  magnaque  civium  parte.  Zu- 
nächst steht  nun  fest,  dafs  die  Feier  des  Abendmahls 
von  Seiten  des  Magistrats,  der  Stadtverordneten  imd 
der  Bürgerschaft  am  2.  November  stattfiemd  \  denn  der 
%  November  1539  war  ein  Sonntag,  und  dafs  man  n 
einer  solchen  Feier  den  Sonntag  gewählt  habe,  ist 
nicht  nur  an  und  för  sich  wahrscheinlich,  senden 
wird  auch  übereinstimmend  behauptet-  Wenn  noa, 
worüber  der  Vf.  mit  den  übrigen  AnjE|;aben  (siehe  auch 
Seckendorf)  nicht  in  Streit  ist,  der  Kurfürst  das 
Abendmahl  am  Tage  zuvor  feierte,  so  könnte  dieacf 
T(^  kein  anderer  als, der  1.  November  gewesen  sein. 
Aber .  auch  für  diese  Feier  wird  fast  überall  Berim 
(oder  vielmehr  CSln  an  der  Spree)  als  Ort  angegeben. 
Wenn  nun  der  Vf.  Spandau  nennt,  und  zugleich  die 
conciones  Jubilaeae,  von  denen  Seckendorf  spricht  uml 
die  der. Zeit  so  bedeutend  näher  standen,  den  31.  Oe- 
tober  angeben,  so  liefse  sich  der  Widerspruch  dureh 
die  Annahme  lösen,  dafs  der  Kurfürst  aus  Pietät  ge- 
gen seine  Mutter  diese  Feier  am  31.  October  in  Span- 
dau begangen,  am  1*  .November  aber  in  Berlin  wie- 
derholt habe.  Jene  von  Seckendorf  erwähnten  Reden 
möchten  am  leichtesten  die  Sache  ins  Klare  bringen.  *) 

•)  Nach  No.  144  der  Preufsischen  Staatszeitung  hat  Hr.  PigL 
Pjschon  in  der  Versaminliing  des  Vereins  für  Geschieh«« 
der  Mark  Brasdenburg  die  Streitfrage,  ob  JoacbiM  II.  «e 
erste  lutherische  CommuDion  in  Spandau  oder  Qerlin  -n- 
nonimen  habe,  behandelt;  doch  ist  das  Resultat  leider  nl^t 
angedeutet.  Kef.  erhält  so  eben  die  Gesehkht»  der  Bia- 
führung  der  Reformation  in  die  Mark  Brandenburg  vos 
Spieker,  die  aber  den  Streitpunkt  gar  nicht  berfihrt. 
(Der  Beschlnib   folgt.) 


J  a  b  r  b  ü  c  her 


September  1839. 


beschickte  der  Beformation  in  der  Mark  Bran- 
deniurg  von  Doctor  Adolpk  Müller. 

ä  9 

(Scbinfs.) 

Der  t^f.  giel^t  non  Nachricht  Ober  die  Entstehang 
imd  den  Inhalt  der  ,,KirchenordniHjg  im^  Kurfürsten- 
thmn  der  Marken  xn  Brandenbarg,  wie  man  aidb  beide, 
mit  d«r  Lehre  nnd  Ceremonien  halten  solle,  von  1540.'' 
Sie  serfiUh  schon  dem  Titel  nach  in  zwei  Hanpttheile, 
deren  Inhalt  und  Beschaffenheit  genauer  angegeben 
wird«  Der  erste  Theil  stimmt  mit  dem  Angsburgi- 
ncheD  Bekenntnifs  in  der  Jl^ehre  übereia,  und  die  Recht- 
fertigang  dnrch  den  Glauben  tritt  nach  dem  Sinne  Lu- 
thers überall  als .  Grundgedanke  hervor.  Von  dem 
swejten  Abschnitt,  welcher  über  die  Ceremonien  beim 
Gottesdienste  und  den  Coltus  überhaupt  handelt,  sagt 
^r  yerf.:  »,)Br  gleicht  dem  ersten  sehr  wenig,  und 
wäre  er  von  der  ganzen  Kirchenordnung  allein  auf  uns 
f;ekommen,  wir  würden  uns  von  den  Rdigionsansich- 
ten  und  der  reformatorischen  Thätigkeit  Joachims 
keine  grofae  Vorstellung  machen  können,  wiewohl  da- 
bei  nicht  zu  verkennen  ist,  dafs  ihm  in  Folge .  der  po- 
Utiscben  Verhältnisse  Vieles  dem  alten  Kirchenglauben 
Angehörige  als  geheiligt  und  unantastbar  erscheinen 
Bittfste..*'  Ref.  will  dies  nicht  verkennen,  möchte  aber 
Aoch^hinzufägen,  dafs  auch  Befangenheit  der  religio« 
sen  Ansicht  nicht  ohne  EinfluCs  dabei  gewesen  sein 
dürfte.  Dieses  Festhalten  an  den  alten  C^emonien 
erscheint  dem  Vf.  auch  wohl  zuweilen  auffallender,  als 
€8  in  der  That  ist  Luthers  Taufbüchlein  von  1523 
•tinunt  fast  ganz  mit  den  Bestimmungen  der  Branden- 
bnrgischen  Kirchenordxtung  überein.  Auch  hier  findet 
ttch  die  Salbung  auf  der  Brust  nnd  zwischen  den 
Schultern,  die  BeKleideng  mit  dem  Westerbäublein, 
das  Salz  nnd  die  brennende  Kerze,  sowie  der  wieder- 
holte Ezorcismus  und  zwar  fast  mit  denselben  Wor- 
ten. Das  Taufbüchlein  von  1526  kennt  freilich  einige 
Jührh.  /.  wuienKli.  KriHk.  J.  1B39.  U.  Bd«        * 


dieser  Ceremonien  nicht  mehr  und  ist  sparsamer  mit 
dem  Exorcismus.  Manche  Geistliche  nahmen  an  die- 
sen Ceremonien  Anstofs,  und  auch  der  Probst  Buch- 
liolzer  trug  Luther  seine  Bedenken  vor,  der  sich  aber 
in  einem  nach  de  Wetters  Sammlung  mitgetfaeilten 
Bri^e  ganz  seiner  würdig  über  diesen  Gegenstanfd 
aussprfich  nnd  dadurch  Bochholzer  zufrieden  stellte. 

Der  Kurfürst  ordnete  darauf -eine  allgemeine  Kir-^ 
chen-Yisitation  an,  um  die  neuen  kirchlichen  Bestim- 
mungen im  ganzen  Lande  einzuführen^  und  wählte  da- 
zu den  Bischof  Mathias  -.von  Brandenburg,  den  Gene- 
ral-Superintendenten Jakob  Stratner,  den  Kanzler 
Weinleben  und  einige  Deputirte  der  Landst&nde.  Die 
Visitatoren  begannen  ihre  Wirksamkeit  in  Berlin  und 
Cöln  nnd  breiteten  sich  nach  und  nach  über  die  sämmt- 
liohen  Länder  des  Kurfürsten  aus.  Der  Vf.  giebt  von 
S.  210—278  einen  ausführlichen  Bericht  über  ihre^ 
ThätigkiBit,  schildert  die  Zustände,  die  sie  vorfanden, 
so  wie  die  Mittel  zur  Abhülfe,  die  sie  anwandten,  und 
berichtet  über  die  Veränderungen  imd  neuen  Einrieb- 
tungen,  die  sie  hervorriefen.  Ans  dem  reichen  Mate- 
rial, das  dem  Verf.  zu  Gebote  stand,  ist  die  Auswahl 
mit  Umsicht  getroffen,  ^ermüdende  Wiederholungen 
sind  vermieden  -  und  ein  lebendiges  -  Bild  dem  LeseV 
vorgeführt  worden,  das  zugleich  interessirt  und  belehrt. 
Umsicht  und  Besonnenheit  leiteten  die  Visitatoren' 
überall,  und  gewaltcmme  Mittel  wurden  nach  Möglich- 
keit vermieden,  weshalb  denn  auch  bei  dem  hartnäcki- 
gen iPeatfaalten  des  Bischofs  von  Havelberg  an  dem 
Papstthum  die  ganze  Priegnitz  für  jetzt  der  Wirksam- 
keit der  Visitations-Commission  unzugänglich  blieb. 

Der  vierte  Abschnitt  giebt  die  Vollendung  der  Re- 
formatio in  der  Mark  S.  280—340.  Nach  einer  kur- 
zen Darstellung  deräufseren  Verhältnisse  und  Schick- 
sale der  protestantischen  Fürsten  bis  zum  Augsburger 
BeUgionsfrieden  kehrt  der  Vf.  zu  der  reformatorischen 
Thätigkeit  Joachims  11.  Kurück.    Durch  die  Refonoa- 

43 


33§ 


Mf^l^i  Getehiehte  der  R^/tufm^io»  in  der  Mark  Brandeuburg.< 


310 


•  N 


tion  waren  die  kirchlichen  Zusflhide  töII^'  Terändert, 
und  es  bedurfte  deshalb  einer  neaen  Verfassung  der 
Kirche,'  Da  bald  nach  des  Bischofs  Mathias  von  Ja- 
gow  Tode  1544  auch  die  Kirchenvisitation  ToUendet 
wurde,  so  trat  dieses  Bedürfnifs  um  so  mehr  hervor 
und^  fand  seine  Befriedigung  in  der  Einrichtung  des 
Consistoripms«  Die  von  dem  Probst  Georg  Buchhol- 
zer  aus  Wittenberg  herübergebolte  Consistorial- Ord- 
nung ist  durchaus  die  1542  iu  Wittenberg  verfafste. 
Als  Directop  wurde  derselben  zunäctist  der  General- 
Superintendent  und  Hofprediger  Agricola  yorgesetst. 
Diirch  die  Umgestaltung  der  VerhMtnisse  war  ferner 
die  Säkularisation  der  Bisthümer  liothwendig  gewor- 
den. Der  Kurfärst  verfuhr  in  dieser  so  Siufserst  schwie- 
rigen Angelegenheit  mit  besonnener  Schonung  und  Klug- 
heit. In  dem  Brandenburgiscben  Sprengel  *  hatte  dies 
geringere  Schwierigkeit;  die  beiden  anderen  Bischöfe 
blieben  bis*  zu  ihrem  Tode  im  Amte  und  im  Genüsse 
ihrer  Einkünfte.  Durch  die  Wahl  von  Prinzen  aus 
denv  Kurforstlichen  Hause  tVL  Bischöfen  wurden  die 
Bischofssitze,  später  dem  Landesherrn  näher  gebracht^ 
und  so  die  Uebertragung  der  Einkünfte  und  Rechte 
derselben  an  diesen  vermittelt.  Erst  dadurch  aber 
wurde  der  papistische  Einflufs,  der  sich  noch  immer 
geltend  zu  machen  suchte^  aufgehoben  und  die  Refor« 
ination  vollendet. 

Eine  Veränderung  wie  diejenige,  welche  die  Refor- 
mation in  den  kirchlichen  Verhältnissen  hervorrief,  bat 
das  'Eigenthümliche,  dafs  sie  der  rechtlichen  Basis  zur 
Gestaltung  der  neuen  Zustände  entbehrt,  und  kann 
daher  ohne  scheinbare«  vielleicht  auch  ohne  wirkliche 
Verletzung  positiver  Rechte  nicht  vor  sich  gehep.  Sie 
gründet  ihre  Ansprüche  auf  die  Billigkeit,  kann  aber 
dieser  Ansprüche  sich  um  so  weniger  entschlagen,  da 
in  der  Billigkeit  Rechte  verborgen  liegen.  Denn  die 
Billigkeit  ist  nichts  anderes,  -als  ein  der  positiven 
Begründung  entbehrendes^  oder  selbst  dem  Buchstaben 
des  Rechtes  widerstreitendes  Recht.  Die  Nothwendig- 
keit  solcher  Collisionen  gründet  sich,  auf  die  Unmög- 
lichkeit, sie  vorauszusehen  und  also  Voraus  zu  berück- 
sichtigen. Wie  weit  nun  die  Billigkeit  befugt *.nnd  ver-. 
bunden  ist,  sich  als  Recht  geltend  zu  machen,  mufs 
dem  eigenthümlichea  Verhältnifs  und  dem  hioralischen 
Bewufstsein  überlassen  bleiben.  Dafs  es  indessen  in 
solchen  Falten  an  Mifsgriffen  und  Verletzungen  des 
Rechtes  nicht  fehlen  werde,  ist  eben  so  düirch  die  Na- 


für  des  Menschen .  überhajapt  bedingt ,  wie  durch  die 
eigeothümliche  Schwierigkeit  solcher  Verhältnisse« 
bei  der  Einführung  der,  Reformation  in  die  Mark 
.  denburg  fanden  derg^leicfaen  Mifsgriffe  nnd  RecJitsv^^* 
letzungen. statt;  ihre  Bedeutung  darf  aber  nieh 
den  jetzigen  Verhältnissen  und  nach  den  Gefühlen 
serer  Zeit  beurtheilt  werden.  Deshalb  hätte- Ref.  wold 
gewünscht,  dafs  der  Verf.  sich  die  Aufgabe  gestrik 
hätte,  nachzuweisen,  wie  sich  die  Anordnungen  Jo» 
ohims  bei  Einfiihrung  der  neuen  .Lehr^  überhanp^  be- 
sonders' aber  in  Rücksicht  auf  die  SäkularisatioB  der 
Bisthümer  und  geistlichen  Stifter  nicht  nur  sa  den 
Rechtszustande,  sondern  auch  ;eu  dem  Rechtsbewofst* 
sein  der  Zeit  verhielten.  Ein  solches  Verfahren,  be- 
scnncn  durchgeführt,  müfste  sowohl  auf  der  einen  Seüs 
die  übertriebenen  Vorwürfe  und  Klagen  über  adiHien- 
des  Unrecht  zum  Schweigen  bringen,  als  auch  auf  de» 
anderen  Seite  die  lelclitfertige  Entschuldigung  mit  der 
vorhandenen  Nothwendigkeit  überflüssig  machen,  und 
das  im  Allgemeinen  begründete  Recht,  auf  dem  das 
eingeschlagene  Verfahren  beruhete,  aufser  Zweifel  sei- 
zen.  Durch  eine  solche  Erörterung  möchte  fuich  die 
allerdings  im  ersten  Augenblick  frappirende,  auch  in 
der  neuesten  Zeit  hervortretende  Erscheinung  sich  ci^ 
^klären,  dafs  häufig  gerade  Juristen  mit  TheHnabme  mid 
l^ebbaftigkeit  die  Rechte  dieser  oder  jener  Richtang 
vertheidigen,  für  die  sie  sich  auf  keine  Weise  interes- 
siren,  ja  die  sie  für  völlig  irrig  halten,  und  so  die 
„rechtliehen  Gutachten  eines  Juristen,*'  auf  die  man 
oft  ein  so  grofses  Gewicht  gelegt  hat,  bedeutend  im 
Werthe  sinken« 

Was  noch  von  den  Ceremonien  des  katholisebea 
Gottesdienstes  in  der  Kirchenordoung  Joachims  zmüolc^' 
geblieben  war,  das  wurde  nach  seinem  Tode  1571  von 
seinem  Nachfolger  Johann  Georg  aus  derselben  est» 
fernt.    Durch  die  neue  Kirchenordnung,  die,  da  naek 
des  Markgrafen  Johann  Tode  auch  die  Neumark  aa 
Johann  Georg  gekommen  war,  für  alle  Marken  Gieltmig 
erhielt,  wurde  der  ganze  Coltus  dem  durch  Lntber  ia' 
Wittenberg  festgestellten  gleichfSrmtg  gemacht.  Hieran 
schlofs  sich  eine.  General -Visitation  an^  die  alle 
Jahre  erneuert  werden  sollte.    Vorzüglich  wichtig 
ren  die.  Bestimmungen,   welche  tiber  das  Schulweaea 
gemacht  wurden.    Ihr  verdankt  das  Berlinische  Gjn^ 
nasium  zum  grauen  Kloster  seine  Gründung  und  Bin» 
richtung  1574.  /    ,       * 


an 

Ref.  bat  «ch  im  Allg< 
jBftiseD^  den  Faden  an  zeigen^  an  dem  die  dargeetell«* 
ten  Begebenheiten  sieh-ieiben^olme'avf  da«  Einaeln» 
nftker  einxngebeny  was  die  leicbe  FikUe  des  Gegebenen 
ttwaSglieb  macht  Für  den»  der  eiob  genaaer  nnterriob- 
ten  wiiL  und  ein  Interesse  hat,  die  einselnen  Data  au 
inrofen,  sind  die  beigefugten  Hinweisnngen  auf  die  Quel- 
len, ans  denen  geschöpft  wurde»  Ton  grofsem  Werthe  \ 
auch  liefern  sie  den  Beweis,  dafs  der  Verf.  dieselben 
mit  Fleifs  und  Trene  hmintst  hat,  und  erfiiUen  mit  Ver- 
Iniiea  da,  wo  eine  Prüfung  nieht  thunlich  ist    Die  le* 


lUUeeky  Jns9lmi  ihetrmm  d$  SMeto  S^rüu.  312 

darauf  besehriaken     sehen  geradeau  entgegengesetit  ist.    Gleich  im  An-' 

&nge  nämlich  (S.  5  und  6);  so  wie  später' noch,  öfters 
(besonders  S.  18),  .erldärt  der  Yerf.  sich  im  vollkom* 
mensten  Widerspruche  mit  dem  Grundprincip  Anselms 
zu  befinden*  Es  sei  unmdglich,  dafs  eine  philosophia 
tamtummodo  rationalis  in  christianarum  idearum  coe-^ 
Inm  negata  tentet  iter  via.  Zwar  giebt  der  Verf.  zu : 
si  consummatas  aliquando  in  terris  fore  ecdesiam  et 
pbilosophiam  imaginemur,  non  possumus  non  perfe* 
ctum  simul  ambarum  eons'ensum  nobis  imaginari.  Al- 
lein per  temporis  decursum  sei  dieser  consensus  nicht 


händige  Frische  der  Darstellnng  würd  dadurch  auf  Iceine  *  zu  erreichen ;    die  Religion  habe  ,,Pacta  .  und 
Weise  gefilhrdet. 

Wir  scheiden '  von  dem  Verf.  mit  dem  Wunsche, 
daCs  seine  Schrift  nicht  nur  die  Anerkennung  finden 
mSge,  auf  die  sie  Anspruch  hat,  sondern  auch  eine 
Verbleitang,  die  ihrem  Zwecke  entspricht. 

Mehring. 


XIX. 

Anselmi  CantuarietMÜ  doctrina  de  Sancto  iSp»- 
ritu*  Dias,  inaug.y  quam  pro  summü  m 
tkeol.  hanoribus  rite  ohtinetidü  Ven.  Küiensium 
TheolL  Ordini  obtulit  D.  Aug.  Ferd.  Ribbech^ 
Oymnasii  BeroL  Leucophaet  Director.  Bero- 
lm$y  1838.    4. 


Je  grdfser  die  Ungunst  ist,  in  der  die  Scholastiker 
iismer  noch  bei  den  Theologen  stehn,  so  dafs  diese 
nur  selten  sich  etwas  genauer  mit  ihnen  befassen^  um 
ao  fibemlschender  ist  es,  hier  einen  SeAulmann  mit 
Studien  dieser  Art  beschäftigt  zu  finden,  und  wenn 
aocb  Torliegende  Dissertation  (nach  Vcrr.  S.  III)  nur 
dveh  eine  Bestimmung  der  Streit'schen  Stiftung  yer- 
aiihfst  worden  ist^  nach  welcher  der  Jedesmalige  Di- 
reetor  des  grauen>  Klosters  Doctor  der  Theologie  sein 
moGi,  so  zeugt  sie  doch  jedenfalls  von  einer  ehrenwer» 
then  Gelehrsamkeit  auf  dem  entlegenen  Felde. 

Nichtsdestoweniger  mufs  Ref.  gestehn,  d^fs  er 
dnroh  die  Abhandlnng  selbst  nicht  ganz  befriedigt 
weiden  ist.  Er  erwartete  zunächst  und  vor  Allem 
eine  rein  historische  Darste/iung  der  betreiFenden 
Ljebre  Anselms.  Statt  dessen  giebt  uns  der  Verf. 
vielmehr  eine  dogmatisirende  ÜTr^Tf^^  derselben,  und 
xwar  von  einem.  Standpunkte  aus,  welcher  dem  Aaselmi« 


nen,*'  die  Philosophie  „allgemeine  Begriffe''  zum  Ge- 
genstande, und  defshalb  könne  es  zu  keiner  Einheit 
beider  kommen.  Die  ganze  Abhandlnng  hat  nun  den 
Zweek,  diesen  Satz  an  der  Trinitätstbeorie  Anselms 
und  insonderheit  an  der  Lehre  desselben  voin  hdligen 
Geiste  zu  erweisen,  nämlich  zu  zeigen,  dafs  diese  we* 
der  der  Vernunft,  noch  dem  Glauben  Genüge  leiste^ 
indirect  also  die  Unmdglicbkeit  einer  Durchführung 
des  Anseimischen  Princips  (fides  qnaerens  intellectum) 
dairthue.  Das  Verftihren  des  Verfs.  ist  dabei  dieses, 
dafs  er  zuerst  die  Anseimischen  Bestinmiungen  (ganz 
in  der  Ordnung  und  fast  nur  mit  den  Worten,  wie 
diese  im  monologium  aufgefiihrt' werden  —  das  Buch 
adv.  Graecos  beriihrt  er  blers  in  der  Kurze  S.  20^ 
24),'  —  angiebt,  hierauf  kritisch  dieselben  durchgeht 
nnd  dann  sagt,  wie  er  die  betreffenden  Punkte  erör- 
tert haben  würde. 

Wir  wollen  nun  gar  nicht  darauf  aufmerksam 
machen ,  dafs ,  wenn  es  .  dereinst  zu  der  Einheit  von 
Religion  und  Philosophie  kommen  #o//,  es  auch  dazu 
mufs -kommen  können^  dafs  also  nicht  ipsum  itineris 
consilium  et  natura  (S.  5)  das  Streben  darnach  ver« 
bietet.  Nur  müssen  wir  unsre  Verwunderung  änrsern, 
dafs  der  Verf.  bei  seiner  Ansicht  von  der  Unmöglich- 
keit eines  iutellectus  fidei  sich  nicht  mit  der  negativen 
Kritik  der  Anselmiächen  Trinitätstbeorie  begnügt  hat, 
sondern  ihr  seine  eigne  entgegenstellt,  die  doch  jeden- 
falls wenn  aucSh  nur  ein  Versuch  ist  das -Dogma  zu 
begreifen*  Die  Grundzüge  dieser  Ribbeck'schen  Tri- 
nitätstbeorie, welcher  die  Anseimische  gleichsam  zur 
Jolie  dienrep  mufs,  sind  folgende:  Gott  der  Vater  ist 
nach  ihr  die  divina  cogitatio,  quae  se  cogitando  aeter- 
nam  humanae  {J)  conscienttae  veritatem  cogifat  et 
cogitando  gignit;  er  ist  das  aeternum  humanae  con- 


343 


ItaieeJky  Anseimi  dBCiritm  de  Saneto  S/rirku. 


34A 


scteDfiae  «principiam  emuaiwum ,  der*  Sohn  dagegen 
^usdeni  consdentiae  principinm  nmnedüriümm  (/),  nain 
in  Deo  Filio  Homo  aeteroa  ratione  est  b.  e*  iQime- 
diate  ani  ipsios  est,  in  Dei  Patris  contcientia  aeterna 
ratione  gigniiur\  der  Geiat  endlieh  ist  die  gegensei- 
tige Liebesbeziebung  inter  aeteraam  Conscientiam  orf- 
ginantem  sen  causativam  divbae  imaginis  (h.  e.  eon- 
scientiae  bnmanae)  et  ipsam  divinam  imaginem  (origi<< 
nataiu,  sen  immediativnui  bnmanae  conseientiae  prin- 
cipinm). S.  II  und  14.  Von  selbst  erbellt,  wie  nach 
dieser  Theorie,  der  die  Trioität  gar  kein  inneres  (im* 
manentes)  Yerbältnirs  Gottes'  in  und  xu^  eieh  telber 
ist,  sondern  das  Yerb&ltnifs,  in  welchem  Gott  zum  IMTen- 
achen  und  dieser  zu  Gott  steht,  das  Urtbeil  fiber  An- 
selm  ausfällt. 

Aber  weder  auf  eine  Apologie  Ansefms,  noch  auf 
eine  nftbere  PrQfnng  der  Ribbeck'scben  Ansichten  kann 
es  hier  abgesehn  sein.  Was  allein  auffallend  ist,  das 
ist  ffunRcfast  fiberhanpt  diese  ganze  Bebandlongsweise 
des  Gegenstands,  diefs  dogmatische  Interesse,  mit  dem 
der  Verf.  an  eine  geicAicAilicAe  .Aufgabe  g^angen 
ist^  dieses  Kritisiren  und  Recensiren,  wo  es  yor  Allem 
au  interpretiren  und  expliciren  galt,  dieses  Aburthei- 
len  über  einen  Scholastiker  des  elften  Jahrhunderts 
Ton  Standpunkten  des  neunzehnten,  kurz  dieses  un* 
historische  Verfahren.  Natürlich  steht  es  Jedem  frei, 
die  Geschichte  zu  benutzen,  wie  er  will,  also  hier  s« 
B.  die  Lehre  Anselms  zum  Erweise  des  Satzes,  dafs 
,,der  Philosophie  der  Himmel  der  christlichen  Ideen 
verschlossen  ist,*'  wie  man  sonst  wohl  fiir  Sätze  der 
Moral  u.  s.  w.  die  Geschichte  braucht.  Aber  fiir  die 
wirkliche  Sacherkehntnifs  ^  ffir  die  historische  fViS" 
senschaft  wird"  damit  nichts  geleistet.  Denn  dieser 
mufs  die  Geschichte  Belbstxweck  sein.  Dem  Histori- 
ker mnfs  es  z.  B.  nur  um  die  Lehre  Anselms  aelbst 
zu  thnn  sein,  will  er  sie  wahrhaft  verstehen  und  re- 
produciren  lernen.  Jedes  andere  Interesse  bringt  ein 
fremdartiges  Motiv  in  die  Forschung«  Und  kann  man 
glai^ben  nnn  in  der  That  seinen  Satz  ersffiesen  zu  ha- 
ben?  mufs  diefs  xAchi  mi  phit6sophisch^og$niUischem 
Wege  gesehehn  f  Wozu  also  erst  den  alten  Scholasticns 
defsbalb  vornehmen  t  Eben  so,  wenn  es  d^ni  Vf.  um  die 
Darlegung  seiner  eigenen  Trinitätstbeorie  zu  thun  war^ 


warum  die  Anseimische  dafiir  bftfsen  lasten,  *wäroa 
nicht  sofort  eine  Abhandlnng  fkheijene  schreiben!  Und 
dann  —  was  soll  doch  mit  einer  solchen  Kritik^  wje 
sie  der  Verf.  über  Anselm  ergehen  I&fst,  för  die  Wis- 
senschaft gewonnen  seinf  DaCs  Anselm  kein  Schleien 
macherianer,  oder  Hegelianer  ist,  wird  wohl  Jeder  vöa 
vom  herein  zugestebn.  Wozu  also  diefs  wotlftofig 
beweisen  f  Es  giebt  nur  me  einzige  Kritik,  welche  hsi 
geschichtlichen  Dingen  suläfsig  ist,  und  diese  besteht 
in  der  Aufzeigntig  der  Stelie,  welche  die  einzelne  & 
scfaeinung  in  dem  Ganzen  der  Entwicklm^gareihe  ei»» 
nimmt,  zu  der  sie  gehdrt.  So  ist^s.  B.  die  Lebe 
Anselms  vom  heiligen  Geiste  ein  Moment  der  Geachiebte 
dieses  Dogma's  überhaopt,  n&her  ein  Moment  der  Enir 
Wicklung,  die  dieses  Dogma  im  Mittelalter  dnrohlanfea 
hat;  sie  beurtheilen  heifst  nun  zeigeb,  ob  sie  ein  w^ 
sentlicbes  oder  unwesentliches  Moment  in  dieser  Be- 
wicklung gewesen  ist,  und  worin  diese  ihre  Bedeutung 
besteht.  Wollte  also  der  Verf.  sich  nicht  mit  der  eii^ 
fachen  Darstellung  derselben  begnügen,  was  bei  einer 
so  speciellen  Monographie  das  Beste  gewesen  wäre, 
so  mufste  er  sie  etwa  mit  der  Lehre  Lanfranca  (all 
des  nächsten  Vorgängers  Ansehnk)  und  der  Lehre  Ablr 
lards,  des  Lombarden  u.  s.  w.  (als  der  nächsten  Nack» 
folger  Anselms)  vergleichen,  um  auszümitteln ,  inwi» 
fem  sie  ein J^ortschritt  gewesen  sei, oder  nicht.  Diese 
Nacbweisung  ihrer  geschichtlichen  Stellung  wäre  alleia 
das  rechte  ürtheü  über  sie  gewesen  d.  h«  ein  Urtheil, 
welches  wissenschaftlichen  Werth  hätte. 

Es  fragt  sich  nun  abeif  weiter,  ob  denn  der  Verf. 
die  Lehre  Ansehns  wemgstens  richtig  auf^efu/kt  tsnd 
verstanden  hati  Bekanntlich  ist  die  Trinität  nach  Ab* 
selm  nichts  anderes  ab  die  SelbstentfiEtltung  Gottes 
als  absoluten  Geistes,  der  innere  Lebensproeefs,  ia 
welchem  er  diefte  sein  iV^esen  bethätigt  und  anawhrkt. 
Gott  ist  zunächst  absoluter  Geist,  und  in  dieser  rei* 
nen  Unmittelbarkeit  ist  er  Grund  seiner  selbst  oder 
Vater.  Indem«  er  nnn  aber  Geist  d.  i.  Selbstbewäfgt* 
sein  ist,  mufs  er  sich  auch  mit  sich  vermitteln  d.  h. 
sein  Wesen  auch  für  AtAi  vergegenständlichen  („aoa- 
sprechen,"  „denken,"  zeugen),  und  in  dieser  Gegen- 
ständlichkeit für  sich  selbst  ist  er  Wort  oder  Soliii. 


^er  BescUafs  folgt) 


•»t 


^  u. 


Jahrbücher 


für 


i;v  i  s  8  e  n  s  c  h  a  f  1 1  i  ch  e   Kritik. 


September  1839. 


9! 


At^selaiß  (JanbfarienBMS  doctrina  de  Sancto  8pi- 
.  .  rt%f.    /Mtf.  moHg.,  quam  pro  summü  m  theoL 
hanäfibui  rite  obtinend$9  Ven.  Kiliemium  TheolL 
Ordini  oitulit  D.  Aug.  Ferd.  Bibbeck.  . 

1    (Schiufa.) 

Unterschieden  jedoch  in  ein  Ich  und  Du,  ohne  auf- 
ukören^  der  Eine  und  selbe  Geist  zu  sein,  uiüfs  er 
mch  anob  als  diese  Einheit  in  der  Zveiheit  verwirkli- 
chen  oder  Geist  nicht  als  reine  Subjectivität  nur  und 
reiae  Objectivitäjt^  sondern  auch  als  das  in  beiden  iden- 
tische Selbst  sein,  und  diese  comniunio  Fatris  et  Filii 
ist  der  Geist  im  persönlicAeu  Sinne  des  Worts«    Zwar 
der  Vater  ist  Geist,  und  der  Sohn  ist  Geist,  aber  für 
einander  sind  sie  diefs  erst  in  der  dritten  Person  der 
Gottheit,  die  defsbalb  proprio  nomine  Geist  heifst  ^uio- 
Bol.  G.  57).    Anselm  bezeichnet  diese  Verhältnisse  (re* 
lationes) '  nach  dem' Vorgange  Augustins'  in  der  Kürze 
so,  dafs  er  den  Vater  die  memoria,  den  Sohn  die  iA* 
telligentia,   den  Geist  den  auior  der  Gottheit  nennt 
Nun  fällt  es  schon  auf,  dafs  der  Verf.  memoria  hier  in 
,dem  Sinne  Yon  „Gedächtnifs''  nimmt  und  dagegen  be- 
jnerfct^  nicht  die*  intelligentia  entspringe  aus  der.  me- 
moria, sondern  umgehehrt  die  memoria  aus  der  idtelli- 
.genti«,  siquid^m  jiullius  rei  memiaimus,  nisi  antea  quo» 
4ampiodo  inteUectaej  deinde  memoria  ab  intelligentia 
BOA  differt  nisi  diuturnitate  idearum,  aut  minore  ima- 
j^nm.claritati^  aut  eo  demum  disorimine,  quod  iqter 
Botiones  et  assertiones  intercedit  (S.  IJ).    Schon  Ten- 
Bemann  (B^  VIU.^  S.  132}    hat  memoria  ganz  richtig 
dii^ch  ^yBewu/sUein^^  übersetzt ;  denn  es  soll  nar  die  • 
tiefe  Innerlicfak(Bit  des  Geistes  bezeichnen,  nach  der  er 
sich  selber  der  Schacht  ist,   aus  welchem  er  Alles  za 
Tage  fördert,  was  in   der  intelligentia  objectiver  Ge- 
danke wird;  und  dafs  es  geradezu  ^^Selbetbewu/tUeinP 
ist,   zeigt  besonders  monoL  c.  48.,  wo  Anselm  u.  a. 
*  sagt :  Qoippe~  nou  in  e$,  quod  süi  memor  est  (summus 
/«Ar6^ /..  tPtmjTicA.  Kri^h.  /.  1839.  II.  B4. 


Spiritus),  sie  est  in  sna 'memoria,  velut  aliares  in  alia, 
quemadmodum  ea,  quae  sie  ^unt  Jn  humaaae  mentis 
memoria,  ut  non  sint  ipsa  nostra  memoria,  sed  sie  est 
memor  sui,  nt  ipte  memoria  eua  eit  (S.  ^  ed.  Ven.). 
An  4er  weitern  Bestimmung  Anseims,  dafs  das  Wort 
die  intelligentia  (Selbstobjectivirung)  ^dieser'  memoria 
sei,  wird  getadelt,  dafs  sie  nicht  das  Moment  d,er  com- 
municatio  (an  die  Creatur)  in  sich  schliefse  (S.  8).  Als 
ob  nicht  Anselm  c.  29 — 31.  ausdrücklich  das  Wort  als  - 
Princip  der  Schöpfung  bestimmte,  es  Mensch  werden 
liefse  u»'  s.  w.I  In  der  Lehre  Tom  h,  Geiste  endiiob  ,* 
meint  der  Vf.,  Anselm  lasse  djesen  abstract  au9  dem 
Wesen  der  Gottheit,  neque  ulla  distinctae  suiyectiyita* 
tis  (Fatris  et  Filii)  ^  raticoie  habita  heryorgehn  (S.  13)« 
Es  ist  schwer  zu  sagen,  wie  der  Verf.  diese  Ansicht . 
rechtfertigen  will,  da  er  S.  15  ganz  richtig  als  Lehre 
Anseims  angiebt,  dafs  der  Himior  summi  spiritns  (wel- 
cher-eben  der  h.  Geist  ist)  daraus  hervorgebe,  quod: 
sui  meminit  et  se  i^Uelligit  (summus  spiritus),  also 
aus  dieser  Subject-Objectivität  d^selben,  vermöge  de- 
ren er  sich  als  Vater  und  Sohn  in  sich  unterscheidet« 
Bedenkt  man  nun  vollends,  dafs  Anselm  monol.  c.  51. 
ausdrücklich  die  Gegenßeüigkeit  dieser  Liebe. behaup- 
tet, so  ist  es  noch  schwerer  zu  fassen,  wie  )ler  Verf.  \ 
sa^en  kann  S.  14,  „weit  dialektischer''  hätte  Anselm 
die  processio<  Spiritus  Sancti  deduciren.  können,  wenn 
er  gesagt  hätte:  si  in  Summo  Numine  distinguantur 
memoria  et  intelligentia,  ek  invicem  sibi  tanquam  rela- 
tiones  reales  opponantur,  haue  ipsam  oppositiouem 
propter  esseutial^m  oppositeruni  unitatem  esse  non 
posse  nisi  compositionem  (h.  e*  ex  dive^gentia  conver- 
gentem  relationem)  am^orum  et  eificacem  mutuae  ail- 
unationis  nisum,  qui  cum  in  hominibus  amor  dicatur, 
ideln  in  Doo  nomen  imerita#accipiat*  Nichts  anderes 
lehrt  eben  Anselm.  Dasselbe  wiederhohlt  sich  S.  21, 
wo  der  Vecf;  dem  Buche  adv.  Graecos  den  Vorwurf 
macht,  quod  ouUo  modo  ad  motuam  inter  Patrem  et 

44 


..   N 


^  ' 


347 


Jtibbeek'^  Ahtelmt  doctriaa  de  Saneto  Spiritu. 


3« 


Filinm  relationem  S.  Spiritus  proeesaionetii^  pertinere 
Btatai^/  sed  unioe  ad  eoruin  communem  esaeotiain,  -Dei- 
tatein,'  refert.  -  Allerdingg  bebauptet  nämlich  .  Ansebn 
c.  7.,  dafs(  der  h.  Geist  nieht  toiq  Vat<^  als  Vater  aus- 
gehe, sondern  vom  Vater^  viefem  er  der  Eine  und  sei« 
bige  Gott  mit  dem  Sobne  sei^  und  dafs  eben  defsbalb 
die  spiratio  nicht  der  einieitig  bypostatiscbe  Act  des 
Vaters  sein  iiönne,  wie  die  Griechen  lehren,  tiondem 
zugleich  auch  der  hjp'ostatiscbe  Act  des  Sohnes  sein 
müsse.  Als  Grund  davon  giebt  er  an,  dafs  die  Rela- 
tion in  Gott,  verntöge  deren  er  Vater  ist,  ihr  entspre- 
chendes Correlat  einzig  und  allein  im  Sohne  hat.  Der 
h.  Geist^  schliefst  alsb  Anselm,  procedirt  non  de  hoc, 
quod  I^us  Pater  est,  i.  e.  de  hoc,  unde  refertur  ad  Fi» 
lium,  sed  de  hoc,  quod  Pater  est  Deus,  seu  de  divina 
essentia.  (Die  entgegengesetzte  Meinung,  sagt  er  o. 
15.  etwas  derb,  sua  se  patenti  fatuitat«  suffocat).  Diese 
Sitelle  nun  ist  es  unstreitig,  die  den  Verf.  zu  der  An- 
nahipe  verleitet  hat,  als  ob  Anselm  in  der  Lehre  vom 
h.  ^Geiste  „durchaps  keine  Rucksicht  auf  das  gegen- 
seitige Yerhältnifs  des  Vaters  und  des  Sohnes  nehme." 
Eben  weil  sich  die  Eine  Gottheitin  diefs  doppelte  Selbst 
unterschieden  hat,  eben  darum  mufs  sie  sich  nach  An- 
selm auch  aus  diesem  Unterschiede  wieder  in  die  JBin- 
heit  zurücknehmen  d.  h.  als  Geist  Verwirklichen.  Grund 
des  Geistes  ist  also  nach  ihm  allerdings  nicht  der  Va- 
ter als  Vater,  der  Sohn  als  Sohn,  sondern  die  in  bei- 
den identische  Gottheit;  diefs  heifst  aber  nicht,  als  ob 
nur  die  Gottheit  aöstract  als  Gottheit  der  Grund  des 
Geistes  s€)i,  denn  als  solche  hat  sie  ja  gar  keine  by- 
postatische  Realität,  vielmehr  eben  die  Gottheit,  wie' 
fem  sie  in  Vater  und  Sohn  eich  reell  dirimirt  haty 
ohne  doch  in  dieser  Diremtion  aufzuhören  die  Eine  und 
selbe  zu  sein.  Oder,  wie  Anselm  monol.  a.54.  sagt, 
~iste  Amor  non  ex  eo  procedit,  in  quo  plures  sunt  Pa- 
ter et  Filius,  sed  ex  eo,  in  quo  unum  sunt,  aber  darum 
doch  (vgl.  c.  50.)  ex  Patre  Filioque. 

Wir  habeü  natürlich  hier  nur  die  Hauptpunkte  in 
der  Ribbeck'scben  Auffassung  der  Aiiselmischen  Trtni- 
tätstheorie  berühren  können^  geringere  fibergehen  wir. 
Dafs  es  übrigens  auch  an  treffenden  Bemerkungen  nicht 
fehlt,  versteht  sich  von  selbst^  und  wie  wenig  wir  auch 
mit  der  Theologie  des  Vfs.  übereinstimmen '  können, 
so  hat  uns  doch  die  innige  Frömmigkeit^  die  an  meh- 
reren Stellen  sich  ausspricht,  wahrhaft  erfreut.    Trotz 


ttnsver  wissenschaftlichen  Gegnerschaft  aoheidcn' 
daher  von  dem  Verf*  mit  Hochachtimg« 

'F.  ft.Ha88e« 


Die  beiden  Erzbischöfe.  Ein  Fragment  aus  der 
neuesten  Kircheng£schichte  ^  von  Dr.  Karl 
Hase.    Leipzigs  1839.    8. 

Das  Auflehnen  der  erzbischdflichen  Kircbengewdl 
gegen  die  weltliche  Macht,  begonnen  in  den  westliohm 
Provinzen  der  preufsischen  Monarchie  (nicht  ia  West» 
preufsen,  wie  es  p.  34  der  vorliegenden  Schrift  h^st) 
und  sich  fortspinnend  in  der  Provinz  Posen,  ist  ra 
Ereignifs  der  neueren  Geschichte,  dessen  höchste  Widh 
tigkeit  Niemand  bezweifeln  darf.  Darin  aber  geliea 
die  Ansichten  weit  auseinander,  was  es  denn  eigentlieh 
sei,  wodurch  die  Sache  so  wichtig,  so  viel  und  allge- 
niein  besprochen,  so  fast  augenblicklich^  dem 
sprach  gleich,  mit  zahllosen  Schriften  und 
überfluthet  worden?  Dafs  letztere  Erscheinung  sich 
leicht  erklären  lüfst  durch  das  tief  Eingreifende  des 
Gegenstandes  in'  das  sociale  Leben  eines  in  stark  ge- 
mischter Einwohnerschaft  be'stebenden  soüverainen  Staa- 
tes, des  ersten  und  m'ächtigstto  ilnter  christlicher  nidi^ 
Icatholiscber  Obergewalt,  das  erschöpft  die  Frage  na6k 
nicht,  und  hat  solches  nur  zu  dem  geführt,  dafs  aus 
dem  vielfachen  Hin«  und  Herreden  und  Schreiben  Doeh 
kl^in  klares  Resultat  ersichtlich  gewesen«  Diefs  hat 
auch  der  Vf.  der  vorliegenden  Schrift  erkannt,  iind  ee 
liat  ihn  veranlafst,  es  zu  unternehmen,  „den  Parlhf»- 
und  Streitschriften  eine  ruhige  geschichtliche  Anschaa- 
ung  nachfolgen  zu  lassen."  —  So  zeichnet  sich  Miae 
Schrift  allerdings  vor  den  früheren  aus.  Er  bat  aioh 
—  nach  seinem  Vorwort  —  die  Aufgabe- gestellt;  jene 
Begebenheiten  als  Kirchenhistoriker  zu  bescfateibeaii 
mit  der  ernsten  Ünpartheilichkeit,  als  wenn  sie  tor 
hundert  oder  tausend  Jahren  geschehen  wftro;  deeh 
ohne  die  Betrachtungen  zu  verbergen,  die  sich  y» 
dabei  aufdrangen,  nud  welche  theils  |ier  Gescbic^taer» 
Zählung  untermischt,  th<^ils  in  einen!  letzten  Kapitel 
hinzugefügt  si;id.  Eben  hierdurch  sind  die  beiden  Sei» 
ten  berührt,  vou/  welchen  aus  man  das  Gewiditnad 
die  Folgen  der  Ereignisse  zu  betrachten  und  zu  bewv 
t heilen  hat.    Sind  es  die  Begebenheiten  selbst,  welche 


\ 


/ . 


819 


fass^   die   beiden   Er%tisehSfe. 


die  Erhebliclikeit  der  Sacbe  autmaoben,  deren  histori- 
sche Eimeinheiten  vor  Allem  der  kfinft^eo  Weltge- 
schichte bewahrt  bleiben  mfissen;  —  oder  liegt  nicht 
'  vielmehr  das  eigentlich  Gewichtige  und  Folgenreiche 
därin^  da/e  (nicht  wie?)  es  sich  begeben  hat; —  dafs 
nach  langem  Sehlnmmer  die  Confcssionsspaltttogen  in 
der  christlichen  Welt  wieder  zor  lebendigen  Frage  ge* 
Icotnmen^  dadurch  das  religidse  Gefiihl  aufgeregt^  der 
niminer  endende  Kampf  emeoert,  nnd  die  Nothwendig- 
keit  in  erhöhter  Kraft  gegeben  ist,  die  Grenzen  der' 
'geistlichen  nnd  der  weltlichen  Macht  zum  'Heil  der 
Seele  wie  des  Erdenlebens  zn  ordnen  und  festzuhal- 
ten f  Erstenfalls  wäre  die  factische  und  rechtliche 
^Beleuchtung  der  äufscm  Begebenheiten,  letztenfalles 
aber  die  dnrch  sieveranlafste  Erörteinibg  der  allgemeinen 
Staat-  nnd  kirchlichen  Verhältnisse  die  Hauptsache, 
nnd  es  würden  dann  mehr  die  Folgen  und  weniger  die 
'Zeitereignisse  selbst  in  dem  grorsen  Geschichtsbuche 
henrortreten.  Der  Verf.  hat  auch  dieses  erkannt  uod 
selbst  ausgesprochen,  indem  er  (p.  223)  das  Schicksal 
und  die  Schuld  der  beiden  Erzbischöfe  (man  darf  hin- 
zusetzen: das  ganze  Detail  der  Begebenheiten)  als 
Ton  noteirgeordneter  Bedeutung  erklärt.  Gleichwohl 
luit  er  das  Detail  der  Gegenwart  zum  Hauptgegen- 
%taiid  seines  Buchs  gemacht,  und,  wie  er  sagt,  nur 
Betrachtungen  geringerer  Art  über  Einzelnes^  bestimmt 
Vorliegendes,  zu  entscheiden  dringend  Nöthiges  und 
^zn  Tcreinigen  Mögliches  hinzugefugt. 

Das  Geschichtliche,  in  Beziehung  sowohl  des  Erz- 
bischofs Yon  Cöln  als  auch  des  yon  Posen  ist  meist 
'ans  dfientlich  bekannt  gewordenen  urkundlichen  Dar- 
stellungen mit  Sorgfalt,  Ordnung  und  Klarheit  zusam- 
mengestellt)  nnd  es  ist  wenigstens  das  ehrenwertfae 
-Streben  ersichtlich,  ein  gegebenes  Versprechen  der 
Dnpartheilichkeit  zu  erfüllen.  Wenn  hier  und  da  eine 
ans  minder  zulässiger,  ans  unbekannter  Quelle,  ans 
blofö^r  Argumentation  entuonunene  Thatsache  einer 
Berichtigung  bedarf,  so  wird  ihr  das  zu  Theil  werden, 
«was  der  Verf.  selbst  wünscht  und  erwartet;  nnd  was 
die.  Unpartheilichkeit  betriflFt,  so  ist  zu  erinnern,  dafs 
iB  Oegenstädden  der  Religion  und  deren  Eingreifen  in 
das  Leben  und  die  Gesellschaft  kein  Mensch  und  in 
den  '  ehristlichen  Confessionsstreitigkeiten  kein  Christ 
yennßg,  den  ethischen  Standpunkt  einer  Yölligen  Un- 
partheilichkeit einzunehmen  —  und  die  vorliegenden 
Thatbestäade  sc  zuv  rechtlichen  Entscheidung  zu  zie- 


hen, dafs  es  einem  Richf^ransspruch  gleich  gelten 
kannte.  Mehr  oder  weniger  ist  alles  darüber  Verhan- 
delte Streitschrift,  nnd  nur  dadurch  wird  sich  eine 
quasi -uapartbeiische  Erörterung  von  einer  völlig  eii^ 
seitigen  Advokatenschrift  unterscheiden,  dafs  auch 
Blicke  auf  die  Lage  und  den  confessionellen  Stand 
des  Geyers  zu  dem  Zweck  hinübergesendeit  werden^ 
um  Momente 'seiner  Rechtfertigung  heraus  zu  finden, 
nnd  entweder  gelten  fcu  lassen  oder  zu  widerlegen. 
Ein  völliges  Versetzen  aber-  in  die  genetische  Kraft 
seines  inneren  Glaubens  kann  nicht,  geschehen,  ohne 
denselben  sich  selbst  so  anzueignen,  dafe  ein  änderet 
daneben  nicht  mehr  Platz  finden  kann«  Wer  diefs  nicht 
beherzigt,  kann  in  dem  Uebermaafs  der  Unpartheilich- 
keit leicht  in  den  entgegengesetzten  Fehler  der  Ünge- 
.recbtigkeit  'gegen  die  eigene  Parthei  Terfallen,  und 
auch  so  die  beabsichtigte  Stellung  verfehlen. 

Wie  der  hauptsächliche  Werth  der  an  sich  zei<> 
gemäfs  interessanten  Schrift  nach  des  Verfs.  eigener 
Absicht  in  der  mühsam  aus  viel  zerstreuten  Notizen 
gesammelten  rein  geschichtlichen  Darstellung  liegt,  so 
sehr  erscheint  der  Werth  der  Reflexionen  über  das 
Tbatsächliche  und  der  Ansicht  und  Vorschläge  fiber 
ergrifl^ene  und. zu  ergreifenge* Maafsregeln  als  ein  so- 
tergeordneter.  Es  liefs  sich  diefs  auch  nicht,  wohl  an- 
ders erwarten,  wenn  erwogen  wird,  dafs,  um  tiefer 
einzudringen  in  den  grofsen  «Gang  der  religiösen  und 
staatsrechtlichen  Entwickelung  und  zu  solchei^  Art  der 
Verarbeitung  der  Materialien,  es  euier  andern  als  „nur 
kleinen  Ferienarbeit"  bedarf;  und  dafs,  was  splcbe 
Entwickelung  in  dem  prenfsischen  Staate  betrifft,  wohl 
nur  dem  eine  .competeute  Stimme  beigemessen  wlrd^ 
welcher  ihm  selbst  rägehövt  und  ein  Leben  der  Erfah-' 
rung  und  eigenen  Anschauung  hinter  sich  hat.  Eine 
einzige  Lücke'  hierin,  wenn  auch  dem  sonst  acht- 
baren und  tüchtigen  Fremden  zu  verzeihen,  kann  dem 
ganzen  Bau  das  Fundainent  nehmen.  Der  Vf.  hat  in 
seinen  Betrachtungen  und  Vorschlägen  absichtlich  das 
vermeiden  zu  müssen  geglaubt,  „worüber  die  Mensch- 
heit seil  Jahrhunderten  nachgesonnen  hat  nnd  noch 
Jahrhunderte  nachsinnen  -wird,  den  Streit  des  Katho- 
licismus  und  Protestantismus,  des  Staates  nnd  der 
Krche  überhaupt^'*  und  er  ist  dadurch  9U  der  Ansiebt 
gezogen  worden,  dafs  es .  für  jetzt  nur  Noth  thüe,  zu 
temporisiren,  und  solche  Vorkehrungen,  ja  .Einlenkun-^ 
gen  vorzunehmen,   welche^  diejenige  Ruhe  in  de|i  äu- 


351 


Sa$s^  die  beÜen   ErziücAoJi, 


352 


^aehi  VarbältnitsoD  wieder  sa  gewinocn  und  binzuW- 
ten  gocigoet  seiee,  die  bis  dabiu  BtattgefiiDden  hat. 
Daran  kDüpft  sieb  freilich  die  se  yieifacb  auageapre- 
^eDe  Meinmig)  dafs  das-  Ereignifs  zu»  C$1d,  vo  die 
Streitigkeiteu  aUBgebrechen,  ein  beklagenswerfbes  sei. 
Wie  ganz  anders  aber  stellt  es  sieh  dar,  ^enu  man 
gerade-  den  h<^bem  Standpunkt  des  nnanflialtaanie& 
Vernichtangskampfes  der  diametraliscb  sieh  entgegen- 
gesetzten christlichen  Confessionen  einnimmt^  Da  kann 
nur  das  endliche  Ziel  der  Vereinignog  vorleuchteo,  da 
kann  eine  träge  uioderdeckende  Rohe  nicht  erwünscht 
seio,  da  kann  jede  neue  Anregung  fiir  die  kämpfende 
Zeit,  welches  Licht  oder  welcbeü  Schatten  auch  die 
Einzelnheiten  zeigen,  wenn  nur  die  Anregung  überhaupt 
kräftig  ist,  mit  niohten  beklagenswerth,  sondern  viel- 
mehr  in  derselben  Weise  im  loteresse  gegen  die 
päpstliche  Hierari^hie  ein  Glück,  eine  Gottesgabe  ge- 
nannt werden,  wie  Görres  in  seinem  Curial- Glaubens- 
Beruf  den  Triumpfgesang  anstimmt  über  das  Mifsge- 
sebiisk  seines  modernen  Atbanasius.  .Di^fs  durfte  aber 
«ucb  das  Einzige  sein,  worin  man,  im  Gebot  der  Ge- 
jgenseitigkeit,  einem  Görres  Recht  zusprechen  kann, 
phne  in  das  Lob  einzustimmen,  welches  ihm  hier,  wie 
•Ol  mancher  Orten  überschwenglich  gespendet  wird« 

üeberbaupt  ein  bemerkenswert  her  Beweis,  wie 
weit  der  Mangel  am  Erkennen,  Vertrauen  und  Hoch- 
stellen der  religiösen  Wahrheit  und  des  Wetens  der 
Sache  führen  kann,  ist  die  Entrüstung  gegen  den  Gör«* 
resacben  Aibanasins  und  gleiobzeitig  scheue  Lobprei- 
sung seines  Verfs.  Man  lälat  den  Gegnern  Gerech- 
tlgkett  widerfahren,  hält  sie  aber  der  gewaltigen,  was- 
serfallgleicben  Sprache  des  Vorfechters  des  Papstthums 
nicht  gewachsen.  Was  ist  damit  gesagt?  -—  Ist  Mar- 
lieineke's  würdige  Entwickelung  der  Wahrheit  nichts? 
Ist  jLao  und  Gutzkow,  nicht  geifselnd,  Ellendorff  nicht 
keuleaschlagend  genug,'  um  noch  den  Atbanasius  als 
ein  Volksbuch  (im  Unverständlichen  „der  Bibel"  ver- 
glichen, pag.  145)  fürchten  zu  müssen;  und  werden 
eich  die  Gegner  von  Gürres,  Ver.es  auch  sei,  gern 
seine  4,eb«[ibürtigen''  nennen  lassen?  Aber  die  Poesie, 
die.hinreifsende  Bildersprache,  wer  kann  ihm  die  ge- 
genUbevsf eilen !  In  der  That,  es  finden  ^ieb  (em  un- 
bewufBtes  Regen  des:  similia  similibus)  hin  und  wie- 


der Spuren,  der  Rade  einen  hSbern  Schwung  %n  ge* 
ben,  wenn  gegen  Görres  geschrieben  wird.  Aber  ist 
dazu  dar  eigentlicbe  wahre  Beruf  da?  Sind  daa  aach 
so  herrliche  Bilder,  bei  welchen  man  nacb  allem  Riib* 
men  des  Genius  doch  nicht  den  Aasdruck  des:  Elkel- 
erregens —  vergessen  darfj  und  es  gegen  gute  Sitte 
finden  inufs,  derglfiehen  auch  nur  als  Beispiele  nacb- 
zuspreohen*  Ein  prosaisches  Gleichnifs  anderer  Ait 
wäre  diefs;  dafs^-vrenn  ein  Meister  der  Pöaanne  in 
Wahnsinn  verfällt,  und  aüt  seinem  Instrument  im  wo- 
tbigon  Paröxjsmns  —  nicht  hinreifst,  sondern  Heiz 
nnd  Obren  zerreifst,  —  es  wohl  nicht .  ein  ähnliches 
Lärihen  sein  kann,  w^a  ihn^  und  die  Umgebiing  zar 
Ordnung  und  Ruhe  bringen  solL  —  „Sollten  (p*  132} 
Katholiken  nachfragen,  ob  der  Protestantismus  auch 
wohl  dergleichen  Schriften  (wie  der  Atbanasius)  habe?" 
so  wollen  wir  doch  nicht  antworten:  „Er  hat  sie  noch 
viel  gewaltiger,  lest  nur  etwa  Luther's  Schrift  an  dca 
cbristiicben  Adel  deutscher  Nation,"  Diese  Schrifl^ 
wo  einen  das  Gefühl  der  Klarheit  und  der  ewigca 
Wahrheit  durch  alle  Derbheiten  hindurch  begleitel^ 
und  dieselben,  wo  nicht  immer  rechtfertigt,  doch  me> 
tivirt  und  eutschuldigt,  —  würde  selbst  als  materiel- 
ler Gegensatz,  herabgewürdigt  scin^  wenn  man  auch 
nur  hiDsichts  des  Effects  sie  mit  einem  Gorrea'achen 
Athanasius  in  Vergleich  stellen  wollte. 

Uebrigeas  gehört  Luther  einer  ganz  andern  Zeit 
an,  einer  Zeit,  die  das  ihrigb  gethan  und  der  Foit- 
schreitong  hingegeben  hat,  und  nicht  wiederkehrt.  Wir 
haben  es  jetzt  nicht  wie  damals  mit  einer  einzijgen  eaU 
arteten  Confessiou  zu  thun,  aus  welcher  erst-  die  reh 
nere  d^  Evangeliums  erobert  werden  mufste.  Letz- 
tere, unser  evangelischer  Glaube,  ist  in  die  oonfesaio- 
u^lle  Wirklichkeit  getreten,  und  steht  thatsachlieh, 
und  so  in  eigener  Kraft  der  unbesiegbaren  Wahrheit 
da,  dafs  er  der  Hülfe  des  einzelnen  Mannes  nicht  mehr 
bedarf,  um  im  alleinigen  Bunde  mit  der  schaffendca 
Zeit  zum  Ziele  der  Reformationsvollendung  fortso- 
scbreiten.  Wir,  die  eyangelischen  Giaubensgenoaaeo, 
haben  nichts  weiter  zu  thun,  als  uns  selbst  nur  tiea 
zu  bleiben  und  im  öffentlichen  wie  im  Privatleben  nvr 
,8o  zu  verfahren,  wie  unser  Ghinbe  gebietet  $  und  d|us 
ist  Ji^t  und  duldsam  zugleich. 


(Der  Beschlafs  folgt.) 


wissen 


vi?  4ö. 

J  a  h  r  b  fi  c  h  e 

tut 

Schaft  lieh 


e    Kritik. 


September  1839. 


Die  beiden  Srzbischöfe.  Min  Fragment  a$is  der 
ne9$e$ten  Kürchengesckichte  y  von  Dr.  Karl 
Ha$e. 

(Schlufs.) 

Bd  der  weDigstens  aus  den  Tbatsachen  conse- 
qaent  gebaltenen  Charakteristik  des  Erzbiscbofs  Dro- 
Bte  nnd  den  Betraobtaogen  über  dessen  Zurecbauags-^ 
fahigkeit  hat  den  Verf.  eio  richtiges  Gefühl  der  ün- 
parthöilicbkeit  dahin  -geleitet,  dafs  die  unbedentende 
Person  des  Mannes  getrennt  gebalten  werdeo '  mufs 
Ton  der  bedeutenderen  des  Erzbischofs,  und  dafs  was 
jenem  nach  dem  Moralprinzip  —  selbst  Wortuntreue 
— -  zum  Yorwrirf  gereicht^  diesem  den  Segen  der  Kir- 
die  bis  zur  Heiligsprechung  erwerben  kann ;  dafs  auch 
selbst  bei  der  veitlich-rechtlichen  Beortbeilung  der 
ftufsem  Handlungen  dieser  Conflict  doppelter  Persön- 
lichkeit zur  Milderung,  wo  nicht  zur  Entschuldigung 
dienen  mufo.  Viel  gröfser  indessen  ist  der  Schatten, 
der  auf  den  menspblichen  Charakter  fallt,  wenn,  was 
mehr  hiilte  herausgehoben  werden  können,  die  katho- 
lischer Seita  yerbreitete  Voraussetzung  eine  falsche 
ist,^alfl  hätte  der  Freih.  yon  Droste  die  Instruction  yon 
1831  nur  in  so  weit  angenommen,  als  sie  mit  dem 
päpstlichen Breve  übereinstimme;  da  er  doch  yielmebr^ 
sei  es  in  wahrer  oder .  in  nachträglich  Torgespiegelter 
Unwissenheit  und  Uebereilung,  jene  Debereinstimmung 
als  ein  Factum  aufgestellt,  also  anerkannt, '  und  die 
Annahme  unbedingt  erklärt  hatte. 

Es  ist  so  etwas  Gewöhnliches,  die  Religionen  im 
Staate  -—  die  verschiedenen  Confessionen  —  als  ideale 
Rechtspersonen  aufzustellen,  was  sie  doch  nicht  sind 
und  nicht  sein  können. '  Diefs  führt '  auf  die  falschen 
WegBy  einen  Ciyilstaat  gänzlich  yon  einem  kirchlichen 
zu  trennen,  Berechtigungen  und  Verpflichtungen  der  Con« 
fessionen  dem  Staat  gegenüber  oder  anderen  Confes- 
sionen gegenüber  anzunehmen,  und  dem  Staat  als  höch- 
Jahrb.  f.  wüienteh.  Kritik.   J.  1839.  11.  Bd. 


4 

ste  Unpartheilichkeit  eine  yöllige  Irreligiosität  znzu- 
muthen*  So  entwickelt,  nährt  nnd  yerwirrt  sich  frei- 
lich der  ewige  Conflict  der  Anmafsungen  und  Zuge- 
ständnisse $  welcher  nur  durch  das  Wahre  der  Sache 
gelähmt  und  früh  odeir  spät  beseitigt  Werden  kann, 
dafs  der  Staat  in  positiven  Rechten  es  nicht  mit  den 
Confessionen,  sondern  mit  den  Unterthanen,  .den  Ein- 
seinen, oder  den  äufserlioA  abgegrenzten  Gemeinden^ 
zu  thun  und  nur  in  nnd  mit  dicTsen  die  Confe^ionsver- 
hältnisse  in  Betracht  zu  nahmen  hat;  —  dafs  wenig- 
stens ein  monarchischer  Staat  wie  Preufsen,  wo  sieb 
die  .weltliche  Gewalt  in  einem  einzigen  Oberhaupte  yer:- 
einigt,  eben  so  wenig  religiös-partbeilos  sein  kann,  als 
das  Individuum,  und  dafs,  wenn  nur  von  den  Grund? 
Sätzen  der  Religion  des  evangelischen  Herrschers  aus, 
d.  b.  yon  der  herrschenden  Staatsreligion  aus,  regiert 
wird,  der  Grad  der  nnpartheiischen  Gerechtigkeit  itt 
dem  Staatsschutz  oder  der  Duldung  anderer  Confes- 
sionen wird  erreicht  sein,  welcher  nur  immer  mit  dem 
Wohl  eines  evangelischen .  Staates  sich  verträgt ;  und 
ein  Mehreres  kann  und  soll  nicht  erwartet  werden* 

Nicht  einverstanden  also  kann  man  sein,  wenn  (p. 
V  des  Vorworts)  der  Katholicismus  •—  auch  an  sich 
etwas  unverständlich  <—  „eine  unlengbaVe  .und  durch 
.  den  Glauben  jon  Millionen  berechtigte  Thatta&he^^ 
genannt  wird,  welche  ein  protestantischer  Staat  aner- 
kennen müsse j  und  hiermit  nicht  wohl  zu  vereinigen 
ist  es  wieder,  wenn  gleich  im  Eingang  der  Schrift; 
selbst  bemerkt  wird,  seit  dem  Untergang  der  geistli- 
chen Fürstenthümer  habe  es  in  Deutschland  keinen 
ausschliefslicb  katholischen  Staat  gegeben,  und  als 
Regel  gelte  die  gleiche  Berechtigung  der  katholischen 
und  evangelischen  Kirche.  Was  soll  nun  noch  (p.  9) 
durch  den  Ausdruck:  weeentlich  protestantiicher 
Staat  angedeutet  werden!. —  Doch  immer  nichts  an- 
ders als  das,  was  nicht  umgangen  werden  kann  und 
nicht  verschleiert  zu  werden  braucht :  ein  Staat,  wol- 

43 


355  HoMi   die  MJen  £rziueA3ßt. 

eher  die  protestantische  (eTangelnebe)  ReUgion  sa  sei-  dem  rein  Weltlichen  «cheidet,  oder  wo  beiden  in  da 

Der  herrschenden  gemacht  hat,  —  ein  allein  und  aus*  äiifsern  Erscheinung  einen   gemeinschaftlichen  nnthtit 

schiiefslich  protestantischer  (eyangelischer)  Staat.  Das  baren  Boden  hat.    Diefs  kann  nur  durch   eigene  Er^ 

ist  verschieden  von  dem,  vas  das  Land  ist.    Preufien  kenntniOs  und  Machtvollkommenheit  gehandhabt^  moht 

ist  ein  evangelischer  Staat  mit  einem  gemischt  evan*'  aber  durch  Staats« Verträge  für.  ewig  bindend«  Zeiten 

gelischen  und  katholischen  Land.    Sachsen  z»  B.  ist^  geordnet  werden;  —  mid  wenn  (p.  6)  die  päpstliche 


weil  die  Souverainetät  constitutionsipäfsig  beschränkt 
und  insbesondere  das  jus,  circa  sacra  evangelicorum 
in  andere  Hand  gelegt  ist,  ein  überwiegend  evangeli- 
scher, zum  Theil  auch  katholischer  Staat  mit  eben  so 
gemischtem  Land.  Eine  bedeutende  Verschiedenheit 
der  Verhältnisse  in  der  Verwaltungsweise  beider  Staa- 
ten mufs  sich  hieraus  ableiten  und  erklären. 

Weiter  soll  nun  der  Ordnung  des  Buches  selbst 
gefolgt  werden,  um  das  noch  zum  Theil  als  Belag- 
stQcke  des  Vorausgeschickten  kürzlich  anzudeuten,  was 
bei  aufmerksamer  Durchlesung  desselben  bemerkens- 
werth  erschienen. 

P.  5.  „Gesetzlich  galt  (in  den  rheinischen  und 
westpbälischen  Provinzen)  für  die  Kirchenverfassung 
noch 'das  französische  Concordat  von  1801  u.  s.w.''  — 
Diefs  würde  schon  da  nicht  passen,  w6  —  z.  B.  in 
dem  Herzogthum  Westphalen  —  die  französischen  Ge- 
setze niemals  gegolten  haben;- aber  überhaupt  auch  ist 
in  der  CivilverwaltuDg  der  religiösen  Verbältnisse  (die 
interimistisch  noch  bestehenden  JudenverfassuDgen  aus- 
genommen) niemals  einer  örtlich-legislatorischen  Ver- 
schiedenheit statt  gegeben  ^E^orden. 

Pag.  5.  —  wird  auch,  der  Hemmungen  gedacht,  wel- 
che die  diplomatischen  Verhandlungen  mit  dem  römi- 
schen Stuhle  erfahren,  und  welche,  -—  „um  sicher  ge- 
gen jeden  innem  Gegensatz  den  politischen  Zweck  zu 
erreichen,**  —  leicht  und  schnell  durch  die  dem  Staats- 
Kanzler  in  den  Mund  gelegten  Worte  beseitigt  wurden. 
Die  Schwierigkeiten  aber  liegen  in   dem   Wesen   der 


Bulle:  de  aalute  animarum  —  ein  Vertrag  genannt  wird, 
so  widersprechen  wir  dem,  nnd  legen  einzig  und  aUem 
der  Königlichen  Sanctioa  die  Wirkung  eines  einseiti- 
gen innem  Landesgesetzoa  bei,  wodurch  indessen  anek 
das  Fortschreiten  der  Leg^lation  nicht  .geht|idinrt>w«rd« 
Pag.  7.  —  wird  auf  den  ReichsdeputatioBsbaopt* 
sohlufs  Bezug  genommen  und  daraus  den  Rheinländern 
im  allgemeinen,  d.  h.  der  römisch-katholischen  Kirche 
in  ier  Rheinprovinz,  irgend  ein  Recht  auf  di6  I&ngat 
unter  der  Zwischenherrschaft  eingezogenen  Kirchengi- 
ter  und  Schulfonds  eingeräumt.  Dem  kann  nur  nacb 
den  Grundsätzen  des  Staats-  und  Völkerrechts  und 
selbst  nach  allen  Regeln  des  bürgerlichen  Gesetzes  wk 
dersprochen  werden.  Soll  aber  das  Recht  filr  Billig- 
keit gelten,  so  fallt  diefs  der  Verwaltung  anheim,  wet* 
che  stets  würdig  und  zeitgemäfs  fortschreiten  mufs. 

Sehr  gut  und  wahr  ist  es,  und  die  (p.  227)  gefio* 
fserte  Furcht  vor  vermeintlich  kühnem  und  gefahrvol- 
lem Weg  zu  einem  katholischen  Schisma  leicht  besei- 
tigend, was  (p.  8)  zur  Unterscheidung  des  romanischen 
nnd  des^nationalenKatholicismus  gesagt; —  nicht  nbel 
auch,  was  (p.  14)  über  die  Motive  der  Wahl  des  neuea 
Erzbischofs  gemuthmafst  wird ;  —  aber  gewagt,  beson- 
ders in  Verbindung  mit  dem,  was .  (p.  226)  in  Bemg 
auf  unsern  Kronprinzen  sich  geäufsert  findet. 

.  P.  60  u.  s.  w.  —  werden  die  Verhandlungen  wegeo 
des  Zusammenhangs  des  päpstlichen  Breve  in  Betreff 
der  gemischten  Ehe  und  der  darauf  erfolgten  InstraO' 
tion,   defsgleichen  wegen  des  Widerrufs  des  Biddiofii 


Sache,  die  kein  Wort  nnd  kern  Vertrag  je  ändern  kann. '   Hemmer  vorgetragen.    Diefs  alles  sind  schwache  Sei- 


Wenn  gesagt  sein  soll:  Alles  was  die  Kirche  betriflFit, 
iiberläfst  der  König  dem  Papst  —  so  wäre  entweder 
das  ganze,  seinei:  Natur  nach  doch  unveräufserliche, 
landesherrliche  ins  circa  sacra  hingegeben,  oder,  da 
der  Staätsscbutr  der  römisch-katholischen  Religion  und 
die  Glaubens-  und  Gewissensfreiheit  nicht  in  Zweifel 
steht,  es  wäre  etwas  gei^agt,  was  auch  heute  nicht  und 
niemals  bestritten  wird,  die  Schwierigkeiten  aber  nicht 
hebt,  da  alle  Streitigkeiten  eben  nur  die  Grenzen  be- 
treffen, wo  das' rein  Kirchliche  und  Geistige  sich  von 


ten,  welche  als  Nebensachen  von  der  gewaltigen  Ma- 
terie der  Hauptsache  verschlungen  werden  mögen;  und 
nur  beweisen,  dafs  Religionssachen  und  Diplomatie 
sich  schlecht  vertragen.  ^ 

Den  Hermesschen  Streitigkeiten  ,wird  (p.  71 — 99) 
ein  eigenes  Kapitel  gewidmet,  welches  ein  zur  allge- 
meinen Kenntnifs  vollständiges  und  treues  BHd  ge* 
währt.«  Ist  den  Lehrern  zu  Bonn  von  Staatswegen  ver* 
boten  worden,  den  Namen:  Hermes  «—  zu  nennen,  so 
war  es  ein  Mifsgriff;  und  haben  die  Lehrer  gleichwohl 


897 


Hßte^   4ie   6Hdm   ErsM$eA8jk 


fbrtgeft&reii)  seine  AnsiprBche  vorzutragen,  und  tfür 
seinem  Namen  die  Bezeichnoog :  —  »»der  grofse  Den- 
ker'' —  substitiiirt^  so  sind  sie  irenigstens  in  dieser 
Mattier  dem  Girialwesen  nicht  abtrünnig,  geworden/ 

Pag.  100  —  wird  erzählt,  dem  Erzbischöf  Droste 
sei  ftir  den  Fall  freiwilligen  Rücktritts  sein  Teiles  Ge- 
halt, 12000  Thlr« ,  als-  Rahegebalt  zugesagt  worden, 
wroranf  er  geantwortet:  ^—  ,,Ich  will  lieber  vom  Almo- 
seil  der  (Slaobigen  leben  wie  die  alten  Bischöfe,  und 
meine  Pflicht  erfüllen/'  —  Wenn  hinzugefügt  wird,  dafo 
die  Quelle  nioht  sicher  sei,  so  war  um  so  weniger  Grund 
Torhanden«  die  Sache  selbst  für  wahrscheinlich  zu 
erklären.    ' 

Eben  so  wenig  spricht  auch  daAir  die  innere  Wahr- 
seheinliohkeit,  dafs  (p.  104)  ein  Ausruf  des  Erzbischofs 
bei  deiner  Abführung:  —  9,G(^tt  sei  Dank!  ttnn  geschiebt 
Gewalt**  —  hatte  unbeachtet  bleiben  kdnnen,< 

Ueberhaupt  beruht  es  auf  Mangel  an  scharfer  Un- 
terscheidung und  richtiger  Beachtung  der  weltlichen  und 
rein  kirchlichen  Macht,  so  wie  auf  Unkenntnifs  des 
Prenfsiscben  allgememen  Justiz-  und  Verwalttings-Orga- 
nisuiss,  wenn  man  in  so  vielen  Schriften,  und  auch  in 
der  Yorliegenden  vielfach  wiederholt,  Beklagen  und  Be- 
denken erhoben  findet,  dafs  der  Erzbischof  von  Cola 
gewaltsam  entsetzt  worden,  und  in  Gefangenschaft  ge- 
halten werde,  ohne  ihn  Tor  Gericht  zu  stellen;  und 
dafs  bei  gleichen  Verhältnissen  ein  ungleiches  Verfah- 
ren hinsichfs  des  Erzbischofs  von^  Posen  beobachtet 
werde.  CKe  Rechtsform  verletzend  ist  keiner  von  bei- 
den Erzbischdfen  behandelt  worden,  rücksichtsvoll  aber 
wunden  es  beide,  und  mit  sehr  bedeutender  Anwendung 
des  in  der  Hand  der  höchstta  Staatsgewalt  ruhenden, 
nach  Art  und  Grenze  keiner  Discnssion  unterliegenden 
Begnadigungs-Rechtes.  Danach  hat  jeder  der  beiden 
Ersbis<$höfe  das,  was  ihn  bis  jetzt  betroffen  hat,  nach  ei- 
gener ihm  sorgsam  verstatteter  Wahl  —  auf  Seiten 
des  Staats  in' gebieterischer  Consequenz  und  Noth wen- 
digkeit -*  herbeigeführt,  —  übereinstimmend  das  Re- 
sultat, dafs,  indem  sie  sich  nicht  dazu  verstehen  woll- 
ten, ihr  geistliches  Amt  mit  dem  Staatswohl  vertrag- 
lich auszuüben,  die  oberste  Stsatsgewalt  ihnen  die  Aus- 
ibnng  desselben  ^  uHberükrend  ihre  kirchliche  Digni- 
tat  —  nicht  ^ter  geitatten  durfte,  und,  no  weit  sie 
nieht  persönlich  Garantie  oder  auch  nur  Versprechen 
kisten  wollten,  sich  der  Amtsaüsübung  zu  enthalten, 
dieselbe,  sei  es  im  Wege  der  Siraf-Justiz  oder  nur  im 


staatspolizeilichen  Bxecutiv-Wege,  namSgli^A  machen 
mufste.  Wenn  und  wo  auch  letzteres  nicht  anders  als 
mit  physischer  Freiheitsbeschränkung  geschehen  konnte 
so  wird  in  der  That  dieses  doch  unrichtig,  wenigstens 
uneigentlich,  im  Sinne  der  innem  Rechtspflege  eine  Ge- 
fangenschaft genannt,  und  es  kann  dem.  nicht  so  leicht- 
hin widersprochen  werden,  wie  es  (p.  150)  gesdiieht.. 

Gl^cherweise  erfordert  es  eine  in  die  Begrenflmg 
und  Vereinigung  der  kirchlichen  und  weltlichen  Rechte 
viel  tiefer  eingehende  Beleuchtung  als  die  ist,  mit  wel- 
cher der  Verf.  in  der  Verurung-  seines  Strebens  nach 
Unpurtheilichkeit  nicht  Anstand  nimmt,'  der  Prenfsiscben 
Regierung  den  Vorwurf  der  Nichtgrofsmüthigkeit  (p. 
144)  und  der  Wortuntreue  (p.  193)  zu  machen» 

Preufsen  ist,  wie  man  es  betrachten  mag^  die  rein- 
ste Monarchie  der  cliristlich-civilisirten  Welt ;  der  ganze 
Organismus  aller  Verwaltungszweige  geht  aus  dem 
stets  freien  Willen  des  königlichen  Oberhauptes  her- 
vor $  und  es  kann  dem  wahren  Patrioten  nur  anstdfsig 
sein,  wenn  er' (p.  120)  lies^t:  — '  ,^^e^fsen  ist,  ab- 
stract  (I)  betrachtet,  eine  unbeschränkte  Monarchie, 
eher  bekanntlich  hat  sich  der  königliche  Wille  nach 
einer  sdion  vor  Jahrhunderten  begonnenen  Bildung  mehr 
und  mehr  in  einer  Reihe  rechtsbeständiger  Institutio- 
nen begrenzt,  welche  im  wesentlichen .(')  ^^^  '^  ^^^t 
stehen,  als  ii^nd  eine  liberale  Constitution  (1).  Nächst 
diesen  Rechtsformen  stehen  dermalen  in  Berlin  einige 
Lebensansiohten,,  Systeme  und  ausgezeichnete  Indivi- 
dualitäten neben  und  theilweise  wider  einander,  welche^ 
bald  jede  in  ihrem  angewiesenen  Bereiche,  bald  einan-» 
der  gegenseitig  bedingend  und  vermittelnd,  dasjenfge 
vollbringen,'  was  man  so  in's  Allgemeine  bin  die  Re- 
gierung nennt." 

Was  will  insi^esondere  auch  der  letzte  Satz  be- 
deuten, und  wie  pafst  das :  „dermalen  f *'  Sind  das  nicht 
vielmehr  Erscheinungen,  welche  zu  allen  Zeiten  und 
bei  allen  Regierungs-Fonnen  vorkommen  und  vorkom- 
men müssen,  so  lange  ein  menschlicher  Geist  nicht  mit 
Allwissenheit  und  .Allmacht  an  das  Ruder  treten 
kann!  — 

Wenn  (p.  125)  ein  nach  den  unruhigen  Auftritten 
zu  Münster  in  Umlauf  gekommenes  Geschichtchen  er- 
zählt wird,  dafs  ein  vom  dortigen  MiUtair  bedrängter 
Tumultuant  zu  seiner  augenblicklichen  Verschonung 
sioh  erboten  habe,  evangelisch  zu  werden;  so  hätte, 
um  ^,den    ernsten  Blick**    in   die  Volksstimmung  zu 


359 


Hau^  die  beiden   Eii^iiehSfe. 


bericfatigen ,  vohl  auch  der  Zntats'  gemaolit  verdea 
k^ooen;  dafs  der  treue  Soldat  bei  fortgesetzter  Hand- 
habung der'  öffentlichen  Ordnung  erwidert  haben  soll: 
er  sei  selbst  ein  Katholik. 

\  Der  Sats:  (p.  130)  ,^da8  mächtigste  Mittel  der 
Geistlichkeit,  auf  die  Gemüther  zu  virKen,  der  Ueicht- 
stuhl,  liej^  jenseits,  alle^  Polizei  und  aller  Gerichte" — 
ist  nur  i^ahr,  wenn  Beichtvater  und  Beichtkind  in  Ge- 
sinnung und  Handlung  Töllig  einig  sind,  und  ihr»Ge- 
beimnih,  sorgfältig  bewahren.  Tritt  dasselbe  aber 
-Irgendwie  an  den  Tag»  so  ist  es  dem  Gesetz  und  nach 
den  Umständen  dem  polizeilich  administrativen  oder 
dem  richterlichen  Verfahren  anheim  gegeben ;  und  es 
ist  wohl  zu  merken,  dafs  unsere  Gesetze  (allg.  Land- 
Recht  TIk  U.  Tit.  l\.  §§.  8(K-82)  bei  aller  Achtung 
des  Beichtgeheimnisses  doch  selbst  von  dem  Priester 
die  amtliche 'Anzeige  da  fordern,  wo  ^s  darauf  an- 
kommtp  eine  dem  Staat  drohende  Gefahr  abzuwenden, 
oder  em  Verbrec&en  zu  verhüten,  oder  den  schädli- 
chen Folgen  eines  schon  begangenen  Verbrechens  ab- 
zuhelfen, oder  ihnen  vorzubeugen.  Ein  Geistlicher  also, 
welcher  auch  diese  Pflicht  gegen  den  Staat  und  das 
Cresetz'  aus  den  Augen  setzt,  darf  nicht  durchaus  sei- 
nem Geheimnifs  vertrauen  und  sich  darum  der  Beru- 
higung hingeben,  hat  vielmehr  Amtsentsetzun^  und 
doppelte  Ahndung  zu  erwarten,  wenn  sein  Vertahren 
im  Beichtstuhl  durch  andere  Betheiligte,  ja  vielleicht 
selbst  durch  andere  ffesetzestreoe  Geistliche  zur  Kennt- 
uifs  der  weltlichen  Obriffkeit  gebracht  wird. 

Was  (p.  225)  der  Verf.  i»  gerechter  Würdigung 
der  Verdienste  unseres  Königs  um  Staat  und  Kirche 
tinftthrt,  wer  mäfste  ihm  hierin  nicht  von  Herzen  Bei- 
fall geben;  —  er  fugt  aber  hinzu:  ,>ünd  was  hat  der 
König  daflir  gehabt?  Gerade  nach  der  Zeit  glorrei- 
cher Siege,  als  der  Staat  seine  liohe  Blüthe  entfaltete, 
erst  den  Agendenstreit,  ^ann  die  TVjdersetzlichkeiten 
4er  Alt- Lutheraner,,  nun,  näher  dem  Feierabende  sei- 
nes ruhmgekrönten  Lebens,  den  .katholischen  Streit.'^ 

—  Was  unser  König  dafür  gehabt  bat^  dafs  er,   ein 
.  wahrhaft  christliches   Haupt,   zur  Duldung  und  Verei- 
nigung der  Confessionen  strebt  und  wirfst,  so  rein  im 
Geist  des  ETangeliums  wie  \es  vordem  nie  geschehen ; 

—  was  er  dafür  gehabt  hat? —  so  ist  die  I<  rage  nicht 
zu  stellen.'  Was  er  dafür  hat  und  haben  wirdi  —  So 
ist  sio  leicht  zu  beantworten,  und  von  Jahrhundert  zu 
Jahrhundert  -wird  sich  die  Antwort  in  wachsender  Kraft 
wiederholen. 

Bei  der  auch  in  der  vorliegenden  Schrift  aufgefafsi- 
ten  Tendenz,  nur  temporairen  Frieden  zu  stiften,  und 
die  Sache  in  die  zweitelhaft  ruhige  Lage  zurückzufüh- 
ren, worin  sie  sich  vor  dem  erhouencn  Streite  befand, 
konnte  es  nielit  fehlen,  dafs  hiezu  auch  solche  Vor- 
schläge gemacht  wurden,  welche  sich  mit  dem  nicht 
▼ertragen,  was,  tief  begründet  in  dem  Wesen  der 
Staats-  und  Kirchenverhältuisse,  eine  feste  *^'orm  für 
^IJle  Zeiten  scdn  soll.  —  Es  ist  hier  nicht  der  Ort, 
diefs  weiter  auszuführen;  daher  nur  Folgeudes: 


P.  231  werden  in  Besug  auf  geniisdite  Ehamy 
zwei  Gegensätze  an|[;enommen:  entweder  sie  gäniU 
zu  verbieten,  oder  sie  zu  gestatten  und  dann  auch  toi 
Staatswegen  i^afur  zu  sorgen,  dafs  sie  kireblich  oitii 
delhaft  bestehen  können.  Die  Wahrheit  aber  littt  k 
der  Milte«  Gänzliches  Verbot  ist  eben  so  noaimk> 
bar,  als  aus  weltlicher  Macht  jedes  schwache  Geiii* 
sen  in  Curatel  zu  nehmen ;  daher  lasse  es  die  Staate 

1;ewalt  dabei  bewenden,  den-  gemischten  Ehen  bfiigcN 
iche  Gültigkeit  tu  gewähren,  und  die  GewisBen  m 
80 '  viel  als  es  sich  ohne  allgemeinen  Glaubeowraiif 
thun  läfst,  gegen  aufregende  Beängätigung  zu  tie^ 
schützeil. 

Was  die,  Kindererziebung- betrifft  (p.  236 11.1. w.]^ 
so  hat  die  unrichtige  Idee:  eine  Religion,  eineCoöf» 
sion,  eine  Kirche  in  genere  sei  etwas  einer  joristisditt 
Person  Gleiches,  welcher  Ansprüche  und  Rechte  » 
stehen,  und  Pflichten  ^egen  andere  obliegen  kSoiHSy 
zu  der  eben  so  unrichtigen  Meinung  geführt,  als  sein 
Kinder  der  Religion  der  Eltern  verpfändet,  ond  all 
könne  und  müsse  bei  einem  Conflict  solcher  auch  m^ 
erst  in  Aussicht  liegender  Ansprüche  der  Kircbes  m 
rechtliche  Ausgleichung  vorgenouimen  werden.  Dm 
Wahre  ist,  dafs  jede.r  Mensch  einer  bestimuiten  M 
^ion  nur  aus  eigener  Erkenntnifs  und  aus  eigeocs 
Willen  angehören  kann,  und  bis  dieser  im  Stande  Ü^ 
sich  geltend  zu  machen,  der  Staat  nur  darauf  zs  w 
faen  hat,  dafs  bei  der  i^rziebung  nichts  geschehe,  in 
den  in  ihm  als  herrschend  oder  als  geschützt  li^i 
stehenden  Confessionen  im  Allgemeinen  widerstretar 
würde. 

Gut  und  richtig  ist  es,  was  (o.  246,  247)  hifliieUi 
.der  päpstlichen  Verordnungen  über  die  P'ublicatioi» 
weise  und  über  das  landesherrliche  Placet  gesagt  viii 
Nur  auf  die*  Bemerkung:  „die  Krone  Preufsea  kai 
sich  getrost  darauf  berufen,  dafs,  so  ÜEinge  nodi  irgcil 
ein  streng  katholischer  Staat,  namentlich  Oesterrdck 
dieses  Placet  für  ein  nothwendiges  iStaatsrecbt  achtel 
es  nicht  aufgegeben  werden  könne**  —  mTSgte  man  ö^ 
widern,  dafs  solche  firklärung  das  auf  seinen' eigdtt 
FüTsen  stehende  Prenfseu  wohl  nie  zu  geben  sich  fl^ 
anlafst  finden  wird. 

Wenn  endlich  (p.  250)  die  Errichtung  eines  p' 
mischt  geistlichen  und  welth'chen  hohen  Rirchesg^ 
richtshofes  empfohlen  wird,  um  einen  unpartheiisoMi 
Rechtsspruch  in  letzter  Instanz  zu  erlangen,  ,}V0  k 
Regierung  wegen  Verletzung  eines  Staatsgesetzes  klaci; 
d  der  Bischof  sich  auf  eine   kirchliche  Amfspfli^ 


uu 


beruft'*  —  so  wollen  wir  doch  ja  lieber  an  unserer  k^ 
atehenden  Verfassung  halten,  und  nur  stets. darauf  k^ 
dacht  sein,  dafs  da,  wo  das  rein  Kirchliche  und  dtf 
rein  Weltliche  sich  trennen  läfst,  jenes  den  geistlieta 
Oberen  überlassen,  da  aber,  wo  diefs  nicht  gcscbiej 
kann,  nur  das  weltliche  Gesetz  vor  dem  für  Allo  gi^ 
geordneten  Richter  geltend  gemacht  werde; 

U  Wolfart. 


^  46. 

Jahrbücher 

f  ü  r      ^ 


wissenschaftliche   Kritik 


September  1839* 


XXI. 


JDie  Wissenschaft  der  römischen  Rechtsgeschichte 
im  Grundrisse.  Von  D.  J.  Christiansen^ 
Privatdocenten  an  der  Universität  zu  Kiel. 
Erster  Band.   J/toita,  1838.  bei  Hammerich.  8. 

Sehr  mit  Unrecht  wärde  man  bei  der  Beurtheilnng 
des  Torliegenden  Werke    euie  beliebte  ReceBfieDteii- 
floakel  gebmachen,  es  fülle  eioe  Lüeke  in  der  Litern- 
tar  ans  \  es  ist  eine  za  neue  eigenthümliche  ErBchei- 
SQOg,  als  dafs  es  %vm  Lückenbäfser  tauge.    Der  Verf. 
konnte  deshalb  erwarten,  daCs  er  starken  Widerspruch 
finden  wurde,  besonders  bei  denen,  die  das  gute  Alte 
als   solches  hoch   in  Ehren  -  halten.    Er  spricht  sich 
auch  eigends  darüber  ans  in  einer  Vorrede,   die  gar 
sehr  eriqnert  an  Shjloks :  There  is  no  power  in  tfae  ^ 
fonque  of  men  to  alter  nie.    Hr.  Chr.  wird. aber  nicht 
hri  den  bisherigen  Beurtheilungen  seines  Werks  aus- 
gerufen haben:  O  noble  judge!  Most  rightfol  judgel 
Die  Recensenten  haben   es  fär  ihre  Pflicht  gehalten, 
die  fibermiithigen  Tiraden  einer  nicht  feinen  Polemik 
n  perfaorresciren ;  mufsten  sie  aber  dabei  «tehen  blei- 
ben 1  Es  ist  em  kindliches  Vergnügen,  beim  Aufgang 
der  Sonne  nur  die  dunkeln  seltsam  geformten  Nebel- 
streifen  xu  betrachten,  die  der  Sonne  Glanx  noch  nicht 
bewiütigt  hat.    Dafs  das  vfNrliegende  \Yerk  glänzende 
Seiten  bat,  mflssen  die  Kundigen  wissen  und  selbst 
die  Unmündigen  ahnden,  Alle  aber  iterden  sebep,  dafs 
ea  Bchfrarze  Flecke  bat,  wunderlich  geformt  und  cnrios 
sa  aeben.    Sie  sind  ao  augenfällig,  dafs  es  einer  Hin- 
weisung auf  sie  für  keinen  Leser  bedarf:  denn  wer  in 
luodfichem  Sinn  sich  nur  an  ihnen  ergötzen  will,  für 
den  iat  das  iBHch  am  wenigsten  gesehrielben ;  die  Wis- 
Bens^baftsmänner  werden  nicht  mit  Wohlbehagen  bei 
iho«m  verweilen.    Referent  glaubt  der  Aufzählung  sol- 
eher  Aus  wachse  fiberboben  zu  sein,  da  schon  einige 
Recensenten  und  Ausrufer  dabei  ihre   besten  Kräifte 

Jmhrh.  f.  wmeMch.  KriHk.  J.  1B30.   II.  Bd. 


Tersehweudet  haben.    Es  ist  übrigens  nicht  zu  yerwun- 
dem,  dafs  Hi.  Chr.,  ein  denkender  Mann,  unzufrieden 
ist  mit  dem  Treiben  vieler  unsrer  Rechtshistoriker,  die 
das  Ansehn  haben,  als  hätten  sie  ein  Antiquitätenca- 
binet  zu  conserviren  und  zu  completiren,  in  welcheln 
die  Gegenstände  nur  in  ungefährer  Ordnung  nach  Jahr, 
hunderten  ihres  Alters  geordnet  sind,  ohne  eine  Ein- 
heit zu  bilden.    Der  Unwille  über  dieses  Treiben  an- 
fsert  sich  verschieden,  bei- Einigen  deprimirt  zu  ver- 
bissenem Aerger,  bei  Anderen,  wie  bei  Hrn.  Chr.,  sich 
Luft  machend  und  frei  und  derb  hervortretend,  wie  es 
Sitte  ist  der  Menschen,   die,   in  jugendlicher  Kraft, 
nicht  gelernt  haben,  die  Wunderlichkeiten  der  Welt 
au  ertragen.    Dafs  der  Verf.  sich  erhaben  fiililt^  man- 
nen  Rechtehistorikem  gegenüber,  die  diesen  Namen 
Bur.usurpirt    haben    und  Mikrologie   fär  historische 
Gründlichkeit   ausgeben,  Geschichte   und   Philosophie 
als  Gegensätze  bezeichnen,    ist  wol  begreiflich;    dafs 
eigner  Aussprueh   dieser  Erhabenheit   keinen   Beifall 
findet,  ist  bekannt.    Das'  unbegrenzte  Selbstvertrauen 
jedoch,  was  manche  Aeufserungen  des  Verfs.  zu  ver- 
rathen  scheinen,  zeigt   sich  nicht  sd  sehr  in  der  Aus- 
führung des  behandelten  Gegenstandes  \  der  Verf.  kennt 
zu  rechter  Zeit  den  Grundsatz,  den  man  am   wenig- 
sten bei  dem  Studium  der  alten  Geschichte  vergessen 
seilte:  bis  bieher  und  nicht  weiter!    Der  Forscher  in 
der  ältesten  Geschichte  Roms  wurde  wenig  historisches 
Talent  verrathen,  wenn  er  durch  seine  Untersuchun- 
gen ausgemachte  Wahrheiten  zu  erreichen  glaubte  und 
mehr  als  Hypothesen  zu  geben  wähnte.    Hr.  Chr.  wie- 
derholt diefs  nicht  auf  JMer  Seite,  spricht  es  aber  ent- 
schieden an  mehreren  Stellen  aus,  und  darnach   mufs 
man  manche  Parthieen  benrtheilen,  die  dem  .flüchtigen  ^ 
Betrachter  als  bodenlose  Hypothesen  erscheinen  wer- 
den.   Es  setzt  schon  nicht  geringe  Befähigung  voraus, 
Hypothesen  richtig  zn    beulrtheilen,    daher  finden  wir^ 
hier  eben  so  häußg  gänzliches  Verwerfen  als '  gänzli-  ' 

46 


1 


363 


C^riitianMefty  die  WüsemeAmfi  der  ramiiehen  Beehiegesekiehte. 


» 


öbed   Hiogeben    aB    unrechter  Statt*     Den   richtigeti 
Standpunkt  fiir  die  Beurtheilung  historiscber  Hjpotfae- 
sep  gibt  Hr.  Chr.  in  folgenden  Worten  an :  ^^Der  Werth 
einer    historischen  Hypothese   besteht  nicht   in  ihrer 
Verträglichlveit  mit  ihrer  unmittelharen  nächsten  Um- 
gebung; sie  kann  sich  allein  dadurch  legitimiren^  dafs 
sie  unbedingt  jede  Probe  aushält,  find  nirgends  sich 
ein  einziges  Hindernifs  dem  Fortschreiten  ihrer  noth- 
ireodigen  Conseqnenzen  in  den  Weg  stellly  denn  eine 
einzige  wirkliche  Unmöglichkeit  überwiegt  hier  hundert 
der  schönsten  Möglichkeiten.'*  Legen  wir,  wie  es  Pflicht 
ist,  diesen  Maafsstab  an  das  Toriiegende  Werk,  so  ist 
das  Resultat  nicht  ungünstig  für  den  Verf.,  denn  ein 
Hanptvorzug  desselben  ist  sicher  dife  Gonseqnenz  der 
Hypothesen  und  die  Darlegung  der  inneren  Nothwen- 
digkeit;   der  Verf.    ist  immer   bedacht    gewesen,    ein 
zusammenhängendes    geschlossenes   Ganze   zu  geben. 
Wenn  um  dieses  Ziel  zu  erreichen  uns  bisweilen  Ge« 
walt  angewendet  scheint,  so  ist  sehr  zu  beachten  der 
Zustand  der  Quellen  römischer  Geschichte  und  römi» 
sehen  Rechts,  über  den  ^  sich  neulich  ein  grofser  Jurist 
in  einer  Beziehung  ausgesprochen  hat.    Die  Mangel-* 
baftigkeit  und  Dürftigkeit  der  Quellen  zeigt  sich  aber 
nicht   so   sehr   in   der  Unvollständigkeit   des  Details, 
mehr  tritt  sie  hervor  in  dem  Deficit  alleü  historischen 
Seins,  besonders  bei  Dionys,  Halic,  Aßt  bei  seiner  Mi- 
krologie,  bei  seinem  sorgfältigen  Anreihen  der  Einzel- 
heiten nach  dem  äufseren  Causalnexus,  nie  die  yolks« 
thümliche  organische  Rechtsbildung    in  Rom   erkannt 
bat,  nie  verstanden  hat,  dafs  desselben  Geistes  Bewe- 
gung sich  zeigte,  wenn  der  römische  populus  wichtige 
Staatsfragen  entschied  und  wenn  die  Römer  das  Pri« 
Tatrecht  handhabten.    Er  hat  eine  Art  Pragmatie;  aber 
dem  Fufs  in  seiner  Bewegung  folgen,  heifst  noch  nicht 
wissen,  warum  der  Geist  den  Fufs  also  leite,  sagte  ein 
geistreicher  Mann  bei  ähnlicher  Gelegenheit.  Die  Schrift- 
steller röm.  Geschichte  zeigen  uns   eine  „verworrene 
Trümmermasse,"  ohne  uns  ein  Bild  zu  geben  vom  Ge- 
bäude in  seiner  Ganz-  und  Vielheit,  ohne  den  freien  schaf- 
fenden Geist  des  Baumeisters  zu  erkennen.    Bei  Män- 
geln der  genannten  Art  mufs  sich  das  Resultat  erge- 
ben, dafs  manche  Rechtsinstitute  sich  nicht  in  ihren 
Verzweigungen  erkenneu  lassen,  dafs  «ur  rechten  Zeit 
-mahche  Untersuchung  aufhören  mufs,  wenn  sie  nicht 
in   vage  Grübelei  ausarten   soll.    Das  Erste  und  das 


r 

ist  den  riebt  igen  Standpunkt  zu  den  TOrUegmdeQQiNli 
len  zu  wählen,   eben  darin  ^  zeigt  er  seine  Befabigiag, 
dadurch  richtet  er  sich  selbst.    Niebuhr.  hat  "neben  gr». 
fsen  anderen  Verdiensten  vorzüglich  das  durch  «du 
kritische  Geschichte  sich  erworben,  dafs  er  den  K4 
lerglauben  yerjagt  hat  und  es  ist  ein  trauriges  Zei* 
eben,  dafs  so  Viele'  nicht  diesem  Vorbilde  gefolgt  nod. 
Es  wäre  eine  „ruchlose  Vermessenheit"  gewesen,  wem 
in   vorniebuhrscher  Zeit  ein    Anderer  tou  den  alten 
Schriftstellern  gesprochen  hätte,  wie  Niebuhr:  „WoU 
dürfen  wir  denken,  dafs  unsre  Zeit,  treffender  als  di 
ihrige,  Fabel  von  Wirklichkeit  unterscheidet:  aochiit 
es  kein  vermessenes  Unternehmen  in  den  Erzählungoi 
der  Geschichtschreiber  erkennen  zu  wollen,  was  ihm 
Mifsverständnissen,    Vorurtheilen    oder   witlköhriiclier 
Darstellung  gehört,  was  urkundlich  ist"    Niebuhr  tat 
sein  Wort  durch  die  That  bewahrheitet;  zu]|^Ieich  leigt 
aber  auch  Niebubr's  Beispiel,  wie  grofs  diese  Aa%ik6 
der  Quellenkritik  ist, ,  denn  selbst  dieser  Meister  dec 
Geschichte  geräth  nicht  selten  in  Widerspruch  mit  siek 
selbst  bei  der  Beurtheilung  der  alten  Schriftsteller.  Hr. 
Chr.  hat  Vieles  von  Niebuhr  gelernt,  er  sucht  auch  w 
Niebuhr  vor   Allem  einen  festen  Standpunkt  fiir  & 
Beurtheilung  der  Quellen;  seip  Urtheii  über  die  Qaet 
len  der  politischen  Geschichte  Roms  und  der  Recfcti- 
g^schrchte  ist  noch  ungünstiger  als  Niebuhrs,  es  ist 
wol  das  härteste  Drtheil,  das  gesprochen  ist,  Absonü» 
täten  abgerechnet,  wie  sie  sich  z.  B.  finden  in  Müller^ 
„Ansicht  der  Geschichte."    Die  subjective  BeftbiguBg 
des  Hrn.   Chr.  zur  Behandlung   seines   Gegenstandes 
und  die  Ausführung  mufs  seine   Urtheile  über  G^os, 
Ulpian,   Gellius  u.  A.  richten  und  darauf  soll  unser 
Augenmerk  im  Folgenden  gerichtet  sein.    Manche  Pbi-' 
lologen  werden  ein  Kreuz  .  schlagen  ob   des  Unglao* 
bens  des  Verfs.,  allein  die  Philologen  müssen  schon 
deshalb  am  besten  einsehen,   dafs  nicht  Alles  Wahr- 
heit ist,  was  uns  4lie  alten  Schriftsteller  beriobteD)  '* 
sie   wissen,  wie  die  Alten  etjmologisiren  und  wie  m 
häufig  die  Etymologien  die .  alleinige  Basis  einsebtf 
Untersuchungen   sind,   die  dann   einem   Gebäude  asi 
Flugsand  gebaut  gleichen.    Im  Voraus  mufs  ich  hier 
bemerken,   dafs  Hr.  Chr.  unpassender  Weise  an  meb* 
reren  Stellen  als  vorläufigen  Beleg  für  die  „Shipi^ittt 
und  Ignoranz"  des  Gajus  u.A.  ein  und  dasselbe  Ber- 
spiel   vorführt,    die  Darste|llung  und  Vorstellttog  der 


Eine  aber,  das  ein  Geschichtsforscher  erstreben  mufs,.   alten  juristischen  Schriftsteller  tou  der  mancipatio 


.    Citri$tiim$eny  die  Wi$9en$eki^ 

iamit  gemiii  soflamnienliAogeDden  Dingen,  was  nm  so 
«Blassender  ist,  da  auf  diese  Gegenstände  sich  die 
Hauptonfersaehnng    des  Yerfs.   in   diesem   Theil  der 

bezieht.  Wenn  überhaopt  Hr.~  Chr. 
gelegentliche  Bemerleungen  fiir  nothwendig 
eraofatete,  so  hätte  er  andere  solche  Belege  wählen 
aolleb,  die  aof  den  ersten  Blick  schlagend  sind  und 
an  denen  es  nicht  fehlt 

TVie  der  Titel  dieser  tVÜMensehqft  der  Reobts- 
geadiichte  sich  durch  einen  wesentlichen  Zusatz  unter« 
aobeidet  von  denen  anderer  Werke  der  Art,  eben  so 
auch  das  ganze  Werk.  Die  allgemeine  Einleitung  ist 
ao  Commentar  zu  diesem  Titel.  Die  ReeAtswisM^n' 
9ekaft  hat  ihren  Ausgangspunkt  in  der  absoluten  Wis- 
senschaft der  Philosophie.  Die  Rechtsphilosophie  ist 
aäeh  Rechtsgescbichte  und  umgekehrt,  Rechtsphi- 
Josopbie  und  Rechtsgeschichte  haben  in  ^  ihrer  Ge- 
treHBtheit  so  wenig  Realität,  als  Seele  und  Leib, 
die  Reohtsgesohichte  ist  nichts  Anderes,  als  die  zur 
|daatischen  Klarheit  concreter  Wirklichkeit  gelangte 
Reditspfiilosophie,  die  Rechtsphilosophie  nichts  Ande- 
res, als  das  wirkliche  Begreifen  des  concreten  Rechts. 
Das  sind  Sätze  dtes4$r  Einleitung,  deren  Wahrheit  un- 
bestreitbar ist  und  der  Verf.  ist  sich  derselben  immer 
bewnfst  gewesen;  nur  möchte  es  uds  bedanken,  dafs 
er  nicht  immer  den  richtigen  Weg  eingeschlagen,  um 
die  postulirte  Vereinigung  und  Durchdringung  dieser 
Tlieile  zu  erreichen,  wenn  er  grofse  sogenannte  rein 
historische  Parthieen,  wie  z.  B.  die  historische  Einlei- 
taa^'i  nnd  speculative  Erörterungen,  wie  sie  den  ein- 
sebien  grßfseren  Abschnitten  vorangeschickt  werden, 
so  getrennt  yon  einander  gibt.  Wer  die  geschichtliche 
Einlritong,  die  eine  Urgeschichte  Roms  enthält,  gele- 
sen hat,  wird  sich  keine  Vorstellung  machen  köoiken 
yen  der  phtlösephisthen  Rechtsgescbichte,  die  der  Vf. 
zam  Ziel  hat)  sondern  nur  in  Hrn.  Chr.  eipen  Schüler 
Niebohrs  seben.^  Die  ganze  Anlage  derselben  wie  die 
Resultate,  selbst  die,  welche  den  Niebuhr^schen  entge- 
gea  stehlen,  zeigen,  dafs  Niebuhr  hier  Vorbild  gewe- 
sen. Wir  wollen  daher  nicht  lange  verweilen  bei  die- 
8^.  Einleitung,  um  bald  zu  den  TheUen  des  Werkes 
so  gelangen,  in  denen  der  Verf.  Original  ist.  Mit  Nicr 
buhr  nimmt  Hr.  Chr.  an,  das  älteste  Rom  sei  entstan- . 
den  ans  der  Vereinigung  einer  griechischartigen  Stadt 
njtd  einer  ungriechisohen.  Den  griechischen  Ursprung 
des  Volks  auf  dem  Palatinus  bewds't  er  durch  Spra- 


der  rdmücA&n  ReehiigesekieAte.  ,    3M 

che^  Religion  und  Verfassung.  Hinsichtlich  der  Reli- 
gion läugnet  er  gänzlich,  dafs  die  griechischen  Götter, 
die  wir  in  historischer  Zeit  in  Rom  finden,  durch  spä- 
tere Reception  dahin  gekommen.  Wenn  ich  diesen 
Satz  fiir  falsch  erkläre,  so  folgt  daraus  keinesweges, 
dafs  ich  nicht  griechischartigen  Religionscultus  im  älte^ 
Hen  Rom  annehme.  Eben  bei  einer  solchen  Basis 
konnten  am  leichtesten  griechische  Götter  später  reti« 
pirt  werden.  Der  Polytheismus  hat  Toleranz,  die  Rö-^ 
mer  sind  nie  als  nur  aus  politischen  Gründen  intole-^ 
Irant  in  Religionssachen  gewesen-, ,  im  höchsten  Grade 
tolerant  waren  sie  wenn  es  der  Nutzen  gebot.  Die 
Verehrung  der  Götter  brachte  Nutzen,  schon  die  vie- 
len prosaischen  Beinamen  der  Götter  zeigen  diefs  an. 
Die  Schutzgottheiten  belagerter  Städte-  wurden  daher 
herausbeschworen  und  ihnen  besserer  Dienst  zu  Rom 
Terheifsen,  die  Götter  besiegter  und' verbttndeter  Völ- 
ker wurden  mit  in  den  Bnnd  aufgenommen.  Das  war 
ein  Zuwachs  nutzlicher  Götter,  den  Unterschied  zwi- 
schen wahren  und  falschen  Göttern  statuirten  sie  nicht 
Es  ist  bekannt,  wie  geschickt  sie  waren  fremide  Göt- 
ter und  fremde  Mythen  mit  den  ihrigen  zu  identifici- 
ren;  zufällige  unbedeutende  Namensähnlichkeiten,  Ue- 
bereinstimmung  von  Attributen  reichten  dazu  bin.  Wie 
es  ja  nicht  selten  ist,  dafs  ein  siegreiches  Volk  von 
der  höheren  Cultur  des  besiegten  unterjocht  ward,  so 
die  Römer  von  den  Griechen.  Durch  die  Kunst-  und 
Schriftwerke  der  Griechen  lernten  die  Römer  auch  den 
griechischen  Götterbimmel  kennen,  es  War  ein  lächeln* 
der  Himmel  und  sie  borgten  von  seinen  Reizen  fiir 
ihren  Götterstaat.  Daher  die  griechische  Gestalt  man- 
cher römischer  Götter,  sie  sind  recipirt  in  der  histori- 
schen Zeit,  ^n  vortrefflich  durchgeführter  Hauptsatz 
dieser  geschichtlichen  Einleitung  ist,  dafs  die  Curien 
ein  Institut  der  Sabinüehen  Stadt  auf  dem  Agoni- 
sehen  Bügel  sind  und  dafs  nach  der  Vereinigung  bei- 
der Städte  durch  den  Sabinerkönig  Nnma  die  Römer 
in  die  Curien  d.  h.  in  die  Gemeinschafl.  des  Sabinl-- 
sehen  Cultus  und  des  theokratischen  Staates  aufge-, 
nommen  wurden,  nachdem  die  Rötner  im  Kampfe  erle- 
gen. Um  manchen  biegten  leicht  zu  erhebenden  Wi- 
derspruch zu  beseitigen,  spricht  der  Verf.  S.  50  von 
einem  „theils  bewufsteU}  theils  unbewufsten  Streben 
der  Römer,  jene  capitis  deminutio,  die  in  der  sabini- 
schen  Arrogation  lag,  um  jeden  Preie  zu  verdecken'* 
und  S.  47  heifst  es:   „Es  ist  eid  reiner  Zufall,   oder 


as7 


CArüiums0n^  Jis  ff^üsenscArnft  der  rSmüek&m  BechUgeieMeiis. 


das  Resultat  der  —  spätem  Dicbtnog  und  ErdichtaDf^ 
dafs  der  Name  Roma  wieder  auflebte^  um  so  mehr,  da 
die  jelst  entstaudeiie  offisielle  Bezeiobnuog  fiir  seine 
Bürger  vährend  der  ganzep  Zejt  der  Republik  Quiri^ 
ie$  blieb."  Da  waren  jedenfidls  die  siegenden  Sabiner 
sehr  gütig 9  sich  dergleichen  gefallen  tu  lassen,  oder 
waren  sie  blors  rohe  Krieger,  die  Literaten  Roms  nur 

'aus  dem  ursprünglichen  grieebisohartigen  Rom  abstam- 
mend? Eine  scheinbare  Analogie  würde  dafür  nur  in 
deiu  XU 'finden  sein,  was  Ton  den  Pelasgem  und  Hei- 
kaien  efzühlt  wird.  Uns  scheinen  solche  Aushülfen 
keine  Stützen  der  schonen  Gebilde  zu  sein,  eben  so 
wenig  wenn  Hr.  Chr.  es  wiedemm  für  eine  reine  Zu- 
fälligkeit erklärt^  dafs  in  dem  combiuirten  Staat,  in 
welchem  der  sabiniscbe  Theil  ganz  die  Oberhand  hatte, 
der  allgemeine  Name  für  die  Genosseoscbafteu  (gen- 
tes)  ursprünglich  dem  griechisc^ien  Theil  angehörte, 
dagegen  die  Curien,  die  keine  midere  Unterabtheihing 
als  die  in  gente^'  hatten,  dem  Ursprung  und*  dem  Na- 
men nach  sabinisch  sind.  Wenn  auch  vielleicht  mit 
Recht  der  Ver£  einen  Kampf  der  Sprache  und  der 
rechtlichen  Gebräuche  in  deüi  ältesten  geminirten  Rom 
annimmt,  so  ist  dieb  doch  zu  weit  ausgedehnt  auf  die 
Grundeinfichtungen.. 

Auf  die  Urgeschichte  Roms  folgt  -^ydie  OeicAicAie^ 
des  RecAis  der  Res^  Quiritüitn.*^  Hier  berührt  dei* 
Verf.  im  Eingange  das  Hinzakommen  der  Etrusker 
(Luceres)  zu  den  JH/tamnet  und  Titiesy  beflejfsigt  sich 

*  aber  bei  diesem  bekanntlich  nicht  unbestrittenem  Gegen- 
stande einer  so  magern  Kürze,  wie  sie  für  den  dürr- 
sfen  Grundr^fs  Jcaiim  iiinreichen  würde.  Wenn  er 
hier  sich  rechtfertigend  bemerkt,  die  genauere  Rechen- 
schaft gehöre  nicht  in  eine  Recbtsgesci^chte,  so  läfst 
sich  erinnern,  dafs  die  historische  Einleitung  ein  sehr 
passender  Ort  dazu  gew.esen  wäre  und  dafs  er  dem 
Nichtdahingehoren  durch  die  Ubertät  mancher  ähnlicher 
Parthieen  widerspricht.  Das  in  der  Einleitung  über 
den  für  das  Werk  gewlUilten  Namen  Grundrifs  Be- 
merkte kann  hier  und  an  einigen  anderen  Stellen  nicht 
als  Entschuldigung  dienen«    HinsiebtUch  des  Namens 

'  der  ethnischen  Theile  Roms  erklärt  Hr.  Chr.  sich  ge- 
gen die  Annahme,  dais  tribuM  ein  Drittheil  bedeute. 
Schwach  ist  aber  der  Zusatz,  wenn  er  beweisen  soll: 
„Es  bedebtet  das  so  wenig  als*  ea\xwei\ivec\iea  immer 

'    ^  (Die-  Fortsetzung  folgt.) 


988 

beifst;  in  zwei  Stücke  brechen.".  Das  Ricbtige  Über 
das  Wort  Triiu$  hat  genau  angegeben -P.  ran  .dev 
Vslden  disq.  de  Romanormn  oomitiis  I.  p.  31  sq^« 
Abgesehen  von  dei'gleichen  Kleinigkeiten  hat  dieser 
Abschnitt  manche  schone  historische  Untersuehungen 
Über  die  gentes,.  das  Clientelverbiltnifs  n.  A.,  über  die 
sich  nicht  kurz  referiren  Jäfst  wegen  des  «ngen  inner- 
lichen Zusammenhanges  mit  dem  Gänsen.  Wichtig  iit 
für  die  Beurtheilung  dieser  Periode  der  römischen' Ge* 
schichte  die  Beni^rkung,  dafs.  sie  die  Periode  der  h^ 
Tolution  der  Gegens&tse  ist,  dafs  es  hier  keinen  6e- 
gensata  des  öffentlichen  und .  des  Privatrecbts  gibt, 
denn  der  Charakter  des  politischen  Anfangs  ist  die 
Identität  der  öffentlichen  und  Privateigenschaft.  Der 
Vermögensverkehr  war  gering  im  patrisischcö  Rmd, 
aber  die  Natur  brachte  durch  Geburt  und  Tod  Bewe- 
gung, ein  EAe*  und  ErbreeAt  mnCs  es  geben.  Als 
Form  ziir  Eingehung  der  Ehe  gehört  dieser  Urzeit  an 
die  Confarreatio^  sabinischen  Ursprungs.  Es  ist  nicht 
einzusehen,  warum  der  Verf.  in  seinem  tbeokratis^lien 
Staat  diese  Form  nicht  fiir  die  einzige  nimdit  und  so- 
gar hinzufugt  s  „diese  scheint  durch  ihre  hervorragende 
Splemnitüt  und'  did  Nobilität  ihres  Ursprungs  beliebt, 
früh  die  übrigen  Formen  verdrängt  zu  haben."  Wo 
sind  denn  Spuren  von  diesen  verdrüngten  übrigen  For» 
men !  Grundlos  ist  der  Zweifel  des  Yerfs.  an  der  D^ 
ßtrreatio^  als  Aoflösuogsform,  für  welchen  Zweifel  er 
den  Grund  anführt,  das  Gefühl  (f)  scheine  sich  gegen 
eine  solche  religiöse  Solemnitüt  zum  Zweck  der  Auf- 
lösung zu  erklären.  £v  nimmt  sogar  an,  die  Erklärung 
der  Diffarreatio  bei  Festus  sei  entstanden  nach  dens 
Typus:  „quibuscunque  rebus  obUgamur,  hisdem  in 
coutrarium  actis  liberamur."  Festus  und  Consorten 
haben  manche  rein  erfundene  Erklärungen,  aber  das 
Wort  Diffarreatio  haben  sie  nicht  erfunden.  Eine  In- 
schrift in  Orelli's  Coli.  Inscr.  n.  2648  spricht  von  ei- 
nein äacerdos  confarreationnm  ^et  diffarreationnm  und 
was  kann,  wenn  das  Wort  feststeht,  diffarreatio  An- 
deres bedeuten,  als  was  Festus  angibt?  Das  Intestat- 
erbrecht der  12  Tafeln,  bemerkf  Hr.  Chr.,  ist  nicht  in 
diese  Zeit  des  Geschlechterstaats  zu  verlegen,  denn 
das  Fundament  der  gesetzlichen  Successiop  der  12  Ta- 
feb,  die  röm.  Familie,  die  Suität  und  die  Agnation 
existiren  noch  nicht. 


w  1  s  s  e  u 


J  a  h  r  b  ü  c  h  e 

für 

s  c  ha  f  1 1  i  c  h 


e   Kritik. 


September  1859. 


9. 


1 

Die  WisMemehqft  der  römüchen  Beehtsgeschtchte 
m$  Onmdtüse.    Von  D.  J.  Christiansen* 

(Fortsetzung.) 

Die.  Frage  ob  uoe  wie  weit  auf  den  Todesfall  dis- 
poüirt  werden  konnte,  beantwortet  er  dahin»  dafs  Tor 
deafäUe  von  Familienhilnptern  Thätigkeit  in  den  Curien 
zur  Folge  hattoj  zur  Aufiiahnie  dessen  der  an  die. 
Stelle  des  TOrstorbenen  Fauiilienhaüptes  rückt,  zur  Ein- 
föhruAg  in.  die  Curionia  Sacra«  Darauf  bezieht  der 
Verf.  die  deiestatio  sacrorum  and  glaubt  hieraus  sei 
durch  falsche  Interpretation  und  Etjmologisiren  von 
dev  späteren  Schriftstellern  ein  teUamentum  in  comü 
ÜSM  ealatis  heraqsgeklü|selt  Diese  Parthie  ist  voll 
WiUkühr  und  Spitzfindigkeit  und  wird  nicht  dazu  bei- 
tragen,  die  hier  obwaltenden  Streitfragen  zu  besti^igCQ 
(▼gl.  Gans  Erbrecht  U.  p.  37  if.)  —  Starken  Zweifel 
kann  ich  nicht  unterdrücken  über  des  Yerfs.  Erklärung 
TOD  kerediumy  ?on  deren  Richtigkeit  er  ,,unabänder- 
jjch  überzeugt'*  ist.  Herediuui  soll  sein  das  Ackerloos 
(^  iogera),  welches  auf  den  einzelnem  Soläatefä  von 
dem  Aekerlande  (ager  centuriatus)  kam,  das  der  Staat 
niedergelegt  hatte  für  die  Soldaten,  die  sich  selbst  equi- 
.piren  mufsten.  Das  .heredium  war  sein  UElveräufserli- 
chea,  aber  ausschlierslicbes  Eigenthum,  er  war  henis, 
trat  er  aus,  so  bekam  es  sein  Nachfolger.  Einen 
Haaptbeweis  für  seine  Behauptung,  dafs  die  bina  ju- 
gera  den  Soldaten«  nicht  an  Familien  und  Hausgesinde 
g^eben,  entnimmt  der  Yer£  aus  den  Erzählungen  von 
den  alten  Cplonien  Roms.  „Die  Uaoptsache  ist,  dafs 
die  Colonen  der  alten  Colonien,  welche  entschieden 
S4>ldaten  sind,  aufser  dem  Grundbesitz,  der  ihnen  aus 
dem  eroberten  Lande  als  eigentliches  Vermögen  ange- 
wiesen wird,  desgleichen  bekommen  nodi  zwar  grade 
den  alten  Satz  von  2  Jugern,  so  die  Colonen  von  Anxur.'' 
Wober  Hr.  Chr.  es  weife,  dafs  der  den  Besiegten  ge- 
nommene Theil  des  Gebiets  den  gesammtea  Colonisten 

Jahrb.  f.  wi$9en$cK  Knük.  J.  183d.  II.  ßd. 


(mit  Inbegriff  der  Weiber,  Kinder  und  Alten)  yertheilt 
sei,  die  Soldaten  aber,  die  eigentlichen  Colonisten,  für 
ihre  Dienstlast  noch  2  iogeri^  bekamen,  ist  nicht  ein-  ^ 
zusehen  und  mehr  als  unwahrscheinlich.  Nach  Lavici 
(Liy.  IV,  47.)  kamen  1500  Colonisten,  deren  jeder 
nach  Liyius  2  iugera  bekam,  also  nach  Chr.  wurde 
vom  ager  Lavicanus  aufser  der  für  alle  Colonisten  ein- 
gezogenen Quote,  noch  die  kleine  Zahl  von  3000  iugera 
für  die  Soldaten  genommen  I  Der  alte  Satz  von  2 . 
iugera  steht  auch  nicht  fest.  Hr.  Chr.  führt  an  2  ver- 
schiedenen Orten  nur  an  Liv.  IV,  47.  und  VIII,  21. 
Nach  Liv.  IV,  16.  bekam  jeder  2000  nach  Satricum 
gezogenen  Colonisten  2^  iugera,  also  nach  Chr.  kamen 
5000  iugera  blofs  auf  die  Soldaten  vgl.  Liv«  V,  24. 
(3^  X  ßOOO)  und  XXXIX.,  55.  Üeber  die  Aussendung 
und  Gründung  der  Colonien  finden  sich  gute  Bemer- 
kungen bei  Hm.  Chr.,  die  aber  zum  Theil  nicl^t  neu 
sind;  hätte  er  Madvigs  meisterhafte  Abhandlung  ge- 
kannt, oder  benutzt,  so  wäre  manche  Einzelheit  .besser^ 
gesagt.  Er  macht  sich  lustig  über  die  Annahme,  dafs 
die  Zahl  der  Besatziing  der  C!olonien  in  allen  Fällen 
eine  gleiche  und  bestimmte  gewesen.  Es  ist  wahr,  man-  ^ 
che  Zeugnisse  beweisen  das  Gegentheil,  aber  300,  die 
Hr.. Chr.  für  eine  Wachtparad^  zu  viel  erklärt,  war 
doch  eine  sehr  gewöhnliche  Zahl,. wie  di'e  Beispiele  bei 
Niebuhr  und  Madvig  zeigen;  zur  Besetzung  kleiner 
Städte  und  Gebiete  rcgelmäfsig,  und  der  Bemerkung 
des  Verfs.  gegenüber,  dafs  Zablensjmmetrie  nirgends 
übler  angebracht  werden  könne^  als  bei  den  Colonisten, 
kann  ich  nicht  umhin  zu  glauben,  dafs  dieser  Fall  zu 
den  wenigen  gehöht,  wo  sie  reöht  angebracht  ist.  Die 
uns  von  den  alten  Schriftstellern  mitgetheilten  Zahlen 
der  Colonisten  für  einzelne  Fälle  zeigten  eine  gewisse 
Norm  (300,  1§00,  2000)  die  Verschiedenheit  derselben 
lätßt  sich  in  den  meisten  Fällen  aus  den  Umständen 
leicht  erklären,  die  runden  Zahlen  aber  j|nd  die  Ueber- 
einstiinnmng  daraus^  dafs  die  Colonisten  als  Besatzung 

47 


N 
/ 


371  CAristiansen^  die  Wi$$enMehqft 

dienen  sollten«  Seldaten  waren,  daher  wurden  kleine 
Regimenter  hingesphickt, -die  den  Abtheilungen  der 
rdin«  Armee  entsprachen  und  Hr.  Chn  bemerkt  S.  93; 
y^wie  Alles  fest  und  bestimmt  ist,  so  hatte  auch  das 
Heer  von  jeher  eine  bestimmte  Zahl  u.  s.  w."  Hier- 
ans  erklärt  sich  die  Zahl  300  sehr  leicht.  In  ähnlicher 
Weise  erklärt  sich  Chr.  an  andern  Stellen  gegen  die 
Annahme  Yon  Zahlensjmmetrie  n.  dgl.,  wie  z.  B.  bei 
Gelegenheit  der  5  Mancipationszeugen  und  indem  er 
das  eine  Extrem  verdammt,  geräth  er .  in  das  entge- 
gengesetzte. Man  mufs  entschieden  dem  Suchen  nach 
mystischen  Fatalzahlen  und  der  Zahlengeheimnifskrä- 
merei,  die  in  der  römischen  Geschichte  jetzt  spukt, 
entgegentreten;  der  Haupturheber  dieses  Spuks,  Dio- 
Djs.  Halic,  der  sich  in  Zahlenspielereien  gefallt,  bat 
in  neuerer  Zeit  Nachahmer  gefunden,  die  den  Meister 
übertreffen,  HüUraann  und  Huscbke  sind  weit  darin 
vprgeschritten,  die  böse  Sieben  im  Servius  Tullius  ist 
eid  Produkt  der  höchsten  Intuition.  Auch  Niebuhr  trägt 
einen  Theil  der  Schuld,  sein  perpetuirliches  Nachjagen 
der  Dreizahl  in  Roms  ältester  Geschiebte  hat  die  sum- 
ma trinit^s  hier  fizirt  und  die  gläubigen  Nachahmer 
Niebuhr*s  haben  mit  dieser  mysttscheu  Zahl  Wunder- 

^  dinge  entdeckt,  Hr.  Chr.  ist  dagegen  mit  dem  Ver- 
werfen alter  Zablenmjstification  zum  Verwerfen  al- 
ler Zahlenuniformität  gekommen.  Allein  eine  Stabi- 
lität im  Gebrauch  gewisser  Zahlen  fiir  Eintheilungen, 
Termine  u.  dgl.  läfst  sich  weder'bei  den  Röiifern  noch 
bef  anderen  Völkern  verkennen  und  für  manche  ein- 
zelne  Fälle  lassen  sich   genügende   Erklärungen  des' 

'  Gebrauchs  gewisser  Zahlen  vorbringen,  während  für 
andre  Fällfe  eine  solche  Erklärung  nicht  zur  Hand  ist 
und  die  Annahme  eines  Mechanismus  nicht  unpassend 
scheint.  —  Niebuhrs  gröfster  Entdeckung  über  den  Ur- 
sprung und  die  Bildung  der  ple6$  schliefst  sich  der  Vf. 
an  und  macht  vortreffliche  Bemerkungen  über  ihren 
Zustand  vor  Servius  Tullius  und  über  ihr  staatsbür- 
gerliches Aufkommen.  Ebenfalls  werden  die  Prinzipien 
der  Servianischen  Reform  sehr  richtig  angegebeui  bes- 
ser als  von  Niebuhr,  der  in  seiner  Betrachtung  derCon- 
stituiruDg  und  Emancipation  der  ptebs  das  derselben 
von  Servius,Gegebene  viel  zu  hoch  anschlägt  und  darin 
liegt  unserer  Meinung  nach  emer  der  Hauptfehler  von 
Niebuhr*s  Gesckrchtswerk.  Hinsichtlich  der  Einzelhei- 
ten der  Servianischen  Verfassung  wirj)  man  Manches 
in  Christiansen's  Vl^erk  vermissen  und  bezweifeln,  doch 


der  romüeien  BeeAiegeseAieAte.  372 

wir  können  darüber  um  so  weniger  mit  ihm  rechteo, 
da  wir  neuerdings  aus  Huschke's  Schrift  gesehen  b&- 
ben,  welche  Schwierigkeiten  hier  obwalten  und  bis  jetacC 
keinesweges  überwunden  sind.  Das  gröfste  Lob  ver- 
dient des  Verfs.  Bemerkung,  dafs  man  die  Verfasanag 
des  Servius  nur  eervianücA  nctanen  könne,  dafs  sie 
durch  einen  terminus  der  griechischen  Politik  sich  niebt 
erschöpfend  bezeichnen  lasse.  Au^  diesem  Bestreben 
ist  mancher  Irrthum  in  die  römische  Geschichte  ge- 
kommen. Nach  den  herkömmlichen  Begriffsbestiminitii- 
gen,  von  Monarchie,  Aristocratie  und  Demoeratie  pas* 
Ben  diese  Namen  fast  zu  keiner  Zeit  für  die  römischen 
Staatsformen ;  die^  Königszeit  hat  nur  deti  Schein  der 
Monarchie,  und  flir  die  Republik  hat  Pdjbios  die  Mi- 
schung der  verschiedenen  Staatsformen  in  Rom  •  sehr 
richtig  eingesehen  und  durch  diese  seine  Sohildemns 
gezeigt,  wie  er  in  den  Geist  des. römischen  Staats  eiu- 
gedrungen. 

Wir  gehen  über  zu  der  ^OescAicAte  der  reepu^ 
blica  Momanorum  Quiritium.**    Dieser  Abschnitt  um- 
fafst  die  Zeit  der  Republik   i^rährend  des  noch  unent- 
schiedenen Kampfes  der  Patrizier  und  Plebejer  bis  zu 
der  ^  Zwölftafelgesetzgebung.     Der    Geschlechterstaat 
wird  aufgelöst,  als  einer  seiner  3  integrirenden  Factor 
ren,  dasRegnum,  fällt.    Sehr  richtig  bemerkt  der  Vf., 
dafs  bei  dem  Kampf  der  Stände  nicht  die  Frage  sein 
kann  nach  Recht  und  Unreeht,  wir  sehen  eine  rein  po- 
litische Stellung  der  Patrizier  und-  Plebejer,  wie  zweier 
Staaten.    Hr.  Chr.  hätt^  hier  die  Form  des  Bündnis- 
ses hervorheben  können,  das   nach   der  Secessio  m 
Stande  kam  und  das  sich  gar  nicht  unterscheidet  von 
den  Bündnissen  wie  sie  die  Römer  nach  Beendigung 
eines  iustum   bellum  mit   fremden  Völkern  schlössen 
(Dionys.  Hai.  VI,  89.)    Zu  sehr  ereifert  sich  ubrigeaa 
der  Verf.  gegen  jene  jetzt  doch  wol  antiqnirto  Ansicht, 
als  könne   bei  Betrachtung  des  Kampfes  um  die  Exi- 
stenz von  Recht  und  Unrecht  die  Red6  sein.    Es  ist, 
wie  der  Verf.  richtig  angibt,  nicht  blofs  ein  Streit  ttbw 
Rechte,  sondern  zugleich  über  das  Wesen  des  Rechts 
und  der  Gesetze.    Es  beginnt  jetzt 'der  Gegensatz  tfon 
pjffentlicAem   und  PrivatrecAty   im   patriziSchen.Rom 
war  beides  identisch,  mit  und  durch  die  Plebejer  wird 
das  Privatrecbt  wirklich  und  das  ganze  r^miscAe  Prü 
tfatrecAtywie  es  auf  uns  gekommen^  ist  plebeßüeAen 
Ursprungs.    Bei  diesem  Satz  läugnet  der  Verf.  nicht, 
dafs  wesentlich  plebejische  Rechtinstitute  Modificatio* 


373    .  CMtHmtMni  ttt» 

Ben  «rfUiMn  liaben  dareb  patrhiache«  Recht,  aber  dem 
ÜrBprting  nach  ist  ibiti  alles  röm.  Pvitatrecht  abfitain- 
■Mod  Ton  den  Plebcjem,  deren  Wesen  es  war  nnr  ein 
Privatrecht  sn  haben ,  wie  das  Wesen  der  Patriaier 
war  nnr  ein  dfrentliohes  Recht  zli'  haben«    Um  Riesen 
Sats  richtig  ttnffassen  sn  kennen,  ist  es  ndfhig  anzu- 
geb^n,  aas  welcher  Waraei  sich  der  Verf.  das  ganze 
spftter  sc  ansgebildetePrivatrecbt  henrorgegangen  denkt. 
Ich  trage  kein  Bedenken^  die   hierauf  sich  «beziehende 
Haaptuntersuohung  des  vorliegenden  Werkes  für  eine 
der  glänzendsten  Forschungen  neuerer  Zeit  anf  dem 
vechtshistorischen  Gebiete  zu  erklären  und  sie  verdient 
eine  ähnliche  Anerkennung  wie   sie  Albrechts  Lehre 
Ton  der  Gewehre  gefunden  hat.    Ich  will  versuchen  die 
Ansicht  des   Hrn.  Chr.  über  den  Keim  und  Ursprung 
4es  rGmischen  Privatrecbts  kurz  und  klar  darzulegen, 
die  >* obgleich  «ehr  einfacher  Natur,    doch  schon  jetzt 
Mifsdentung  und  gänzlich  verfehlte  Auffassung  erfah- 
ren hat,  wie  ich  mehrfach  Gelegenheit  gehabt  aus  miindr 
lieber  Unterredung   zn  Tcrnehmen   und*  wie   es  jetzt 
auch  gedruckt  zu  lesen  ist  (s.  unten.)    Daran  wenig- 
■tenff  ist  der  Verf.  unschuldig.    Der  plebejische  Pater- 
familia9  beherrscht  diejumilia  mit  absoluter  Willktthr. 
Die  famüia,  die  das  ganze  leblose  und  lebendige  Yer- 
mtTgen  umfafst,  Grundstficke,  Thiere,  Sclav^n,    Sohn 
nnd  Enkel,  Tochter  und  Frau,  ist  absolut  Object  des 
Mttfit.ilechts  des  Päterfamilias,  das  unbeschränkt  und 
nngetheilt  ist.    Der  Wille  des  Paterfamiliaa  absorbirt 
die  Sache,  annihilirt  sie  fiir  die  übrige  Welt,  gibt  den 
fibrigen  Patresfamilias  eine  absolut  negative  Stellung, 
nur  der  Päterfamilias  bat  das  Recht  auf  dis  Saehe^ 
das  tUnglicAe  Recht.    Es  gibt  weder  dem  Begriff  noch 
dem  Namen  nach  verschiedene  Rechte  |n  dieser  Zeit, 
ids  dem  absoluten   HerrscBer  «einer  Familie  zustän- 
dig *— ;  er  hat  die  Manu9^    Diese  Bezeichnung  des  ding- 
liehen Rechts  erklärt  sich  aus  der  innersten,  substan- 
tiellsten Eigenschaft  der  Hand,  dafs  sie  jirir£/i>^^  Kraft 
int.    Die  wirkliche  absolute^  Willkübr  des  Paterfami« 
liae  uMifs  aber  auch  ihre  Gebundenheit  wollen  können, 
aoeh  die  Persdnlichkeit  des  Päterfamilias  kann  Object 
neioer  Willknhr  werden,  aber  die  Persönlichkeit  kann 
nicht  ganz  fremder  Willkübr  unterworfen  werden,  son- 
dern nur  ein  Theil  und  nur  so  wie  es  der  Päterfami- 
lias  will,   jenes  würde  das  integrirende  Moment  des 
wiUküfarlichen  Herrschens  läugnen.    Die  Uch  gebunden 
habende  Willkübr  ist  das  Nexum.    Also  neben  dem 


der  rSmuehen  Reehtigeschichte.  374 

dinglichen  Recht  der  Manns  ist  das  persönliche  Recht 
desNexum.     Manns  nndNexum  sind  der  effective  An- 
fang des  römischen  Rechtsl    Die  auf  Zweckmäfsigkeit 
basirte  Sitte  entsefaied,  ob  Veritiögensobjecte  durch  dn 
dingliches  oder  durch  em  persönliches  Recht  mit  ^ir 
ner  Person  yerkniipft  werden  sollten.    Die  manne  konnte 
nur   bei   6estim$nien   praktischen   Objecten  juristisch 
Statt   finden,   es  muTste   eine  Verfolgbarkeit  der  be- 
stimmten Sache  (species)  gegen  Jeden  eintreten  kön-. 
neu  f  es  mufste  ein  sicherer  Besitz  an  der  Sache  mög- 
lich sein.    Es  sind  dah^r  von  den  Sachen  der  manas 
ausgeschlossen  die  res  quae  pondere,  numere,  mensura 
constant,  diese  sind  die  praktische  Sphäre  des  nexuni^- 
in  Beziehung  auf  diese  Sachen  kann  nur  die  Person 
sich  gebunden  (nectirt)  haben* '  Aus  demselben  Grunde 
sind  von  den  Sachen  der  manus  ausgeschlossen  die 
wilden  Thiere ;  in  der  lV|itte  steht  das  Vieh,  daa  Heer^ 
denweise  gebalten  wurde,  überhaupt  ist  eine,  scharfe 
Begriffsgrenze  nicht  zu  denke.nr    Das  Ueerdenvieb  war 
in  ältester 'Zeit  zum  Theil  fungibel  z.  B»  hei  den  mut 
tae,  der  Gebrauch  des  Geldee  hatte  aber  <  die  Folge, 
alles  Andere  mehr  individuell  zu   machen.    Es  erwet* 
terte  sich  also   der  Kreis  der  mamisrähigen  Sachen^ 
die  Praxis  entschied  hier  und  daraus  sind  die  Abwei- 
chungen zu  erklären  bei  den  Juristen,  die  uns  Verzeich- 
nisse uiittheilen  von  den  Sachen,  die  mancipirt  zu  wer- 
den (mancipi)  pflegen.    Der  juristische  Kunstausdruck 
res  mancipi  (Sachen  die  mancipirt  werden,  Mancipir- 
sachen)  und  res  nee  mancipi  hat  sich  erst  gebildet  bei 
Entstehung  des  dominium  ex  iure  Quiritium  aus^.der 
manus,   die  Zahl  der  res  mancipi  ist  verschieden  von 
den  von  d^n  manusfähigen  Sachen  der  ältesten  Zeit. 
Mancipi  ist  in  dieser  Zusammensetzung  der  Infinitiv, 
nicht,  wie  man  nach  Niebuhr  annimmt,  Abkürzung  des 
Genitive  mancipii.    VITir  erhalten  hier  also  eine  Ansicht 
-über  das  Wesen  des  vielbesprochenen  Unterschiedes 
der  res  mancipi  und  nee  mancipi,  die  nur  verständlich 
ist  dadurch,  dafs  man  sich  die  Natur  des  ganzen  alt* 
römischen  Privatrechts  klar  macht  und  eben  darin  liegt 
ihre  hauptsächliche  iBmpfeblung,  dafe  sie  in  enger  Be- 
ziehung zum  Ganzen  steht,,  nicht  isplirt  blofs  auf  eine 
Spitzfindigkeit  der  Römer  hinausgeht.    Der  Raisonne« 
ments  nicht  zu  gedenken,    die  Jeder,   der  römisches 
Recht  utfd  römisches  Volk  kennt,  auf  den  ersten  Blick 
verwirft  (Hommel,  Gibbon,  Vico,   Mauhayn,  Eisende- 
cher),  die  sonstigen  Erklärungen  haben  meistens  etwas 


375  CArütufnsMy  du  H^i$$enseAnjft: 

\yahr68,  aber  dieses  Wabre  hat  ei^weder  eioe  n 
TagejGestalt  (Cujacins,  Bynkcrshoek,  MeermaDii^  Trer 
4ell^  Zacfaariae)  Rossmanit,  Bugo,  Sayigoy)  oder  eia 
imwesebtliches  Merkmal  und.  ein  aus  der  praktischen 
Anwendung  entDommenes  nicht  durchweg  gültiges  Kenn- 
zeichen  ist  faerTorgehoben,  wie  von  denen^  die  bei  Er- 
klärung der  res  maucipi  den  Census  herbeiziebeii  (Pu- 
fendorf^  Niebuhr,  Yuogerow).  Worin  übrigens  die  „aus 
inehreren  Rücksichten  stattfindende  sprachliche  Un* 
moglicfakeit"  der  Niebuhrschen  Worterklärong  liegen 
soll,  habe  ich  nicht  fassen  können.  Da  es  bekannt  ist, 
dafs  Ton  den  Wörtern  der  zweiten  Declination  auf  ius 
und  ium  bis  zu  Augüstus  Zeit  die  zusammengezogene 
'Form  (fili  statt  filii)  auMächliefilich  im  Gebrauch  war; 
so  kann  darin  die  Unmöglichkeit  nicht  enthalten  sein, 
Ist  dfe  Erkl&rung  des  Worts  maucipi  als  Infinitiv  rich- 
tig, so  war  Cicero  sehr  einfaltig,  wenn  er  pro  Mqr.  2 
sagt:  res  quac  maucipi  sunt  vgl*  Top.  5.  Ebensowe- 
nig können  wir  mit  dem  Verf.  hinsichtlich  der  späten 
Entstehung  der  Bezeichnung  res  maucipi  und  res  nee 
inancipi  einverstanden  sein,  nee  für  non  gehört  der 
'ganz  alten  Zeit  an,  das  einzigste  sichere  Beispiel  ist 
furtum  nee  manifestum  in  der  Sprache  der  12  Tafela 
X-in  necopinans  und  necopinatus  ist  das  c  wol  nur  des 
liiatns  wegen"  eingesrchobjen).  Femer  scheint  nach  6a- 
juB  n.  §.  43.  der  Ausdruck  nee  maucipi  schon  in  den 
12  Tafeln  vorgekommen  zu  sein,  wie  Schilling  (Bemer- 
kungen p.  153)  gegen  Hngo  wahrscheinlich  macht» 
Kennen  wir  aber  mit  Sicherheit  das  neo  statt  non  In 
solchen  Zusamme^isetzungen  nicht  einher  jüngeren' Zeit 
vindiciren,  sro  spricht  das  gegen  Chr«,  der  den  Gegen- 
satz res  maucipi  und  nee  maucipi  erst  nach  Entstehung 
des  dominium  ex  iure  Quir.  entstehen  läfst,  dieses  aber 
für  die  Zeit  der  12  Tafeln  .  nicht  statuirt  Eben  so 
imwahrscheinlich  ist  es^  wenn  Hr.  Chr.  von  manci- 
piwn  sagt,  es  habe  ursprünglich  den  Act  der  Ueber^ 
tragung  der  manus  bezeichnet,  dafür  sei  mancipatio 
in.  Gebrauch  gekommen,  und  mancipium  habe  dann 
später  das  Object  bezeichnet,  die  Sache  die  in  manum 
erworben  ward  und  auch  jede  Sache,  die  s|ch  darin 
befand  oder  befinden  konnte.  Spätere  Zeit  ist  ein 
sehr  unbestimmter  Ausdruck,    in   unseren  Quellen  ist 


der  rSmüeAen  JReeAfsgeeeMeAte.    '     ^  37fl 

bekanntlich  m^eißnum  nie  eine  allgeneine  Bezeieb* 
nung,' sondern  nur  ^  für  Sciaven  gebraucht.    Es  ist  rahr 
daher  bei  dem  altertbümlH>hen  Gepräge  des  Ausdrucks 
res  maucipi  und  nee  maucipi  mehr  wie  wahracheiDliobi 
dafs  die  Römer  nie  mancjpiuin  für  res^  mancipi  gesagt 
Die  doppelte  Bedeutung  von  mancipium  zu  derselben 
Zeit  ist  auch  nicht  eben  wahrscheinliph.    Mit  den  alten 
F<»men  auf  üim  für  die  späteren  auf  so  hat  der  VerC 
sich   manche    Willkühr  erlaubt,    wenn    er  s.  B.  im 
Gegensatz   voa  nezum  das  Geschäft,  durch  welches ' 
solvirt  wird,  eoluium  nennt,  ferner  ueuetgmim  statt 
iisncapio.    Doch  das  sind  Kleinigkeiten,   die  der  Vor- 
trcfFlicbkeit  des  Ganzen  keinen  Abbruch  tlnuu   Ungern 
'baben  wir  bei  der  Darlegung  der  Basis  des  ält^ten 
römischen  Privatrechts  eine  Hbweiaung  auf  das  gei^ 
Iranische  Recht  vermifst.     Schon   der  Name  manme 
ftihrte   auf  eine  Yergleicfanng  des   deutschen   J^ueul 
(Kraut  Vormundschaft  z.  A.)  und  äer   Sache,   nadi 
giebt '  die  deutsche  Gewehre  (Albrecht,  Phillips)  die 
treffendste  Analogie.    Hr.  Chr.  hat  es  gändich  ver- 
schmliht,  Analogieen  aus  dem  Recbtsleben  anderer  Vok 
ker  entnommen  in  seiner  römischen  Rechtsgeschichte 
anzuführen,  er  erklärt  sich  sehr  stark  gegen  „das  Fn^ 
temisiren  der  Römer  mit  den  guten  alten  Deutscfaeiiy** 
allein  vergleichen  heifst  noch   nicht  identifiziren,  aol» 
che  Analogieen  dürfen  nie   den  Hauptbeweis    bildeti, 
aber  sie  sind  schon  deshalb  in  einer  römisohen  Recbta» 
'   geschichte  nicht  ganz  bei  Seite  zu  setzen,  weil  sieh 
zeigen  mufs,  ob  ein  Institut  ausschlierslich  römisch  iat, 
oder  ob  natürliche  Verhältnisse  bei  den  Völkern  eiM' 
Gleichmäfsigkeit  hervorbringen  und  zu  denselben  oder 
ähnlichen  Resultaten  führen.    Bei  den  'Völkern  ist  ea 
wie  bei  einzelnen  Individuen.    So  ist  fiir  das  altrtfmi« 
sehe  Schuldrecht  die  Vergleicbnng  .des  Norwegischen ' 
Gttladingsgesetzes  nicht  blofs  interessant,  sondern  auch 
in  einem   Grade  bew;dsend.    Nach   dieser  Digreaaiesi 
kehren  wir  zurück  zu  unserm  Autor.   Den  Vermögena- 
▼erkehr  dieser  alten  Zeit  bestimint  -  der '  Wille  des  Pa^ 
terfamilias.     Dieser  Wille  muls  ein   geäurserter,   er- 
kennbarer,  au9ge$proehener   sein,   eme    lex.     Lc^a 
actiones  ist  die  allgemeine  Bezeichnung  der  Rechtsge- 
schäfte. 


(Die  ForteetzsDg  fslgt) 


%ßS  48» 

Jahrbücher 


für 


wissenschaftliche    Kritik. 


»  9 


September  1839. 


JKe  WiUemchaft  der  romücken  ReckUgeschichte 
im  Orundri99e.    Von  D.  J.  Christiansen. 

9 

(ForfsetsuDg.) 

Der  Bnabbingige  Pfiterfuiuilias    machte  für   sei« 
De  faoftilia  das   Recht    (iusaaiiiy   ioa).     PateHamiliai 
vti  legasait,   ifa'  ius '  eato !    Alles  iu$  war  $trietum^ 
vas  die  Worte  deutlich  gesprochen,  war  bindend  und 
war  gebunden^  eine  Interpretation   konnte  nichts  hin* 
aufBgen  zn  dem  bucbstäbiicben  Inhalt.    Für  die  Fixi* 
rang  oiod  Aufbewahrung  des  Rechts  gab  es  nur  das 
Mittel  der  Zeugen^   sie  waren  bei  einer  legis   actio 
Bothwendig,  um  die  gesprochenen  Worte  zn  bezeugen« 
In  der  hekannten  Bestimmung   der  12  Tafeln  gegen 
unredliobe  Zeugen^  weicht  der  Verf.  ab  von  der  Er- 
fclilrui^  Marezolls,  und  erklärt  sich  gegen  die  Annah» 
flie  eines  Pleonasmus  in  improbus  und  intestabilis :  iui- 
probtts  jst  der>  qnt, probare  non  potest,  nicht  beweisen^ 
nicht  Zeugnifs  ablegen  kann,  intestabilis,  der  Niomao- 
den  zum  Zeugnifsablegen  auffordern  kann^  kurz,  ein 
^Büredlicher  Zeuge  verliert  die  Fähigkeit  zum  rechtli- 
chen Verkehr.  Hr.  Chr.  bemiarkt  hier:  „Ob  derTbat* 
hestand  nach   strictum  ius    blofs   Verweigerung    des 
Zeugnisses  war  oder  auch  das  fälsche  Zeugnifs  um- 
fefstoy  darüber  iäfst  sich  streiten.'*    Allein  nach  den 
Worten^  die  uns  Gellius  (XV,  13)  als  Worte  der  \2 
Tafeln  mittheilt,  ist  nur  an  den  Fall  zu  denken,  wenn 
ein  testis  später  sein  testunoniom  verweigerte  ,^ni  tes* 
liuioninm  feratnr'*,  also  für  das  Zeitalter  des  strictum 
jus  ist  die  allgemeine  Auffassung  unzulässig*    Nach 
Gell.  XX,  I  fin.  wurde^  ein  falscher  Zenge  vom  Tar- 
pejisehen  Felsen  gestürzt.    Das  Bedürfnifs  führte  dar* 
aof,  zu  den  Worten,  die  bei  den  besonderen  Rechts* 
jieacbäften  gesprochen  wurden  (leges,  nuncupationes), 
ein  äofseres  Criterium  des  Consenses  hinzutreten  zu 
lassen,  nlit  dessen  Gebrauch  der  Consens  juristisch 
vorhanden  war.    Zur  allgemeinen  Sitte  wurde  ^in  em« 

Jgkrb.f.  wu$enich.  KrUik:   J.  1839.  II.  Bd. 


facbes,    durch  Grellheit  und  Wahmehmbarkeit  sehr 
passendes  Mittel;  ein  Schlag  mit  einem  StÜcJkchem 
Er%  an  die  IVage  (libram  aere  percutere).  Diefs  go» 
schab  durch  einen  unpartheiischen  Dritten,  den  librir 
pens.     Eine  ^Wage  war   beim  täglichen  Verkehr  zur 
Hand,  schon  wegen  der  Gestalt  des  Geldes  im  alten 
Rom,  diese  Form  lag  daher  sehr  nahe,  in  dar  Praxis 
anderer  Völker  sind,  andere  Mittel  gebräuchlich  ge^ 
worden,  um  die- Abgescblosaenbeit  eines  Geschäfts  an- 
zuzeigen  (Handschlag,  Stabbrechen  n.  dgl.).    Der  V& 
erklärt  sich«  an  mehreren  Stellen  gegen  die  Annahme 
einer  imaginaria  venditio  bei  der  mancipatio,  und  zeigt, 
wie  bei  späten  Schriftstellehi  diese  Erklärung  entstand 
den  sein  kann  (p.  147  sqq.,  p.  360  sqq.).    Vidleickt 
hätte  hiebei  das  Wort  pereutetz  noch   mehr   urgirt 
werden  können,    welches  regelmäfsig   vou-Gaius  b^ 
Erklärung   der  mancipatio  gebraucht  wird.    Ich   ge» 
stehe,  dafs  -mir  dieses  \Vort  zuerst  beim  Beginn  mei» 
ner'recl^shistoriscben  Studien  Zweifel  einflöfste  gegen 
die  gewöhnliche  Erklärung   der  mancipatio.    Als  mir 
noch  meiner   philologischen  Lehrer  Erklärungen  des 
Uaterschiedes  von  percutere  und  percellere  im  frischen 
Andenken  waren,  schien  es  mir  seitsam,  d^fs  ein  R9- 
mer  percutere  (per-quatere,  d.  i.  mit  einem  Schlage' 
oder  Stofse  durch  und  durch  erschüttern)  gebraucht 
haben   sollte   von  einem  Stückeben  Erz,   das   in  die 
Wage  gelegt  oder  geworfen  wurde,  und  ich  suchte  mir 
diefs  daher,  so  gut  es  gehen  wollte,  aus  der  Art. des 
Wagens  zn  erklären.  —  In  der  genannten.  Weise  nun 
wurden    alle  Rechtsgeschäfte  gemacht,   es  entstehen 
durch  sie  entweder  manus  oder  nexum.    Die  manne 
wird  erworben  durch  mandpium^    dem  als  Correlat 
entspricht   das    mandatum   (mancipare  -^  mandare)« 
Der  juristische  Zweck  des  mancipium  ist  immer  Verr 
lust  aller  Gewalt  auf  der  einen,  Erwerb  aller  Gewalt 
auf  der  anderen  Seite,   der   praktische  Zweck'  kann 
V^achieden  sein,  (kaufen,  tauschen  n.  s.  w.),  und  hie- 

48 


r' 


d79  CArütianssn^  die  fPVssenseiafi 

nach  ist  die  lex, mancipii  verschieden.    Bei  Uebcrtro* 
gang  der  manas,  der  absoluten  wirklichen  Gewalt,  die 
sowohl  die  auctoritasy  die  geistige  juristische  .Gewalt, 
als  den  usus^  die  faktische  Gewalt  inyolvirt,  ist  eben 
deshalb    die   Gegenwart  der  Sache   noth wendig    und 
Stellvertretung  auf  einer  von  beiden  Seiten  unmöglich. 
Dem  mancipare  und  mandare  synonym  sind  in  der  alte« 
sten  Sprache  emere  und  venumdare^  nur  haben  diese 
Verba  eine  allgeineiuere  Bedeutung.    Dafs  emere  und 
Tcnumdare  (vendere)  diese  von  dem  Verf.  angegebene 
allgemeine  Bedeutung  {erwerben  oder  empfangen  und 
/(9#-   oder  fffeg-  gebeti)   hatten,  leidet  gewifs   keinen 
Zweifel;  aufser  den  ausdrücklichen  Zeugnissen  beiFe- 
•tus  und  selbst  bei.Gaius  II,    103.   für   emere,   läfst 
sich  diese  ursprfingliche  Bedeutung,  was  so  oft  in  der 
lateinischen  Sprache  der  Fall  ist)  erkennen  aus  den 
Compo^sitis  adimo  {tu  sich  nehmen),   demo  und  abimo 
(früher  abemo),  und  es  ist  zu  yerwundem,  dafs  in  dem 
vortrefflichen  Wörterbuch  Freunds  der  Infinitiv  emere 
OS  accipere  und  emo  »  ich  kanfe  gesondert  aufgeführt 
sind.    Hr.   Chr.   hat  p.  150  sq.   die    Grnndbetieutung 
von  emere  und  vendere  sehr  gut  entwickelt,  und  diese 
Darstellung  ist  für  mehrere  Stellrai  seines  Werks  sehr 
firuchtbar  gewesen,  wie  gfeich  hier  zur  Erklärung  von 
Varro  de  R.  R.  II,  10.,  und  sie  giebt  den  Hauptschlüs- 
^  sei  zur  Nuohweisung  der  Mifsdeutung  der  mancipatio 
bei  Gaius  u.  A.    Neben  der  absoliiteu  Uebertragung 
der  manus  durch  mancipium,    bestand  auch  eine  he* 
schränkte  Uebertragung,    entweder  der  Zeit  nach  « 
fiflucia^  oder  die  Beschränkung  war  materiell  «=  ser- 
viiue.  Die  Form  ist  dieselbe  wie  bei  dem  mancipium.  Im 
Allgemeinen  wurde  die  völlige  Freiheit  des  Paterfami- 
lies,  die  manus   zu  veräufsern,  limitirt  durch  Nutzen 
und  SHtlichkeit.    Die  Sittlichkeit  liefs  nicht  leicht  das 
venumdare  der  Kinder  und  Enkel  zn^  nur  in  einem  Falle 
hinderte  diefs  die  Sittlichkeit  nicht,  da  der  Zweck  eine 
sittliche  Garantie  gab,  d.  i.  wenn  die  £!Ae  das  prak-- 
V  tische  Motiv  des  mancipium  war.    Die  Sittlichkeit  der 
Ehe  führte  hier  von  selbst  früh  eine  Modification  der 
manus  herbei,  die  besonders  darin  bestand,   ^afs  die 
Frau  nicht  nls  reines  Object  in  der  Gewalt  ist,  son- 
dern selbst  bei  Eingehung  in  die  manus  als  handelnde 
Person   erscheipt  (daher  eonventio  in  marnm,   co%in^ 
tio).     Aus   dieser  natürlichen    Selbstmodification   der 
tnanus  für  diesen  Fäll  erklärt  es  sich  eben,  warum  für 
die  Gewalt  des  Ehemannes  über  die  Ehefrau  sich  der 


der  rämiecAen  RechUgeeehieiU.  388 

Name  manus  später  allein  erhielt.  Als  der  tdmisclie 
Staat  sich  vollständig  als  Republik  entwickelt  hatte, 
wurde  .die  Souverainetät  der  Priviy  der  Paterfauiilisi 
beschränkt,  die  Identität  und  Individualität  *der  erneu 
manus  hört  auf  und  wurde  in  verschiedene  Reehtm- 
stände  unterschieden,  die  ihre  Individualität  und  eigne 
Namen  haben,  wie  die  patria  potestas,  das  mancipium 
im  e.  S«,  das' dominium  (diese  substantivische  Benen- 
nung ist  aber  erst  in  der  Kaiserzeit,  früher  diente  znr 
Bezeichnung  das  abstracto  Eigenschaftswort  simm^ 
Ebenso  gingen  aus  der  Oetoehre  verschiedene  Rechts- 
institute,  Ejgeothum,'  Pfand,  Rentenkauf,  Lehnsgewebe 
u.  s.  w.  hervor.  Für  die  Gewalt  über  die  Efaefras 
trat  bei  dieser  Dirimirung  der  alten  einen  manus  eine 
soldie  Modification  aus  dem  augegelbenen  Grande  nicbt 
ein, '  diese  Anwendung  der  einen  Familiengewalt  ist  am 
wenigsten  dem  Wandel  des  Rechts  ausgesetzt  gewe* 
sen,  daher  erhielt  sich  auch  hier  der  Name.  la  etwas 
anderer  Weise'  erhielt  sich  der  Name  auch  noch  ia 
dem  Verhältnifs  des  Herrn  zum  Sclaven,  daher  msaa* 
missio ;  auch  von  der  Tochter  sagt  Liv.  III,  45 :  ea, 
quae  in  patris  numu  est. 

So  reconstruirt  der  Vf.   die  Basis  des  römisohea 
^  Privatrechts,  und  er  nennt  daher  sehr  bezeichnend  die 
manus    ,,die  reine  punktuelle  Substanz  des  Rechts, 
die  ursprünglichste,  also  urkräftigste  Concretion  der 
Gewalt,  jene«' —  eherne  Gebilde^  das  die  Welt  der 
Thät  nach  erobert  hat."    Ein  berühmter  Jurist  (I'hi- 
baut  über  die  sogenannte  historische  und  nichthistori* 
sehe  Rechtsschule  S.  27  sq.)  hat  freilich  kurzlieh  in 
diesen  Worten  eine  Absurdität  gefunden,  und  die  wäre 
datin,  wenn  Hr.  Chr«  sie  gehraucht  hätte,  in  deoi  voa 
Thibaut  angegebenen  Zusammenhange  ^^bei  der  Ge- 
ecAiohie  der  unschuldigen  eonventio.  in  manum  tmh' 
riti.**    Soll  man   es  glauben  I    In  diesem'  ZusammeD- 
hang  wäre  jedes  Wort  ein  Unsinn,  in  Wirklichkeit  is 
jedes  Wort  ein  Gedanke.     Grade  so  „wie  der  Kräi 
die  ganze  Nutur  des  Baumes,   den  Geschmack ^  die 
Form  der  Früchte  in  sich  trägt'',  so  ist  nach  Chr.  die 
tnaHuSy    die  Basis  des   römischen  Rechts,    der  Keinij 
aus  dem  der  Baum   entsprossen  mit  seiiien  Zweigea^^ 
Blättern  und  Früchten,  der  die  Welt   beschattet  hat 
und  der  noch  jetzt,  obgleich    verpflanzt  iLiAfrmndm 
deutschen  Boden,  diesem  Boden  den  Nährungssaft  ent- 
zieht,  durch  den  die  einheimischea  Pflanzen  gedeihen 
sollten.     Wie  der  Keim  virtualiter  den  Baum  enthält^ 


aSl  CAHttimueny  ^  Wiumuehtfflt 

» 

0e  das  Recht  der  tnamis  das  ganze  rf  miscbe  Redit^ 
die  inaims  ist  die  puhktudte  SuisUgn»  desselben. 
Man  darf  diese  Ansicht  bekämpfen,  aber  man  darf  sie 
iiidit  yenttfimmeln. 

Anfser  der  genannten'  (mancipatio)  lAhlt  der  Verf* 
als  sonstige  Erwerbsarten  der  manus:  auf:  1)  Erzen« 
giing  ans  seiner  Sache;  2)  Occupation;  3)  usns.    In 
diesem  Abschnitt  ist  aulTallend,   wenn  er  bei  Gelegen* 
beit  der  Ocoupation  das  ioUere  fV^^n^em erklärt:  ^^Der 
Ebemann  hat  anf  das  Kind ,  das   ihm  seine  Ehefrau, 
die    er  nicht   in  manu   hat,  geboren,    an  sich  noch 
Icein  Recht,  sondecn  allein  der  Paterfamilias  der  Frau. 
Nur-  wenn  dieser  es  dem  Ehemann  offerirt,  kann  er 
an  seinem   Kinde  Besitz  ergreifen ,   tollere .  infanti»m, 
und  erwirbt   dadurch   die  manus  über  dasselbe.    Erst 
spät  Terwandelt'e  sich  diese  suhlatio  in  eine  blofseCe- 
remonie.^*     f)in   solches  Kind    ist  ja  doch  keine  res 
nullius,  sondern  in  manu  des  Paterfamilias,  also  etwa  ^ 
des    Vaters    der    Ehefrau,  Vertragen    werden  kann 
aber  die  manus  nur  durch  manoipium.     Und  beifst  denn 
tollere  Besitz  ergreifen?  Wie  sollte  anch,  was  nur  in 
einigen,  gewifs  wenigen,    Fällen  vorkam ,    allgemeine 
Sitte  werden?  Eine  andere  von  Doederlein  neulich  auf- 
gestellte  Erklärung  (Zimmer^iann's  Zeitschr.  fQr  Alterth. 
1838  p.  316  sq.)    scheint  auch   die  gewöhnliche  noch 
nicht  verdrängen  zu  können.  -^  Unter  der  nicht  ßehr 
passenden  Rubrik  „Veränrserung  der  manus  an  das  un- 
terworfene Object  selbst"  bebandelt  der  Verf.  die  nuh 
nümüiUf.    Das  hier  über  manumissio  censu  Gesagte 
ist  sehr  zu  bezweifeln.     In   dem  Abschnitt  fiber   das 
Erbrecht  dieser  Zeit  ist  anfser  der  Umständlichkeit  in 
der  Erklärung^  der  mi  heredes  mir  besonders  anstöfsig 
gewesen,  dafs  in  der  Reihe  der  Erbberechtigten  (p.  190) 
der  Yerf ,   der  nur  vom  rein  plebejitchen  Privatrecbt 
reden  will,  die  O^ntilen  anreibt.    Sehr  zu  beachten 
ist  dagegen,  was  der  Verf.  über  die  ursprüngliche  Be^ 
d«tttung  der  später  sogenannten  'usucapio  pr9  herede 
und  gegen  die  Meinung  vorbringt,  dafs  der  Begriff  der 
Untversalmceesnon    dieser    ältesten    Zeit   angehöre. 
Unter  der  Aufschrift  „Schutz'  und  Wache  über  freie 
Mensdieti**  i^ird  die  VarmundMehafi  behandelt^  die  in 
ältester  Zeit  eustodela  genannt  sei.      Allein   an  der 
von  dem  Verf.  angeführten  Stelle  Gaius  II,  101.  steht 
in  der  alten-  Formel  schon  tutela  neben  custodela  und 
es  ist  kein  Grund  tutela  hier  für  eingeschoben  zu  er« 
kläeeii.     In  Bezug  auf  die  Basis  der  Darstellung  der 


der  r9miieAen  JUeeAt9ge$ehieAte.  382 

ältesten  Tutel,  kann  ich  mich,  auch  nach  dein  was 
Rndoi^ff  zunächst  in  Bezng  auf  die  Definition  des  f^er^ 
tius  bemerkt  hat,  nicht  einverstanden  erklären,  dafs 
'  der  Schutz  der  in  der  Tutel  befindlichen  Personen 
schon  in  ältester  Zeit  bei  den  Römern  als  das  We» 
sentlicbe  von  Seiten  des  tntor  angesehen  wurde,  viel- 
mehr ist  für  diese  Zeit  die  Idee  Aet  Gewalt  das  Vorw 
herrschende  und  die  Vormundschaft  war  nur  ein  Sur^ 
rogat  der  väterlichen  Gewalt.  Das  beweist  freilich  die 
wohl  dafür  angeführte  Stelle  Fragm.  Vatic.  §•  304«  gar 
nicht,  wohl  aber  dafs  der  nächste  Agnat  gesetzlicher 
Vormund  wurde,  and  Liv.  XXXIV,  2,  sagt  auch,  dafs , 
zuir  Zeit  der  majores  die  Frauen  gewesen  wären  5,in 
manu  parentium,  firatrum^  virorum.  «^  Das  über  Entr 
stehung  des  Centunwiralgeriehte  (p.  207  sqq.)  Ba» 
merkte,  enthält  manche  Unwabrscheinlichkeit,  es  schei-  . 
nen  sich  hier  zwei  der  alten  Schriftstelle«  rächen  zU 
wollen  für  die  Schläge,  die  Hr.^  Chr.  ihnen  zntbeiM; 
Ohne  Bedenken  hat  der  Verf.  hier  zwei  Stellen .  zum. 
Grunde  gelegt,  die  an  Unbedeuteudheit  ihres  Gleichen 
suchen,  eine  des  Dionys.  HaK  und  eine  des  Festus  im 
Auszüge  des  Patilus  Diaconus.  Hr.  Chr.  nimmt  den 
plebejischen  Ursprung  dieses  Gerichts  unter  Servius 
Tullius  an,  wie  Niebuhr.  Dars  das  vage  Raisonne- 
ment  des  Dionys.  dafür  gar  nichts  beweist,  hat  Znmpt 
dargetban.  Von  der  Stelle  des  Festus  glaube  ich,  dafs 
sie  nichts  Wahres  enthSlt  als  den  Anlang  und  das 
E])de:  Centumviralia  jiidicia  a  centnm  viris  sunt  dicta  — 
Centumviralia  judicia,  quae  centnm viri  judicabaut; 
und  diese  Erklärungen  verstehen  sich  so  ziemlich  von 
selbst,  sind  aber  eben  deshalb  ganz  strict  aufzufassen. 
Als  der  Name  Centumviri  entstand,  waren  ohne  Zwei- 
fel 100 leichter;  wären  es  105  gewesen,  so  hätten,  wie 
andre  Formationen  der  Art  beweisen,  die  Römer  ge- 
sagt Centumquinqueviri.  Das  wenigstens  haben  rich- 
tig die  eingesehen,  welche  annehmen,  aus  jeder  der  '30 
tribus  seien  3  Richter  gewählt  und  die  Decemviri  li- 
tibus  judicandis  seien  die  alten  Vorsteher  des  Gerichts^ 
gewesen.  Darnach  ist  audi  Zumpt^s  Hypothese  über 
den  Ursprung  des  Gentumviralgerichts  zu  i^ftrdigen 
und  schon  deshalb,  wie  es  mir  scheint,  zu  verwerfen. 
Im  Uebrigen  ist  Zumpt*s  Abhandlung  vortrefflich.  Wir . 
hätten  sehr  gewünscht,  dafs  Hr.  Chr.  etwas  Genaueres 
gegeben  hätte  statt  des  allgemeinen  Satzes:  „Es  wür- 
den in  den  einzelnen  tribus  Richter  gewählt,  Vahr- 
schoinlich  die  später  Centumviri  genannten^''  udnöthig 


\  - 


I  - 


y  .  I 


1 


383  CArütümsen^  die  WÜMetuehmß 

jrt  aber  der  Zweifel  in  den  Worten :  „Eb  schwankt^ 
ob  die  Centumvirn  einteln,   pder  «oollegialisch  fungir- 
len.*'    Altes  was  ans  von  der  Tbätigkeit  der  Centum- 
viri  überliefert;  ist,    zeigt  ein   collegialisches  Richten 
4lerselben  und  es  ist  wol  der  natürliche  Gang,    der 
ebenfalls  bei  andern  Völkern  siebtbar    ist,    dafs   den 
Einzelriobtern    RichtercoUegien  Torbergehen.  .  Es   ist 
.daher  auch  der  Satz  bei  Cbr«:   ,,Die  Plebejer  mögen 
zaerst  die  Jurisdiction  des  Königs  und  das  Richten 
einxehier  Judices  in  Gang  gebracht  haben"  sehr  zu 
bezweifeln«    Die  Erklärung  der  ha%ta  beim  Centumvi« 
ralgericbt  und    anderen   öffentlichen  Angelegenheiten 
als  Staatswappen  und  als  Zeichen,  dafs  etwas  im  Na- 
men 'des  populus  Romanas  vorgehe,  wird  hoffentlich 
den  Spielereien  ein  Ende  machen,   die  faiemit  getrie- 
ben, sind.     Zumpt  hat  im  Wesentlichen  dieselbe  Er* 
klärung.    Qei  der  Darstellung  des  gerichtlichen  Ver- 
fahrens macht  der  Verf.  besonders  geltend"!   im  alten 
Rom  ist  das  ins  strictum,  die  hinzutretenden  äufserli- 
chen  Formen  sind  nur  nothwendige,   daher  werden  sie 
durch   den  Gebrauch   fixirt ,    symbolische  Handlungen 
kennt  das  alte  Recht  Roms,  folglich  auch  den  Prozefs 
nicht.    In  den.  äufserlichen  Formen   und  Handlungen^ 
die  zu  den  Worten,   der  lex,  hinzutreten,  nimmt  der 
Verf.  früh  eine  Dniformität  an  (z.  B.   die  librae  acre 
percussio),   uicht  so  fiir  die  Worte,  Formeln  verwirft 
er  für  die  frühere  Zeit    Allein  ohne   das  Formelwe- 
sen der  spätem  Zeit,  in  def  die  Formeln  leer  waren, 
.in  die  frühere  Zeit  hineinzutragen,  möchte  ich  nament- 
lich die  fferichtlichen  Formeln  nicht  blofs  deui  reflecti- 
renden  Verstände  Einzelner  in  späterer  Zeit  zuschrei- 
ben.    Die   alten    Römer  liebten  am  welligsten   über- 
flüssige Worte  bei  ihrem  Handeln  und  daher  Ihöchten 
denn  wohl  schon  bei  ihnen  für  Geschäfte,  die  täglich 
wiederkehrten  und  die  wegen  der  einfachen  Lebens- 
verhältnisse einfach  waren,  certa  verba  als  Substrat 
der  rechtlichen  Handlung  sich  leicht  gebildet  haben. 
Da  rechtlich  uur  galt,  was  gesagt  war  (strictum  jus)^ 
80  wurde   manche    Weitläufigkeit,    die  durch  9,ft*eie9 
Hin-  .und  Herreden*'  entstehen  mufste,  vermieden,  wenn 
fiir  bestimmte  täglich  wiederkehrende  praktische  Zwecke 
ein  bestimmter  Ausdruck  concipirt  wurde.    Was  uns 

4  

die  römischen  Schriftsteller  von  dem  ältesten  Prozefs- 


,1 
der  rSmüeAen  ReehiegeecAieAte*  384 

^     •  ■      *' 

verfahren  mitthcfilen,  yerräth  allerdings  manchen  Ans» 

cbrpnismus,  aber'  ihre  Mittheilufigen  zeigen  uns  eine 
Regelmärsigkeit   und   Uebereilkstimmnng  auch  in  des 
Prozefsworten  trotz  der  einzelnen  Aenderungen  in  des 
für    sie  antiquirten  und  daher  mifsTcrstandenen,  ms- 
demisirten    Ausdrücken.     Der    grofse   Vorzog^  diesef 
Rechtsgeschichte   vor   anderetn,    der  ununterbrochene 
innere   Zusammenhang,    die   Consequenz   der  Dorck 
und  Ausführung  der  Hauptsätze  zeigt  sich  namentlich 
in   der  Darstellung  des  Prozesses.    Wenn  man  am 
anderen  Werken,   die  diesen  Gegenstand  ausführlich 
behandeln  (Zimmern),  nur  grade  die  Hauptsache  nicht 
erlangt,   nämlich  eine    klare  Vorstellung  eines  römi- 
sehen   Prozesses,  sondern  nur  Einzelheiten  und  Mög- 
iiobkeiten,  von  denen  dici  eine  die  andere  aufhebt,  8# 
erhalten  wir  hier  ein  deutliches  Bild,  in  welchem  zwar 
die  Farben  au  einigen  Stellen  stark  aufgetri^en  sind» 
aber   vor   offenbaren  Zeichenfeblern   weifs  der  Vi^ 
sich  wohl  zu  büteu.    Das  Bild  hier  zu  oopiren,  würde 
nutzlos  sein^  einige  Züge  desselben  zu  betrachten,  kans 
Job  mir  nicht  versagen.    Wie  die  Quälen  über  dieses 
Gegenstand  beschaffen  sind,   ist  bekannt,   Gajus  bat 
die  früher  gefühlte  Lücke  nicht  ausgefüllt »   obgleich 
er  uns  viele  Ueberbleibsel  und  Formeln  des  alten  Pro- 
zesses mittheilt,  seine  eigenen  Zuthaten  sind  von  geris^ 
gern  Werth.    Was   nach  Gajus   über   legte  aettona 
vorf^etragen  zu  werden  pflegt,  würde  einen  alten  R5* 
mer  in 'nicht  geringes  Erstaunen  setzen  und  sein  Satt: 
Ijege  autem  agebatur  modü  guingue  etc.,  würde  von 
keinem  alten  Römer  verstanden  sein.    Einleitung  ei» 
nes  Prozesses  ist  nicht  der  Prozefs  selbst.    Sehen  irir^ 
wie  Hr.  Chr.   sich   das   älteste  gerichtliche  Verfabres 
denkt.    Es  gab  im  ältesten  Rom  nur  2  RecKte,  ms- 
Dus  und  nexum  (später  obligatio),   daher  auch  nur  3 
legis  actiones,  -2  wesentlich  verschiedene  Verfahruogs* 
arten,   actio  in  rem  und  actio   in  personaau   Di9 
actio  in  rem  kann   sein  manus  consertae  und  viddi- 
cium  in  libertatem,  die  actio  in  personam  einfach  oder 
qualificirt.    Manus  consertae  nimmt  der  Verf.  als  Be- 
zeichnung des  Rechtsstreites  um  eine  manusfähi^e  Sa- 
.che.    Jede  der  Partheien  behaupten  die  manus  (manma 
iM/serere),  beide  rei  thun  dasselbe  (manum  roiiserere). 


(Der  Beschlufs  folgt.) 


\M  49. 

J  a  h  r  b  ii  c  h 


e  r 


für 


wissenschaftliche    K  ri  t  i  k. 


September  1839. 


JfigfFits9Hachaft  der  römüchen  Rechttgeschichie 
im  Grundrüt'e.     Von  D,  J.  Chrisßtansetf. 

(Schlafe.) 

Die  Äodeutang  eines  sjoibolischeD  Streits  in  ma- 
iHis   eonsM^re  bat  der  unbehelfene  Etymolog  Gellius 
gefandea  oder  vieUeicbt  aus  einem  frfiheren  Grammi^ 
tiker  entnommen  ^  Gajns  erwähnt  da?on  nichts.    Uu- 
praktisohes  nnd  Symbolisches  hatten  die  pralitischen 
lUloier  nicht  in    ihrem  Prozefs.    Das    Berühren   der 
Saiobe  mit  der  festuca  hatte  seinen  pralEtischen  Zweclc 
und  var  nothwendig  wie  die  Gegenwart   der  Sache. 
Im  Prozefs  Migt  sich  die  Zweckmäfsiglceit  der  £in- 
Uieilmig  von  r^s  manoipi  und  nee  mancipi  am  besten^ 
die  Sachen,  dereu   Gegenwart  im  Prozers   nnmoglich 
nnd  schwierig  zn  bewerkstelligen  war,  sind  eben  die 
rea  nee  maacipi.    So  unser  Autor.    Jene  Ansicht  von 
jQldonDi  Scheinkampf  in  den  römischen  Prozessen,  die 
ao  beliebt  geworden,  bat  ihren  Höhepunkt  erreicht  bei 
Cr*  AsTcrus  über  die  legis  actio  sacramenti  (Leipzig, 
UB37.  S.}?  Tielleicht  hat  für  die  in  dieser  Schrift  ent- 
wickelte Auslebt  auch  die   Wahrbafligkeit,.  das  Prin-~ 
zip  des  germanischen  Rechts,  vorgeschwebt.    Auf  der 
entgegengesetzten  Seite  geht  Hr.  Chr.   viel  zu  weit, 
vrenn  er  das  manus  conserere  cum  hoste  hineinzwängt 
ior  die  Erklärung'  des  prozessualischen  terminus,    er 
wird  Niemanden  durch  seine  künstliche  Deduetion  über« 
reden,  dafs  nicht  manus  conserere  cum  hoste  immer 
abd   allein  handgemein  werden    bedeutet'  habe  und 
eben  so  wenig  kann  man  es  gelten  lassen,  wenn  er 
bei  manus.  injectio  nur  an  die  juristische  Gewalt  den- 
ken will.  ^  Für  seine  Ansicht  Hätte  der  Verf.  beryör- 
lieben  können,  dafs  maaum  conserere  und  nicht  mo- 
uue  conserere  in  den  ältesteu  Zeugnissen  (12  Tafeln, 
Ennins)  and  in  den  meisten  späteren  stehend  ist. 

Die  Ansicht  Niebuhr's  über  nexi  und  addicti  hat 
Hr.  Chr.  mit  Recht  verworfen.    Eigentbümlich  i^t  ui^- 
JaArft./.  inmntcA.  i&tVt4:../.  1839.    II.  Bd. 


ter  Anderem  in  seiner  Darstellung  des  altrömischen 
Scbuldrcchts  die  Erklärung  der  bekannten  Worte  de^ 
12  Tafeln  qmndecim  pondo  ne  minore  „das  Fdsseln 
der  Person  sei  nur  erlaubt  gewesen  bei  einer  Schuld 
über  15  As."  Diese  ansprechende  Erklärung  hebt  eine 
Wunderlichkeit  des  Zwölftafelrechts  auf,  aber  sie  pafst . 
gar  nicht  in  den  Zusammenhang  der  Zwölftafelworte, 
wie  sie,  uns  von  *  GelUus  mitgetheilt  werden  -  und  der 
Zusatz:  at  ei  volet  mti^are  verliert  allen  Sinn,-  wie 
sich  Jeder  überzeugen  kann^  der  die  ganze  Stelle 
übersieht, 

Referent  ist  nicht  in  denn  Glauben  durch  die  vor- 
liegenden .  Bemerkungfeil  ein  Werk  charakterisirt  an 
haben^  das  nur  als  Ganzes  richtig  aufgefaßt  werden 
kann,  nichtsdestoweniger  ist  er  der  Meinung . seine 
Pflicht  erfüllt  *  und  den  Anforderungen ,  die  gerechter 
Weise  an  jeden  öffentlichen  Beurtheiler  gemacht  wer- 
den, entsprochen  zu  haben.  .  Seine  Erklärung,  dafs 
das,  was  im  Einzelnen  in  dieser  römischen  Recbtsge- 
scbicbte  verfehlt,  erscheint,  der  Vortrefflichkeit  dea 
Ganzen  keinen  Abbruch  thut,  rechtfertigt  schon  die. 
Beicbbaltigkeit  des  Werkes,  Baco's  wahrer  Satz :  „Ci- 
tius  emergit  veritas  ex  errore,  quam  ex  coniusione'' 
mag  auch*  dazu,  dienen.  Für  die  ^römische  Redhtsge- 
schicbte  ist  Vieles  im  Einzelnen  zu  thua  und  zu  bes- 
sern, das  kann  nicht  durch  einen  Einzelnen  and  nuir 
allmählig  geschehen,  was  aber  jetzt  mehr  Noth  thut, 
ist,  sie  zur  Wissensjcbaft  zu  erheben^  und  ^da  kann  ein 
Einzelner  weit  mehr  thun.  Dafs  dieses  die  Hauptab- 
sicht des  Verfassers  vorliegenden  Werkes  gewesen, 
ist  keinem  Zweifel  unterwerfen ;  hätte  er  weit  weni- 
ger, als  geschehen  ist,  seine  Absicht  erreicht,  so  wäre 
doch  unbedingt  die  Abgeht  zu  loben,  allein  dieses  be- 
schränkte Lob  gebührt  ihm  nicht,  denn  die  wissen- 
schaftliche Methode,  die  der  Verfasser  für  jlie  römi- 
gebe  Rechtsgeschichte  angewendet,  ist  eben  so  se|ir 
zu  rühmen,   als  die  historischen  Resultate  zu  beach- 

49 


387  Buttm/rnny  au$ßihrlieke 

ton,  an  denen»  dieses  Werk  so  reich  ist  Nicht  vcbk 
ger  als  auf  die  Fortsetzung  dieser  Rechtsgeschichte 
sind  vi\t  gespannt  auf  da«  Erscheinen  der  in  der  Vor- 
rede Terheifsenen  Rechtsphilosophie,  durch  die  Vie- 
les in  dem  vorliegenden  Werke  Gesagte  näher  begrün* 
det  und  'erörtert   werden  uiüfs. 

Odenbrnggeni 


XXIL 


^   Ausführliche  griechische  Sprachlehre  von  Philipp 

Buttmann,    ükceiter  Band.    Ziceitp  Außage^ 

\  mit  Zusätzen  ton,  C.  A,  Lob  eck.    Erste  Ab^ 

theilung.    BerUny  i&39.    332  S.    8. 

Mit  Erwartung  und  Vertrauen  werden  die  FrAunde 
der  griechischen  Sprachwissenschaft  unlängst  die  Nach- 
richt aufgenomoien  haben,  dafs  der  letzte  Tbeil  von 
Buitmann's  ausiilbrlicher  Grammatik,  von  welchem 
eine  zweite  Auflage  nöthig  geworden,  anter  Obhut  von 
HrHi  Geh.  R*  Ltobeck  gestellt  sei ;  er  selbst  gab  in 
akademischen  Schriften  der  Königsberger  Universität 
bereits  Anzeige  davon  mit  Proben  der  künftigen  Be- 
arbeitung. Wenn  schon  jedes  Kapitel  dieses  Faches 
von  seiner  kundigen  Hand  Verbesserungen  .  und  Zu- 
wachs erfahren  hatte  und  noch  empfangen  mochte:  so. 
'  schienen  doch '  die  wesentlichsten  Abschnitte  gerade 
jenes  letzten  Theiles,  das  Verbalverzeichnifs  nnd  vol- 
lends die  Lehre  von  der  Wortbildung,  auf  die  der  Vf. 
der  Paralipomena  Qrammatieae  Graeeae  vor  ande- 
ren Anspruch  machen, darf,  an  keinen  angemesseneren 
Btorbeiter  gelangen  zu  können.  Jetzt  wird  jeder  leicht 
beurtheilen,  ^^fs  in  einem^  gewissen  Sinne  den  ange- 
regten Hoffnungen  wirklich  entsprochen  seC  Referent 
denkt  hier,  wenn  er  von  einer  bedingten  Leistung  re- 
det, weniger  an  Hm.  Lobeck's  eigenes  Geständnifs. 
„^as  ich  hin  und  wieder  (äufsert  er  in  seinem  kur- 
zen Vorwort)  im  Verbalverzeichnifs  zugesetzt  habe, 
bitto  ich  als  eme  ganz  anspruchslose  Zugabe  hinzu- 
nehmen; ich  "habe  dazu  nicht  einmal  die  eignen  nach 
ganz  andern  Rücksichten  geordneten  Vorrftthe  benut- 
zen können,  noch  weniger  Fremdes."  Nicht  diesen 
Ausspruch  meinen  wir,  welcher  das  wirklich  Geleistete 
fiber  Gel»fihr  verkleinert,  sondern  "das  Verblitnifs,  in 
welchem .  der  spätere  Forscher  zu  seinem  Vorgänger 
stellt  und  wider  Willen  stehen  mufs.  .  Unser  Publikum 
zwar  pflegt  unbekümmert  um  die  Schmnke  jeder  kräf- 


grieehisehe^  Sprachlehre.  '  S66 

tigen  Individualität,  welche  zur  Scheidewand  gegos 
alles  Fremde  wird,  das  Höchste  zu  fordern,  und  seint 
Erwartungen  steigen  ins  Mafslose,  •  wenn  es  zumal  mit 
einem  berühmten  Namen  zu  thun  hat.  Aber  das  Feld , 
der  Wissenschaft,  welches  in  weite  Bahnen  ausiäiA 
und  den  Wetteifer  der  verschiedensten  Kräfte,  sei  ei 
in  Eintracht  oder  in  scharfen  Gegensätzen,  verträgt, 
kennt  nicht  einerlei  Mafs  und  Absicht  mit  dem  kunst« 
'  voll  begrenzten  Garten,  den  eine  pflegende  Hand  i» 
engeres  Geleise  zog  und  bestimmten  Ordnungen  osh«^ 
warfj  dessen  Gruppen  Schonung  und  Nachhilfe  gebie- 
ten, wenn  anders  der  Nachfolger  das  überkommese 
Weric  erhalten  und  fortfuhren  will.  Im- letzteren  Falle 
finden  sich  die  beiden  ausgezeichneten  Männer,  wel- 
che hier  gesellschaftlich  im  abgesteckten  Gehege  sih 
sammentreff^en«  Buttmann  erblickte  sein  Mafs  md 
seine  Aufgaben  sofort  in  der  Stellung,  die  er  zar  da^ 
mals  überlieferten  Grammatik  einnahm,  „indem  er  anf 
einem  verwilderten  Boden  mit  den  Schwierigkeiten  d(är 
ersten  Anlage  zu  kämpfen  hatte.*'  Er  mufste  danut 
beginnen,  dafs  er  aus  einem  Gewfrr  von  Einzdbeitea  ^ 
und  aus  den  entstellten  oder  verfälschten  Lehren  ei- 
nen  zuverläfsigen  Thatbestand  hervorzog,  sodann  dafs 
er  diesen  positiven  Grund  über  das  früher  kümmerli- 
che Gebiet  hinaus  erweiterte  und  bis  zum  Inbegrif 
eines  die  antike  Gräcität  umfassenden  Sprachj;ebäude8 
ausbildete;  nachdem  er  aber  das  so  begrenzte  Feld 
seiner  inneren  Tbätigkeit  errungen  hatte,'  wirkte  er  m 
Greisen,  was  die  Ajesandrinischen  Verfechter  der  Ana- 
logie in  den  ersten  empirischen  Umrissen  gewollt  nuA 
mittelst  der  Regel  fixirt  hatten.  Wer  sollte  sich  hier 
nicht  Tergegeu  wärt  igen,  wie  unser  Techniker  (nsi  ei- 
nen alterthümlichen  Ausdruck  anzuwenden)  in  vieles 
glänzenden  Kapiteln  seiner  ausführlichen  Grammatik 
das  sprachliche  Gesetz  aufweist  und  unter  die  bändji^ 
ste  Formel  bcfafst,  das  Allgemeine  bis  in  die  letzten 
Ausflüsse  der  Besonderheiten  zerfallt,  ohne  dafs  ihm 
die  Norm  in  Ausnahmen  und  im  Zufälligen  verloren 
ginge;  wie  er  den  Gebrauch. in  seiner  historischen  Ab* 
stufung  zu  ordnen  weifs  und  trotz  aller  Mannich&kig- 
keit  in  klarer  Anschauung  zusammenhält}  und  wem 
schweben  nicht  die  ebenso  scharfsinnigen  als  lichtvol- 
len Erörterungen  vor,  in  denen  er  schmiegsam  und  mit 
liebevoller  Sorgfalt  *  das  Anomale,  die  wildlaufenden 
Erscheinungen,  und  was  sonst,  weil  es  den  Anschein 
des  Irrationalen  trägt, ,  vto  den  Theoretikern*  verpöflt 


viffd^  in  ihr  Seoiit  eioftelxt  oder  an  du)  fterrisseneo 
Fäden  des  Anftlegsn  knüpft  t  Aufserdeai '  dbercasoht 
^ajenigen,  li^dcber^  die  AUhseiigkeit  solcher  Verhand- 
langen und  die  Dfirre  der  früheren  Lehrbücher  kennt, 
tfe  Heiterkeit  and  Phantasie,  des  Vortrags,  der  jedes 
fiemltat  wie  in  geselligeoi  EinTersländnifs  nomittelbar 
Mtstehea  läfst.  Hier  kam  ihm'Torzüglich  das  tn  stat« 
len^-was  bisweilen  ab  Mangel  angemerkt  worden,  dafs 
er  nicht  ans  dem  Vollen  schöpfte.  Man  kann  ihm 
cwar  mit  Recht  nachsagen  (Vorr.  S.  IV)  „er  vereinte« 
cnerst  die  xerstrentea  Beobachtungen  der  Erklärer  iuit 
denn.  Ertrage  seiner  eignen  Tieljährigen  Untersochutt- 
gea  zu  einemf  wissenschaftlichen  Ganasen;''  auch  ist  er 
mebt  müde  geworden  mit  den  Zeitgenossen  fortzii- 
Bohreiten  und  ihre  Leistungen  zu  verwenden:  aber  die-' 
•es  Ganze  blieb,  seitdem  er  die  Fäden  des  Gewebes 
eingeschlagen  hatte,  unverrückt  der  Ausdruck  und  die 
Som^ie  seiner  grammatischen  Einsicht,  deren  Harmo- 
lue  er  durch  kein  gehäuftes  Detail,  kerne 'Denkwürdige 
keiten  ans  der  späteren  Gräcität  oder  irgend  ein  an- 
deres Element  der  blofsen  Gelahrtheit,  das  der  ur- 
sprünglichen Anlage  fremd  gewesen,  sich  stSren  liefs« 
Dm  so  siclierer  Verstand  er  diesen  in  gröfster  Reinhett 
ausgebauten  Haushalt  zu  beherrschen,  ~ und  um  so  dich- 
ter schlössen  ihm  die  Fugen  des  durch  verwandten 
Geist  belebten  Materials;  vielleicht  hat  noch  kein  Mei- 
ster eines  sprachlichen  Gebäudes  gegen  den  Eindring- 
ling, der  ihm  nicht  ebenbürtig  wäre,  sich  geschickter 
and  eleganter  abgesperrt.  Unser  Herausgeber  zeichnet 
die  Schwierigkeit,  jeuiSr  Geschlossenheit  beizukommen, 
in' treffenden  Worten:  „Nicht  überall  konnte  was  nö- 
thig  schien  ohne  Störung  des  Zusammenhanges  einge- 
schaltet werden,  sondern  nur  in  den  Zwüchenräfi-- 
men  de9  vielfaeh  gegliederten  Texteey  der  gemischt 
aus  Theorie  und  Empirie,  aus  historischen  Ergebnis^ 
sea  und  kunstreichen  Kombinationen,  die  verschiedenen 
Phasen  des  grammatischen  Studiums  darstellt*'  u.  s«  w. 

Man  wird  hiernach  fragen,  ob  unter  solchen  Um- 
ständen'das  Werk  •  Buttmanu's  überhaupt  fähig  sei, 
unmittelbare  'Fortsetzer  und  Kommentatoren  anznneb- 
nien«  Er  selber  beweiiit  ein  klares  (Sefühl  seiner  Stel- 
lung zum  Objekt,  wenn  er  dem  nach  Kräften  ausge- 
ßlfarten  System  bereits  ein  Ziel  setzt,  und,  indem  er 
jede  lästige  Zumuthuog  abwehrt,  zumal  die  zunffmä- 
fsige  derer,  welche  Noten  zum  Text  und  Supplemente 
oder  eine  fortlaufende  Chronik  begehren,  solcherlei  von 


grieehUehe  ApraehUkre.  3M 

den  zakünftigen  Theoretikern  and  ihren  Auslegern  er- 
warten heifst  „Wenn  einst  wieder  jemand  (so  lautet 
sein,  deutlicher,  und*  doch  von  Hrn.  L.^  mifsverstände- 
aer  Protest)  ^u  einer  Grammatik  Anmerkungen  schreibt, 
wie  die  von  Fischer  zu  Weller  sein  sollten,  das  ist 
der  Platz  zn  diesen  Nach^eisungen.''  Sein  Werk  ist 
vollbracht  und  das  von  ihm  angestrebte  Ziel  erreicht; 
der  Geist  seiner  Methodik  wird  als  Pulsachlag  'jede 
weitere  gesunde  Wirksamkeit  auf  diesem  Felde  trei- 
ben: aber  diejenigen,  welche  sich  in  dem  nunmehr  ge- 
sicherten Besitzstände  bewegen,  und  die  Aufgaben  un- 
serer, Zeit,  wie  einst  Buttmann  die  der  scioigen,  nicht 
verkennen,  müssen  auf  ein  Fortschreiten  mittelst  nnb^-, 
dingter  F-orschung  Bedacht  sein»  Wir  mögen  hier 
nicht  erörtern,  wie  vieles  B.  rückständig  gelassen  habe: 
wie  schon  ohne  sein  Zuthnn  die  frisch  entstandene 
Sprachvergleichung  eine  Medge  von  Gesrohtspiüikten 
und  Tbatsachen  geliefert,  um  den  Stoff  zu  erweitern 
und  schärfere  Merkmale  für  Analysen  zu  gewinnen, 
wie  ferner  die  philosophische  Betrachtung  gar  manches 
zur  innerlichen;  Ordnung  führen  und  lichter  begründen 
solle,  und  wie  wenig  mit  einer  gemessenen  Auswahl 
des  nothweudigen  oder  charakteristischen  Materials 
sich  das  ausgedehntere  Studium  der  Autoren  und  der 
Gräcität  als  eines  geschichtlichen  Organismus  vertrage. 
Statt  dessen  genügt  ein  Blick,  auf  die  nächsten  und 
jüngsten  Erscheinuogen  im  Fache  selbst,  namentlich 
auf  die  reichhaltigen  Beiträge  von  Hrn.  Lobeck^  der 
indem  er  frei  von  engeren  Zwecken  die  JBreiten  und 
Tiefen  des  griechischen  Sprachschatzes  zu  ermessen 
strebt,  eine  Reihe  kritischer  Resultate  gefördert  hat, 
welche  den  wissenschaftlichen  nicht  minder  als  den 
historischen  Gehalt  des  Objekts  über  die  gewohnten^ 
Grenzen  hinaus  steigern.  Wenn  also  Buttmann^s  mitt-- 
lere  Grammatik,  als  Summarium  fiir  den  Schulgebraucb, 
Und  in  noch  höherem  Grade  der  Auszug  derselben,  der 
VerpflichtuDg  sich  fügen  mufs  an  ihrem  inneren  Bau 
zu  bessern  und  nachhelfen  zu  lassen,  soweit  sachliche 
Kenntnifs  und  praktisches  Bedürfuifs  dies  gebieten:  so< 
wird  die  ausführliche  Grammatik^  wiewohl  f ie  in  eini- 
gen Theilen  nicht  vollendet  worden,  die  Berechtigung 
haben  unangetastet  und  geschlossen  zu  bleiben;  so  dafs 
sie  einerseits  .der  Vergangenheit  angehört,  wofür  sie 
gcwissermafsen  als  Aktenstück  und  Urkunde  gilt,  an« 
derseits  als  Wegweiser  und  eins  der  wesentlichsten 
Hülfsmittel  mit  den  Studien  der  Gegenwart  sich  ver- 


391  '   Butimann^  auMfihrliehe 

«ohiniht  Was  noch-  Yonr  kleineren.  Fefalein  oder  Irr- 
tfaulnern  unterläuft,  das  kaoA  mit  Schonung  und  ohne 
Geräusch  auf  der  SteUe  seiäo  Berichtigung  fipden; 
während  alle  Versuche  die  dortigen  Lehren  fortzulei- 
.ten,  mit  neuen  Massen  su  verbinden  oder  auch  zu  be- 
kämpfen,  da  sie  nun  einmal  einen  anderen  Standpunkt 
einnehmen,  in  die  Fertie  zurücktreten  sollten,  sef  es  in 
Gestalt  abgesonderter  Auctaria  öder  als  Nachwuchs 
ibrtnlicher  Paralipomeha^  die  am  besten  zwischen  dem 
alten  Meister  und  der  Zükiinft  einen  vermittelnden 
Ueborgang  bilden«  Die  neuere  Philologie  besitzt  eine 
zu  geritige  Zaht  von  Grundbüchern,  um  nicht  jedes 
derselben  aufs  gei^issenhafteste  sicher  zu  stellen« 

Diese  Betrachtungen  sind  Refer.  niemals' lebendi- 
ger und  klärer  geworden,  als  in  der  Erwägung  dessen, 
iiras  unser  Herausgeber  auf  Anlafs  seines  Vorgängers 
geleistet  haf.  Obgleich  es. nur  in  gelegentlichen  Zu« 
gaben  besteht,  die  den  Rang  eines  Epimetrum  von  un- 
gleicher Länge  oder  einer  umständlichen  Epikrisis  ein- 
nehmen, so  bieten  doch  die  -70  Seiten,  um  welche  die 
vorliegende  Abtheilung  gewachsen  idt,  eine  Fülle  von 
Studien  und  Tbatsachen  dar,  woraus  der  ernste  För« 
scher  sowohl  , Belehrung  /als  Anstofs  zu  wiederholter 
Prüfung  ziehen  darf.  Um  so  mehr  wird  man  beda^uern, 
dafs  ein  so  tüchtig  gerüsteter  .Kenner  seine  Stärke  nur 
in  einzelnen  Proben  zeigt  und  sich  in  freiwilliger  Un- 
terordnung gefüllt,  während  er  doch  allein  da  nützen 
I^ann,  wo  er  sich  eigene  Bahnen  eröffnet  und  sein  Wis- 
sen  in  unverkümnlertem  Zusammenhango  durch  breite 
Thäler  und  5des  Dickicht  hin  entwickelt.  Unseres  Er- 
achtens  wäre  fiir  den  Verf,,  statt  dieser  Nachläufer^ 
die  dem  Buttmannischen  Text  in  förmlich  abgemarkten 
Zusä(zen  mehr  oder  minder  eingeschränkt  nachziehen, 


Sjfraehlehre. 

Bik,  die  Methode,  die  Anwendung  der  Hfilfitmittel  oder 
Zeugnisse,  sogar,  der  Vortrag  stimmen  nieht  fiberein. 
Beim  Verf.  der  Zusätze  überwiegt,  wie^  jeder  weifs, 
die  Rücksicht  auf  absolute  Vollständigkeit   and   Efu 
sichöpfiiog,  wenn  seine  Forschung  auoh  picht*  der  genüg* 
sameren  Praxis  dienen  kann  und  nicht  durohweg  in  ein 
klares  Resultat  ausläuft ;  ihm  gelten  noch  die  späten, 
selbst  veraditeten  Autoritäten  (z.  B.  des  jüngeren  Epos, 
dessen  Licenzen  hier  vollständiger  als  sonst  nachg»' 
wiesen  werden)  und  die  flüchtigen  zerrissenen  EinaHit 
beiten ;  er  pflegt  die  gewonnenen  Tliatsaehen  vor  das 
Verhör  einer  wachsamen  Kritik  zu  ziehen,  ohne  den 
Ueberblick  einer  systematischen  Darstellung  tu  beab- 
sichtigen ;  er  räumt  femer  den  Lehren  der  alten  Theo- 
retiker keineii  geringen  Spielraum   ein  und  sieht  ii|  tli- 
nen  das  Regulativ  für  unser  Verfahren :  kurz,  um  nicht 
auch  bei  der  ungewohnten  Terminologie  zu  verweilen» 
seine  Reichthümer,  sein  objektiver  Sinn  für  Beobach* 
tungen  drängen  ihn  über  das  Mafs  eines  Wissenschaft' 
liehen  Summarium  hinaus,  und  lassen  ihn  mit  demje» 
nigen,  was  die  Gegenwart  bedarf  und  erstrebt,  nur  be- 
dingt oder  in  einigen  Punkten  zusammentreflen.  -  Wie- 
vieles  also  fehlt  ihm  zur  Harmonie  mit  Buttmann  I  Die- 
ser hielt  beharrlich  am  Grundsatze,  da(s  das  Auge  fest 
und  ungetrübt  über  dem  AUgeuieinen  der  Erscheinnngen 
schweben  und  allen  Zuwachs  an  Erkenntnifs  darein  auf- 
lösen  müsse;  das  Spezielle,  das  Anomale  habe  seinen 
VTerth  und  Rang,  sofem.es  am  Analogen  verständlich 
werde  und  über  die  normalen  Gesetze  wiederum   ein 
Licht  verbreite;  von  den  Theoremen  der  Grammatiker, 
soweit  sie  damals  bekannt  waren  (und  auch  die  später 
herausgegebenen  würden  schwerlich  greises  übir  ihn 
vermocht  haben),  zog  er  einen  beiläuligen  Nutzen,  sie 


das  einzig  Angemessene  gewesen,  wenn  er  die  Resul-  '  sollten  die  wo  möglich  älteste   Tradition  bestätigen 


täte  seiner  Lesung  und  Kritik,  soweit  sie  nieht  an  ver-^ 
einzelte  Punkte  lehnten,-  in  ungebrochener  Folge  und 
nach  selbständigen  Mafsen  am  Ende  des  Buches  zu- 
sammenfafste.  Jetzt  wo  man  in  unmittelbarem  Wech- 
sei  die  beiderseitigen,  zwar  anstofsenden  aber  nicht 
vereinbaren  Gebiete  durchwandern  mufs,  scheint  uns 
ein  Mi&toa  zu  verletzen:  denn  ni<^ht  blofs  sind  die  Ab- 
sichten und  Standpunkte  verschieden,  auch  die  Tech- 


und  zur  kritischen  Auffassung  derselben  verhelfen,  nicht 
eine  gebietende  Stimme  noch  eipen-  Wegweiser  abge- 
ben, vielmehr  besann  er  sich  nieht  die  eeiehte  Art  des 
Aristarch  oder  die  Willkür  des  Herodian  zu  rügen;  voi- 
tends  legte  er  geringes  Gewicht  auf  die  jüngere  Grfir 
oität,  und  er  nahm  sie  hiofs  in  knapper  Auswahl  an, 
nicht  um  ihrer  selbst  willen  und  als  selbsländige  Grafse. 


(Die  Fortsetzung  folgt) 


:       Ji  80. 
Jahrbficher 

für. 

wissenschaftliche 


K  r  i  t  i  k. 


September  1839. 


Jkmtfiäkrliehe  grieehufihe  SproeAlehre  ton  PAi- 
üfp  Bt$ttmanj9. 

(FortietzQDg.) 

Dab  mia  beide  Forscher  in  Prinzipiell  nod  m  Den- 
tBBg  des  Besonderen  öfters  schrofl^  aas  einander  ge- 
lieo,  wird  hiernach  ebenso  sehr  einlenchten,  als  dafa 
durch  das  neu  hinzugelKommene  Material  und  die  daraus 
entspringenden  Ansichten^  zumal  da  .dem  urtheilsfähi- 
^n  Leser  häufige  überlassen  wird^  die  Extreme  ans- 
angleichen,  eine  Kluft  und  Bedenklichkeit  zurückbleibt» 
veldie  dem  Geiste  von  Buttmann's  Arbeit  widerstrebt« 

»  Bier  ist  denn  eine  Ton  den  Ausnahmen  wirklich  anza« 
erkennen,  die  das  alte  Wort,  womit  die  verschieden- 
ften  Kämpfer  auf  der  Rennbahn  der  Wissenschaft  ge- 
schirmt sind,  ovdhg  d'  dfnpQti^ov^  &%  iMttcu,  selten 
erleidet;  und  eine  Trennung^  die  nach  allen  Seiten  hin 
erspriefslich  wäre,  in  solchem  Falle  fast  geboten.  Die 
Natur  dieses  Zwiespaltes  wollen  wir  an  einigen  weni« 
gen  Beispielen  darzulegen  suchen« 

Die  Abtheilung,  mit  ißt  wir  zu  thun  haben,  be* 
greift  in  ihrer  äufseren  Einrichtung  zuerst  die  Lehre 
jvon  der  unregeltnäfsigeth  Konjugation^  dann  un^  vor- 
herrschend  das  Verbatver»eiehnif$.  Unregelmäfsig  hiefs 
Buttmann  zersplitterte,  aus  Reihe  und  Glieds  getretene 
nnd  deshalb  firpher  entweder  yemachlärsigte  oder  mit 

.  rohem  Mechanismus  abgefertigte  Bildungen  des  Ver- 
bum,  die  er  zuerst  unter  innere  Gesichtspunkte  zu  f aa- 
sen suchte,  namentlich  unter  die  Formeln  der  Synkope 
und  der  seltneren  Metathesis,  der  aus  einZelen  Tem« 
pora  neu  entstandenen  Themen,  .der.  Wandelung  de« 
Stammes,  der  Anomalie  der  Bedeutung.  Läfst  man 
noch  die  wenig  bestimmten,  eigentlich  prekären- Be- 
griffe Ton  Regel  und  Unregelmäfsigkcit  bei  Seite,  so 
sind  doch  die  gewählten  Schematismen  weder  gleich« 
artig  noch  für  diesen  Platz  der  Fonnenlehre  durchaus 
geeignet.    Denn  z.  B«  die  Belege  für  Wandelung  des 

Jahrh.  f.  winen^ph.  Kritik.  J.  1830.  II.  Bd. 


Stammes,  ^/nro»,  q>i^,  oev|tf  neben  ^mtim^  t^o^im^  au- 
Icryw,  sind  ganz  regelrecht  und  geben  Uebergänge  sa 
bedeutsamen  Endungen,  die  den   schicklichsten  Platz 
in  der  Wortbildung  finden,  sowie  reduplizii;te  Forinen, 
ein  T^jnniaim  oder  Mvfifu  aus  den  Themen  yrow  und 
ovde9,  in  die  Geschichte  des  Verbuni,  in  den  Abschnitt 
von  den  sogenannten  doppelten  Themen  gehören  s  nur 
die  wenig  zahlreichen  Fälle,  wo  Formationen  aus  sehr 
Tersohiedenen  Stämmen  (wie  q^igcai)  ein  gemischtes  Yei^ 
bum  gestalte%  passen  zur  Einleitung  in  die  Anomala. 
Aehnlich  würden  wir  von  den  Anomalieen  der  Beden« 
tung  urtheilen :  der  Grammatiker  kann  zwar  iatipf  und 
idw  neben  den  transitiTOn'  üntioa  und  i9vaa,  oder  ein 
Futnrum  Ai/v^ofia»  nicht  erklären,  ohne  die  WechselwiN 
kong  zwischen  transitiver   und  kausativer  Bedeutung 
und  den  formalen  Einflufs  des  Futurum  MediL  im  alt- 
gemeinen erläutert  zu  haben,  aber  diese  Momente,  die 
sich  auf  yerscbiedene  Klassen  des  Verbum  erstrecken^, 
werden  schon    deshalb  in  einer  allgemeinen  Theorie 
desselben,  namentlich  in  der  von  seinen  Begriffen  und 
Genera  erwartet;  der  passive  Sinn  hingegen,  den  Fu- 
turum und  Aoristus  Medii  zulassen  (s.  §.  113,  6«),  ist 
in  das  Gebiet  der  Syntax  zu  verweisen.     Vollends  ent* 
hält  da3  Kapitel  von  c^nkopirten  und  metatbetiscbeo 
Formen,  dessen  Mängel  und  Fiktionen  trotzL  alles  Ver- 
dienstlichen durchschimmern,  nur  ein  Material  ftir  die 
Inkunabeln  und  Antiquitäten  der  griechischen  Konju- 
gation; woraus   erst   dann  ein  wahrhafter  Nutzen  ent- 
springen wird,  wenn  man  sich  einer  organischen  Dar- 
stellung des  Verbum  mittelst  der  Doppel  -  Flexion  Q 
und  MIy  gleichsam  als  bin  und  her  geworfener  Ein- 
schlugfäden des  kiinstlicben  Gewebes,  unterzieht.    In- 
defs  ist  es  Buttmann's  sicherem  Blicke  nicht'  entgan- 
gen, dafs  ihm  hier  nichts  vorläge  „als  Reste  aus  der 
früheren  Spracbperiode,  wo  die  nachherigen  Analogieen« 
sich  noch  nicht  ausgebildet  hätten**  (§.  110.  A,  14«)| 
und  auch  so  wollen  wir  es  schätzen,,  dafs  er  einen  ord- 

50 


•    • 


395  Buiimanny  ausßükrlifie 

nenden  Gedanken  in  diese  merkwürdigen ^  als  ^topte 
verschleuderten'  Thalsachen   gelegt  hat.    Im   Printfp 
nun  der  Oekonomie  scheint  Hr.  L.  mit  seinem  Vor- 
^  ganger  besser -einverstanden  zu  sein  ab  in  des  Banr- 
^theiliing  nnd  Schätzung  der  Fragepunkte ;  wiewohl  ijkm 
auch  in  Beziehung  auf  jenes  (nach  dem  Schlufs  der 
Torrede)  ein  einfacherer  Weg  gefallen  hätte,   so  dafs 
ein  schlichtes  Register  blieb,  die  Anomalieen  aber^  die 
einen  allgemeinen  Charakter   tragen^   bereits    in    der 
Lehre  von  den  Aflfektionen  erörtert  und  von  den  be- 
sonderen  Füllen,  dem  Objekt  eines  eigenen  Abschnitts, 
{[geschieden  wurden»    Einen  Bel^  davon  ertheilt  er  so* 
gleich  an  der  Sjfniope  (S.4fg.)}  die  er  hier  in  einem 
weiteren  Sinne  {nUe^qov^   iii^xHqal  &^CQn^  iotyfitp)  auf* 
«teilt,  dojt  entfernen  will,  wie  nimm  nicht  aus  Redu- 
plikation sondern  Wiedetholung  des  Anfangsbuchsta- 
bens hervorgehen  solle*    In  diesen  Entscheidungen  han- 
-delt  es  sich  nicht  um  ein  inneres  Gesetz,  das  noch  von 
keinem  ergründet  ist;    alles  l&nfl  anf  ein  Mehr  oder 
Weniger^  auf  ein  empirisches  Sichten- und  eine  kriti- 
cche  Trennungsfinie   zwischen  dem  Wesen  und   dem 
Schein  hinaus:  wobei  doch  selbst  der  Verf.  mit  dem 
-skeptischen  Für  und  Wider  nicht  immer  fiufs  Reine 
kommt,  wie  in  der  Erwägung  über  bqvtp^  S^vo^ai  S. 
7  ff.,   ferner  Jn  der  Annahme  eynkopirter  Imperfekte 
nnd  Plusqoamperfekte  16  ff.,  ^^ttto  twtvo  (wonach  s'juxro, 
fnfjuxo)y  von  ursprüaglichen  Präsensformen  äg/fAUi  tv^fiai, 
oder  i.vTOf  iXiinro  dix^ai  als  Plusq.  mit  fehlender  Redu^ 
plikation.    Da  die  Beweisführung  stets,  den  Werth  und 
die  Stellung  des  Positiven  Schritt  vor  Schritt  zu  b&- 
währen-  sacht,,  so  fallen  freilich  manche  Einzelheiten 
fort  oder  verlangen  eine  andere  Auflösung  (wie  neno* 
tr^c  8. 25),  nnd  ebenso  wenig  mangelt  es  an  Ergebnis* 
sei»  einer  vollständigen  Induktion  (z.  B.  dafs  von  den 
synkopirten,  oder  wie  es  S.  12  genauer  heifst  den  de- 
fektiven  Aoristen   der   starken  Konjugation  ^Wra  der 
einzige  mit  kurzem  Stammvokal  ist):  aber  auf  der  an« 
deren  Seite  kann  man  so  schnell  des  Bedenkens  sich 
-nicht  entschlagen,  ob  uns  die  alten  Theoretiker,   so- 
weit sie  dieses  sind  und  blofs  die  Gewalt  über  Endun« 
gen,  Accente  u.  dergL  voraus  haben,  mit  ihren  Ürthei« 
len  bestimmen    sollen  (wenn  etwa  der  Scholiast  des 
Arat  6^{}%otvf  als  d^foQvxotiv  deutet,  Aristarch  um  dem 
Homer  keinen  unnotkigen  Aeolünrns  aufzubürden  x^-^* 
ißXffyomq  in  .««xXiy/cSre^  ändert ,  Herodian  ein  Präsens 
xexXofcai  setzt,  demgemafs  auch  amdirnnat  und  äkäkri^tit 


grUphi$cke  SpracJUeAre. 

8.  43  als  reduplizMe  PrSsentien  gelten),  ob  anch  die 
.  späten  Dichter,  sollten  sie  sogar  mehr  einer  .Bchnltra- 
.  dition  als  ihrer  Laune  in  so  vielen  eigenmächtigen 
Formen  gefolgt  sein,  ein  gewichtiges  tLorrektiv  abgo- 
beQ.  ^ber  auch  wenn  wir  die  Bltthodon  der  drampit- 
tiker  und  die  bunten  Autoritäten  der  Epiker  iur  voll 
nehmen,  so  bleibt  gleichwohl  eine  so  verwirrende  Menge 
von  Schwankungen  nnd  Widersprüchen,  wie  die  ge- 
treuen Berichte  des  Verfs,  sie  augenscheinlich  z^cn 
und  das  Haften  an  vereinselten  Anatysen  solches  Uh 
vermeidlich  machte,  dafs  man  selten  ^  reines^  über- 
zeugendes Resultat  gewinnt.  Der  Streit  bewegt  sieh 
mithin  von  neuem  in  der  Frage,  ob  das  Divide  stär- 
ker sein  müsse  als  das  Compelte  intrare. 

Auf  einen  ähnlichen  Zwiespalt  gehen  die  letzten 
Zusätze  in  demselben  §.  110.  nämlich  bei  Anm.  14. 
und  16.  zurück*    Bort  chatte  Buttmann  drei  abnorme  ' 
Perfekte,  irf^v^orfg^  f^ftt/^rfr«,  ^^axjuorf^,  ah  eine  klebe 
Gruppe,   die  ans  alterthümlichen  Zuständen  vereuizelt 
stehe,  zusammengebracht«    Hr*  L»  weist  nun  die  Ver» 
schiedenhciten  nach,  die  selbst  unter  diesen  drei  Fo^ 
men  hervortreten,  und  nimmt,  wenngleich  mit  ehnigem. 
Zweifel,   synkopirte  Flexion  an.    In  der  Hauptsache 
sind  also  beide  Forscher  einig,  denn  B.  erklärt  jene 
Perfekte^   mSgen  sie  verkürzt  'oder  ans  freier  Hand 
vom  Stamme  gebildet  sein,    mit  wahrem  Gefähl  für 
Trümmer  der  noch  regellosen  Antiquität;  und  jeden- 
falls war  es  wohlgethan,  dafs  er  die  flüditigen  Partf* 
zipia  auf  einem  Fleck  zusammonhielt.    Doch  wenn  whr 
trennen  nnd  Erklärungen  versuchen,  so  reicht  meht 
mehr  die  Sjnkope  hin,  sonderd  os  verrätb  sich  die  Be^ 
mühung  in  die  magerste  l^ormation  des  Perfekts  (r^l«* 
ft€y)  'eine  characteristica  zn  schieben,  denn  als  Themen 
stimmen-^^v;'«»^  ^liyto  {jwyjiiQ^  mutigere)^  Xlym  '{Ungere^ 
besser  auch  Xe^i^rfct^rcff)   zusammen.    Debrigens   kennt 
man  fif^v^ore  blofs  aus  dem  Bruchstück  des  jintümh 
oAusy  fi.  iivdalda  n,  vermuthlicfa  von  Tjdeus  und  Poljr* 
nioes  „schnauben^  und  vpn  Schweifs  triefend"  (fWbfr. 
in  E.  Phoen.  423.);  der  Verf.  erklärt  „faulende''  nnd 
^setzt  einen  gelehrten  ParalleKsmus  voraus.    Daft  aber 
im  anderen  Zusatz  S.  33  thematische  Präsensformen 
wie  <hcec9  iAX6m  xfidoi}  wovon  die  beiden  letzteren  sogar 
den  Lautgesetzen  widersprächen,  als  unndtfaig  verwies 
sei^  werden,  mag  fiir  den  Gebrauch  der  jetzigen  GA-' 
citüt  ebenso  gültig  sein  als  die  Yerwerfiing  (S.  27)  dei 
nnanalogen  rerXaa:  indessen  meint  auch  Buttroann  blofo 


FoniHD  oderStmmiBylbeB^  die  den  sp&fereD,  regdnft- 
tmtg  und  eophaniftcb  entwickelten  zu  Darcbgangspnnk- 
ten  dienten,  ohne  irgend  Anspruch  auf  positive  Ge- 
vähr;  und  es  wäre  nur  rathsamer,  dafs  solche  rein 
Buethodisehe  Zwi«ohenglieder.  ia  einem  eigentlioh  -  etjr* 
iMlogisohen  Kapkel  der  Wortbildung  abgehandelt 
wfadeB. 

Id  den  nächsten  Abschnitten  kehrt  diese  Differenz 
mehrmals  wieder;  da  sie  das  Objekt  einer  wiederhol- 
teo  Prüfung  ^ein  uiufs  und  sich  gewöhnlich  um  EinteU 
heften  dreht,  so  begnügen  wir  uns  mit  wenigen  Andeu- 
tamg&u  i-  111.  handelt  die  neuen  Themen  ab,  die  aus 
den  Tempora  (durch  Anadrome)  entstehen  sollen.  Viele 
solcher  Annahmen  hat  Hr.  L.  mit  Recht  eingeschränkt: 
namentlich  weist  er  nach,  dafs  die  yon  Perfekten  aus^ 
gebenden  Präsentien  überall  seltener  sind  als  man  ge- 
aeinbin  glaubt,  sonst  am  sichersten  in  Partizipien  sich 
darstellen,  and  dafs  überhaupt  ^die  Entstehung  eines 
liaupttempus  aus  dem  nntergeordtteten  Modus  eines. 

m 

anderen  nicht  natur^emäfs  sei,  Tieimehr  die  heterokli- 
tische  Bildung  zu  den  Notbwendigkeiten  gehört,  wel- 
che den  euphonischen  Organismus  in  den  Verbalfor- 
men  bewirkten.  Im  wesentlichen  ^ar  Vlieses  auch  Butt- 
maan's  Ansicht,  indem  er  sogleich  §.  112.  den  Gang 
aller  Flexion  an  einzele  Tempora  aufser  der  Reihe 
knüpft,  woher  der  Weg  zur  folgerechten  Regel  und 
Gleichmiifsigkeit  gebrochen  und  fast  gewaltsam  aus 
den  verschlungenen  Pfaden  der  ersten  Bildaerei  gleich« 
MWi  eine  Heerstrafse  geebnet  wurde ;  doch  räumt  er, 
■whr  als  der  nicht  praktische  Beobachter  gestattet, 
der  Methode  ein ,  welche  jeden  Gang  der  Formation 
Schrittweise  zu  belauschen  liebt,  und  gibt  daher  An- 
lasse zum  Einspruch,  das  heifst,  zur  Aufrechtbaltung 
Ton  historischen  Schranken,  die  nur  nicht  zu  eng  und 
«overrückbar  sein  dürfen.  Dafs  z.  B.  rafiiato  auf  ein 
roftdio  führte,  kann  nicht  unglaublich  oder  den  S.  45 
geäufserten' Möglichkeiten  widersprechend  dünken,  da 
das  Präsens  etwas  nachschleicht;  daraus  folgt  also 
nicht,  dafs  auch  ^mxim  erst  durch  ein  Futurum  ^mxtiaw, 
daa  der  Yerf^  S.  52  bezweifelt,  zum  Dasein  kommt,  so 
wenig  als  gegenüber,  dafs  in  einer  Mehrzahl  von  Pa* 
ragogen  blofs  Euphonie  uild  dialektischer  Gebrauch 
walteten :  war  einmal  die  Bahn  eröffnet,  so  drängte 
sich  manches  auch  ohne  Noth  und  der  Grammatik  zum 
Trotz  ein.  Unter  anderem  ist  nuliim  in  Späten  ( tVytL 
in  Plut.  T.  VI.  p.  818)  das  gangbare;  dafs  man  d//c- 


gtieeküeAe  SproMekre*  396 

Ut^  biaweilen  als  Prüsens  (S*  63)  ftifste,  bleibt  frag- 
lich;  wahrend  ein  dunkles  Gefiihl  (wie  B.  erkafemte) 
dem  Herodot.daa  zwitterhafte  Perfekt  druknvL  znsckob: 
wovqn  zwar  Hr.  L«-  S.  55  sich  nicht  überzeugt,  aber 
den  Werth  seiner  Citation  ^^^  äSk  aus  IV,  3L  73. 82. 
(soll  74.  und  81.  beifsen)  lassen  wir^  auf  neh  berohes« 
Ebenso  machten  wir  gegen  Znsatz  ^.  1I2.  Annu  1&. 
die  Beobachtung  ElmtleyM  über  den  aoristisdieB  Siitn 
der  £ndung  a&ovj  ai^eiw  in  Schutz  nehmen.  Man  kami 
sich  zwar  über  solche  Vereinzelung  des  Gebrauchs  wmi« 
dem  und  darin  sonderbaren  Eigensinn  der  Sprache  »«• 
blicken;  aber  die  Bedeutung  deil  Aorists  Ufst  sich 
darum  noch  nicht  als  Zufall  in  den  Winkel  drüngen, 
und  dagegen  weder  durch  HinwcJsung  auf  die  Flexior 
neu  a¥m  t&i  v&w  ankämpfen,  die  wirkliche  Paragogea 
sind  oder  sein  müssen,  noch  wird  diirch  die  Piatoni-, 
sehen,  Ton  Buttmann  erwähnten  Stellen  etwas  ausge- 
richtet. Wir  thäten  wol  besser,  in  jenen  ?ier  attischen 
Aoristen,  zu  denen  noch  iux^ov  kommt,  den  im  ersten 
Versuch  unterbrochenen  Ansatz  für  eine  organische 
Form  des  Präteritum  zu  sehen,  analog  "den  Snffii;en 
dl  und  ^f  welche  den  rechtuiäfsigen  Flexionen  der 
casus  obliqui  voran  oder  zur  Seite  gingen  3  wieviele^ 
aber  hier  zersplittert  worden,  deutet  nodi  das  Homeri- 
sche ßtßQti&oii  an,  welches  dem  Perfekt  parallel  läuft,' 
worüber  zuerst  B.  Anm*  21.  eine  scharfsinnige  Ansicht 
Torgetragen  hat.  Im  übrigen  hat  Hr.  L.  einige  sehr 
dankenswerthe  Ausführungen  über  Verbalcharaktere 
gegeben,  namentlich  über  die  Endungen  au  (S.  60), 
aim  (S.  64  ff.),  vvjü  (S.  68  fg.,  cf.  Herrn,  praef.  in 
Antig.  ^d.  tert.  p.  21  sqq.),  und  das  Verbal tnifs  der 
Nebenform  'ja  zum  Verbum  barytonüm  S.  70  fg..  Wel- 
che zur  Ergänzung  besonders  des  Abschnitts  tou  der 
Wortbildung  dienen.  Ueber  mancherlei  Einzelheiten, 
da  der  Gebrauch  es  nicht  am  Eigensinn  fehlen  liefe 
und  sich  vielfach  zersplittert,  erwartep  wir  noch  roll* 
ständigere  Auskunft:  z.  B.  was  die  Paragoge.  önd 
neben  einfachen  Verben  betrifft,  so  haben  Simplex  und 
Compp«  nicht  gleiche  Autorität,  sondern  q>vyy&vio  etwa 
und  mimlavm  sind  wenig  in  Umlauf  gekonunen,  "weit 
mehr  dagegen  tuxnxqwyythw  und  vollends  xoftalifAnav»^ 
während  htAifmdrw  unedel  ist.  Aehnlich  bat  Kt^awv^ 
im  Indikativ  {Athen*  X.  p.  424.  D.)  vor  xiQVfjfju  einen 
Vorzug ',  ftir  andere  Verba  mögen  die  Atticfsten  ( TAom. 
M.  p.  229.  Brunck.  in  Arist.  uft;.520.)  Recht  behal- 
ten, und  fiir  dldjjfAi,  statt  di^  binde,  sprach  eine  gute 


Absicht  In  ihr^  Art  ist  aar  seltensten  die  äolisohe 
Flexion  ans  Adjektiren:  nur  doxii»miu  (ß.  71)  hat  eine 
Gewähr  an  Sappho  in  Letronneseben  Papyrus  n.  24. 
empfangen  9  dafs  aber  im  termeinten  Pbereoydes  bei 
IHog.  Jjoert.  I^  122.  dtmiAdßpg  und  JoxifiJiri/Te  herzu* 
stellen  seien,  Uegt  %n  Tage.  Endliob,  was  die  Ano- 
malie  der  Bedeutung  §.  113.  angebt,  so  ist  sie  ohne 
ZusatB  geblieben;  obgleich  einige  der  dortigen  Regeln 
Berichtigungen  oder  Nachträge  rerstatten.  Die  spä- 
tere Gräcität  beobachtet  z.  B.  das  Futurum  Medii  nicht 
in  jedem  Yerbum  (wie  bei  ayvw^  ^uUjS,  atwnä,  uod^ 
worauf  unter  anderem  der  Verf.  im  Register  aufmeiji* 
eam  macht,  bei  ^c»p<S)  gleich  streng;  eine  genauere 
Nachweisung  hiefiir  hätte  den  Werth,  dafs  die  Kritiker 
entweder  behutsamer  würden  oder  Varianten,  die  man 
zu  verschmähen  pflegt,  aus  dem  Dunkel  hervorzögen* 

(Die  Fortsetzung  folgt.)  . 

XXIII. 

Bibliothieonomie  par  L.  A.  CoHstantin.    Parüy 
JL839.    130  S.    8. 

.  Es  kann  Tdr  den  Unterzeichneten  nur  äin  höcKet  erfkvuliches 
Geschftft  sein,  auf  die  rorliegende  durchaus  anspruchlose  Arbeit^ 
auch  in  einem  Kreise  aufmerksam  zu  machen,  welchem  diesel« 
bOy  wie  die  Oiseiplin  im  Allgemeinen,  welcher  sie  angehört, 
atreng  genommen,  fern  hleiben  darf.  Tüchtige  msienichaftliche 
Grundlage  und  ehrenhafte  Ge$innung,  Ja  BegeUterung  für  den 
bibliothekarischen  Beruf,  welcher  von  Vielen,  zwar  als  letzte 
Zu  fluch  tstfttte  ergriffen,  von  den  Wenigsten  in  seiner  Gesammt- 
heit  legrifFen  wird  —  diese  dem  bescheidenen  Ruche  nicht  ab* 
susprecheaden  Vorzuge,  (»erechtigen  es  einigermafsen  zu,  viel- 
leicht dennoch  ungebührlichem  flervortreten.  Der  Vf.  bespricht 
Begriff  und  Studium  der  Bibliographie  im  Allgemeinen,  nun 
nicht  mehr,  wie  man  es  an  französischen  Arbeiten  dieser  Art 
gewohnt  ist,  vom  franzosischen  Standpunkte  aus,  sondern  sicht- 
lich von  deutschen  wissenschaftlichen,  namentlich  Bbertschen 
Einflüssen  berührt  und  gefördert,  so  -z.  B.  gleich  in  der  Di- 
atittction  %W!iW  Bibliographie  Uileraire  undmaterielltf  namentlich 
aber  in  dem  Abschnitte:  JDu  bibliotliScaire  en  generalf  wo  ihm 
Eberts  goldenes  Buch,  welches  alle  diejenigen,  welche  sich  zu 
Bibliothekaren  bilden,  (denn  dafs  das  überhaupt  geschieht,  ist 
hoffentlich  heutzu^tage  kein  leerer  Wunsch  mehr)  alljährlich  ein- 
mal Studiren  müssen —  treffliche  Dienste  geleistet  hat;  obgleich 
er  selbst  aus  dem  Schatze  eigener  Erfahrung  und  Geschiifts* 
künde  des  Eigen thOmlichen  nicht  wenig,  darbietet  und  das  durch- 
aus in  der  Weise  eines  Mannes,  der  da  beseelt  ist  „ifs  cette 
pattion  pour  $on  etalf  gut  Beule  peui  lui  donner  la  forte  et  le 
Courage  pouf  $'y  touer  enii^rement,"   müfste  er  nur  nicht  auch 


JfiiU0iASe0nömü* 


m 


in  die  Klage. eiosdmmsii!  nSim»   stsOnrresMSMsl,  ternfhii^ 
hAHotkeemire  eü  irop  Muveni  camfM^  cömma  un^e  oecupoHon  se^ 
cetstfiV«,  a  de$  pertonnee,  gui  deja  ont  i'auirei  foneUwi  k  rem- 
p/tr,'*  die,  mit  einem  Worte,  weder  durch  Gesinnung,  noch  Bei' 
fähigung  für  derartige  Verhältnisse  geeignet  sind.    Es  gehört 
eine  detaillirte  Darstellung  dessen,  was  der  Verfasser  ttber  die 
denotrs  sTss  hihHoikeeaire  spricht,  sieht  an  diesen  Ort,  er  vcN 
langt  nur  ein  richtiges  Maafs,  nicht  ein  Zuviel,  nicht  ein  Zuivep 
oig,  aber  eine  durchaus  wissenschaftliche  Vorbildung  and  eigese 
Weiterbildung,  eine  verständige  und  planmälsig  geordnete,  den 
eigenthümlichen  Zweck  angemessene,  stille  geistige  Thätigkeit, 
fem  von  Jedem,  etwa  prunkend   hervortretenden  Thun,  ein  A^ 
beiten  für  Andere  und  stcr  für  Andere,  denn  auch  die  der  Ab- 
•talt  gewidmete  Arbeit  gweichl  diesen  som  VortheiL   Praktisch 
und  auf  Erfahrung  gegründet,  'sind  die  Abschnitte  da  torgaak 
saftoji,  da  la  eoniervationy  du  loeal;  ausgezeichnet,  was  der  Verl 
de  torganieation  adminietralhe  und  de$  Reglemenli  spricht,  u^ 
mentlich  seine,  gewifs  naheliegenden  und  doch  alliuoft  nicht  e^ 
kannten  Ansichten  über  eins  dem  Zustande    der  Anstalt,  dem 
Bedürfnifsy  den  Mitteld,  dem  grofseii  Zweek  angemessene  Ver^ 
mekruMg  dar  Bäekar  zwar,  ohne  daüi  diesa  nun  ZHgleich  aock 
eine  wirklich   verständige  und  angemessene  Vergro/ierung  dtf. 
vorhandenen   Schätze  ist    „Niemals  dürfen  die   Erwerbungen, 
so  ungefähr  heifst  es  S.  88,   der  Wahl  etn^r  autzigen  Person 
Überlassen  sein,   deren  wissenschaftliche  Vorliebe   ^twa,  oder 
Übelberechnete  Freigebigkeit,  oder  Indifferenz  —  die  Interesses 
einer  ganzen  Bibliothek,  Ja  in  gewiesem  Sinne,  eifier  gaasen  Ge* 
neration  nur  ailxuleicht  gefährden  und  compromittiren."    Oe^ 
artige  Uebelstände  zu  vermeiden,  •?-  und  sie  müeeen  eintretea 
bei  der  ungeheueren  Ausdehnung   all^r  Wissenschaften  in  nn* 
seren    Tagen   —  schlägt    der   Verf.   gemeinsame  Berathungea 
mit  Fachgelehrten,  nicht  zufälliges  Befragen,  vor,  und  trifft  da> 
mit,  unseres  Erachtens,  ins  Schwarze,  wenn  anders  nur^  die  d« 
Geschäft  leitenden  Gedanken  von  den  Bibliothekaren  zutor  an^ 
gestellt  und  ausgesprochen  sind.    Die  Lebensfragen  über  die 
Benutzung  der  Bücherschätze  auch  außerhalb  des  sichemdea 
und  zweckmäfsig  eingerichteten  Locals,   entscheidet  der  VeA 
durchaus  negativ,  auch  darin  gewifs  das  einzig  Richtige  tref- 
fend, so  hart  auch  auf  den  ersten  Blick  dieser  Ausspruch  scheinti 
denn  nützen  zwar  und  möglichst  viel  nützen  dem  missenschaft* 
liehen  Bedürfnisse  des  Tages  sollen  unsere  Bibliotheken,  aber 
sollen  sie  nicht  auch  die  Archive  sein,  welche  kommenden  Jah^ 
hunder ten  unser  geistiges  Leben  in  seiner  ganzen  Ausdehnung 
lebenskräftig  und  frisch   überliefern  müssen  f    und  wie  köniun 
sie  das  leisten,  wenn  die  Früchte  dieses  Lebens  von  den  Zeit- 
genossen schon,  aufgebraucht  werden  —  ein  in  der  That  gewtCi 
nicht  zu  übersehender  Krebsschaden,  der  an  dem  Dasein  der 
wohlthätigen  Institute  höchst  geHihrllch  nagt     AlLe|i  was  der 
Verf.  von  den  inneren  Einrichtungen  der  Bibliothek,  den  Cata- 
logen,  Titelcopien,  Aufstellungen  u.  a.  w.  sagt,  ist  praktisch  und 
durchdacht,  wenn  gleich  in  den  Resultaten  nicht  neu. 

G.  Friedla^nder. 


If  61. 

Jahrbücher 

für 

wissenschaftliche 


V 


Kritik 


September  1839. 


Amrfuhrliche 
Buttmann. 


Sprachlehre  von  Phüpp 


(FortsetzHBg.) 

Den  meisten  Ranm  nimmt  in  dieser  Abthetlung  das 
VerbahferxeichnifB  ein,  welches  allein  den  grammati- 
sehen  Beruf  Ton^Bottmann  bewähren  könnte»    Indem 
•r  Bon  emsig  war'  es  zu  bereichern  und  zu  erweitern, 
ging  er  unvermerkt  aber  die  wissensohaftlichen  Schran- 
ken eines  Verbal^R^gisters  hinaus- und  legte  noch  dem 
weitläufigsten  Rifs  ein  Repertorium  für  grammatische 
Thatsachen  und  lexikalische  Denkwürdigkeiten  an,  das 
trota  seines  Umfangen  (denn  es  fafst  gegenwärtig  fast 
dritteiMilbbundert  Seiten)  noch  Tom  AbschluTs  fern  ist 
Zwar  lehrt  auch  hier  ein  fluchtiger  Rückblick  auf  die 
Vorgänger,  wenn  man  die  Verfassung  des  anomalen 
Verbnm  bei  Weiler  und  FücAer  ins  Auge  fafst  und 
dann  die  serstreuten  Beiträge  der  neuesten^Zeit,  unter 
denen  Hermann^e  letztes  Kapitel  im  Buche  de  emend. 
rat.  Chr.  gr.  hervorstioht,  sich  rergegenwärtigt,  wie- 
Tiel  wir  an  Sicherheit  und  Fülle  der  Beobachtung  ge- 
wonnen haben,  wie  bequem  jetzt  die  Forschung  nach 
den  geringsten  Einzelheiten  eines  nur  wenig  ron  der 
Schnur  abinegiendeu  Verbnm  geworden  sei.    Das  hin- 
dert indessen  nicht  anzuerkennen,  dafs  eine  Grenze  zwi- 
schen der  inneren  Geschidite  und  den  äufserlichen  Er- 
scheinungen des  Gebrauchs  besteben  müs^e  $  und  wenn 
die  formale  Entwickelung  nach  und  neben  den  Geset- 
nen  der  Analogie  Tor  den  Grammatiker  gehört  und  den 
Stoff  eines  solchen  Index  bestimmt,  so  bleibt  die  Nach- 
weisung der  Tempora,  die  wirklich  rechtmäfsig  oder 
^uisgescblossen  wurden,  oder  der  pr&sentischen  Doppel- 
iormen  (wie  o^^imvftt  und  äfitpiSi»,  xvXiio  und  xi/XitJ» 
etc.)  dem  Lexikographed  überlassen.    Hingegen  ist  es 
nickt  Imcht,  bei  der  Vermischung  beider  Tbeile  das 
anomale  Gebiet  rein  herauszufinden,  zumal  wo  alles 
nach  dem  Alphabet  herunter  läufig    In  dieser  Hinsicht 
Jahrb.  f.  wUumeh.  KrUik.  J.  1839.  U.  Bd. 


bat  Kühner  sich  ein  praktisches  Verdienst  erworben, 
indem  er  (ausfübrl.  Gramm,  f.  180  ff.)  die  Gänge  der 
Anomalie  im  langsamen  Vorrücken  von  leichteren  Stu- 
fen bis  zu  den  Trümmern  und  Defekten  der  Verbalfonn 
klassifizirt,  also  die  Regel  mitten  in  ihren  Absprüngen 
und  Seitenwegen  zur  Auschauung  bringt,  und  die  ge- 
samn^ten  Resultate   zum  Schlufs   in  einem  einfachen 
Verzeichnifs  anomaler  Verben  summirt.    Unser  Heraus- 
geber ist  indessen,  da   er  aus  dem  vorgczetchneten 
Wege  zu  treten  keinen  Beruf  fand,  eifrig  bemüht  ge- 
wesen,   den  Vorrath  aus  den  Grammatikern,    welche 
reich  sind  an  seltenen  und  vereinzelten  Verbalform^n, 
und  aus  eigener  Beobachtung  zu  ergänzen ;  doch  miifs 
der  Leser  vieles  aus  den  Zusätzen  zu  den  früheren 
Paragraphen  gehörigen  Ortes  einschalten,  weil  die  Rück- 
weisung fehlt.    So  würden  wir  durch  diese  vereinten 
Bemühungen  dahin  gelangt  seini  den  Verbalgebrauch 
^  bis  auf  die  erste  christliche  Zeit,  wenn  nicht  vollstän- 
dig, doch  sicher  zu  wissen;  für  die  späteren,  fast  end- 
losen und  meistentbeils  unerfreulichen  Massen,  die  vie* 
les  neue  und  darunter  fehlerhaftes  darbieten,  bleibt  ein 
weiter  aber  wenig  lohnender  Raum  zu  Nachträgen  er- 
öffnet, irobei  oft  mehr  ObserTution  als  Kritik  zu  üben 
ist.    Im  Zwecke  des  Refer.  kann  es  nun  zwar  nicht 
liegen,  die  Einzelheiten  zu  vermehren  oder  uuisti^ndli- 
chen  Erörterungen  zu  unterwerfen;   doch  scheint  ihm 
nicht  überflüfsig  einen  und  den  andereti  hervorstechen- 
'den  Punkt  im  Vorübergehen  mitzunehmen. 

In  algim  ist  als  seltneres  Futur  lAo  anerkannt: 
mit  Recht,  wenn  er  auf  die  Späteren  (aufser  dem  Zu- 
satz s.  Tittm.  in  Zon.  p.  1164.)  seit  Polybius,  der  es 
schon  dreimal  anwendet,  eingeschränkt  ^^ird;  mit  Un- 
recht, wenn  die  Klassiker  gemeint  sind.  Denn  bei  Ari- 
Mtophanee  Egu.  290«  gebt  ntguXw  offenbar  auf  m^tc- 
"kaifm  zurück.  Zweifelhaft  ist  auch  bald  darauf  das 
Fut.  äi9£itoi  die  Glosse  L/ex,  Segu.  ÜnaXi^ovrtq*  s»Xu- 
son<0  wird  nach  Anleitung  des  Snidas  wol  in  anak^tj^ 

51 


•\  • 


'     t 


V 


403  Buttmann^  auifahrliifhe 

Qprxifi  zu  berichtigen  seio,  die  beiden  Stellen  des  So- 
phokles aber  (namentlich  Oed.  R*  ^39.)  gehören  einer 
syntaktischen  Beurtheilung  an,>  ungefiihr  wie  Plut.  CVi-' 
mUl,  24«  \ma%<iiHf  —  nokv'nqay\iiOvi}iauVn  wo  man  {manoJ" 
,  üHv  gewagt  hat.  Uebrigens  verdient  das  durch  Blom- 
fields  und  Änderet  MifsgrifFe  verrufene  äxoJato  wenig- 
stens angeführt  zu  werden :  denn  wie  mifslich  es  auch 
ist  in  den  verfänglichen  Endungen  auf  die  Codices  (z. 
fit.  Ltueiani  Naivig*' W.  Bi9  acc.  17.)  zu  bauen ,  so 
steht  doch  jenes  Futurum  dreimal  beim  hykaphton 
fest  (dessen  schon  Jacobe  praef.  Antk.  Palat.  p.  50. 
gedenkt),  dann  zweimal  bei  Dio  Cos^tuM^  auch  bei 
schlechteren  Gewährsmännern.  Ebenso  sind,  ,um  nur 
etliche  solcher  Futura  zusammenzufassen,  übergangen : 
das  Aktiv  crnoXat/ao,  das  bei  Diodor,  den  beiden  Dio, 
Plutarch  upd  Liician  vorkommt^  ^wasto  Jetzt  aus  Spar 
f  en  nachgetragen,  ohne  die  erste  (wie  es  scheint  sichere) 
Autorität  des  Poljbius  (32, 10.),  dazun^^aciv  bei  Dio 
Cäs^ius  r51, 13.),  ferner  o^koam  (Arrnmi' Epict.  1, 14  f.) 
weniger  als  nliiato  im  Eide  bei  PoUux  YllI,  106.  bei 
Polybius,  Arrian,  Themistius  und  andern;  umgekehrt 
Xijaöfjiai  gleich  Xija(o  bei  vielen  von  Aristoteles  bis  auf 
Eunapius,  vorzüglich  aber  von  Plutacch  gebraucht. 

Unter  ßakkoa  gibt  ein  Zusatz :  yydvaßaXovfMU  Athen* 
III.  100.  B.  aktiv,  ixßakovfiai  Epiet.  Düt.  III,  24.  33." 
Damit  verhält  es  sich  aber  anders.  Der  Fall  beim 
Athenäus  i^t  ganz  in  der  Ordnung,  xh  de  fAagtvQiov  ava- 
ßaXovfAMf  I'^t'  ai*  dnod<6  aoi  zag  nXfjydg^  wo  dvaßdXUad^ou 
auf  den  üblichen  Sinn  des  Präludiums  (sogar  evx^y  dvt- 
ßdUvo  PAilostr.  Im.  I,  29.)  zurückgeht  und  eine  wit- 
zelnde Wendung  beabsichtigt:  das  Citat  werde  ich  dir 
aufspielen,  wann  ich  erst  deinem  Rücken  mitgespielt 
habe.  Die  Deutung  des  Arrian  hingegen  beruht  auf 
unrichtiger  Interpunktion:  nal  rig  dvüitTcci  oov  nvßtgvf^ 
tfig,  ovxi  5*  (og  oxtuog  äxgrjarov  ixßaUl  (seil.  ae)i  ebenso 
wenig  ist  Je>xo/«at  (S.  148)  für  AntA.  Pal.  VII,  21. 
als  Passiv  zuzugeben:  wo  Simmias  mit  Ausdruck  sagt, 
c^X*  6  mgiGüdg^  aimv  8eQxitat  ep  otkiaiVf  in  alle  Ewigkeit 
bleiben  seine  Gedichte  frisch  und  munteren  Blickes. 

.In  der  von  Buttmann  aufgeworfenen  Frage,  ob 
ßqS^ai  zuverläfsig  sei,  entscheidet  nächst  den  von  Hm. 
L.  nachgewiesenen  Stellen  Tkeodotiut  Exp.  Cret.  IV, 
29.  woraus  auch  hervorgeht,  dafs  dieses  Verbum  im- 
mer ein  Schlingen  bedeute.  Denn  die  Verwandtschaft 
mit  ßqvxto  liegt  nahe  genug,  wie  denn  bei  ßQtJ^^vai  Ly* 
cophr.  676.  die  Mss.  zwischen  beiden  Schreibarten  ge- 


griechüehe.  Sprachlehre.  .  ^  404. 

theilt   sind.     Vgl.  xqfiyt».    Uebrigens  ist  das  Präsens 
ßqilto  VI  streichen. 

IXer  Ansicht  von  Bnttmann,  dafs  ein  passiver  Aorist 
xatiddpd^ijv  wirklich  existirte,  mit  der  Bedeutung  „ich 
war  eingeschlafen,**  widerspricht  Hr.  L.  nicht,  sondena 
scheint  sie  durch  Autoritäten  einiger  Späten  noch  bsh 
stätigen  zu  wollen.  Trotz  alles  äufseren  Scheines  wird 
sie  indessen  aufzugeben  sein,  da  die  passive  Faissang 
eines  Neutrale  syntaktisch  nur  im  Perfekt  (wie  Plu^ 
areh.  Mor.  p.  588.  D.  nenviyfihoi  wagte)  oder  in  enet- 
gischen  Affektionen  (Synt.  p.  342.)  sich  rechtfertigeB 
läfst.  Man  itaufs  demnach  ffyttenAaeh  (in  Plutarek. 
T.  VI.  p.  '557,  wo  viele  Citate  vorweggenommen  stad) 
beistimmen,  wenn  er  utaiai^^ima  u.  dgl.  zum  Theil 
auf  Varianten  g^estützt  in  xonoäga^inna  oder  xaxaia^. 
^6vxa  verwandelt.  Ohnehin  ist  die  von  B.  herbeigezo- 
gene deutsche  Analogie  um  so  täuschender,  als  mrsw* 
baf^^kw  bereits  heifst  „fest  eingeschlafen  sein.'*  Inder 
Tbat  wäre  xu%hid^r\v  kein  besserer  Datismns  als  etwa 
HoviJtTw&Tj  Constant.  *  Cerun.  p.  438. 

Das  Partizip  decV,  das  B.  alsirrtbum  derGrammar 
tiker  abwies,  ist  Byzantinisch:  s.  Boieson.  ^  Aneed. 
II.  p.  78.  Dagegen  ist  das  attische  ihiv^  kUthg  weit  h5* 
bereu  Ursprungs:  tha  aus  Alkman  Crom.  Aneed.  lY» 
p.  368.  woraus  Bekk.  Anecd.  p.  1294.  zu  berichtigen. 

Bei  tintCv  wäre  manches  nachzutragen :  dna  ist  seil 
Aristoteles  in  Umlauf  gekommen^  doch  am  meisten  im 
Optativ;  den  Indikativ  (sa^fcirc^  dgxUog  dna)  gebraneht 
Polybius  nur  parenthetisch.  Bei  (tiQfjinai  verdient  ngoq* 
^iQTjao  vale  einen  Platz,  intpp.  Aristaeneti  p.  55S  s^ 
Dafs  Qf]&fiaofAai  blofs  aufs  Partizip  beschränkt  gewe- 
sen, widerlegt  ^ri&^iaß:at  Iwkratee  de  Antid.  iM. 
Ein  Präsens  igdo9^  das  NiJkander  naeh  Art  von  £r«s 
sich  verstattet  (nicht  Agathiae  in  A.  Pal.  XI,  365w 
wofür  368.  hier  angegeben  ist),  erkennt  die  byzantini- 
sche Prose  an^  wie  Theophjflaet.  p.  28.  -  Ein  ^mmy 
stellt  ausdrücklich  Apolleniue  Adv.  p;  596.  auf. 

Zu  if^klnvi :  ziemlich  sicher  steht  der  Aorist  ^Jj^nfw 
Pauean:  III,  7.  f.  Orph.  Arg.  499.  wozu  kommt  i^ 
9^y  Arrian.  Exp.  I,  21,  7.  II,  22,  IL  Das  T  kehrt 
wieder  in  umaqmon^  woran  nichts  auffallendes,  da  man 
es  mit' einer  alten  Nebenform  von  ^mro  zu  thun  hat. 
,  .  Ein  Präsens  ^lym  wird  von  Üerodian  n.  (aop.  iU{. 
p.  22,  19.  mit  Bestimmtheit  als  blofs  *fheniatisdi  be- 
zeichnet. Dieser  Grammatiker  erinnert  uns  an  die  JBpi* 
meriemi Homerici  {Crom.  Aneed.  I.),  woher  sieh  man- 


405  Buiimann^  aus/UArUcAe 

cbes  ei^Sni^eA  imd  aamerken  liefse:  wie  nepiyy»  Äl^ 
caeuM  p.  366.  xo^W  p.  166.  (ähniioh  qtofiaw :  über  o^aw 
TAeegnosUu  p.  142.). 

Ueber  mko- entscheidet  Hr.  L.  sowohl  gegen  B.  als 
liegen  Eustathias  (xi/ay  %i  muiä  yäa'xQog  sx^Vy  nvm  de  t6 
feyy£),  ond  erklärt  m  Atac.  p.  183.  die  Sehwanhangen 
xwischen  uv»  nad  »vcÜ,  worüber  er  später  noch  mehr 
Beispiele  susamnieDgesteUt  hat,  für  indifferent;  wenn 
auch  von  einzelen  Autoren  diese  Formen  durch  Sinn« 
verwandtachaft  nnterscbieden  sein  möbhten«  Ref^  hält 
die'  Synonymik  des  Eustathius  für  wohlbeg/ündet,  top* 
sfig^tch  wegen  der  hier  gewichtvollen  Autorität  des  jiri' 
st0tel6Sy  welcher  folgenden  Stufengang  beobachtet,  Kvt- 
cxofAOi  empfange,  xv(o  gehe  schwanger,  Kvia>  gebäre.  Hier- 
von abgesehen  überwiegt  xv£  m  Gebranch  bei  weitem. 

fUfAOQfiipog  kennen  noch  späte  Byzantiner,  wie  Leo 
Diae.  VU,  4  f.  Niebnhr  hat  es  falsch  verändert  in 
^^ofAias  p«  15. 

Für  ofy»  und  dvoiy»  sind  Unregelmäfsigkeiten  im 
Augment  übersehen  und  auch  oftmals  in  den  Texten 
verdunkelt  worden:  arnplartOi;  (wie  xctridliavtegj  xorc«- 
$0*  PhUarch^  Suid.  «.  Btnitiaikfjvfy  eoU.  v.  Jixxvg,  Feiv 
ner  i^vi^X^^  P^  Cass,  44,  17«  Auch  ist  bei  d^ei»  an- 
anmerken,  dafs  seit  Polybius  das  Augment  gewöhnlich 
fprtfällt;  was  in  geringerem  Mafse  auch  für  lurou- 
im  gilt. 

Dafs  mpfiai  bei  TAeognü.1085.  (oder  1129.)  prä- 
aentisch  stehe,  konnte  man  glauben,  ehe  Bekker  das 
richtige  ^EfmiofAai  —  fuktdaivwv  setzte.  Noch  paradoxer 
(nnd  ärger  als  das  oben  angenommene  ^ti/;oSfcat)  lautet 
yynivofiai  st.  niva  Nie.  Th.  912.'*  Aber  dieses  Irrsal 
läCst  sich  doch  aus  dem  abenteuerlichen  Nikander  be- 
seitigen $  denn  sein  nivio  ,\%i  in  niako  zu  verwandeln, 
daa  ihm  anch  sonst  nicht  unbekannt  war.  Dies  fuhrt 
auf  eine  benachbarte  Frage,  nämlich  die  über  das  Fu- 
tumm  x'cD,  welches  B.  durch  Elmsley  l^elehrt  in  die 
<3rammatik  einführte.  Hiegegen  fuhrt  Hr.  L.  ia  den 
Berichtigungen  8.  489  fg.  mehrere  Bedenken  dnrch,  in- 
dem er  die  Thatsache  selber  in  Zweifel  zieht,  minde- 
atfima  aber  nach  einem  grammatiscben  Kanon  xA  %fkov- 
.^Myo$  o«  s.  w.  fordert:  mit  grofser  Besonnenheit  zwar, 
doch  wir  gestehen  es  mit  geringer  Ueberzeugungskraft. 
Das  Fnt.  %i»  möchte  ^eder  in  Form  noch  in  Bedeutung 
so  leicht  zu  erschüttern  sein,  auch  hat  es  Aelian  N. 
A.  V,  3.  vorgefunden;  seine  Bildung  ist  aber  keines- 
wegs asjgmatiscb,  worin  Hr.  L.  gegen  B.  Recht  behält 


grüeAüeAe  Spraehlehre.  .  406 

(am  wenigsten  konnte  das  Zusammentreffen  mit  einem 
Futurum  von  x^t(o>'Wovon  wir  nur  das  eine  Aristopha- 
nische Beispiel  xaxaxiaavxai^ap,  Polbic.  VI,  111.  .bis- 
sen, darauf  Eiuflufs  haben),  sondern  dasDigamma,  das 
in  Bjiva  steckt,  war  fortgefallen,  und  Uefa  x^»,  htv^ 
fjtXq  u.  s.  w.  zurück. 

Statt  anderer  Einzelheiten  erinnern' wir  noch. an  die 
Perfektformen^  welche  w^gen  ihrer  Seltenheit  und  ihres 
oft  befremdlichen  Aussehens  verdienten,  sorgfältiger 
angemerkt  und  in  kritischer  Beziehung  erörtert  zu  wer- 
den. Namentlich  ^^a  Dekret  in  Vüae  X.  Orait.  p. 
851.  F.  iätdoxiaav  Dio  Cast.  44,  26.  awtfU}dfHsav  id. 
41  y  45.  ijÄTtiTt^xioav  id.  40,  40.  coU.  ffa^pocr.y.  Eni^, 
vtyxtXv,'  ndnvfjxci  Ludani  jRAett.  praec.  13.  rnnvQix» 
Ariitot.  Probl.  11,  22.  und  Galen  cit.  p.  388.  0/(717/1- 
fitti  H.  Anim.  X,  1,  4.  milnxfjxa  Philosir.  V.  SopA. 
II,  10,  3.  (beiläufig  bimfjaa  Ariitoi.  Politt,  U.  extr. 
luUaniEp.  62.)  das  passive  neqfvyfiai  Epicur.  ap.  Flut. 
p.  1091.  B.  xixäyxa  ApoHon.  de  Adv.  p.  611. 

Während  Ref.  sich  mit  dem  Verbalverzeichnirs  be- 
schäftigte, wurde  er  nicht  wenig  durch  den  Anblick  der 
Kweiten  AbtAeilung  dee  xufeiten  Bandes  überrascht, 
welche  Hr.  Lübeck  so  eben  mit'  seinen  Zusätzen  be- 
gleitet hat.  In  dieser  Abtheilung  sind,  nach  Entfernung 
der  jetzt  eingetragenen  Buttmannischen  Zusätze  und  Be- 
richtigungen, die  Lehre  von  den  Partikeln  und  vorzugs- 
weise die  Wortbildung  nebst  den  erforderlichen  Regi- 
stern enthalten  (das  Ganze  des  Bandes  532  S.),  die  letz- 
teren zuverläfsiger  und  vollständiger  als  früher.  Bei- 
träge hat  der  Herausgeber  in  einem  nur  mällsigen  Um* 
iange  (sie  würden  nicht  volle  vierzig  Seiten  fällen)  ein- 
geflochten, und  so  leider  einen  sehr  nahe  liegenden 
Wunsch  vereitelt,  den  gewifs  viele  mit  uns  theilten. 
Sehen  wir  zunächst  auf  Buttmann's  Leistung,  so  war 
und  blieb  sie  nur  ein  Entwurf,  der  niemals  den  prakti- 
schen Gesichtspunkt ,  verleugnete.  Denn  indem  er  zu- 
erst in  die  Lehrbücher  einen  Abrifs  der  griechischen 
Wortbildung  einführte,  ohne  von  genügenden  Vorarbei- 
ten unterstützt  zu  sein,  und  ehe  dieses  überaus  schwie- 
riglD  Kapitel  der  Sprachforschung  irgend  von  einem 
geistvollen  Theoretiker  unter  allgemeine  Grundsätze 
oder  Faohwerke  gebracht  war ;  indem  er  auch  den  Zu- 
sammenhang desselben  mit  dem  Gebiete  der  gewöhiili- 
chen  Grammatik  nicht  anerkannte :  schien  es  ihm  voll- 
kommen ausreichend,  gewisse  durchgehende  Regeln  und 
Thatsachen  auf  einen  Raum  zu  drängen,  und,  wie  er 


407- 


Buitmamn^  amßihrliehe  grieeAücAs  S/nraeUekre. 


sich  vol  HA  Gespr&oh  xu  lUiftern  pflegte  3    diejenige 
Summe  der  Erfahrang  «1  vergegenwärtigeo,  veliühe  den 
Mämiero  des  Faches  selber  vorschwebte  nnd  mitten 
aas  zahllosen  insuiarischen  EiDselheiten  als  Festland 
hervortrete.    Man  darf  nun  gesteben :  soviel  4iaf  Klar- 
heit  und  Präzision  ankommt ,    hat   sein  Talent   sich 
trefflich  bewährt;  allein  die  Forderungen  der  Wissen- 
schaft und  der  Empirie  gingen  über  ein  eng  begrenz- 
tes Summariutn  hinaus.    In  wissenschaftlicher  Bezie* 
hung  Uefs  sich  das  Ganze  nur  als  eine  Reihe  geord^ 
peter,  nicht  auch  gegliederter   und  wechselseitig  be« 
dingter  Uebersichten  fassen;  schon  die  Souderung  des 
Abschnittes  über  die  Partikeln  von  der  Wortbildung, 
welche  doch  ihrerseits,  vorzüglich  bei   den  Derivaten 
verweilte^  fufstauf  die  alte  Voraussetzung  anorganischer 
und  organischer  Massen;  und  leitende  Prinzipien  oder 
aligemeine  Resultate,  die  sich  auf  diesem  recht  teleologi- 
schen Felde  an  der  WeQhselwirkung  zwischen  Form  und 
Bedeutung  mufsten  geltend  machen,  schimmern  selten 
hindurch.    Was  aber  an  der  empirischen  Seite  man- 
gele, das  deutet  schon  die  freiwillige  Beschränkung 
einer  praktischen  Auswahl  an :  die  blofse  Mehrheit  der 
Erscheinungen  wie  sie  der  Gebrauch  ergibt  ist  aufge- 
stellt, mit  spärlichen  Belegen  für  auffallende  Einzel- 
heiten, dagegen  das  zahllose  Detail  mit  deni  Wechsel 
von  Zeiten  iind  Autoritäten  so  wenig  durchgemustert, 
als  der  Streit  der  alten  Theoretiker  erörtert  Und  mit 
der  geschichtlichen  Praxis  ausgegUchen.   Diese  Lücken 
zu  ergänzen  war  niemand  mehr  berufen  als  der  Her<^ 
-ausgeber,    dessen   Forschungen    bereits    vielfach   der 
Buttmannischen  Darstellung  zum  Grunde  lagen.   Seine 
Studien  des  Hellenismus  haben  in  der  Wortbildung  ei- 
nen Mittelpunkt  empfangen,   worin  die  unermüdlichste 
Observation  der  empirischen,   in  Texten  und  Theore- 
men  enthaltenen  Tbatsachen  zusammenläuft,  wie  die 
Paralipomsna  sie 'bezeugen ;  und  die  Sicherheit,  der 
geübte  kritische  Blick,    welcher  an  den  entlegensten 
nnd  T^erschlungensten  Untersuchungen  mittelst  des  Sich- 
tens    nnd  Kombinirens   geschärft   wurde,    durchdringt 
eine  Fülle  von  Erfahrungen  mit  solcher  Festigkeit  und 
verbreitet  einen  so  gediegenen  Zusammenhang,    dafs 
auch  ohne  das  Zut^un  eines  rationellen  Elements  die 
lichten  Züge  des  werdenden    Organismus,  sich  wahr<* 
nehmen  und  sofort  in  praktische  Resultate  vereinigen 


408 

lassen.  Um  so  natürlicher  mufste  der  Wunsch  sein, 
dafs  Hr.  L.  nicht  ^war  einen  ausführlichen  Kommsn. 
tar  über  die  Materien  dieser  zweiten  Abtheiluag  (deim 
er  glaubt  gegenwärtig  noch  zn  keinem  Absehkri  be- 
rechtigt zu  sein),  wohl  aber  einige  freie  Exkurse  sm 
Ende  des  Buches  abfassen  müchte,  worin  es  mehrere 
Hauptpunkte,  die  bisher  entweder  ungenügend  nnd  ohne 
strenge  Methode  behandelt  oder  völlig  übergangen  wa- 
ren, erschöpft  und  in  Umlauf  gesetzt  hätte.  'Das  ist 
nun  unterblieben,  und  indem  er  Buttmann's  Vortisg 
und  Ansichten  nur  in  einzelen'  Fällen  bald  umstliDd* 
lieh  bestreitet  oder  berichtigt ,  bald  durch  ungleicb- 
artige  Zusätze  fortführt,  begnügt  er  sich  liäuiig  sih 
zumetken,  dafs  er  Überhaupt  einen  anderen  Gesichts- 
punkt anerkenne,  doch  ohne  Beweisführung  .2U  wi* 
dersprechen  nicht  angeniesseh  finde ,  oder  an  einem 
anderen  Orte  darüber  sich  erklären  werde.  ,)EiDe 
gleicbinäfsig  durcbgeführto  Ergänzung**  heifst  es  un 
Vorwort  „würde  die  mir  vorgeschriebenen  Grenzen 
weit  überschritten  haben ;  daher  ich  auch  hier  oft  vo^ 
gezogen  habe,  nichts  als  zu  wenig  hinzuzufügen,  nnd 
wenig  statt  zu  viel.'*  Wir  jnüssep  uns  also  damit  vot 
frieden  geben,  und  übrigens  mit  gebührendem  Dank 
die  gebotenen  Belehrungen  aufnehmen,  zumal  einige 
sorgfältig  entwickelnde  Noten  über  die  Lehre  von  der 
Ableitung ;  denn  die '  Fragen  der  Zusaminensetzdng 
sind  unberührt  geblieben.  Folgende  verdienen  Erwäh- 
nung und  fieachtung.  Auf  die  Partikeln  bezieht  ach 
nur  ein  längerer  Exkurs  S.  336—39.  (vgl.  451.)  dea 
Bindevokal  i  aufserhalb  des  Verbum  betreffend,  wel- 
cher künftigen  Bestimmungen  im  einzelen  ein  reiche« 
Material  eröffnet  Sonst  sind  streitige  Punkte  des  g^ 
nannten  Kapitels  im  Yorübergeben  beurtheUt,  auoh 
ohne  festere  Entscheidung :  z.  B.  S.  346  ist  bei  Butt- 
mann's  Bedenken  über  die  Superlative  auf  «^9  die  er 
den  alten  Autoren  fast  abspricht,  blofs  angedeutet,  dafs 
im  Sophokles  ivvtoiimdxtoq  nicht  ganz  unsioher  sei; 
während  doch  hie  und  da  sich,  -wie  es  scheint,  znver* 
^fsige  Belege  gerettet  haben,  n^osfpJUararc»^  Isokr«^ 
tes  Pollue.  III,  63.  invit\UxAxfx^  Arütet.  de  anim* 
ffener.  I,  19—  p.  727,  23,  ivijfvxotaxti^q  J}iod.  fr.  y^* 
p.  64.  und  dergleichen  mögen  Poihix  111,  13^'  ^ 
ApoUon.  de  Adv.  p.  558,  25.  mehrere  gelesen  bsben. 


(Der  Beschlafs  folp.) 


J  ahrbfich  er 


f  ü* 


wisse  11  sehaft  lieh  e    Kritik. 


September  1839. 


«BBBSBBBaSBSBeaSSBaSSaBBSBBBBSBBSBBBSBSBBSBSSBSSeB^ 

AmtfäkrUche  grüdücke  Sprachlehre  ton  Philipp 
Buttmann. 

(Schiais.) 

Desto  lehnreicher  Biod  einige  Zusätze  zur  Wort« 
UlduDg,  namentlich  über  die  Verben  auf  1^  und  oQi 
(S.  385  %.)^  di®  Desiderativen  und  Wörter  der  gei- 
■tigen  Affektion  (389— 91.),  mit  den  Terwaudten  Aus- 
ittbnuigen  über  Frequentativa,  Inchoativa  und  andere 
Formen  der  .subjektiven  Auffassung;  dann  über  Ge- 
stalt und  Betonung  der  SubstaatiTa  auf  xoq  (402  fg.), 
Torzüglich  über  die  femininen  Formen  der  Abstraktion, 
^^.und  mii  (über  oavvii  gibt  ein  Programm  des  Jahrs 
1838  alles  erforderliche),  cö^  und  u^  Scöy  (im  Lat. 
edo\  ganz  besonders  die  vielen,^  in  Alter  und  Gewähr  so 
Tersohiedenen  auf  t^  (406  fg.  418  fg.,  wo  von  kleine- 
ren species  manche  wie  w  fehlt) ;  femer  Ton  Bezeich- 
nangen  der  Persönlichkeit  und  materiellen  Objekte, 
Maskulinen  wie  t^  und  n!s  (406— 41 L),  Femininen 
wie  Ta^  f^Aoöa  (425—28.),  welche  beiderseits  inPa- 
trooymicis  und  patronymisch  klingendp  Ableitungen 
(429 — 440.  namentlich  ausgezeichnet  die  Bemerkun- 
gen über  i7^)  sehr  mannichfaltig  sich  fortsetzen,  end- 
lich von  Neutris  413  fg.  Tgl.  424.  Aufserdcm  von  Lo- 
kalien  mit  dem  Typus  der  Fülle  423.  und  von  flen 
nahe  li^onden  Amplificativa  443  fg. 

Indem  Ref.  es  wenig  angemessen  findet,  diese 
swanglosen  Beiträge  mit  Anmerkungen  zu  begleiten, 
bleibt  allein  die  Erwähnung  von  etlichen  Kleinigkei- 
ten übrig.  ■  Verseben  in  Citationen,  welche  sonst  -in  Lo- 
beoks  Schriften  nichts  ungewohntes  sind,  wird  man 
diesmal  nur  selten  antreffen:  S.  7  ^Qtv(Aai  steht  in 
uäesch.  S.  TA.  (nicht  CA.)  78.  S.  15  ist  gemeint  Zon. 
p.  1556.  S..  22  inäktQ  hat  man  aus  Pindar  entfernt; 
28.  q^äpai  gibt  Athenäus  I.  p.  8.  c.  Femer  wird  S.  36 
und  37  dieselbe.  Stelle  des  Oppian  (ihr  richtiger  Platz 
ist  Cyn.  II,  244.)  einmal  für  mfjfQiHovrti  und  dann  für 

Jahrb.  f.  un$$€nich.  Kritik.   /.  1830.    II.  Bd. 


mq>QtxSkkg  angewandt;  53.  ist  ausHesiodus  bei  Crom. 
Anecd.  i&iv^p  angeführt,  dort  aber  heifst  es  iv^inov^ 
und  beide  Formen  sind  wirklich  Hesiodisch;  im  weite- 
ren S.  437  PUft.  Civ.  zu  berichtigen  Criiia^  Etwas 
umständlicher  würde  -die  Untersuchung  ausfallen,  ob 
die  gegebenen  Citationen,  die  bisweilen  selbst  die  Kor- 
ruption eines  heutigen  Textes  als  Thatsache  hinstel- 
len, in  den  erheblichen  Fällen  auch  gleichmäfsig  und 
beweiskräftig  seien ;  wir  müssen  sie  aber  von  unserem 
Bericht  ausschliefsen.  Nützlicher  scheint,  auf  die  ein- 
gestreuten Emendationen  der  hexametrischen  Dichter 
(die  nicht  ins  Autorenregister  eingetragen  sind),  vor- 
züglich der  späten  Epik«;r  aufmerksam  zu  machen  | 
wiewohl  beim  jetzigen  Aussehn  dieser  Gedichte  und 
bei  der  Dürftigkeit  des  Apparats  ein  Uttheil  oft  er- 
-schwert  wird.  Unter  anderen  sei  Oppiani  der  Verfas- 
ser der  Cynegetica  ein  Beleg:  z.  B.  III,  128.  anrtjpa, 
Xi/acToxo^v  (lif(Tixofccoy)  ^aXa/ieoy  o^ßohüit^ya  dKrfAov,  wo  des 
Verfs.  S.  16  voaaoxdfjuov  nicht  zur  Schilderung  paTst^ 
sondern  (wenn  jenem  änokviUYai  zu  trauen)  eher  ^i/dc- 
%6xmv  taugt,  das  ffermann^  dem  wir  diese  Mittheilung 
verdanken,  sehr  annehmlich  so  deutet,  dafs  der  duffiog 
^va.  ^aXajMcoy  von  der  Schale  des  Eies  verstanden  werde« 
Auch  diese  Fragen  lassen  sich  hier  nicht  verfolgen; 
und  so  schliefsen  wir  mit  dem  Fragment  des  Jau^^bo- 
graphon  Simonide^y  xal  tfig  Smaß^tv  oQaodv^riq '^Xadfuiv^ 
welches  nach  Versicherung  des  Etym.  JH.  eine  Zwei- 
deutigkeit enthält.  In  diesem  Smne  (inv/taa)  sphlägt 
Hr.  Lobeck  S,  5  eine  dem  Metram  entsprechende  Emen- 
dation  vor,  d^ju^^^c  dirjXaafi»iv,  worin  jedoch  nicht  blofs 
die  mediale  Form  auffällt,  sondern  auch  oqovdq^qy  das 
weder  mit  dem  Lemma  des  Etym.  iQao&vQti  noch  mit 
der  Absicht  des  Dichters  sich  reimt,  denn  der  Begriff 
Kanal  stimmt  besser  zum  Sotadischen  ri  '^^W^  ^fi 
inusdi  Xai^fii;,  Wenn  nun  Simonidd^  allem  Anschein 
nach  ausdrücken  wollte  „ich  klopfte  an  die  Hinter- 
thür,''  so   wäre  die  Berichtigung  d^ao^u^^;  iafjkdiiTjw 

52 


411 

nicht  ferne  %a  «uoben«  Dies  lierse  sich  durob  eine 
küDstlicht»  Genitivstroktur  {r^jg  tU^h^^^^^y  ^^^  i^ijhiiAfiv 
nach  Ilias  fi'..438.  zarüd^bringen ;  natürlicher  aber  däniit 
die  AbleitiflDg  Tt)ni  TerscboUenen  {Hetyeh.  aiflorei  iaaaf), 
sonst  klaren  Verbani  mü^yMiy  ick  tammelte  mich,  ana^ 
log  dem  ^iffafAfiv  konsfruirt» 

Bernbardy. 


Trendel^nSurgy  EUmMta  logiees  utrütoUKeae. 


412 


XXIV. 
Elementä  logices  ArütotelictBe  m  U9um  schohh- 
mm  es  Aristofele  excerpsit^  convertit^  ülustra^ 
vit  Frid.  Ad.  Trendelenburg ^  Phil.  Dr. 
Prof.  Publ.  Extr.  in  Univ.  Lit  Frid.  Quil.  Be- 
rol.    BeroLy  1836.  Befhge.  XIV.  115  8.    8. 

Die  formale  Logik  bietet  in  diesem  Augenblick 
den  traurigen  Anblick  eines  entthronten  Fürsten  dar. 
Es  i^t  nodi  kein  halbes  Jahrhundert;  darüber  hinge- 
gangen, dafs  es  eine  allgemein  anerkannte  Sache  war, 
die  Logik  sei  die  Grundlage  aller  wissenschaftlichen 
Bildung^  und  darum  Jedem,  der  eine  wissenschaftliche 
Laufbahn  betrat,  coUegium  logicnm  ganz  unerläfslich« 
In  der  neuem  Zeit  hat  sich  dies  sehr  geändert.  Goe- 
thes bekannte  Scherzworte  über  die  Logik  sind  Jedem 
aus  der  Seele  gesprochen,  und  es  gibt  Wenige,  wel- 
che, wenn  auf  der  Unirersität.über  formale  Logik  ge- 
lesen wird^  einer  solchen  Vorlesung  ihre  Aufmerksam- 
keit schenken,  ja  es  gibt  Universitäten,  wo  sie  als 
formale  (d.  h.  tou  der  Metaphysik  getrennt)  gar  nicht 
mehr  gelesen  wird.  Woher  diese  Yeränderungt  Mei- 
ner Meinung  nach  daher,  dafs  die  Logik  wirklich  das 
ist,  wofür  jene  ältere  Meinung  sie  ausgab.  Ist  sie 
nämlich  wirklich  eine  Disciplin,  deren  Kenntnifs  Jedem 
unerläfslich  ist,  er  möge  studiren  u^as  er  wolle,  ist 
dagegen  die  Bestimmung  der  Universität,  dafs  hier  der 
Stndirende  sich  selber  bestimme  nnd  nach  eigner  Wahl 
höre,  so  gehört  die  Logik  als  nothwendige  FbrüAung 
zum  Studiren,  in  das  Gymnasium  und  ist  wie  alles  an- 
dere Gymnastische  hier  ein  Gegenstand  des  Unter- 
richts. Kaum  ist  es  daher  dem,  welcher  eben 'das 
Gymnasium  Tcrliefs,  zu  verdenken,  wenn  es  ihm  schwer 
wird,  sich  mit  einer  Disciplin  zu  befassen,  die  er  ei- 
gentlich im  Rücken  haben  sollte,  oder  dem  Professor,' 
wenn  er  nicht  dociren  will,  wasf  eigentlich  ein  Unter- 
richtsgegenstand ist.    ' 


Es  «eheint  aber,  als  wenn  die  auf  Universitftten 
nicht  mit  Unrecht  proscribirte  Logik  auf  den  Gjiiuuif 
eien  auch  kein  rechtes  Unterkommen  habe,  finden  kdn- 
nen.  Wir  wollen  damit '  nicht  die  Schulen  allein  an- 
klagen, in  der  Sache  selbst  liegt  Etwas  was  jdi^a.eiw 
klärlich  macfit.  Jeder  besonnene  und  reife  Schnlmtomi 
wird  Hegeln  darin  Recht  geben ,  dafs  das  eigentlicli 
Philosophische  oder  Metaphysische  vom  Gymnasio  ans- 
/zuschliefsen  sei.  Nun  sind  aber  die  meisten  Bearbei- 
tungen der  Logik  mit  besondrer  Rüoksicht  auf  die 
Universität  unternommen,  nnd .  enthalten  daher  Ele* 
mente,  die  hier  ihre  rechte  Stelle-finden,  theils  meta- 
physische, theils  authropologische ,  kurz  wollen  menr 
sein  als  eine  Anleitung  zur  blofsen  Gymnastik  des 
Denkens.  Wenn  nun  durch  jene,  nicht  in  die  Schnle 
gehörenden  Untersuchungen,  nnd  zugleich  dnroh  ttne 
Menge  unnützer  Spitzfiindigkeiten  die  Logik  sn  einem 
Aggregat  der  disparate^ten  Kenntnisse  geworden  war, 
so  war  es  den  tüchtigem  Schulmännern  kaum  zu  ver- 
argen>  wenn  sie  einen  gründlichen;  grammatischen  oder 
mathematischen  Unterricht  iiir  die  beste  Uebung  im 
präcisen  Denken  erklärten,  nnd  ein  Gebiet  unbe^reten 
wünschten,  wo  sich  der  Schüler  oder  gar  der  Lehrer 
mit  ihm  verinren  könne. 

Von  jenen  Uebelständeii  sich  zu  befreien,  war  nim 
wohl  kein  Mittel  geeigneter,  als  wenn  man  bei  dem 
Unterricht  der  Logik  die  Darstellt^ng  derselben  za 
Grunde  legte,  in  welcher  sie  von  allen.  VerunstaHun* 
gen  der  späteren  Zeit  noch  frei  ist,  die  Aristotelische. 
Abgesehn  davon,  dafs  hier  die  Gesetze  des  verstand!* 
gen  Denkens  mit  einer  solchen  Meisterschaft  darge* 
stellt  sind,  dafs  man  das  Organen  so  oft  mit  den  Ele* 
menten  des  Euklid  verglichen  hat,  so  kommt  noch 
etwas  Anderes  hinzu,  was  die  Aristotelische  Darstel- 
lung der  Schule  besonders  empfiehlt:  seine  UntersiK 
chungen  schliefseur  sich  in  so  vielen  Punkten  an  das 
Grammatische  an,  dafs  auf  den  Gymnasien,  auf  wel- 
chen die  Grammatik  die  Hauptsache  ist  und  bleiben 
mufs,  dem  Einführen  der  Aristotelischen  Logik  der 
Weg  bereits  gebahnt  ist.  Es  wird  ferner,  indem  dem 
logi^dhen  Unterricht  ein  griechitcher  Text  zu  Grunde 
gelegt  wird,  derselbe  ein  doppeltes^  Interesse  haben 
und  —  einen  doppelten  Respect  sich  verschaffen,  wie 
Jeder  gestehn  wird,  wenn  er  bedenkt,  dafs  doch  mta 
einmal  die  lateinischen  und  griechischen  Stunden  von 
den  Schülern    als  die  Hauptsache  angesehn  werden. 


418 


f 

Trendglmiurgy  Ehmenim  fag$e0^ 


414 


£aipfielilt  sidi  deswegte  jene  baralellnng  aee  p&dago- 
flisobeiD  GeticIitepnDktey  80  kommt  endlioh  dazii>  dab 
wenn  die  Logik  durcli  laterpretatipn  des  Ariatotelea 
gelehrt  wird,  der  Sobttler.  iiidii  nuf  die  BestimmtiDgen 
der  Logik  kennen  ond  in  ihren  Formen  eich  bewegen 
lenit^  sondern  tugleich  einen  grofsen  Theil  der  Aristo« 
telisohen  Termioologis^  mne  bekommt.  Dies  gewährt 
aber  nioht  nnr  dem  eine  Erleichtemngy  welcher  später 
den  Aristoteles  stadiren  will  — •  Jeder  wird  aus  eig- 
ner Erfahrung  wissen,  wie  Tiel  bei  ihm  mit  emmal  an- 
geeigneter Terminologie  gewonnen  ist  ^  sondern  ist 
anch  sonst  tut  das  wissenschaftliehe  Studium*  yoir 
Wichtigkeit,  da  so  yiele  noch  itst  im  wissenschaftli- 
eben, ja  nberhaopt  im  gebildeten  Verkehr  herrschen- 
den Ausdrücke  beim  Aristoteles  ihre  Wursel  und  ihre 
ErUäning  finden. 

Natfirlicb  aber  ist,  will  man  bei  dem  logischen  Dn« 
terriciht  den  Aristoteles  su  Grunde  legen,  eine  Samm- 
lung der  wichtigsten  loci  nothwendig,  da  unmöglich  das 
Organen  selbst  im  Gymnasio  durchgenommen  werden 
kann.  Von  ähnlichen  Gesichtspunkten,  wie  Ref.  sie 
hier  ausspracb,  ausgehend^  liat  nun  der  rerehrte  Vf. 
eine  solche  Sammlung  hier  gegeben  und  sich  damit 
den  Dank  Aller  verdient,-  welche  mit  ihm  wiiuschen, 
dafs  diese  Grundlage  alles  soliden  Studiums  nicht  so 
sdir  Teinachläfsigt  werde.  Seine  grlindliche  Konntnils 
des  Aristoteles,  zugleich  seine  Bekanntschaft  mit  un« 
serm  Schulwesen,  so  wie  damit^  in  wie  weit  auf  nusere 
sich  itzt  bildenden  Gljmnasiallehrer  zu  rechnen,  forder« 
tea  ihn  mehr  als  Andere  zu  diesem  Unternehmen  auf. 
Die  Sammlung  der  banptsächlidisten  Stellen  ist  in 
65  §§.  getheilt;  ein  sich  ihnen  ansehliefsender  Com- 
mentar  (p.  37-^115)  enthält,  quae  „docentibus  quid 
exponendum  videatnr  significent,  exposita  autem  di^ 
^ceätiam  re^titinni  inserTiant."  Anfser  diesem,  treffli- 
dien,  Commentar-  enthält  dann,  das  Buch  Uoch  eine 
lateinische  Uebersetzung  der  ausgewählten  Stellen. 
Dem  Zweck  ein  Schulbuch  zu  sein,  scheint  dies  zu  wi- 
dersprechen. Sollte  wirklich,  was  doch  nicht  wahr* 
scheinlicb,  der  Lehrer  jene  Stellen  nicht  übersetzen 
können,  so  machte  ja  der  unter  jeder  Stelle  augegebne 
Ort  ihm  es  leicht,  seine  Zuflucht  zu  einer  Ueberset- 
zung  des  Arißtoteles  zu  nehmen  ^  dagegen  aber  ist  es 
Gatt  den  Schüler  gewirs  besser,  wenn  ihm  die  Ueber- 
setzung die  Präparation  nidht  zu  sehr  erleichtert. 

Fast  aber  scheint  es,  als  wolle  das  Buch  auch 


nicht  nur  als  Schulbuch  beürtheUt  sein,  sondern  auch 
noch  yon  einem  andern  Gesichtspunkt  aus,  der  zi|  er« 
Ortem  ist,  ehe  wir  zusehe,  wie  dcrr  Verf.  seine  Aufgabe 
gel(ist  hat.  So  erklärlidi  es  ist,  dafs  sich  die  Logik 
bis  jetzt  auf  der  Schule  nicht  recht  einbürgern  konnte^ 
so  ist  damit  doch  'der  Uebelstand  eingetreten,  dafs 
viele  auf  die  Unirersität  kommen  und  sie  wieder  ver* 
lassen,  und  von  Logik  gar  Nichts  wissen.  .  Ja  selbst 
unter  den  Philosophie  Studirenden  sind  mir  Fälle  be- 
kannt, wo  Einer  erst,  als  das  principium  identitatis  «^ 
der  legt  ward,  erfuhr,  dafs  es  ein  solches  gebe.  'Die 
naöbtheiligen  Folgen  davon  zeigen  sich,  wenn  auch  in 
andern  Disciplinep,  so  doch  besonders  In  der  Philoso* 
phie.  Nie  war»  namentlich  unter  den  Jüngeren,  ein 
präciser  Ausdruck  seltner  als  beut  zliTage.  Die  Un- 
bekanntschaft mit  der  formalen  Logik  hindert  natür- 
lich nicht,  sie  zu  verspotten,  und  wie  es  in  unsern  Ta- 
gen Philosophen  gibt,  welche  den  Scholastikern  alle 
Philosophie  absprechen,  nur  weil  sie  dieselben  —  nicht 
kennen,  so  wäre  wohl  Mancher,  der  ex  catliedra  dar- 
über lacht,  dafs  man  in  Celarent  schliefsen  wolle,  in 
Ycrl^enheit^ gesetzt,  wenn  nian  ihn  fragte,  was  das 
beifse  und  wie  sich  ein  Schlafs  in  Celarent  von  einem 
in  Cesare  unterscheidet  Auf  der.  andern  Sdte,  da  es 
doch  einmal  Sitte,  an  vielen  Orten  sogar  Vorschrift 
ist^  dafs  jeder  Studvende  Logik  gehört  habe,  geschieht 
9s,  dafs  nua  Viele,  die  nioht  Philosophie  studiren,  un- 
ter dem  Namen  der  Logik  die  Metaphysik  mit  hörefl, 
eben  aber,  weil  sie  nur  sie  hören,  sich  einbilden,  die 
Logik  sei  die  ganze  Philosophie,  wodurch  die,  obnoB 
dies  grofse,  Zahl  der  Halbphilosophen  sich  täglich 
mehrt.  In  solcher  Lage  der  Dinge  kann  nun  uatiir- 
lieh  da»  Bedürfaifs  empfunden  werden,  auch  ffof  der. 
Universität  diesen  Uebelständen  entgegen  zu  treten* 
Würde  dies  dadurch  geschehn,  dafs  der  akademische 
Docent  die  Logik  so  voiftrüge,  wie  sie  auf  der  Schule 
gelehrt  werden  mufs,  so  würde  er  eben  so  wenig  sei- 
nem Beruf  entsprechen,  wie  die  Schule,  wenn  sie  iAr 
Geschäft  vernacbläfsigt.  Eine  akademuche  Vorlesung  ~ 
über  die  Aristotelische  Logik  wird  nur  den  Zweck  ha^ 
ben  können,  wie  der  Verf.  ihn  ganz  richtig  angibt:  „ut 
logicae  historia  accuratius  cognoscatur  et  in  Aristote- 
lis  familiaritatem  introeatur.**  Nur  per  acoidens  wird 
sie  die  Fertigkeit,  sich  in  den'  logischen  Formen  zu 
bewegen,  auch  beibringen,  ihr  ist  das  VTesentliehe^ 
was  beim.Gymnasialnnterrictit  die  Nebensache  und  um- 


•  ^ 


415 


Trendelenburg y  Elementß  hgicee  Arut^elicae. 


41ft 


gekehrt.  Die  Vorrede  des  yorliegenden  Werks  gibt 
za  rerätebn;  dafis  es  au<^  \robl  einer  akademiscben 
YorlesDDg  cü  Grunde  gelegt  werden  kdnne.  Damit 
Terbindet  es  also  einen  doppelten  Zw^ok  und  dies  ist 
Scbade.  Die  Schule  nUmlich  und  die  Universität  sind 
■o  Terschieden  —  (wir  geben  dem  Verf.  Recht,. dafa 
beide  plores  audtaree  coinmunes  habent  p.  3t.,  allein 
aliter  pueri  Comelium  ahter  viri  -=-)  — i  dafs  beide 
Oesicbtspunkte  sich  bindernd  entgegen  treten  mufsten. 
Ref.  -weifs  es  -zwar,  dafs^  der  Verf.  als  beetimmend 
nur  die  Rücksicht  auf  die  Schule  will  gelten  lassen, 
aber  ihm  selber  unbewufst  scheint  der  Professor  oft 

.'  an  die  Stelle  des  Schulmanns  zu  treten.  Dadurch  gei- 
schieht  es,  daf^.  sich  in  das  yorliegende  Werk  Man^ 
cbes  eingeBcblichen  hat,  was  in  den  Grenzen  der  Schule 
nicht  liineingehdrt,  so  wie  wiederum  Einiges  weggeblie- 
i>en  ist,  was  wir  in  einem  Schulbuch  schmerzlich  ver- 
missen. Jenes  Erste  ist  dadurch  gesdieh^n,  dafs  sich 
in  diesem  Schulbuch  Einiges  findet,  was  die  Passungs- 
gabe der  Schiller  im  Allgemeinen  übersteigt,  und  auf 
der  Schule  nicht  tractirt  werden  soll.  Wir  oennen  es 
|curzweg  das  Metaphysische.  Der  Einwand,  welchen 
der  Verf.  uns  machen  wird,  und  den  er  p.  106.  Anm. 
angedeutet  hat,  dafs  bei  Aristoteles  das  Logische  und 
Metaphysische  nicht  so  auseinander  fallen^  wie  das  in 
den  modernen  Darstdlnngen  der  Logik  geschieht,  ist 
richtig,  aber  schlägt  uns  nicht.  Denn  A;*istotele8,  wie 
er  Logisches  und  Metaphysisches,  yereinigt  darstellt, 
schrieb  nicht  und  ist  nicht  für  die 'Schule.  Wohljaber 
ist  für  die  Schule  das  formell  Logische,  und  dieses 
wird  aus   dem  angefahrten  Grunde  am  zweckmäfsig- 

.  sten  an  dieis  angeknäpfi^,  was  sich  bei  Aristoteles  fin- 
det, und  woraus  die  blofs  formelle  Logik  geworden 
ist.  Der  Zweck,  weicher  vorgesetzt  war,  mufste  in 
einem  Schulbuch  wiOKt  sein,  welcher  ii^rSehule  con- 
iorm  ist.  Hatte  der  Terf.  den  Zweck  die  Logik,  wie 
Bie  die  jirietotelUche  ist,  rein  aus  sich  herzustellen, 
Bo  durfte  er  freilich  das  Logische  und  Metaphysische 
nicht  trennen,  dann  durfte  er  aber  auch  kein  Schul- 
buch sehreiben,  denn  dies  ist  ohne  tiefe  und  gelehrte 


theoretiscb«  Untersadiangen ,  die  nidit  in  die  Schnli 
gehören^  unmdgticb.  Sollte  aber  ein  Sohalbach  ge» 
schrieben  werden,  (und  ein  folehea  forderte  altordmgs 
ein  dringendes  Bedürfiaifs),  so  ihafste  eben  das  Bedarf* 
nifs  der  Sebule  die  Auswahl  der  Stellen,  so  wie  die  in 
dem  Commentar  zu  besprechenden  Punkte  bestim» 
men.  Der  Schule  thnt  es  aber  nicht  Noth ,  dafs  in 
ihr  der  Arüteftelee  gelesen  werde,  eben  so  w«iig  wie 
sie  mit  dem  ^Plato  bek^nt  machen  soll.  Sondern 
wie  sie  diesen  liest,  damit  der  Schäler  OrieeJUeek 
lerne,  so  soll  sie  jenen  interpretiren,  dannt  er  fj^gii^ 
formelle  Logik  lerne.  Die  Auswahl  war  daher  die 
zweckmäfsigste,  welche  alle  diejenigen  Punkte  bei  Arv> 
stotcles  hervorhob,  welche  die  ersten  Elemente  der 
wesentlichen  logischen  Regeln  isathalten  (nnd  diese  fin- 
det man  in  ihrer  einfachsten  Gestalt  alle  bei  Aristote* 
(es),  und  sie  möglichst  frei  von  dem  darstellte»,  was 
ider  Schüler  nicht  wissen  soll,  und  also  nicht  lauui. 
Trotz  dem  also,  dafs  wir  eines  Einwandes  von  Seiten 
des  verehrten  Verfs.  gewiTs  sind,  -  müssen  wir  das  Me* 
taphysische,  welches  sowohl  der  Testt  als  auch  die 
Anmerkungen  (die  ja  auch  zur  Repetition  für  den  Scha- 
ler bestimmt  sind)  enthalten,  als  nicht  hier  her  gehd- 
rig  weg  wünschen.  Andrerseits  vermissen  wir  aolche 
Stellen,  welche  den  Uebergang  ans  dem,  dem  S«diiUer 
bekannten,  grammatischen  Gebiet  in  das  logische  ver- 
mitteln. Je  mehr  dem  Aristoteles  Denken  und  Spr^ 
eben  zusammen  fallen,  je  mehr  er  selbst  immer  ^eder 
auf  das  Grammatische  zurückkommt,  um  so  mehr  mufste 
ein  Schulbuch,  welches  die  erste  Bekanntsobafit  nsit 
der  Logik  geben  sollte,  den  Zusammenhang  auch  her* 
verheben.  Und  es  war  hier  nicht  zu  fiircbten,  dala 
diese  Untersuchungen  zu  weit  vom  Zweck  abfuhren 
würden.  Es  sind  der  grammatischen  .Bestimmungen 
bei  Aristoteles  (wenn  wir  ihn  z.  B.  nur  mit  den.  Stoi- 
kern vergleichen)  noch  so  wenige,  dafs  eben  deswegen 
diese  wenigen  mehr  hervorgehoben  werden  konnten. 
Gleich  am  Anfange  der  Sammlung,  zu  deren  Beleach^ 
tnng  im  Einzelnen  wir  jetzt  übergehn,  müssen  wir  die- 
sen Wunsch  wiederholen.  • 


(Die  Fortsetznng  folgt.) 


J  a  h  r  b  tt  c  h  e  r 

für 

wissenschaftlicheKritik. 


September  lS39f 


Mhmenta  logices  ArütotelUue  m  p$wn  ickqla^ 
rum  em  ArütoUile  eseerpsUj  c^jtwertitj  illustra^ 
vd  Ffid.  Ad.  Trendelenburg. 

(Fortsetzupg.) 

Die  BemerkuDgen  enthalten  zuerst  das  sothweo* 
digate  Hiatoriache  über  die  Logik,  erklären  den  Namen 
Analjtiky  nnd  aeigen  wie  die  Logik,  wenn  sie  als  o^* 
pg99v  genommen  wird,  gerade  das  ist,  was  seit  Kant 
ao  Tiel&ch:  ,g^ein  Organen,  sondern  ein  Kanon'*  ge- 
nannt wird«     Naoh   diesen  vorläufigen  Bemerkungen 
begimit  die  Darstellnng  selbst«    Wir  werden  bei  der- 
selben immer  die  Auswahl  d^r  Stellen  nnd  die  Anmer- 
knngen  sugleieh  betraehten.    Je  mehr  wir  diesen  Iota« 
tereo  nnaem  Beifall  geben,  um  so  mehr  sind  wir  be- 
leebt^  denselben  nicht  im.  Einzelnen  zu  wiederfaolei^ 
dag^egen  aber  alles  daa  Wenige  henrorzuheben,  worin 
wir  eine  Aeademng  wüasohen«    Mit  Reeht  fängt  der 
Verf*  nicht,  wie  es  gewdbnliob  geschieht,  mit  der  Lehre 
TÖn  den  Begriffen  (im  Sinne  der  gewöhnlichen  Logik) 
an,  aondem,  da  dem  Aristoteles  die  Logik  entstaüd, 
indem  er  den  fertigen  Gedanken  auflöste^  dieser  ihm 
aber  nicht  ron  der  Sprache. getrennt  erscheint,  mit 
dem  ausgesprochnen  Gedanken,  dem  ^«(/og,  d«  b*  der 
Rede  oder  dem  SatXy  der,  auvi^taig  tif  votuMxmv  ägni^ 
b  orro»r;    diesen  behandelt  er  vor  der  Betrachtung 
der  einzelnen  toJji»ata  oder  der  9unä  fi^di/uov  avfiifXon^ 
hySfifsfa.     Wir  Tormissen   aber  hier  sogleich  solche 
Stellen,  welche  den  Unterschied  zwischen  Satz  mid 
UrtJkeü  angeben.    Von  dcto  Sat%y  yoa  welchem  Ar. 
t  aagt,  es  sei  XS/oq  Sna^  (iev  tnunanuSq^  änoq>avnK6i  di 
w  vof^  ist  das  Urtheil  oder  der  i^yog  änoipayviM6g  nur 
eine  Ari ;  diese  Stelle  (de  int.  4)  hätte  der  Verf.  an» 
{Ohren  müssen,  weil  sie  am  bequemsten  aus  dem  gram« 
metiaehen  Gelfiet  in  das  logische  hinubejr  fuhrt:   (pi 
fi£r  odv  oflXet  difüä^waav*   ^ijtOQinJjg  yiiq  ij  noitjxmljg  olr 
\ttov4(fa  i|  <nu%ffig*    6  8a  änoq>ßm%6g  v%   vvp  dccn^/ors). 
Jahrb.  f.  Wiemek.  KriiUe.  J.  183Q.  IL  Bd. 


Diese  Unterscheidung  zwischen  dem' lo/og  u/id   dem 
loyoq  dno(farfut6q  oder   der  in6q>€tyai^  wäre  noch   aus 
tanem  andern  Grande  nothwendig:   der  Verf.   knüpft 
näpilich  §•  11.  an  daa  an,  was  er  früher  bereits  evi- 
dent dargetban  bat,  dafs  dem  Aristoteles  sich  die  Ka^ 
tegorien  aus  der  Analyse  des  iSate^  ergeben  haben; 
da  nun  die  ganze  Lehre  tou  den  Begriffen,  wie  wir 
sogleich  zeigen  werden,  in  der  von  dem  Verhältnirs 
der  Kategorien  zu  einander  enthalten  ist,  «o  ^ufs  ^ler- 
djngs  der  Satz  por  den  einzelnen  Begriffen  betrachtet 
werden  $  etwas  Andres  aber  ist  die  Frage,  ob  auch  das 
Urtheil f  Det  Verf.  vefsi^cht  es  zwar,  die  Lehre.  Tom 
Urtheil  zuerst  abzuhandeln,   allein  bereits  f.,  3.  findet 
er  sich  gendthigt,  die  unbestimmten  Begriffe  (das  iVo/ia 
ai^fwtav)  zu  betrachten,  im  f.  4.  die  allgemeinen  und:, 
aingmlaren  nqiy^Mxa  aufzunehmen,  in  den  Erläuterun- 
gen dea  ärofAöv  zu  berücksichtigen,  so  wie  im  6ten  §. 
die  Begriffe  ädog  und  yhog.     Zwar  sind  einige  dieser' 
Begriffe  im  ^  1.  schon  ipdicirt  und  man  kannte  sagen, 
dort  seien  sie  vom  Lehrer  bereits  erläutert;   wir  fra-^ 
gen  aber,  wie  es  dem  Lehrer  möglich  sein  wird,  das 
iyofia  (namentlich  wo  es  nomen  substantivnüi  ist)  zu 
erklären,  ohne  den  Begriff  der  evaia  zu  Hülfe  zu  neb* 
man  (SubstantiYum,  Substantia),  oder  yivog  und  ddoq 
und  «TOfioy,  ohne  die  Begriffe  der  ovaia  Stvxina  bei  je- 
nen und  der  oiaia  nQtitti  bei  diesem  anzuwenden  1  Es 
würde  daher  dem  Ref.  zweckmärsiger  erscheinen,  wenn 
zuerst  gesagt  würde,  was  ein  Sam  ist,  wenn  sich  daran 
der  ^  11.  knöpfte, .  welchelr  zeigt,  dafs  durch  die  Auf- 
lösung des  Satzes  die  einzelnen  tofUMta  zum'  Vorschein 
kommen,  welche  in  ihrer  Vereinzelung  betrachtet  wer- 
den müssen.    Diese  Betrachtung  gibt  die  Lehre  von 
den  Begriffen. 

Da  hier  die  ncfvä  n^diiAlav  aviinXox^  UyoiASva  be- 
trachtet werden,  so  können  natürlich  solche  Bestim- 
mungen des  einzelnen  fdtmaj  welche  ihm  zukommen, 
sofern  ea  Bestandtheil  eines  Urtheils  ist,  (a.  B.  Eotge- 

,63 


419 


Trendelmiurgy  EUmmia  logiees 


'» 


N. 


^  gensetzuDg  u.  dgl.)  bierNoicht  TorkonutieOy  wobl  ab«r 
ergibt  sich  sogleich  hier  alles  das,  was  man  unter  dein 
Namen  des  (Jmfangs  und  Inhalts  der  Begriffe  abzuhan« 
dein  pflegt*  Durch  die  Analjse  des  Satzes  n&mlich 
kommt  Aristoteles  zu  den  Kategori&n,  Betracliten 
wir  diese  und  folgen  dabei  den  trefflichen  Winken, 
welche  der  Verf.  in^  dem  Commentar  zum  §.  11.  gibt, 
so  ergeben  sich  uns  die  Bc^grlffe  der  Substanz  {pvokt) 
nnd  des  avfAßtßfjxoqpder  des  acctdens  (?gl.  p.  106  Anm.). 
Wird' nun  xnerst  nur  die  ovaia  nach  Aristoteles  be* 
trachtet,  so  findet  man  bei  ihm  die  ganze  Lehre  von 
dem  Umfange  der  Begriffe.  Diese  liegt  nfimlich  ent* 
haken  in  dem  Unterschiede,  den  er  macht  zwischen  der 
nQcirti  ovaia  (dem  ärofiw)  und  der  dtvxi^a  ovaia  (dem 
Sdo^  und  ytvoi).  Hier  mufsten  daher  einige  Sätze  aus 
Categ.  5.  hinzugenommen  werden,  welche  erklärten, 
was  nqtixri^  was  dtvrtga  omia  ist,  an.  welche  sich  dann 
die  Bemerkungen  zum  §•  17.  schlieüsen  konnten.  Es 
würde  dann  schicklich  der  §.  4.  folgen,  und  dann  §.  6., 
aber  so,  dafs  die  unmittelbar  vorhergehenden  Worte 
mit  hinzugenommen  würden,  und  der  §.  so  lautetet 
cog  de  yt  al  ngSkat  ovaiat,  nfög  ra  äXka  narfa  Mjpvaiv^ 
ovt»  xal  %b  ddog  n^iq  ri  yiyog  Sxu*  vft6xeiTat  yh^  %b 
äSog  xto  yifH*  xä  juiv  yoiQ  yivfj  xava  rSv  tJldcsv  wxTfiyo^ 
QtXxat.  Dieses  Yerhältnifs,  welches  Aristoteles  auch 
80  bestimmt^  dats  der  höhere  Begriff  den  niederen  tm»- 
/qfst  {iiiQthxiißayH)^  odcSr  der  niedere*  im  höheren  ent- 
halten ist  (v7rtt(>xc(v  iy,  tlvai  h  oXm  riS  yini),  würde  nun 
Gelegenheit  geben,  etwa  durch  Anknüpfung  an  die 
Isagoge  des  Porphyrius  die  Begriffe  /ifos,  tlSog,  ätO' 
fiovy  ytvixtoraxov^  iidixmarov  u.  s*  w.  zu  erörtern.  Man 
kann  nicht  sagen,  dafs  die  Lehre  vom  gröfsern  Um- 
fang des  höheren  Begriffes  nur  implicite  im  Aristoteles 
sich  finde,  da  ja  die  Auidrücke  mQihxfißdvHv,  vnfhui" 
a&äi  u.  a.  bei  ihm  Vorkommen.  Das  Verhältnifs  des 
hohem  Begriffs  zum  niödern  ist  also,  dafs  das  ripog 
xoTfjyoQtttai  xaxa  xov  üSovg  (axofiov^.  Dieses  letztere 
bestimmt  dann  Aristoteles  noch  näher,  indem  er  den 
Ausdruck  awavviA<og  zu  Hülfe  nimmt  (vgl.  Annot.  ad 
§.  41.).  Er  sagt  nämlich:  xSv  de  itvxiqtov  oiaitSv  xh 
fABV^tlSog  ncexa  xov  axofAov  uaxfjyoQitxai,  xo  Sb  yiyog  %al 
xccxot  xov  tldovg  aal  xaxä  xou  dtofiov  .....  nat  x^  Xoyof 
da  imdixpvxak'at  nQwai  ovaiat  xov  xSp  tldäp  xal  xbv  xSy 
yivcov^  ual  x6  ttdog  de  xov  xov  y&fovg ....  avrtivvfia  de  ye 
fpß  &v  KOI  xovvopia  xoivov  xal  6-  XSyog  i  avxog^  waxe  mhrra 
xa  and  xch  ovamv . . .  owtoviiitog  Xi/fxcti,    In  diesen  Sät- 


sen  Uegt  der  Keim  des  dictum  de  oimu.  — «  Wird  dam 
zweitens  das  Yerhältiiifs'  der  Substanz  zn  ihren  Aß» 
denzen  betrachte^  so  finden  wir  in  dem.  wa«^  Amtot^ 
les  hierüber  sagt  die  ganze  Lehre  über  den  Inkuk 
der  Begriffe  kaum  weniger  entwickelt  als  ebea  die 
vom  Umfaüg  derselben.  Es  mufstfr  da  zuerst  der  Ali» 
stotelische  Unterschied  zwischen 'dem  ^tugxffyof^ko&o»  m^' 
vnoiainevov  und  dem  h  vnoxeiiAircp  dvau.  deutiich  gemaeht 
werden.  Das  Letztere  was  iv  ovaUj^  ist^  und  je  naeh 
dem  Tcrschiednen  Zusammenhange  bald  als  avitpfßiptog^ 
bald  als  Idiovy  bald  als  duupo^ .  bezeichnet  wird,  fpht 
jias,  was  man  dgentlich  allein  mit  dem  Worte  Metl^ 
mal  bezeichnet  Die  modernen  Logiker  machen  kei- 
nen Unterschied  zwischen  den  Prädioateii,  die  einem 
Begriff  beigelegt  werden,  und  nennen  eben  so  die  Gat- 
tung wie  irgend  eine  Qualität  Merkmal.  Porphyrius 
sagt  dagegen  ganz  mit  Recht,  dafs  das  yivog  das  xi 
liTTi,  dagegen  di^s  Idiov  nur  das  Snoiov  angebe,  nnd 
Aristoteles  tadelt  Top.  4,  2.  die  Verwechslung  der 
dia<poqa  mit  dem  yirog,  (Was  den  Ausdruck  Merkmal 
betrifft,  so  kommt  schon  bei  Aristoteles  diese  Bezie- 
hung auf  die  Erkenntnifs  vor,  indem  er  den  reicheren 
Begriff  yvwQifioktQov  nenht,  die  nota  aber  es  ist,  wel- 
che die  notio  notiorem  reddit).  Wenn  ein  blofsea 
Merkmal  von  Etwas  prädicirt  wird,  so  geschieht  dies 
in  einem  ganz  anderen  Sinn  als  wo  man  die  Gattung 
'  yon  der  Art  prädicirt^  Brauchte  Aristoteles  bei  di^ 
sem  letzteren  Verhältnifs  das  Wort  üvvtovvfmc^  so  fuhrt 
er  hier,  wenn  auch  nicht  den  Ausdruck,  so  doch  dea 
Begriff  des  Paronjmischen  ein.  Er  sagt  nämlidb  tb 
Xivxov  h  inoxH^ivto  j&  a(i[Aan  xaxijyhQtZxai  xov  vnoxiifU^ 
vov  (Xivxot  yhq  aw^a  Xeytxat)y  6  de  Xoyo'g  o  xov  J^uicoS 
ovdinoxt  xaxä  aOffAoxog  xaxrjyo^fii^i^atxcu.  Bedenken  wir 
nun,  dafs  hier  xi  Xivxov  und  Xivxöv  gerade  so  unter- 
schieden sind,  wie  SvdQua  und  dvd^Hog,  nämlich  durch 
die  nxSaigy  und  halten  hierzu  die  Definition^  naQeiwfia 
de  Uynai  oaa  dn6  xivog  dia(fBQOvxa  xp  nxciaa  x^v  xati 
xovvofna  nQoarjyoQiav  %«,  ohv  dno  t^j  yQafAiiaxixijg  6  yQc^ 
fnaxiHog^  xai  dno  xJjg  dvdqttag  6  dvdqtXo'g^  so  haben  wir 
einen  merkwürdigen  Parallelismus  mit  jener  oben  ash 
geführten  Stelle,  nur  dafs  der  Schlafs  äoxt  x.  x.  %: 
nicht  gezogen  ist.  (Daher  ist  di^  Form  des  dictum  de 
omni:  nota  notae  est  nota  rei  eigentlich  falsch.  Dies 
gilt  nur,  wenn  unter  nota  der  höhere  Begriff  yvt^ 
standen  wird).  Auch  hier  gilt,  dafs  die  Lehre  vom 
Inhalt  der  Begriffe  nicht  nur  implicite  bei  Aristoteles 


421  Trendetenburgj  Ehmenta  logiceM  ArUMeUeae.  422 

sieb  findet,  soiideni  sioli  bis  auf  die  AosdrOcke  bei  ihm  den,  wie  m  dein  oben  angegebnen  Untersdiiede  dessen 
fiadet,  me  solche  ^Stellen  leigen:  ntfioaivei  rd  ddog  was  itavfjyo^svtai  xad'^  vnoxniAhov  vntl'dem  was  h  into-' 
%m  ^hov^  und  nXiiov  ^i  6  op^^wxoq  tov  £«&ai;  ti  lo/h-  .  xUfjihw  iativ  beide  Ansicbten  als  berechtigt  liegen.  Eine 
ww,  welebe.  die  Hanptregel  dieser  Lehre  enthalten^  Subsumtion  nämlich  des  Sabjects  unter  das  PrS^cot 
voraas. sich  dann  von  selbst  als  Gegensatz  gegen:  tit^  findet  da  Statt,  wo  das  Prädicat  xa&^  vnon.  ausgesagt 
fini  uafä  %Sf¥  ädm  nunnyoQhtvm  der  vom  Verf.  §.  6.  ^    irird,  d.  h.  wo  es  eine  oiala  (grammatisch  äusgedröckt. 


angenommene  ergibt:  xk  Si  äd/irSv  yivcov  ovk  dvri- 

' .  Haben  wir  bisher  aq  der  Anordnung  Manches  ans- 
aetseiiy  und  jdas  Wegbleiben  einiger  för  den  Zweck 
eineB  S^telboehes  noth wendigen  Sätse  bedanem  müs- 
MD,  80  mnfs  dagegen  bei  der  Lehre  vom  UrtheU^ie 
Auswahl  der  Stellen  sehr  glücklich,  die  Erläuterungen 
treSfich  genannt  werden.  Es  kommt  erst  die  Qualität 
der  Urtheile  zur  Sprache,  wo  d^r  seltsame  Ausdruck 
mnendüeJkes  Urtheil,  indem  auf  seinen  Ursprung  zu- 
Tlidl(gegangen,  .richtig' durch  den:  unöestimmte^  Ur» 
theil  ersetzt  wird.  Es  folgt  dann  die  Lehre  Tön  der 
Quantität  der  Urtheile,  die  Begriffe  des  xa&ikov,  Ka&* 
&tounofy  80'  wie  der  des  Besondern  werden  gut  erörtert ; 
eben  so  ist  die-  Lehre  von  der  Entgegensetzung  der 
Urtheile  sehr  zweckmäfaig  dargestellt,  nur  hätten 'wie 
gewünscht,  dafs  der  Verf.  den  im  §.  101  enthaltnen 
Satz  des  Widerspruchs  ihr  hätte  yorausgehn  lassen. 
Eine  Bemerkung  sei  erlaubt:  wenn  die  Späteren  ge- 
wisse Urtheile,  welche  Ar.  als  ävrixHfiivai  xarra  iJ^tv  fii^ 
voK '  bezeichnet,  suiconträre  nannten,  so  haben  sie 
trotz  des  barbarischen  (aber  sehr  alten)  Namens  nicht 
etwas  Unnützes  gethan,  denn  in  der  That  bilden  sie 
zu  dem  contradictorischeB  und  conträren  eine  dritte 
Klasse  des^  Gegensatzes,  da  sie  wohl  beide  zugleich 
wahr,  abier  nicht  .beide  zugleich  falsch  sein  können. 
Dies  mufsten  die  Erläuterungen  hervorhebe^.  —  Eben 
8o  mSehte  es  vielleicht  passender  sein,  wenn  der  §!i  6, 
die  Lehre  von  den  Urtheilen  begonnen  (was  bei  dem 
TOB  uns  Torgeschlagnen  Gange  ohnedies  geschab)  und 
der  ^.  5«,  der  die  Mo'dalurtheile  enthält,  sie  beschlos- 
sen hätte.  Die  Anmerkung  zu  §.  6.,  welche  mit  Recht 
jedes  Urtheil  als  Subsumtion  des  Subjects  unter  das 
Prädicat  ansieht,  hätte  noch  eine  andre  Seite  hervor- 
heben mfissen.  Manche  Logiker  gehn .  nämlich  davon 
aus,  dafs  das  Prädicat  das  sein  kann,  was  wir  oben 
ein  MetktmU  nannten,  und  ^  also  in  dem  Subjecte  ist, 
ibai  inkärirey  so  dafs  sie  deswegen  den  Subjectbe*- 
griff  den  weiteren  trennen»    Es  mufdte  nun  gezeigt  wer- 


ein  Substantivum)  ist,  dagegen  findet  eme  Inhärenz 
des  Prädicats'  an  dem  Subject  dort  Statt,  Wo  es  h 
ovaicxy  d.  h.  ein  iStov,  avfißißfiKig  oder  eine  dtaqiOQa  ist 
(grammatisch  ausgedrückt  ein  Adjectivum).  Weil  gram- 
matisch die  Verwandlung  des  einen  in  das  andre  leicht 
ist,  deswegen  ist  es  möglich  geworden  Jie,  eigentlich 
verscbiednen,  Urtheile  als  eines  oder  das  andre  zu 
betrachten. 

Den  Uebergang  vom  Urtheil  zum  Sc/ttufo  macht 
der  Verf.  nicht,  wie  Aristoteles,  durch  die  Lehre  von 
der  Veränderung  der  Urtheile  (dem  sogenannten  un- 
mittelbaren Seblufs),  sondern  er  gibt  §.  12^18.  Stel- 
len des  Aristoteles,  welche  zeigen,  dafs  und  warum 
eine  jede  Erkenntnifs  vermittelt  (ex  ngovnaQXOvariq  yvd- 
Ging)  sei.  Diese  Stellen  wünschten  wir  zum  Theil  we- 
gen des  Metaphysischen  gabz  entfernt,  theils  aber  erst 
d&riy  wo  die.  Methoden  abgehandelt  werden,  wie  'sie 
denn  auch  meistens  aus  den  Anal.  post.  sind.  —  Der 
Terf.  fährt  dann  so  fort,  dafs  er,  der  Autorität  des 
Aristoteles  folgend,  erst  die  Definitionen  über  den 
Schlafs  aufstellt  ^§.  19.  20.),  und  dann  die  erlaubten 
Veränderungen  des  Urtbeils  betrachtet  Wir  wünsch- 
ten diese  gingen  jenen  voraus,  es  würde  dadurch  der 
Uebergang  des  Urtbeils  zum  Schlufs  auf  die  einfachste 
Weise  gemacht.  Bedürfte  es  noch  aufser  den  Urtbeils-^ 
Veränderungen  solcher  Sätze,  die  diesen  Uebergang 
machten,  so  würden  wir  wünschen,  der  Verf.  hätte  ei- 
nige Sätze  zusammengestellt,  welche  zeigten,*  dafs  wenn 
im  Urtheil  das  Verhältnifs  so  ist,  dafs  ^  ima^x^  rCf 
P,  daraus  der  Schlufs  entsteht,  indem  A  vniQfhi  r5  P 
^itt  Tou  B.  Der  §.  21.  enthält  das  Dictum  de  omni 
et  nullo  und  also  alle  Regeln  der  Subaltemation.  Die 
Erläuterungen  hätten  zeigen  müssen,  wie  beides  auf 
dem  Verhältnifs  des  ddog  ufad  yivoi  beruht.  Der  &.  22. 
gibt  die  ^Regeln  über  die  Gouversion.  Auch  von  die- 
sen gilt  dasselbe.  Das  Schliefsen  per  oppositionem 
dagegen,  ein  Verfahren,  das  Aristoteles  selbst  sehr  oft' 
beobachtet,  besteht  in  einer  Anwendung  der  Gesetze 
der  Entgegensetzung  auf  die  Urtheile.    Dei^  VerC  er- 


428  «/.  «A  SeimUt^^  Gnmmatik 

vlUmt  es  niebt  Ei '  würden  jelxt  passend  §•  19«  Q|id 
20.  feigen  und  «ich  an  diese  Definitionen  die  Lehre 
vom  «Syllogismns  sebliefsen.  Die  Auswahl  der  Stellen 
ist  hier  vortrefflich.  Nur  mnfsten  §.  24.  nnd  25.^  wel- 
che f1|r  alle  Schiursfiguren  gelten,  nicht  zwischen  die 
erste  und  a^weite  eingeschoben  sein,  sondern  etwa  dem 
^.28.  unmittelbar  vorher  geben.  Dasselbe  gilt  von  ^  29^ 
Die  Erltoterungen  s^nd  sehr  schön,  >besonders  dan* 
kenswerth  die  zu  §•  26.,  welche  zrigen,  wie  es  ein 
ganz  versdiiednes  Princip  ist,  welches  Aristoteles  be« 
folgt,  wenn,  er  zu  drei,  oder  die  Neueren,  wenn  sie  zu 
Tier  Scblnrsfigurm  kommen. 

(Der  Beachluis  folgt) 

xxv, 

•/.  J.  Sehmidt:  Qranmatik  der  Tibetüehen  Spra^ 
-  eAe.    Merauegegeben  pen  der  KaüerUcAen  Akth 

demU  der  fVüeetueAqfUn.     Em  Band.    St.  Pe^ 

teredurg^  1839.    4to. 

Die  Gniadlage  zu  diesem  verdienstlichen  Werke  bildet  Cso- 
ma  TOD  Körös's  tibetisch-englische  Sprachlehre  (Kalkutta,  lB34.)f 
aber  die  wir  bereits  io  diesen  Blättern  (September -Heft,  1837) 
SiufÜbrUcher  beriehtet  haben.  Der  gelehrt«  Ungar  hat,  nach 
Hrn.  Schmidts»  in  der  Vorrade  (S.  XI)  ausgesprochener  Ueber- 
seugung  ein  sehr  sweckmftfsiges  Elementar -Buch  di^er  noch 
fast  ganz  unbekannten  Sprache  geliefert,  in  welchem  nur  hin 
und  wieder  unbestimmte  oder  irrige  Ansichten  sich  Torfinden, 
die  eine  Berichtigung  nothwendig  machten.  Hr.  Schmidt  citirt 
zwei  Beispiele  dieser  Art.  Koros  erklärt  die  Partikel  bar  (oder 
par)  an  der  Verbal  -  Wurzel  fUr  Bezeichnung  des  » InfinitiTs 
schleehthiUi  obgleich  schon  ihre  Zusammensetzung  mit  dem  loca« 
fen  R  (für  ra)  sie  unzweideutig  alt  eine  Art  Genrndium  oder 
Supinum  ankündigt,  welche  Function  der  Sprachgebrauch  ganz 
aufser  Zweifel  stellt  Diesen  l'rrthum  haben  auch  wir  in  unse- 
rer  obgedachten  Receosion  bereits  aufgedeckt  *).  Ferner  tadelt 
es  Hr.  Schmidt,  da£i  Koros  die  Partikel  de«  Inatrumontals  auch 
da,  wo  sie  nur  das  Subjekt  herrorheben  solle,  ein  wahres  In- 
strumental-Verhältnils ausdrucken  läist  Nge  heiist  ich;  ngth 
yüs,  oder  nga-u^  durch  micA,  mii  siir;  aber  die  letztere  Form 


>,  *)  r^ift  lafioitiv  ist   eigentlich  gar   nieht   vorhanden;   denn   was  KSrfo  m 
nennt,  ist  nichts  Andere«,    ab    eine  Art  Gerundium  yaa  hlangem  ad-  / 
Terbialem    Gebrauche,    dessen   charakteristisches    ASmjb  p^f  (^^  aich 
deutlich    als    eine   Zosaiunensetzung  der   oberwShnten  Partikel  pA  (ba) 
mit'  deu  localea  K  xa  erkennen  giebt.*'     (S,  Spalt«  3S6  des  Jahrgangs). 


der  THHieehen  Syrmehe.  m 

steht  .auch,  wenn  irA  daa*  wirkende  Subjekt  iat,  also.  z.  B. 
ilarcA  -  mich  ichlagen  ai  tch  »ekUigt,  Der  Ansicht  des  deutschen 
Gelehrten  zufolge^  bezeichnet  die  Partikel  hier  blofs  eine  He- 
bung de$  KmmnoHvMf  and  -stellt  vor  traasitlTea  Verbis  diesen 
Casna  in  aeiaer  bestimmleB  Gealalt  und  Eigeathftmlifihkfeit  als 
den  des  Subjektes  dar  (8.  91% 

'  Ohna  Zweifel  wird  die  aehr  hftullge  VerMadong  der  Instm- 
mental- Partikel  mit  dem  wirkenden  Su))Jekte  zur  Folge  gehabt 
haben,  da£B  der  heutige  Tibeter  ihre  ursprungliche  Bedeutung  — 
sofern  sie  dUw  Rolle  spielt  —  rergessen  hat.  'Wollen  wir  aber 
nicht  zwei,  ganz  zufällig  gleichlautende  Partikeln  ron  rerschied- 
ner  Abkunft  annehmen,  so  ist  die  Varmuthiing,  daia  auch  hier 
ein  Instrumental- VeihfiltnÜa  Torgeechwebt  kabe^  gewICs  amBo* 
sten  begfihMlet,  lim  den  NominatiTherrorzuheben,  bal  wuuk 
schon  Aie  Partikel  nt;  und  aufserdem.  wäre  die  Setzung  dea 
Kennzeichens  eines  Caiut  Qbliqwu  da,  wo  der  Jiominaüo  ge- 
dacht werden  sollte,  sehr  unlogisch,  Seite  187  kommt  der  Verf. 
noch  einmal  auf  das  Nämliche  zurück,  und  sagt:  „Als  Subjekte 
stehen  die  Pronomina  gewöhnlich  im  Instrumental,  bleiben  J^ 
doch  dessen  ungeachtet  NominztiTe,  obgleich  bei  ihnen,  im  Ti» 
bedschan,  wie  in  mehreren  anderen  Sprachen,  «zf  A  dU  BmEtm- 
Puig  4n  JnUrumeniaU  nieht  $eUem  if)  zulälsig  ist"  Da  der 
Verf.  keine  Beispiele  citirt ,  so  wissen  wir  nicht ,^  in  was  füs 
Fällen  er  dieses  oder  jenes  Verhältnifs  denken  würde,  und 
mochten  fast  glauben,  daTs  äeine  Theorie,  als  er  dies  nieder- 
schrieb, schon  wankender  geworden  war. 

Ur.  Schmidt  hätte  sich  anf  die  Analogie  des  Mongolischaii 
berufen  können,  wo  das  'Wörtehen  ber  die  FunktiOneu  dea  la» 
ftrumentala  und  einer  Subjekts -Partikel  vereinigt  Da  die  Hon» 
f  ölen  ein  formelles  Passivurn  haben,  so  würde  man  der  Parti- 
kel, wenn  sie,  mit  dem  wirkenden  Subjekte  verbunden,  Instru- 
mental sein  sollte,  schwerlich  active  Verbal  •  Formen  folgen  las- 
sen. Ber  Steht  übrigens  als  Instrumental  nur  hinter  Consona»- 
ten  (Vocale  erfordern  yer);  als  Subjekts -Partikel  aber  faintor 
beiden  Laut- Klassen,  ohn^  Unterschied.  Dieser  Umstand  läfirt 
auf  zwei,  ihrer  Abkunft  nach  Terschiedne  ber  sdüiefiieii»  die  nur 
zufällig  formell  übereinkommen. 

Der  syntaktische  Theil  des  Schmidt'schen  Werkes  (iu  den 
übrigens  Vieles  aus  der  Formenlehre  wiederholt  ist)  enthalt 
eine  grofse  Anzahl  selbstgewählter  Beispiele,  die  das  "Wesen  der 
tibetischen  Satzstellong  trefflich  beleuchten.  Was  aber  seine 
Grammatik  ganz  besonders  auszeichnet,  und  unseren  wämuten 
Dank  in  Anspruch  nimmt,  ist  die  Zugabe  zweier  gröfserea  pro- 
saischen  Texte  aus  Buddhistischen  Sutra's,  mit  beigefügter  deut- 
scher Uebersetzung.  Die  Tibetischen  Drucktypen  sind  vortreff* 
lieh,  und  denen  der  Körös'schen  Sprachlehre  sehr  vorzuziehen. 

'      W.  Schott. 


wissen 


M  IM. 

Jahrbücher 

für-. 

s  c  h  a  f  1 1  i  che 


K  r  i  t  i  k 


September  1839* 


£l90tentu  logiee$  ArtttoteUeae  m  usum  tth^a- 
rum  ex  Arütoteh  exeerptüj  convertUf  ähtstro' 
tit  FrüL  Ad,  Trendelenburg. 

(Schlaft.) 

Mit  dem  §•  30.  beginnen  ijie  Sätze,  welche  die  Me* 
tiodenleArs  enthalten; 'hier  fänden  die  §•  15.  16.  17. 
um  passende  Stelle^  namentlich  aber  geborte  hierher 
der  Satz  avS'  Anal.  post.  1. 18;  MoW^oroficr  ^  inaywy^ 
^  iaadäißu  ^hm  d*  ^  fiir  mn6duißg  in  tw  iMt&6h}Vf  ^  dk 
bmymyii  bn  tSt  nunä  läqo^  (§•  18.),  der  so  den  Eingang 
bildete  mr  Betrachtung  d^r  beiden  Methoden.  Nun 
mnfste  entweder  jede  Methode  für  sich  abgehandelt 
und  dann  eine  Y^rgleichang  beider  gegeben  werden^ 
-^der  es  könnten  beide  rorläufig  mit  einander  yergliohen 
werden  and  dann  die  Betrachtung  jeder  für  sich  folgen* 
Dar  Yeif.  hat  weder  das  eine  noch  das  andre  getban; 
es  sei  dem  Ref.  erlaubt,  den  Gang  zu  bezeichnen,  weU 
eher  ihm  mehr  als  der  Sache  gemäfs. erscheint:  Nach* 
dem  zuerst  gesagt  war,  worin  das  'VTesen  der  dnoÜt^ 
(fC  (der  Abdnction  des  synthetischen  Verfahrens  cf« 
Annot.)  besteht,  mufsten  die  Sätze  folgen,  welche  zei- 
gen, wie  der  ScUufs  methodisch  angewandt  wird,  also 
«rat  §•  31.,  dann  32.,  der  die  Begriffe  911006917^0,  Inir- 
fEtQrHia^^öoquefAOj  dnogtuicif  endlich  («39.,  ier  Aen  iliyxog 
betrachtet,  es  folgte  dann  der  directe  und  indirecte  Be- 
weis (§•  42.  43.),  hieran  schlössen  sich  dann  die  §• 
47—53.  62.,  welche  zeigen,  dafs  zu  einem  wirklichen 
Beweise  feste  Anfangspunkte  nothwendig  sind  (die  Er- 
Ukuterungen  geben  schöne  Bemerkungen  über  das  a|»co- 
IMj  'diCh-^icFi^i  die  v^ö^foi^i  den  6^ioy«o^),  es  folgten  dann 
die  S&tze  '§.  64-^-63.,  und  nachdem  so  der  Beweis  nach 
seiDeti  Erfordernissen  dargestellt  war,  konnte  §•  41., 
welcher  z^igt,  dafs  die'petitio  prindpii  dem  Begriff  des 
Beweises  widerspricht,  den  Bescfalurs  machen,  wenn  er 
ftieht,  80  wie  §.  30«  4ort  seine  Stelle  gefunden  hätte, 
wo  Ton  den  festen  Voraussetzungen  die  Rede  war, 
Jekrb.  f.  vüunuk.  Kritik,  f.  1839.    II.  M. 


Hierauf  würden  wir  den  avXkoyMfiig  diä  t^«  ina/wy^^ 
(Weg  der  Inductipn,  analytische  Methode)  folgen  las- 
sen, und  zwar  so,  dafs  wir  den  ^  33.  des  Vfs.  obenan 
stellten  und  zugleich,  weil  das  Einzelne  das  der  sinn- 
lichen Wahrnehmung  Gegebne  ist,  darauf  hinwiesen, 
wie  inaxdijvM  fiijf  Sj^onag  ma&iiaif  aiivaxov.  'Hierauf 
folgte  dann  die  Erörterung  der  Begriffe  ^6^^  ofifuSov, 
na^ASuy^a  (§.  36. 37.),  wozu  wir  noch  den  §•  40.,  der 
die  bataatg  behandelt,  hmznnehmen  würden.  Nach- 
dem so  die  beiden  Wege,  jeder  für  sich  betrachtet  wä« 
reu,  mäfste  nun  erst  die  Vergleichung  folgen  und  zwar 
80,  dafs  zuerst  (§.  38.)  das  Gemeinschaftliche  beider, 
herrorgebobea  und  dann  auf  ihre  Differenz  hingewie- 
sen würde.  Diese  ist  trefflich  fixirt  in  einer  Aristote- 
lischen  Stelle,  welche  der  Verf.  im  35.  §.  anfuhrt«  Da 
sagt  Aristoteles I  x^inav  xtfä  ämbuivai  ^  inaytoyij  t^ 
aviXoYÜfii^'  6  IM  yoif  dw  rov  ^<sov  %b  lixfov  r^  T^^rqp 
dilttpvffofy  fl  8i  diä  xov  tiflrav  xö  Smqov  t^  f«^aqp.  In  bei- 
den also  wird  eines  ton  einem  andern  prädidrt  vermit* 
telst  emes  dritten,  das  Urthdl  also^  wdches  das  Re- 
sultat der  Induction  ist,  ist  eben  so  wie  das^  welches 
das  Resultat  des  Beweises  ist,  ein  Tcrmitteltes  Urtheil 
d.  b«  ein  Schiurs,  Deswegen  kann  Aristoteles  (im  we- 
niger prägniMiiten  Sinne)  auch  die  Induction  als  ai/Uo* 
j^ifffiic  iS  htaye^yriq  .bezeichnen.  Nur  die  Art  der  Ver- 
mittlung ist  verschieden,  im  (eigentlichen)  SchluTs  wird 
der'  höchste  Begriff  (die  Gattung)  vermittelst  des  mitt- 
leren (des  positione  medius,  der  Art)  von  d^m  dritten 
oder  letzten  (dem  Individuum)  prädicirt  Er  folgt  also 
Aeta  Schema  der  ersten  Figur.  Dagegen  in^der  In- 
duction wird  Tc^  aagov  oder  der  höchste  Begriff  prädi- 
cnrt  von  dem  fiiaor  (^caa)  der  Ait  vermittelst  des  ^ffl* 
tov  oder  des  untersten  Begriffs;  hier  also  hat  gerade 
der  vermittelnde  Begriff  die  unterste  Stelle,  ist  ^«oa 
ia%arog,  positione  infimus,  d.  h.  die  Indnction  folgt  dem 
Schema  der  dritten  Figur«  Daher  sagt  denn  auch  Ari- 
stoteles: der  ScbluCi  der  Indnction  sei  th  8wt  xw  hi* 

64 


Tr^uäelenburg^  EUtnenta  Ipgiees  ArütoieUcae, 


/■  I 


427 

Ar  liiaov  f 0  Bf  di^  tov  F  döü^ai  rh  u4  rm  B  vniif%HV^ 
(wo  der  Einwand,  den  man  wohl  maehen  könnte^  dafs 
Aristoteles  bei  der  dritten  Figur  nie  diese  Bnchötaben, 
die  er  immer  b6i  der  ersten,  anwendet  ^  dadurch  ent- 
kräftet wirdy  dafs  bei  Vergleichüng  des  Eigenth&mli- 
chen  von  zwei  Figuren  es  erklärlich  ist,  dafs  dieselben 
Baohstaben  für  beide  festgehalten  werden,  auch  in  der 
Stelle  Anal,  pr^  II,  27.  die  Buchstaben  A^  B,  F  ge- 
braucht werden,  um  Verhältnisse  zu  vergleichen,  wel- 
che mit  der  Isten,  2ten,  3ten  Figur  correspondiren.) 
Da  die  dritte  Schlufsfigur  nur  partioulare  Conclusionen 
gibt,  so  folgt  von  selbst  daraus  (§•  44.  45.)$  dafs  der 
Weg  der  loduction  und  also  auch  die  aia^i^ai« .  nicht 
SU  allgemeinen  und  nothwendigen  Erkenntnissen .  fuhrt* 
An  den  Unterschied  der  do£a  und  imar^fiti  worden  sich 
dann  passend  die  Schlafs  §§•  des  vorliegenden  Wer» 
kes  achliefsen.  Nur  können  wir  nicht  leugnen,  dafs 
das  Ende  desselben  weit  über  die  Grenzen  der  Schul- 
welt hmauseeht,  mdem  wir  bezweifeln,  ,dafs  der  vovg 
als  Prinoip  der  Principien  dem  Schäler  begreiflich  ge- 
macht werden  könne» 

.  Wenn  wir  in  vorliegender  Anzeige  an  dem  GangOi 
den  der  Verf.  nimmt,  Manches  auszusetzen  fanden,  so 
geschah  dies ,  weil  wir  immer  die  in  der  SeAule  zu 
lösende  Aufgabe  im  Auge  hatten.  Es  fällt  uns  nicht 
ein,  in  diesiem  Werke  den  Zusammenhang  ;bu  leugnen, 
wir  wünschten  ihn  aber  in  vielen  Punkten  anders  \  eine 
recapitulirende  Vergleichung  des  Ganges,  den  der  yf. 
Bimmt^  mit  dem,  welchen  wir  vorgeschlagen  haben, 
möge  diese  Anzeige  achliefsen  ^  welche  eine  gröfsere 
Ausdebuung  bekommen  hat,  weil  wir  es  •  mit  einem 
Werke  zu  thun  haben,  welches  bereits  durch  seinen 
vielfachen  Gebrauch  auf  Schulen  seine  Wichtigkeit  ge- 
zeigt hat  Der  Gang  des  Verfs.  ist:  1)  Urtbeil,  2)  Ka- 
tegorien (11),  3)  Noth wendigkeit  der  Begründung  des 
Drtheils  aus  der  Idee  des  Wissens,  un^  Nothwendig- 
keit  der  beiden  Weisen  des. Verfahrens,  mithin  4.  a) 
der  Syllogismus  (f.  19—32),  ^)  die  Induction  (33—35)^ 
r)  Gemeinsames ,  der  Beweu  (§.  43.)  5)  der  Beweis ' 
fordert  ein  Princip, '  a)  der  loduction  (18.  34.  35.),  b) 
des  Syllogismus.  Die  Definition,  endlich  das  Princip 
der  Principien,  der  voii^.  -^  Betrachten  wir  diesen  CTang^ 
wie  der  Verf.  tfielbst^  ihn  uns  angegeben,  so  fallen  erst- 
lich die  Kategorien  herein,  m^n  weifs  nicht  woher,  und 
stellen  üich  zwischen  das  Urtbeil  und  setne  Begriia- 


428 


düng  in  die  Mitte ;  es  fällt  dann  .auf^  dafs  wo  vm  den 
Principien  beider  Metboden  die  Rede  sem  sollte,  die 
Induction  bereits  absolvirt  ist,  da  der  §..18f  doch 
erst  seine  Stelle  nach  dem  §•  43.  finden  sollte.  •—  End- 
lich gelten  gegen  diesen  Gang  iin  JSinzehien  die  Be-. 
.merkungen,  die-  wir  oben  gemacht  haben.  Der,  den 
wir  vorschlagen,  ist  im  Wesentlichen  folgender:  1)  der 
SatXy  %  Auflösung  des  Satzes,  die  einzelnen  to^funu «» 
die  Kategorien  —  Substanz  und  Acoidenz  — ^  a)  ye^> 
hältnifs  der  ovoiiu  zu  einander  '• —  Gattung,-  Art,  Indi- 
viduum^ Umfang  der  B^riffe>  6)  Yerhältnifs  der  oivia 
zum  avfißißtiKog  —  Lehre  von  den.  Merkmalen,  Inhalt 
der  Begriffe.  3)  Das  UriAei/.  4)  Das  begründete  Ür- 
theil  und  zwar  a)  das  durch  Verftndeniilg  hervoige- 
brachte  Urtbeil,  6)  der  ScMufi.  Hierauf  die  Anwei^ 
düng  dieser  logischen  Formen  oder  die  Methodenhkr^ 
und  zwar  1).  die  beiden  möglichen  Wege  zur  Brkennt- 
nila  zu  gelangen;  a)  das  deduotive  Verfahren,  i)  das 
inductive,  o)  Vergleichupg  beider  und  Folgerungen  dar- 
aus, —  Uns  scheint  dieser  Gang  nicht  weniger  einfach 
als  der  des  Verfs;,  zugleich  scheint  auf  diesem  Wege . 
die  Bekanntschaft  mit  den  logischen  Formen  dem 
Schüler  leichter  beigebracht  werden  zu  können,  ohne 
dafs  er  in  Tiefen  geführt  wird,  wo  es  der  Meister  b^ 
darf,  um  sich  zurecht  zu  finden,  endlich,  aber  haben 
wir  uns  überzeugt,  dkfs,  wenn  die  vom  Verf.  ausge- 
wählten Stellen  nach  der  von  uns  verlangten  Ordnung 
zusammengestellt  werden^  die  Reihenfolge  mehr  mit  der 
Aristotelischen  zusammenfallt,  indem  dann  viel  seltner, 
als  bei  dem  Verf.,-^  spätere  Stellen  aus  den  Anal,  vor 
früheren  desselben-  Werkes  zu  stebn  kommen, 

Dr.  Erdmann. 


XXVI. 

Htstoria  phäosophiae  Oraeco  -  Romahae  ex  fw^ 
tium  locü  contexta.  Locos  coUegeruntj  di^ 
posuerunty  notis  auxerunf  H.  Ritter^  L.  Prel- 
ler.   Edidit  L.Preller.    Hamburg,  183S.  X 

609  5.  a 

Die  Geschichte  der  Philosophie  in  ihrer  Entwiob 
hing  bei  den  Griecheu  und  Römern  hat  in  den  letBten 
Jahtzehnten  eine  Ausbildung  erfahren,  welcher  nur  we^ 
nige  andcüe  Gebiete  der  gelehrten  Forschung  an  die 
Seite  gestellt  werden  können;  denn  während  aiob  die 
philologische   Thätigkeit  mit  gröfs^rer  Neigung    und 


^29  PreUeTy  hi^oria  pMloMephuie  Oraeeo^Romanae.  430 

glitokliolierem  Erfolgis^  ak  früher^  der  Bearbeitnog  der     su  Idsen  y  und  zu  ifarem  Inhalte  Erweiterangon  durch 

Sohriftjm  der  Griechen,  v^dmete^  warf    AnfÜbruDg  anderer  verwandten  Stellen  tu  geben/  .die* 

Den  Anmerkuiigen^  welche  unmittelbar  den  einzelnen 
Paragraphen  folgen,  bald  ron  grsrserem  bald  von  ge» 
ringerem  Umfange.  Der  Text  der  ausgehobcnen  St^k 
len  ist  überall  nach  den  neuesten  und  zuverläfsigsteti 
Recensionen  gegeben  $  wo  diese  nicht  gen&gte^  sind  in 
hesond^n  kritischen  Noten  unter  dem  Texte  die  nö- 
thigen  Hülfsmittel  der  Varianten  und  Conjecturen  dar« 
geboten.  Dafs  dieser  saohgemäfsen  allgemeinen  Ein- 
richtung  auch  eine  zweckmäfsige  utid  einsichtsToUe  Ana* 
fiihrung  des  Planes  entsprechen  wird,  dafür  .  bürgen 
schon  die  Namtfn  Ser  beiden  Verf.  hinlänglich ;  aber 
ebenso  sehr  ist  auf  der  andern  Seite  zu  erwarten,  äafs 
bei-  der  Schwierigkeit ^  welche  eine  Geschichte  der' 
alten  Philosophie  durch  ausgewählte  Stellen  aus  den 
historischen  Quellen  auch  nach  den  vorhandenen  gründ- 
lichen Vorarbeiten  machen  mufs^  zu  manchen  Beden- 
ken  und  gegründeten  Ausstellungen  ini  Einzelnen  Ver* 
anlassung  sc^n  wird.  Auf  einige  der  wichtigsten  Pimcte, 
einmal  in  derAiiswahl  und  Anordnung  derStelleii,  dann  in 
ihrer  Erklärung,  soll  im  Folgenden  hingewiesen  werden. 
Was  zuerst  die  Auswahl  und  Anordnung  des 
Sto£fes  betrifft,  so  sind  zwar  die  aufgestellten  Grund*'^ 
Sätze  unbestreitbar,  einerseits  nichts  aufzunehmen,  was 
als  entferntere  Ausfuhrung  des  Einzelnen  nicht  in  die 
nothwendige-  Entwicklung  der  philosophischen  Grund- 
ansicht emes  Systems  gehört^  andererseits  keine  Stelle 
ausznschliefsen,  welche  zur  Einsicht  ip  di^en  Grund- 
character  erfordert  wird,  und  die  ausgewählten  Stellen 
80  zu  ordnen,  dafs  ihre  Folge  selbst  möglichst  den 
Gedankengang  des  Systems  darstelle  und  das  Spätere 
im  Früheren  seine  Erklärung  finde;  die  Ausführung 
aber  ist  keineswegs  fiberall  diesen  Grundiiätzen  ent- 
sprechend  oder  in  sich  selbst  gleichmärsig.  Die  älte- 
sten philosophischen  Versuche  der  ionüehen^  pytha- 
goreischen  und  eleatüehen  Söhulen  sind  verhältnifs- 
mäfsig  ausfuhrlich  behandelt  (S.  8—127),  so  dafs  maij 
nicht  leicht  etwas  Wesentliches  vermissen- wird.  Eher 
kSnnte  hier  und  da  eine  entfernter. liegende  Einzelnheit 
weggelassen  sein  \  so  bei  Anaximandrod  einige  specielle 
Erklärungen  über  die  Entstehung  der  lebendigen  We- 
sen in  nr.  56.,  welche,  wie  sie  hier  gegeben  sind,  völ- 
lig isolirt  stehn,  und  wenn  sie  einmal  aufgenommen  • 
werden  sollten,  wenigstens  durch  die  Aufnahme  von 
Plnt.  Plac.  III,  16.  einigermafsen  mit  dem  Ganzen  des' 


n  gleicher  Zeit  die  Philosophie  selbst,  mit  ihrer  Ge- 
«ehiehte  sieh  wieder  befreundend,  auf  ihre  eigenen 
Anfänge  rin  fielleresXioht,  so  dafs  im  Zusammen  wir* 
ken  von  Gelehrten  und  Philosophen  gründliche  Ausga- 
ben der  bedeutendsten  griechischen  Philosoph^  sorg* 
Altige  Fragmentensammlungen,  scharfsinnige  Monogra- 
phien, lichtvolle  Darstellungen  endlich  der  Geschichte 
der  Philosophie  von  verschiedenen  Seiten  und  auf  ver- 
scfaiediie  Weise  nach  Einem  Ziele  hinarbeiteten  und 
die  wissenschaftliche  Einsicht  in  die  älteste  Entwick- 
lang  ixx  Philosophie  zn  eiqer  bedeutenden  Höbe  erho- 
ben. Je  mehr  hierdurch  die  alte  Geschichte  der  Phi- 
losophie in  den  Kreis  der  allgemeinen  wissenschaftli- 
ehen Studien  hineingezogen  ist ,  um  6o  mehr  macht 
aich  das  Bedurfnifs  geltend,  dem.  Studium  derselben 
sogleich  von  Anfange  an  eine  nähere  Beziehung  ^auf 
die  Quellen  tfnd  dadurch  gröfsere  Bestimmtheit  und 
Gröndlidikeit  geben  zu  können,  was  bei  der  Beschau 
fenheit  der  historischen  Quellen,  bei  ihrer  weiten  Zer- 
atrenung  über  den  gesamraten  Umfang  der  alten  Lite- 
mtor  ohne  ein  besonderes  Hülfsmittel  nicht  wohl  mög- 
lich ist.  Es  mnfs  daher  mit  allgemeinem^  Danke  auf- 
genommen  werden,  wenn  die 'Herren  Verf.  in  dem  vor- 
liegenden Buche  durdi  eine  Auswahl  der  wichtigsten 
Stellen  aus  dra  Alten  eine  Geschichte  der  griechischen 
und  römisdien;  Philosophie  in  den  eignen  Worten  der 
Urheber  der  emzelnen  Systeme  oder  der  ältesten  und 
gJaobwSrdigsten  Zeugen^  eine  Geschichte  durch  die 
Quellen  selbst  darstellen« 

'  Die  allgemeiae  änfsere  Einrichtung  des  Buches  ist 
durch  dies'en  Zweck  selbst  natürlich  gegeben.  Nach 
einer  kurzen  Einleitung  (S.  l-*?)»  welche  in  Stellen 
der  Alten  das  HauptsäcUiehste  über*  Geschichte  der 
Philosophie  und  deren  Eintheilung  enthält,  werden  dann 
in  der  Folge  des  Ritter'schen  Geschichtswerkes  die 
einzelnen  philosophischen  Systeme  so  abgehandelt,  dafs 
nerst  die  Hauptstellen  über  das  Leben  .  der  Philoso- 
phen angeführt  werden,  dann  die  prägnantesten  Stel- 
len über  die  Lehre  feelbst,  dem  Gedankengange  des 
j^atenie  gemäfs,  in  einzelnen  Paragraphen  auf  einander 
fe%m$  die  ihrem  e^nen  Zusammenhange  entnommen 
aen  Stellen  in  den  des  darzustellenden  Systems  einzu- 
Mihcn  und  zu  einem,  Ganzen  zu  vereinigen,  so  wie  an- 
delrerseits  Schwierigkeiten  in  der  Erklärung  derselben 


PrelUrt  Aüforia  pkiio$9pkia4  Oraeeo^Jüottumme. 


431 

Systems  in  Zusammenhapg  gebracht  werden /imirstenj 
lieber  würde  inan  statt  dieser  Bincelheit  eine  Anföh* 
ning  der  aus  dem  anti^ov  sich  ansscbeidenden  Haupt« 
« gegeniBÜtze  nach  Simpl.  Phys.  f.  32«  b.  in  nr«  53.  auf- 
genommen  sehn,  und  eine  .Erklärung  der  Alles  leiten- 
den Kraft  des  okii^ov,  jeneä  «ivxa  xvßiQväv  bei  Arist. 
Phys.  in.  4.  nr.  53«,  durch  die  Stelle  des  Simpl.  Phys. 
f.  107.  a.,  welcher  das  äniiQov  bezeichnet,  als  nicht  nur 
iXixri,  sondern  zugleich  iroujnxi;  und  rthn^  cIqx^*     Nicht 
eine  gleiche  Billigimg  kann  man  tiberall  über  die  An- 
ordnung det  zn   diesen    Systemen  gehlJrigeA   Stellen 
aassprechen.    Bei  Heraklit  finden  sich  gleidisam  ein- 
leitungsweise noch  TOT  der  Aufstellung  des  Grundprin- 
dpes  ein  paar  Stellen  über  die  Einheit  und  Göttlich- 
keit des  Wissens  nr.  38.  39.,  welche  an  diesem  Orte 
'  Tollkommen  unbestimmt  bleiben  müssen  \  sie  erhalten 
daffogen  ihre  volle  Bedeutung,  wenn  sie  nach'nr.  45— 
47.  gestellt  werden,   in  welchen-  das  VerhftUnifs  der 
einzelnen  Vernunft  zur  allgemeinen  Vernunft  und  die 
.  nothwendige  Abhängigkeit  jener  von  dieser  dargestellt 
ast;  umgekehrt  finden  die  Stellen  fiber  den  allgemeinen 
IJmtansch  von  Allem  gegen  Alles  nr.  49.  angemessener 
ihren  Platz  sogleich  nach  dem  Grundprincipe  in  nr.  40. 
41.,  als  am  Ende  der  Darstellnng  des  ganzen  Systems. 
Auf  dieselbe  Weise   würden  in    der  Darstellnng   des 
Anaximander  die'  Worte  dieses  Philosophen  „Woher 
das  Seiende  seinen  Ursprung  hat,  in  dasselbe  hat  es 
auch  seinen  Untergang  nach  der  Nothwendigkeit**  nr.  57* 
passender  am  Anfange  der  Darstellung  mit  den  Wor- 
ten der  Simplicjus  über  das  annQov  des  Anaximander 
nr.  52.  zusammengestellt,  da  sich  beide  Stellen  gegen- 
üeitig  erklären ,  als  dafs  sie  in  der  gewählten  Anord- 
nung erst  nach  Ausfuhrung  des  Ganzen  am  Schlüsse 
folgen.    Dagegen  erscheint  wiederum  bei  Xenophanes 
der  scharfe  Tadel  gegen  den  poetischen  Anthropomor- 
phismus  in  der  griechischen  Mythologie,  an  die  Spitze 
des  Ganzen  gestellt  nr.  130 — 133.,  nur  wie  ein  ratio- 
nalistisches Auflehnen  gegen  den  Volksglauben,  wfth« 
Yend  dieselben  Worte,  nach  der  philosophischen  Ent- 
wicklung des  Begriffs  des  Seienden  oder  Gottes  nr.  134— 
las«  angeführt,  sich  als  integrirender  Theil  der  Xeno« 
phänischen  Weltanschauung  zeigen  würden.  —  Auffal- 
lend kurz    im    Verhäknifs   zu   dem    bisher   berührten 
Theile  ist  der  folgende  Abschnitt  über  die  Sophisten 
(S.  128-^138),  welcher  auf  keinen  Fall  dem  Zwecke 


432 


des  Boches  genügen  kann.    Denn  wenn  hierin  nm&olwt 
in  zwei  Paragrsphen  nr.  182.  183.  die  Sophisten  ihrem 
allgemeinen  Character  nach,  in.  ihrer  Riohtung  anf  den 
blofsen  Schein  statt  des  Wesens  nnd  ihrer  Verwerfung 
der  abtolnten  Gültigkeit  des  Sittlichen  bezeicfanet,  dann 
nr.  184—188.  die  Lehren  ^des  Protagoras  und  nr.  189— 
193.  die  Schlufsfolgen  des  Gprgias  dargestellt  werden» 
80  fehlt  viel  daran,  dafs  hierdurch  anch  nmr  im  Allge* 
meinen  eine  richtige  Ansicht  von  den  Sophisten  erlangt 
werden  könnte.    Bei  ihrer  Richtung  anf  den  blofsea 
Schein,  welcher  schon  m  der  Absicht  die  Philosophie 
selbst  aufhebt,  ist  ihre  Anfiihmng  in  einer  Geschichte 
der  Philesophie  kaum  zu  rechtfertigen,  nnd  ana  dem, 
was  hier  zn  lesen  ist,  kann  man  nicht  begreifen,  woher 
sie  denn  bei  ihren  sich  innerUch  vernichtenden  Ansieli« 
ten  einen  so  bedeutenden  Binflnfs  anf  ihre  Zeit  erlange 
ten.    Jenes  zu  rechtfertigen,  nlflfste  der  Zusammen- 
hang dieser  Bestrebungen  mit  dän  widersprechenden 
philosophischen  Ansichten  der  früheren  Zeit,  die  sich 
nnn  im  Mittetpuncte  der  griechischen  Bildung  begeg« 
Beten,  wenigstens  in  einer  Anmerkung  angedeutet  wer* ' 
den,  da  schwerlich  einzelne  Stellen  bei  den  Alten  das 
Bewurstsein   über  diesen   Znsammenhang  ansdrücken 
möchten ;  dieses  würde  erklärlich  werden,  wenn  daraof 
hingewiesen  würde,  ^  wie  die  sittlichen  und  politisohea 
Grundsätze,  welche  die  Sophisten  theoretisch  ausspre- 
chen, dieselben  sind,  wdche  man  allgemein  im  Leben 
befolgte  —  if ozu  besonders  aus  Thucydides  sich  leiebfc 
prägnante  Stellen  auswählen  lassen  —  wie  sie  daher, 
als  Repräsentanteiii  des  Zeitgeistes  auf  ihre  Zeit  selbst 
einen  grofsen  Einflufs  üben  mnfsten.  '  Wenti  übrig«» 
die  Erscheinung  und  der  Character  der  Sophisten  am 
wenigsten   durch  die  Aufstellung  der  philosophischen 
Ansichten  von  zwei  besonders  wichtigen  Männern  un- 
ter ihnen  bezeichnet  ist,  sondern  erst  ein  Ueberblick 
der  vielen,  im  Einzelnen  sehr  unterschiedenen,  und  dock 
in  der  Haupttendenz  übereinstimmenden  Persönlichkei- 
ten ein  Bild  jener  Zeiterscheinung  geben  kann,  so  http 
ten  wenigstens  ganz  kurz  die  Namen  anderer  Sophisten 
mit  Andeutung  ihrer  Hauptrichtnng  der  Darstellung, 
jener  beiden   Berühmtesten   beigefügt  werden  sollen; 
vergebens   sucht  man,   während  unter  den   ionisdimi 
'  Philosophen  Hippo  nicht  ausgelassen  ist,  in  den  zer- 
streuten Anführungen  der  Anmerkungen  auch  nur  *den 
Namen  des  Hippias,  Kallikles,.  Thrasymachns  u.  n«  -« 


(Die  FortSetzoDg  folgt.) 


'    -'    ■  v^  55.- 

Jahrbücher 

für 

Wissens  chaftliciie    Kri  t  i  k. 


September  1839. 


philosophiae  Oraeco -- JRomanae  -ex  fw^ 
tmm  locis  conteata.  Locos  collegerunty  düpO" 
meruntj  natu  auxemnt  H.  Ritter^  £.  Preiler. 
JSdidtt  L.  Preller. 

(Fojtsetznng.) 

Vollsttiidiger  dagegen  ist  der  folgende  Abschnitt 
iiber  JSocrate^  und  die  kleineren  sokrafiachen  Schulen 
(S*  139—185) ;  nur  vernufat  man  unter  den  Hauptstel- 
kn  fiber  die  sokratisohe.  Lehre  Xen.  Mem,  IV,  6^  8.  f.^ 
i&  welcher  das  Gute  und  das  Schöne  durch  den  Be- 
griff des  ISützlichen  definirt  wird$  eine  Stelle,  die  um 
so  weniger  fehlen  durftie,  da  sie  Veranlassung  2u  den 
Bescfauldig^ungein  der  Immoralität  der  sokratisohen  Lehre 
gegeben  ba^  ^nd  defshalb  in  ihrem  Zus^ammenhange 
ait  den  gcsammten  sitüiehen  und  religiösen  Ideen  des 
Sokrates  als  ihrem  Inhalt,  wenngleich  nicht  ihrer  Form 
nach,  dnrchans  moralisch  nadigewi^sen  werden  mnfste« 
Auch  fiber  die  Tie)besproohene  sokratisohe  Ironie  würde 
es  angemessen  sein  zu  nr.  195.  oder  nr.  199.  mit  Be- 
ffückstohtigang  Ton  Plat.  Cony.  215.  f.  eine  Andeutung 
n  geben, 

Sobwietig«^  als  bei'  irgend  emem  andern  Philoso- 
phen des  Alterthumes  ist  bei  Plato  nach  der  Natayr 
Beines  Systems  und  seiner  Schriften  eine  Auswahl  ein- 
«daer  Stellen  tn  dem  Zwecke  und  naeh  der  äufseren 
Beschr&ikimg  des  vorliegenden  Buches.  Wenn  die 
Verf.  sich  selbst  hieriiber  aussprechen,  »ugl^ch  mit  der 
H^Siauiig, ,  auch  in  diesem  Pv^cte  gerechten  Anforde- 
msgen  zu  genflgeui  so  wird  nicht  leicht  ein  Leser^  der 
mit  Plato  bekannt  ist,  bei  dem  blofsen  Ueberbliok  des 
ftafseren  Umfanges  der  Auswahl  (Plato's  Leben  und 
Lehre  S.^  186—228  TgC  dagegen  Empedokles  S.  108— 
127)  diese  Qoffnuog  theilen,  noch  wemger  aber  bei 
genafier  Dorebeicht  des  Gegebeneil  sie  erfüllt  finden, 
.Während  sioh  die  Verf.  bemäht  baben>  in  der  ersten 
Periode  diov  Fragmente  tu  einem  Ganten  tu  bildeni 

J^h.  f.  wiiienich.  Kritik.  /.  1839.  IL  Bd. 


ist  bei  Plato  das  (Sanze  in  die  unkenntlichsten  Fra^r 
mente  terrissen.    Nach  Andeutungen  über  Plato's  Le- 
ben folgt  tuerst  ein  Abschnitt  über  seine  Philosophie 
im  Allgemeinen  und  deren  Eintheilung^  in  welchem  zwar 
die  Hauptpuncte  vorkommen^  aber  der  Mangel  an  ge* 
höriger  Ordnung  die  Uebersicht  durchaus  stört.    Denn 
venu  man  zuerst  nr.  250.  yon  der  Wissenschaft  er- 
fährt, in^  welcher  Hervorbringen  eines  Werket  un4  Ge- 
braurch  desselben  zusammenfällt  und  yon  der  Idee  des 
Guten,  die  allen  Dingen  erst  Werth  verleiht,  dann  251. 
dafs  diejenigen  philosophiren,  welche  zwischen  Wissen 
und  Nichtwissen  sich  befinden,  hierauf  ,252.  253«  von 
dem  Unterschiede  zwischen  vovt  und  dil^ß  dkfi^g,  254. 
von  dem  Wissen,  welches  fiber  das  Handeln  herrscht, 
255.  von  dem  Verhäjitnisse  zwischen  Mathematik  und 
Philosophie  liest,  uhd   zuletzt  aus  Sext«  Empir.  die 
Emtheilung  in  Dialectik,  Physik,   Ethik  erhält:   so  ist 
hier  offenbar  vorangestellt,  was  nachfolgen,  auseinan- 
der gerissen,  was  verbunden  sein  mufste.    Die  Natur 
der  Sache  selbst  führt  auf  diesen  Gang,  dafs  zuerst 
Begriff  und  Object  des  Wissens  im  Gegensatze  zum 
blofsen  Meinen    bezeichnet   werde,   welches  passend 
durch  die  nr.  253.  aufgenommene  Stelle  Rep.  V,476.  E. 
gescfaehn  würde,  welche  aber,  für  den  Begriff  der  Phi- 
losophie und  für  die  Ideenlehre  gleich  wichtig,  an  der 
einen  oder  andern  Stelle  in  gröfserem  Umfange  stehn 
mfifste ;  in  die  Anmerkung  können  Theaet.  p.  210.  Tim. 
p.  51.  E.  n.  a.  verwiesen  werden;  dann  würde  das  Ver- 
hältnifs  des  Snbjects  zu  diesem  Wissen  zu  bezeichnen 
sein  nr.  251.  Conv.  203.  E.;  hierauf  dann  die  Einheit 
des  Theoretischen  und  Practischen  in  diesem  Wissen 
folgen,  durch  die  Stellen  in  nr.  254.  (nr.  250.  Eutyphr. 
288.  D.  pafst  nicht  genau  hieher);  hiednreh  wäre  dann 
schon  von  selbst  fiber  die  in  nn  256.  bezeichnete  Ein- 
theilung  die  richtige  Ansieht  groben,  dafs  diese  näm- 
lich ein, angemessenes  und' unentbehrliches  Hülfsmittel 
der  Darstellung  ,ist,  aber  keineswegs  für  Plato  abso- 

65 


4» 


PrelUry  Aütoria  pkiloiopAiae  Graeeo^RMu^we. 


438 


Inte  Gfiltigkeit  hat.    Die  Stelle  über  du  YerbäUnirB 
TOD  Mathematik  und  Philosophie  nr.  255.  Polit.  284.'D. 
iat  für  die  Einleitung  xn  weuig  wichtig  und  za  schwiEsr» 
imd  auch  in  ihrer  Hauptsdiwierigkeit  nicht  erklArt  wor- 
den. —  Der  bezeichneten  Eintheilung  gem^fs  wird  nun 
im  nächsten  Abschnitt  (S.  197—209)  Plato's  Dialectik 
behandelt«.    Man  erwartet^  wie  billig,  bierin  dieGmnd- 
,  Züge  der  platonischen  Ideenl^hre  zu  finden ;   nun  ist 
zwar  allerdings  von  Ideen  darin  auch  die  Rede,  aber 
in  der  Hoflfnnng;  durch  passende-  Zusammenreihung  der 
Hauptstellen  in  den  Mittelpunct  de^  platonischen  Sy- 
stems eingeführt  zu  werden,  wird  man  sich  völlig  ge- 
täuscht finden.    Denn  man  liest  zuerst  nr.  257.,  dars 
die  Wissenschaft  ein  Object  verlange,  welches  der  Ver- 
änderung nicht  unterworfen  is^  und  dazu  in  der  An- 
merkung eiaiges  Schwankende  über  den  Werth  der 
Sinneswahmehmung ,  dann  nr.  258.  dafs  Denken  uud 
Reden  bestehe  in  Verbindung  dessen,  was  seiner  Na- 
-tur  4iach  zu  verbinden  ist,  wozu  die  Anmerkung  hin- 
zufugt, dafs  hierdurch  eine  Mehrheit  von  ezistirenden 
Dingen  gesetzt  ist,  denen  inneres  Leben  zukommt,  im 
Gegensatze  des  todten  und  starren  JSins  der  Eleaten ; 
hierauf  folgt  in  nr.  259.  eine  Stelle,  welche  nicht  auf 
die  Ideen  hinführt,  sondern  deren  Annahme  als  etwas 
längst  bekanntes  voraussetzt  Rep*  X.  596»,   wozu  in 
der  Anmerkung  die  Definition  Idea  autem  dicitur^  guid' 
qtUd  nomine  aliguo  eonsignaiur.    Zwar  soll  diese  De- 
>  finition  durch  die  folgenden  Worte  ünaquaeque  igiiur 
idea  speeUU  ad  ovaiav  aiifuam  A,  e.  substantiam  immu^ 
tabilemj  guae  appellatur  avrb  xaO-^  avvo  ete,  näher  be- 
stimmt werden,  aber  sie  kommt  auch  so  nicht  zur  Khuv 
heit,  da  es  von  derselben  Idee,  welcher  in  den  vorigen 
Worten  nur  «ne  Beziehung  aqf  das  schlechthin  Reale, 
das  aürb  iux&*  avto  gegeben  wurde,  in  dem  nächstfol- 
genden heifst  Sed  idea  cum  eit  avri  xct&*  atrrJ.    Dana 
wird  nr.  260.  von  dem  Verhältnisse  der  Ideen  zu  dem 
untergeordneten  Einzelnen,  nr.  261.  von  der  Idee  des 
Guten  gehandelt,  jnnd  zuletzt  nr.  262.  eine  weder  er- 
klärte, noch  auch  mit  wenig  'Worten  erklärbare  Stelle 
ausParm.  157.  B.  ff.  unvorbereitet  angeschlossen,  wozu 
die  Anmerkung  Einiges  über  das  platonische  Eins  und 
die  Zahlenlehre  giebt.    Es  bedarf  wohl  keines  Erwei- 
ses, dafs  weder  die  getroffene  Auswahl  genügt,  noch 
die  Anordnung  geeignet  ist,  um  in  den  eigentlichen  Le- 
benspunct  des  piatonischen'  Systems  auch  nur  im  All- 
gemeinen Einsicht  zu  verschaffen  i  und  doch  bietet  ein 


31ick  ^nf  die  wesentlichen  Puncto  des    platonisthea 
Systems  im  Vergletdi  mit  den  Hauptrichtungen    vor 
ihm  den  Gang  klar  genüg  dar,  welchen  sein  philoso- 
phisches Draken  scheint  verfolgt  zu  haben,  und  wel- 
chen eine  Darstellung,  .wie  die  gegenwärtige,   leicht 
durch  Auswahl  von  wichtigen  Stellen  nachbilden  kann. 
Wefshalb  Plato  nicht  in  den  Gegenständen  der  Erfab- 
rung  das  wahrhaft  Reale  finden  zu  dürfen  glaubte,  be* 
zeichnet  Arit.  Met.  I,  6.  sehr  bestimmt  duroh  die  hist«^ 
rische  Beziehung  Plato's  auf  die  Heraklitische  Lehi^ 
vom  ewigen  Flusse  aller  Dinge  und  auf  des  Sokratea 
Beschäftigung  mit  den  Begriffen,    womit   dem  Sinne 
nach  Tim.  49.  B.  Rep.  VII.  523.  A  —  524.  D  (vgL 
V,  479.)  vollkommen  übereinstimmt  $  dafs  dagegen  das 
Reale  in  den  Begriffen  zu  suchen  ist^  erweist  Rep.  V» 
476  £.  Parm.  132.  B.  C.,  woran  sich  dann  erklärend 
das  Beispiel  einer  Beschreibung  der  Idee  als  des  realen 
Begriffes,  etwa  aus  Gonv.  211.  a.  anschlösse.    Die  Be> 
Ziehung  nun  der  Ideen  zu  einander,  das  TbeilDehmea 
der  einen  an  der  aadern  giebt  ihnen  selbst  ein  ilmeres 
Leben  (Soph.  248.  E.  zu  erläutern  durch  Hrndentni»» 
gen  auf  die  Auseinandersetzung  über  idvijatq^    crrcbic^ 
%ai%6!¥i  ^auQoVj  ov),  wodurch  sie  sich  ebenso  sehr  vons 
absoluten  ov  der  Eleaten,  als  von  der  ewigen  Veräi»> 
derung  des  Heraklit  unterscheiden.     Ist  durch  diese, 
beiden  wichtigsten  Gegensätze  sowohl  die  AufstelUu^ 
der  Ideen  motivirt,  als  ihr  VTesen  näher  bezeichnet, 
so  folgt  auf  objectiver  Seite  das  Verhältnifs  der  Idee 
zu  dem  ihr  untergeordneten  Einzelnen  (Phaedr.  247.  o^ 
vgl.  mit  249.  b.$    PhiL  ^6.  c  r-  17.  a.$  anmerkung»» 
wei^e  Polit  2^.  a.  Phil.  23«  d.  Rep.  V^  454.)  und  nun 
Werden  (Phil.  54.  a— o.  Phaedon.  100.  h—^.  nebst 
den  aristotelischen  Stellen  über  das  futix^v^  welches 
keineswegs  blofs  logische  Bedeutung  hat  nr.  258.>;  ond 
auf  der  subjectiven  Seite  das  Verhältnifs  des  Erkm- 
nens  zu  den  Ideen  (Rep.  VI,  507.  b  —  511.  e*  .Codv. 
210.  d  —^211.  o.)^  welches  durch  ^ie  Beziehung  des  EIa* 
seinen  auf .  die  Ideen*bedingt  erst  hier  folgen  kmau 
Dieses  Aufsteigen  zu  den  Ideen  giebt  die  natürliche 
VeranhiBsnng,  emmal  den  Begriff  der  Dialectik^voai 
einfachsten  Sinne  des  Wortes  selbst  (duxXixTüfäg  —  1^ 
atixSg,  loyov  Sovvai  xal  di^aa^i)  bis  zur  gesteigertsten 
philosophischen  Bedejyitung  zu  erörtern,  anderseits .  zur 
höchsten  Idee,  der  des  Guten,  überzugehn^  von  welcher 
Rep.  VI,  609:  eine  allgemeine  Beschreibung,  Phil.  65. 
eine  mehr  begriffliche  Bestimmung  enthält  $  dazu  wüf- 


437 


Pr^^UeTy  kiHoria  pkil94€^4a0  Oraeeo- Mammae. 


436 


den  patMHid  fannerkmigsvetse  die  arktoteliscben  Zeagw 
.  KiiBBe  jiber  das  Eins  und  die  Idealzahleo  beigegeben« 
Diese  oder  eine   äbniiche   Auswahl   fand   Anordnung 
vürde  in  die  Grundlage  des  platonischen  «Systems  einä 
allgemeine"  Einsicht  yersebafFen  können  uad^  viewohl 
.  viel  aasfthrlicher^  als  das  im  Bache  dargebotene,  doch 
den  Umfang  nicht  überschreiten,  welchen  auch  die  äu* 
isere  Einrichtung  des  Buches  dem  Zwecke  selbst  ge- 
fltatten  muß.    Auch  dürfen  ja  nach  genauer  Erörte* 
rmig   der  Grundlage  des  Systems   die  beiden  Seiten 
seiner  Entwicklung  in  Phybik  und.  Ethik  TcrhältnifsmiU 
fsig  kürter  behandelt  werden,  so  dafs  im  Allgemeinen 
das  hier  gegebene  hinreicht.    Nurvermifst  man  in  der 
Physik  auffallender  Weise  den  eigentlichen  Kern-  des 
ganz^i  Timätts,  die  Bildung  der  Weltseele,  p.  34.  D., 
welche  nicht  blofs  erwähnt^  sondern  in  die  Auswahl 
eingereiht  wenden  mufste,  theils  um  ihrer  eignen  Wich- 
tigkeit willen,  theils  weil  sich  an  das  Astronomische 
in  der  Ansicht  über  die  Weltseele  die  Erklärung  d^r 
Zeit  nr«  267.  genauelr  anschliefsen  würde  \  und  für  die 
riknelnen  teleologischen  Naturefklarnngen,  welche  am 
Eade  des  Abschnittes  über  Physik  angeführt  sind,  würde 
passend  in  der  Stelle  Pfaaedon.  p.  97. ,   welche  durch 
die  lobende  Hervorhebung^  des  anaxagorischen'  vov^  als 
ordnenden  Pripcips  den  historischen  Uebergang  und  die 
aOgemeine  Tendenz  beseiehnet,  ein  Einheitspunct  ge- 
geben*   In  der  Ethik  ki^nnte  wohl  auf  die.  allerdings 
•  nicht  unerwähnte  religidse  Seite  der  platonischen  sitt- 
lidien  Richtung  ein  gröfserer  Nachdruck  gelogt  sein. 

Mit  Plato  stellen  die  Verf.  in  Beziehung  auf  die 
Sdiwierigkeit  der  Bearbeitung  filr  den  gegenwärtigen 
Zweck  ArUtoteleM  zusammen ;  indefs  wenn  es  gleich 
wahr  ist,  dafs  auch  hier  der  Umfang  und  die  Reich- 
haltigkeit der  Schriften  in  emer  kurzen  Auswahl  nicht 
Mehl,  zur  Befriedigung  kommen  läfst ,  so  gieht  doch 
Aristoteles  bestimmt  begrenzte  Eintheiluag  der  Philo- 
sophie ^in  ihre  einzeln^  Gebiete  eine  bestimmtere  Wei- 
muikf;  für  den  zu  befolgenden  Gang.  Dieser  ist  denn 
soeh  hier  angemessen  so  genommen,  dafs  dem  Legi- 
lohen  das  Metaphysische,  diesen  Physik  und  Ethik 
folgte  aber  auffallend  ist  dabei,  wenn  man  Logik  und 
Metaphysik,  oder  mit  Aristotelischen  Namen  ävakvuKa 
and  n^rnuf  q>iXoaoqila  oder  ^loXoyla  unter  dem  einen  Na- 
men LfOgica  vereinigt  sieht.  So  schwierig  es  ist  und 
aus  bestimnrten  Stellen  des  Aristoteles  schwerlich  voll- 
ko^unen  zu  ermitteln,  in  welches  Verhältnifs  derselbe 


die  Analytik  znr  Metaphysik  einerseits  und  andererseits 
zur  Psychologie  stellte,  so  ist  doch  diefs  aufser  allem 
Zweifel,  dafs  weder  Analytik  noch  Metaphyftik,  nooh 
weniger  beide  zusammen,  wie  hier  behauptet  wird  nr. 
298.  not.,  den  Namen  Logik  gehabt  haben.    Die  Stelle^ 
welche  diefs  erweisen  soll  de  gener.  anim.  II,  8.  besagt 
geradezu  das  Gegentheil;  die  Xoyix^  mtodtiiiq  ist  der 
Beweis,  der  sich  nur  .an  den  allgemeinen  Begriff  einer 
Sache  hält,  und  darum  leicht,  wenn  er,  wie  im  dort 
angeführten  speciell  naturhistorisohen  Beispiele,  Tön 
den  oliulatg  d^pitg  absieht,  zur  scr^  dnidiü^g  werden 
kann.    Das  Xo/inSg  bezeichnet  dort   wie  an  mehrem 
andern  Stellen  die  Metkodß^  der  begrifflichen  Behend- 
lung,  die  auf  jeden  beliebigen  Gegenstand  anwendbar 
ist,  die  Metaphysik  aber  ist  durch  ihren  Oegen$tand 
bestimmt,  indem  sie  die  %wQi(na  nai  dnivfjva  behanddt» 
Doch  abgesehn  von  diesem  Namen,  s6  werden  aus  den 
logischen  Schriften   nach  Anfuhmng  der  Kategorien, 
welche  hier  elienso  räthselhaft  erscheinen,    wie  beim 
Aristoteles  selbst,  nur  solche  Stellen  ausgehoben,  wel- 
che von  dem  Erkennen  und  dessen  Principe  handeln, 
und  gleichsam  eine  Kritik  des  Erkennens  als  Eingang 
zum  Systeme  selbst  scheinen  enthalten  zu  sollen.    In- 
dessen da  hier  die  Logik  zum  ersten  Male  als  Wis- 
senschaft auftritt  und  sogleich  in  so  weit  ToUendeter 
Form,  so  hätte  yon  den  allgemeinsten  Bestimmungen 
über  das  Urtheil  und  den  Schinfs  mit  seinen  drei  Figu- 
ren wenigstens  so  viel  ausgehoben  werden  sollen,  dafs 
sich  daran  eine  Characteristik  der  aristotelischen  Lo- 
gik anschliefsen  liefse.    Auf  der  andern  Seite  führen 
die  ausgewählten  Stellen  Tom  Erkennen  zu  einem  der 
schwierigsten  PuDCte  im  ganzen  Systeme  des  Aristote- 
les, dem  vouq  na^firixSg  und  nouitix6g^  de  antm.  III,  5., 
welcher  gewifs  nicht  an  die  Spitze  des  Ganzen  gestellt 
werden  kann,  sondern,  wie  es  ja  bei  Aristoteles  der 
Fall  ist,  an  das  Ende  der  Psychologie  gehört,  nach- 
dem in  Metaphysik  und  Physik  die  Begriffe  der  ma- 
terialen  und  formalen  Gründe  ihre  yolle  Entwicklung 
erfahren  haben.    Dies»  Begriffe  erhalten  hier  im  Ver- 
folge der  Metaphysik  durch  ausgehobene  Stellen  und 
b'eigefugte  Anmerkungen  ihre  gebührende  Erörterung; 
nur  wünscht  man,  dafs  die  Begriffe  %i  %i  ^r  c&ot,  tJSoq^ 
hiq^iiay  ivxkXi%Haj  Welche  einauder  sehr  nahe  stehn,  in. 
ihrer  genauem  Unterschiedenheit  bestimmter  entwickelt 
würden,  als  es  hier  nr,  310.  not.  und  besonders  unge- 
nügend über  T.  r.  ^.  c,  nr.  306.  a.  geschehn  ist    Eine 


438      , 

■oldie  gemmore,  BestimmaDg  des  Unterochiedes  dieier 
Tenrandten  Begriffe  irirde  dann  auch  tob  selbst  dai^ 
anf  fuhren,  nachznireisen,  me  sich  im  aristotelischen 
Begriffe  Gottes  die  yerschiedenen  Priudpien^  besonders 
das  v4p'  oty  kVlog  und  ov  Sveaa  vereinigen,  eine  Nach« 
Weisung,  welche  in  den  bieher  bezüglichen  Anmerkun- 
gen^ nicht  enthalten  ist.  —  Ueber  die  folgenden  Capi* 
tel,  in  welchen  der  Reihe  nach  die  Lebren  der  Epiku- 
reer (S.  329—349),  der  Stoiker  (350—395.),  der  neuen 
Akademie  (386 — 108),  dann  die  romischen  PUlosophen 
(406-452),  die  spätem  Skeptiker  (453—463),  die  pla^ 
tonischen  und  pythagoreischen  Eklectiker  (463 — 496), 
endlich  die  Nepplatoniker  (496 — 554)  behandelt  wer- 
den, mag  es  genügen,  fai  Beziehung  auf  die  Auswahl 
der  SteJIen  nar  auf  ein  paar  Puncto  hinzuweisen.  Bai 
PAffo  werden  die  beiden  Prindipien  di^  ov  und  W  oi 
angefahrt  nr«  486.  not. ;  die  bestimmte  Besiehung  auf 
Aristoteles  würde  noch  einleuchtetider  sein,  wenn  ans 
de  Cherub,  p.  ^66.  ed.  Pfeiff.  die  vier  Principien  v<p'  oS, 
IS  oij  di^  ov,  Si*  8  erwähnt  wären,  welche  offenbar  nur 
Modificatfton  der  Tier  aristotelischen  aQxml  sind.  Auf 
die  Verschmelzung  des  allegorisch  erklärten  jüdischen 
Glaubens  mit  den  griechischen  Philosophemen  ist  zwar 
durch  die  ausgehobenen  Stellen,  wie  durch  die  Anmer- 
kungen mehrfach  hingewiesen ;  ein  besonders  auffallen- 
des Beispiel  würde  die  allegorische,  mit  Zahlensjm- 
faolik  versetzte  Auslegung  der  mosaischen  Schopfungs- 
nrkunde  sein,  welche  man  ungern  hier  ganz  übergan- 
gen siebt.  Dagegen  würde  man  die  Erwähnung  der 
emanatio  nr.  488.  not.  gern  entfernt  sehn;  weder  das 
Jüdische,  noch  das  griechische  Element  in  der  Bildung 
Philo's  führt  auf  die  Emanation,  die  einzige  Stelle,  wel- 
che anderweit  dafür  angeführt  wird  (vgl.  Ritter  Gesch. 
d.  Ph.  2.  Aua  IV.  483.)  beweist  als  Bild  die  Emana- 
tion fiir  Philo  ebenso  wem'g,  als  das  ganz  ähnliche  Bild 
dieselbe  fdr  Plato^  erweisen  kann ,  und  endlich  ist  in 
dem  teleologischen  Beweis  am  Anfang  des  ersten  Bu- 
ches de  monareb.  ema  der  Emeftiation  darchaus  fremde 
religiöse  Richtung  bezeichnet.  -*-  In  des  Prochts'  dia- 
lectischer  Bearbeitang  des  neaplatonisehen  Systemes 
sind  swnr  die  drei  Momente  des  «Zyai,  npodvai  und  im- 
QtQit^iadat  bezeichnet^  indcfs  würden  siearst  dann  ver- 


440 


stltodlich   werden^   wienn  die  erstd  Trias,   das  «r^as» 
Sniipety  juiKr(iir  angefahrt,  und  dadurch  zngleieh  der  Zu»' 
aamuBenhttig  mit  den  bekannten  platenischaii  Ldiren 
hergestellt  wäre. 

Für  die  den  einzelnen  Paragraphen  beigefigten  er» 
läuternden  ^ft»i€r^ii^<0it  wurden  sdion  oben  dieHanp^ 
gcsichtspuncte  aufgestellt,    welche  dabei  festzuhaltca 
sind,  nämlich  Lösung  von  Schwierigkeiten  in  den  ihrem 
eignen  Zusammenhange  entnommenen  Stellen,  Veribin* 
düng  derselben  za  einem  Gaaaen,  Erweiterung  der  in 
ihnen  enthaltenen  Lehren  durch  Anfahrung  verwandter 
Stellen ;  wobei  natürlich  die  beiden  zuerst  genannten 
Gesicfatspvncte  den  letzten  an  Bedeutung  bei  weitem 
überwiegen  müssen.   Die  Verbindung  nun  der  einzelnen 
zu  einem  znsammenbängendra  Ganzen,  würde  Im^hter, 
als  durch  blofse  Anmerkungen,  und  zugleich  Tollstän- 
diger  erreicht  sei,  wenp  statt  der  blofeen  NamensiAer- 
sieht  in  der  Inhaltsanzeige  eine  speciellere  Angabe  des 
Gedankenganges  gegeben  wäre,  so  dafs  in  kurzen  Por- 
ten der  Hauptgedanke  ,der  einzelnen  Paragraphen  be* 
zeichnet  wäre.     Eine  solche  Uebersicht  würde  sehen 
von  selbst  manche  im  bisherigen  bezeichnete  ungenaue 
Anordnung  abgebalten  haben,  und  wiederum  dem  L^ 
ser  ofik   statt  einer  verbindenden  Anmerkmq^  dtenen 
kdnnen  5  jedenfalls  wäre  sie  ehe  viel  dankenswerthere 
Zugabe,  als  der  umfangreiche  Index  aller  in  diesem 
Buche   abgedruckten  nnd   citirten   Stellen  der  -alten 
Schriftsteller  (S.  655— 60d),  von  welohen  Ref.  keinen 
dem  Umfange  desselben  entsprechenden  Nutzen  ersdin 
kann.    Was  ferner  die  Erweiterung  der  in  den  Para- 
graphen vorkommenden  Sätze  durch   verwandtee   b^ 
trifft,   so  hätte  schärfer  darauf  geachtet  werden  sot 
len,  dafs  nur  das  beigefSgt  werde,  was  einen  imiait- 
telbaren  Bezug  auf   die    im   Paragraphen    enthalt»- 
neu   Sätze  hat;  denn   dadurch,    dafs  öfters  ziemlich 
entlegenes,  -mehr  dem  Namen    als   der  Sache  nadi 
verwandtes,  beigebracht  wird,  wirken  dann  die  Ali- 
merkungen  mehr  zerstreuend  als  sammelnd.    Und  da- 
mit hängt  dann  der  Vorwurf  zusammen,  welchen  Re* 
ferent  über  die  Anmerkungen  in  dem  *  dritten  der  ge* 
nannten   Gcsichtspuncte,   in   Beziehung   auf  den  er- 
klärenden Theil  eeibst  aussprechen  zu  müssen  ghmbt. 


(Der  Beichlifs  folgt.) 


mm 


Jahrbücher 

■        >  ■  • 

für 

wissenschaftliche    K  r  i  t  i  k. 


Septemter  1839. 


Hütoria  phäosophiae  Oraeco  ^  Romanae  ex  fon-- 
Hum  locü  cöntesia.  Locos  coUegerunt^  düpo- 
sueriitity  notis  auxenmt  H.  Ritter^  L.  Preller j 
Edidit  L.  Prell  er. 

(SchlaCs.) 

Die  ErlättteruDgen  nämlich  werden  nar  dann  ihren 
techten  Character  haben,  wenn  sie  dem  innem  Zusam- 
menhange des  jedesmaligen  Systems  entnommen^  auch 
wieder  in  diesen  hineinnihren ;  aber  eben  diefs  wird 
man  häfnfig  vermissen,  indem  die  Anmerkungen,  auch 
da  wo  sie  eriäutem  sollen,  mehr  Einzelnes  zu  Einzel- 
nem  znfögen,  als  das  Einzelne  auf  das  GfuSze  bezieben. 
So  wird  beim  Beginne  der  aristotelischen  Eth.ilK  nr.  327* 
Ton  den  Vff.^ ein  Beweis  vermifst,  wefsbalb  die  Etbik  zur 
.  .Politik  gebore,  und  es  werden  dazu  einige  zwar  ver- 
.  wandte,'  aber  keinesweges  erweisende  Stellen  beige- 
bracht.  Müfste  niclit  vielmehr  darauf  hingewiesen  wer- 
den, wie  dnrch  das  ganze  aristotelische  System  der 
Gedanke  herrscht,  dafs  der  Zweck  das  Bestimmende  *), 
das  nqoxiQov  (fvan  ist,  wie  sich  dieser  Gedanke  noch 
apeciell  in  dem  Satze  ausspricht^  dafs  das  Ganze  frü- 
her als  die  Theileist  (pol.  I,  1.),  und  in  dieser  Form  die 
TÖrliejgende  Behauptung  vollkommen  begründet t  Ebenso 
wenig  kann  es  in  den  eigentlichen  Character  der  par- 
menideiscben  Speculatioq  einführen,  wenn  zu  dem  bit- 
teni  Tadel  derer,  welchen  Sein  und  Nichtsein  selbiges 
.  ist  und  nicht  selbiges,  bemerkt  wird  nr.  144,  hi  versus 
eoB  spectare  videntur,  qui  mundum  generari  ponebant, 
quamquam  id  ita  duntaxat  faciebant,  ut  naturam  rerum 


*)  Hieran  hatte  auch  nr.  333.  d.  erinnert  werden  sollen,  wo 
es  heilst,  B^og  hoc  loco.  eat  »dem  quod  ttXog.  Cf.  Rbet.  I,  8. 
Es  ist  hier  gar  nicht  ein  specieller  Gebrauch  von  S^s  für 
T<ioc,  sondern  da  der  bestimmende  Begriff  Wesen  und  Zweck 
eines  Dinges  ist,  so  kann  dasselbe,  ebenso  sehr  einmal  als. 
VTesen  oder  Begriff,  ein  andermal  als  Zweck  der  einzelnen 

.    Staatsformen  bezeichnet  werden. 
JaM.f.  viiBtnicK.Kriiik.  /.  1830..  II.  Bd. 


lade  profecti  melius  enarrare  possent«  Man  mag  im^ 
merhin  die  ebenso  uperwiesene  als  nnerweisbare  Be- 
hauptung annehmen,  das  Werden  sei  bei  den  ionischen 
Physiologen  nicht  eigentlich  Gegenstand  ihrer  Behaop-^ 
tung,  sondern  Hülfsmittel  der  methodischen  Darstel- 
lung gewesen,  so  belcämpft  Parmenides  sicherlich  nicht 
mit  solchem  Eifer  jenen  methodischen  Hülfsbegriff^ 
sondern  die  Annahme  des  in  ^  sich  selbst/ sich  wider- 
sprechenden Werdens,  und  hat  wahrscheinlich  spe- 
oieU  den  Philosophen  vor  Augen,  welcher  im  Wer- 
den, in  der  Veränderung  Gmnd  und  Wesen  aller- 
Dinge  fand,  den  Heraklit.  (Vgl.  Parm.  v.  50  ff.  mit 
Heracl.  fr.  72.  Schi.  Heraclid. ,  Alleg.  Hom.  p.  443.) 
Bei  diesem  Philosophen  wiederholt  sich  nur  freilich 
ein  ähnlicher  Vorwurf  $  der  Leser  wird  schon  dadurch 
von  einer  unbefangenen  Ansicht  abgeleitet,  dafs  er 
den  Heraklit  denjenigen  Philosophen  wenigstens  gewis- 
sernlafsen  beigezählt  sieht,  welche  aus  Einem  verän- 
derlichen Grunde  alles  ableiten,  während  doch  nicht 
der  zu  Grunde  gelegte  Stoff,  sondern  die  Veränderung 
selbst  das  Princip  der  Heraklitischen  Lehren  ist.  Die 
.Anmerkungen  wirken  dann  nicht  dahin,' in  den  ricbti-  ' 
gen  Gesichtspunct  zu  stellen;  denn  während  an  der 
Stelle,  wo  zuerst  das  Feuer  als  in  alle  Gestalten  sich 
wandelnd  erwähnt  wird  (nr.  41.),  doch  jedenfalls  hätte 
bemerkt  werden-  sollen,  dafs  das  Feuer  eben  nur  als 
Substrat  der  Beweguqg  anzusehn  ist^  und  d^fs  eben 
darum  hier  das  Feuer  als  Princip  auftritt,  weil  dieses 
selbst  in  steter  Bewegung  ist,  liest  man  die  hieher  ge- 
wifs  noch  nicht  gehörige  Bemerkung  Ignis  lleraclito 
forme  idem  fuisse  videtur,  quod  anima  sive  vi»  viia^ 
lis.  Soll  diese  Bemerkung  wirklich  als  Erklärung  der 
Stelle  angesehn  werden,  bei  der  sie  steht,  „de^  Feuers 
Wandlungen  sind  zuerst  Meer,  des  Mperes  aber  zur 
Hälfte  Erde,  zur  Hälfte  Feuerstrahl !"  Aber  noch  mehr 
von  dem  eigentlichen  Sinne  Heraklits  abgelenkt  wird 
der  Leser,   wenn  zu  der  Stelle  aus  Sext.  Emp.  adv. 

66 


443 


Prettery  Autorin  pbähsopkiae  QraecO'-Ramanae. 


444 


M.  Vn^  127  ff.  nr.  47.,^  in  i^elcher  Heraklit  das  Wabr- 
nebinen,  Denken  und  Erkennen  des  Eins^eluen  Ton  sei- 
ner Verbindung  "mit  der  alloinfassend^n  Vernunft  ab- 
bilagig  uiacbt^  bemerkt  wird,  dafs  Heraklits  Ansicht 
mmi  sensiHi,  dam  skit  vigiies,  judLcandi  et  ratiocinandi 
instrumenta  esse,  und'  dann  fidem  sensuum  negabat 
aliam  esse  praeter  eam, 'quae  in  sana  ment^  niteretur« 
Wer  kann  in  diesem  gesunden  Verstatide  als  Krite- 
Timn  der  Wahrbeit  die  Heraklitiscbe  Theilnabme  des 
EinxelDen  am  nkQiii^^  Xoymov  (Sext.  fimp.)  auch  nur 
ahnen  1  «~  Aus  4«r  gewählten  Anordnung  der  ioni- 
schen Fbilosopbeo,  naoh  iiwlcfaer  Anaximander.  auB  Ei- 
nem 4mtßeränderNcA0n  Principe  alles  ableiten  soll, 
acheint  es  faerrorgegangen,  wenn  die  Verf.  «ein  ämigav 
httufig  als  mia(tio  erklfiren^  welche  als  Eine  doch  zu- 
gleich vieles  in  si<^h  «iitftbalte  und  dieses  von  sich 
amsgebn  lasse.  Das  Wort  mixtio  hat  allerdings  aristo- 
tcfliscbe  Autorität ;  dafs  die^ier  aber  nicht  sowohl  eine 
Mückmngy  als  eine "  Gebundenheit  der  Gegensätze* 
darunler  Tcrsteht,  geht  aus  4er  zu  'nr.  52.  nicbt  toU- 
atändig  angeführten  Stelle  Met.  A^  2.  hervor,  in  wel- 
cher dasselbe  sehr  treffend  als  dvvufiH  ov  bezeichnet 
wird;  die  Annahme  einer  eigentlichen  Mischung  in  dem 
itiiHQov  verkehrt  ganz  den  Sinn  der  anaxtmandriscben 
Ansicht»  —  Aehnliche  Einzelnheiten  liefeen  sich  noqh 
mehr  anfilhren,  doch  die  obigen  werden  wohl  genügen, 
um  die  Behauptung,  dafs  die  erläuternden  Anmerkun- 
gen öfters  nicht  tius  dem  eigentlichen  Zusammenhange 
des  Sy Sternes  entnommen  auch  nicht  in  denselben  ein- 
fuhren  können,  zu  erklären  und  zu  rechtfertigen.  An 
mehreren  Stellen,  welche  nicht  nur  beim  ersten  Stu- 
dium, für  welches  dieses  Buch  geschrieben  ist,  son-. 
dorn  auch  bei  wiederholter  Leetüre  Schwierif^keit  ma- 
ichen  möchten,  vermifet  uian  ungern  eine  Erläuterung, 
s.  B«  zu  Parm.  32.  nach  der  aufgenommenen  Con- 
jectur,  74.  119  ff»,  so  besonders  zu  dem  schwierigen 
^og  mat  bei  Diogenes  von  Apollonia  ur.  30.  welches 
entweder  zu  erklären  oder  zu  emendfaren  war  ^,  und  a.  m. 


*)  Diogenes  spricht  in  dieser  ans  Simpl.  "j^hys,  33.  a.  entlehn* 
len  Sielle  ton  der  Luft  als  dem  Alles  beherrsdieoden  und 
lieseelenden  Principe ,  und  die  fra^Ucheii  Worte  heiisen: 
uno  yoQ  (lOk  tovtov  doxs£§  i^os  slya*  xcu  bü  nay  fiiflx&a» 
Ttal  nayra  Suak^iectk  xai  1$^  m^yrl  ivilyat,  Dafs  die  ersten 
Worte  ohne  Aenderun'g  nicht  zu  rerstehen  sind,  erweist 
-^hleiermacher  über  Diogenes  r.  Apollonia.  S.  82.    (^Phil. 


An  «ndem  Stellen  ist  (3ic  Erkl&rung  insofern  als  an*» 
vollständig  anzusefan,  als -bestrittene  BebaHptungen  jiuf- 
gestellt  werden,  ohne  daf^  entweder  die  Gründe  der 
Gegner  angegeben,  oder  auch  nur  die  Bücher,  i»  de- 
neB  nie  zu  inden,.  cUirt  wären.  So  beifst  es  iher 
Anaximenes,  er  habe  »uerst  durch  Verdichtung  und 
'Verdünnung  die  einzelnen  Dinge  aus  dem  Urgründe 
entStefan  lassen,  Simpl.  phjs.  32.  a..,  und  dazu:  Pa- 
rum  igitur  accurate  nonnulli  ex  scriptoribus  recentio- 
-ribus  Thaletem  etiam  et  Anaxtmandram  ita  >ata!Uuflae 
perhibent.  Was  den  Asaximaader  betrifft,  «o  int  diefo 
freilich  offenbarer  Irirthum,  von  Thalas  aber  be^agCD 
es  nicht  nur  scriptores  recentiores^  aondem  derselbe 
Simplicius,  der  jene  Nachricht  aus  Theophrast  *)  b^ 
briiigt^  berichtet  sogleich  nach  jenen  Worten  dieses 
aus  Aristoteles,  und  die  eigenen  Zeugnisse  des  Aristo- 
teles sind  schwerlich  zu'.wideriegen.  Simpl.  pbys.  3SL  «• 
89.  a.  Arifft.  phys.  I,  4.  de  coelo  IH,  5.  'SoHten  diese 
Zeugnisse  nicbt  bl^rücksicbtigt  werden,  so  mnfste  we- 
nigstens auf  Brandis  üe^cb.  d.  Gr.  Rom.  Ph.  L  11<« 
144.  verwiesen  werden.  Oder,  wenn  e«  bri  Heraklk 
von  dem  Ausdruck  moivb^  Xiyoi  Sext.  Emp.  VII,  126. 
-131.  beifst:  patet  haec  dialecticorum  vocabula  esse,  so 
hätte  Schleiermachers  sinnreiche  Dcdnction,  wodnrcii  er 
gerade  dieseBedeutung  des  l,6roQ  auf  Heraklitcuräckzn- 
iühreu  /sucht,  entweder  widerlegt,  oder  wenigstens 


Werlie  II,  g.  153.)  Die  Conjectur  Panserbieter'fl ,  ^it^eldier 
für  OTTO  schreibt  nixoZ  hebt  zwar  die  gradmatkchen  Schwie- 
"  rigkeiten,  kaon  aber  dem  l'^of  cZme*  ,-,e8  sei  die  Gewohnh^ 
eben  dieser,"  der  Luft  nUmlichi  keinen  passenden  Sinn  ge- 
ben. Wenn  man  sich  erinnert,  wie  nachdrücklich  Diogenes 
darauf  dringt,  dafs  ein  einige$  Princip  Torausgesetzt  wer- 
den müsse  (Arist.  de  gen.  A.  c.  1.  6.  ^xal  rovr'  oQd^tk  liyu 
JkoyBtffjg,  St»  tl  fA^  $i  Bros  n>^  icnuna^  «9X  av  ^y  ro  ntn^ 
iUil  nwfxftr.  Jheophr..de  sensu  39.  Atcyinrfs  —  ^ik  ya^ 
%o  noUiy  $7ym  xcd  nnaxiM,  tl  ^  niyra  ^  iyisJ),  so  wird 
iQan  es  als  sehr  wahrscheinUtth  linden,  da(s  für  b^os  zu 
schreiben  sei  Bpog,  Aus  dem  Zusammenhange  ergiebt  sich 
Ton  selbst,  dafs  zu  roiroü  gedacht  werden  mu£i  aSQog  und 
als  Subject  zu  den  Infinltiren  yotjcty, 

*)  Uebrigens  besagen  selbst  die  Worte  des  SimpKcius  a.  a.  O. 
ini  yäq  rovroty  fAoyov  Bi6(fQ€tinos  iy  rp  Urro^ia  rijy  fui99$tsw 
^X^B  Ttal  j^y  Ttvyyuffty  nur  diefs,  dafs  Theophrast  nur  beim 
Anaximenes  die  Verdünnung  und  Verdichtung  als  den  Mo> 
dus  d^r  Veränderung  angeführt,  nicht  aber,'  dafs  er  bcfhaup- 
tet,  nur  Anaximenes  oder  zuerst  Anaximenes  liabe  diese  Er- 
klärung* gebraucht. 


t      * 


445 


4i6 


ffelMift  wer^  sollett  (Hfl»,  der  Altertbir.  I,  .475  f.)* 
Ifodi  «ekr  T^miifst  omb  m  der  dridänM^  über  die 
^lateniecbe  Jdee  des  OiiteD,  or.  261.,  welche  mit  Gott 
ideotififlirt  irird ,  eine  BerückBielitiguiig  der  eebr  ge« 
"viobtigeB  GegeDgriiode,  besonders  C«  Fr.  HennaDii*8 
«md  'TrendeleDbur^'s.  Ref.  ist  weit  dayon  entfernt, 
#(wa  Hbeibaaiit  eine  Anhäafuiig  Ten  Ltterarsotisen,' 
•ehe  aerstreiieflide  Anföhning  aller  Tersobiedenen  An- 
mbteii  SU  Teriangeii,  welcbe  dem  Zwecke  des  Bacbes 
•gecadesu  «otgegen  sein  wurden,  aber  bei  widitigcD 
Puneteu,  weMie  so  begrimdeten  Zweifeln  unleHiegen, 
^rie  diese  «ad  manche  andere,  daifte  dem  Leser  nicbt 
4mA  beaweifeite  als  zweifellos  dargestellt  werden,  son- 
dern es  biktte  ihm  hier  die  Mdgliohkeit  des  eignen  un- 
^befaagenen  Uttbeils  ebenso  sehr  gegeben  werden  sol- 
len, als  diefii  in  Beziebung  auf  Texteskritik  der  auf- 
genommenen fiteilen  ia  Hhnliohen  Fällen  gesdiebn 
ist.   — 

Versehen  und  Unrichtigkeiten  endlich  haben  sieh 
in  die  ErklUmgen  hier  und  da  eingeschichen.  —  Nr. 
'fi3.  not.  steht  von  Anaximander  arbitrabator  infinitam 
|y  «a*  noUcr  esse,  im  Widerspruche  mit  der  dazu  an- 
geführten Stelle  des  Aristoteles,  Phys.  I,  4.,  da  dieser 
auf  Anteimander  das  Ir,  hing^en  ^  waX  n oUa  auf  Em- 
pedokles  und  Anaxagoras  besieht  —  Nr.  140.  Dafs  diese 
Yerse  des  Xenophanes  nicht  einen  Zweifel  am  meta- 
physischen TheMe  seines  Systems  entbaken ,  sondern 
auf  den  Theil  ^nq^  do^cev  gehn,  beweist  theils  der  ent-* 
schiedene  Oharacter  .  der  Beweise  in  jenem,  theils  die 
Worte  Oioi  nicbt  ^eog,  und  ioH6^  in  den  Versen  selbst.  — 
.%.'  148.  Parm.  v.  96.  heifst  es  an  den  Worten  h  £ 
mvpattofuvof  iath  -b«  €^  in  quo  enuntiatum,  si?e  a  quo 
eogitaftum  est.  Die  Stelle  lehrt  so  viel  auf  den  ersten 
Stick,  dafs  Jk  c5  ntip.  €.  nicht  auf  das  Subject,  son- 
dern auf  das  Object  des  Denkens  gehn  mufs,  wenn 
gleidi  der  Ausdruck  nicht  gane  einfach  ist.  —  Nr.  156. 
not.  soll  KaT9i/oQi}cm^  bei  Simpl.  Phys.  30.  a.  beifseu 
pro  diversis  categoriis,  durchaus  gegen  deii  Sprachge- 
brauch des  Aristoteles  und  seines  Commedtators ;  pro 
diversis  categoriis  heilst  «ora  ra  ax^fiaia  oder  yivfj  rcoy 
nartjyoQtSv;  narriyoQixAg  ist  pradicativ^  und  so  hier, 
oder  blakend.  —  Nr.  302.  d.  in  der  Stelle  dep  Aristo- 
teles Anal.  post.  1, 2.,  in  welcher  er  die  Erfordernisse 
für  die  Grundlagen  eines  wissenschaftlichen  Beweises 
aufstellt  drd/xfi  riiv  dnodttxjiKriy  imajfjfAtiv  ii  äkyi&m  tU 


^»r  suM  iAximp  xov  sv^iu^asjjMecoc  sollen  voumi^äwa  die 
propositio  migor,  xit  nf>o^a  die  propositio  minor  be- 
seicbnen.  Diese  aus  aristotelischem  Sprachgebrainfho 
gar  nicht  zu  rechtfertigende  Annahme  wird  schon  da- 
durch vollkommen  widerlegt,  dafs  ja  dasselbe  %^09 
sein  mufs,  und  n^itt^^v^  nämlich  ix^&tt^yxov  m^ßi^^ 
^dcfifxtog*,  jenes  als  unvermittek,  äfuaovj  dfmnoißmxovj 
dieses  als  dem  Sehlufssaüe,  dem  Wesen  oder  der  Et- 
kenntnifs  nach  vorausgehend  und  eben  darum  ihn  be- 
gröndend.  —  Nr.  316.  not.  wird  Arist.  Met.  Z,  17.  «^ 
^  iexsv  dv  üxotxfXo9  JAX^  dpx^  erklttrt  quae  est  natura 
generalis,  non  particularis  qiiaedam.  Wenn  diese  Er- 
klärung nicht  überhaupt  falsch  geoMnat  ist^  so  ist  sie 
wenigstens  «cbwerer  zu  verstehen,  aU  die  aostoteU- 
sdien  Worte.  ^xwxiXoy  ist  Element  der  Zusaminen- 
setzttttg,  materielles  Princip,  d^j^  hearichuet  das  For- 
mailprincip,  den  bestimmenden  Begriff,  des  x6  xi  ^v 
äfui.  —  Deir  Bemerkung  331.  no^.  extr.  canHüuUur 
enim  civitas  non.  propter  vivendum,  sed  propter  bene 
vivendum  genügt  es,  die  Worte  des  Aristoteles  ent- 
gegenzusetsen  MiXiq  —  yi^voiiivfi  ^i»  soü  K^rj/»  frcxcr, 
ov€fa  iixov  cd  C^.    Polit.  I3  2. 

Ab  ein  besonderer  Vorzog  des  Buches  muts  ea' 
angesebn  werden,  dafs,  während  Auswahl  und  Er- 
klärung der  wichtigsten  Stellen  den  Haupltheil  der 
Arbeit  ausmachen  mnfste,  doch  auch  der  Texte^kru 
tik  die  gebührende  Berücksichtigung  geworden  und  an 
irgend  zweifelhaften  Stellen  Nachweisung  von  Varianten 
und  Conjecturen  gegeben  ist.  Besonders  reichhaltig  ist 
dieser  kritische  Apparat,  wie  sich  aus  den  froheren 
Bemühungen  des  Um.  Preller  ^erwarten  liefe,  iSk  Pär- 
menides  und  Empedokles«  Bei  liem  ersterea  dieser 
beiden  möchte  indefs  Referent  niobt  überaM  den  auf- 
genommenen Lesartmi  oder  Conjecturen  beipflichten.  -^ 
Vs.  30  ist' aas  Oxon.  A.  Joxi|tiov9  für  die  Vulgata  do- 
Kif4tt>$  aufgenommen,  dazu  sii^corrog  für  m^rxu  oon- 
jicirt,  und  danach .  die  Stelle  »$  t^  datcovrxa  XQ^  ioul-- 
fAOvq  Uvai  dti  navxvg  ndvxa  niQärxag  erklärt  (Zeits.  f.  Alt. 
1837.  p.  148):  denn  die  Bewährten  {det  erprobU 
Denker)^  müesen  durch  ai/en  diesen  Sehern  der  Mei- 
nungen eich  völlig  durcharbeitend  ihren  IVeg  neh* 
men.  Weder  ^diese  Erklärung  des  Jdxif4o$  ist  wahr- 
scheinlich, noch  die  Einscbiebung  des  Plurals  zwi- 
schen siugularisohe  Anrede  vor  und  nach  dtesemTerse. 


447 


Preller ^   hiei'aria  phüoeephiae  GraeeO'jR^nanae. 


-Warabu  nicht  dontfimg  -r  miftBvra  nach  der  Valgat« 
mit  der  Erliläning:'  denn  durch  den  gerammten 
'Schein  >der  Meinungen  mufet  Du  auf  eine  an- 
nehmbisre  Weiee  durqhdrinj^en  ^  mit  offenbarer  Be- 
-Kiefanng  des  8on(fAi»g  auf  donovvtal  —  -y«  67.  Wenn 
hier  fiir  qwvai  nach  Buthnann's  Conjectur*  (sie  steht 
Mus.  Aüt.  Btud.  I,  I)  246.)  qvv  aufgenommen  wird, 
80  durfte  dann  nicht  v.  131.  die  Form  fuyiVf  auf  wel- 
che 'sich  eben  jene.  Conjectur  gründet,  in  (uyijpai  emen- 
dirt  werden.  —  V.  74^  Soll- anotfA^l^H  %6  Uv  beibehal- 

,  ten,  und  nicht  eine  der  schoU  bekannten  Conjecturen, 
oder  anoTiifjl^H  ri  xb  ov .  au^enonimen  werden,  so  ist 
der  intransitive  Gebrauch  der  djtoriAJjyiiv  zu  erweisen.  — 
V..84.  Die  Conjectur   des  unbestimmten  nj^  für  das 

.  sinnlich  anschauliche  rp  ist  nm  so  weniger  nöthig,  da 
dasselbe  t^  hernach  t.  106.  109.  mehrmals  wieder- 
liehrt,  die  Auslassung  aber  des  zweiten  %^  im  entspre- 

>  chenden  Gliede  nicht  zu  einer  Aenderung  berech- 
tigt«.—  V.  94.  ist  för  ioy  yaQ  äv  jedenfalls  gemeint 
4^  d'  Sv.  —  Nicht  sorgfältig  genug  ist  bei  Gorgias 
nr.  191.  J93.  für  die  Kritik  der  sehr  verderbten  Stel« 
len  aus  Arist,  de  Xen.  gesorgt  worden;  es  hätten  we- 
nigstens überall,  wo,  der  Text  durchaus  nicht  hefrie- 
digt,  die  Emendationen  von  Fofs  angeführt,  oder,  ge- 
nügten diese  nicht,  durch  bessere  ersetzt  werden  sol- 
len. Aber  nr/193.  ist  der  Bekkersche  Text  h  de  xal 
Me^acuj  yiyvoimm  %i  ohne  Bemerkung  gegeben,  wäh- 
rend sich,  doch  dief  nothwendige  Emendation  des  t£  in 
de  und  die  Aenderung  ^er'  Interpunction,  welche  Fofs 
vorschlägt,  dem  Leser  sehV  leicht  darbietet.  Ebenso 
verlangt  in  nr.  191.  der  Sinn  nothw^ndig  für  den  Text 
Bckker*8  ovx'  ^aji  %i  dvvtxilfAivov  mit  Fofs  zu  schreiben 
avx  eari,,Tb  dptiiulfuafov.  Am  Ende  desselben  Paragra- 
phen ist  der  gegebene  Text  gewifs  unecht  ,ovtog  fcey 
cvv  6  avTog  Xöyog  iiulvoti^  doCh  Jcann^dic  leichte  Aen- 
derung, welche  Fofs  vorschlägt,  avvbg  o  hSyog,  ischwer- 
4ich  genügen;  die  vorhergehenden  Wortp  ^fjuru  rffv 
nQokfjv  Idtov  moÖHiiv  machen  wahrscheinlich  6  n^atog 
Xoyog.  —  Sonst  «ind  hin  und  wieder  handschriftliche 
Lesarten  bezweifelt  oder,  geändert  worden,  welche 
sicher   stehn  bleiben  müssen.     So    Völlen   Arist.  Po- 


,  448 

Kt.  111,  7.  nr.  3331  b.  die  Worte  üVfAßatvu  d'  iiX6yng 
ein  Gloasem  «ein;  aber  einerseits  würde  im  Falle  der 
Weglassung  dieser  Worte  das  folgende  yäf  entweder 
keine  Beziehung  habien,  oder  eben  die  bezweifelte,  ad- 
dererseits  pafst  diese  bezweifelte  ganz  genau.  Wäb- 
rend  nämlich  die  andern  Staatsformen  nach  einem 
Vorzüge  des  herrschenden  Theiles  benahnt  sind,  hat 
diese  keinen  entsprechenden  Namen,  sondern^  deti  allr 
gemeinen  Staaiy  weil  ein  solcher  hervorstehender  niiil 
allgemeiner  Vorzug  nicht  vorhanden  ist.  In  Tbeopbr. 
de  sensu  61.  nr.  85.  ist  gar  die  Goiyeotur  Ttfiaif  für 
{fwty  in  den  Text  aufgenommen,  während  der  Zweck 
der  ganzen  Stelle,,  zu  bestimmen,  welche  Eigenscbat 
ten  objectiv  den  Atomen  zukommen  (qpuaci),  welche 
nur  wbjeetiv  dem.  Empfindenden  (Ticf^),  so  wie^die 
Worte  in  63.  die  Lesart  apvmv  halten  mufsten»  Den 
Handschriften  am  nächsten  ^rde  man  in  der  Stelle 
schreiben,  d  ydq  dtauQi^/  SvOtv  ätaatov^  ü  ^al  xov« 
oxSjfia  diaq.€gHf  aradfiSv  &¥'  im  fuyi&H  rjjfr  q^vaiv  ^kf, 
denn  sobald  jede*  in  seine  UrbesiändiAeile  geieiiS' 
den  wärrle.  so  würde^  ttenn  sich  diese  auch  in  der 
Oesiait  unterschieden^  das  Ocwicht  in  der  Grqfte 
seinen  fiatürlichefk  Grund  haben* 

Wenn^  Referent  im  'Obigen  beinahe  nichts  vei- 
ter, als  über  einzelne  Puncto  oder  über  gröfsere  Ab- 
schnitte des  vorliegenden  Buches  Ausstelluogcn  ge- 
Inacht,  so  darf  er  nicht  furchten, '  dafs  sein  Beticht 
einem  Mifsverständnisse  unterliegen  könne.  Bei  ei- 
nem Werke,  welches  so  sehr  das  vrissenschaftiiehe 
Studium  der  Geschichte  iet  alten  Philosophie  for- 
dert, dafe  es  mit  dem  gröfsten  Danke  aufgenouimen 
werden  mufs,.und  für  dessen  Sorgfalt  und  Zweckmä- 
fsigkeit  eine  hmlängliche  Gewähr  in  der  gegründeten 
Achtung  liegt,  welche  die  Herren  Verfasser  in  der. 
gelehrten 'Welt  besitzen,  glaubte  er  sich  alles  LobeoB 
enthalten  zu  müssen  .und  hielt  es  für  seine  Pflicbt, 
durch  Hinweisung  auf  manches -unsichere,  zweifelhafte 
oder  vielleicht  unrichtige  das  Werk  der  ferneren  serg- 
samen Pflege  der  Hrn.  Verf.  zu  empfehlen. 

H.  ßonitx* 


^  _• 


•r 


wissen 


\         J^  57. 

Jahrbflche 

für 

schaftlich 


e    Kritik. 


September  1839. 


XXVU, 

Leibmtz'g  deutsche  Schrtyten.  Herautgegeben  von 
Dr.  O.  E.  Öuhrauer.  Eriter  Mand.  Ber- 
lin,  I838.  XX  486  und  ein  Anhang  von  Bei- 
lagen  in  46  JS» 

Herr  Dr»  Guhraner  f&brte  aoli  bei  dem  Fristen* 

flcbaftUcfaeii  PoblkxHii  donah  die  Heraaagabe  der  inter* 

etumtea  I^eibnitz^ftcben-  DiseertalioD,  de  prmcipio  indi* 

Tidtti)  ein,  treicke  ich  in  diesen,  JahrbüchemäDzeigte. 

Er  ist  seitdein  in  Aufsnehiiqg  noch  anderer  bisher  ve* 

niger  beacbteter  oder  noch'  gar  nicht  beransgegebenei 

Leibnitz'sdier  Schriften  auf  Reisen  und   bei  längeren 

Aufenthalten  in  Paris  nnd  Londoii  unermadlich  tbätig 

gewesen.    Als  eine  Fmcht  solch*  emsiger  Bemiihun« 

giSB  haben  wir  auch  die  'TorKegende  Sammlmg  anza- 

seheny  die  ein  lanige  Torhandenes  Bediirfnifs  an  befpi»* 

digen  beginnt  ^  n&mlich  alles   das  acnsamm^nzustellea, 

vas  Leibnits  in  deutscher  Sprache  nnd  für  die  dent> 

sobe  Sprach»  gesagt  hat«     Die  Ansckaunng  Leibnit- 

sen's  gewinnt  durch  Kenntnifo  dieser  Leistungen  eine 

gaox  neue  Seite.    Wir  müssen  ihm,  auch  in  sprachlW 

eher  Hinsieht,  die  tiefste  Einwurzelung  in  das  deutsche 

Wesen  sogest  eben.    Seine  Yaterlandsliebe    tritt  hier 

im  reinsten  Lieht  hervor  und  seine 'Frömmigkeit  hat 

hier  eine  nnbesehre,iblieb  anmplbige  und  kräftige  Noi- 

Tetftt,  wie  sie  weder  in  seinen  lateinischea,  noch  in 

stinen  frattUisisehen  Stiften  sich  rerlantbaren  kam. 

So  grobe  Menschen  sind  unerschöpfliche  Bergwerke 

fifar  uns  klemere.'   Em  GescUedit  nach   deas  andern 

glaubt  den  letzten  Sehacbt  Yon  ibnen  ausgdkeatet  sn 

haben;  aber  siehe  da,  eine  nene  Ader  glänat  herror 

and  das,  folgende  Imt  an  ümen  nene  Arbeit,  und  neuen 

Segen;    W^r  bätte  nicht  mit  Leibnits  fertig  za  sein 

geglaubt,  uXs  Haspe  1765  die  Oemres  philosopUqaes 

blines  et  frang oises,  tir^s  de  ses  manuscrits,  q«i  k% 

c^nserrent  dans  la  bibfioth^jue   rojde  k  HaanoTie^ 
isAf».  /.  mmeMek.  Kritik,  h  1830.    IL  Bd. 


beransgttl)  %  Ww  bätte  es  nicht  geglaubt,  als  Fedet 
zu  Anfang  dieses  Jahrhunderts  im  Vaterläadiscb^i  Mn» 
senm  den  Katalog  des  Leibnitz-'scheu  Briefwechsels 
abzuscbliefsen  suchte  1  Wer  nicht,  als  1821  die  Herrn 
Bä/i^  Weis  und  JMler  mdk  dem  Hanaovriscben  Ma^ 
nnscript  Leibnitzen's  System  der  Tbeol^ie  faerausga- 
ben,  das  bis  1825  die  dritte  Auflage  erlebte  und  tv^ 
welchem  die  Katholiken  so  gern  den-Sdilurs  aieben 
woUleB,  dafs  Leibaifz,  der  allerdittgs  der  Versöhnung 
der  Confessionen  so  viel  Zeit  nnd  Arbeit  zuwendete, 
ibpen  recht  eigenfCcb  angehört  habe,  ein  Factum,  was 
dann  schwächeren  und  unphilesophlacheren  Se^n  den 
Uebertritt  zum  Romanismus  als  Aoctovität  erleicbtem 
sollte.  Aber  ionnev  sind  wir  noch  nidil  fertig  und  es 
ist  dien  nie  sich  Ergebenwollen  solcher  Heroön  der 
Literatur,  dies,  ans  dem  Grab  noch  Hervorr^ben  von 
Lebensfröchten,  diese  auch  äufsero  Unendlicbkeit  als 
der  Reflex  ihrer  ianereU)  diese. durch  keine  Zahl  abzu- 
markende Manifeolatiott  em  gröfsartiger  Scherz  des 
Geistes,,  um  das  Volk  der  Philister  auch  so  von  sei- 
ner UneterMichkeit  und  Gegenwart  zu  nberfiibren« 

Der  Berausgeber  entwickelt  in  einer  sorgfält^en, 
odir  getebrten  Einleitung  die  Entstehung  und  chrono- 
logische Ordnung  der  Jetzt  mitgetheilten  deutsehen 
iSchriften  Leibnitzen's.  Etwas  mehr  Uebersichtlicbkeit, 
ein  schärferes  Hetvorbeben  der  Wendepunkte^  ein  noch 
■whr-  von  dem  allerdings  tiberreicfaen  Stoff  freieres 
Darstellen  seiner  Resaltate  hätten  wir  wohl  gewünscht 
Zwei  Punkte  finden  eine  besonders  weitlän^e  Erörte- 
rung und  verdienen  sie  auch$  einmal  das  persönliche, 
fiir  sein  ganzes  Geschick  so  entscheidende  Verhältnifs 
Leibnitzen's  zum  Herrn  v.  B&meimrg^  das  er  ^on  ei- 
ner Menge  berkömmlicb  gewordener  kleiner  Cngenauig» 
keiten  nndlrrthüaser  reinigt;  und  zweitens  derBinflurs, 
welclien  der  Stand,  don  sich  Leibnitz  ursprfinglich 
widmete,  der  G^ricAUstmndj  aidit  niur'  auf  seine  Aufi- 
üsssung  des  Geistes  überhaupt  sdbst  der  Theologie, 

67 


451  '  '  ^Gukrauer^  LMhüx^m 

sondern  Tornämlich  aueh  auf  ^ine  Kenntnifa  der  deat- 
scben  Sprache  und  seine  Fertigkeit,  in  ihr  'sich  tref- 
fend und  leicht  toszndrücken,  ausgeübt  hat.  Es  wird 
sehr  gut  gezeigt,  wie  die  praktische  Schule,  welche 
Leibnitz  als  Protokonfiihrer  u.  s.  f.  gerade  bei  den 
9äcAsüeAen  Gerichten  durchmachte,  für  seine  Befreun- 
dung mit  der  deutschen  Sprache,  man  kann  wohl  noch 
weiter  spgen,  mit  dem  unmittelbaren  Yolkssinn  von 
dor  grSfsten  Wichtigkeit  gewesen   ist. 

Die  Schriften  dieses  ersten  Bandes  sind  folgende; 
aus  der  Jugendperiode: 

1)  Bedenken,  welohergeetalt  securitas  publica  in* 
tema  et  externa  und  Status  praesens  im  Reich  jetzi- 
gen Umständen  nach  auf  festen  Fufs  zu  stellen,  in 
zwei  Abtbeilungen,  im  August  und  November  1670. 
S.  153^255.  Die  erste  Hälfte  dieser  Schrift  verfafste 
Leibnttz  in  drei  Tagen.  Er  brauchte  an  sich  als  ei- 
nem reichbeiadenen '  9aum  der  Erkenntnifs  nur  zu 
schütteln  und  die  Prüchte  fielen '  zu  tausentlen  herab» 
Das  Durcheinander  von  Deutsch,  Französisch,  Latei- 
nisch und  deutschisirtem  Französisch  und  Lateinisch 
ist  in*  diesem  politischen  Tractat  am  Aergsten.  Dies 
Macaronisch  war  damals  unseres  deutschen  Reichs  Di- 
plomatensprache. Der  Inhalt  des  Aufsatzes  ist  schon 
vor  einigen  Jahren  durch  eine  Mittheilung  in  MuhdtM 
Dioskuren  Veranlassung  zu  vielfachen  Erörterungen 
gewesen;  namentlich  wurde  damals  Leibnitzen's  An- 
sicht, dafs  Frankreich  Aegypten  aU  eine*  der  beäU 
gelegenen  Lander  der  Welt  erobern  müsse,  vielfach 
besprochen.  Holland  stand  damals  in  der  vollsten 
Blüthe.  Spanien  beartheilt  Leibnitz  als  bereits  im 
Sinken  begriffen  I.  4*  97.  S.  201:  „Spanien  selbst 
scUbinet  anjetzo  an  kein  Plus  ultra  zu  gedenken«  Es 
hat  mit  Bxperimentis  eines  ganzen  Secoli  so  viel  be- 
griffen, wie  gebrechlich,  wie  kostbar,  wie  gefährlich, 
wie  verhasset  alle  weitanssehende  Consilia  seien,  da* 
durch  man  suspect  wird,  eine  Herrschaft  über  Andere 
ZU  affeotiren;  wie  unnütz  es  sei,  weit  entlegene  Län- 
der in  Devotion  zu  erhalten,  wie  viel  Millionen  ameri- 
canischen  Silbers  in  den  Oceanum  Germanicum  ge- 
seböttet  worden,  die  kein  urinator  herausholen  wird; 
wie  glücklich  diese  Nation  sein  könne,  wenn  sie  ihrer  ' 
indianischen  Schätze  ruh^  genossen  hätte,  wie  un- 
glücklich, wie  arm  ap  Geld  und  Leuten  sie  hingegen 
dnrch  so  viel  longinqnas  expeditiones  worden."  —  An 
Holland  hebt  er  Frankreich  gegenüber,  das  er  als  die 


deufeehe  Schriften.  452 

bedeutendste  Monarchie  bezeichnet,  die  repuUicam* 
eche  Regierungsform  besonders  hervor,  dnrch  weldie 
es,  abgesehen  von.  der  Rivalität  materieller  Interessen, 
Frankreich  stets  gegen  sich  aufregen  müsse,  denn  S« 
243:  „erstlich  alle  Republiken  den  Königen  verbafst 
seind,  weil  solclie,  sonderlich,  wo  die  Leute  darinneir 
ihrer  Nahrung  obliegen,  auch  Niemand  mfifsig,  und  also 
keiner  Demagogie^  welche  Rom  und  Athen  verderbten, 
kein  Gehör  gegeben  wird,  sich  nicht  leicht  übern  Stock 
stofsen  lassen,  sondern  die  geringste  Abnichme  ihrer 
Nahrung  spüren,  dawider  ihnen  dcna  alsbald  magister 
artis  ingeniique  largitor  venter  allerhand  Künste  ond 
Gegenatreiche  eingiebt.  -Ferner,  so  sind  Republiken 
asyla  exulum,  so  sich  bei  Monarohen  übel  befinden; 
sie  machen  ihren  Nachbarn  das  Maul  nach  gleicher. 
Freiheit,  wässerig,' lassen  alle  Religionen  zu^  so  andere 
neben  sich  leiden  können;  sie  lassen  sieh  den  gemei» 
nen  Nutzen  heftig  angelegen  sein,  sind  keinen  Comp» 
tionen  unterworfen,  sind  Seminaria  herrlicher  Ingenio« 
rum,  so  nicht  nur  Galanterien  erfinden  und  von  der 
Eloquenz  Profession  machen,  senden  Realitäten  prä« 
stiren,  weii  in  ihrem  Vaterland  nichts  anders  ästimirl 
wird,  auch  sie  zu  nichts  anders  erzogen.  Es  mangeh 
ihnen  niemals  an  Leuten,  haben  aus  der  ganzen  Welt 
Zulauf  und  würden  auch,  wie  Jener  de  Essenis  sagt, 
gens  sine  connubiis  aeterna  sein;  ja  wenn  sie  an  der 
See  Riegen,  sind  sie  nicht  weniger  hominum,  als  ihre 
litora  fluminutn  confiuges.'*  —  An  Frankreich  weifs  er 
die  uunoärtige  Politik^  „considerabler  Allianzen  oder 
Factionen  Haupt*'  zu  sein,  sondern  aueh  die  Ltist  derw 
selben  „zweier  Hauptinstrument,  nehmlich  Volk  nn4 
Geld"  wohl  zu  durchschauen.  S.  239:  „Aber  Volk  ver^ 
stehe  ich  hier  ituf  eine  etwas  andre  Manier  als  son» 
sten,  das  ist,  nicht  Manns-  sondern  Weibs- Volk.  Mit 
-welchen  beiden  Instrumenten  alle  Schlösscfr  sich  au& 
thun,  alle  Pforten  ohne  Petarde  eröffnmi,  auch  alle 
.Winkel  bis  in  die  innerste  Cabinette  untermerkt,  auch 
ohne  Gygis  Ring,  durchkriecheü  lassen.  Zwar  selten 
wird  man  in  Frankreich  eine  teutsche  Daoie  holen; 
aber  Solche,  bei  ihnen  überflüssige- Waelre  mit  einer 
ganzen  Last '  Mode-  und  anhängiger  lebendigen  und 
todten  Galanterie,  gleichsam  als  Handln  ngfs weise  bei 
uns  anzubringen,  und  solchen  Saamen  des  Unkrauts 
auszustreuen,  davon  wird  nichts  gesparet.  Durch  sol* 
ches  Mittel  werden  die  Höfe  und  fiirnehme  Familien 
eingenomm^;  andere^  die  auch  etwas  sein  oder  wer» 


43S 


OtAra»$eri  LMnitx,**  deutaeke  Sehrifien. 


454 


1 

dei»  wollen^  sa  fraMfiaisober  Spraehe^'  Reisen,  Trach- 
ten neoessitiret  $  überdies  abe#  die  stets  irilhrende  Cor- 
teapondensen  in  TeutsoUänd  jastifiziret,  die  Binmi- 
sobnng  io  die'  Consilia  mit  dem  Schein  der  Vorsorge 
bemäafelt)  die  Gemöther  .der  fransosischea  Art.  ge- 
wohnt geoMicht,  eine  Heirath  aus  der  andern  gestiftet, 
die  jungen  Herrn  bei  Zeiten  Ton  der  Frau  Mutter  an- 
gelfthret  und,  mit  einem  Wort^  Alles  zu  französischem 
Zweck  disponirt."  Auch-  die  JEroierungssuoAi  Frank- 
seichs,  die  er  aus  semer  Stärke,  seiner  guten  Admini- 
atiation  und  monarchischen  Consolidirung  ableitet,  weifs 
er  sehr  gut  ^u  schildern  S.  214  S.  und  S.  224  S.  Die 
Varknüpfung,  in  welche  Leibnitz  das  Allgempine  und 
Emzelne  zu  setzen  weifs,  der  ganz  ungesMcfate  Fort- 
gang Yon  der  oniTersalhistoriscben  Stellung  einer  Na? 
tioD  zu  den  coneretesten  Particularitäten  ihres  Lebens, 
wodurch  diase  Darstellungen  so  reizend  werden,  macht 
es  schwer,  nicht  noch  Vieles  auszuzeichnen,  indessen 
wollen  wir  uns  nur  noch  aaf  einige  Hauptmomente  be- 
selpänken*  Den  Papst  nimmt  Leibnitz  noch  ganz  in 
sMner  mittelaltrigen  Stellung  als  '  Kirchenoberbaupt^ 
wie  den  Kaiser  als  Advooatus  ecdesiae  universalis, 
als. das  welitiehe  Oberhaupt  der  Christenheit^  sagt 
aber  I.  ^  95,  und  201 :  „Also  und  anders  nicht  sind 
allzeit  Tcrständige  Päpste  gesinnt  gewesen,  die  keiner 
Arbeit  und. Kosten  gescheuet,  wo  nur  Hoffnung  gewe- 
sen, die  Potentaten  zu  yereinigen  und  zu  einem  bestän- 
digen Ssblufs  wider  den  allgtimeinen  Feind  zu  bringen. 
Man  fasset  auch  aojetzo  zu  Rom  genugsam,  dqfe 
durch  Religionskriege  nichts  xu  gewinnen^  dafs  die 
Gremuther  ^nnr  verbittert  und  die  Meinungen  entfernet 
werden,  dafs  maa  sich  zu  Friedenszeiten  kennen  lem^ 
und  nicht  so  wUdey  aiseheuliehe  Ideen  einer  von 
dem  andern  machcj  wie  man  damak  zu  machen  pflegte, 
da  man  solcher  Sachen  wegen  einander  todtschlng, 
Somma,  dars  endlich^  da  Gott  seinen  Segen  giebt,  dur<$h 
friedliebende  Consilia  zur  christlichen  Liebe  und  Einig- 
heii  In  der  Christenheit  sich  alles  anlasse."*  Von  Po* 
len  und  Sehwedeny  aber  nicht  Ton  Hufsland  ist  die 
Rede,  ^as  damals  noch  gar  ni$ht  in  der  Politik  mit^ 
sftUte$  von  England  mehr  nur  seiner  ^^macht  we- 
gen; Ton  Dänemark  als  einem  aufblühenden  Staate: 
nulla  iuTidia  gravatur  Dania !  Aber  S.  198:  „das  Reich 
ist  das  Hauptglied,  Teutschland  das  Mittel  von  Eu- 
ropa. —  Teutschland  ist  der  Ball,  den  ein  ander  znge- 
worfeik,   die  umb  die  Monarchie  gespielt,  Teutschland 


ist  der  Kampfplatz,  darauf  man  um  die  Mebtersqhaft 
Yon  Europa  gefochten.  Kürzlich,  Teutschland  wird 
nicht  aufhören,  seines  und  fremden  Blutvergiefsens  Ma* 
terie  zu  sein,  bis  es  aufgewacht,  sich  recoiligirt,  sich; 
yerdnigt  und. allen  Procis  die  Hoffnung,  es  zu  gewin- 
nen, abgeschnitteu.''  Nämlich  Leibnitz  will  zur  Schlich- 
tung aller  Streitigkeiten  mi%AUia^%  gestiftet  wissen, 
die  ein  permanentes  Directoriom  in  Frankfisrt  a«  M; 
(§•  78.))  eine  Casse  und  eine  Bundesarinee^  zu  welcher 
er,  nach  upserm  heutigen  Zuschnitt,  aufserordentlioh 
kleine  Contingei^te  fordert^  haben  soll,  um,  wb  die  Qe* 
rechtigkeit  es  erheischt^  interveniren  zu  köntaen.  Die 
Hauptaufgabe  soll  aber  der  politische  wieder  religiöse 
Frieden  sein,  ohne  dafs  S.  164  die  bundesverwandtea 
Fürsten  sich  als  Appendices  nachschleppen  lassen  oder 
als  stumme  Personen  in  der  Comodie  spielen.  Die 
Grofsmächte  sollen  sich  den  Schlüssen  corporis  foede« 
rati  unterwerfen  müssen,  „wäre  sonst,  wie  in  den  Fa- 
beln Aesopi, .da  der  Löwe  mit  dem  Wolf,  Fuchs  und 
Esel  eine  Soeietät,  zu  jagen,  anstellte.'^  Gegen  Ende 
des  zweiten  Theils  der  Abhandlung  weifs  er  mit  tapfe- 
rem Dringen  den  Willen  aufzustacheki,  dafs  Alles  nur 
an  ihm  liege  S.  254:  „Man  darf  |ücht  sagen,  es  sei 
unmfiglich.  *Nein,  nein  1  Die  Erfahrung  hat  etliche  mal 
gewiesen,  dafs  nichts  als  Ernst  und  Nachdruck  erfor* 
dort  wird,  auch  inveteratissima  mala  abzuschaffen/' 

2)  Bedenken,  welchergcstalt  den  Mängeln  des  Ju- 
stizwesens in  theoria  abzuhelfen,  256 — 63. 

.  3)  Leibnitz  an  Otto  yon  Guerike^  Auszug  aus  ei- 
nem dessen  Bestrebungen  billigenden  Brief,  Mainz  1671^ 
S.  264; 

4—6)  Leibnitz  an  den  Herzog  von  Hannover,  Je« 
bann  Friedrich  S.  265— :88,  die  Antworten  des  Herzogs 
mit  eingerechnet.  Di^se  Briefe  enthalten  Nachrichten 
von  den  Erfindungen  Leibnitzen's  und-  eine  oft  sehr 
marktschreierisch  klingende  Angabe  von  alk  dem,  was 
er  vermag  und  weifs.  Altein  so  Charlatanhaft  diese 
Berichte  aussehen,  so  ist  doch  nur  der  Umstand  daran 
schuld,  dafs  Leibnitz  auf  einen  kleinen  Raum  dem 
Fürsten  einen  Ueberblick  seiner  durch  alle  F&cher  der 
Wissenschaft  Raufenden  Entdeckungen  und  Revolutio- 
nen geben  wollte;  an  sich  war  es  ja  bitterer  Ernst  da» 
mit,  wobei  ich  bemerk^  dafs  S.  282  bei  der  Theolo^ 
gia  naturalis  in  dem  Passus,  wie  er  detnonstriren 
könne,  dafs  mens  incorporea  sei,  das  principium  indi- 
vidaationis  vorkommt 


« 

'Es  folf^n  bieniiif  iM  Sdmjk<)D  Ühb  der* mittlereil 
Periode,  mit  einer*  beflonderen  Eioleitung. 

1)  LebeDslaof  des  ChorTdfsteii'  xven  HsnitOTer  St'. 
324 — 669  worüber  iob  iWeiter  niobts  zu  sagen  habe. 

2)  Scbrciben  an  dea  Herausgeber  der  ,,Venittnft* 
fiboogen"  Gabriel  IVagfur  in  Hauiburjg,  374—^3*  Die« 
ter  Gelehrte  hafte  die  Vemun/iku»9t  oder  Logilc  und 
M^tapbyiik  sehr  zurüokgesetzt  und  Leibaitz  auch  zu 
Ihren  Verliebtem  gezählt,  der  sich  nun  gegen  ihn  der« 
selben  annimmt  und  zum  Tbeil  biographisch  sein  Ver- 
hältnifs  zu  diesen  Wisscnsohaften,  ,,alle  Kenntnisse  ein^* 
zniäfeM*  auseinandersetzt.  Es  ist  unendlich  triTial, 
Ton  einen}  Manne,  wie  Leibnitz,  zu  sagen,  dafs  er  auf 
allen  Gebieten  des  Wbsens  seine  GründKchkeit  und 
Gelehrsamkeit  gleiehmäfsig  behaupte  und  doch  kann 
man,  wenn  mßn  so  eben  in  der  Lectnre  aus  der  Le- 
bräsbeschreibuDg  eines  Fürsten  herauskommt,  in  wel- 
dher  Jahreszahlen,  Tagesdata^  Zahl  der  Kriegsmann« 
'Schäften,    Manöver,   subtile  Geneak>gieen  und  Eigen* 

Ihumsverh&ltniisse  u.  s.  f.  haarklein  der  Gegenstand  . 
gewesen  sind,  nicht  umhin,  gerade  Aber  diese  gMc/^ 
m^foige  Geläufigkeü  in  Allem,  ich  mdchte  sagen,  er- 
Ibllte  Geistesgegenwart  und  Unerschro^kenbeit,  zu  er« 
staunen.  Und  er  hat  nicht  nur  Bekanntschaft  mit  Allem, 
fiondem  er  rüttelt  auch  an  Allem  und  trägt  sich  mit 
den  höchsten  Fassungen  der  Probleme.  S.  381  .sagt 
er  Ton  den  SjUogismen:  „Es  ist  gewifs  kein  Geringes^ 
dafs  Aristoteles  diese  Formen  in  unfehlbare  Gesetze 
'brachte,  mithin  der  erste  in  der  That  gewesen,  der 
.mathematisch  aufscr  der  Mathematik  geschrieben.  Ich 
habe  auch  etwas  zur  Neugierigkeit  beigetragen,  indem 
ich  wifskönstig  bewiesen,  dafs  jede  der  Tier  Figuren 
just  nur  sechs  gültige  Arten  habe,  und  also  (gegen  die 
gemeine  Lehre)  eine. so  viel,  als  die  andere;  inmafsen 
die  Natur  in  allen  Dingen  regulär;  und  dies  deucht 
mich  nicht  weniger  beachtungswürdig^  als  die  Zahl  der 
regulären  Kdrper.  Zwar  .  ist  diese  Arbcst  des  Aristo« 
teles  nur  ein  Anfang  und  gleichsam  das  ABC,  wie 
es  dann  andere,  mehr  zusammengesetzte  unä  schnre«  ^ 
lere  Formen  gibt."  Ueber  die  Prftdicamente  ak  eine 
^^Musterrolle  aller  Dinge  in  der  Weh**  bemerkt  er  S. 
379,  dafs  die  praedicabilia  des  Porpbyrius  fSr  die  To« 


deutsche  &ekrißsn.  496 

pik  bei  weitem  nicht  anaremhiBtt,  ^welche  nur  die  prao» 
dicata  in  recto  oder  Benennungen,  und  auch  die  nicb 
alle  in  sich  halten,  mafsco  noch  die  Begrensong  (defi* 
Ditio,  b^aeHng  nennen  es  die  Hollitodcr)  und  Einthei- 
lung  (divisio)  liuzuzufilgen.  Demi  es  ja  auch  eine 
Beilage  ist,  dab  z.  B.  jeder  regulirter  Körper  eatwe« 
der  4-  oder  6-  oder  8«  oder  12-  oder  20seilig  sei ;  aber 
diejenigen  praedicabilia,  so  da  dienen  pro  praedicatis 
in  oblique  oder  die  Quellen  der  Anbeilagen,^  wenn  ich 
so  reden  sollte,  bat  Porpbyritfs  übergangen  ad  diese 
stecken  m  Topieis,  mafsen  Ursach,  Werk,  Games, 
Tbeil  n.  s.  t  in  der  That  dergleiehm  sein.'* 

3)  Schr^ben  an  den  Herzog  yon  Braun8ehiPFeig<> 
Wolfenbfittel,  RodohF  August,  401—407;  enthält  einen 
Yorschlag  zu  einer  Medaille,  imago  ereatioBis,  mit  ei« 
ner- pytbagor£kisrrenden  Arithmetik  und  dem  Mottos 
Omnibus  ex  nihilo  duemdis  sufficit.  Unum.  *  Soldie 
symbolische  Spielereten  waren  dasMib  noch  an  deo 
Böfen  beliebt;  jehtt  sind*s  andere. 

4)  Bini^  ungedruekte  philosophische  Abbandltin- 
gen.  «)  Von  der  wahren  Theologia  mystiea  S.  410— 
13.  Halte  ich  für  Ausadge  ■  ans  nnsermi  Mystikern, 
Tauler,  Ruysbroek,  Suso,  der  deutschen  Theologiej 
mit  Zusätzen  reu  Leibnitz  iil  den  Parenthesen.  Leib« 
nitz  kannte  diese  alten  deatsoheo  Philosophen  und  ihre 
originelle  Ausdrnoksweise  sehr  wohL  Wenn  der  Her- 
ausgeber S.  409  sagt:  ,>Der  philosophische  Ausdruck 
ist  hier  auf  einer  für  Leibnitzens  Zeitalter  bewnnde- 
rungswftrdigen  Höhe;  ja  es  zeigt  sich  hier  das  Bestre« 
beuy  die  philosophische  Kunstsprache  von  allen  Resten 
der  Scholastik  völlig  zu  befreien ,  Tiel  censequenter, 
als  bei  den  neueren  Phileeephen^,  so  trifft  das  nicht, 
denn  diese  schöne  Sprache,  die  -  besonders  für  das 
Moment  der  JVegatümtatf  wie  die  Hegel'sobe  Termi- 
nologie es  benennt,  an  den  kühnsten  und  schlagend« 
sten  Bezeichnungen  unendlich  reich  und  gebildet  ist, 
wurde  bei  ims  im  tnefxeknten  Jahrhundert  geschaffen 
und  sog  sich  Tom  südlichen  Rheinthal  in  der  Diago« 
nale  bis  zur  Lausitz,  wo  sie  im  Aafong  des  siebzehn- 
ten Jahrhunderts  ausstarb«  Die  Turba  gentium  des 
dreifsigjlUirigen  Kriegs  schwemmte  sie  weg»  —  t)  Vota 
Naturrecht  S.  414—19. 


(Der  Bescblufii  folgt.) 


.      J^  88. 

Jahi^bücher 

für 

wissenschaftliche    Kritik. 


September  1839. 


'Leibnitz^s   dept$che    Schriften.     Herausgegeben 
•   ton  Dr.  O,  E.-Ouhrauer,   ' 

/  •  ^  • 

(Schlafs.) 

Leibnils  maoht  hier  fo%ende  Eintheilangen  der 
naiürUeAen.  OemmucAqfty  die>  aus  Vielen  oder  We- 
nigen bestehend^  .einfacher  oder  stteammeDgeaetzter^ 
folgende  seien: 

1)  zwiscben  Mimn  nnd  ¥ViM:  das  menschliche 
Gesohlecht  zu  erbalten; 

2)  zwischen  Eltern  und  JSmdern\ 

3)  zwiscben  Herr,  und  Kneehty  ^ywelche  der  Na- 
tur gemärs^  wenn  eine  Person  Mangel  an  Verstand  hat, 
iiicht  aber  Mangel  an  KräftoU)  sich  zu  ernähren.  Denn 
eine  solche  Person  ist  ein  Knecht  von  Natur,  welcher 
arbeiten  mufs,  wie  es  ihm  ein  Andrer  vorschreibt'*  u. 
s.  f*  Nachher  fahrt  Leibnitz  jedoch  fort:,  ,, Allein  die 
Wahrheit  zu  bekennen,  so  zweifle  ich,  ob  ein  Exem- 
pel  einer  solchen  Knechtschaft,  darin  der  Knecht,  gänz- 
lich sei  umb  des  Herrn  willen,  /U  finden ;  zumal  da 
die  Seelen  unsterblich  und  dermaleinst  xu  Feretande 
kommen  nnd  der  Gluckseligkeit  jenes  Lebens  tfaeil- 
haftig  werden  können*  Hat  also  meines  Bedünkens 
diese  Gesellschaft  nur  statt  zwischen  Menschen  und 
Fush»  DcjDn  wenn  ein  Mensch  gleich  ganz  'thumb  ge- 
boren und  aller  Lehre  nnfahig,  so  stünde  doch  nicht 
bei  uns,  ihn,  unsers  Nutzens  willen,  zu  martern,  zu 
tSdten  oder  den  Barbaren  zu  yerkaufen."* 

4)  Die  Haushallung^  deren  Absehen  die  tägliche 
Nothdurft. 

,5)  Die  bllrgerlic/ie  Gemeinschaft,  ileren  Absehto 
zeitliche  Wohlfahrt. 

6)  Die  Kirche  Gottesy  deren  Absehen  eine  ewige 
Glückseligkeit.  Diese  Gemeinschaft  hätte  nach  Leib- 
nitz ^,auch  wohl  ohne  Offenbarung  unter  den  Menschen 
bestehen  und  durch  Fromme  und  Heilige  erhalten  und 
fortgepflanzt  werden  können.  — ^  Und  ist  kein  Wunder, 

Jakrb,  f.  uniitMck.  Krüik.   /.  1839.   U.  B4. 


dafs  ich  sie  eine  natürliche  Gesellschaft  nenne^  mafsen 
ja  auch  eine  natürliche  Religion  und  Begierde  der  Un- 
sterblichkeit uns  eingepflanzet.  Diese  Gemeinschaft 
der  Heiligen  ist  katholisch  oder  allgemein  und  verbin- 
det die  ganze  menschliche  Gesellschaft  zusammen» 
Kommet  eine  Ofi^jpnbaruog  dazu,  wird  das  Torige  Band 
nioht'  zerrissen,  sondern  verstärket,*' 

Der  Form  nach  theilt  Leibnitz  die  .Gesellschaften  in 
gleiche  und  ungleiche,  beschränkte  und  unbeschränkte. 

e)  Von  der  Weisheit  S.  420—26. ,  Scheint  eine 
Anweisung  zum  seligen  Leben  für  Fürsten  und  Gro- 
fse  zu  sein.  Wenn  mau  bedenkt,  wie  genau  Leibnitz 
durchlangen  und  vielfaltigen  Verkehr  in  den  verschieh 
densten  Ländern  dieselben  kennen  zu  lernen  Gelegen- 
heit hätte,  wie  sie  ihm,  als  einem -allgemeinen  weltli- 
chen Beichtvater,  oft  den  Einblick  in  die  geheimsten 
ihrer  Gefühle  und  Gedanken  gestatteten,  wenn  wir  end- 
lich seine  gewandte  uod  ernste  Beobachtung  erwägen, 
so  werden  wir  nicht  ohne  schmerzliche  Bewegung  fol- 
gendes Geständnifs  unseres  Philosophen  vernehmen 
§•  423:  „W^as  das  für  Dinge  seien,  deren  Erkenntnifs 
einen  solchen  glückliclien  Fortgang  (näpilich  in  Weis- 
heit und  Tugend)  verursachet,  erfordert  eine  eigene 
Ausführung ;  iuzwischen  kann  man  sagen,  dafs  Niemand 
leichter  zu  einer  so  hohen  Staffel  der  Glückseligkeit 
steigen  könne,  als  hohe  Personen,  und  doch.  Niemand 
in  der  That,  wie  Christus  uns  selbst  gesag^t,  schwer- 
licher dazu  gelange,  als  eben  sie.  J>essen  Ursache  ist, 
dafs  sie  zwar  viel  Gutes  tfaun  können,  aber  selten  ihre 
Gedanken  darauf  richten«  —  Denn  weilen  sie  stets  v 
Gelegenheit  zu  sinnlichen  Ergötcungen  haben,  so, wer- 
den sie  gewohnt,  ihre  Freude  meist  in  der  Wollust  zu 
suchen,  so  vom  Leib  herrühret,  und  wenn  sie  sich  hoch- 
schwingen,  so  suchen  sie  doch  mehr  Lob  und  Ehre  bei 
Anderen,  als  eine  wahre  Vergnügung  bei  sich  selbsten. 
Daher  weun  die  Wollust' des  Leibes  durch  Krankhei- 
teil)  und  der  Rubm  durch  Ungtücksfülle  abgehet,  da 

58 


4S9i 


CtuArauery  IdMnitx*s  deyiscAe  Sehr^hn. 


höret  der  Selbstbetmg  auf  und  sie, finden  sich  unglüel(- 
lidi,  —  Sie  haben  yon  Jugend  auf  dein  Trieb  Sufser- 
licber  Dinge  gefolget,  vegea  der  Lust,  so  sie  dabei 
gefunden,  zumal  weil  ei  Anfangs  etvas  besohweriieh 
ist)  diesem  Strom  zu  vidersteheä,  hai^n  aleo  grojien 
TAeüs  die  Freiheit  de»  OemUthe  verleren.  —  Da- 
her es  ein  Gröfses,  venu  eine  höhe  Person  sieh  selbst 
auch  in  Krankheit,  Unglück  *oder  Verachtung  Tergntt- 
get  \  und  zwar  wenn  sie  sich  zufrieden  geben  kann, 
nicht  nur  aus  Noth,  weil  man  siehet,  dafs  es  so  sein 
mufs,  welcher  Trost  nichts  anders  ist,  als  wenn  man 
.  einen  Schlaftrunk  einnimmt,  um  die  Schmerzen  nicht 
zu  empfinden,  sondern  dnrch  Erweckung  in  sich  selbst 
eine  grofoe  Freude,  so  diese  Schmerzen  und  Ungliicks» 
fülle  ttberwindet.'^  . 

Hierauf  folgen  einige  Oedichte  S.  434-^:39,  Mm  da- 
maligen Geschmack. 

Endlich  machen  die,  wie  Leibnitz  selbst  sagt,  in 
4er  Eil  von^  ein  paar  Tagen  als  ein  Schattenrifs  eut- 
worfenmis   Unvorgreiflichen  Gedanken,  betreffend  die 
Ausübung  und  Verbesserung  der  teuteehen  Sprache  i 
den  Beschlufs  S.  448-86.     Diese  waren  schon  öfter 
herausgegeben  und  sind  oft  genug  der  Gegenstand  ei- 
nes Terdienten  Lobes    gewesep.    Ich  erlaube  mir  in 
Ansehung  dea  reichen  Gedankenstofl^s,  den  sie  in  sich 
BohlieGscn  und  zu  welchem  sie  auffordern,  nur  darauf 
aufinerksam  zu  machen,  dafs  Leibnitz  mit  der  gegen«> 
wärtig  in  Schwange  gehenden  Erhebung  unserer  Spra» 
ehe  eis  einer  yär  die  Philosophie  besondere  organi* 
eirten  gar  nicht  einrerstanden  ist«    §•  9:  „Ich  finde, 
dafs  die  Teutschen  ihre  Sprache  bereits  hoch  bracht 
-  in  allen  dem,  so  mit  den  fiinf  Sinnen  zu  begreifen,  und 
auch  dem  gemeinen  Mann  fürkommet;  absonderlich  in 
leiblichen  Dingen,  auch  Kunst-  und  Handwerks-Sachen^ 
weil  nemlichen  die  Gelehrten  fast  allein  mit  dem  La- 
tein beschäftiget  gewesen,  und  die  Muttersprache  dem 
gemeinen  Lauf  überlassen,  welche  nichts  desto  weni- 
ger auch  von  den  sogenannten  Ungelehrten  nach  Lehre 
der  Natur  gar  wohl  betrieben  worden;    Und  halte  ich 
daf&r,  dafs  keine  Sprache  in  der  Welt  sei,  die  (zum 
Exempel)  von  Erz  und  Bergwerken  reicher  un'd  nach- 
drücklicher rede,  als  die  Teutsche.    Dergleichen  kann 
man  von  allen  andern  gemeinen  Lebensarten  und  Pro- 
fessionen sagen,   als  von  Jagd-  iind'  Waid- Werk,  tou 
der  Schiffahrt  und  ^dergleichen.    Wie  denn  alle  die  Bu- 
ropiler,  so  aufin  grofsen  Weltmeer  fahren,  die  Namen 


'    m 

4er  Winde  und  viel  andere  Seeworte  Ton  den  Test* 
sehen,  nehm!  ich  von  den  Sachsen,  Normannen,  Ott^ 
Kngen  und  Niederländern  entlehnt.?'  Nun  vermirst  Leib* 
nttz  ein  Genügen  nnserer  Sprache  fiir  Auedrüchmg 
der  Gemütsbewegnngei^  der  TugendeaundLaMer,  sri 
Tieler  Beschaffenheiten,  so  zur  Sitten-  Lehr-  und  Re« 
gierungsknnst  gehören;  dann  femer  bei  denen  noch 
mehr  abgexogenen  uhd  abgtfeimien  Erkennttmtiny 
so  die  Liebhaber  der  Weisheit  in  ihrer  Dichtkunst  anf 
die  Bahn  bringen.  Dies  UrtheiLLeibnitzen's  ist  darok 
aus  ungerecht,  wiewohl  aus  seiner  Zeit  und.flwem 
Sprachgalimathibs  heraus  erklärbar.  Er  will  die  deot* 
sehe  Sprache  zwar  subjectir  mit  ihrer  ReckUehßffttk- 
heit  entschuldigen ,  kommt  aber  doch  darauf  zorüoki 
dafs  sie  für  die  Logik,  Metaphysik  und  natürliche  Theo» 
logie  noch  mangelhaft  sei.  f.  14.  trifft  er  jedoch  y» 
der  eine  Abhülfe  in  den  „geistreichen'*  Schriften  mwiK 
rer  iHysiiker.  5,Ja.  selbst  diejenigen,  die  sich  etwas 
zu  denen  Tväumen  der  Schwärmer  geneiget,  branchea. 
gewisse  schöne  Worte  und  Reden,  die  man  als  güi« 
deüe  GefÄfse  der  Egypter  ihnen  abnehmen,  von  der 
Besohmitzung  reinigen  unJ  zu  dem  jrechten  Gebraudi 
wiedmen'könnte.  Welchergestalt  wir  den  Griechen  usd 
Lateinern  hierin  selbst  würden  Trotz  bieten  kdonen." 
Von  den  Beilagen  ist  besonders  die  erste,  ein  kri* 
tischer  Excürs  über  den  unter  Leibnitz^s.  Papieren  ge* 
fiindenen  und  dem  Churfiirsten  Johann  I^iilipp  tos 
Mainz  beigelegten  Entwurf;  „Politische  Vorsehläg«^ 
wie  die  katholische  und  evangelische  Kirche  kn  Terri* 
nigen'*3  beaohtensworth. 

ELarl  Rosenkranz. 


XXVÜL 

« 

Der  gegemeärüge  Grenzstreit  zwischen  Btaeft^ 
und  Kirchengewalt  aus  dem  staatskirchenreckt^ 
liehen  und  legislativen  Gesichtspunkt  erörtert 
von  einem  norddeutschen  Publicisten.  HaUe, 
1839.  bei  CA.  Schwetschke.    143  ;S.    8. 

Der  vorchristlichen  Zeit  ist  die  Scheidung  eiser 
religiösen  Anstalt  und 'des  Staats,  als  eines  bürgerli- 
chen Instituts,  unbekannt;  denn  der  heidnische  Staat 
umfäfste  Religion  und  Politik  nngetrennt,  Jedoch  in  der 
Weise,  dafs  jene  von  dieser  beherrscht  ward^  wBhrend 
in  der  jüdischen  Theokfatie,  in  welcher  die  Synagoge 


»   ' 


461 


C/remutreit  zwitekm  Siaati--  und  Kirihengmailt. 


ein»  ittt^prirenjei;  BestandtkeH  der  natioiialen  Gemein* 
gchaft  ebenmäfaig  bildete  ^  ^as  religiSse  Prineip  die 
Gramdlage  ior  -  da«  poKtieofae  Moment  herzugeben  be* 
sfunmt  war« 

Aach  Christna  begründete  eine  Theokratie,  dodi 
befreit  Ton  den  Sohranken  der  Synagoge  nqd  die  re- 
btire  Wahriieit  derselben  sar  absoluten  erhebend.  Ein 
Conffiot  des  Christenthums  und  des  Staats  konnte  dar- 
um auch  durchaus  nicht  beabsichtigt   sein;   indessen 
mufste  es  sofort  zu  einer  Scheidnng  kommen,  da  die 
auf  das  Evangetium  gepianzte  Anstalt  n^it  ~  dem  Hei- 
denthume  und  Judenthume  unTcreinbar  war.    Da  das. 
religiöse  Element  in  beiden  vom  politischen  sich  niebl 
ohne  Störung  oder  selbst  Zerstörung  des  Ganzen  tren- 
nen -lieTs,  unf .  der  christlichen  Wahrheit  Eingang  zu 
gewähren,   das  Christenthnm  "aber  berufen  war,    die 
Stelle  der  bisherigen   Religion   einzunehmen,   mufste 
das  letztere,  sich  einen  eignen  Leib  bildend,  als  Kii^ 
che  mit  dem  Staate  zerfallen.    Die  Scheidewand  zwi- 
schen Staat  und  Kirche  war  aber  nur  ein^  durch  die 
Zeitumstände  yeranlaftte  und  hätte  eigentlich  weichen 
sollen^  als  die  Kirche  das  Heidenthum  des  röinischen 
Reichs  fiberwunden  und  der  Staat  selbst  ein  christli- 
eher  geworden.    Jetzt  hätte  Staat  und  Kirche,  als  zn- 
sammengebörtge,  bisher  getrennte  und  wieder  verei- 
bigte  Glieder  des  Reiches  Gottes  auf  &den,  dieses 
s^bst  verwirklichen  können  und  sollen,  oder  wenig- 
fitcDs,  ungeachtet  der  durch  die  unvoUkommnen  Zu- 
st Ande  f^ebotenen  Differenzen,  in  der  Einheit  der  Liebe 
verbunden  werden  müssen.    Dies  geiN^h  indessen  nicht 
-in  geziemender  Weis^:  denn  während  ihrer  Trennung 
vom  Staate  hatte  die  Kirche  selbstständig  mannigfache 
^Pan'ctionen  desselben  übernommen,  welche  nach  der 
JEleception  im  romischen  Reiche  eigentlich  zu  restitui« 
rectal  waren ,   aber  nicht  restituirt  wurden ,  und  aYidrep- 
seitr  behauptete  der  ätaat.noch  aus  der  Zeit  des  Hei- 
denthnms  verschiedene  Befugnisse^  welche  zum  Theil 
der  Freiheit  des  Evangelii  nicht  wohl  entsprachen  und 
gänzlich  hätten  abgestellt  werden  sollen. 

So  war  Ton  vom  herem  Stoff  zum  Zwiespalt  vor- 
banden  und  *  es  ward  ein^  Bestimmung  der  Grenzen 
nothwendig,  innerhalb  deren  die  sich  bald  als  Theile 
Eines  Ganzen  anerkennenden,  bald  aber  auch  als  zwei 
gesonderte  Institute  erscheinenden  Anstalten  der  Kir- 
che, und  des  Staats  zu  wirken  hätten^  Diese  Grenzen 
vnirden  bald  friedlich  festgesetzt,  bald  im  Kampfe  ans- 


469 

glichen.  Darairf  weist  sehen  die  bekannte  Aenfse- 
mng  Constantins  hin  (Busebius .  de  Tita  Constmtini 
lib.  IV*  c.  24.)  „v^ic  fccr  xw  «Sctm  xffi  hn^rfilaq,'  hA 
di  xw  txrig  vnh  X^eou  na^tat^fUfo^  inlananoq  äv  cwjy^ 
und  die  schönen-  Worte  Jostinian^s  (NoveHa  VI  pr^ 
von  636)  „Maxiraa  quidem  in  hoininibus  sunt  dona 
Dei  a  supema  collata  dementia^  saeerdotmm  et  im^ 
perinm:  et  illnd  quidem  divinis  mfaistrans,  hoo  auteai 
humanis  praesidens  ac  diltgentiam  exhibens:  ex  uao 
eodemque .  principio  utraque  procedentia  humänam  ex* 
omant  vitam."  —  • 

Im  Verlauf  der  Geschichte  wechselten  die  Grenz- 
bestimmungen, welche  bis  zum  eilften  Jahrhunderte 
far  den  Staat,  seitdem  bis  zum  fünfzehnten  Jahrhun* 
d«rte  fiir  die  Kirche  weiter  gezogen  wurden«  Eot- 
scheidrad  ward  dann  die  Reformation  und  die  nefierea 
staatsreditlicheji  Ansichten  seit  dem  achtzehnten  Jafaicw 
hunderte.  Der  Kampf  selbst  bat  aber  äneh  seitdem 
nicht  aufgehart,  und  wahr  bleibt  was  Spittler  im  Jahr 
1778  äufserte  (Geschichte  des  kanonischen  Rephts.  & 
6):  „Der  Zwist  zwischen  Staat  und  Kirche,  das  ewige 
Dingein  an  dem  Verhältnisse  zwischen  Klerus  und 
Laiensobaft  dauert  noch  immer  fort  und  wird  fort* 
dauern,  so  lange  auf  beiden  Seiten  Menschen  sind,  die 
lieber  befehlen,  als  sich  befehlen  lassen.'' 

Geben  wir  von  solcher  Betrachtung  aus,  so  er* 
scheint  die  Ansicht  des  Verfs.  der  in  der  Ueberschrift 
genannten  Abhandlung  yollkoramen  gerechtfertigt»  In», 
dem  er  nämlich  die  neusten  Thatsachen  nicht  als  ein 
einzelnes^  isolirtes  Ereignife,  wie  etwa  die  Gefangen» 
nehmung  eines  Kirchenprälaten  "sein  hfonte,  sondern 
dies  Ereignifs  selbst  als  den  Anfangspunkt  einer  Be» 
wegung  auffafst,  deren  Motive  längst  Torfaanden  wa« 
Ten,  und  die  immer  wieder  yon  Neuem  sich  geltend, 
machen  werden,  so  wählt  er  als  den  Rahmea  zur  Zn- 
sammenfassung der  ganzen  Bewegung,  welche  in  dem 
Noyember>Ereignifs  zuerst  ans  volle  Licht  trat,  die 
Bezeichnung  eines  Grenzstreits,  eines  Proalesses,  wo 
die  rdmiseh-katholiscbe  Kirche  die  Stelle  des  Klägers 
vertritt,  gegen  die  Staatsanwalt,  wie  sie  sich  in  der 
Regierung  des  Prenfsischen  Staats  manifostirt  und 
wobei  der  Protestantismus  acöessorisch  intervenirte. 
(S.  2.) 

Die  ganze  Schrift  ist  somit  nach  der  Absicht  des 
Verfs.  eine  Relation,  in  welcher  zunächst  der  Leser 
über  die  rechtliche  Stellung  von  Staat  und  I^irche  die 


,1 


463 


» 

Qren%$ireii  xȟeAen  SUMs^  und  KirehengmalU 


erforderliobe  Yerständigiuig  .erhält^  dann  über  die  hir 
^toriscbe  StelluDg  der  dtotscfaen  Staaten  und  Kirchen 
belehrt  wird,  und  über  die  Streitpunkte  selbst  im  AlU« 
gemeinen  und  Besondem  genügende  Auskonlt  findet. 
Es  fehlt  der  Relation  weder  der  gesohichtlicjie,  noch 
der  kritische  Theil,  und  wenn  auch  der  Verf.  mehr 
nur  ^ydas  Urtheil  Anderer  Torbereiten  und  erleichtem'* 
will  (S.  15),  so  bat  er  eigentlicb  doch  schon  selbst  go- 
urtbeilt.  Wenn  nun  gleich  in  einzelnen  Beziehungen 
die  Ausführung  und  Begründung  diesem  und  Jenem 
.bedenklich  erscheinen  und  nicht  unbedingt  sollte  ge- 
billigt werden  kennen,  so  wird  doch  kein  Unbeüange- 
ner  das  Gesammt-Ergebnifs  anzuerkennen  sich  weigern 
dürfen. 

Um  dies  näher  zu  erhärten,  wollen  wir  mit  mög« 
lichstent  Anschlüsse  an  die  Ordnung  der  Abhandlung 
selbst  über  dieselbe  beriahten,  dabei*  uns  aber  auf  die 
rechtlichen  Principien  beschränken,  welche  für  den 
Streit,  objectiF  gefaTst,  zur  Entscheidung  dienen.  Da- 
zu lEcranlaf  st  uns  auch  schon  der  Vf.  selbst,  indem  er 
„nicht  sowohl  specielle  Ereignisse"  erörtern  will,  als 
'  vielmehr  „die  ganze  Richtung,  den  ganzen  Kampf,  der 
jetzt  gekämpft  wird,  zwischen  Staat  und  Kirche,  in 
aeinem  Verhältnifs  zu  den  wirklichen  Rechten  Beider«*' 

Der  erste  Abschnitt  giebt  uns  die :  Orientirung,  — 
die.  Feststellung  des  Terrains  und  der  Personen  des 
6treits,*^es  Gerichts  und  seines  Rechts.  Die  katho- 
lische Kir^she  ist  nach  ihrem  Besitzstande  zu  betrach- 
ten; da  dip  Untersuchung  über  dessen  Recbtmftfsigkeit 
eine  eitle  wäre.  Der  Vf.  ,negirt  damit  keineswegs  den 
philosophischen  Standpunkt  und  dessen  Berechtigung 
in  der  ganzen  Angelegenheit.  Wie  könnte  denn  auch 
sonst  ein  genügendes  Resultat  hierbei  überhaupt  ge- 
wonnen werden?  Jetzt  steht  soviel  positiv  fest,  dafs 
die  römisch -katholische  Kirche  in  ihrer  Einheit  und 
Anlehnung  an  den  römischen  Oberbischof  eine  Macht 
ist,  welche  eine  völkerrechtliche  Stellung  besitzt,  un- 
abhängige unabhängigen  JVIächten  gegenüber.  Darum 
ist  sie  aber  auch  demselben  Rsch4  unterwürfen^  un- 
t0r  welchem  alle  andere  unabhängigen  Mächte  ete* 
hefi.  Dieses  Recht  umfafst  erstlich  das  Einmal  Seien- 
de, %ß  dafs  alle  Staaten  und  Gewalten  sich  in  ihrer 


4M 

Sphäre,  in  ihrem  Gebiete  zu  behauptta  befugt' sind.' 
Dazu  treteik  die  ausdrücklichen  Gonventionen  zvisches 
der  Kirche  und  den  Einzelstaaten,  drittens  das  ^e^ 
kommen  oder  die  gleichförmige  Befolgung  einer  Regel 
des  äufsem  Verhaltens,  um  ihrer  Wahrheit  oderNolhi 
wendigkeit  willen.  Als  ein  jeweiliges  Herkommen  e^ 
scheint  die  s.  g.  Praxis,  die  aber  einmal  geduldet,  in 
eine  stillschweigende  Convention  übergeht,  weim  es 
für  den  duldenden  Tbeil  Pflicht  gewesen  wäre,  die 
Rechtmäfsigkeit  des  Verfahrene  zu  bestreiten.  Die 
vierte  Quelle  duldet  das  Recht  der  EinzelstaateD,  in 
welchen  die  Kirche  äufsere  Befugnisse  erwerben  und 
ausüben  will.  Zu  diesen  äufsem  RechtsqueUen  kommt 
noch  eine  andere,  tiefer  liegende,  welche  die  Zukonft 
öffnen  wird. 

Die  Thatsaphen  des  gegenwärtigen  Kampfes  wer- 
den im  zweiten  Abschnitte  in  ihrem  ZusammenliaDge 
mit  der  früheren  Geschichte  erwogen,  und  insbesondere 
auf  die  Zustände  Deutschlands  und  Preufse^s  nähere 
Rücksicht  genommen.  Damit  ist  der  Uebergang  für 
die  folgenden  Abschnitte  gewonnen,  welche  den  Kern 
der  Untersuchung  bilden,  in  welche  wir  selbst  tiefer 
eingehn  müssen. 

D^r  eigentliche  Streitpunkt  ist  die  Freiheit.  Nach 
ihr  ringen  sowohl  der  Staat  als  die  Kirche.  „Freiheit 
ist  das  vernünftige  Sein  des  Individuums,  die  Expan- 
sion, deren  die  vernünftige  Entwickelnng  desEinzeloen 
bedarf."  Djirin  liegt  denn  nothwendig,  dafs  keiner  des 
andern  in  seiner  freiheitlichen  Entwickelnng  beeinträch- 
tige. Entspricht  nun  die  Kirche  in  ihrem  Begehiea 
diesem  Begriffe  der  Freiheit  f 

Der  in  seinem  Verfahren  von  der  Curie  bochbe- 
lobte  Erzbischof  von  Köln  hat  in  seiner  Schrift  „über 
die  Religionsfreiheit  der  Katholiken,  bei  Gelegenheit 
der  von  den  Protestanten  (im  October  1817)  zu  bege- 
henden Jubelfeier"  und  einige  Monate  frühes  in  der 
Abhandlung  „über  Kirche  und  Staat"  (beide  erschie- 
nen in  zweiter  Aufla|;e.  Münster  1838.  8.)  so  genftgeod 
sich  hierüber  ausgesprochen,  dafs  die  Antwort  suf  obi- 
ge Frage  ohne  Mühe  ertheilt  werden  kann.  Mit  Recht 
hat  daher  auch  der  Verf.  der,  hier  besprochenen  Aas* 
führung  darauf  hingewiesen. 


(Die  Fortsetzung  folgt) 


Jcihrbficher 


für 


wissensc  ha  f  t  1  i  c  h  e   K  r  i  t  i  k. 


September  1839. 


0er  gegenwärtige  Orenzstreit  xwüehen  Staats- 
und  Kirchengewalt  aus  dem  staatskirchenrecht" 
liehen  und  legislativen  Oe^chtspunkt  erörtert 
vQn  einem  norddeutschen  Publicisten. 

(FortsetzQDg.) 

* 

Naoh  Hrn.  ▼•  Drösle  ist  unter  Re%ionsfreibeil  der 
Katholiken  zu  yerstehen,  die  Freiheit 

„eile  jepe  Handlungen  zu  verrichten,  zu  welchen 
die   Unterwerfung    des   Verstandes  und  Willens 
unter  die  Lehre  der  katholischen  Kirche  anffor- 
dort  —  alle  jene  Handlungen  zu  unterlassen,  wel- 
che mit   dieser   Unterwerfung   im   Widerspruch 
stehen''  (über  die  Religfr.  S.  9). 
Welches  ist  nun  die  Lehre  der  Kirche?    Jede  T.om 
Papste  ausgehende  YorBchrift  in  Beziehung  auf  interna 
und  externa,  auf  spiritnalia  und  temporalia^  auf  geist- 
liehe  und  weltliche  Verhältnisse.    Also  auch  die  Be- 
stimmung,   dafs    der   Nicbtkatholjken   geleistete  Eid 
Bicbt  bindend  sei,  wie  in  c.  16  X  de  haereticis  (V^  7) 
Gregor  IX  im  Jahr  1235  mit  den  Worten  erklärt  „Ab- 
solatos  se  noyerint  a  ^ebito  fidelitatis  bominii  et  totius 
obsequii,  quicunqne  lapsis   manifeste  in   haeresim  ali* 
qao  pactp,  qnacunque  firmitate  vallato,  tenebantur  ad- 
stricti'^  und  welche  wiederholt  von   spätem,  römischen 
Bischöfen,  zuletzt  noch'  im  J.  1805  von  Pius  VI.   in  der 
Instruction  für  den  Nuntius  in  Wien  bestätigt  wurden. 
(EisenscAmid  römisches  Bullarium  U,  685.)  Also  auch 
Festsetzungen  über  Sühnen  grober  Verbrechen  durch 
Geldbttfsen,  in  welcher  Hinsicht  man  nur  die  römischen 
Kauzleitaxcn  vergleichen  darf  und  beispielsweise  ans 
der  Taxa  Capcellariae  Romanae  ed.  Francker  1651, 
8.  angeführt  .werden  mag:  Absolutio  pro  eo,  qui  inter- 
fecit  patrem,  matrem,  fratrem,  sororem,   uxorem  aut 
alium  consi^uineum,  ^ilicet  laicum,  qnia  si  esset  ali- 
quis  eorum   clericus  teneretur  interfector  visitare  se^ 
dem  Apostoltcam,  gross.  V  vel  VII  u.  s.  w.,  und  an- 

Jairb,  /•  fffUBentcht  Kritik,  J.  1839.  II.  Bd. 


dere  ähnliche  Anordnupgen,  gesetzt  auch,  dafs  diesel- 
ben den  sonst  bestehenden  Vorschriften  des  Evapgelii 
ond  der  Staaten  geradezu  widersprächen ;  denn :  Papa 
tantae  est  auctoritatis  et  potestatis,  ut  possit  qnoqtte 
leges  divinas  modificare  {Ferraris  prompta  bibliotbeca 
can.  sub  v.  Papa),  womit  denn  freilich  die  Aeufsemog 
eines  Augustin  (de  unitate  ecciesiae  c.  X):  „Neo  ca«. 
tholicis  epi^copis  credendum  est,  sicubi .  forte  fallimtur, 
ut  contra.  Canonicas  Dei  scripturas  altquld  sentiant''* 
nicht  wolil  vereinbar  ist.  Und  wenn  nun  dieser  Frei- 
heit des  Hierarchismus,  einer  „Tcdtschlagsfreibeit^ 
entgegen  getreten  wird,  was  entgegnet  uns  darauf  Hr^^ 
von  Drostc?- 

„Die  katholischen  Kirchen  -  Obern  und  sonstigen 
Katholiken)  —  welche  ein  Seitens  der  Staatsgewalt 
erlassenes  Gesetz,  weil  es  in  Widerspruch  mit  der 
Lehre  der  katholischen  Kirche  steht,  nicht  befolgen  1 
dürften,  —  mufsten  sich  zwar  die  bürgerlich  nachthei- 
lig«n  Folgen,  welche  solche  Gesetze  mit  ibn^  unter- 
lassenen Beobachtung  verbinden,  gefallen  lassen,  aber 
es  ist  mit  der  Religionsfreiheit  der  Katholiken  unverträg- 
lich, wenn  es  solche  Gesetze  giebt,  odeir  wenn  nicht 
ihre  Befolgong  ohne  weiteres  den  Katholiken  nachge- 
lassen  ist.  Solche  Gesetze  würden  die  Katholiken  in 
die  höchst  drückende  Lage  aetzen,  den  Forderungen 
ihrer  Glaubenslehre,  ihr.cm  Gewissen  nicht  genügen, 
der  Kirche,  Gott  nicht  gehorchen  zu  können,  ohne  ge- 
gen die  weltliche  .Gewalt  ungehorsam  zu  seinJ' 

So  wird  uns  also  die  Kirche  und'  ihre  Lehre  als 
Gott,  und  der  Staat  als  die  Welt,  das  Verderben,  die 
SündQ  geschildert.  Auf  welcher  Seite  kann  nun  aber 
.wohl  das  Unrecht  sein}  auf  der^  welche  Grundsatz, 
wie  die  obigen,  vertheidigt,  welche,  wie  selbst  noch 
eine  Verordnung  der  Westpreursisph^n  Regierung  vom 
12.  October  1787  ergiebt,  „das  katholische  Gesinde 
vom  Beichtstuhle  zurückweist,  weil  es  bei  nicht  katho- 
lischen Christen  oder  bei  Juden  4ient  •  •  •  und  insbe- 

^  59 


467 


'GfMSstreit  xmteien  Staatt-  ttnd  Kirehengewait, 


sondere  den  katholischen  Wehmüttern  öffentlich  ond 
heimlich  untersagt,  den  jydisohen  Weibern  in  Kindes- 
ndtben  beizustehen'*  —  oder  auf  der^  welcher  mit  al- 
len Mitteln  einer  Anstalt,  die  sich ^  die  Kirche,  d*  h. 
dirStiftung  des  Herrn,  Christi,  und  zwar  alleinige  Kir- 
che -nennt^  solche  unkirchlich^,  d.  h.  ui^christliche 
Handinngsweise  unmöglich  zu  machen  «sucht!  Wahr- 
lich difficil^  est  satyram  non  scribere.  — 

Von  einer  Religionsfreiheit,  wie  die  von  dem  Cöl- 
Mr  Erzbischofe  begehrte,  wird  daher  schon  abstrafairt 
.werden  ^müssen,  und  nicht  ohtfe  Grund  hält  unser  Vf. 
•für  besser  noch  die  Bärenfreiheit.  Er  stellt  derselben 
die  Freiheit  der  Nordamerikanischen  Staaten  gegeur 
über,  in  welcher  jede  Kirche,  jede  Secte,^  jeder  Ein- 
zelaA  sich  selbst  überlassen  ist  u.  s.  w.,  das  Staats- 
ieben aber  anch  davon  völlig  unberührt  bleibt.  Durch- 
aus stimmen  wir  hier  aber  demVf«  bei,  wenn  er  die» 
San  Zustand  nicht  für  einen  normalen  und  wünschens- 
werthen  hält,  sondern  fdr  die  erste  EdtwicklMDgsstufe 
der  Verhältnisse  zwisdien  Stoiat  und  Kirche  und  den 
Twschiedenen  Confessionen«  Wohl  uns,  dafs  wir  über 
dieseii  Entwicklungsgrad  fort  sind ! 

Der  Grenzstreit  zwischen  Staat  und  Kirche  soll 
auf  dem  Wege  dea  Rechts  ausgeglichen  werden.  Es 
ist  demnach  das  Entscheidungsprincip  an  die  bean- 
apruchten  und  ^respeetive  zurnckg6wiesenea  t^unkte 
•und  Oerter  anzulegen.    Dieses  Prinoip  ist  nun : 

,^Pie  katholische  Kirche  hat  ein  Recht  frei  zu 

bestehn,  aber  ohne  die  Existenz  und  Freiheit  de- 

rer,  die  nicht  zu  ihr  gehj>ren,  beeinträchtigen  zu 

dürfen,!  weder  die  Freiheit  des  Staats,  noch  die 

Freiheit  der  anders  Gläubigen"  (S.  &8). 

^  Begegnen  sich  die  beiderseitigen  Ansprüche,  so  mufs 

jeder  Theil,  folls  dieselben  identisch  sind,  sich  -an  der 

Gleichheit  des  Rechts  genügen  lassen,  wofern  nicht 

freiwillig  mehr  eingeräumt  wird. 

Demnach  sind  folgende  Forderungen  der  Kirche 
an  den  Staat  zu  beurthcilen: 

V)  Unbeschränkte  Anerkennung  der  Kirchen-Juris- 
diction.  2)  Ungehinderter  -lüintritt  in  den  geistlichen 
Stand  und  ausschliefsliche  Selbstbildung  dessen.  3^  Fe- 
ste Ausstattung  der  Kirche.  4)  Vorzüglicher  Antheil 
an  4er  katfaolischen  Jugendbildung. 

Der  Vf.  erwägt  näher  den  ersten  Punkt  und  be- 
gnügt sich,  h^v  den  andern  die  Grenzen  kurz  anzudeu^ 
ten.    Ueberall  wird  das  Bestehen^^  mit  Anknüpfung 


468 

an  die  Vergangenheit)  erörtert  und  umsichtig  und  vor* 
urtfaeilsfrei  gewürdigt.  *  Das  Placet  —  dessen  Gnmd 
nicht  blofs  Gefahr  und  Notfa  ist,  da  ja  auch  der  Staat 
von  Gott  ist  und  die  Obrigkeit  nach  der  Lehre  der 
Kirche  selbst  ihr  Recht  von  Gott  herleitet  *-  wird 
schlechthin,  ohne  Anerkennung  der  Ausnahmen  bei  ein- 
zelnen Arten  von  Kirchengesetzen,  gerechtfertigt,  da 
der  behauptete  Unterschied  „nur  ein  quid  pro  quo  ist, 
umvAUes  wieder  zu  ha1)en.'^  Die  Einwürfe  ircrdes  ba- 
aeitjgt,  «als  ob  durch  das  Flacet  die  Einheit  iea  ka- 
tholischen Glaubens  und  kirchlichen  Zusammenhanges 
verletzt  werde ,  da  vielmehr  ohne  die  mit  dem  Plscet 
verbundene  formelle  Publica tion  das  Bekanotwerdea 
der  Verordnungen  unsichrer  erfolgte  und  es  um  die 
Einheit  noch  schlimmer  stehen  würde.  Di^  GrcDie 
der  Ausübung  ist  hier,  dafs  es  nicht  ausarte  in  das 
Recht;  einer  eignen  Gesetzgebung  in  geistlicheD  Din- 
gen, nicht  in  Gewissensbedrängung. 

Der  Forderung  eines  unbeschränkten  Verkehrs  mit 
Rom  müfs  entgegen  getreten  werden,  insofern,  derselbe 
benutzt  werden  kann,  um  eine  dein  Staat  feiadliche 
Macht  zu  organisiren.  Der  Verf.  fordert  deshalb  0fr 
fenbeit,  „mit  Ausnahme  der  Beichtstuhlsachen,  ruck- 
sichtlich  deren  auch  noch  niemals  eine  Beschränkvog 
einzufuhren  versucht  worden  ist/*  Der  Ansdrack) 
p, Beichtstuhlaachen"  ist  zu  unbestimmt.  Nur  solche  Ge- 
suche^ deren  Gegenstand  Gewissensangelegenheiteii  und 
an  die  Poenitentiaria  Romana  gerichtet  werden,  dörfefi 
in  Preufsen  unmittelbar  der  päpstlichen  Behörde  2Qge- 
fertigt  werden  und  die  von  dort  ergehenden  Resolutio* 
nen  werden  der  Staatsbehörde  nipht  vorgelegt.  Asch 
verdiente  bemerkt  zu  werden,  dafs  die  in  der  franzS- 
sischen  Ordonan^e  vom  8.  März  1772  statuirte  Aus- 
nahme rucksichtlich  der  Entscheidungen,  welche  sich 
auf  das  forum  internum  beziehen  und  der  Dispensatio- 
netk  in  Ehesachen,  in  den  organischen  Artikeln  nicht 
mehr  erwähnt  ist  .und  das  Verhältnifs  deshalb  ein  im- 
bedingtes geworden. 

Gegen  das  Verlangen  der  freien  "Zulassung  pSpst- 
lieber  Legaten  werden  die  Umtriebe  derselben  im  vori- 
gen Jahrhunderte  geltend  .gemacht.    . 

Was  die  Vollziehung  aller  kirchlichen  Anordnun- 
gen betrifft,  statuirt  der  Verf.  folgende  Beschränkun- 
gen: 1)  die  vollziehende  Gewalt  des  Kirchetaregimenti 
kann  ihre  Wirksamkeit  nur  änfsem  nnter  den  Glänki- 
gen,  nicht  auch  gegen  Andersgläubige.    2)  Die  Voll- 


.< 


m 


xmtehen  Staate*  und  Kirehengewali, 


470 


siehmig  kirohjicher  Anordnungeii  kann  nnr  kircbliche 
WirkungeD' babeQ  und  dem  Staate  keine  Verbindlich« 
.  keit  auferlegen^  sie  in  «einer  Sphäre' ebenfalls  anzuer- 
kennen und  aufrecht  zn  erkalten.  3)  Die  Kirche  kann 
ihre  VoUxiehnngflgewalt  nur  in  solchen  Angelegenhei- 
ten und  nach  solchen  Anordnungen  ausüben,  dje  dein 
geistlichen  Femm  wirklich  angehören.  Endlich  4)  ist 
keine  Staatsgewalt  im  Stande^  eine  absolute  Ungerech- 
tigkeit «1  dulden^  m  welchem  Kreise  sie  auch  began- 
gen werden  «nag.       . 

Wird  Ton  der  Kirche^  dagegen.'  gehandelt,  so  er- 
folgt die  Berufung  auf  den  Scliutz  des  Staats  (appels 
comme  d'abus),  aber  dessen  Urlsprung  und  Ausführung 
das  Erforderliche  mitgetheilt  wird.. 

Speciellere'  Berücksichtigung  finden  noch  die  ge- 
nusdit^  Ehen  und  die  Gerichtsbarkeit  in  der  Kirche. 
Was  über  jene  auseinandergesetzt  ist,  darf  hier  um  so 
weniger  noch  einer  besondern  Kritik  unterworfen  wer- 
den/als  Referent^  in  der  Beurtheilung  der  Schrift  des 
Hrn.  T.  Anunon  in  den  Jahrbüchern,  im  Wesentlichen 
cn  gleichen  Resultaten  gelangt  ist  und  mit  dem  Verf» 
Ton  dem  guten  Rechte  des  preufsischen  Gouvernements 
in  (Reicher  Weise  überzeugt  ist.  Insbesondere  findet 
er  es  ToUkommen  gerechtfertigt,  wenn  der  Vf.  äufsert 
^,die  .katholische  Kirche  würde  ihrem  System  nach 
ganz  in  ihrem  Rechte  sein,  wenn  sie  gemischte  Ehen 
soblechterdings  untersagte,  keine  derselben  anerkennen, 
wollte.  Inconsequent  mufs  es  dagegen  dem  aufser  ihr 
Bteheaden  erscheinen,  dafasie  diese  Ehen,  trotz  dem 
sie  filr  sündlich  erklärt  werden,  dennoch  wissentlich 
tolerirt,  zu  etniBr  Sünde .  Geneiunigung  erthei'lt  oder 
schweigt.  Nur  die  Fiotion  der  päpstlichen  Mächtvoll- 
kommenheit  vermag  hier  durchzniielfen.'' 

Einen  Nebeppunkt  der  gegcuwärtigen  Forderungen 
bildet  die  Gerichtsbarkeit  in  der  Kirche  oder  die  Frage 
Ton  der  Selbstgeriohtsbarkett  der  Kirche  und  .von  der 
Gerichtsbarkeit  der  Staatsgewalt  über  kircbliche  Sa- 
chen und  Personen.  Der  Vf.  weist  daher  den  Umfang 
der  kirchlichen  Befugnisse  zur  Zeit  der  grdfsten  Aus- 
dehnung nach  und  stellt  dann  die  gegenwärtig  gelten- 
den, auf  der  neueren  Staatspraxis  beruhenden  Grund- 
sätze gegenüber.  Hiernach  crgiebt'sich :  I)  Alle  öiTent- 
lichen  und  bürgerlichen  RechtsTcrhältnisse  werden  nur 
darch  die  Staatsgesetze  regniirt  und  von  den  dafür  an- 
geordneten StaatshehSrdeti  beurtheilt.  Folglich  mufs 
auch  die  Geistlichkeit  alller  Confessionen  der  Strafge- 


waltr  des  Staats  unterworfen  sein  and  in  allen  bnrg^p-' 
liehen  Rechtsangelegenh^iten  die  Gesetze  und  ^as  Ur- 
'  theil  des  Staats  anerkennen.  2)  Die.  Kirche  hat  .über- 
haupt keine  eigentliche  Criminalgerichtsbarkeit.  Da- 
gegen sind,  3)  der  Kirche  und  den  darin  angeordneten 
Behörden  alle  Rechte  zugestanden,  deren  sie  für  ihren 
Zweck,  Erreichung  des  Seelenheils  ibreir  Angehdrigen 
nach,  ihren  Lehren  bedarf.  Dahin  gehört,  aufser  der 
Entwicklung  der  Glaubenslehre,  Anwendung  des  Cultus 
und  Anstellung  von  Kirchenbeamten,  die  Aufreehthal- 
tung  der  Disciplin  oder  die  Ejrchenzucht,  und  dieEät- 
Scheidung  in  rein  geistlichen  Sachen  d.  b.  über  das 
Verhältnifs  des  Einzelnen  zur,  Kirche  nach  ihren  Dog- 
men und  darauf'  gegründeten  Verfassungen.    - 

Hierin  liegt  im  Wesentlichen^  der  ursprüngliche  und 
naturgemäfse  Zustand  der  Kirche.  Dafs  die  dabei  ge-. 
zogenen  Grenzeui  hinsichtlich  der  Gröfse  der  Geldbu- 
fsen  u.  8.  w«,  beobachtet  werden,  macht  die  Aufsicht 
des  Staats  nothwendig.  Der  Verf.  entwickelt  dies  ge- 
nauer, mit  Berücksichtignng  der  bestehefaden  preufsi- 
schen Legislation,  und  folgert  daraus,  dafs  dieHierar- 
4sh!e,  zumal  in  der  Rheinprovinz,  keine  erhebliche  Ein- 
bttfse  geFitten,  sondern  tielmehr  an  Intensität  gewon- 
nen habe.  Auch  in  der  Ausführung  dieses  Gegenstan- 
des sind  wir  gedrungen  die  Umsicht  und  Unparteilich- 
keit des  Vfs.  schlechthin  anzuerkennen,  und  nur  in  Be- 
ziehung auf  Eine  Aeufsernng  würden  wir  dem  Vf.  bei- 
zutreten Anstand  nehmen,  doch  würde  dies  fast  mehr 
den  Ausdrudk,  als  die  Sache  selbst  betreffen.  Er  äu- 
fsert nämlich  S.  137: 

„Zwar  ist  nicht  zn  behaupten,  dafs  die  Kirchen- 
beamten der  einzelnen  Rcligionsparteien  an  sich  Staats- 
diener seien;  Jedoch  sind  ihnen  zumTheil)  wenn  auch 
nur  in  unweseotlichen  Dingen^  gewisse  öffentliche  Func- 
tionen übertragen,  jedenfalls  sind  sie  öffentliche  Cor- 
porationsbeamte,  die  einen  bedeutenden  Einflufs  auf  die 
Moralität  diss  Staats  haben.  Sofern  also  diese  durch 
einzelne  Mitglieder  eines  Clerus  gefährdet  wird  .... 
so  mufs  auch  der  Staatsgewalt  ein  Einschreiten  zu- 
stehen, obwohl  sie  es  mit  Schonung  und  nur  als  ein 
subsidiarisches  Recht  ausüben  mag,  wenn  nämlich  nicht- 
schon  die  kirchlichen  Obern  gegen  dergleichen  Indivi-^ 
.  duen  mit  gebührendeif  Strenge  verfahren  wollen.^' 

Es  handelt  sich  hier  nämlich  um  den  Ausdruck 
StaaUdiefUr^  und  ob  den  Geistlichen  dieses  Prädikat 
l>eizulegen  .sei.    Das  Wort  selbst  entspricht;  ganz  dem 


47i  LaeAmanny  phUologitehe  'Ab/umdlungen  v9n  Clement  Aug.  Cart  Klenxe. 


472 


J^ateiniscben :  miaisterhim ,  uiiDisterialis,  uod  bezielit 
sich  darauf  9  dafs  dem  Staate  in  gewissem  Umfange 
von  seinen  Beamteten  nach  den^  mit  dem  Amte  Ter- 
bundenen  Fonetionen  Dienste  zu  leisten  sind.  -Der- 
Regent  selbst  bat  die  summa  ministerii,  die  Untergeb- 
nen verwalten  Tbeile  desselben,  wie  Carl  der  Grofse 
schon  darüber  treffend  äufsert  ,,ut  quisquis  in  suo 
loöo  i^t  ordine  partem  nostri  ministerii  habere  cogno- 
Bcatnr''  (Capitut.  Jib.  II.  «•  3  seq.).  In  diese  Katego- 
rie  fallen. dann  die  miuisteriales  rcipublicae,  eoolesiae 
und  palatii  um  des  Zusammenhanges  dieser  Tbeile  des 
Staats  selbst  :willcn.  Ein  ähnliches  Verbältuifs  ist  auch 
ffir  die  späteren  Zeiten  zu  behaupten  und  nachzqwei- 

«        *  

sen,  und  bekannt  ist  ja  diese  Auffassnflg  von  Seiten 
Friedricfa's  des  Grofsen«  welche  in  den  Entwurf  eines  all- 
gemeinen  Gesetzbuchs  u.  s.  w.  übergegangen.  Wir 
müssen  daher  behauptien,  dafs  die  Geistlichen  nach 
preufsischem  Rechte  Staatsdiencr  seien  und  wollen 
dies  in  besondrer  Beziehung  auf  den  vom  Yf.  berühr- 
ten Gegenstand  hier  jiürzlich  weiter  ausfuhren. 

Bereits  das  Circular  d.  d.  Berlin  den  12.  Januar 
1771  (Mylius  Corp.  Const.  M.  T.  V.  P.I.  nr.l.),  wel- 
ehes  allen  Regiernngen  undJustizcollegiis  das  Verhalten 
vorschreibt,  wenn  wider  in  öffentlichen,  so  geistlichen, 
als  weltlichen  Aemtern  stehende  Personen  eine  Unter- 
subhung  verAnlafst  wird,  betrachtet  die  Geistlichen  als 
öffentliche  oder  .Staatsbeamte.  Da  später  über  die  In- 
terpretation des  Ausdrucks  Zweifel  entstanden,  erklärte 
das  Rescript  des.  Justiz -Ministerii  an  das  Kammerge« 
riebt,  wegen  .Bestrafung  der  Geistlichen  und  Schul  be- 
dienten, d.  d.  Berlin  den  26.  April  1802  (Mjlius  NC€. 
T.  XL  S.  873  nr.  26.  s.  J.  1802.) 

,,Zti  den  öffentlichen  Beamten  -gehören  alle  Geist- 
lichen und  Schulbcdicnten,  sie  mögen  unter  König- 
liöhem,  oder  and^rm  Patronate  oder  Gerichtsbarkeit 
stehen." 

Entscheidend  sind  aber  auch  .  die  Bestimmungen 
des  allgem.  .Landrechts  selbst,  welches  Tbeil  II.  Tit. 
IX.  §.  1.  die  Staatsdiener  in  Militär-  und  Civir-Bediente 
eintheilt  und  zu  den  letztern  alle  nicht  im  Militär- 
dienste airgestellten  Beamten  rechnet  (a.  a.  Ö.  §.  6$). 

(Der  Beschlufs  folgt.) 


XXIX. 

PhUologUehe  Abhatidlungen  von  -ClemenM  Aug. 
Carl  Klenxe  herausgegeben  von  Karl  Lach* 
mann*  Mit  drei  Ütetndruektafeln.  'Berlin^  1839. 
ßfieoiaueAe  Buchhandlung.    196  S.    gr.  8. 

Der  selige  Kiente  ging  damit  um,  eiAe  {SammluBe  ftömisdi* 
antiquariflcher  Aufsätze   herauszu^ebeo,  ond  hinterliets   bei  Nh 
nem  schmerzlich  raschen  Ende  dies  Vermflchtnifs  seioem  Frean- 
de  Herrn  Professor  bachmann.     Der  Verstorbene  würde  wib^  ' 
scheinlich     noch   einen    und    den   andern  Aufsatz'  hinzugefügt, 
und     ge^ifs    den    ein\sn    nicht    ganz    zum    Schlufs    getvhrten 
unte^    den    hier    mitgetheilten    vollendet     haben;    aber    w«r 
dürfte  von  dem  Herausgeber  fordern,  was  der  Verfasser  nur  in 
Geiste   mit  sich   herumtrug!     Das  gelehrte  Fublicam  wird  mit 
Dank  die  Gabe  so  nehmen,   wie  sie  ihm  geboten  wrrdeli  konn- 
te.    Das- Händchen  enthält  also  sechs  Aufsätze,'  von  denen  die 
beideii    letzten    als  Recensionen   in   litterarischen  Zeitschriftei, 
über  KeiflTs  Kömische  Bürgerkriege  und  Dr.  Wilh    Rein's  Römi- 
sches Frivatrecht,  erschienen   sind.   Hesonders  die  erslere  wird 
aber  ihres  allgemeineren   Interesses  wegen  noch  einmabl  gen 
gelesen   werden.    Eine   ausführliche  Kritik   <^8   seligen  Klenz« 
über    das    seltsame   Buch  von   Fr.  Schulz,   Grundlegung  einer 
Rom.    Staats  Wissenschaft,    erschien    selbständig,    ist  also  wobl 
deshalb    von    dieser    8ammlang    ausgeschlossen    worden.     Von 
den   vier  anderii  Abhandlungen  ist  die  erste   nicht  unerhebliche 
über  das  Komische  Gesetz  auf  der   fc)rztafei  von  Banüa  eben- 
falls schon  gedruckt  erschienen,  im  zu  eiten  Jahrgang  des  Rhei- 
nischen .Museums  für  Philologie  u.  s.  f.   1828.    Drei,  und  zwar 
die  ausführlichsten,  sind  neu,  Ober,  das  Oskische  Gesetz  auf  der 
Kehrseite  jener    Erztafel,  über   die  altitalischen    Volksstämme 
mit   besonderer   Rücksicht  auf  die  Üeberreste  ihrer  Sprachen, 
und  über  die  Anlage  des  Römischen  Lagers  in  Verbindung  mit 
den  Grundsätzen  der  Ackerlimitation,   wie  sie  Tornehmlich  ans 
den  Handbüchern    d€r    Röniisclien  Feldmesser   (Gromatici;  zu 
entiiehmen  sind.     Die  Gegenstände  sind   von  Interesse,  die  Be- 
handlung gründlich,  wissenschaftlich  gehalten  und  meistens  übe^ 
zeugend  vom  Sichern  zum  Ungewissen  und  blofs  Wrmuthlichen 
fortschreitend.     Wir  hätten   gewünscht,  dafs    die    Oskiscbe   In- 
schrift, auf  welche  so  viel  Bezug  genommen  wird,   i»  ^  Märini, 
der  vielen  Lesern  nicht  leicht  zur  Hand  sein   wird,  vüllständi* 
mitgelheiit   wäre.     Ref.  hegt   dabei  die   Vermuthung,  dafs  die 
Magistraturen,  welche  Kleuze  in  der  städtischen  Gemeiode  von 
Baiitia  findet,  Cunsul  (meddis )  Praetor,    Censtur,    Q  TQuaestor;, 
Ja  auch  Trib.  pl.,  auf  den  Römischen  Staat  bezUgiich  sind,  und 
dafs    das    Gesetz   überhaupt  nicht  ein  städtisches    von  Bantia, 
sondern    die    Oskische    Uebertragung  einer  Römischen  Lex  ist« 
Bei  der  Untersuchung  über  die  Römische  Lagerung  hat  Kleofe 
mit  Recht  auf  die   Verschiedenheit  der  Lagerform   eines  einfa- 
chen   und   eines   doppelten    Consularischen  Heeres    aufmerksain 
gemacht.    Der  Lagerplan,  der  aus  Lipsius  Militja  Rom.  bekannt 
genug  ist,  darf  nur  für  die  eine  Hälfte  eines   Doppeliagers  ge- 
halten werdeu;  im  einfachen  Lager,   welches  Klenze   vieüeicht 
nicht  ganz  richtig   als    das  extraordiuäre  bezeichnet  (indem  er 
Polyb.   VI.  32,    8   als  Gegensatz  des  vorhergegangene!!  atl  ein 
iyioT€  ergänzt,  statt  der  W  iederholung  desselben  Begriffs),  steht 
das  Praetorium    und   das  Quaestorium    iif   der  Mitte   der  zuei 
Legionen,  die  das  einfache  Heer  ausmachen  ;  wahrscheinlich  \v^ 
di^  Via  quintana   den  Hauptweg  schneidet,   der  von  der  Porta 
praetoria   zur   decumana    führt.     Doch   geht    diese  Abhandlung 
über  die  Römischie  Lagerung  in  ein  geometrisches  und  arithme* 
tfsches  Detail  ein,    welches    hier  aq  >  besprechen  der.  Ort  «ichl 
ist,  vom  Verfasser  aber  durch  zwei  Steintafeln  erläutert  wird, 
Die' Ausstattung  des  gelehrten  Nachlasses  unsehi  versterbe 
nen  Mitarbeiters  ist  so  geschmackvoll,  dafs  wir  mit  Vergnügen 
die  waltende  Hand  auch  des  befreundeten  Verlegers  anerkenoen 

C.  Z. 


/     ♦ 


^  60.  , 

Jahr  bfi  ch  e  r 

.für 

wis  sensc  haftliche 


Kritik 


September  1839* 


Der  gegenwärtige  Grenxslreit  ztciichen  Staatt' 
und  Kirchengewalt  aus  dem  staatsktrchenrecht-' 
liehen  und  legislativen  Gesichtspunkt  erörtert 
ron  einem  norddeutschen  Publicisten^ 

(Schlofg.) 

Genauer  sondert  die  allgemeine  Gerichtsordnung 
TbeU  I.  Tit.  II.  4.  43. :  Geistliche,  Militär-  und  Civil- 
Beamte,  woraus  man  iadessen  nicht  etwa  folgern  dürf- 
te>-  dafs  die  Geistlichen  nicht  auch  Staatsbeamte  seien, 
denn  diese  genauere  Sonderung  bezieht  sich  nur  auf 
den  Stand  der  Personen.  AustTrücklich  werden  die 
Geistlichen  auch  im  Allg.  Landreoht  Theil  II.  Tit.  XL 
§•  19.  n.  §.  96.  als  Beamte  des  Staats  bezeichnet« 

DasLandrecbt  unterscheidet  die Civil-Bedienten  in 
mittelbare  nnd  umnittelbare  *  (Tb.  H.  Tit..^  4.  69.).. 
Jene  stellen  im  Dienste  gewisser  dem  Staate  unterge-' 
ordncter  Collegien,  Corporationen  und  Gemeinden.  Hier* 
nach  würde  es  scheinen,  als  ob  die  Geistlichen  mittel- 
bare €ivildieiier  seien:  dem  ist  jedoch  nicht  so  schlecht- 
hin, denn  die  Verordnung,  betreffend  die  Befreiung  der 
anmittelbaren  Staatsdiener  rem  Abfahrtsgelde,  d.  d. 
Berlin  den  8.  September  1801  (Mjlius  NCC.  T.  XL 
J.  1804.  nr.  44.  v.  Kamptz  Annalcn  1830  S.  181  u  a.) 
rechnet  im  4*  I^  zu  denselben: 

diejenigen  Geistlichen  und  Schullehrer,  welche  aus 

Königlichen  Fonds  salarirt,  oder  auch,  ohne  ein 

solches  Salarium  zu  geniefsen,  ron  den  Staats- 

Behörden   selbst  zu  Seelsorgern,   oder  zur   Yer- 

waltnng  eines   SchuUmtes  berufen   oder  bestellt 

werden. 

Mittelbare  Staatsdiener,  wefche  jenes  Privilegium  der 

Freiheit  .Tom  Abfahrtsgelde  nicht  geniefsen  sotten,  sind 

nach  %,  13.  des  cit.  Gesetzes: 

alle  anderen  in  Diensten  der  dem 'Staate  utit  erge- 
ordneten Collegiefi,    Corporationen  und  Gemein- 
den stehenden  Officianten,  insbesondere  die  Mit- 
Jahrh.  /.  wUitnich.  Kritik.  J.  1839.  \  II.  Bd. 


glieder,  Vorsteher  und  Officianten  der  hohen  und 
niedern  Stifter,  Kirchen -Vorsteher  u.  a. 
In  Beziehung  auf  Delicto  ist  es  aber  völlig  gleich- 
giltig,  ob  jemand  unmittelbar  oder  mittelbar  im  Staats-  .. 
dienste  befindlich  ist:  denn  jedem  Zweifel  begegnet 
die  Allerhöchste  Cabinets  -  Ordre  vom  24sten  Dojpem- 
her  1837  (Gesetzsammlung  für  1838  S.  9),^  nach  wel- 
cher diß  Vorschriften  des  Allg.  La^drechts  über  die 
Verbrechen  der  Diener  des  StaaU  Tbeil  IL  Tit.  XX. 
§.  366.  504.  auch  auf  die  mittelbaren  Staatsbeamten 
anwendbar  sind.  Wegen  der  ff.  499  ~  5Q4  L  c.  fal- 
len demnach  auch  Kirchen-  und  Schulbedicnte  unter 
dieses  Gesetz. 

Hiernach  dürfte  die   Coinpetenz  der  Staatsbehör-   ' 
den  auch  bei  den  neuerdings  vorgekommenen  Fällen 
wohl  keinem  gegründeten  Zweifel  unterliegen,  und  dies 
um  so  weniger,   als  alle'  Staatsdiener  nach  dem  Allg. 
Landrecht  Tb.  IL  Tit.  X.  f.  2. 

aufser  den  allgemeinen  Untertbanenpflichten,  dem 
Oberhaupte  des  Staats  besondere  Treue  und  .Ge- 
horsam schuldig,  und  dem-  Staate  noch  zu  beson- 
,derm  Dienste  durch  Eid  und  Pflicht  zugethan  sind* 
Der  dem  Staate"  zu  leistende  Eid  wird  aber  vor  dem 
für  den  Papst  und  die  Kirche  erfolgenden  abgenom- 
men   und  überdies    enthält  der  letztere  die   Clausel, 
dafs  darin  nichts  vorhanden,  wa^  mit  den  Untertbanen- 
pflichten unvereinbar  ist.  ' 

Wir  Jionnten  nidit  umbin,  diesen  Gegenstand  zu 
erörtern^,  da  in  den  neusten  Flugschriften  ohne  Be- 
weis das  Gegentheil  von  dem  hier  Ausgeführten  ent- 
halten zu  sein  pflegt« 

Der  Verfasser  endet  seine  Abhandlung  mit  einem 
Epiloge,  in  welchem  er  einige  Blicke  auf  die  neueste  - ' 
römische  Staatsschrift  und  die  von  Seiten  des  Staats 
zu  erwartenden  Gesetze,  als  Resultate  der.Berathun- 
gen  des  Staatsraths,  wijrft.  Dabei  gedenkt  er  auch 
der  evangelischen  Kirche  und  fordert  mit  Recht,  Vafs 

.60    : 


475 


OerAardj  griechische  Vaeenbilder  und  Eiruikisehe  Spiegel. 


476 


map  sich  ,  des  christlichen  Ehestandes  in  derselbep 
mehr  anneliuie.  ,^Wird  man  erst  bierin  wieder  stren- 
ger geworden  sein,  von  Seiten  des  Staats  und  der 
evangelischen  Kirchenverwaltung^  so  werden  auch  ge- 
mischte Ehen  bei  weitem  nicht  mehr  so  viel  Bedenken 
erregen^  als  gegenwärtig  der  Fall  ist.'* 

H.  F.  Jacobson« 


XXX. 

Auterlesene  griechische  Vasenhilder^   hauptsäehlieh 

'   Etruskischen  Fundortes^  herausgegeben  von  Ed. 

Gerhard^  Archäologen  des  Königlichen  Museums 

XU  Berlin.    Erstes  Heß.     Tafel  I—  VI.     Zwei^ 

tes  Heft.     Tafel  VII—  XII.    Berlin,   X839.  bei 

O.  Reimer:  * 

Etruskische  Spiegel,  herausgegeben  von  Demselben. 

Erstes  Heß.    Tafel  /—  X.    Zweites  Heß.     Ta- 

fei  XI— XIV,  XVII— XXII.  Ebendaselbst  bei 

« 

Demselben^ 

Unter  iden  EDtdeckungeo,  welche  im  Laufe  dlesea  Decenni- 
um^  das  Ciebiet  der  antiken  Kunstweit  bereichert  und  im  ▼oll- 
sten Sinne  des  'MTortes  nach  allen  Richtungen  hin  erweitert  ha- 
ben, haben  wenige  die  Aufmerksamkeit  des  Alterthumsforschersy 
wie  des  gebildeten  Publicums  äberhaupt,  so  sehr  gefesselt  wie  diie 
Ausbeute  der.  in  den  Maremmen  Etruriens  angestellten  Nach- 
grabungen.   Der  wunderbare  Contrast,  welchen  Charakter  und 

vBedeutung  der  dort  gefundenen  Monumente  mit  den  geschicht- 
lich bekannten  Verhältnissen  der  Fundorte  bildete,  die  auifal- 

.  lende  Erscheinung ,  aus    authentisch  Etruskischen   Grabstätten 

'  viele  Tausende  Hellenisch  gestalteter  und  gedachter  Denkm&Ier 
hervorgehen  zu  sehen,  die  inhaltsreichen  Fragen  nach  dem  anti- 
ken Völkerverkehr,  di^rch  welchen  noran  sich  eben  Jene  Erschei- 
nungen zn  erklären  habe:  dies  und  das  hohe  künstlerische»  wie 
antiquarische,  Interesse,  welches  eine  so  überraschende  Zahl  von 
Monumenten  Hellenischer  Art  und  Kunst  darbot,  mufste  noth- 
wendig  mehr  als  Jemals  zu  den  allseitigsten  Forschungen  anre- 
gen. Dazu  geseifte  sich  d.er  glückliche  Umstand,  dafs  die  Re- 
sultate Jener  reichen  Funde  nicht,  wie  wohl  froher,  bald  zer- 
streut und  somit  den  Augen  der  Kundigen  entzogen  wurden. 
Schnell  und  umsichtig  sammelte  ein  Kreis  von  in  Rom  leben- 

'  den  Forschern  und  Freunden  des  Alteilhums  Jede  Kunde  von 
Monumenten,  welche  aus  den  Friedhöfen  Etruriens  hervorgin- 
gen; die  Grtinder  und  Förderer  des  arcbäologischen  Institutes, 
beseelt  von .  dem  Gedanken,  Jede  neue  Erscheiiiung  des  Alter- 
thums  der  gebildeten  Welt  zuganglich  zu  machen ,  erwarben 
sieh  das  unvergängliche  Verdienst,  d^r  Wissenschaft  ein  ebenso 
umfangreiches  als  sicheres  Material  für  immer  gerettet  zu  ha- 
ben; viele  Hunderte  der  ausgezeichnetsten  Monumente  von  Tar- 
quinit  und  Vulci  wurden  auf  Veranlassung  der  KönigL  Akademie* 

zu  JSerlia  unter  Gerhards  Augen  gezeichnet  und  somit  der  For* 


schung  bewahrt.  Durch  alle  diese  und  Shnlidie  Bestrebung^ii 
welche  wesentlich  zu  einer  Gesammt übersieht  der  Monumente 
geführt,  cfrhielt  die  archäologische  Forschung  eine  hinläsgUcb 
feste  Basis,  um  in  der  ungemein  grofsen  Fülle  und  Mannichfa^ 
tigkeit  der  gefundenen  Denkmaler  das  durch  Abkunft,  Techaikf 
Styl  und  Gedanke  Sinnverwandte  und  Gleichartige  deutUiher 
als  bisher  zu  sondern  und  ihm  in  Nder  Entwickelung  der  antikäi 
Kunst  seinen  Platz  anzuweisen.  Schärfer  uls  bisher  stellte  sidi 
Etruskische  und  Hellenische  Eigenthümlichkeit  heraus  ;.scbirfier 
Bie  Uebergänge  der  einen  in  die  andere ;  schärfer  auch  die  U» 
terschiede  des  Sinnverwandten  nach  Zeit,  Herkunft,  Abäicht  und 
Vermögen  .der  Künstler.  Auf  diese  ^Wei8e  gewannen  ganze 
Klassen  von  Monumenten,  welche  bisher  in  Vergleich  mit  Wer- 
ken edlerer  Kunstgattungen  mehr  oder  weniger  fa&t  nur  ab 
ein  schätzbarer  Beitrag  zur  Alterthumskunde  gegolten,  eine  hö- 
here Bedeutsamkeit;  sie  erschienen  nunmehr  in  ihrem  innigen 
Zusammenhange  mit  der  Gesammtent wickehing  antiker  Nationa- 
lität und  Kunstübung  überhaupt  und  die  natürliche  Folge  hie- 
ven war  eine  immer  bestimmtere  Gliederung  der  Kunstgattnn- 
gen,  eine  immer  mehr  gesteigerte  Sicherheit  in  der  Be^rtheilanf 
und  Behandlung  des  Einzelnen. 

Hiedurch  aber  wurde  dem  kundigen  Forscher  sowohl  in  Be- 
ziehung auf  die  Wissenschaft  als  auch  in  Hinsicht^  der  Ansprä- 
che, welche  das  i'ublicum  an  dieselbe  zu  machen  hat,  selbst 
für  scheinbar  untergeordnete  Klassen  von  Monumenten  eine 
bedeutend  höhere  Aufgabe  als  früher  gestellt.  Sonst,  als  die 
Quellen  für  die  Kenntnifs  der  antiken  Kunstwelt  noch  nicht  n 
reichlich  wie  jetzt  strömten,  und  wo  es  wesentlich  darauf  an- 
kam, das  jedes  Mal  Gefundene  den  Uau^ächem  der  Wisien- 
schaft  einzuverleiben,  genügt  esi  theila  einzelne  Denkmäler», 
theils  Massen  von  Monumenten,  waren  sie"  auch  in  Bezug  auf 
Gattung,'  Styl  und  Gegenstand  ziemlich  ungleicfier  Natur,  den 
Publicum  zu  überliefern,  und  Werke  dieser  Art  werden  m  der 
That  stets  höchst  schätzbar  und  nothwendig  bleiben,  sobald  es 
einzig  und  allein  darauf  abgesehen  istf  der  Wissenschaft  ihres 
wöhlgesicherten  Stoff  zuzuführen.  Allein  Publicationen  solcher 
Art  haben  nicht  nur  für  den  Gebildeten  überhaupt,  senden 
selbst  für  den  Fachgelehrten  mehr  als  einen  schwerlich  zu  he* 
benden  Uebelstand;  Jenen  fesseln  sie  selten,  sobald  sie  ihm  nicht 
Crestalten  von  hoher  Schönheit  bieten;  diesem  bleiben  sie  we- 
gen ihrer  Kostbarkeit  häufig  unzugänglich ;  beiden  aber  können 
sie  nur  einzelne  Erscheinungen,  nicht  allgemeine  und  allseitigi 
Uebersichten,  Gesetze  und  Eigenthümlichkeiten  einer  ganxen 
Kunstgattung  und  einer  in  dieser  Kunstgattung  vornehmlich  Wr 
gesprochenen  Idee  vorführen,  und  doch  springt  es  in  dieAugeif 
dafs,  je  unermefslicher  und  unübersehbarer  heut  zu  Tage  die 
Zahl  der  Denkmäler  jeder  Kunstgattung  geworden,  um  so  wiin* 
schenswerther  eine  blofse  Behandlung  derselben  sein  miissei  die 
an  einer  verbal tnilsmälsig  geringen  und  mithin  dem  Foblicun 
leicht  zuzuführenden  Auswahl  von ,  Monumenten  die  Entwidie- 
lung  und  den  Charakter  ganzer  Kunstgattungen  so  enthiltei 
dafs  einerseits  die  technischen  und  stylistischen  Kennzeichen 
der  einzelnen  Entwickelungsstufen,  andrerseits  die  mannicbfal- 
tige,  eben  durch  den  allgemeinen  Charakter   der  Kunstgatlnnf 


477 


Oerhardy  grieeAisoAe  VasenUfder  wid  EtruskiseAe  Spiegel. 


•478 


vnd  dareil  Fortschritte  bedingte  AufTassung  des  Gegenständig 
dien  im  hellsten  Lichte  erscheine.  ^  Durch  eine  solche  Behahd- 
langsweiee  wird  nicht  nur  die  Ausbeute  einer  greisen  Anzahl 
einzelner  fintdeckungen  und  Forschungen  im  möglichst  klein- 
aten  Raome  dargelegt  und  mithin  die  Verbreitung  des  Studiums 
«agemein   gefordert,    sondern  es   entspringt   auch  daraus   der 

.  gröiste  Vortheil  'fOr  dfe  Wissenschaft  selbst.  Mufs  doch  in 
^Werken  dieser  Art  die  Forschung  fast  jedes  Mai  alle  Uaupt- 
momente  der  antiken  Kunstentwickelung  überhaupt,  -wie  diese 
aich  in  der  besonderen  Gattung  ausgesprochen,  durchlaufen; 
lind  da  sie  dies  wiederum  in  steter  Beziehung  auf  den  in  einer 
Reihe  der  nach  Zeitalter  und  Styl  geschiedenen  Kunstwerke 
aich  abspiegelnden  Gedanken  zu  thun  hat,  so  leuchtet  ein,  wie 
liier  Kenn tnits  der  Monumente,  Kunstgeschichte,  Mythologie  und 
Alterthiimer  ohne  Unterlaß  sich  gegenseitig  die  Hand  bieten,, 
durclui ringen,  berichtigen  und  fördern,  wodurch  nalUrlich  immer 
festere  Grundlagen  für  jede  dieser  einzelnen  Oisciplinen- gelegt, 
ein  immer  tieferer  Einblick  in  die  innige  Wechselwirkung  zwi- 
sehen  antikem  Leben,  Glauben  und  Bilden  gewonnen,  und  mit- 
liin  die  Wissenschaft  selbst  der  Lösung  ihrer  höhern  und  höch- 
sten Aufgaben  'entgegengeführt  werden  .mufs. 

Eine  solche,  durch  den  gegenwärtigen  Standpunkt  der  Ar- 
ch&ologie  fast  gebieterisch  geforderte  Behandlungsweise  antiker 
Denkfiiüler  erscheint  in  den  beiden  Werken,  deren  erste  Liefe* 
rung  uns  rorliegt.  Das  erstere  ist  bestimmt,  dem  Publikum 
•ine  auserlesene,  durch  Styl  und  Gegenstand^  gleich  bedingte 
Auswahl  Ton  Vasenbildern  Torznfiihren;  das  andere  wird  eine 
Reihe  der  interessantesten  Metallspiegel  der  Etrusker  enthalten. 

.  Beide  Wei-ke,  gleich  ausgezeichnet  in  Beziehung  auf  die  Wahl 
der  Monnmente,  wie  in  Hinsicht  des  Unifanges  und  der  Form 
fler  ErlSuterungen,  müssen  dem  Freunde  antiker  Kunst  und 
dem  Alterthumsforscher  insbesondere  ein  erwünschtes  Ge- 
schenk sein.  Wie  das  eine  uns  die  bedeutsamsten  Gedanken 
des  Hellenischen  Mythus,  dargestellt  auf  den  rerschiedensten 
Stufen  Hellenischer  Kuns/Lentwickelung,  zeigt,  so  führt  uns  das 
andere  in  die  vom  Einflüsse'  Hellen^cher  Religion  und  Kunst 
mannichfach  bedingt^  und  dennoch  ihre.Bigenthümlichkeit  nicht 
Terleugneade  Gedankenwelt  altitalischer  Völker  ein;  Helleni- 
sches und  Etnlskisches  erscheint  hier  auf  den  mannichfaltigsten 
Stofen^  der  Entwickelung,  aber  diese  Mannichfaltigkeit  sondert 
sich  nach  Gedanke,  Styl  und  Form  in,  leicht  iibe>schauliche 
Blassen,  und  die  Anordnung,  wie  die  Erklärung  des  Einzelnen, 
ruht  auf  dem  festen  (gründe  einer  tiefen  und  allseitigen  Kennt- 
sils   antiker  Denkmäler,    wie  sie   aufser  dem  Verfasser  wohl 

-  nur  wenige  aufzuweisen  haben  möchten.  Ueberall  fügt  sich 
die  Erscheinung  der  Idee;  daher  erscheint  als  einendes  Priircip 
mid  Basis  der  Cyklus  der  Darstellungen  des  Mythus ;  unter  ihm 
g:liedera  sich  die  einzelnen  Gebilde  nach  Zeitalter  und  Styl» 
Und  so  liegt  in  leicht  zu  umfassender  Reihe  Tor  uns,  wie  sich 
ein  nnd  4erselbe  Gedanke  in  verschif  denen  Zeiten  auf  verschie- 
dener kunsthöhe  verschieden  ausgeprägt,  wie  Ueberlieferung, 
Nationalität  und  künstlerisches  Thun  einig  und  gemeinsam  eine 
und  dieselbe  Idee  aus  dem  verborgenen  Schoolse  der  Heilig- 


thümer  in  die  heitere  Welt  des  Lebens  und  *der  Schönheit  ge- 
tragen. 

Besonders  entgegen  tritt  uns  diese  Behandlungsweise  in 
den  Vasenbildem,  deren  erste  Lieferung  auf  vier  Tafelii  die  Ge- 
burt der  Athene,,  auf  den   folgenden   den  Kampf  der  Giganten 

_  I 

enthält.  Von  Darstellungen  jenes  Mythus  war  vor  einem  De^ 
cennium  nur  Ein  unscheinbares  Väsenbild  bekannt ;  jetzt  zählen 
wir.  bereits,  aiifser  den  von  Gerhard  herausgegebenen,  deren 
vierzehn,  welche  grofsentheUs  aus  den  Gräbern  von  Vulei  her- 
vorgingen, zusammengenommen  wohl  die  meisten  von  der  anti- 
ken Kunst  erfafsten  Hauptmomente  jener  Idee  darbieten  und 
sSmmtlich  vom  Verfasser  bei  der  Erläuterung  der  vorliegenden 
Gemälde  berücksichtigt  erscheinet.  Diese  Darstellungen  zei- 
gen uns  einen  durch  i^ocalcultus  in  manuichfacher  Beziehung 
stehenden^  Göttei*kreis  versammelt  um  den  thronenden  Zeus,  wel- 
eher  durch  Hephästos  und  der  Eilithyia  Hülfe  von  der  Athene 
zu  genesen  im  Begriffe  ist.  Man  wird  die  ältesten  Versuche« 
diesen  Mythus  in  Figuren  zu  gestalten,  nicht  schön  nennen;  der 
Ausdruck  der  Götter  ist  wenig  oder  gar  nicht  geschieden;  von 
einer  symbolisehen  Kunstspraehe  zeigen  sich  nur  schwache  An- 
fänge, wie.z.  B.  ju  der  Gebehrde  delr  froh  überraschten  BilitKy- 
ia..  Aber  es  spricht  sich  in  diesen  Gestalten,  um  mit  Pausa- 
nias  zu  reden,  ein  religiöses  Etwas,  ein  noch  über  der  Erschei- 
nung  schwebendes,  noch  nicht  von  ihr  ergriffenes  Göttliche 
aus ;  während  andrerseits  die  in  mannigfttchem  Nebenwerke  sich 
ergehende  Thätigkeit  des  Malers  schon  den  Trieb  nach  anmil- 
thiger  Gestaltung  verrSth,  welche  dereinst  auch  das  Göttliche 
und  Uebermächtige  mit  edlem  Reize  schmUcken  sollte.  Bin  gro- 
iäe.r  Theil  der  auf  Vasenbild em  erscheinenden  Miiiervengeburten 
gehört  diesem'  Style  ältester  Kunstübung  an;  doch  finden  sich 
unter  ihnen  schon  Darstellungen,  welche  durch  sorgfÜFtigere 
Zeichnung,  wie  durch  die  Zierlichkeit  der  von  ihnen  geschmück- 
ten Gefäfse  auf  Fortschritte  des  archäischen  Styles  deuten;  da- 
hin gehört  das  zweite  der  von  Gerhard  publicirten  Gemälde. 
Aber  gänzlich  frei  von  aller  hieratischen  Convenienz  und  höchst 
wahrscheinlich  Nachbildung  irgend  eines  trefflichen  Werkes  ei- 
ner edleren  Kunstgattung -erschein!  das  herrliche,  einer  Nolani- 
sehen  Amphora  entnommene  Bild  auf  Tafel  III.  und  IV.,  dessen 
lebensvolle  Gestalteji  uns  den  gebährenden  Zeus,  nmrihgt  von 
den  Repräsentanten  des  herrschendeh  Olympios  und  '  der  mit 
ihnen  verbundenen  Mächte  der  Tiefe  vorführen.  Auch  hier  noch 
erinnert  uns  die  Haup^gruppe  an  jene  Compositlonen  des  älte- 
ren Styles ;  allein  während  in  jener  die  Göttergtstalten  ihre  Be- 
deutsamkeit mehr  ahnen  als  schauen  liefsen  und  das  Thun  des 
Künstlers  sich  besonders  in  Nebenwerken  erging,  so  tritt  uns 
hier  im  vollendeteq  Styl  gerade  das  Gegentheil  entgegen:  al- 
les Beiwerk  hat  sich  bescheiden  der  Bedeutung  des  Hauptmo- 
mentes untergeordnet,  und  Leben,  Charakter  und  Geist  spricht 
aus  jeder  Gestalt,  mannichfaltig  abgestuft  je  nach  ihrer  Würde 
und  ihrem  Antheile  an  der  Haupthandlung. 

Doch  ist  der  Werth  unserer  Vasengemälde  nicht  auf  den 
Umfang  antiker  Malerei  beschränkt;  es  ist  nicht  nur  diese,  de- 
ren Umfang  und  Richtung  sich  annäherungsweise^  in  jenen  an- 


Gerhard^  grieehuehe  VoMenbüder  und  Etruikuche  Spiegel. 


m 

und  im  Sinne  altgriechischer  Kunst  aufgeführten  Figuren,  durch 
ihre  daher  entspringende  Sinnverwandtschaft  mit  den  in  ihne« 
enthaltenen  Spiegein  und  durch  ihre  Beziehung  auf  VerhUltnisse 
des  antiken  Lebens  und  Cultus  sowohl  für  die  Beurtheilung  j«. 
ner  Kunstgattung  als    auch    für    alti tausche  Kuastübung  über- 
haupt von  hohem  Interesse    sind.     Kine   uiiab\i eisbare  Untersu« 
cliung  über  Bestimmung,  Zeitalter    und  Ursprung  dieser  noch 
immer,  rttthselhaften  Gefäfse  eröffnet  und  bastrt  die  Beleachtosg 
des  Einzeinen  und  sucht  die  entgegengesetzten  Ausicbtea,  wel- 
che über  .diesen  schwierigen  Gegenstand  obwalten,  liicKt  sowohl 
zu  'widerlegen  als  Tietmehr  zu  vermitteln.  Während  die  frühere 
Ansicht)  nach  welcher  diese  Krzbehälter,   wie  die  in  ihnen  est« 
haltenen  Geräthe,  von  Hause  aus  zum  Gebrauche  der  Mysterien 
gedient,  wohl  mit  vollem  Rechte  beseitigt  wird,  findet  In'rhard 
doch  theils  in  der^Nstur  der  erst  relativ  später  den  GefH-Tsen  an- 
gefügten Ueckeltiguren,  tbtsils  in  dem  Zusammentreffen  mancher 
andern  Umstände  Gründe  genug,   um  eine  unter  gewissen  Ver- 
hältnissen eingetretene  Verwendung  Jener  Kisten  für  den  Myste- 
riengebrauch nicht  ganz  ausseht iefseif  zu  dürfen ;   und  so  besä- 
l'sen  wir  denn  in  diesen  schätzbaren  Zeugen  altitalischen  Kuost- 
fleifses  ursprünglich  nur  zum  Badegebrauch  bestimmte  Gerätbe, 
welche  er:it  relativ  später   einmal  in  wichtigen  J Lebenslagen  ih- 
rer Besitzer  durch  Anfügung  bedeutungsvoller  ßmblenie  für  den 
Cultus  geweiht  worden,     in   dieser   Ansicht,   wie  in  dem  hohen 
Kunstwertbe  der  Behälter  und  in  ihrer  Verbindung  mit  Etruski- 
scben  Mctullspie^eln    He^t  zugleich  die  Begründung  dej*  Annah- 
me, dafs   die    Zeitalter   der  Entstehung    unserer  Denkmäler  ia 
jene   Jahrhunderte  fallen,   in    welchen  Griechiselie   Kunstubugg 
weit  und  breit  in  £trurien  Aufnahme  und  F*orderung  fand,  >»o- 
nach  denn  auch    diese   eliernen    Kisien,   obgleich  -sie  fast  ohne 
Ausnahme  \f\  Latium   gefunden,   dennoch   unzweifelliaft  im  be- 
nachbarten bitrurien  entstanden,   dessen  in  unseren  Tagen  ent- 
deckte Grabstätten   mit   ihren    überraschend    zahlreichen  Morni- 
menten  von  Hellenischer  Art  und  Kunst  ja  kinlän^Iich  beurkun- 
den, wie  zeitig  dort  ein  reges  Interesse  "für  Griecliische  Kunat- 
formen  eingetreten.' 

Diese  Ansichten,  welche  die  Auffassung  der  einzelnen  Erz- 
reus  (T.  Vlll;  und  Triton  (T.  IX)  treten  uns  hier  in  sehr  cha-  -  behälter  bedingen  und  namentlich  auch  der  ßrt^rterung  über  die 
rakteristischer  Bildung,  jener  als  Meergreis  und  auf  einem  Hip-      Ficoronische  wie  über  die  durch  ihren  auf  bacchische  Mysterien 


479 

apruchslosep  Gebilden  ausspricht;  eben  so  schätzbar  sind  die 
Aufschlösse,  welche  uns  jene  in  Bezug  auf  Mythologie  und  auf 
das  tiefere  VerstHndnifs  von  Denkmäleru  höherer  Kunstgattun- 
gen liefern  Wie  für  jene  durch  di«  aus  localen  Cuiten  her- 
vorgegangenen Göttervereine,  deren  die  Vasenbilder  mehr  aU 
irgend  eine  Kunstgattung  bieten,  die  bedeutsamsten  Beziehun- 
gen hervorgehen,  so  lassen  die  Gebilde  der  Thongefäfse  nicht 
selten  den  Gedanken  erkennen,  welcher  irgend  ein  uns  eatwe« 
der  viUlig  rerlorenea  oder  .doch  nur  in  spärlichen  Ueberresten 
erhaltenes  Meisterwerk  der  bildenden  Kunst  beseelte.  Die 
Gewifsheit,  dais  der  ostliche  Giebel  dc^  Parthenon  die  Gehurt 
der  Athene  enthielt  und  die  .jetzt  gewonnene  Uebersicht  über 
eine  groXse 'Anzahl  von  Va$en^emälden>  welche  bei  einer  nicht 
zu  grofsen  Manuichfaltigk<Mt  m  der  Darstellung  jenes  Mythos, 
auf  eine  ziemlich  normale  Umgebung  der  Huuptligur,  d  h.  des 
Zeus,  schlieüsen  fassen,  mufste  nothw  endig  zum  Versuche  einer 
Wiederherstellung  der  Mitte4gruppe  jenes  Giebels  einladen,  mit 
•welcher  der  Vf  seine  treffliche » Erläuterung  der  auf  Vasenbil 
dern  erscheinenden  Geburt  dd:  Athene  beschliefst,  und  wobei 
wir  nur  das  erinnern  möchten,  ob  nicht  vielleicht  für'  den  Bild- 
hauer der  Moment  der  herannahenden  Geburt,  etwa  wie  auf 
Tafel  V.  der  vorliegenden  Gemälde,  bedeutend  günstiger  war 
als  der  Augenblick,  in  welchem  die  gewappnete  Jungfrau  be- 
reits dem  Hau,pte  des  Vaters  entsteigt. 

An  die  Geburt  der  Athene  reihen  sich  zunächst  ihre  und 
der  Götter  Kämpfe  gegen  die  Giganten,  xMuuumente  von  ho- 
hem •  Interesse«  weil  sie  uns  einerseits  für  den  Verlust  von  aus- 
gezeichneten Werken  des  Alterthums  entschädigen  müssen)  und 
andrerseits,  da  sie  häufig  dem  hieratisch -archaischen  8tyle  an- 
gehören, mehr  als  ein  Licht  auf  die  ältere  Gestaltung  und  Dar- 
stellung des  Gigantenmythus  w«rfen.  Die  auf  archäischen  Va- 
aenbildern  immer  menschlich  gebildeten  Giganten  erscheinen 
theils  im  Gemeinkampfe  mit  verbündeten  Göttergruppen  (T.  V), 
theils  einzeln  von  einzelnen  Gottheiten^  wie  von  Athene  (T.  VI), 
jiiedergeworfen.  Ihnen  folgt  das  edel  gedachte  Bild  einer  Göt; 
terversammlung  (T  VII)»  an  welches  sich  eine  Keihe  höchst 
interessanter  Darstellungen  von  Meergottheiten  anschliefst.   Ne- 


pokampen  reitend,  dieser  als  Fischmensch,  von  Delphinen  um- 
ringt, entgegen.  Poseidon  endlich,  theils  in  hieratischem  j^tyle, 
auf  einer-mit  weifscn  Flügelrössen  bespannten  Biga  und,  wie 
die  ihn  umgehenden  Götter  lehren,  in  Beziehung  auf  die  Kück- 
führung  der  Persephone  gesetzt  QT.  X;,  theils  in  Bildern  der 
schönsten  Art,  entweder  allein  einherschreitend  (^T.  XI,  1)  oder 
der  Amymone  (,T.  XI,  2)  oder  der  Aeihra  (T.  Xli)  gesellt,  zeigt 
sich .  hier  in  mannichfachen  Abstufungen  des  Styles,  wie  der 
Charakteristik  und  der  Idee  des  Gottes.  Das  herrlich  gedachte 
und  ausgeführte  Bild,  Poseidon' und  Aethra,  beschliefst  die  zweite 
Lieferung  dieses  Werkes,  dessen  Werth  nieht  ^venig  dadurch 
erhöht  wird,  dafs  die  nüt  ausgezeichneter  Sorgfalt  lithographir- 
ten  und  nach  der  Natur  colorirten  Abbildungen  auch  demjenigen 
Forscher,  welcher  fern  von  Monumenten  antiker  Kunst  lebt,  ein 
v(>Ilig  zuverlässiges  Material  für  die  eigene  Untersuchung  dar- 
bieten. •— 

Eben  so  willkommen,  wie  das  so  eben  nur  mit  wenigen 
Zügen  charakterisirte  Werk,  erscheint  das  andere,  v  Jches  die 
Metallspiegel  der  Ktrusker  enthalten  wird.  Denn  einerseits 
möchten  sich  wohl  nur  Wenige  im  Besitze  A^b  kostbaren  Wer- 
kes von  Inghirami  oder  gar  vieler  diesen  Gegenstand  mehr  oder 
veuiger  herührenden  Schriften  finden,  andrerseits  erfordern  nge- 
rade  Abbildungen  und  Erläuterungen  dieser,  so  -häufig  von  Hel- 
lenischer und  Etruskischer  Eigenthümlichkeit  zugleich  bedingten 
Monumente  eine  Genauigkeit  und  Umsicht,  welche  man  an  frü- 
heren Behandlungen  derselben  häufig  genug  vermifst.  Zweck- 
müfaig  nun  beginnt  dieses  Werk  mit  der  Darstellung  der  inter- 
essantesten mystischen  Ki&ten,  da  ja  diese  in  der  Regel  aus  Erz 
getriebenen  Behälter  durch  die  Schönheit  ihrer  eingegrabenen 


bezüglichen  Inhalt  höchst  bedeutsame  Pennacchische  Kiste  zam 
Grunde  liegen,  ilürften  wohl  vor  der  Uand,  lassen  sie  gleich 
noch  manchem  Zwweifel  Kaum,  als  am  meisten  ansprechend  er- 
scheinen. Sie  lösen  nanifsntlich  die  schwierige  Frage  nach  dea 
Verhältnisse,  in  welchem  die  d^n  Gefafsen  allemal  relativ  später 
eingefugten  Deckelgruppen  zu  der  ursprunglichen  Bestimmong 
der  Kisten  stehen,  und  gewähren  mithin  dem  Gedanicen,  daf» 
die  eingegrabenen  Zeichnungen  der  letzteren,  ohne  alle  speciei« 
lere  Beziehung,  blo.fs  aus  künstferischer  Wahl  und  dem  Streben 
nach  anmuthiger  Verzierung  hervorgegangen,  vollen  Spielraum, 
wodurch  natürlich  auch  der  durch  anderweitige  Annahme  b^ 
schränktere  Gesichtspunkt  der  Deutuiis  erweitert  wird.  Abhü* 
düngen  mystisi'iier  Kisten,  wie  sie  auf  Denkmälern  Ktniriens 
und  Cntpritaiiens  dargestellt  fr.  XIX) ;  Etruskische,  Römische  und 
Grirchische  Spiegelkapseln,  mit  und  ohne^Relief  (T.  XX, XXI)) 
endlich  einfache  Spiegel  ohne  Zeichnung  (T.  XXII)  vermitteln  den 
Uebergang  von  den  Spiegölbehältem  und  ihren  sinnverwandten 
Geftifsen  zu  den  Spiegeln  selbst.  So  lit'gt,  da  auch  die  hier  nicht 
abgebildeten,  aber  in  den  Kreis  der  Untersuchung  gehörigen  1^1^ 
nuniento  genau  beschrieben  sind,  dem  Forscher  das  reicne  M>* 
terial,  worauf  unserfe  Kenntnifs  dieses  für  aititalische  Kunst  und 
Cultur  so  wichtigen  Gegenstandes  beruht,  in  zweckmUfsigster 
Ordnung  und  schätzbarster  Genauigkeit  vor,  und  fordert  um  >o 
mehr  zur  allseitigstcn  Untersuchung  darüber  auf^  als  sich  px 
nicht  verkennen- lafst,  wie  viele  auch  in  Bezug  auf  diese  Monu- 
mente uns  begegnende  Käthsel  des  altitalisctien  Lebens  nocb 
ihrer  Liösung  entgegen  sehen.  «— 

J.  Af  A. 


^61. 

J  ah  r  b  fi  c  h  e  r 


♦i 


für 


wissenschaftliche    Kritik. 


Octobcr  1839. 


XXXL 

Antiphontls  orationes  XV.  ßecognottt,  annöta- 
iionern  criticam  et  commentarios  adiecit  Edu- 
ardus  Maetzner.  Beroltm\  PosnaniaCj  Btdgo^ 
stiaej  formü  et  sumpttbug  E.  S.  Mittlen.  183S. 
XVL  u.  282  8.    8. 

Bei  dem  lebhaften  Eifer,  mit  dem  ^ie  Philologie 
uiHierer  Zeit  sich  dem  Studiwn  der  Attischen  Redner 
zugewandt  hat,  liefs  sich  wohl  erwarten,  dafs  auch  An« 
tipboD,  der  älteste  der  Knnstverwandten,  nicht  lange 
mehr  seinen  Bearbeiter  vermissen  würde ;  ja  es  könnte 
befremdend  scheinen,  dafs  ihm  nicht  schon  längst  die 
Sorgfalt,^  deren  er  bedurfte  mid  werth  war,  gewidmet 
worden  ist,  wenn  sich  dieis  nicht  einerseits  daraus  er« 
kl&ren  liefse,  dafs  die  meisten  der  Antiphontiscben  Re- 
den hinsichtlich  ihrer  Gegenstände  und  ihres  oratori« 
sehen  oder  antiquarischen  Gehaltes  wenig  einladend 
riody  andererseits  aber  daraus,  dafs  kritische  Beden- 
ken gegen  diese  Reden  erhoben  worden  sind, « auf  wek 
die  emzugeben  ein  Bearbeiter  nicht  ablehnen  durfte, 
aber  die  aber  zu  einer  gründlichen  nnd  befriedigenden 
Entscheidung  zu  gelangen  nrcht  leicht  ist.  Dafs  im 
Alterthume  unter  Antiphon*s  Namen  nicht  weniges  ror« 
banden  gewesen  sei,  was  sieh  der  schärfer  prüfenden 
Kritik  als  untergeschoben  darstellte,  ergiebt  sich  aus 
der  Nachricht  bei  Photius  und  dem  Vf«  der  Lebensbe- 
schreibungen der  zehn  Redner:  es  habe  Caecilius  der 
Kalaktfaier  unter  den  sechzig  angeblich  Antiphontischen 
Reden  nicht  weniger  als  fünfundzwanzig,  also  beinahe 
die  Hälfte,  fär  unecht  erklärt;  wobei  wir  leider  duVch 
kerne  speeielleren  Angaben  belehrt  werden,  wie  Caecilius 
ftber  die  noch  jetzt  vorhandenen  Stücke  geurtheilt  habe. 
Neuere  Kritiker,  wie  Jonsius^  Reiske  n.  A.  haben  über 
diese  alle  cifne  Ausnahme  das  Yerdammungsurtlieil  ans* 
gesprochen,  jedoch  ohne  ihre  Gründe  genauer  ansein» 
anderzusetzeEki  $  nnd  wir  sind  geneigt  zu  glauben,  dafs 

Jahrb.  /.  winenich.  Kritik.  J.  1839.   II.  Bd. 


auch  nnter  unseren  Zeitgenossen  gar  Manche  die  Echt« 
heit  di^er  Reden  wohl  für  sehr  problematisch  ansehen  - 
m5gen,  und  nur  deswegen  mit  ihrem  Urtheile  nicht 
berrortreten ,  weil  sie  sich  noch  nicht  g^traoen  mit 
fiberzeugenden  Gründen  auch  Andere  zur  Bristimroung 
nöthigen  zu  kennen*  Wenigstens  Ton  sich  seiht  mufe 
der  Unterzeichnete  gestehen,  dafs  er  sich  hinsichtlich 
der  Mehrzahl  der  Antiphontischen  Reden  m  diesem 
Falle  befinde«  Die  beiden  zwar  über  den.  Mord  den 
Herodes  und  über  den  Tod  des  Choreuten,  die  einzi«. 
gen,  welche  ohne  Zweifel  wirklich  vor  Gerieht  gehal- 
ten worden  sind,  dem  Antiphon  abzusprechen  findet  er 
keinen  hinreichenden  Grund ;  die  Tetralogien  dagegen  ' 
sammt  der  Declamation  gegen  die  Giftmisclierin  sobei- 
nen  ihm,  je  öfter  er  sie  liest,  desto  unzweifelhafter 
einen  an  Geist  nnd  Geschick  Tiel  geringeren  Vorfas» 
ser  za  verrathen,  ohne  dafs  er  jedoch  für  jetzt  es  un* 
ternehmen  mächte,  den  Beweis  seines  Urtheils  gegen 
Andersdenkende  auszuführen.  Hr.  Maetzner  bekennt 
sich  zu  der  entgegengesetzten  Ansidit,  wo  er  denn 
freilich  keiner  ausHihrlichen  Rechtfertigung  seines  Ur- 
theils bedurfte,  eben  weil  bis  jetzt  noch  keine  Gegen« 
gründe  vorgebracht  waren,  die  er  zu  widerlegen  gehabt 
hätte.  £r  begnügt  sich  deswegen  in  der  Vorrede  zu- 
nächst die  ahen  Grammatiker  nachzuweisen,  welche 
Stellen  aus  den  vorhandenen  Reden  ohne  Andeutung 
eines  Verdachtes  der  Unechtbeit  citiren.  Die  meisten^ 
derselben  hat  schon  Ruhnken  in  der.diss.  de  Anti* 
phonte  angeführt ;  doch  f&gt  Hr.  M.  noch  einige  hinsu. 
Strenge  genommen  könnte  man  freilich  sagen,  dafs 
unter  allen  jenen  Citaten  eigentlich  nur  zwei  sind,  eine 
bei  Harpocr«  tt.  d.  W.  ocynien  und  im  Lex.  rhet.  p. 
3&,  das  andere  bei  Snidas  u.  d.  W.  zaraXa/9«»r,  von 
denen  sich  mit  Gewifsheit  behaupten  läist,  dafs  sie 
aus  den  Tetralogien  sind  (11^  3, 11.  o.  H,  4, 11.)$  die 
übrigen  alle  beschränken  skh  auf  einzelne  Ausdrucke^ 
die  sich  »war  nllerdings  in  den  Tetralogien  finden,  die 

61 


483  Antiphonlii  oratioues 

aber  gar  nicht  so  selten  sind,  dafs  sie  nicht  auch  an- 
derswo bei  Antiphon  inehcpials  hätten  yorkomnien  kön- 
nen. Zagegeben  indessen^  es  beziehen  sich  alle  jeae 
Citate  wirklich  auf  die  Torhandenen  Tetralogien :  eine 
auf  Untersuchubg  beruhende  Ueberzeugung  der  Gram- 
matiker Yon  der  Echtheit  dieser  ist  doch  daraus  nicht 
abzunehmen 9  sondern  höchstens  nur  etwa  dies,    dafs 

'  ihnen  nichts  über  ihre  Dnäcbtheit  bekannt  geworden; 
und  auch  dies  nicht  mit  Sicherheit.  Denn  so  wenig 
wir  heutzutage  bei  gelegentlichen  Anführungen  unech- 
ter Schriften  es  immer  für  nöthig  halten,  die  Unecht- 
heit  ausdrücklich  zu  bezeichnen,  eben  so  wenig  thaten 
dies  jene  Alten,  bei  denen  deshalb  ja  auch  gar  nicht 
80  selten  ein  und  dasselbe  Buch  bald  mit  dem  Znsatz 
f*  yv^üioq  bald  ohne  diesen  angeführt  wird.  —  Ein 
zweites  yon  Hrn.  M.  für  seine  Ansicht  geltend  gemach- 
tes Argument  ist  die  Uebereinstimmung,  die  er  zwi- 
schen den  {Jrtheilen  der  Alten  über  den  Charakter  der 
Antiphontischen  Beredsamkeit  und  den  Torhandenen 
Stücken  wahrzunehmen  glaubt.    Indessen  sind  jene  Ur- 

'  theile  so  sehr  in  allgemeinen  Ausdrücken  ausgespro- 
chen, dafs  sich  aus  ihnen  unmöglich  eine  deutliche  Vor- 
stellung der  Antiphontischen  Eigenthümlichkeit  gewin- 
nen läfst;  und  wenn  wir  auch  einräumen,  dafs  Einzel- 
nes in  den  Torhandenen  Dcdamationen  sieh  finde,  wel-' 
ches  die  Ton  den  Kritikern  dem  Antiphon  nachgerühm- 
ten Eigenschaften  besitzt^  Scharfsinn  in  der  Erfindung 
>md  Geschicklichkeit  in  der  Behandlung  dürftiger  Stoffe, 
so  iehen  wir  uns  doch  nach  andern  Eigenschaften,  z. 
B«  nach  dem  fii/iOog,  welches  Hermogenes  Jhm  beilegt, 
Tergebens  om^  und  finden  überdies,  neben  dem  was 
wir  als  anerkenuungswürdig  gelten  lassen,  eine  nicht 
geringe  Anzahl  Ton  Stellen,  wo  wir  nicht  umhin  kön- 
nen, den  Gedanken  unrichtig  und  yerkehrt,  den  Aus- 
druck unpassend  und  unklar,  die  Sprache  uncorrekt 
an  nennen ,  so  dafs  wir  sie  dem  Manne ,  Ton  dessen 
Geist  und  Talent  Thucydides  mit  so  grofser  Achtung 
spricht,  unmöglich  zutrauen  dürfen.  —  Als  drittes  Ar- 
gument, freilich  mit  dem  Geständnifs,  dafs  es  Man- 
chem nicht  Tiel  za  bedeuten  scheinen  werde,  fuhrt  Hr. 
M.  eine  gewisse  Aehnlicbkeit  mit  Thucydides  an,  die 
sich  yielfiiltig  in  Constructionsformen  und  Ausdrücken 
zeige,  und  die  er,  wie  er  sagt,  in  seinem  Commentare 
gehörigen  Ortes  besprochen  habe.  Rec.  hat  den  Com- 
mentar  genau  genug  durchgesehen,  aber  er  erinnert 
sich .  nicht   dergleichen  darin  gefunden  za  haben,  es 


Ed.  Maetxher.  4SI 

müfste  denn  die  S.  162  stehende  Bemerknog  sein  über 
x6  &viioviiifov  tTjg  yvdfAfjg,  JUulia  Aae  g&nu9  apud  wm 
gut  Antiphonte  mugütro  tuus  est  TAueydüiem.  Die 
alten  Kritiker  sprechen  Ton  keiner  weitem  Aehalicb* 
keit  zwischen  beiden,  als  dafs  der  Styl  des  einen  wie 
des  andern  znm  yivoq  avaxf^hv  gehöre,  wobei  offenbar 
im  Einzelnen  ,die  gröfste  Verschiedenheit  stattfinden 
kann.  Der  Styl  der  Dedamationen  aber  scheint  hob 
nicht  sowohl  jenen  Charakter,  als  Tielmehr  nur  des 
der  Unoorrectheit  und  des  Mangels  an  Kunstfertigkeit 
an  sich  zu  tragen.  Uebrigens  den  Thucydides  fiir  An* 
tiphons  Schüler  zu  erklären,  hätte  Hr.  M.  nach  Krfi* 
gers  Untersuchungen  billig  Bedenken  tragen  sollen.  — 
Wenn  wir  nun  auch  die  angeführten  Argumente  far 
die  Echtheit  der  Autiphontischen  Dedamationen  k'ei» 
peswcges  für  triftig  gelten  lassen  können^  so  soll  doch 
damit  Hrn.  M.  kein  Vorwurf  gemacht  sein.  Denn,  wie 
wir  schon  oben  bemerkten,  da  bisher  fioch. keine  be- 
stimmten  Grüude  für  die  Uuechtheit  Torgebracht  wer* 
den  sind,  .durfte  Hr.  M.  sich  im  Glauben  an  die  Echt- 
heit  bei  jenen  wohl  beruhigen,  und  wir  machen  aodi 
gar  keinen  Anspruch  darauf,  diesen  Glauben  durdi 
unsere  Bemerkungen  erschüttert  zu  haben.  Aber  veim 
sich  ein  der  Sache  gewachsener  Mann  die  Mühe  geben 
wollte,  jene  Dedamationen  in  Hinsicht  auf  Inhalt  und 
Sprache  mit  ähnlicher  Schärfe  und  Genauigkeit  a 
durchmustern,  wie  es  z.  B.  Wolf  mit  den  Ciceroni« 
sehen  und  neuerlich  Meier  mit  der  Andocideischen  ge* 
gen  Alcii^iades  gethan  hat,  so  zweifeln  wir  nicht,  dab 
die  Unechthcit  sehr  klar  zu  Tage  kommen  werde,  nnd 
wir  halten  uns  überzeugt,  dafs  Hr.  M.  selbst,  wenn 
er  späterhin  eininal  diese  Untersuchung  TOtnehiies 
sollte,  seine  jetzige  Ansicht  aufgeben  werde. 

Wenden  wir  uns  nun  zur  Charakteristik  des  für 
Texteskritik  und  Interpretation  in  der  gegenwärtigen 
Ausgabe  Geleisteten,  so  erkennen  wir  mit  Vergnugeo 
an ,  dafs  Hr.  M.  die  Hülfsmittel ,  die  ihm  zu  Gebete 
standen,  mit  besonnenem  ürthell  und  tüchtiger  Sacb* 
keniitnifs  gebraucht  habe.  Für  die  Kritik  konnte  er 
aufser  den  tou  Bekker  initgetheilten  Varianten  noeh 
die  CoUation  einer  bisher  unbenutzten  Oxforder  Hand- 
schrift benutzen,  welche  manche  Vorzüge  Tor  ailea 
früher  TCrglichenen  besitzt  und  hiu  und  wieder  einige 
Lücken  unzweifelhaft  richtig  ausfüllt,  obgleich  freUich 
an  andern  Stdlen  sich  Auslassungen  in  ihr  findeffl,  ivo 
die  übrigen  Handschriften  ToUständig  sind,  und  Fdüer 


485^  AHtipA9ftti4  oraiianeM 

wo  Jone  das  fUolitige  haben.  I«i  Allgemeinen  aber  sind 
gHifsere  Verderbnisse ,'  namentUeh  AiTslassnngen  ein- 
lehe»  oder  mehrerer  Wörter  und  Umstellungen  gan-» 
aer  Sätze»  allen .  Handschriften  gemein ;  und  gerade 
diese  Art  von  Fehlern  ist  in  ihnen  auffallend  häufig. 
Wenn  wir  linn  anoh  mit  dem  Urtheile  des  Herausge- 
bers  hinsichtlich  der  Wahl  zwischen  den  Lesarten  der 
?erschiedenen  Handschriften  uns  im  Ganzen  vollkom« 
men  einverstanden  erklären  mQssen,  so  sind  lins  doch 
einige  Stellen  aufgefallen,  in  welchen  wir  die  Oxforder 
Udschr.  mehr,  als  von  Hrn.  M»  geschehen  ist,  beräck« 
sichtigt  wfinschten.  So  würden  wir  z.  B.  L  §•  10.  fiir  (^A- 
ooroy  ijOäif]<ta  noijaaaü'ai  ohne  Bedenken  ßaaavop  roiaitrp^ 
ifi.  n.  geschrieben  haben,  da  das  Pronomen  in  der  Lesart 
der  Ozf.  Hdscbr.  xoi  avxijpf  deutlich  vorliegt,  und  dem 
Zosammenhange  der  Stelle  wohl  angemessen  ersdieint, 
obgleich  dieser  durch  eine  auch  von  Hm.  M.  bemerkte 
Löeke  im  vorhergehenden  §.  etwas  verdunkelt  ist.  In 
denselben  §•  10.  würden  wir  vor  dvayualot  das  Sub- 
jekt ^  iiMtij  vas  weder  die  Oif.  noch  eine  andere  Hand- 
schrift anerkennt,  wenigstens  eingeklammert,  am  lieb- 
itea  aber  eine  Lücke  beseichnet  haben.  Denn  es  ist 
ganz  klar,  dais  ^  iUfi  nur  eine  verfehlte  Ergänzung 
des  Ausgefallenen  sei,  mag  sie  nun  vom  Herausgeber 
der  Aldina  selbst  herrühren  oder  aus  den  von  diesem 
besatzten  Handschriften  genommen  sein.  Das  ausge- 
fallene Wort  ist  aber  gewifs  kein  anderes  als  17  j^ccaa- 
T9^  was  auoh  Hr.  Sauppe  in  dem  uns  so  eben  zuge^ 
kenunenen  ersten  Hefte  der  von  ihm  obd  Hrn.  Baiter 
besorgten  Gesammtausgabe  der  Reduer  angenommen 
bat.  Denn  mit  Hm.  M.  ^  iUi^  als  die  personificirte 
Gerechtigkeit,  die  Göttin  Dike  zn  fassen,  ist  schwer- 
lich weniger  unmöglich,  als  mit  Hrn.  Klotz  4  ßcuravo^ 
BBS  dem  Zusammonhauge  zu  suppliren.  Auch  in  der 
R.  über  Her.  Erm.  §.  13.  möchten  wir  r^v  diu^y  was 
dert/od.  Ox.  nicht  anerkennt,  für  eine  hier  freilich 
nickt  unpassende  aber  doch  unnöthige  Ergänzung  hal- 
ten, und  in  dersdlben  Rede  ^  15.  ^  durfte  das  inl  tot 
Mwtl^Qu^  des  Cod.  Ox.  dem  inl  r&  novfjQotata  der 
fibtigen  Handschriften  vorzuziehen  sein,  da  der  Cgm- 
parativ  in  Redensarten  dieser  Gattung  angemessener 
lud  gewöhnlicher,  ja,  wenn  uns  uosere  Erinnerung  nicht 
trftgt,  ausBcbliefslich  üblich  ist,  und  Verwechselnngen 
der  Comparativ-  und  Superlativformen  in  den  Hand- 
schriften nicht  selten  vorkommen.  —  Im  Allgemeinen 
trägt  übrigens  das  kritische  Verfahren  des  Herausge- 


Xr.     Ed.  Maetxner.  ^     486 

bers  einen  entschieden  conservativen  Charakter,  and  er 
beuiöbt  sich  mitunter  die  überlieferte  aus  der  Aldina  ' 
geflossene  Lesart  auch  da  au  retten,  wo  die  Hand- 
schriften selbst  nothwendig  zu  einer  Aenderung  aufl^or«*' 
dem  mufsten.  So  z.  B.  bat  in  der  angeC  Rede  f.  12. 
die  Aldina:  oS^  aiy  aixhq  äniatov^  xatiaTfjaag  natQikO^fov 
fovc  vofAovQ  Hai  Xi/tov  X^^rai  aurotg  (nämlich  roZg  Ji* 
itaaxaZg)  x^v  a^v  naQavofiiav  «gtiaato  ytvia^ai  avxSv  XfSv 
vdfAmVy  wo  Hr.  M.  selbst  an  dem  Xiyoiv  Anstofs  genom- 
men hat,  aber  es  doch  zu  erklären  versucht.  Die 
Handschriften  alle  haben  daftir  tiye,  und  Uycov  erscheint 
deswegen  nur  als  eine  verfehlte  Emendation  dieser 
allerdings  .  offenbar  falschen  Lesart;  aber  u/t  h&tte 
dennoch  eher  als  jenes  in  den  Text  gesetzt  zuwerdea 
verdient,  weil  es  leicht  zu  dem  richtigen  fuhren  konnte, 
was  wohl  nichts  anders  als  o!h  ist.  Ich  sehe,  dafs 
auch  Hr.  Sauppe  dies  erkannt  hat,  aber  noch  yt  dazu 
setzt,  was  mir  weder  nöthig  noch  angemessen  zu  sein 
scheint.  —  In  derselben  Rede  §.  44.  hat  Hr.  M.  die 
unverstlindlichcn  Worte,  xai  jx^  noil^  yt  nXiov  ayvo- 
klv  Sffxi  v6xx(»Q  ^  (AiO'*  fiiii^av^  in*  dxxTjg  ij  uaxu  nokiv  an 
eine  andere  Stelle  in  §.  45.  versetzt,  zu  welcher  Art 
von  Verbesserung  die  Kritik  beim  Antiphon  nicht  sel- 
ten veranlafst  ist;  aber  wenn  er  nun  die  Worte,  ^o 
wie  sie  da  sind,  ftir  richtig  hält,  so  können  wir  ihm 
darin  nicht  beistimmen.  Der  Zusammenhang  wurde  an 
dieser  Stelle  einen  Gedanken  fordern,  wie  ihn  Hr.  ]M. 
im  Commentar  ausdrückt:  multo  faciliu%  erratur  #» 
imprudentia  peecatur  etc.;  aber  wie  nolXio  nXio¥. 
iyvoiXv  Boxiv  diesen  Gedanken  ausdrücken  könne,  ist 
uns  nicht  klar.  Liest  man  dagegen  die  Worte  an  der 
Stelle,  wo  die  Ausg.  u.  Hdscbr.  sie  haben,  so  Ober-  . 
zeugt  man  sich  leicht,  dafs  freilich  dyvotXv  nicht  rich- 
tig sei;  aber  man  wird  alsbald  auf  dxovitw  gefiihrt. 
Indessen  dürfte  hiermit  allein  der  Steile  noch  nicht 
geholfen,  sondern  in  derTbat  eine  Versetzung  nöthig  ^ 
sein,  nicht  freilich  dorthin,  wohin  Hr.  M.  die  Worte  * 
gesetzt  hat,  sondern  hinter  den  in  der  vulgata  unmit- 
telbar folgenden  Satz  xai  —  ix  xov  nXoiov,  Da  auch 
der  den  in  Rede  stehenden  Worten  in  der  Tulg.  unmit- 
telbar voraufgehende  Satz  mit  Iv  x^'nXoup  schliefst, 
so  konnte  ^dieser  Umstand  leicht  ein  Versehen  der  Ab- 
schreiber veranlassen.  Sodann  aber  scheint  auch  ttal 
ft^p  aus  dem  einen  Satze  irrthümlich  in  den  anilern 
gekommen  zu  sein,  und  der  Redner  die  ganze  Stelle 
so  geschrieben  zn  haben :   ino  9a  ivbg  dvdQbg  äno&ri^ 


487 

mtaiv  ovre  ärsKQäytv  ovx^  aiia^ijaiv  oidefilavinoitiaip  otfrc 
toig  ii^  ty  yji  oiln  xotg  Iv  TJf  vXoitö ;  y.ai  fi^i^  iVi  iyqjiy^ 
f6tav  qaffiv  hßi^vai  %hv  av8^  in  toV  nXoiov^  nai  noiXa 
nkiov  yt  (oder  noXX^  im  nXiov  yk)  dtouuv  fau  rvxtmff  ^ 
^^'  fl^^v  X.  T.  X.  —  In  derselben  Rede  §•  10.  dürfte 
weder  das  handsebriftlicbe  (fiaai  Si  ai  x6  %i  dnoxuintv 
Ikiya  xaxovgyfifia  ilrai  noch  auch  die  Lesart  der  älteren 
Ausgabe  avT6  tc  —  das  richtige  sein,  sondern  aixo 
^  yi^  —  ^.  38.  will  Hr.  M.  die  handschriftliche  Lesart, 
u>;  ovH  aXfiOTj  xljv  alxiav  ineqt^of  fjv  (Sovxo,  durch  die 
Bemerkung  schütten,  dafs  otofiat  oft  soviel  bedeute  als 
arrogo  mihi,  conor,  audeo,  weshalb  man  denn  hier  nur 
imqdQuv  hinzuzudenken  habe,  und  der  Sinn  sei:  daji 
die  BescAtildigU7igy  die  sie  vorzudringen  sicA^  unter' 
fingen^  nicht  wahr  eei.  Aber  oka'&ai  ist  keinesweges 
geradezu  synonym  mit  xoXfiävy  sondern  es  wird,  wie 
fiykXoi^aty  voui^Hy  und  unsere  Ausdrücke  gedenken^  mei- 
nen^  im  Sinne  luiben^  nur  dann  von  der  Absieht^ 
dem  Unterfangen  gebraucht,  wenn  es  damit  entweder 
gar  nicht  zur  Ausführung  gekommen,  oder,  falls  es 
-dazu  gekommen,  doch  nicht  sowohl  dies  als  yielmehr 
nur  die  Absiebt  yorzugsveise  Gegenstand  der  Darstel- 
lung ist,  wie  z.  B.  in  der  Ton  Hrn.  M.  angeführten 
Stelle  Demosth.  Mid.  §.  71,  ö  xvnxnv  avxdv  vß^iC^v 
äixOf  der  Sehlagende  hatte  die  Absicht  ihn  zu  bc' 
schimpfen.  An  unserer  Stelle  dagegen  ist  keines  von 
beiden  der  Fall,  sondern  es  kommt  eben  darauf  an, 
nicht  dafs  sie  4ie  Beschuldigung  vorzubringen  gedacht, 
aondern  dafs  sie  sie  wirklich  auch  vorgebracht  haben, 
und  Dobrees  Vorsdilag  ^r  ifximxo  scheint  deswegen 
höchst  beifallswerth,  zumal  da  sich  auch  die  Entste- 
hung der  Corruptel  so  leicht  erkiftrt.    Die  zweite  übri- 


Antiphontis  aratiöt^es  'XV»    Ed.  Maetxner. 


488 

liehe   Vermutbung  aufstelle,    sondern  ob  7ch  direkte 
Beweise  meiner  Schuldlosigkeit  beibringe.   Hierauf  fot 
gen  nun  die  Worte :  h  xovtm  ovv  avaixU^  An,  ovh  iu9 
lAff  iltvQ(0   6'rq»   xq6nto  dq.av^i  iaxiv  (jif^^)  iv^^^  aU'  li 
fnii  -Jt^odfi-AH  fioi  fAfjdir  äax*  dnoxxiZvdi  auxor,  die  nadi 
Hrn.  M.  den  Sinn  haben  sollen :  non  rei  gestae  imd^ 
tia  sed  ipsa  innocentia  reddet  me  inco/umem.    Aber 
zu  geschweigen  dafs-  dralxiJi;  dfn  nicht  heifst  ineolu' 
mis  sumy   so  ist  doeh  offenbar  das  Nichtwissen  too 
einer  Sache,   was  als  Beweis  der  Schuldlosigkeit  die- 
nen   kann,  etwas  ganz  anderes,   als  was  ^\  S^vfuf^ 
nicht  ausfindig  machen^  ausdrückt.    Mit  lUv^  be- 
zeichnet der  Redner  die  durch  Muthmafsung  und  Nach- 
forschen gefundene  Erklärung  über  das  Yerschvinden 
des  Herodes;  und  eine  solche  nicht  ausfindig  gemacht 
zu  haben,  konnte  in  der  That  so  wenig  gegen  ab  für 
seine  Schuld  etwas  beweisen,  so  dafs  nicht  einznsehn 
ist,  was  er  hier  damit  wolle.    Richtig  aber  und  dem 
Zusammenhange  entsprechend  ist  der  Gedanke ^  veno 
er  fortfährt  :^  Meine  Schuldlosigkeit  nun  besteht  dam 
{iv  xovxfo  ovv  dvaixiSg  dfu,  in  Beziehung  auf  das  ton 
hergehende  i^aQKiixw  iftavxiv  ävalxiov  dnoitZlai)^  nicht 
wenn  ich  das  Verschwinden  des  Mannes  erJtl&ren 
kanny  sondern  wenn  ich  an  seiner  Ertnordung  kei- 
nen Theil  habe.    Mithin  ist  das  ^17  vor  S^tiQfo  zu  til- 
gen. —  §.  84.  beruft  sich  der  Angeklagte  zum  Beweiee 
seiner  Schuldlosigkeit  auch  darauf,   dafs    nie  irgend 
ein  Zeichen  göttlichen  Zornes  ihm  und  seinen  Mitrei- 
senden widerfahren   sei,    und  beweist  durch  Zesgeii, 
dafs  sie  überall  sich  glücklicher  Fahrt  und  günstiger 
Zeichen  zu  erfreuen  gehabt  haben.    Dann  folgt:  A  pa 
i(AOV  uaxtfAaQXv^ovv  ol  /ui/^ri/pcg,  Sg  xi  dvoatov  ytyhrfW 


gens  der   von  Hm.  M.   angef.  Stellen,   or.  in  Neaer«   ^ifnou  naQovxog  —  nioxtv  xijq  sdxiag  xavxfjv  Sy  octt^isthrfif 


§.  35.,  ou%  <o(  ^txo  ^yanaxOf  gehört  gar  nicht  hieher; 
denn  hier  drückt  cpero  nicht  die  Absicht,  sondern  die 
Binbildung  aus.  —  Auch  die  Vertheidigung  der  Worte 
lav  ^^  ifivQw,  §.  66.  derselben  Rede,  scheint  uns  ver* 
fehlt.  Der  Gang  der  Argumentation  des  Redners  ist 
hier  dieser:  die  Gegner  Terlangen,  ich  soll  zum  Be- 
weise, dafs  ich  den  Herodes  nicht  ennordet  habe,  sein 
Verschwinden  aus  irgend  einem  andern  Grunde  erklftr- 
liöb  machen.  Gegen  diese  Zumuthung  sagt  er  nun: 
unmöglich  dürft  ihr  Richter  meine  Freisprechung  da« 
▼on  abhängig  machen,  ob  ich  hierüber  eine  wahrsefaein* 


dniipaivof,  xä  afjfuUt  xit  dno  xäp  ^kSv.  Mit  Recht  müuD 
Dobree  an  df6aiov  Anstofs  und  schlug  dnaiaiov  vor.  Hr. 
M.  versucht  jenes  zu  schützen  durch  die  Erklftmsg: 
nefarinm  factum,  piaculum  commissnm,  sacra  polkrti) 
navigantes  contaminatos  esse.  Die»  alles  kann  freiÜeii 
in  droaiov  liegen;  aber  hier  zeigt  der  ganze  Zosaili* 
menbang,  dafs  nicht  von  Handlungen  des  Sprechers^ 
sondern  nur  von  solchen  bei  seiner  Anwesenweit  {fy^ 
naQifxoq)  vorgefallcnep  Dingen  die  Rede  sei,  aus'wel* 
chen  sich  der  Zorn  der  Götter  erkennen  iiefse ;  und  sokhe 
Dinge  können  nicht  aroaia,  wohl  aber  dnaiaia  heih^.  - 


(Der  Besehlufs   folgt.) 


Jahrbuch 


e  r 


für 


wissenschaftliche    Kritik. 


October  1839. 


Antiphaniü  oratione%  XV,  JRecognoritj  annoia^ 
tionem  cnticam  et  commefitaribs  adiectt  Ednu- 
ardus  Maetzner. 

(Schlafs.) 

Dah  im  folgenden  ^  85.  der  Satz  a2juai  ik  xai  vfuSy 
anoyffinfioaaOai  Terdorben  lei,  bezweifelt  gewifs  Hr.  M. 
lelbst  nicht,  und  der  Ton  ihm  luitgetbeilte  Erklttntngs* 
versuch  eines  Ungenannten  ist  so  verfehlt,  dafs  er  im- 
mer  h&tte  unerwähnt  bleiben  dürfen.    Von  den  beiden 
VerbessernogsTorscfalägen,  des  Stephanus,  welcher  dno^ 
^ifi^iifaa&ai  in  anotimtfioiai^atj  i^im  in  i\iiwv  zu  Tcrwan- 
delO)  und  davor  v/rni»*  einzusetzen  rietb,  nnd  Dobree's, 
welcher  blofs  oJJMa«  in  deoftai.  geändert  wissen  wollte, 
giebt  Hr.  M.  dem  enteren  den  Vorzug.    Aber  abgese- 
hen von  der  bedenklichen  Fnturfonn  änoxffjqiatai^at  fax 
inwffrffitia&ai,  dergleichen  freilich  Hr.  M.  auch  anders- 
wo in  Schutz  nimmt,  ist  auch  der  Plural  17/icSy  an  die- 
ser Stelle   durchaus  unstatthaft,    wie  sich  Jeder  bei 
genaoerem  Nachdenken  selbst  fiberzeugen  wird.    Auch 
Dobree's  Vorschlag  genügt  nicht,  theils  weil  das  nal 
hier  ganz  bedeutungslos  sein  würde,   theils  weil  man 
den  Genitiv  zu  ano^iiqiaaaüai  ungerne  vermifst.    Wahr- 
scheinlieli  sind  hier  wie  öfter  mehrere  Worte,  wohl  eine 
ganze  Zeile  der  Handschrift  ausgefallen,  und  der  Red- 
ner sehrieb  etwa  folgenden  Gedanken,  wenn  auch  nicht 
dieselben  Worte:  oJiiai  di  nai  ufim  [avt&y  üma  dtXp  vfca^ 
ifiov]  aiioi/«i7<yiaa<r^at| /Weither  Gedanke  dem  Zusammen- 
hange ToUkommen  gemäfs  ist.  —    Mehrere  der  kriti- 
schen Bemerkungen  des  Herausgebers  beruhen  auf  gram- 
matischen Ansichten,  denen  wir  nicht  beisthnmen  kön- 
pm.    So  erklärt  er  z.  B.die  Stelle,  äoti  fiiiöiv  fioi  iv- 
OtJidi  li^di  nkiof  tZrai  /cij^'  airoqpc^/JrTi,   de  caed.  Herod. 
|.  16.,  für  keiner  Yerbesserupg   bedürftig,  obwohl  er 
gesteht,  daTs  ihm  eine  andere  Stellung  der  Worte,  äoxi 
fifide  nUow  fiof  fiiT^er  thon  fiJ^d'  dnoipvyAm  besser  ge&l- 
len  würde.    Bei  genauerer  Erwägung  des  die  Häufung 

Jahrb.  /.  wuitMtck.  Kritik.  J.  1830.  II.  Bd. 


der  Negationen  im  Griechischen    veranlassenden   und 
rechtfertigenden  Principes  dürft'e  es  klar  werden,  dafs 
hier   nur   die  letztere  Wortstellung  zuläfsig,    die  der 
Handschriften  aber  entschieden  falsch  sei.     Dfigegen 
^.  6.,  4ra/Kfi  ii  ntvdvvivovxa  ntgi  airttp  xai  nov  xi  xai  t^a^ 
fiaQTiXr,'  wo  Hr.  M.  an  dem  wiederholten  xal  Anstofs   ^ 
nimmt,  und  vermuthot,  dafs  ein  Infinitiv,  wie  etwa  &c- 
nXrix&l^rou  ausgefallen  sei,  durfte  keine  Aendemng  n^ 
thig  sein.    Denn  wenn  freilich  auch  der  Unterzeichnete 
keine*  andere  Beispiele  von  uai  nov  xal  zur  Hand  hat, 
als  nur  solche,  wo  das  erstcre  xai  copnlativ,  das  zweite 
intensiv  ist,  die,  wie  Hr.  M.  richtig  bemerkt,   mit  der 
vorliegenden  Stelle  nicht  verglichen  werden  kCnnen,  so 
findet  sich  doch  eine  ganz  entsprechende  Wiederho- 
lung der  CoDJunction,  und  zwar  gerade  wie  hier,  nach 
Participien  öfters  in  xai  dij  Kai,  z.  B.  Herod.  IX,  89» 
*u4Qjdßa^oq  de  q>iv/mv  ix  liXarauwy  xai  örf  xai  n^Scto  lyU 
nro,   und  audi   sonst  ist  uaL  in  nicht  sowohl  copnlati- 
ver  als  vergleichender  und  folgernder  Bedeutung  nach 
Participien    causalen   und   couditionalcn   Sinnes   nicht 
selten,  auch  wohl  mit  dta  zusammengesetzt,  wie  nqi^ 
XiQOP  xiiya^möop  ytrofurop  x^ta  tlrai  aoqov  xfif^  wo  denn 
immer  noch  ein  intensives  hinzutreten  könnte,  x^ra  cZ* 
tai  xai  aoqoy  xQ^t  und  wenn  bei  Antiphon  x^ra  xai  i^a^ 
l»a(futv  stände,  wurde  dies  nicht  ftir  sprachwidrig  an- 
gesebn  werden  können.    Ebenso  möchten  wir  auch  §• 
88.  in  dem  Satze,  oniau  ylytitai  rSv  dixm  ivjtxa  toS 
ipoYOv  no)iv  itac^i^oYxA  idviv  ^  xai  inl  to»;  äiXoig,  das 
von  Hr.  M.   eingeklammerte,  von  Baiter  und  Sauppe 
geradezu. ausgemerzte  xai  in  Schutz  nehmen,  obgleich 
es  sich  allerdmgs  in  der  Parallelstelle  de  choreut.  §.  6. 
nicht  findet.    Hr.  M.  selbst  handelt  S.  213.  über  xai 
nach  ovöiv  %i  fiälXow  ^',  ov  nXiov  tj^  ovx  ^aaov  ij  u.  dgl., 
welches   aich   nicht  anders  verhält  als  das  xai  nach 
jfioio^,  o  avtog  u.  dgl. ;  nnd  da  nun  noXv  dtoififfmp  fj  nai 
dem  Sinne  nach  mit  ov%  S(AOtog,  oder  ov  toioSto^  olog 
xai  zusammenfällt,  so  wird  sich  auch  das  xai  dort  auf 

62 


491  AntiphQHtU  oratiotMM 

gleiche  Weise  wie  auch  hier  (um  den  Cräcismus  aüob 
im  Deutscbcu  Dacbzobilden)  fiiglich  erklären  lassco. 

Uebrigens  gebührt  der  graininatischen  Partie  des 
Coinmentars  das  Lob  der  gröfsten  Sorgfalt  und  Ge« 
pauigkeit  Hr.  M.  zeigt  überalt  nicht  nur,  dafs  er  sich 
mit  dem  Besten,  was  in  neueren  Commentaren  und  son- 
stigen grammatischen  Schriften  enthalten  ist,  Tollkom- 
men  bekannt  gemacht,  sondern  dafs  er  auch  selbstän- 
dig und  geschickt  beobachtet  und  gesammelt  habe. 
Man  findet  deswegen  eine  nicht  geringe  Anzahl  schüts« 
barer  Bemerkungen  über  Ausdrücke  und  Structurcn, 
namentlich  den  Sprachgebrauch  der  Redner  betreffend, 
in  seinem  Commentar  vorgetragen,  und  diese  zweck« 
mäfsig  bei  solchen  Steilen  angebracht,  wo  sie  wesent** 
lieh  zur  Vollständigkeit  der  Erklärung  gehören,  mit 
Vermeidung  unnöthigcr  Weit-Iuuftigkeit  oder  lästiger 
Wiederholung  geringfügiger  und  hinlänglich  bekannter 
Dinge.  Doch  hält  der  Unterzaicbnete  es  ittr  zw.eckmIU 
fsig  auch  aus  dieser  Partie  Einiges  auszuheben,  wo  er 
gegen  die  Ansichten  des  Hrn.  M.  Einwendungen  zu 
machen  Jiat.  .  Wenn  S.  201  gesagt  wird,  dia^fiqi^tai^ai 
proprie  plures  dicuntur  de  eadem  re  viritim  suffragia 
ferentes,  quamqpam  etiam  singuli  dui\f9m;[QtaOat  dici 
possunt,  so  mufs  Hr.  M«  die  Anwendung  des  Wortes 
ton  Einem  für  einen  der  eigentlichen  Bedeutung  wideiv 
sprechenden  Gebranch,  also  für  einen  Mifsbrauch  an- 
sehn, wie  es  denn  auch  in  der  That  wäre,  wenn  es 
sich  mit  der  eigentlichen  Bedeutung,  so  wie  Hr.  M . 
angiebt,  verhielte.  Aber  wie  in  Siai^^ivuv,  SiaXafißdvnr, 
dtaöixaC^v  und  ähnlichen  Wörtern  die  Präposition  nicht 
.dies  andeutet,  dafs  von  Mehreren  über  Eine  Sache, 
sondern  nur,  dafs  zwischen  verschiedenen  Ansichten 
oder  Behauptungen  entscbiedea  werde,  gleichviel,  ob 
von  Einem  oder  von  Mehreren,  so  ist  es  auch  bei  Acri/ij;- 
(pß^^cu  derselbe  Fall,  und  die  Präposition  drückt  hier 
nichts  anders  aus,  als  was  in  dem  deutschen  Verbum 
liegt,  das  Scheiden  und  Sondern.  — *  Die  Worte,  'de 
caed.  Her.  f.  13.,  hov  ijv  (aoi  nai  ngoaxkrj^ivu  fA^  iX&itrf 
sollen  nach  Hrn.  M.  soviel  bedeuten,  als  toto^  iiJjp  fiot 
nth  Dies  ist  aber  nicht  möglich,  und  wasHr«  M.  an- 
führt, um  ioror  in  der  Bedeutung  pari  modo,  pariter  zu 
erweisen,  ist  von  unserer  Stelle  wesentlich  verschieden. 
Depm  dafs  bei  verbis  wie  (uvijfitv^  KQtmXv  und  andern, 
die  einen  Thätigkeitsbegriff  enthalten,  das  iaov^  wenn 
es  sich  auch  mit  einen^  Adverb  vertauscheir  oder  durdi 
ein  Adverb^  ttborsetien  lälst^  dooh  in  der  That*  nichts 


JTJp:    Ed.  Mäetxner.  492 

anders  al»  ein  innireM  (cf.  ad  Ivae.  p.  369)  oder  wie 
Andere  es  nennen  absohUes  Objekt  der  Thätigkeit  aus* 
drücke,  und  also  z.  B.  iiawimv  SSjoy  ol  ^toi  m^axom 
ebenso  aufzu fassen  ist,  wie  ^  ^^^oq  laov  dvravm  io  §. 
4S.  dieser  Rcfdc,  wird  Hr.  M.  gewifs  nicht  verkenneii, 
und  dann  auch  sich  überzeugen,  dafs  an  unserer  Stelle 
der  Ausdruck  laov  ^v  (loi  nichts  anders  besage,  als  e$ 
war  mir  glelchviely  tnaehte  keinen  Unterechied^  gsm 
wie  das  vorhergehende  litiSiv  diifft^n  woraus  sich  ancli 
die  richtige  Auffassung  des  folgenden  Infinitiv  titMOi 
ergeben  und  die  Bemühung,  eme  Verbindung  wie  ^9 
(für  iirjv)  i^Xvai  zu  vertbeidigen,  als  uunöthig  erschei* 
nen  wird.  Zu  den  Worten  §.  17»,  ovwi  diMQdlarto 
Toc/ro  iiari  (i^  iyytvia&ai  iaoi  noi^aou  sagt  Hr.  M. :  acoih 
sativum  rovvo  e  verbo  noiTjuai  pendere  memineris,  wo* 
rin  zu  liegen  scheint,  dafs  er  touto  niobt  mit  ^i&rpci- 
Sffiro  verbunden  wissen  wolle.  Richtiger  würde  er  ge- 
sagt haben,  dafs  touto  auch  zu  noujvai  hinzugedaebt 
werden  müsse;  denn  der  Coastruction  nach  hängt  es 
in  der  That  von  danQoicnfro  ab,  und  wir  baben  hier 
eine  attractionsartige  Wendung,  wie  z.  B.  iyt^  ovrov 
inoirina  tSati  dol^i  Tovxip  •*-  nmvQua^iu^  Xen.  Anab.  1, 
6,  7.  oder  im  Lateinischen,  faeis  me  ut  vif^ere  vdm^ 
Plaut.  Rttd.  1,  4,  24,  U  ipiumjucimm  ut  depwUre^ 
Pseud.  1,  2,  79.  u.  dergl.  mehr.  —  Die  Worte  f.  7ö.| 
fl  itohg  fjuaQti  rljg  ifjuti^ag  yp»i/ifjgy  erklärt  Hr.  M.  c«nm 
tas  {Jtityl.)  exeidit  vestro  sujfflragiß,  was  idi  nicht 
recht  zu  verstehen  bekenne.  In  den  von  Hm.  M.  zuff 
Vergleichung  .  angeführten  Stellen  bedeutet  der  An^ 
druck,  wie  überall,  die  Meinung  JemandeM  tferfMm^ 
-eich  über  seine  Meinung  jirren\  und  so  will  aadi 
wohl  hier  der  Redner  nichts  anders  sagen,  als  dafs  die 
Mitjlenäer  die  Gesinnung  der  Athener  gegen  sie  «fl* 
richtig  beurtbeilt,  ihnen  schlimmere  Absichten  geges 
sich  zugetraut  haben,  und  deshalb  znm  Abfall  verleit«! 
worden  seien.  —  In  f.  93.  war  bei  den  Worten  17/otH 
^ivij  r^¥  TifAto^tav  ol  fjytuv  raitfjp  %w  metßijfuitwir  keio 
Anstofs  an  dem  Artikel  vor  numolav  zu  nehmen.  Jik 
von  Hm,  M.  angeführten  Gelehrten  lehreii  nnr,  «d 
welche  Art  Stellen  wie  rifimQtav  ^hv  xaixifp  ta  €^ 
klären  und  zu  beurl heilen  seien;  nb^r  eben  aus  im 
richtigen  Beurtheilnng  solcher  Stellen  geht  horvoT)  dafti 
wenn  ausgedrückt  werden  soll,  nicht,  Mee  trifft  üb 
als  Strafe  seiner  VergeAeny  sondern,  dies  trifft  ih 
als  die  {gebührende  verdiente)  Strafe j  der  Artikel 
nicht  nur  nicht  befremdend  sondetii  nethwendig  sei- 


493  AtUipkoniiM.  oratianes 

Was  eiMilich  dio  SacherkläruDgea  betrifft,  «0  bat 
flrich  ür.    M.   itiit  grorsotn  FieiTse   bemübt,    zum  Ver- 
stäodnirs  der  Beziehungen  auf  Reobt  und  Gerichtswe- 
sen das  Erforderliche  aus  den  vorhandenen  Hälftsmit* 
teln  so  Toli8tftndi($  und  deutlich  als  mdgiJch  beisubrin- 
gen.    Selbstständige  Forschuugen  auf  diesem  Gebiete 
Bcfaeint   jßT  eben  nicht  angestellt  su   haben,    weshalb 
denn  auch   nicht    alle  hieher  gehörigen  Fragen  ihre 
genügende    Erwägung   oder  Erledigung  gefunden  ha* 
ben.    Eine   kleine  Naehlese,    soviel  sich'  jetct  gerade 
darbietet,    mag   hier   nicht    am  unrechten   Orte   sein. 
Rcc.  beschränkt  sich  indessen  lediglich  auf  die  beiden 
Reden,  welche  allein  für  Antiphonlisch  gelten  dürfen, 
mit  Uebergehnng  der  werthlosen  Declamationen.    Bei 
der  Rede  über  Herodes  Ermordung  war  zur  Vervoll- 
ständigong  der  Relation  über  die  fuctischen  Verhält« 
nisse  auch  dasjenige  zu  beachten,  was  §.  61  ff.,  frei- 
lich nur  sehr  kurz  nnd  unvollständig,  über  Lykinos  an- 
gedeutet wird.    Es  läfst  sich  daraus  entnehmen,  dafs 
dieser,  wohl  ein  Mitylenäischer  Staatsmann,  mit  dem 
ermordeten  Herodes  in  feindseligen  Verhältnissen  ge* 
lebt  nnd  um  irgend  ein  strafbares  Beginnen  desselben 
gewafst  habe,  wegen  dessen  er  ihn  hätte  bei  den  Athe- 
aisohen   Gerichten    belangen   können;   ferner   dafs  in 

diese  Ans^^®"'*^^^  ^^^^  ^^^  Sprecher  der  gegenwär- 
tigen Rede  auf  irgend  eine  Weise  verwickelt  gewesen 
sei,  und  dafs  diese  Verhältnisse  die  Angehdrigen  des 
Herodes  veranlafst  haben,  den  Verdacht  des  iMordes 
auf  ihn  und  L>kinos  zu  werfen.  —  Auch  was  §•  62 
gesagt  wird,  dntatiQH  de  avxip  U^äv  xai  ooioov  u.  s«  w«, 
hätte  eine  kurze  Erläuterung  verdient.  Es  bezieht 
sich  nänilicb  auf  die  Strafe,  die  den  Ljkinus  als  An*  ^ 
itifter  des  Mordes  getroffen  haben  würde,  wenn  er 
ßoyliiamg  vcrurthcilt  worden  wäre.  —  Weshalb,  wie 
es  §.  20  beifst,  Herodes  mit  den  Sklaven,  die  er  für  ein 
Losegeld  losgeben, '  und  mit  den  Leuten,  die  dieselben 
löskaufen  wollten,  nach  Aenos  gereist  sei,  dürfte  sich 
Sttsckwcr  erratheu  lassen.  Es  waren  wohl  jene  Skla- 
ven entweder  durch  Seeräuber  oder  in  Folge  kriegeri- 
scher Ereignisse  in  Sklaverei  gerathen;  ihre  Angehö- 
rigen hatten  sie  in  Mitjlcne  im  Besitz  des  Herodes 
aufgefunden,  aber  nicht  die  nothigen  Geldmittel  zn  ih- 
ler  Loskttufung  dort;  deswcgeu  bewogen  sie  den  Be* 
iitzer,  mit  ihnen  und  den  Sklaven  nach  Aenos  zu  fah- 
ret, wo  sie  entweder  ihre  Heimath  oder  wenigstens 
disponible  Fonds  hatten,  um  dort  sein  Geld  in  Em- 


•    Ed.  Masitner.  494 

pfang  zu  nehmen  und  ihnen  die  Leute  auszulieferu.  -^ 
Bei  §•  10  wäre  über  den  Strafantrag  des  Klägers  et- 
was genauer  zu  sprechen  gewesen.    Die  Worte,  näm- 
lich tifirjaiv  fioi  tnoitjaaVf  anano^cofkbp  %ov  poiaov  HUfii- 
vov  können  für  sich  allein  betrachtet  nur  zu  der  Mei- 
nung -veranlassen,  dafs  der  Strafantrag  nicht  auf  den 
Tod  gegangen  sei$  damit  stehen  aber  die  Aeufsernu- 
gen  §.  16.  59.  91.  94.  95.  im  Widerspruch,  und  es  ist 
daher  anzunehmen,  dafs  allerdings  auf  dio  Todesstrafe 
angetragen  worden  sei.    Wenn  es  nun  aber  dennoch 
§.  10.  heifst,  die  Gegner  hätten  fiir  den  Ermordeten 
weniger  gethan'als  das  Gesetz,  so  mufs  man  beden- 
ken, dafs  während  in  der  eigentlichen  8U^  q^ovov,  die 
die  Kläger,  nach  der  Behauptung  des  Angeklagten,  an- 
zustellen  verpflichtet   gewesen    wären,  der   Tod    den 
Verurtheilten  als  unvermeidliche  gesetzliche  Strafe  traf, 
dus  T«/i^f4a  in  der  dtiayayij  tcanov^/ou  nur  ein  Strafan- 
trag war,  von  dem  der  Kläger  auch  i^ieder  ablassen 
konnte,  gegen  den  dem  Beklagten  eine  Gegenschätzung 
zustand,  und  an  den  die  Richter  nicht  gebunden  wa- 
ren.   Also  traf  auch  den  Verurtheilten  die  beantragte 
Todesstrafe  nicht  unbedingt,   und   es  blieb   ihm   die 
Möglichkeit,  sich  wegen  einer  milderen  Strafe  mit  dem 
Kläger  abzufinden  $   wie   denn  auch   der  Sprecher  an 
einigen  Stellen  zu  verstehn  giebt,  dafs  es  im  gegen- 
wärtigen Falle  darauf  abgesehen,  sei,  ihm  Geld  abzu- 
nehmen* -^  Hinsichlich  der  Behörde,  vor  welcher  diese 
Sache  ia  Athen  zu  verhandeln  gewesen  sei,  wollen  wir 
beiläufig  noch  der  Vermuthung  des    Hrn.   Prof.  Seil 
(die  Rccuperatio  der  Römer  S.  113)  gedenken,  welcher 
sie  an  eigene  i^Kaaxäg  dn6  avfißdkoDP  verwiesen  wissen 
will;  doch  verargen  wir  es  Hrn.  M.  nicht,  dafs  er  sie 
mit  Stillschweigen  überging,   auch  wenn  sie  ihm  nicht 
unbekannt  geblieben  war.  —  Zur  Rede  über  den  Tod 
des  Choreuten  ist  in  der  Inhaltsangabe  die  Aeufserung 
S.  248,  indiciorum  Atticorum  ordine  sub  anni  exitum 
capitis  quemquum   arcessi    vetaute,  in   dieser  Allge-  - 
meinheit  ausgesprochen  nicht  richtig.  Sic  gilt  nur  von 
den   Jixat;  qionxaZg,    aber   es  gab  aufser   diesen  eine 
Menge  von  Capitalprocessen,  worauf  sie  keine  Anwen- 
duug  leidet.  <—    In  der  Anmerkung  zn  §•  19.  behau* 
delt  Hr.    M.  die  Frage^  wie  es  zn  erklären  sei,  dafs 
der  Sprecher  ßovXtvattog  belangt  worden,  da  die  Geg- 
ner doch  selbst  einräumten  fi^  in  nqavoiag  fAfj8'  ix  na« 
faGHivTji;   ytvia&at  xhv.  ^avatop  %^  naidif  eine  ßovUvaig 
aber  ohne  nfopoia  und  naQaaxtvti  nicht  wohl  denkbar 


495  Awtipk^Hiü  oratioheM 

sei.  (In  den  Worten  des  Hrn.  M^  yuaeum  n^Jyota 
aique  nagaüniv)!  nunquam  c^nmnetas  sinty  ist^ 
vie  der  Zusammenhang  deutlich  zeigt,  f$on  hinter 
nunifuam  ausgefallen.)  Die  Lösung  dieses  Wider- 
Spruchs  zwischen  der  KInge  und  der  Einräumung  des 
Gegners,  die  Hr.  M.  vorträgt,  ist  folgende Mm^iffoecit- 
tium  verum  vidüse  statuas  oportet^  gut  Ind.  lecti. 
BeroL  kib.  1826—27  p.  7.  tum  hoc  largüot  esse 
aceusaiores  eretb'tj  ytmm  reconciUari  vellent  §•  38. 
39«  auf  maligna  verborum^  quae  eoram  üsdieiSus  feee- 
rä>it  adversarü^  interpretaiione  usum  esse  reum  exis- 
times  necesse  est.  Nach  beiden  Annahmen  vijkre  also 
dem  Beklagten  wirklich  eine  böse  Absicht,  ein  dolus, 
vorgeworfen  worden,  und  dieser  Vorwurf  enthielte  den 
eigentlichen  Grund  und  Kern  der  gegen  ihn  anhängig  . 
gemachten  yg*  ßovXivatmQ.  Liest  man  dagegen  die  Ver- 
theidignngsrede,  so  findet  man  in  ihr  keinen  andern 
Vorwurf  berührt  und  widerlegt,  als  nur  diesen  einen, 
dafs  der  Knabe  den  Trank,  der  seinen  Tod  zur  Folge 
gehabt,  auf  Geheifs  des  Beklagten  zn .  trinken  voran« 
lafst  worden  sei;  von  einer  bösen  Absicht  aber,  die 
ihm  dabei  zugeschrieben  worden,  ist  nirgends  die  Rede, 
und  jene  Einräumung  der  Kläger,*  dafs  er  keine  böse 
Absicht  gehabt  habe,  wird  ganz  schlicht  hingestellt, 
ohne  dafs  auch  nur  mit  Einem  Worte^  der  Wider- 
spruch, in  den  sie  dadurch  mit  sich  selbst  und  ihrer 
Klage  gerathen  seien,  bemerklieb  gemacht  würde.  Es 
durfte  also  wohl  eine  andere  Lösnng  gesucht  werden 
müssen;  und  die  einzige,  die  sich  finden  läfst,  ist  un* 
seres  Bedunkens  diese,  dafs  wir  den  Begriff  der  ßov* 
Xtiaig  selbst  nicht  in  dem  strengen  Wortsinne,  wonach 
allerdings  n^Jrota  und  7TaQoioxtv}i  dazu  gehören,  son« 
dem  in  weiterem  Umfange  fassen.  Wir  meinen  näm- 
lich, dafs  nach  Attischem  Gerichtsgebrauch  die  /Qaqti 
^  ßovhiafcoq  nicht  blofs  gegen  den  Anstifter  einer>  an 
sich  tödtlichen  und  den  Tod  bezweckenden  Handlung, 
sondern  überhaupt  gegen  den  Anstifter  einer  solchen 
Handlung  gestattet  gewesen  sei,  die,  ohne  geradezu 
tödtlich  zu  sein  und  ohne  selbst  den  Tod  zu  bezwecken, 
dennoch  zufällig  und  durch  Hinzutreten  unvorhergese- 
hener Zufälle  den  Tod  zur  Folge  gehabt  hatte.  Eine 
solche  Handlung  ist  nämlich  denn  doch  in  so  fern  Ur- 
sache des  Todes,  als  derselbe  ohne  sie  nicht  würde 
eingetreten  sein,   und  folglich  >  ist  auch  der  Anstifter 


\    Ed.  Maetxner.  496 

solcher  Handlung  ebenfalls  in  so  fern  an  dem  Tode 
Schuld.  Es  kann  doch  sein,  dafs  ihm,  wenn  gleich 
keine  böse  Absicht,  kein  dolus,  so  dpch  eiue  culpa, 
eine  Unvorsichtigkeit  zur  Last  fällt,  weil  er  eine  Hand- 
lung veranlafste,  die,  wenn  gleich  an  sich  nicht  tödt- 
lich, doch  unter  Umständen  tödtlich  werden  konnte. 
Soli  er  nun  deswegen  gar  nicht  zur  Verantwortung  go- 
zogen  werden  können?  —  Ich  denke^  wir  müssen  eine 
yif.  ßov\iiotmQ  auch  gegen  solche  culpa  statuiren.  Ein 
schärfer  und  strenger  ausgebildetes  Recht  als  das  At- 
tische würde  nun  freilich  noch  genauere  Bestimmungen 
über  den  Begriff  der  culpa  fordern,  und  in  einem  FaHe, 
wie  der  vorliegende,  würden  etwa  die  Vorschriften  der 
Medicinalpolizei  dabei  in  Betracht  zu  ziehen  sein  $  aber 
dergleichen  gab  es  in  Athen  schwerlich,  und  die  Er- 
mittelung der  culpa  und  der  Imputabilität  blieb  in  je- 
dem einzelnen  Falle  dem  Ermessen  der  Richter  über- 
lassen. 

Rec.  hat  schon  oben  die  vielen  schätzbaren  Eigen- 
schaften der  Arbeit  des  Hrn.  M.  anerkannt,  und  er 
wiederholt  •  diese  Anerkennung,  mit  Vergnügen  -nach 
diesen  klemeu  Ausstellungen,  die  den  Werth  der  Ar- 
beit im  Ganzen  nicht  herabsetzen  sollen.  Wenn  auch 
Hr.  M.  nicht  alles  für  seinen  Autor  geleistet  hat,  was 
zu  wünschen  gewesen  wäre,  so  hat  er  sich  doch  sehr 
schätzbare  Verdienste  um  ihn  erworben,  und  gründli- 
che Kenntnisse,  besonnenes  Urtheil,  gewissenhaften 
Fleifs  überall  auf  erfreuliche  Weise  bewährt,  und  w«f 
dürfen  von  seinen  künftigen  Arbeiten  auf  diesem  Felde 
uns  noch  manchen  dankenswerthcn  Gewinn  verspre- 
chen. —  Auch  die  äufsere  Ausstattung  des  Bnches 
verdient  vieles  Lob.  Papier  und  Druck  sind  vorzüg- 
lich ;  bedeutende  Druckfehler  sind  uns,  aufsor  der  oben 
erwähnten  Auslassung  des  non^  nicht  weiter  aufgesto- 
fsen  als  de  choreut.  §.  6,  8  tvaißtia  für  aaißkia.  De 
caed.  Herod.  §•  ^*^9  ^  viehi  in  Text  und  Varianten 
tvQiniOi  (für  «üno^io^)  nicht  blofs  bei  Hrn.  M«,  sondern 
auch  bei  Bekker,  aus  dem  es  auch  in  die  Ausg.  yon 
Baiter  und  Sauppe  übergegangen  ist.  Es  ist  also  wohl 
kein  Druckfehler,  sondern  Fehler  der  Handschriften  i 
wir  wuudern  uns  aber,  von  Hrn.  M.  nichts  darüber  be- 
merkt zu  finden. 

Schömann. 


\ 


JW  63» 

Jahrbücher 


für 


wi  s  s  e  n  s  c  h  a  f  1 1  i  c  h  e    K  r  it  iL 


October  1839.  - 


xxxn. 

Lehrbuch  der  Unitersälgeschichte  zum  Gebrau- 
che in  höheren  Unierrichtsanstallen  von  Dr. 
Heinr.  Leo.  Ister  Bd.  ^  Halle^lSSo.  (liwette 
Auflage  1839.;  600  S.,  2ter  Bd.  1836.  VIII  u. 
478  S.,  3ter  Bd.  1838.  618  S.  ■       ' 

Zweitor  Artikel« 

Wir  haben  unsere  Kritik  des  vorliegcoden  Wer« 
kes  tchoD  im  ersten  Artikel  vomeboilicli  von  theologi- 
schen Gesichtspunkten  ans  entnommen,  indem  ons  die 
itets  an  den  Tag  gelegte,  u[iewohI  nooh  wenig  durch-! 
gebildete  religiöse  Tondens  desselben  eine  solche  Bo« 
baadlung  sa  fordern  und  zu  rechtTertigen  schien ;   und 
so  richten  wir,  indem  wir  jetat  mit  dem  Hrn.  Verf.  tu« 
iftchst  in  die  mittlere  Geschichte  ebtreten,  unser  Avl* 
flsnaierk  wiederum  hauptsächlich  auf  die  Weisen,  in' 
doMO  er  die  allgemeinen  Wesenheiten  und  Mächte  der 
EiseigBisse  bespricht.   Hiernach  fällt  gleich  ron  Vomen 
heran  der  glänze  erste  §•  des  2ten  Bandes,  worin  die 
gttmanische  Welt  von  ihrem  ersten  Auftreten  bis  auf 
Ksd  Mart^Us    Zeit  geschildert    ist,   aufscrbalb   des 
Zwecks  unseres  Berichts,  obwohl  Jedermann  bekannt 
ist,  dab  die  historischen  Ehren  des  Hm.  Verfs.«  einem . 
grofseo  Theile  nach  gerade  auf  diesem  Felde  liegen.  — 
Bekannt  iat  sodann  schon  aus  dem  früheren  ,,Lehrbu- 
che  der  Gesebichte  des  Mittelalters,"  wie  Hr.  Leo  fiir 
dieselbe  die  ethnographische  Methode  fiur  ungeeignet 
erklärt  and  dagegen  die  Behandlung  nach  den  allge« 
mehieD  geistigen  Potenzen,  welche  die  Völker  des  Mit- 
telalters  auf  die  gleiche  Weise  bewegeli,  ins  Werk* 
gesetal  hat;  eine  Methode,  die  wir  durchaus  billigen 
virden»  wenn  sich  damit  nicht  sogleich  deutlich  gonog 
die  später  offen  dargelegte  Absieht  verbände,  die  Be« 
•ondemiig  und  ludividualisirung  der  chrisUiehen  Sab* 
Maas  in   dfia  coacreten  Volksthiimlichkeiten  EiilK>paa 

JßM.  f.  wUnMch.  KrUik.  J.  1830.    II.  Bd. 


seit  der  Reformation  als  Abartungen  zu  bezeichnen, 
wegen  welcher  Bemerkung  uns  die  heftige  Aeufserung 
Bd.  2,  S.  475  uicht  treffen  kann*  Wie  wir  nebmiich 
den  Hrn;  Verf.  gesehen  haben  aus  dem  Bluthenaltet 
des  gridcliiscben  Lebens  sich  zuräckscfanen  in  dessen 
Vorzeit,  die  Welt  „der  sittlichen  Schränken,*'  und  sich 
nur  freuen  seines  Untergangs  als  des  Mittels,  zur  Stif* 

^  tung  des  Christenthums  vorwärts  zu  kommen,  so  hat 
er  im  Vergleich  mit  der  ersten  substautiellen  Periode 
der  christlich  -  geruianischcn  Geschichte  an  deren  zwei» 
ter  kein  Gefallen,  und  wenn  er  ,^Mittelalter  und  neue- 
ste Zeit  zusammenhält  und  den  Jammer  und  die  Greuel, 
den  religiösen  Unverstand  so  mancher  Zwischenzustände, 
selbst  so  mancheV  Zustände  unserer  Zeit  im  Gegen- 
sätze des  Mittelalters  beklagt''  S.  477':  so  findet  er 
seine  Erhebung  über  diesen  Schmers  nur  in  der  „reli* 
gfösen  und  politischen  Reaction  der  allemeusten  Zeit,'' 
und  in  abstracto  darin,  dafs  „an  einen  Krebsgang  der 
Kirche  und  der  Menschheit  noch  Niemand  geglaubt 
hat,  der  an  Gott  und  Christum  glaubte.'' 

£s  kann  bei  dieser  Grundansieht  indessen  sogleich 
vermifst  werden,  dafs  die  Entwicklung  der  ehieu  Haupt- 
macht des  mittelalterlichen  Lebens  zu  der  Form  ihrer 
grdfsten  Wirksamkeit,  nebmiich  des  christlichen  Kir- 
chenthums  zur  päpstlichen  Hierarchiey  von  dem  Hrn. 
Verf.  nicht  noch  in  streogerer  Weise  als  Entwicklung 
durch  die  immanente  Nothwendigkeit  der  Sache  aufge- 
fafst,  sondern  mehr  nur  empirisch  und  praginatisch 
durch  Aneinanderreihnng  der  einzelnen,  blos  geschieht- 
liehen  d.  b.  4uroh  einander  bedingten  und  somit  nur 
relativ  nothwendigen  Facta  geschildert  ist.  Es  rfihrt 
diefs  ohne  Zweifel  nur  von  seiner  genauen  Anschlie- 
fsung  an  Gieseler  her,  dessen  kircheDgeschiehtlicbea 
Werk  bekanntlieh  durebans   in  dieser  pragmatischen 

.  Methode  gearbeitet  ist :  denn  dafs  Ur.  Leo  in  der  ge* 
eeblossenea  Gesetzlichkeit  des  kalholischen  Systems 
poch  etwas  Anderes^  als  das  bkfse  Resultat  endlicher 

63 


•  I 


499 


Leo^  Lehrbuch  der  UniverHUgeMchichte.    (^Zweiter  Artikei,') 


500 


Factoren  erkennt ,  dafür  brauchen  w  die  Zeugnisse 
nicht  erst  vol  sammeln.  Es  kommt  aber  durch  diese 
Weise  der  Darstellung  in  dieselbe  ein  Schwanken  des 
Drtfaeils,  das  nur  auf  wahrhaft  welthistorischem  Stand* 
punkte,  auf  welchem  die  einzelnen  liistorischen  Erschei- 
nungen als  Momente  der  Totalität  des  geschichtlichen 
Proccsses  gerechtfertigt  erscheinen^  fiberwunden  wer* 
den  kann,  während  die  suhjectlv-moralische  Ueberzeu- 
gung,  wenn  sie  von  sich  aus  den  objcctiven  Gang,  der 
Geschichte  rechtfertigen  will,  nofhweudig  znr  Willkür 
und  Parteilichkeit  werden  maU*  Sie  kann  die  Anklage 
d.arauf  nur  vermeiden,  wenn  sie  mit  dem  Aussprechen 
ihres  Urtheils  snruokbleibt  und  mit  dem  Anscheine  der 
Güeicfagiltigkeit  sich  blos  xefcrirend  verhält,  d.  h.  mo- 
mentan sich  aufgibt,  wofür  sie  freilich  in  andern  Mo« 
menten  durch  um  so  kühneres  und  entschiedeneres  Her- 
vortreten  sich  zu  entschädigen  ^  buchen  wird;  eine  Be- 
merkung, die  wir  in  dem  Leo'schen  Werke,  wie  überall, 
60  insbesondere  in  jener  Entwicklungsgeschichte  des 
Papstthums  zu  machen  hatten,  in  welcher  die  vor  der 
Moral  ^nicht  haltbaren  Bestrebungen  nur  ganz  einfach, 
die  adäquateren  aber  mit  der  gröfsten  Prägnanz  er- 
zählt sind«  Vergleichen  wir  z.  B«.  die  Geschichte  des 
Bilderstreits  S.  149  sq.,  welcher  durch  die  Veranlas- 
sung, die  Papst  Gregor  II.  daraus  nahm,  sich  vollends 
von  der  Oberherrlichkeit  des  griechischen  Kaisers  los- 
zusagen, und  dnrch  seine  für  die  Bilderverehrung  sieg- 
reiche Entscheidung  eine  so  folgenreiche,  geschichtli- 
cbc  Begebenheit  ward,  so  schreibt  Hr.  Leo  die  ikono- 
klastische  Thatigkeit  seines  kaiserlichen  Namensbru- 
ders, des  Isaurier^s,  S.  83  npr  dem  Einflüsse  „semiti- 
scher (um  nicht  zu  sagen:  öd -jüdischer)  Ausichf  auf 
denselben,  S.  130  aber  geradezu  „kahlem  Juden  ver- 
stände^^ zu  und  bezeichnet  S.  151  die  bilderstfirmende 
Partei  als  eine  solche,  welche  nach  ihrer  Ansicht  von 
der  Stellung  des  Staates  oder  vielmehr  des  Kaisers 
zu  der  Geistlichkeit  ein^n  militärischen  Despotismus 
wünschte  und  darum  vorzüglich  im  Heere  ihre  Führer 
und  Anhänger  hatte.  Dieser  „Jud'env^stand"  hatte 
aber  vielmehr  sein  formelles  negatives  Recht  ia  dem 
Verbote  2  Mos.  20,  4.,  das  dem  Hrn.  Verf.  als  ein 
göttliches  gelten "  mufs ,  ,  sein  materialcs  aber  m  Job. 

4,  24.,   wogegen    solche  allgemeine  Reflexionen,    wie 

5.  83,  dafs  „im  Bilde  die  sinidiche  Nähe  des  Heiligen 
am  Geistigsten  erscheine'^  u.  s.  w.,  auf  dem  absoluten 
Boden  der  Rejigion   nickt   aufeukomaien  venndgen« 


Wenn  femer  dem  ikonoklastiscben  Heere  mir  Hang 
ktt    militärischem   Despotismus '  aufgebürdet  wird,  »o 
kann  von  den  ikqnodulischen  Mönchen  ebenso  gesagt 
werden,  sie  haben  nur  für  ihren  Vortheil  als  Maler  und 
Schnitzer  gekämpft ;  wie  aber  bei  jenem  vielmehr  das 
tapfere  Selbstbewufstsein    es  war,   das  diesen. IXenst 
leblosen  Scheins  verschmähte,  so  wird  auch  die  fräii- 
kischo  Kirehe  unter  Karl  M.  und  wird  die  ganzio  pro- 
testantische Coufessfon  wegen  ihrer  Verwerfung  d«a 
Bildercultus  von   dem  .Vorwuife  öd  •  jQdischer  Ansicbt 
so  ziemlich  zu  reinigen  sein.  —  Nehmen  wir  ein  ande- 
re)s  Beispiel,  die  pseudoisidorisohen  Dekretalen,  so  sncU 
der  Hr.  Verf.  den  Vorwurf  der  Betrügerei,   mit  ¥eW 
chem  er  bei  andern  Gelegenheiten  (s.  Bd.  3,  S.  488) 
wenig  sparsam  ist,  hier  durch  die  Bemerkung  zu  eat- 
kräften,  das  System  derselben  enthalte  nichts  der  Sub- 
stanz, sondern  blos  der  Form  nach  nea  von  dem  Veit 
Geschaffenes  und  schliefet  mit  den  pschr  jschöa''  g^ 
nannten  Worten  von  Phillips  (deutsche  Gesch.  II,  S. 
306) :  „der  Verf.  jener  Sammlung  hat  trotz  seiner  (p- 
ten  Intention  der  Kirche  Schaden  gethan:  es  wäreAt 
los   denselben  Pfad  gegangen,  welchen  er  unbemfea 
bahnte,  und  die  Kirche  wäre  dem^  ungerechten  Vo^ 
würfe  entgangen,  einem  „„lügnerischen  Machwerke'*" 
die  Entwicklung  eines  Thcils  ihrer  Verfassnng  zn  vop- . 
danken."    Allein  umgekehrt  bleibt  dieser  Vorwurf  ab 
moralischer  in  seinem  guten  Rechte:   denn  eben  weoB 
Alles  ohne  jene  Sammlung  denselben  Pfiid  gcgnDgBB 
wäre,  so  hätten  die  Kirchenbehörden,  welche  den  Bs- 
trug  merkten,  was  gewifs  nicht  von  Allen  geleiigiict 
werden  k<ann,  um  so  mehr  seine  Beihilfe  verschmähen 
sollen  \  nahmen  sie  aber  die  Sammlung  bcoia  fide  «ofj 
so  fällt  ihnen  ein  Mangel  an  Kritik   zur  Last,   d^r, 
nachdem  er  so  eclatante  Früchte  getragen,  durch  eine 
Bemerkung,  wie  die  obige  von  Phillips,  nicht  als  v^ 
lig  unwesentlich   dargestellt  werden  kann«    Hr.  Leo 
gesteht  selbst  die  beiden  Seiten  dieses  Dilemma  m, 
wenn  er  das  eine  Mal  sagt,  anfangs  haben  die  Päpste 
auf  dio  falschen  Dekretalen  nur  bei  solchen  GelegsS" 
heiten  sich  berufen,   wo  sie  ohnehin  nach  dem  fakti- 
schen Stande  der  Dinge  Recht  hatten,  „natürlich,  weil 
ihnen  die- Auctorität  derselben  nicht  recht  suvevläftlg 
erscheinen  mochte,''  das  andere  Mal  aber:  die  Gewät 
und  Stellung  des  Klerus  habe  damals  weder  auf  hi- 
nein allseitig  befestigten  Herkommen,  nock  avf  CieseV 
sen  firOherer  Zeit  geruht,  wel(Ae  der  ganaen  Entiikk« 


501 


LeOy  'Lehrbuch  der  UnwersafgeMcÄicAte.    {Zweiter  Artikei.) 


502 


iBBg  der  Gegenwart  geDügt  hätten.  Hiernitob  wäre  also 
die  Mogliclikeit  Vorhanfdcn  gewesen,  dafs  jene  Stellung  ' 
noch  eine  ziemlich  ändere  wurde,  als  sie  durch  den 
Eiofiufs  jener  Sammlung  wirklich  geworden  ist,  und 
es  «afs  darum  die  materielle  Wichtigkeit,  welche  diese 
Mie  Form  gehabt  hat,  auch  ihre  ofifene  Anerkennung 
erhalten; 

Reihen  wir  hieran  sogleich  einige  andere,  die  mit- 
Idaltwliche.  Kirchengeschichte  betretende  Bemerkun» 
gen:  so  soll  nach  S.  207  der  Grundgedanke  des  beiL 
Frtmxüiue  demselben  nicht  durch  Reflexion,  sondern 
.durch  göttliche  Eingebung  zugekommen  sein,  und  die 
bedeutende  Wirkung,  die  er  übte,  bei  der  schon  weit 
Torgeschrittenen  Verweltlichung  der  Kirche  in  der  ener- 
gischen Einweisung  auf  ihre  höchste  Aufgabe,  auf  ihren 
inaersten  Kern  u.  s.  w*  bestanden  haben  und  so  durch 

• 

jba  and  seine  Nachfolger  die  Reformation  eingeleitet 
worden  sein.  Schroffheit  d«r  Tendenz  des  Ordens, 
Uebcrtreiboog  des  Formellen,*  sogar  Caricaturmäfsr- 
ges  ui  Aet  Xlebersohfttzung  des  Stifters  wird  zwar  zu- 
gegeben,, unter  seinem  Volke  und  zu  seiner  Zeit  aber 
habe  dieser  nicht  wohl  auf  andere  Weise  za  einer  be- 
dentenden  Wirkung  gelangen  können,  und  immer  seien 
dann  noch  „die  krankhaften  Geister  die  höher  zu  stel- 
lenden, die  wahre  Gemeinheit  und  Gottverworfenheit 
hege  darin^  sich  gesund  zn  fühlen  und  sicher,  wo  die 
allgemeinea  Grundlagen  des  geistigen  Daseins  wanken/* 
Dnroh  dergleichen  grelle  Gegensätze  wird  indessen  die 
firkeantnifa  solcher  bedeutender  historischer  Erschei- 
Duagen,  wie  Franziskus  war,  um  kein  Haar  gefördert, 
und  mit  dem  Prädikate  göttlicher  Eingebung  sollte 
sparsamer  verCahreo,  wer  doch  nur  eine  zeitlich  be- 
dingte, auf  blofse  Wiederherstellung  eines  schon  ein- 
mal Dagewesenen  gerichtete,  und  zwar  eine  Erschein 
nang,  wie  das  Mönchswesep,  vor  sich  hat :  denn  dafs 
Franziskus  das  gesammte  christliche  Leben  wesentlich 
BB^  in  der  mönchischen  Form  begriff,  dafs  das  Princip 
seiaes  Ordens  nicht  das  evangelische  der  Gerechtig- 
keit durch  den  Glauben  war,  sondern  das  acht  katho- 
lisohe  det  Gerechtigkeit  durch  die  Werke,  und  zwar 
dieses  iqi  seiner  höchsten  Energie,  die  sich  eben  damit 
gegev  die  allgemeine  Kirche,  als  die  diesem  Princip 
ungetreue^  wandte  n*  s*  w.,  das  glaubt  Ref.  in  diesen 
Jahrbb.  aus  Gel^enheit  keiner  R'^cension  von  Flathe's 
„Vorläufern  der  Reformation''  gezeigt  zu  haben  (Jan. 
1836).  «r-    In    der  mittelalterlichen  Ketxergoschichte 


scheint  Hr.  Leo  fiist  dem  Ausspruche  desPapsts  Inno« 
cenzIlL  beizustimmen,  dsifs  die.Albigenser' ärger  seien, 
als  die  Saracenen,  und  es  soll  „glücklicherweise  gelun- 
gen sein,  diese  verderbliche,  vom  Christenthum  ganz« 
lieh  abführende  Richtung  des  Manichäismus  zu  uitter- 
drficken."  Es  wird  ihr  aber  vornehmlich  die  Lehre 
vorgerückt,  dafs  ,|ChristU8,  inwiefern  er  Gott  war^ 
nicht  geborener  Mensch,  inwiefern  er  Mensch  war, 
nicht  ewiger  Gott  sein  konnte  und  folglich  auch  als 
Gott  nicht  gelitten  und  als  Mensch  nicht  erlöst  habe, 
sondern  als  ein  Doppel  wesen  erschienen  sei,  wie  es 
die  heillosen  Richtungen  der  allerneusten  Zeit  aber- 
mals durch  die  Abtrennung  der  /  evangelischen  Ge- 
schichte (die  gröfstentheils  zur  Mjthe  wird)  von  dem 
sog.  geistigen  Jlnhalt  des  Christenthums,  dem  ewJgto 
Geiste  Christi  darzustellen  suchen."  An  jenen  starren 
und  nicht  einmal  dogmatisch -recipirten  Formeln  l&fst 
sich  indessen  der  Katharismus  nicht  richtig  -messen, 
indem  er  acht  doketisoh.  Christum  als  Alensch  nicht 
wirklich  geboren  sein  läfst;  und  so  ist  auch  die  Fol- 
gerung daraus  eine  blofse  Coutfequenzmacherei,  da  die 
Katharer  die  Absolutheit  der  Erlösung,  nehmüch  die 
Befreiung  der  m  der  Materie  gefangeneu  Seelen  durch 
die  Erscheinung  Christi,  nichts  weniger,  als  -  leugnen 
wollten.  Ihr  Manichäisnms  aber  ist,  sofern  es  ihnen 
dabei  in  der  That  nicht  um  die  Substauziirung  des 
Endlichen  und  Bösen,  sondern  um  deu  (allerdings  ver- 
fehlten) Ausdruck  von  dessen  absoluter  Negativität  zu 
thun  war,  eine  dem  Begriffe  nach  ungleich  tiefere  und 
gründlichere  Auffassung  der  christlichen  Wahrheit  als 
der  römische  Pelagianismus  und  Pantheismus,  der  ge- 
rade damals  in  seiner  Blüthe  war.  Ref.  hat  auch  über 
diese  Momente  1.  1.  sich  näher  ausgesprochen,  und. 
bemerkt  daher  nur  noch  seine  Verwunderung  darüber, 
wie  die  Waldenser  zu  dem  Beinamen  einer  „rationali- 
stischen" Secte  kommen,  wenn  nicht  anders  jede  Op- 
position gegen  die  römische  Kirche  „Rationalismus- - 
und  eine  ,, trostlose  Ausgeburt  beschränkter  Geister" 
heifsen  soll,  obwohl/Hr.  Leo  gerade  diese  Opposition 
Sinen  wieder,  als  etwas  Grofses  und  Tüchtiges  anrech- 
net. Eine  genauere  Exposition  der  waldensischen  Leh- 
ren, wenn  es  ihm  gefallen^  hätte,  eine  solche  zu  ge- 
hen, würde  jene  Benennung  wohl  unterdrückt  haben; 
sowie  andererseits  die  Inquisition  gerade  hier  wenig- 
stens eine  kurze  Bemerkung  verdient  hätte,  dafs  an 
dem  blutigen  Mechanismus,  den  sie  statt  der  Waffen 


50a 


Ij0O^  LehriueA  der  ÜHwersalgeM^hiehte.    (^Zweiter  Artikel.) 


504 


des  Ckistes  iös  Werk  setzte,  der  Hr.  Vf.  keinen  Theil 
haben  wolle.  Aber  freilich  bez^chnet  derselbe ,  um 
etwas  Späteres  hier  Torwegznnebmen,  Bd.  III,  S.  219 
die  Rochtfertignng  der  Hmrichfung  Servede's,  weUshe 
Beza  Tersnchte,  als  eine  solche/  der  man  nur  bei« 
pfliditett  könne,  und  schmäht  die  ,,gott?erges6ene  To« 
leranz,  wie  sie  in  unserer  Zeit  im  Namen  eines  ab- 
stracten  Wahngeschöpfes,  fälschlich  Humanität  genannt, 
verlangt  werde;"  Erklärungen,  die  zu  unbesonnen  sind, 
um  eine  ernstliche  Widerlegung  herauszufordern. ' —  In 
der  Beurtheilmig  von  Hue  hat  Hr.  Leo  dessen  gutes 
Recht  »1  einer  besseren  Anerkennung  kommen  und 
„sichtbar  Gott  auf  seinen  letzten  Wegen  überall  mit 
ihm''  sein  lassen.  Er  weifs  ihm  wenigstens  nichts  An- 
deres  Schuld  zu  geben,  als  dafs^er  zur  Vertreibung 
der  Deuteeben  von  der  .Universität  Prag  auch  mitge* 
wirkt,  den  Realismus  wieder  verfocijten,  den  Pöbel  zu 
Hilfe  gerufen,  uberhfLupt  sich  nicht,  wie  andere  hoch- 
gcfst^Ute  Männer  seiner  Zeit,  in  Einigkeit  mit  derKir- 
che  zu  deren  Besserung  erhalten  habe.  Ref.  hat  auf 
die  letztere  Beschuldigung  gleichfalls  sdiöti  1.  c.  ge- 
antwortet und  den  richtigeren  Gesichtspunkt  für  die  Be- 
traohtung  ron  Hus^s  Schicksal  angedeutet;  er  erlaubt 
Hieb  defswegeo  hier  nur.  zu  fragen,  was  denn  jene  mit 
der  Kirche  einig  gebliebenen  Männer  wirklich  ausge- 
richtet haben,  ihreNoth  zu  bessern,  die  vielmehr  nach 
der  Vereitelung  ihrer  unkräfiigen  Versuche  nur  noch 
stärker  hereingebrochen '  ist  Dafs  aber  die  Böhmen 
mit  ihrer  Forderung,  *  auf  ihrer  Landesuniversität  bes- 
ser vertreten  zu  sein^^  als  sie  bis  dahin  es  wären,  nur 
in  ihrem  guten  Rechte  waren,  liegt  vor  Augen,  und. 
was  sie  dafür  gcthan,  sollte  ihnen  ein  Mann,  der  sonst 
die  nationale  Selbstständigkeit  so  stark  vertritt,  wie 
Hr.  Leo,  nicht  zum  Vorwurf  machen,  und  also  auch 
es  nicht  ohne  scharfe  Mifsbilligung  erwähnen,  dafs  die 
Deutschen  in  Constanz  Hns  nur  das  Unrecht  vergalten, 
wozu  ihn  gegen  sie  seine  Leidenschaft  geführt. 

Wenden  wir  uns  nun  zu  denjenigen  Partieen  des 
Leo's<^hen  Werks,  in  welchen  Kirche  und  Staat  des 
Jftittelalters  in  ihrer  gegenseitigen  Dialektik  er- 
scheinen, so  wird  S.  99  der  Erneuerung  des  abendlän- 
^schen  Raiserthums-  vornehmlich  die  Bedeutung  vindi- 


oirt,  dafs  der  Statthafter  Christi  non  zugleich  als  Aas« 
gangspunkt  lur  alle  weitliche  Gewalt  int  fränkischen 
Reiche  erschienen  sei,  woraus  s'di  die  Meinong  gebit 
det  habe,  es  müsse  alle  weltliche  Gewalt  "^  da,  wo  sie 
djesen  geistlichen  Punkt  berühre,  in  Einer  Person  eo»» 
centrirt  und  die  Gewalt  aller  übrigen  Gebieter  vpn  der  , 
Stcllupg  Eines  höchsten  Gewalthabers  abgeleitet  wer* 
dien.  Allein  diese  AufTassung  des  Verhältnisses  wird 
durch  die  angeführten  Zeugnisse  nichts  weniger  ab 
bewiesen,  indem  es  Karl  M.  und  seinen  nächsten  Nach* 
folgern  noch  keineswegs  beifiel^  was  erst  spätere  pi^t* 
liehe  Anmalsung  in  Anspruch  nahm,  die .  Staatsgewalt 
als  blofsen  Ausflufs  der  geistlichen  behaupten  sAi  las* 
sen.  Das  Kaiserthimi  ist  sich  vielmehr  der  Kirchen- 
gewalt  immer  als  völlig,  ebenbürtig  erschienen,  die 
Krönung,  galt  nur  als  Anerkennung  der  von  Gottes 
Gnaden  freien  weltlichen  Gewalt  durch  die  geiatliduS) 
und  wie  lange  haben  noch  die  deutschen  Könige  das 
Schirmvogteirecbt  über  die  römische  Kirche  und  dki 
Bestätigung  delr  Papstwahl  ausgeübt,  so  dafs  erst  tob 
Gregor  VIL  (Nikolaus  H.)  ao  der  eigentliche  Kampf 
um  jene  Theorie  begann.  Wir  können  daher  Hfti.  Leo 
wohl  zugeben,  was  er  S.  103  sagt,  dafs  mit  der  tömi- 
sehen  Kirche  bei  aller  Verderbnifs,  ia  die  sie  vom 
9 — Uten  Jahrb.  wiederholt  hinabsank,  Der  gewesen  aei, 

*  

auf  welchen  wir  Alle  hoffen ;  er  selbst  aber  mnfs  so« 
gestehen,  dafs  ihr  gegen  die  Adelsfactionen  u.  s«  w. 
immer  wieder  das  Ansehen  der  kaiserlichen  Macht  za 
Hilfe  kam,  isi^as  zugleich  mit  der  ursprünglichen  Unab» 
hiingigkeit  dieser  Macht  noch  deutlicher  sich  wfirds 
ergeben  haben,  wenn  auf  die  Geschichte  der  säobsi» 
sehen  und  fränkischen  Kaiser  bis*  Heinrieh  IV.  weil- 
läufiger,  als  es  S.  116  ff.  geschehen  istj  eiagegaogeD 
wäre.  —  Gregorys  VII.  Thätigkeit  wird  nun  mit  Redit 
als  reformatorisch  bezeichnet,  obwohl  die  Zusamräen- 
stellung  mit  der  lutherischen  Reformation  Bd.  3,  8.  4 
eine  ganz  äufserliche  ist^  und  bei  der  Soene  in  Canossa  , 
Ref.  den  „gesunden'*  Sinn,  der  freilich  bei  vielen,  aneh 
protestantischen  Schriftstellern  Mode  geworden  ist, 
nicht  völlig  zu  haben  bekennt,  um  ^,durch  das  geistige 
Interesse  die  nationale  Einbildung  völlig  fi 
zu  lassen. 


(Die  Fortsetziung  folgt) 


Jahrbücher 

•  »  •  ■ 

für 

wisse  n  s  c  h  af  tl  i  che    Kritik 


Octobcr  1839. 


■e 


Ixkrbveh  der  Ukteertal^eschichte  zum  Oebrau- 
ehe  in  höheren  Uniern'chtsanstalieh  ron  Dr. 
Heinrich  Leo.  * 

.  (Fortsetznng.) 

Wenn  Hr.  Leo-gegen  Gastav  Adolph*8  EininischDiig 
in  die  dentsohen  Angelegenheiten  anf  das  Aeofscrste 
sioh  empört  Bd.  3,  S.  394,  ve&n  er  ibid.  S.  489  be- 
keuit,  gegen  Wilhelm's  von  Oranien  Angedenken  keine 
RetMspflipht  tbeilen  zn  können,  veil  Oranien  Deuttch- 
land  nichts  zu  Gate  getban  u.  s.  w.,  so  wird  er  es  ancb 
andern  Deatsoben  nicht  verargen  dürfen,  wenn  sie  mit 
bdifpsation  der  Schmach  gedenken,  die  ein  römisdier 
Bischof  dem  Könige  ihres  Volkes  angethan  nnd  die 
dieser ~  sich  hat  gefallen  lassen.  Es  bandelt  sieb  aber 
dabei  nicht  4im  das  nationale  Interesse  allein,  sondern 
am*  das  religiSse,  das  die  Klugheit  nad  Milde,  womit 
Sündern  vergeben  werden  soll,  in  jenem  Uebermnth 
dea  sog.  Statthalters  Christi  wenig  ausgesprochen  fin- 
det. — -  ^.  129  ist  übrigens  sofort  anerkannt,  dafs  Gre* 
gen  Reforination  der  Kirche  eine  spätere  nicht  erspa« 
«m  konnte^  aber  eben  nur  wegen  der  Innern  Verwclt- 
lidinng  derselben,  wozu  die  Kreuzzüge  als  Berührun« 
^en  mit  Völkern,  „die  wohl  den  abstracten,  todten« 
Cihmbcn  hatten  an  den  Gott,  der  Himmel  und  Erde  ge- 
macht, in  ihrcD  Werken  und  Wirken  aber  ganz  unter- 
tksQ  waren  dem  Fürsten  dieser  Welt,^"  das  Mittelglied 
gebildet  httbeA  sollen.  Ref.  Terzichtet  darauf,  die  Ein- 
heit mabomedaliiscben  Denkens  und  Lebens,  das  ge- 
lochte Gericht,  welches  der  Islam  nicht  nur  über  das 
Heidentlnun  seiner  Heimat-  nnd  anderer  Länder,  son- 
dem  selbst  über  die  verdorbene  Kirche  des  griechi- 
schen Reiches  gebracht,  das  wahrhaft  Geistige  in  sei- 
ner Theosophie  u.  s.  w.  nachzuweisen ,  nnd  statt  der 
Freude^  die  der  Hr.  Vf.  jedem  Christenmenschen  über 
dl«  Jetzige.  Zerrüttung  der  mahomedanischen  Welt  zn- 
nratbet,  denselben  aii  Lnc.  19,  4L  zn  erinnern.    Rieh- 

Jahrh,  f.  witun$ch.  KritUs.   J.  1839.   II.  Bd. 


^  tiger  werden  S.  15>7  sq.  die  Motive  zu  den  Krcuszü- 
gen  in  ihrem  vorherrschend  religiösen  Element  aufge- 
sucht, dat^s  man  in  der  sinnlichen  Erreichung  de>s  hei« 
ligen  Landes  selbst  von.  einem  heiligeren  Sinne  ergrif- 
fen zu  werden  hoffte'S  wenn  aber  diese  Hoffnung  eine 
falsche  war  S.  228,  so  kann  es  wiederum  der  jetzigen 
Christenheit  nicht  zum  Vorwurf  gemacht  werden^  dafs 
sie  das  sog.  heil.  Land  nunmehr  ohne  Verletzung  ihres 
Selbstgef&bls  in'  den  Händen  „heillose,  verabscheute 
Lehren  .nühreuder^'  Völker  sieht  und  läfst,  ubd  es  mufs 
vielmehr  als  ein  Glück;  angesebep  werden,  dafs  die 
abendländischen  Völker  ilnrch  das  Mifslingen  der  Kreuz- 
züge Olli  80  strenger  und  tiefer  auf  sich  selbst,  auf 
die  Entwicklung  ihrer  immanenten  Geistigkeit  zurick- 
gewiesen  wurden^  Diesen  unendlich  wichtigen  Rück- 
stofs  hebt  Hr.  Leo  in  seinen  ^  einzelnen  Resultaten 
überall  auf  pragmatisch  genaue  und  umfassende  Weise  . 
hervor,  wenn  schon  der  Bemerkung  S.  22S,  das  be- 
stimmende Moment  in  den  Kreu'^zügen  sei  Torzngs- 
weise  der  Ritterstand,  nnd  zwar  der  französische  ge- 
wesen, und  sie  habai  aufhören  müssen,  als  dieser  Stand 
im  heimischen  Lande  genug  Beschäftigung  erhalten, 
etwas  zuviel  Gewicht  eingeräumt,  wird.  Die  negative 
Kraft  im  Allgemeinen  dagegen,  mit  welcher  das  abend- 
ländische Princip  über  die  Resultate  des  morgenländi- 
schen übergriff  und  sie  in  Momente  seiner  eigenen  Be- 
thätigung  verwandelte,  weifa  Hr.  Leo  nur  insofern  an- 
znerkennen,  als  durch  „die  sichtbare  Leitung  Gottes^' 
das  Verderben  abgewandt  wurde,  das  aus  der  Gäh- 
rung  der  zusammengetretenen  Elemente  hervorzubre- 
chen drohte.  Neben  der  Ketzerei  ncbmlich  (deren  Un- 
terdrückung durch  die  Inquisition  somit  auch  unter 
jene  sichtbare  Leitung  Gottes  gehörte)  wird  als  durch 
saracenischenEinflufs  wesentlich  mit  hervorgerufen  eine 
christlichen  und  germanischen  Elementen  feindliche  ghi- 
bellinische  Bildung  bezeichnet,  die  vornehmlich  in  den 
Städten  und  bei  den  hohem  Ständen  Italiens  zu  Hause 

64 


507 


Leo^  Lehrbuch  der  ünwensaigeeckiehte.^  {Zweiter  Artikel.) 


508 


gewesen 'Bein  aöll;  eine  Bczei^hMing^  die^'wir  schon 
daroih  uiebt  billigen  können,/  weil  eingestandener  Ma- 
fsen  S.  257  auch  in  den  welfiscben  Territorien  gana 
dieselben  antigermanisehen  Bilduqgselemente  sich  fin- 
den und  wiederum  die  antihierarchischen  der  ghibellini- 


d«n  Äristoteliker  T^oaiaa  ron  Aqninuin  beilig  gespre- 
Ghe\k  und  im  Trideniinum  die  ganze  mit  Hilfe  der  Phn 
losophie  constEuirta  Lehre  lianctionirt  bat..  Er  nennt 
aber  vielmehr  S.  433  die  scholastische  Philosophie  eine 
Aßt  Grundlagen    dos   Mittelalters  und  gibt   erst  der 


sehen  Partei    keineswegs    an  sich  unchristlich  waren^  '  wythcliffe'schen  Verstandesrichtung  die  Veränfserlicbnag 


umgekehrt  aber  in  den  welfscben  Stftdten  das  Halten 
an  der  Kirche  nicht  gerade  durch  religiösen  Sion^-son- 
•  dorn   durch  das  politische  Partei wescn  motivirt  war. 
Kaiser  Friedrich  II.  wird  ganz  kurz  und  obenhin  abge- 
macht, was  EU  der  Weitläufigkeit,  mit  welcher  s.  ,JB. 
früher  die  frftnkisch'karolingischen  Zeiten  behandelt 
Wttr4eu,  in  keinem  Verhältnifs  steht.    Die  Beschuldi- 
gung Gregors  IX.  gegen  ihn  riicksicbtlich  der  tres  ba- 
rattatores  (impostores)  wird  angeführt,  ohne  auch  nur 
mit  Einem  Worte  ihres  Ungrundes,  der  Leidenschaft- 
lichkeit ihr^s  Urbebi^rs  und  der  entschiedenen  Ableh- 
Dungen  Priedriohs  zu  gedenken,  sowie  auch  das  Aner- 
bieten K.  Johannes  von  England  gegen  die  spanischen 
Säracenen,  selbst  Mahomedaner  werden  zu  wollen  (S. 
231  n.  389),  offenbar  eine  blofse  List  oder  die  That 
eines  Verzweifelten  war  und  zur  Charakteristik  seiner 
Zeit  so  wepig  gehört,  als  die  wirklichen  Renegationen, 
welche  sonst  Stattgefunden  haben,  der  Christenheit  ih- 
rer Zeit  zur  Last  fallen. — «Was  noch  die  Sehokutik 
betrifft,  welche  in  demselben  Zusammenhang  erwähnt 
wird,  so  recurrirt  der  Hr.  Verf.  ohne  Zweifel  auf  die 
Verbote,    welche  auf  einer  pariser  Synode  1210  und 
durch  den  päpstlichen  Legaten  Robert  Courcon  1215 
gegen  die  aristotelische  Physik  und  Metaphysik  ei^n- 
gen,  wenn  er  S.  272  behauptet,  es  sei  durch  die  na- 
turwissenscfaäftliohen  Werke  des  Aristoteles  — .ein  so 
▼erderblicbes  Element   in  die  wlsscnsohaftlichen  Stu- 
dien des  Abendlandes  gekommen,  dafs  die  Kirche  mit 
,  den  strengsten  Strafen  dagegen  verfahren  mufste,  wenn 
nicht  den  widerwärtigsten  Verirmngen  Thor  und  Tbttre 
geöffnet  werden  sollten«     Wenn  man  aber  weifs,  dafs 
jene  Verbote  nur  wegen  der  Ketzerei  Amalricii's  von 
Beno  nnd  David's  tou  Dinanto  eingingen,  welche  auf 
6og.  aristotelische  Schriften,    die  aber  eigentlich  dem 
Avicenna  und  Algazel  angehörten,  sich  beriefen,  und- 
jdafs  die  Kirchs,  nachdem  schon  Gregor  IX.  1231  jime 
Verbote  eingeschränkt  hatte,  bald  gar  keinen  Gebranoh 
mehr  dayou  machte,  sondern  fiberall  die  aristotelische 
Philosophie  zuliers,  so  ist  der  Hr.  Verf.  hier  scharf^ 
elchtiger  gewesen,  als  dieselbe  Kirche,  welche  z«  B* 


derselben  Schuld,  welcher  Behauptung  einer  gemeia 
verständigen  Ansicht  in  Wjtholiffe  (s.  auch  S.  373) 
wir  aber  schon  an  sich  nicht  beistimmen  können,  da 
sich  W«  wenigstens  •  in  seinem  tf ialogus  als  tuchtiget 
speculativen  Philosophen  gezeigt  hat.  So'  ist  aneh 
Scolus  Erigena  gewifs  nicht  der  „untergeordnete  Kopf^ 
welcher  gründliche  Gelehrsamkeit  und  tiefere  Auffaa» 
sung  durch  schneidende  Wendungen  zu  ersetzen  suchtet 
&  269;  die  Schrift  über  das  AbirndmabI  aber,  die  ihm 
hier  zugeschrieben  wird,  ist  höchst  wabrschetnlioh  nichl 
von  ihm,  sondern,  von  Ratramnus,  und  wenn  die  daria 
enthaltene  Lehre  eine  „sehr  rationalistische*'  sein  aeU^ 
so  wird  wohl  nur  die  ,  des  Puschasius  Iladbertus  ea» 
christliche  heifsen  können. 

lief,  eilt  indessen  über  die  ganze  weitere  Schilde» 

mng  des  l\Iitteialters  bei  aller  Anerkennnag  ihrer'  aoa» 

stigen  Vorzüge  hinweg,  um  auf  den  Ueborgaiig,   wet 

eben  der  Hr.  Verf.  in  die  neuere  Zeii  macht^  zu  kimi» 

men.    Das  Verderben,  m  welches  die  Kirche  im  14* 

Jahrhundert  verfiel,  wird  S.  366  sq.  in  den  stirkstea 

Ausdrücken  beschriebeu,  nach  S.433  waren  dieHaopl- 

gruudlagen  der  Bildung  des  JMittelaltera  unterhöhlt  imd 

zut  teeren  Form  geworden  $  was  aber  der  Hr.  Vei£ 

standhaft  nicht  anerkennen  will,  ist  die  Nothwendag* 

keit  dieses  Vorfalls,  wie   er   durch  die    conseqiieate 

Durchführung  des  römischen  Principe  selbst. herbeig^ 

fiihrt  wurde.     Er  schränkt  diese  Nothwcndigkeit  Bd. 

3,  St  2  if.   soweit  ein,   dafs  das  Smken  der  Kirche 

grofscntbeils  motivirt  sein  soll  nur  durch  die  Anstr«tt» 

guogen,  die  sie  zur  Hcwabrung  des  göttlichen  Bnu- 

nens  des  EvangeUi  und  der  Grundfesten  seiner  LeliM 

^eniaoht  hatte,  was  freilich  fast  ins  Alanichäische 

artet,  wenn  nach  S.  6  „überhaupt  Niemand  gegen 

Böse,  sobald  er  einmal  Notiz  davon  genottimen^ 

gewaltsam  stellen  und  wehren  kann,  ohne  doch  dan^ei^ 

berührt  und  depravirt  zu  werden."    Diese  anbedaclil- 

same  und  antichrist liehe  Aeufseruog  gewamit  nur  daom 

einen  guten  Sinn,    wenn  sie  dahin  abgeilndert   wird, 

dafa  das  Gute,  ^enn  es  gegen  ein  Element  sich  apenrt^ 

in  dem  es   sich  bethätigen   soUtOi    böse  wiids 


Ijco^  'Lehrbuch  der  Unwerndge^ehichie.    (^Zweiter  Artikel.) 


SM 

aieto  Anderes,  alt  die  üofHbigkeit  der  rdmtscheii  Kir« 
ehe,  dto  natürlicbcn  Triebe  der  Menscheu  in  sittliche 
oinzabilden,  statt  sie  abstrsict  zu  aegiren,  bat  die  wilde 
Empqmog   derselben   zur  Folge   gehabt.    Die  Kirche 
hat  ?on  sich  aus  nnr  Welteatsagung   gefordert,  sie 
hat  ihre  eigeatlicheD  Organe,  die  Cleriker,  durch  den 
C6fibat  der  Familie,  durch  die  Antiuth  der  bürgerlichen 
Gesellschaft,  durch  den  blinden.  Gehorsam  dem  Staate 
vad  iet  Wissenschaft  entzogen,   wahrend  sie  anderer- 
seits Ehre,  Eigeuthum,   politisches  upd  wissenschaftli* 
ohes  Leben  als  uothweodige,  in  sich  geschlossene  und 
berechtigte  Kreise,  wenn  auch  nur  factisch  und  interi« 
nistisch  anzuerkennen   gen5thigt'  war.    Schon  dieser 
Widerspruch  mufste  die  Gewissen  srowohl  der  Geistli« 
ohen  als   der  Laien    verwirren ; ,  als  aber  die  Kirche 
durch  die    fortwährenden  Schenkungen,    welche  nicht 
nrnokgewiesen  werden   kenuten,   weil  sonst  den  Ge* 
.beta  das  Verdienst  der  Selbstverleugnung  unmöglich 
giemacbt  worden  wäre,    reich,   sowie  durch  die  lieber» 
tragung  von  Rechten  alier  Art  niächtigzu  werden  begann: 
so  erforderte  schon  die  Annahme  und  noch  mehr  die  Ver* 
veodang  dieser  Güter  und  Rechte  eine  Dispensation  von 
^  dem  eigenea  Verbote,  d^^b.  eine  Uebertretung  desselben, 
imd  jemehr  allmahlig  das  Bewofstsein  an  solche  Ver- 
letzungen ethischer  und  religiöser  Pflichten  als  an  so- 
gar ao|hwendige  sich  gewöhnte,  um  so  schrankenloser 
brach  dann  die  wirklich  sittenlose  Hab-  und  Herrsch- 
soeht  hervor,  bis  endlich  für  die  Befriedigung  dieser 
Zwedte  alle  Wahrheit  und'  Gerechtigkeit  feil  ward. 
Dafs  anf  dieselbe  Weise  der  Cölibat  eines  Standes, 
der  selbst  die  Ehe  heilig  sprach,   zunächst  in  faeimli- 
dien  Concubinat  und  sofort  in'  offene  Unzucht  ausar- 
ten mnfste,  liegt  am  Tage,  und  empirische  Bemerkun- 
gSB,  wie  Bd.  3,  S.  94,  die  Kirche  sei  nur»  durch  den 
Cölibaf  erhalten  worden,  werden  dnrch  die.  empirisch 
eboiso  sicheren  aufgewogen,  dafs  gerade  der  Cölibat 
die  Kirche  auch  wieder  ins  tiefste  Verderben  brachte. 
Auch   die  Werkheiligkeit  im  Allgemeinen  ist   nichts, 
ah  das  Produot  dieses  Widerspruchs,  dem  Subjecte 
eiatpseits  unmöglicbe  Zumulhungen  zu  n^achen  und  es 
hemaoh  gegen  geringere  Leistung ,  wieder  davon  loa- 
zttsprechen,  was   zugleich  die  peiagianische  Selbstge- 
rechtigkeit nfthrte;  so  wie  endlicli  nur  die  Kirche  sel- 
ber das   erwachende   wissenschaftliche  Denken    durch 
die  iBebaoptung  des  Mysteriums  in  der  Glaubens  Wahr- 
heit zum  blofsen  scholastischen  Verstand  herabgesetzt 


510 


nnd  dadureh  die  Verendliohung  der  Wahrheit  auctorU 
strt  bat.  Daneben  aber  ging  im  wirklichen  Leben 
der  germanischeu  Völker  die  wahrhafte  Veri^iitthing 
des  christlichen,  durch  die  Kirche  repräsent irteH-Ge» 
setzes  und  der  weltlichen  Subjedivitut,  des  An-  und 
des  Fürarobsems  vpr  sieh;  die  SaLjectivität  reinigte 
.Herz  und  Gesinnung  durch  die  Liebe  Goites  nnd  des 
Nächsten,  othisirte  Ehe,  Besitz  und  öffentliches  Recht^ 
vereinigte  die  Widerspruche  des  an  der  Wahrheit  irre 
gewordenen  Verstandes  in  speculativer  Mystik  und  so 
nach  wirklicher  Versöhnung  der  Wahrheit  und  des 
Lebens  trat  sie  mit  dem  Bewufstsein,  ihre  Aufgabe 
gelöst  zu  haben  oder  wenigstens  lösen  zu  können,  de( 
Kirche  gegenüber,  deren  ganzes  Recht  auf  der.  be^ 
haupteten  Unlösbdrkeit  derselben  beruhte. 

Es  ist  nun  aber  in  der  That^  ein  Jammer,-  wie  in 
dem  vorliegenden  Werke  die  Historie  der  deutschen 
Rfförmatien  behandelt  oder  vielmehr  mifshandeU  wird, 
und  die  altorthodoxen  Protestanten  unserer  Tage,  weiche 
den  „Löwen**  mit  so  vieler  Freude  in  ihrem  Lager  begrüfs- 
ten,  mögen  sich  wohl  vorsehen,  dafs'er  ihnen  nicht  eines 
Tages  ihre  besten  und  tüchtigsten  Leute  zerreifse. 
Tiefer  nämlicb,  als  jene  blickend,  wiewohl  etliche 
Schritte  mit  ihnen  gehend,  siebt  er  die  Motter  des 
Rationalilimus,  der  fnoderi^en  Geistesfreiheit  überhaupt, 
welche  ihr  gemenisamcr  WIderwilleu  trifft^,  bereits  in 
der  Reformation,  und  macht  durum,  nachdem  er  sie 
zuerst  nur  nicht  als  Signal  zu  jener  „zügellosen  Frech-  ' 
heit  nnd  Ungebundenheit**  wollte  {i;elten  lassen,  zuletzt 
ans  semem  Hasse  wider  sie  kein  Gefaeimnirs.  Damm 
steht  er  übrigens  noch  kemeswrgs  auf  dem  Boden. der 
katholischen  Kirche,  so  offen  er  auch  ihre  Sache  führt, 
sondern  die  Vertheidigung  derselben  giebt  nur  seiner 
Polemik  gegen  den  Protestantismus  einen  ebjectiven 
Halt,  in  Wahrheit  aber  ist  es  blos  das  Mifshehagen 
seiner  naturgewaltigen  Persönlichkeit  an  ihr  selber, 
welche,  da  sie  in  der  aus  der  Freiheit  wiedergebore* 
neu  Welt  des  Protestantismus  nicht  in  ihrer  unmittel- 
baren Kraft  einherfahren  darf,  aua  den  gegenwärtigen 
„sittlichen  Schranken*',  statt  sie  dnrch  die  Macht  des 
Gedankens  nnd  der  Liebe  iikr  sich  aufzuheben,  in  die . 
älteren,  weil  unwirklichen,  sich  zurücksehnt.  Zunftehst 
wird  in  den'  allgemeinen  Reflexionen  wiederholt  her- 
vorgehoben, wie  man  in  der  katholischen  Kirche  jene 
ganze  Ungebundenbeit  der  üeberzeugung,'  nach  welcher 
unsere  Zeit  lechze,  haben  konnte,  und  wie  die  Refor- 


'511  Dietrich^  fKora 

mation  TomehitiTicIi  geg€n  diese  Tolermz  losgebrochen 
sei,  und  nicht  Freiheit,  sondern  die  strengste  Gebnn« 
denheit  des  religiösen  Denkens  nnd  Handelns  zum 
Ziel  gehöht  hahe;  einseitige  Sätze,  da  ja  offenbar  das 
Kundgeben  und  noch  mehr  Aas  praotische  Verfolgen 
einer  der  Kirchenlehre  entgegenlaufenden  Ueberzen- 
gung  nichts  veniger,  als  geduldet  war,  die  Zucht  des 
Gesetzes  aber  von  den  Referinatorcn  deutlichst  nur 
als  Mittel  zu  der  Freiheit-  in  Christo  pradicirt  ward. 

(Die  FortsetzoDg  folgt) 

XXXIII. 

Ffora  regniBortisiici  oder  Abbildung  undBeMehrei- 
bwig  der  in  Prettften  wUdwachMenden  Pflmi%en. 
Von  Dr.  Albert  .Dietrich.  '7r.  Band.  Berlin 
1839.    1.  2.  Befi. 

Der  Eifer,  mit  welchem  der  Hr.  Verf.  bei  der  Fortsetzung 
der  Flora  des  Königreichs  Freufsen  selbst  Pflanzen  sammelt 
undAndere  zum  Sammeln  anregt,  hal  besonders  für  die  Kenntnifs 
der  Berliner  Flora  den  Vortheil  gehabt,  dafis  manche  Pflanze, 
die  man  sonst  nur  aus  gröfserer  Ferne  zu  erhalten  gewohnt 
var,'^ jetzt  ganz  in  der  Nähe  entdeckt  ist,  ja  sogar,  dafs*  Von 
manchen  Gattungen  bei  genauer  Beobachtung  neue  Arten  oder 
doch  merk\%ürdige  Formen  beschrieben  worden  'sind.  -  Die 
ilefte  des  7.  Bandes  geben  hierTOn  auch  wieder  Zeugnifs  durch 
die  Beschreibung  und  AbbUdung  mehrerer  Formen  vün  Orobac- 
dien,  die  ein*  fleifsiger  Sammler  und  Kenner,  von  dem  auch 
Gentiana  verna  in  der  Nähe  rou  Berlin  aufgefunden  worden, 
Hr.  Geh.  Reg.  Rath  Krause  in  den  hügeligen  Uavelumgebungen 
•  in-  der  Nähe  von  Potsdam  gefunden  hat,  weshalb  auch  eine 
Spedes  ihm  zu  Ehren  O.  Krausei  von  Hrn.  Dr.  Dietrich  be« 
nanut  worden  ist.     W'ailroth  war  einer  der  ersten,  welcher  er^ 

.  kannte,  dafs  die  von  Willdenow  in. den  Species  plantarum  cha- 
rakterisirten  4  deutschen  Species  Orobanchen  keineswegs  alle 
Formen  unifafsten,  und  auf  die  neue  Untersuchung  der  Gattung 
Ocobanche  gi;orsen  Fleifs  verwendete.  Dann  gab  Keielienbach 
eine  Uebersicht  der  detitschen  und  theilweise  der  europäischen 
▼on  Ihm  unters chiedeiien  Arten  und  mit  Vereinigung  einiger 
Beichenbachscheo  Formen  sind  dann  .  mit  Hinzufügung  der 
selbstbeobachteten  Arten  in  Kochs  S>'Hopsis  FLorae  Germanicae 
et  Helretiae  zusammen  21  Species  Ton  Orobanchen  beschrieben. 

'  Diese  hat  nun  Herr  Dr.  Dietrich  noch  mit  einigen  um  Berlin 
vorkommenden  vermehrt.  Die  Orobanrhenarten  bieten  grofse 
Schwierigkeiten  der  Unterscheidung  dar,  weil  es  bleiche,  nie 
grütie  Schmarotzerpflanzen  sind,  deren  Färbung  und  Gestalt  in 

•  d£n  verschiedenen  Perioden  der  Entwickelung   und   d«s  Verblii- 

'-  hens  mancherlei  Uebcrgänge  darbieten.    Die  ersten  Orobanchen 

dieses  Werkes  sind   im   dritten   Bande   beschriebeni   und  zwar 

meistens  nach  Exemplaren,  die  dem  Hrn.  Verf.  aus  der  Gegend 

von  Frankfurt  an  der  Oder  durch  Hm.  Apotheker  Buek  zugc« 


regni  bormnci.  512 

aendeC  waren,  eiaig«  »ach   den  bei  Banngarteabrüidc  ia  4«r 
NShe  von  Potsdam  gefundenen.     Unter  diesen  natersckied  der 
Vf.  drei  neue  Arten:   O.  Buekii,   O.   tubiflora  und  O.  robusia. 
Der  vierte  Band  enthält  eine  der  O.  K|)ithynium  ähnliche  neue 
Art:  O.  rabiginosa  Dietr.  vom  Siebengebirge  und  in  den  entes 
beiden  Heften  des  7..  Randes  findet   man   aufser  der  eben  |^ 
nannten  Or  Krausei  noch  O.  maerantha,  O.  gilra  und  Cdtriaa, 
so  wie  die  O.  tarquata  Relchenb.  aus  der  Umgegend  vor  B^^ 
hn  abgebildet  und  besd^rieben.    Der  Hr.  Verf.  sagt  Ton  dieaeii 
Arten :     „Durch  die  Entdeckung  dieser  Formen  ist  die  Schwie- 
ligkeit in  Hinsicht  der  Feststellung  guter  Arten  noch  verniehrt 
Worden.     Es  sind  diese  Formen  nämlich  in  ihrem  äufseren  Ab> 
sehen  von   der  ersten   Entwickelung .  an  bis  zum  Absterben  *•» 
vei^cbieden,  daCs  man  sie  unmöglich  alle  fär  Ablndeningen  ei- 
ner und  derselben  .Art  halten  kann»  und  dennoch  ist  es  lodi 
nicht  gelangen,  durchgreifende  Kennzeichen  zu  ihrer  Cbaraiiti- 
ristik  aufzufinden.    Auf  jeden  Pall  erfordert  es  noch  eine  fort- 
gesetzte Beobachtung  aller  Formen   im  lebenden  Zustande  and 
genauer  Untersuchung  Ihrer  Theile,  um  zu   unterscheideo,  wu 
Art  oder  Abart  aei.    Vorläufig   will  ich  es  daher  noch  «nest- 
schieden lassen,  ob  die  dargestellten  Pflanzen  wirklich  als  pli 
Arten  oder  nur  als  blofse  Formen  anzusehen  sind,  und  werdcs 
die  gegebenen  'Abbildungen   dazu    dienen,  zu  weiterer  Unterni* 
chung  anzuregen.    Alle   diese  fünf  Formen  kommen  "In  der  Bil- 
dung und  «Bekleidung   der  Staubgeßfse  und  des  Stempels  pXL 
*mit  denen  von  O.  Galii,  laziflora  u.  a.,  ja  selbst  mit  denen  roa 
O.   Epithymum   überein ;    allein  sie  zeigen  in  der  Gestalt  «n4 
Venheilung  der  SchuppciHi  in  der  Griifse.  der  Deckblätter  und  io 
der  Form  der  Kelche,  so  wie  in  der  Beschaffenheit  der  Narben 
so  merkliche  Verschiedenheiten,   dafsman  sie  unmöglich  alle 
als  zu  einer  Art  gehOrig  ansehen   kann.     Dafs  die  So  sehr  rer* 
schiedene  Farbe, ,  die  Form  des  Blüthenstandes,  die  GrÖfse  in4 
Kichtuiig    der  Blumen   ebenfalls    als  Artencbaraktere.  Anfmeii* 
samkeit   verdienen,  wird   niemand    läugnen.      Die  Grofse  und 
Jüchtung  der  Lippeniäp[ichen  scheint  jedoch  in  den  Terschiedi- 
nen  Entwickelungsperioden  der  Blumen  verschieden.    Auch  dii 
Gestalt  der  Narbe  ändert   in  der  Befinichtungsperiude  ab.    Die 
Farbe  der  Narben  aber  ist  sehr  constaut.  Ob  es  codstant  ist,  daüi  gt- 
trennte  und  verbundene  Kelchblätter  nur  an  verschiedenen,  wie  bei 
den  hier  abgebildeten  Formen  erscheinen,  ist  noch  naher  zu  prutett.' 
Gewil's  ist  aber  aufser  allem  diesen  auch  noch  ,  auf  die  Mutter- 
pflanzen zu  sehen,  worauf  die  parasitischen  Orobonchen  wa^ 
zeln.     Wir  sehen  bei  den  übrigen  parasitischen  Pflanzen  nnft* 
rer    Klimate,    z.  B    der  -Gattuitg    Cu&cuta,   Viscum,   Lathraet, 
selbst  Monotropa,  dafs  sie  innerhalb  enger  Grenzen  nur  auf  be- 
stimmten  Mutterpflanzen,  erscheinen.    Auch   hat    man  mehren 
Arten  der  Gattung  Orobanche,  weii  sie  sich  <imnier  rtur  auf  des- 
selben  Pflanzen  wiederßnden,  wie  O.  Scabiosae,  O    Thynii  0« 
Galii  u.  a.   hiemach  benannt.     Es  ist  also  sehr  wabrscheinlidi} 
dafs  durch  das  Keimen  derselben  Art  auf  verschiedenen  Mutte^ 
pflanzen  vorzugsweise  die  verschiedenen  Uebcrgangsformen  er- 
zeugt werden.  ^ 


wissen 


J^  65. 

Jahrbücher 

für 

schaftliche 


Kritik. 


October  1839. 


Lehrbuch  der  Unwersalgeschtchte  zum  Gebrau- 
che in  höheren  Unt^rrichtsansialten  ton  Dr. 
Heinr.  Leo."^ 

(FortaiFtitung.) 

Danim  handelte  es  sich  aucli  keineswegs  blofs  um 
die  ,,Reini£^nng  des  Ton  den  Romanen  ausgebildeten 
Eirchengebäudes  tou  nicht  hineingehörigem  Schmutze" 
Bd.  2)  S.  383,  oder  um  die  blofse  Wiederherstellung 
der*paulinisch-augustinischen  Auffassungen  der  christ- 
lichen Doginen  gegen  den  Pelagianismus,  es  müfste 
denn  sein,  dafs  bei  der  Lehre  Pauli  Tornämlich  an  die 
Ton  der  Freiheit  der  Kinder  Gottes  gedacht  wurde. 
Denn  alle  protestantischen  Dogmen  sind  nur  Momente 
des  Begriffs  der  Freiheit,  aber  der  mit  der  Nothwen- 
digkeit  (h.  Schrift)  identischen  und  durch  sie  vermit- 
telten^ nicht  relativen  (Erbsünde,  justitia  civilis),  son- 
dern absoluten  Freiheit,  die  selbst  jene  Nothwendigkeit 
nicht  als  abstract  objective  stehen,  läfst,  sondern  sie 
zum  Momente  ihrer  Selbstentwickehing  .herabsetzt  {te- 
stimonium  ^pir.  B.)«  Hierin  kommt  uns  Herr  Leo  ein- 
mal anf  unerwartete  Weise  entgegen,  wenn  er  S.  81 
ff.  die  Wissenschaft  der  christlichen  Theologie  als 
diejenige  bezeichnet,  welche  „allein  die  olyective  Grund- 
Lige  aller  Schrifterklärung''  sein  könne,  und  welche 
nach  demselben  Zusammenhange  „die  Tom  heil.  Gei- 
ste erTüUte  und  geleitete  Kirche^  sein  mufs,  die  „nicht 
identisch  ist  mit  der  römischen,  noch  mit  irgend  einer 
andern  historisch  vorhandenen."  Dann  aber  ist  es  so- 
gleich nicht  wahr,  dafs  „für  ein  Genmth,  das  sich 
nicht  formell  zufrieden  geben  wollte,  in  der,  katholi- 
schen Kirche  nichts  im  Wege,  stand,  sich  in  den 
wahrhaft  christlichen  Geist  zu  versenken*':  denn  des- 
sen Element  ist  eben  das  der  freien  theologischen  Un- 
tersuchung; und  fiir  jene  Behauptung  die  grofse  Zahl 
der  Seelsorger  anführen,  welche  sich  nachher  der  Rc- 
Juhrh.  f.  wüsemcK  Kritik.  J.  1830.  II.  Bd. 


formation  anschlössen,  heifst  nur  die  Sache  tiuf  den 
Kopf  stellen.  Auch  die  Beispiele,  welche  S.  162  aus 
Gelegenheit  des  Regensburger  Colloquiums  von  1541 
citirt  werden,  sind,  was  den  Spanier  Juan^Valdez  und 
seine  Partei  in  Italien  betrifft,  durch'  die  Abhandlung 
von  Schmidt  in  Illgen's  Ztschr.  f.  bist.  Theol.  neue 
Folge  I,  4.  S.  123  ff.,  upd  was  Contarini  und  seipe 
Genossen  betrifft,  durch  den  von  Rom  aus  bewirkten 
Ausgang  jenes  Colloquiums  sattsam  widerlegt.  Auf 
gerechtere  Weise  restringirt  daher  Hr.  Leo  die  Wie- 
deraufraffung  der  katholischen  Kirche,  zu  welcher  auch 
jene  Torgänge  zu  zählen  sind,  S.  ,193  dahin,  dafs  sie 
biezu  nur  durch  den  Protestantismus  veranlafst  wor- 
den, jedoch  fortwährend  äufserlicb  geblieben  sei,  so 
dafs  er  nur  schwebend  sich  auszudrücken  wagt,  der 
römische  Katechismus  enthalte  „fast  alle*'  Fundamente 
des  christlichen  Glaubens,  oder  S.  74  die  katholische 
Kirche  bilde  noch  an  diesem  Tage  für  Tausende  und 
Abertausende  yon  Menschen  den  Anhaltpunkt  wahr- 
haft (!)  christlicher  Ueberzeugungen.  So  wird  es  kaum^ 
von  dieser,  sondern  eben  nur  von  der  protestantischen 
Kirche  gelten  können,  dafs  „seit  der  Refonnation  der 
Glaube  mehr  und  mehr  aus  dem  Terrain  der  Politik 
yerscheucht  und  lediglich  zum  Eigenthum  kleiner  Kreise 
und  Individuen  geworden  sei,"  und  zwar  dieses  durch 
die  Macht  der  machiavellistischcn  Tendenzen,  so  dafs, 
da  die  erste  Periode  der  neueren  Geschichte  als  die 
dieser  Tendenzen  bezeichnet  wird,  die  Reformation 
nnr  als  verschwindendes,  überwundenes  Moment  darin 
Yorkäme.  Da  aber  doch  auch  die  römische  Kirche 
schon  seit  den  Kreuzzügen  immer  mehr  dem  Verder- 
ben anheimgefallen  sein  soll,  so  bekommt  der  Hr.  Vf. 
eine  Geschichte  von  6  Jahrhunderten,  in  welcher  der 
Geist  Christi  nur  dem  Fürsten  dieser  Welt  Triumphe 
bereitet  haben  würde.  Wir  beneiden  ihm  die  Qual 
und  die  Trostlosigkeit  dieser  Auffassung  nicht,  sie  ist 

65 


515 


Le0y  Lehrbuch  der  ünwerecigeeehiehie^    (Zweiter  Artikel.) 


518 


nur  die  gerechte  Yergeltuiig  seines  Uoglavbeos  nad 
seiner  Herxensbärtigkeit.  —  Gehen  wir  zu  den  Ein- 
zelnheiten  über« 

Von  Luther  halfst  es  bei  seiner  ersten  Elrwäh- 
niuig,  „um  ihn,  ein  wie  sehwacher,  ton  Leideaschaf« 
ten  heimgesncbter  Mensch  er  auch  gewesen,  habe 
sich,  als  er  das  Panier  Christi  erhoben,  der  Kern  ei* 
Des  christlichen  Streitheeres  gesamunclt,  dessen  Um« 
gehuag  den  Pannerträger  selbst  mehr  und  mehr  läu- 
terte und  zu  einem  der  Rolle,  welche  das  Schicksal  (?) 
ihm  zugetheilt,  würdi{^en  Helden  erzog."  Gleich  tou 
der.  allgemeinen  Aufregung  jedoch,  welche  seine  The« 
ses  hervorriefen,  wird  S.  79  gesagt,  sie  hätte  ein  we« 
niger  ritterliches,  streitfertiges  Gemüth,  als  Luther's, 
•ingeschüchtert  und  zum  Zurücktreten  bewogen,  wäh« 
rend  L.  nun  eben  sich  hinreifsen  liefs,  theologischer 
Vertreter  dieser  Opposition  allmählig  in  ihrem  ganzen 
Umfange  zu  werden.  Beide  Auffassungen,  obwohl  sich 
widersprechend,  sind  indessen  gleich  falsch :  denn  was 
das  Substantielle  von  Luthers  Persönlichkeit  betrifft, 
so  war  er  in  Wittenbevg  bereits  der  durch  die  inner- 
lichsten Geisteskämpfe  geläuterte,  christlichfreie  Mann, 
der  lange  die  Gefahr  seines  Unternehmens  allein  trug 
und  seiner  Partei  vielmehr  seinen  Geist  einhauchte, 
als  dafs  er  von  ihr  getragen  worden  wäre.  Welche 
andere  Leidenschaft  aber  will  ihm  Hr.  Leo  beweisen, 
als  eben  nur  seine  Ritterlichkeit,  seinen  Zornmuth? 
von  diesem  jedoch  ist  L.  bis  an  sein  Ende  nicht  „ge- 
läutert** worden,  ohne  ihn  aber  wäre  er  so  wenig  der 
grofse  Reformator  geworden,  als  Hr.  Leo  ohne  ein 
ähnliches  Element  sein  Widersacher,  so  zwar,  dafs  in 
jenem  der  -d^viioq  nie  als  blofse,  natürliche  Streitlust, 
sondern  als  Organ  des  Glaubens  erschienen  ist.  In 
demselben  Zusammenhange  (s.  auch  S.  101)  behaup* 
tet  Hr.  Leo  weiter,  in  die  grofse  Theilnahme,  welche 
Luthers  Sache  fand,  haben  sich  zum  Theil  die  unlau- 
tersten Interessen  mit  eingemischt  und  ohne  eine  Theil- 
nahme dieser  Art  würde  freilich  die  Reformation  kerne 
äufserlich  hinlänglich  ausgedehnte  Basis  gewonnen  ha- 
ben; jene  luteressen  aber  bezeichnet  er  als  die  der 
Humanisten  'gegen  die  Mönche,  des  Adels  gegen  die 
um  sich  greifenden  geistlichen  Fürsten,  der  städtischen 
Gemeinwesen  gegen  politische  Prätensionen  der  Geist- 
lichen, des  Volkes  überhaupt  gegen  kirchliche  Mifs- '  geben  und  mit  menschlichen  Interessen  wahrhaft  geb 
brauche  im  Allgemeinen;  andere  Unlauterkeiten  weifs  chen,  einer  fürstlichen  Stellung  vorzugsweise  würdig 
er  nicht  zu  benennen,  und  verfällt  daher  um  so  gewis-     genügen  könne,"  und  dars  die  katholische  Kirche  ,^di6 


■er  dem  Urtheil,  welohes  Hegel  (Reohtsphilos.  ^  124) 
über  eine  Geschiohtsbehandlnng  dieser  Art  geftlllt  hat 
Dieselbe    psyohologtsirende    Kleinmeisterei    behauptet 
wieder  S.  80,  Ecks  Angriffe  haben  Luthern  erst  zu 
Behauptangen  verleitet,   durch  welche  er  wirklich  ia 
die  Fufsstapfen  von  Hus  getreten  sei,  und  während  An- 
dere fürchteten,  in  ähnlicher  Weise  verantwortlich  g»> 
Hiaeht  zu  werden,  so  habe  er  nun  erst  seine  Ehre  daiw 
eingesetzt,   nicht  feig   in  sich  zusammenzuschreckcik 
Als  ob  das  Successive  und  Vermittelte  in  der  geistigen 
Eatwiekelung  eines  Menschen  irgend  etwas  über  die 
Wahrheit   seines  Bewufstseyis   entschiede;  was  aber 
-die  Anschuldigung  betrifft,  L.  habe  nnjr  um  seiner  in- 
dividuellen Ehre  willen,  also  wider  besseres  Wissen 
und  Gewissen,  (unwahre)  abätze  von  Hus   vertheidigt, 
80  mufs  dieselbe  so  lange  als  eine  haare  Verleumdung 
zurückgewiesen   werden,  bis   die  historischen  Beweise 
einer  solchen  schlechten  Gesinnung  und  des  Widei^ 
Spruchs,  in  welchen  L.  sich  durch  jene  Vertheidigang 
mit  seinem  ganzen  Principe  verwickelt  hätte,  mit  I^ücIe« 
sieht  z.  B.  auf  die  Schrift  „von  den  neuen  Eekisehes 
Bullen  und  Lügen"  beigebracht  sein  werden.    Insbe- 
sondere widerlegt  sich  die  Behauptung  S.  87,   durch 
den   ungünstigen  Ausgang  der  Leipziger   Disputation 
(über  die  der  unparteiische  Petrus  Moselianus   nicht 
gehört  worden  ist),  sei  L.  zuerst  und  entschieden  zur 
offenen  Empörung  gegen  die  römische  Kirche  getrie- 
ben worden,  durch  den  schon  vom  3.  Februar  1519  da* 
tirten  Brief  desselben   an  Job.  Lange,   in  welchem  er 
sagt,  er  habe  schon  lauge  im  Sinne,  in  einer  ernatee 
Schrift  gegen   die  Römlinge  loszuziehen,   während  er 
sich  bisher  mehr   spiel-  und   scherzweise  ausgespro* 
chen  habe. 

Recht  eigentlich  erbost  ist  nun  aber  Hr.  Leo  aaf 
Luthers  Buch  an  den  deutschen  Adel,  eine  Schrift,  in 
der  er  „über  alle  Schranken,  die  er  hätte  achten  müs- 
sen, ausschlug,''  worin  „die  besten  und  die  bösestes 
Motive  durch  ihre  Aeufserungen  eine  höchst  widrige 
Mischung  her?orbringen"  und  worin  besonders  die  Un- 
verträglichkeit von  fürstlicher  und  kirchlicher  Gewall 
in  Einer  Person,  welche  Luther  wider  das  Papsttham 
behauptet,  gegen  Hrn.  Leo's  „Ansicht''  ist,  nach  wel* 
eher  „gerade,  wer   sich  im  Glauben  ganz  Gott  hiog^ 


U7 


L$0y  LeArimtk  der  Unmermdgeeekiehle*    (Xweker  Artikel.) 


BIS 


HSglidikwt  ÜMet  YerMtigwiig  eiaes  auf  Gottes  iiii4 

MHier  Kirche  Ehre  gerkkteten  Gmniithetf  mk»  groliev 

Gewalt  gewährte  wmA  gewährt,  ein  wahrhaftiger  Vor^ 

2Ug  derselben  vor   den  protdetantieoben  Kirohen"  eein 

gelL   Ob  derlei  Abstraotionen  irgend  einem  vernünfti- 

gea  Meaechea    die   Theokratie    und   Hierarchie  von 

Neaem  phmaibel  machen  werden,  sweifeln  "wir,  aad  wenn 

■iehl  oonfaser  Weise  politisebo  nnd  kireUiehe  Leistan- 

gea  lUBammeagestellt  werden  sollen,  so  wird  die  neuere 

Politik  aa  den  „iiirstliohen"  Zielen,  welobe  Gregor  VII^ 

IsBocenB  ni,  Ximenes  aireioht  haben,  gar  wohl  ihre 

Augen  erheben  dftrfen :  denn  wahrlich  der  römische  Kir« 

flbeBslaat  und  Spanien  unter  Ximenes  haben  noeh  nir> 

gesds  als  politische  Ideale  gegolten,  Tieluiehr  ist  es 

die  trivialste  historische,  Anschauung,   dafs  die  roma- 

sisch-kathoiischen  Länder  gerade  durch  dmi  hierarchi* 

•ehea  Zwang  in  ihrer  politischen  Entwicklung  so  laago 

wackgehalten  worden  sind,  bis  sie  die  Bahn  der  ge- 

wsitsamsten  RcTolntioaen,  auf  der  sie  noch  einherge- 

hcD,  betreten  habea.     Völlig  perfid  ist  aber  4i«  A»* 

icbuldigang,  als  habe  L.  den  Kaiser  durch  die  Ans» 

sicfat  auf  die  Einsiehuag  des  Kirchenstaats  und  des 

Lebensverhältnisses  Neapels^  den  Adel  und  die  Städte 

dsroh  die  Lockspeise  des  Kirchenguts  n.  s.  w.  anaie- 

bea  wollen:  nicht  nur  zeigt  sich  in  der  gansen  Schrift 

davon  nicht  die  geringste  Spur,   sondern  L.  hat  zeit« 

kbois  fast  mehr,  als  er  sollte,  jede  weltliche  Unter- 

•tJItzuDg  seiner  Sache    zurückgewiesen«     Erwähnung 

verdient  hier  auch  der  gegen  Luther's  Verwerfung  des 

Cdlibats  zum  angeblichen  Besten  der  protestantischen 

Kirche  gemaohte  Vorschlag  einer  anders,   als  bei  den 

fibrigea  Menschen,   bedingten   Ehe   ihrer  Geistlichen, 

wobei  nur  auffällt,  dafs  L.  nur  die  „Zweckmftfsigkeit'' 

des  Momentes  vor  Augen  gehabt  haben  soll,   Ref.  in- 

deisen  erst  noch  auf  die  nähere,  kirchenreobtiiche  Aus« 

ftbmng  wartet.    So  verschmäht  Ref.  es  auch,  Luther'n 

gegen  den  weitern,  schon  mit  S.  82  im  Widerspruch 

stehenden,    Vorwurf  zu  vertheidigen ,   dafs  er  viel  zu 

9,beengt  (Hr.  Leo  sagt  sonst:  boroirt)  m  Wesen  und 

Bildung"  gewesen  sei^  nm  „die  Herrlichkeit  und  Tiefe 

des  Konatwerks"-  der  römischen  Hierarchie  zu  durch« 

schauen ;   wafarflobeinlich  fehlte  es  auch  dem  Apostel 

Paahia  an  dieser  Bildung,  als  er  auf  die  gleiche  Weise 

das  jüdische  Gesetzeswerk  umBtiefa,  und   sie  können 

sich  ja  beide  damit  trösten,  dafs  wenigstens  „der  echte 

Grund,"  der  in  ihnen  waltete,  sie  als  „achtungswärdig*' 


erscheiaeB  lasse,   and  dafa  ^der  Herrlicbkeit  Gottea 
auch  ihre  Sünde  habea  diimea^^  müsaeo. 

Schon  hier  S.  92  macht  Hr.  Leo  aaeh  die  weitere, 
S.  141  mit  Beziehung  auf  Zwingli  näher  ausgeführte 
Anklage  geltend^  als  ob  aach  Luther  das  Prtesterthun 
(diesen  Begriff  verwirft  aber  L«  direot)  seiae  Eatste^ 
hang  nnr  einem  Auftrage  der  Gemeinde  zu  danken  habe^ 
was  er  ohne  Weiteres  die  Wurzel  aller  die  menscUi« 
ehe  Gesellschaft  in  den  letzten  Jahrhuaderten  bedro* 
henden  Lehren  nenat.  Die  göttliche  Einsetzung  des 
Lehramts  hat  L.  aubh  in  jener  Schrift  nirgends  ge* 
leugnet,  wohl  aber,  dafs  „in  der  Steilang  des  ReU* 
gionslehrers  etwas  Monarchisches'*  liege^  dafs  die  Geiatw^ 
liehen  „die  geistigen  Herren**  der  Gemeinde  sem  sak 
len,  welche  seine  neue  Theorie  der  Hr.  Verf.,  wenn  et 
doch  nach  S«  174  die  Schrift  geitea  lassen  will,  g^g^ 
Luc.  2a,  2»;  1  Cor.  3,  5;  ^  Cor.  1,  24;  1  Petr.  5,3. 
vertheidigen  möge.  Es  hilngt  hiemit  zusammen,  dafs 
das  Zustandekommen  einer  objectiven  Basis  fttr  die 
evangelische  Kirche  gegen  die  Zersplitterung  in  lau« 
ter  subjective  Richtungen  nur  Lothers  persönlicher 
Kraft  and  Zuversicht,  audi  wohl  seinen  despotischen 
Maalüiregeln,  nicht  der  in  ihm  watteaden  Macht  des 
Wahrheit  augeschrieben  wird,  so  dafe  z.  B.  S.  111  die 
Bibelübersetzung  nicht  zur  Instaadsetzung  des  Volkis 
selbst  über  den  Inhalt  der  Schrift  and  ihre  Bedeutung 
zu  forschen^  „wozu  eine  dem  Volke  nicht  gemeine  Bil* 
düng  erforderlich  gewesen  w&re,"  sondern  nur  zur  Be« 
festigung  der  Auctoritäl;  der  neuen  Kirchenlehrer  ge« 
dient  haben  solL  Wenn  aber  doch  S.  lOS  der  Zwickauer 
Tuchmacher  Storch  in  seiner  Verwerfung  der  Kinder« 
taufe  den  lutherischen  Grundsätzen  der  Kirobenbesse* 
rung  consequenter  gefolgt  sein  soll,  als  Luther  selbst^ 
^e  Conseqnenz,  über  welche  feeilich  Theologen  sich 
wundern  werden:  so  war  ja  im  Volke  tbeil weise  eine 
noch  höhere  theologische  Einsicht  vorhanden»  als  bei 
dem  D.  und  Prof.  zu  Wittenberg,  und  es  kann  L.  bei 
seiner  Auffassung  des  Schriftinhaltes  im  Ganzen  nnd 
in  den^  Hauptsachen  nicht  so  ,,im  Rechten"  gewesen 
sein,  wie  sich  doch  nachher  auch  allgemein  wissen* 
schaftlioh  bewährt  haben  soll  S«  IIL  Indessen  war 
Luthers  Zweck  bei  jenem  unsterblichen  Werke  weder 
der  engbefvige,  sich  eine  breite  Basis  für  willkürliche 
Behauptungen  zu  schaffen,  noch  der  unsinnige,  aila 
Leute  dadurch  zu  theologischer  Einsicht  zu  bilden^ 
sondern  den  Glaubigen  das  ihnen  entrissene  Evange- 


•  . 


519 


Leo^  JLehrbueh  der .  Ümverialge9chiehte.    (Zureiter  Artikel.^ 


wieder  zu  erstatten,  so  dafs  er  die  Bildung  «im 
gläubigen  Verständnifs  nicht  voraussetzte,  sondern  erst 
bewirken  wollte,  in  welcher  Voraussicht  er  sich  wahr-, 
lieh  nicht  verrechnet  hat«  —  Yon  den  Formlosigkeiten 
beim  Wotmser  Edict  ist  S.  105  blos  erwähnt,  dafs  nur 
die  wenigen,  zurückgebliebenen  Fürsten  (aber  von  die* 
Ben  wurde  auch  Churfiirst  Ludwig  von  der  Pfalz  über- 
gangen) es  unterschrieben,  die  Fälschung  des  Datums 
bleibt  verschwiegen.  —  Den  Zusammenhang  des  un- 
verhältnirsmäfsig  weitläufig  S.  118—135  erzählten  Bau- 
emkriegs  mit  der  Reformation  geben  wir  zu,  beson« 
ders  da  Hr.  Leo  selber  ein  grobes  Mifsverstehen  der 
währen  Reformationsinteressen  darin  findet;  wenn  er 
aber  meint,  jene  Empörungen  würden  die  Reformation 
unterdrückt  haben,  wäre  nicht  Johann  von  Sachsen 
ganz  für  dieselbe  entschieden  gewesen,  so  haben  wir 
mit  einctr  solchen  scientia  media  nichts  zu  schaffen, 
und  wenn  er  den  Ansprüchen  der  Bauern  nichts  entge- 
genzusetzen weifs,  als  die  historische  Entwicklung, 
„deren  Nothwendigkeit,  Hechtmäfsigkeit  und  sogar 
Zweckmäfsigkeit  nur  von  denen  erkannt  ward,  die  grö- 
fsere  Zeiträume  der  deutscheu  Geschichte  übersahen*' 
u«  s,  w:  so  klingt  dieses,  ^wie  die  Bezeichnung  des 
„in  seiner  .Wohlhabenheit  üppigen''  Landvolkes  nur 
wie  bitterer  Hohn,  wogegen  die  Bauern  übrigens  mit 
ihrem :  als  Adam  reut  und  Eva  spann  u.  s.  w.  eine  noch 
umfassendere  historische  Kenntnifs  hätten  beweisen 
können«  —  Mit  der  angsburgischen  Confession  ist  Hr. 
Leo  im  Ganzen  zufrieden,  sofern  er  sie  wesentlich  nur 
von  dem  Gesichtspunkte  ihrer  Uebereinstimmung  mit 
der  alten  kirchlichen  Lehre  betrachtet«  Was  aber, 
um  mit  diesen  Einzelnheiten  zu  Ende  zu  kommen,  sein 
letztes  Urtheil  über  die  deutsche  Reformation  betrifft, 
80^  soll  S.  135  coli.  151  ihr  ganzes  äufserliches  Resul- 
tat nur  die  Ausbildung  einer  ärmeren,  schwächeren 
Kirche  und  die  Y^ervollständigung  der  Territorialhenv 
Sücbaft  deutscher  Fürsten  gewesen  sein,  so  dafs,  „wäre 
diese  Kirche  nicht  eine  Bewahreriu  wahrhaft  evangeli- 
scher Wahrheiten  gewesen,  man  nur  mit  tiefer  Betrüb- 
nifs  auf  die  deutsche  Reformation  zurückblicken  kannte." 
Diese  beiden  Gedanken  an  das  Verlorene  und  das  Ge- 
wonnene  weifs  also  der  G(r.  Verf.  nicht  zu  versöhnen, 
obgleich  er  S.  192  durch  ihr  dogmatisches  Resultat 
die  Reformation  „nach  allen  Seiten"  gerechtfertigt  sein 
läfst;  es  bleibt  ihm  vieiraehr  der  unaufgelöste  Wider- 

(Die  FortoetznBg  folgt) 


520 
Spruch  stehen,  data  trotz  der  ewigen  Wahrheit  s^e« 
Bewufstseins  der  Protestantismus  weder  kirchlich  noch 
politisch  sich  als  objective,  substantielle  Macht  zu  be- 
weisen im  Stande  war. 

Allerdings  konnte  derselbe  in  seinem  ersten  Sti^ 
dium,  der  Reformation   selber,  noch  keide  vollendete 
Organisation  zur  Darstellung  bringen,  sondern  es  han* 
dehe  sich  darin  noch  um  sein  allgemeines  Princip,  ob 
dieses  sein  Recht  zur  Wirklichkeit  behaupten  könne, 
oder  nidit.    Der  Staat    war  dabei  insofern  sogleich 
betheiligt,   als  er,    wesentlich  ein  Product  des  freies, 
sittlichen  Geistes,  neben  einer  Hierarchie  unmogliGfay 
als  protestantischer  aber  mit  einer  Kirche,  die  wie  er 
ein  objectives,  aber  dureh  den  freien  Gedanken  eneog- 
tes  Bewufstsein  hat,  gar  wohl  verträglich  ist.    Zoent 
treten  daher  beide  in  einander  als  religiös -politiscbe 
Gemeinde  auf  und  unterstützen  sich  unmittelbar  in  der 
Behauptung  ihrer  neuen  Rechte;    der  Staat  leibt  der 
Kirche  seinen  Arm  gegen  gewaltsame  Unterdröckmig 
und  wird  von  ihr  in  seiner  freien  Constitnirong  dureb 
die  Waffen    des  Geistes  vertheidigt.    Um  hiezu  die 
nothwendrge  materielle  Basis   zu  erlangen,    macht  er 
sein   absolutes  und  jetzt  well  historisches  Recht  über 
sein  Vermögen  durch  die  Einziehung  des  Kirohengttts 
geltend,    dessen  Secularisation ,   auch  wenn  man  nur 
moralisch  judiciren  will,   durch  gröblichen  Mifsbrauch 
längst  verschuldet  war«    Die   protestantische  Kirche 
begnügte  sich  mit  einem  weit  unbedeutenderen  Tbeile 
der  bisherigen  Ausstattung,  indem  sie  es  vorzog,  ihre 
Unabhängigkeit  auf  die  Macht  der  Wahrheit,  als  aof 
wehlichen  Reichthum  zu  gründen,  so  dafs  klagen,  vie 
S.  194,  schon  durch  die  Vergleichung  dessen,  was  die 
arme  protestantische  und  was  die  reiche  katholische 
Kirche  seit  der  Reformation  geleistet  haben,  sich  erle- 
digen.   Die  Abhängigkeit  aber,  in  welche  jene  durch 
ihre  Armuth  und  die  Ehe  der  Geistlichen  von  der  weit* 
liehen  Gewalt  gekommen  sein  soll,  und  die  ihr  S.  322 
und  349  unter  den  bescbimpfendsten  Ausdrücken  vo^ 
geworfen  wird,  reducirt  sich  zunächst  auf  die  mit  «der 
Concordieuformel,  bis  zu  welcher  die  Kirche  durch  des 
tapfem  Sinn  ihrer  Pfarrer   sich  ausgezeichnet  haben 
soll,  eintretende  theologische  Ruhe,  wodurch  der  Stasi 
noch  mehr  Raum  gewann,  seine  selbstständige  Bilduog 
zu  verfolgen. 


v¥  66. 

Jahrbücher 

u  r- 

wissenschaftliche    Kritik. 


October  1839. 


Lehrbuch  der  Umpersalgeschiekte  zum  thbrau- 
che  in  höheren  Unterrichtsanstalten  von  Dr. 
Heinr.  Leo. 

(Fortsetonif.) 

Die  gftDse  Geschichte  Deottchlands  tooi  Augsbnr- 
fffit  ReligioDefrieden    bis   zum   dreifsigjäbrigeii    Krieg 
S.  301— 351  hat  mit  ihrem  erregten,  religiöe-politisobeii 
Leben  weder  ein  so  scUecbtes,  noch  ein  so  einseitiges 
Prindp,  als  ihr  S.  301  u.  34&1  in  dem  ^^widenrärf igen'' 
Banehmen  Moritiens  von  Sachsen  gegen  die  ernestinl- 
sche  Linie,   wekhes  den  Kampf  der  Philippisten   und 
der  Flacianer  u.  s.  w.  entzündet  haben  soll,  nnterscho- 
bea  virdy  sondern  ihr  Inhalt  nnd  Zweck  ist  eben  der, 
der  Kirche  die  abschliefsende  symbolische  Form  dnrch 
die  Diailektilc  der  Intherischen  nnd  reformi^en  Princi^ 
pieu  SU  verschaflPen,  an  welcher  Arbeit  die  fttrstliche 
Gewidt  nur  kraft  ihrer  noch  unmittelbar«»  Identität 
mit  der    Gemeinde ^    als  Kirchenregiment,    nicht   als 
StaatiregicruDg,  wie  sich   schon  ans  der  beständigen 
Einholung  der  theologischen  Gutachten  ergibt,-  AntheU 
nahm.    Die    protestantische  Kirche,   von   Anfang  an 
zum  Reichen  ihres  Siegs  über  die  katholische  in  eine 
nebr  subjectire  and  in  eine  mehr  objective  Richtung 
auseinandergehend,  vermittelte  beide  dadurch,  dafs  sie 
in  der  einen  die   andere  als  Moment  ihrer  selbst  er- 
weckte, so  dafs  die  reformirte  Confession  durch  Calirin 
die  gröfsere  Strenge  der  Verfassung  nnd  im  Dogma 
.  Ton'der  Prädestinatbn  «und  Tom  Abendmahl  die  Aner- 
kennung des  objectiTen  Moments  in  der  ireligidsen  Idee 
empfing,   die  lutherische  dagegen  durch  die  Concor- 
dienformel  das  Bnb)eotive  Element  durch   Verwerfung 
der  Prädestination  in  sich  zuGefs,  dutefa  die  Fixirung 
der  Abeodmahlsiehre  aber  wieder  zuHIckwies.    Wenn 
nun.  Hf.  Leo  selbst  die  erstere  Lehre  zwar  8. 322  eine 
acht  lutherische   nennt,  sich    aber    gleichwohl   selber 
schwerlich  zu  derselben  bekennt,    weil  er  sonst  sein 

Jahrb.  /  fTUfefffcA.  Kriiih.   /.  1939.    11.  Bd. 


ganzes  Richteramt  in  der  Geschichte  abgeben  miifste^ 
in  der  Calvin'schen  Fassung  der  Abendmahlslehre'  aber 
S.  318  eine  solche  sieht,  welche  „fiir  Menschen  von 
weniger  Alles  durchdringender  Religiosität  leicht  die 
Thäre   zu  eigentiichor  Gottlosigkeit**   werden  könne: 
warum  hätten  denn  die  bisher  kryptocalrinischen  Pfar- 
rer, welche  der  Ton  deo  angesehensten  Theologen  ver- 
fafsten  Conoordienformel  sich  fügten,  lieber  ihre  Stel- 
len aufgeben,  als  diesen  Schritt,   der  ihnen  als  Rück- 
kehr zu  dem  ächten  Lutherthum  erschien,  thun  sollen f 
etwa  um  statt  des  seltenen  Lobs  wegen  tapfer«ii  Be- 
harrens bei  indiTid^eller  (leberzengung  den  entgegen- 
gesetzten Vorwurf  geistiger  Zuchtlosigkeit  auf  sjich  zu 
kden  und  blos  des  Eigensinnes  wegen  den  Streit  per- 
ennirend  zu  machen  1  während  ihnen  hier  vielmehr  der  . 
substantielle  Wahrheitsgehalt  jener  Formel  und  ihre 
grofse  kirchenhistorische  Bedeutung  zu  Gute  kommt« 
Die  nächste  Zeit  gehört  darum'  der  Einbildung  der 
festgestellten  religidsen  VTahrheit  in  das  Gemüth'des 
Volkes  an,  was  nicht '  „die  gutmiithige  Gesinnungslo- 
sigkeit,*' der  Pfarrer,  sondern  ihr  kräftiger,    substan- 
tieller Eifer  yollbracht  hat,  während  zugleich  die  theo- 
logische Wissenschaft,  auf  die  Hr.  Leo  gar  keine  Rück- 
sieht nimmt,    die  denkende  Vermittlung  und  dadurch 
Weiterbildung  des  Glaubensinhaltes  übernahm*    Eben 
darum   war  es  auch  nicht   „bedien^enhafte  Feigheit*' 
auf  Seiten  der  Brandenburgiscben  Geistlichkeit,  was 
sie  zu  dem  Uebertritt  des  Churfärsten  Job«  Sigismund 
zur  refonnirten  Confession   schweigen  hiefs,    sondern 
bei  seiner  Erklärung,  die  Lutheraner  bei  dem  Concor- 
dienbuche  belassen,  zu  wollen,  und  bei  der  Voraussicht 
des  nahe  berorstehenden  Kriegs  das  richtige  Gefohl, 
dals  Streitigkeiten,  die  berdts  in  das  ihnen  nolhwen- 
dige  wissenschaftliche  Gebiet  übergegangen  waren,  von 
nun  an  im   Sffentlichen  Leben  besser  Temiieden,  als 
wieder  aufgerüttelt  werden. 

Nach  dieser  objectiven  Gestaltung  und  Befestigung 

66 


523 


I^eo^  Lehrbuch  der  UniverMalgeiehiehte.    (^Zweiter  Artikel.) 


des  religiöflen  BewurstseiDs  kain^   vixe  gesagt,   an  den 
protestaptischen  Staat  die  Reihe,  seine  eigene  Organi« 
sation  und  Concentration  niTt  Ernst  za   beginnen  und 
fortzuführen,  ao  jedoch,  dafs  er,   Von  Anfang  an  noch 
Tielfach  von  der  Erinnerung  an  seine  niiitelalterliche 
UnSelbstständigkeit  befangen, .  und  ohne  das  Tolle  Be- 
wurstsein,   als   freie  Macht  in  der  Wirklichkeit   seine 
sittlichen  Zwecke  verfolgen  zu  dürfen,  zur  Integration 
dieses  Bewufstseins  an  die  religiöse  Substanz,  die  auch 
in  Wahrheit  sein  Recht  verbürgt,   sich  anlehnte  und 
seine  politischen  Interessen  durch  den  Namen  von  reli- 
giösen rechtfertigte.    Auf  diese  einfachen  Bestimmun- 
gen kommt  zuletzt  der  ganze  Macchiavellismus  hinaus, 
welchen  Hr.  Leo  dieser  und  der  folgenden  Zeit  Schuld 
gibt,  indem  er  gänzlich  vergifst,  was  er  früher  von  der 
^,wahrhaft   göttlichen    Macht    und    Erhabenheit''    des 
Staats  geredet  hat  und  denselben  von  nun  an  nur  als 
urelflicbes  Institut  im  schlechten  Sinne  bezeichnet.    Al- 
lerdings hatte  nicht  jede  politische  Maafsregel,  in  ihrer 
Besonderheit   fiir  sich   genommen,    eine   unmittelbare 
Beziehung  auf  das  Wohl  der  Kirche,   Ja  sie  konnte 
als  solche  demselben  sogar  widqrstreifen ;   allein  fiir's 
£rste  war  auch  im  Sinne  der  Politiker  damaliger  Zeit 
diese  Beziehung  nur  eine  -vermittelte   d.'h.  durch  das 
Staatswohl  auch  die  Kirche  treffend,   sodann  ist  es  ja 
'  factisch,   dafs  politische  Veränderungen  vor  und  noch 
in  dem  SOjäbrigen  Kriege  fast  immer  religiöse-  nach 
steh  zogen.    So   hatten  z.   B.   bei  der  S.  331  richtig 
angegebenen  Methode  der  damaligen  katholischen,  von 
den    Jesuiten    geleiteten    Partei    die   protestantischen 
Stände,  welche  die  Union  schlössen,  ganz  die  richtige 
Vorstellung  von  der  Lage  der  Sachen,    dafs  es  sich 
nehmlich  um   die  Religionsfreiheit  handle,   und  nach 
den  vielen  vergeblichen  Versuchen,  alle  deutschen  Pro- 
'testanten  zu  vereinigen,  war  ihre  Verbindung  mit  Frank- 
reich bei  ihrer  sonstigen   Unmacht  nur  eine   von  der 
religiösen  Pflicht  gebotene  Handlung,  wogegen  die  po- 
litischen Gewissenszweifel,  welchen  sie  nach  S.  340  u. 
342  hätten  Gehör  geben  sollen,  mit  Recht  zurücktraten. 
Was  sie  aber  so  zu  Nutz   und  Frommen  der  Kirche 
unternahmen,   das  kam   auch  wieder  Ihrer  Politik  zu 
gut,  indem  eine  Restitution  der  Hierarchie,   worauf  es 
ja  doch  von  den  Jesuiten  abgesehen  war,  mit  dem  Kir-. 
chenvefmögen  auch  einen  grofsen  Theil  der  Rechte, 
auf  welchen   des  Staates  Souverainetät  und  Wohl  be-. 
ruht,  ihm  wiederum  entwunden  haben  würde,  wie  wir 


524 

aus  mancherlei  Begebenheiten  dds  SOjäbrigen  Kriegi 
und  noch  an  den  heutigen  Anmaafsungen  des  Papst« 
thums  sehen  können.    Es  giebt  uns  diefs  Gelegenheit,. 
vorerst  noch  auf  Hrn.  Leo's  Behandlung  der  fräBzost- 
sehen  Religionskriege  S«  195—279  (in  der  Ueberschrift 
heifst  es  wohl  durch  einen  Druckfehler:  RevolutioRt. 
kriege),  wozu  nobh   der   Abschnitt  über  Rieheliea  S. 
435—454  gehört,  sowie  auf  die  Mchwedüehe  Gt^fAkAXt 
S.  279—301  zu   kommen.    Die  Reformation  des  let^ 
tern  Landes  soll  S.  288  fast  ganz  auf  der  Drioglicb* 
keit  sinnlicher  Bedürfnisse,  auf  der  Geldnoth  des  Kd* 
niges,   der,  um  ihr   abzuhelfen,   mit  dem  Adel  theiloi 
mufste,  ruhen.    Es  bezieht  sich  diefs  auf  die  Beschlässe 
des  Reichstags  zu  Westeras  1527,  durch* welche  eis 
Theil  des  Kirchenguts  dem  Könige  und  dem  Adel  m- 
gewiesen  wurde,  wogegen  wir  weder  mit  der  Beinen 
kung,  dars,   wenn  nicht  der  weit  gröfsi^e  Tbeil  des 
Volks  von   dem  absoluten  Geiste  der  Reformation  e» 
grifl^en   gewesen  wäre,    sokho  Schritte  nicht  gewa^ 
noch  auctorisirt  worden  wären,  noch  mit  der  Verwe- 
sung auf  die  tiefe  Kränkung  des  schwedischen  Natio> 
nalbewufstseins  durch  die  katholische  Geistlichkeit  un- 
ter Christian  von  Dänemark,  sondern  einfach  mit  des 
Hrn.  Verfs.  Worten  selber  S.  290  antworten  wollea: 
„wohl  mag  Gustav's  Verfahrungsweise  gegen  die  ksp 
tholiscbe  Kirche  und  die  Thalmänner  (1532)  in  seiocf 
Lage  nothwendig  gewesen  ^ein,   wenn  aus  SchFcdei 
das  werden  sollte,  was  daraus  geworden  jst,  ein  in 
sich  einiges,   in  die  Geschicke  Europa's  mächtig  ein* 
greifendes  Reich.''    Fährt  dann  derselbe  auch  unmit- 
telbar fort:  „aliein  dem  Ausländer,  dessen  Bewnfstseia 
keine    sittliche   Beziehung  zu  Schwedens  GröDse  bat, 
mufs  der  grofse  Mangel  an  Rechtssinn  bei  überwiegen« 
dem  Zweckmäfsigkeitssinn  in  dem  Verfahren  GnstsTi 
einleuchten  und   seinen  Charakter  zu  einer  so  wid^N 
wärtigen  Erscheinung-  machen,  als  die  Wilhelm's  voi 
Oranien    in  den  Niederlanden   und  ähnlicher  Natures 
anderwärts  ist :"  so  mag  wiederum  auf  die  Pro?oka> 
tion  auf  das  Recht  des  Staates  zur  freien  Verwalissg 
seiner  Angelegenheiten  verzichtet  und  es  braucht  der 
Ausländer,  der  freilich  S.  294  wieder  in  einen  „rechts* 
eifrigen,   ehr-  und  vaterlandsliebenden"*  Schweden  sidi 
verkleidet,  um  Gustavs  Regierung  eine  scheufsliche  sa 
nenncQ,  nur  daran   erinnert  zu  werden,  dafs  er  eben 
kein  Schwede  sei  und  darum  kein  Recht  habe,  das 
Volksbewufstsein,  dem  Gnstav's  letzte,  ruhige  Regie* 


m 


Leo^  Lehrhuef^  der  üniver$algescAiehte.    (^Zweiter  ArtikeL) 


5'26 


riDgBperiode  lasge  für  Schwedens  gliicklicbste  Zeit 
gegolten  bat,  Lügeo  su  strafen,  soodern  dafs  sein 
Beruf  als  UtaiversalhiBtoriker  von  ihm  fordere,  der  po- 
Htiscben  Kraft  und  Tüchtigkeit  eines  jeden  Volkes 
sieb  XU  freuen.  ^^  S.300,  Z.  4  v.  oben  uiufs  es  ,,Bru- 
derssebn^  statt  ,,Bnider''  beifsen« 

Gans  ebenso  äufserlich  psychologisch  und  pragma-' 
tnob  werden  die  bestimmenden  Mächte  der /ranxösi' 
seien  ReHgionskriege  gefafsf,   wenn  sie  nur  in  dem 
nnihigen  Tbätigkeitstriebe  der  keltischen  Race  und 
m  der  Menge  damals  noch  in  Frankreich  vorhandener 
Boabbingig^r  und  darauf  eifersüchtiger  Personen,  Cor- 
porationen   und  Stände  gefunden    werden.     Hiernach 
und  ni|ch    der   ferneren  Aeufserung  S.  201,  dafs    im 
Garnen  nur  die    erscheinenden  Unternehmungskräfte, 
nieht  aber  die  Motive,  durch  die  sie  getrieben  wurden, 
Acbtuttg  verdienen,  wären  Zwecke  und  Resultate  jener 
Kriege  völlig  willkürliche  und  zufällige  gewesen,  wäh- 
rend gerade  solcho  petulirende  Subjectiviiäten,  wie  Hr. 
Leo  die  Franzosen  schildert,   der  stärksten  und  ab- 
straotesten  Bande  bedürfen,  um  nicht  völlig  aus  einan- 
ander  zu  reifsen,  was  ihre  Geschichte  stets  bewiesen 
hat.    Es  ist  aber  auch  in  deui  Satze  S.  197,  die  Bie- 
neDDatnr  des  kelttscben  Stammes  —  habe  schon  da^ 
mals  den  König  unter  den  Grofsen,   Paris  unter  den 
Städten,  wie  die  Weisel  unter  den  Bienen,  gehoben, 
das  absichtlich  versteckte  punctum  saliens  jener  Kriege 
unschwer  herauszubekommen.  Für  Frankreich  war  aller- 
dings nicht  ebenso,  wie  für  die  reingennanischen  Län- 
der die  Reformation  Epoche  bildend,  sondern  trat  nur 
als  beschleanigendes  Ferment  in  den  geistigen  Procefs 
ein,  in  welchem  es  bereits   begriffen  war;  dieser  aber 
war  durch  seine  ganze  frühere  Geschichte  so  eingelei- 
tet worden,  dafs  sich  seine  mittelalterliche  Bildung  im 
stärksten  Zuge  zu  ihrer  Auflösung  befand,  aus  dieser 
aber  sofort  nicht  blos  die  ursprüngliche  keltische  Na- 
tur, Sendern  sie  mit  der  Erinnerung  an   die  in  dem 
ADtagonismus  offenbar  gewordene  Relativität  der  reli- 
giisen  und  volksthfimlicben  Substanzen  des  Mittelalters 
bereichert,  als  die  reine  Persönlichkeit  hervorging,  die 
sich  sofort  in  dem  absoluten  Königthume  objectiv  wurde. 
Jene  französische  Unruhe  des  Bewufstseins  aber,  das 
alle  seine  Momente  nur  als  besondere,  dialeotiscbe  bat, 
ist  als  negative  Yernunftigkeit   dem  ProtestantisTmus 
selber  wesentlich,  nu(  dafs  'dieser  zu  diesem  Negativen 
anch  das  Affirmative,  die  positiv  vernünftige  Energie 


des  Denkens  besitzt,  welches  seine  Momente  nicht  ab- 
stracter  Weise  fallen  läfst,  sondern  in  der  Einheit  des 
ooncretea  Begriffs  bewahrt.    Zunächst  aber    war    es 
nothwendig^  dafs  jenes  negativ  freie  Denken  gegen  die 
gesammte  mittelalterliche  Heteronomie  repräsentirt  und 
lebendig  war,    und[  darum   hat  Frankreich  unter  den 
Mächten  Enropa^s  das  Principat  gehabt,   bis  positive, 
aber  gleichfalls  aus  dem  freien  Selbstbewufstsein  er- 
zeugte, politische,  religiöse  und  i^issensdiaftlicbe  Or- 
^anismen,  zum  Theil  den  mittelalterlichen  Stoff  umbil- 
dend,  zum  Theil  neugeschaffen  sich  neben  und  über 
ihm  erhoben  haben.    Insbesondere  war  es  für  jene  Ent- 
wicklungsgeschichte Frankreichs  wesentlich,   dafs  der 
Katbolicismus,   aber  nicht   in    seiner   mittelalterlichen 
Substantialität,    sondern   als  jesuitisch    verweltlichter 
und  dem  Staate  nach  gallikanischem  Rechte  unterwor- 
fener die  Oberhand  behielt,  dafs  2  Fürsten  der  katho- 
lischen Kirche  nach  einander  als  reine  Staatsmänner, 
welchen  Namen  sie  weit  eher  verdienen,  als  Gregor  VII. 
Bd..  2,  S.  127,  die  politischen  Geschicke  Frankreichs 
leiteten.  —    Diesen  in  sich  geschlossenen,  noth wendi- 
gen Procefs  der  Geschichte  unterbricht  aber  Hr.  Leo 
mit  subjectiveni  Raisoniiement,  das  ihn  die  Einheit  der 
Erscheinungen  nirgends  recht  erkennen  läfät.    Der  Je- 
auiterorden  z.  B.  soll  nach  S.  206  anfangs  unter  an- 
dern ein  wahrhaft  christliches  Lebenselement  gehabf 
und  lange  Herzen  und  Köpfe  den  christlichen  Richtun- 
gen gewonnen  haben  $    welches  dieses  Lebenselement 
aber  gewesen  und  wie  es  sich  zu  den  andern  yerhalr 
ten,   wird  nicht  gesagt,    sondern  nur  ganz  äufserlich 
angemerkt,  der  Orden  sei  schon  durch  seinen  Gebors' 
sam  in  abstracto  auf  ejuem  Wege  des  Verderbens  ge- 
wesen und  noch  mehr  dadurch,  dafs  er  „mit  menschr 
liebem  Handeln  und  zum  Theil  mit'  äufserlichen  Insti- 
tuten erzwingen  wollte,    was  bis  auf  einen  gewissen 
Grad  allezeit  Gott  allein   vorbehalten  gebliebeji''  sei. 
Ueber  die  hier  vorgenommene  merkwürdige  Theilung 
der  Gewalten  ist  dogmatisch  nichts  zu  sagen,  sondern 
nur  historisch  daraus  zu  folgern,   einerseits,   dafs  Hr. 
Leo  selber  „bis  auf  einen  gewissen  Grad"  dem  Syner- 
gismus huldigt  (s.  oben),  anderntheils,  dafs  die  Ver- 
suche der  Jesuiten,  die  Reformation  zu  besiegen,  nicht 
gelungen  sind,  weil  Gott  seinen  Seegeu  nicht  dazu,  verr 
lie|ien  hat,  was  er  jedoch  auf  andere  Zeiten  sich  vor- 
behalten haben  kann.    Es  zeigt  vielmehr  nichts  deut- 
licher die  Macht  der  Reformation,  als  eben  dieser  Or-  ■ 


527 


ZfS0y  LeArSUek  der  ÜHi00r$tJge$ekiekte.    iZweüer  Artikel,') 


den,  iler  wesentlich  nur  ihre  eigenen  Waffen,  die  Wis« 
senschaft  und  Politik,  wider  sie  in  Anwendung  ku  brin- 
gen wnfste,  das  freie  Selbstbewufstsein  Bolche^geatalt 
in  seinen  Organen  anerkannte  uiid  darum  durch  die- 
selbe XkUt  KU  fördern,  nicht  zu  ertödten  im  Stande  war« 
Ueber  Heinrich's  IV.  Religionswechsel  bleibt  S.  277 
der  Tadel  wohl  nur  verschwiegen,  cf.  S.  200  ff.  \  Ref. 
bemerkt  darüber  blos,  dafs  für  die  acht  franzdsitche 
Individualität  des  Königs,  die  wiederum  von  der  welt- 
historischen Bedeutung  seiner  Nation  vertheidigt  ist) 
jener  Schritt  nicht  dieselbe  sittliche  Bedeutung  hatte, 
wi'e  die  Conversion  etwa  eines  deutschen  Fürsten  $ 
durch  seine  Ermordung  aber  gerade  in  der  Zeit,  wo 
er.  mit  seinen  Planen  gegen  die  kaiserliche  Macht  in 
Deutschland  umging,  „befreite  glücklicher  Weise  die 
Vorsehung  Deutschland  vor  der  Calamifät,  den  Fran- 
zosen in  seiner  schwikchsten  Stunde,  preisgegeben  zu 
sein"  S.  343.  Mufs  es  dann  aber  nioht  dieselbe  Vor- 
sehung gewollt  oder  wenigstens  zugelassen  haben,  dafs 
(S.  488)  „Richelieu  unserm  Vaterlande  und  der  gan- 
zen politischen  Stellung  desselben  weit  tiefere  und  blei- 
bendere Wunden  geschlagen  hat,  als  der  Schweden- 
könig mit  seinem  ganzen  Volke)'*  und  wenn  doch  der 
Mann  ein  ganzes  Stück  aus  Einem  Gusse  war,  auf  wes- 
sen Rechnung  kommt  „der  Anblick  des  Hochmuthes 
menschlichen  Verstandes,  wie  er  der  macbiavellistisohen 
Methode  überhaupt  zu  Grunde  liegt,  auf  dem  höchsten 
Gipfel  der  Vollemlong,  den  wir  an  Richolieu*s  Wirken 
und  Walten  haben?"  von  wem  anders,  als  von  sich 
Bllein,  von  seiner  ganz  „menschlichen,"  ganz  particn- 
laren  Sensibilität  wird  Hr.  Leo  geplagt,  wenn  ihm  Ri- 
cbelieu's  „Absichten  und  Methode  widrig*'  erscheinen 
S.  450,  oder  wenn  ihm  „solche  Naturen,  die  mächtig 
eingreifen  und  gleichwohl  alles  religiösen  oder  dämo- 
nisch unwillkürlich -getriebenen  Wesens  (ein  solches 
Wesen  war  aber  gewifs  Richelieu)  ledig  sind,  eine 
grauenhafte  Empfindung  erwecken!*'  Ein  patriotisches 
defühl,  mit  solchen  Widersprüchen  behaftet,  und  eine 
welthistorische  Betrachtung,  die  von  demselben  sieh 
determiniren  läfst,  sind  nicht  gesund  und  wahr^.  con- 
dern  schlecht  und  verderblich,  und  dürfen  nimmer  Zu- 
stimmung erwarten  zu  ihren  Wünschen  und  Dekreten,  dafs 
„Frankreichs  geistige  Einwirkung  auf  das  übrige  Europa 
wieder  auf  eia  Minimum  zurückgebracht  werde"  S.  454« 

» 

(Die  Fortsetzung  folgt) 


Voniehmlich  ist  es  nun  der  ^jährige  Kriege  n 
dessen  Geschichte  Hr.  Leo  diese  deutsch-patriottidie 
Stellung  einnimmt  und '  von  derselben  aus  überall  den 
Hemmschuh  seines  Besserwisseas  unter  die  rellendca 
Räder  der  Begebenheiten  zu  werfen  versucht.  Mttth* 
willig  soll  jener  Krieg,  zu  weichem  im  ReiobA  kein 
Anlafs  gewesen,  von  der  pfälzisch-  ansländeriseheo  Par- 
tei durch  ihre  Unterstützung  der  trotzigen  Emporoog 
der  Böhmen  herheigefiihrt  worden  sein,  wiewohl  du» 
mittelbar  darauf  S.  350  zugestanden  wird,  dafs  €ii 
frischer  Krieg  besser  gewesen,  als  ein  Hemmhibigcn 
in  so  vielen  unerledigten  Interessen.  Diese  Interssm 
aber  waren  nicht  zufüUige  und  willkürliche,  wofilr  lii 
der  Hr.  Verf.  ausgibt,  sondern  die  aUgemmaeu  der 
protestantischen  Freiheit  als  des  Frincips  der  Denen 
Zeit  gegen  die  mittelalterliche  Unfreiheit,  IntersMes, 
zu  deren  Auseinandersetznug  der  Augsburger  ReUgions- 
frieden  als  etwas  nur  Vorläufiges  und  das  Reichekam- 
mergerioht  nicht  stark  genug  waren,  sondern  die  soth* 
wendig  in  einen  neuen  entscheidenden  Kampf  aashre- 
oben  mufsten.  Die  nächste  Veranlassung  hieza  konnte 
allerdings  und  mufste  sogar  eine- äufserliche  und  an- 
bestimmte  und  darum  verschwindende  sein-,  damit  der 
^aran  sich  entzfindende  Streit  als  wirklicher  Streit  der 
Principien  erschiene  und  beide  Thoile  mit  gntem  G^ 
wissen  in  dm  Kampf  träten ;  und  so  ist  allerdings 
der  Aufstand  der  Böhmen  und  die  Annahme  ihrer 
Krone  durch  Friedrich  von  der  Pfalz  ein  Act  der  Wilt 
kttr,  welcher  in  sich  selbst  verendete,  so  doch,  daft 
wir  den  Böhmen  nksht  so  absiolut  Unrecht  geben  dfih 
fen,  wie  Hr.  Leo  thut,  da  sie  im  Anblicke  dessen,  yfW 
Ferdinand  in  seinen  Erblanden  gethan,  und  bei  seiner 
notorischen  Leitung  durch  die  Jesuiten  ein  gerechteB 
Mifstrauen  in  seine  Zusagen  bei  seinem  Regiersngeao- 
tritte  set^n  durften.  Positive  Beweise  feiodseeliger 
Gewalt  des  Königs  gegen  sie  hatten  sie  wohl  noek 
nicht,  und  das  hat  sie  muthlos  gemacht  und  ttBterli^ 
gen  lassen;  die  Behandlung  Böhmens  nach  seiner Cn* 
terwerfung  dagegen  hat  jenes  Mifstrauen  nur  zn  eeb 
gerechtfertigt  uml  selbst  Hr.  Leo  weifs  Air  diese  B^ 
bandlung  nur  das  allgemeine  Staats-  und  Völkarreebt 
über  ein  erobertes  Land,  durchaus  aber  keine  coi- 
ereten  sittlichen    und    religiösen    Gründe    zu  eitireB* 


Jl^  67. 

Jahrbuch 

ruf 

wissenschaftlic 


e  r 


he    Kritik. 


Octobcr  1839. 


Lehrbuch  der  Umveraalgeächiehte  zum  Gebrau- 
che in  höheren  Unterriehtsanntalten  von  Dr. 
Heinrich  Leo. 

(Fortsetzang.) 
Far  die  protectantiachen  Stftade  aber  war  die  bla- 
%e  Katholifiirung  Böhmens  und  die  formlose   lieber« 
kagaQg  der  pfftlxisehen  Chur  an  Baiem  bereits  ein  so 
feuilgoodes  Argument  von  dem  Sinne  der  Gegenpartei, 
flafs  energisebe  Röstiuigen  ihrerseits   yon  Pflicht  und 
Reobt  geboten  waren;  wobei  die  Darstellung. S.  370, 
dab  nachdem  Friedrich's  V«  Sache  im  April  1621  von 
der  Union  and  den  niedersächsischen  Fürsten  aufgege- 
ben gewesen,  der  ,,abenthenerlich- verliebte,  kriegslu« 
itige"  Administrator  von  Halberstadt  durch  sein  Auf- 
tieten  im  Berbst  1621  den  Krieg  im  Grande  allein  fort- 
gtsponnen  .babe,  sich  von  selbst  aufiiebt,  da  ja  für  die- 
seliN)  pfälüscb  •böhmische   Sache   der  Markgraf  von 
Baden  und  Ernst  von  Mansfeld  noch  bis  in  die  Mitte 
des  Jahrs  1622  mit  lusammen   ungefähr  4(KMN>  Mann 
im  Felde  standen,  Tilly  sogar  am  29dten  Apr.   1622 
von  Mansfeld  bei  Wisloch  geschlagen  wurde  u.  s.  w. 
Hr.  Leo  nimmt  freilieh  hier  die  sonderbare  Wendung, 
der  Krieg  wäre  durch  des  Markgrafen  Niederlage  und 
Mansfelds  Schwäche  und  Charakterlosigkeit  doch   er- 
loschen, wenn  nicht  inzwischen  Prinz  Christian  zu  Hilfe 
gekommen   wäre;  allein  es  fehlt  hiefiir,  was  nainent- 
lieh  Mansfeld  betrifft,  der  Beweis,  und  so  lange  Frie- 
'drfoh's  Cntsetzung  dauerte,  führte  er  durch  seine  Par- 
teigänger  einen   rechtmäfsigcn  Krieg,  wobei  wir  nur 
iNiilänfig  anmerken   wollen,  dafs  die  wahrhaft  barbari- 
sche Verscheiiknng  der  Heidelberger  Bibliothek  an  den 
Papst  S.  371    ohne ,  die    geringste   patriotische  Röge 
erzählt  wird.    Dafs  aber  Tilly^s  Einrücken  in  den  nie«^ 
dersäfibsischen  Kreis  auf  blofse  ihm  zu  Obren  gekom- 
mene Aonfserungen  Cbristian's  hin,  der  noch  dazu  von 
den  Ständen  dieses  Kreises  nach  dem  Aufsagen  seines 
Dienstes  aelbst  b^eindet  wnrde^  eine  öffentliche  Rechts* 

Jükrh.  /.  wi$un$ch.  Kriük.  h  1839.   IL  Bd« 


Verletzung  war,  liegt  am  Tagej  wie  denn  Hr.  Leo, 
wenn  er  sofort  S.  374  Dünemark  beschuldigt,  sich  nur 
ganz  eigennütziger  Weise  in  die  deutschen  Angelegen* 
heiten  ciDgeniischt  zu  haben,  vergessen  bat,  dafs  der 
König  Christian  IV.  als  Herzog  von  Holstein  zu  die- 
sem Kreise  selbst  gehörte  uiid  die  Festsetzung  von 
Katholiken  in  Hildesheim  und  Halberstadt  unmöglich 
ruhig  mit  ansehen  konnte.  Wer  aber  wird  sich  vol- 
lends überreden  lassen,  dafs  die  Aufstellung  von  Waldt« 
steiu's  Armee  nur  den  Zweck  hatte,  der  „bisher  ver* 
gcssenen**  kaiserlichen  Pflicht,  das  Reich  gegen  Raub- 
beiden  und  Ausländer  zu  schützen.  Genüge  zu  thun? 
in  der  That  ein  eigentbümliches  Mittel,  wenn  man  die 
Greuel  der  Waldtsteiner  auch  in  deu  vom  Febde  gar 
nicht  bedrohten  Ländern  und  die  von  Hm.  Leo  selbst 
perhorrescirten  Anmarsungcn  ihres  slawischen  Anfüh- 
rers bedenkt,  während  vielmehr  der  Zweck  der  Auf- 
stellung seines  Heers  der  gedoppelte  war,  theils  die 
Liga  nicht  fibermächtig  werden  zu  lassen,  theils  mit 
ihr  die  Protestanten  vollende  zu  demüthigen.  Geben 
wir  aber  Hrn.  Leo  seine  ganze  bisherige  Darstellung 
zu,  80  ist  die  Art  und  Weise,  wie  er  das  Restitntionsf- 
edict  vertbeidigt,  eine  völlig  vergebliche.  Denn  wenn 
er  dem  Kaiser  zu  di^ssen  Erlafs  ein  formelles  Reeht 
zuschreibt,  ein  materielles  aber  freilich,  weil  ein  jeder 
über  ein  Menschenalter  •dauernde  Zustand  eine  Rechts- 
achtuDg  verlange,  in  Abrede  zieht,  so  ist  schon  dieser 
Unterschied  unhaltbar,  indem  factiechcs  Recht  nach 
allen,  Gesetzgebungen  durch  die  Veijührung  ein  foiw 
meiles  winl  und  das  frühere  durch  die  Unterlassung 
seiner  möglichen  Ansfikun|$  als  verlassen  gilt.  Sodann 
war  jenes  Edict  sdion  defswegen  nidit  recht skrftftig, 
weil  es  zwar  mit  geheimer  Einwilliguug  der  katboli* 
sehen  Cliurfürsten,  aber  ohne  Zustimmung  eines  Reichs- 
tages einseitig  von  dem  Kaiser  erlassen  ward ;  Hr.  Lee 
scheint  aber  selbst  seiner  juridischen  Deduction  zu 
raifstrauen^  wenn  er  uns  zuletzt  bedenken  läfst,  data 

67 


531 


LeOy  Lehrbt$eh  der  UhwersalgescA$eAie.    (^Zweiter  Artikel.') 


Ferdinand  I.  sein  jetziges  Gluok  <der  Hilfe  Gottes  zu- 
schreiben uiufste,  ^^der  ihm  beistehe  bei  Aufrichtung 
des  alten  Rechtszustandes  der  Kirche,"  wobei  wir  es 
^^natürlich"  finden  sollen,  9,dafs  er  nun  nicht  auf  bal- 
Ikem  Wege  steheii  bleibeu  wollte  und  auf  den  ferneren 
Beistand  Gottes  rechnete,  im  Vertrauen  auf  welchen 
er  menschliche  Klugheit  bei  Seite  setzte.'*  Wenn  aber, 
wie  fast  nicht  zu  leugnen,  hiebci  nicht  Heuchelei  noch 
FanAtismus,  sondern  eine  wirklich  absolute  Berechti- 
gang  dos  Kaisera  angenommen  wird,  so  weifs  Ref. 
wahrhaftig  nicht,  ob  ein  gefärlioheres  Spiel  mit  heili« 
gen  Namen  jemals  getrieben  worden  ist,  als  in  dieser 
Aoseinamlersetzung,  welche  Gott  und  Glück  unmittel- 
bar identifizirt  und  die  sittliche  Achtung  des  Rechts 
als  blofse  Klugheit,  die  übrigens  ihren  Werth  für  sich 
behält,  verhöhnt.  Noch  eindringender  aber  können  wir 
erwiedem,  dafs  nach  seinem  eigenen  Canon  uns  Hr. 
Leo  nunmehr  zugestehen  mfifste,  wie  auch  Gustav 
Adolph's  Glück  ein  Zeugnifs  seiner  göttlich  berechtig« 
ten  ,Saohe  gewesen ,  wogegen  er  doch  seine  patrioti« 
sehen  Idiosjncrasiecn  an  den  Tag  zu  legen  nicht  müde 
wird.  Er  nennt  es  eine  blofse  rhetorische  Figiir  im 
oberflächlichsten  protestantischen  Parteiinteresse,  wenn 
man  behaupte,  zur  Erhaltung  der  lutheriscbeo  Partei 
in  Deutschland  sei  Gustav  Adolph  nöthig  gewesen,  da 
doch  im  Reiche  selbst  Preihoitskräfte  genug,  und  wenn 
es  zur  wirklieheu  Entwicklung  des  waldtstein'schen 
Systems  gekommen  wäre,  selbst  bei  den  Katholiken 
Widerständsinteressen  genug  zu  finden  waren,  um  des 
Schweden  gänzlich  entbehren  zu  können*  Wir  sind 
„oberflächlich  und  gutmüthig"  genug,  zu  entgegnen, 
dafs  Brandenburg  und  Sachsen,  die  beiden  einzigen 
noch  unangetasteten  und  bedeutenderen  Länder  des 
deutschen  Protestantismus,  der  kaiserlichen  und  ligi- 
«tischen  Uebermacht  gegen  die  Durchführung  des  Re« 
stitutionsedicts,  welches  die  protestantische  Entwick- 
lung wieder  in  ihre  Anfange  zurückgeworfen  und  wohl 
Bodi  viel  einschneidendere  Folgen,  etwa  wie  in  .Böh* 
men,  gehabt  hätte,  zu  widerstehen  damals  nicht  mehr 
im  Stande  waren,  wie  Tilly's  Einfall  in  das  letztere 
Land  im  Jahr  1631  hinreichend  bewiesen  bat  Weun 
aber  Maximilian  von  Baiern  sich  diesem  Zuge  und 
eohon  früher  dem  waldtstein'schen  Systeme  widersetzte, 
eo  that  er  diefs  in  seinem  TerriteriaU  und  etwa  auch 
in  dem  allgemeinen  Fürsteniuteresse,  das  gleicherweise 
von   der  kaiserlichen  Uebermaeht  AUes   zu   fitatshteu 


»32 

hatte,  nicht  aber  der  Protestanten  an  sich  selbst  we- 
gen,  zu  deren  Untergange  er,  wie  früher  gegen  Pfalz 
upd  noch  1629  gegen  Braunschweig,  in  Hildesheia  urf 
durch  den  Heidelberger  Beschlufs  der  Liga  ibrtwlb> 
rend  Alles  beigetragen  hätte,  wenn  seine  VergrIfseniDg 
und  Erhaltung  darin  gesichert  gewesen  wäre.    Mag  es 
darum  ein  deutsches  Unglück  gewesen  sein,  dafs  Gii* 
stav  Adolph   kommen  mufste,  so   lag  dessen  Ursache 
nur  in  der  nunmehr  unrechtmäfsigeu  Uebcrgewalt  der 
katholisch -kaiserlichen  Partei   und   in    der  Schwäch« 
und  Einheitslosigkeit  der  protestantischen  Fürsten,  die 
einer  so  gewaltsamen  Coucentration  und  Verstärksog 
bedurften,  dafs  nur  vom   „einstcitigsten"  katholischcii 
„ParteUnieresse"    aus    gewünscht    werden   käBB|   es 
möchte  dieselbe  niemals  eingetreten  sein.    In  der  That 
war  es  darum  nicht  „Ehr*  uud  Treugofuhl"  -im  Leo^^ 
sehen  Sinne  allein,  worin  die  protestantischen  fitindt 
auf  dem  Leipziger  Coaveat  bosehlessen,  mit  deuSchvei 
den  sich  nicht  gegen  den  Kaiser  verbunden  zu  wollen, 
da  sie  es   doch  unter  einander  zu  bewaffueter  üuide» 
rung  des  Restitutionsedictes  tbaten,  aondera  die  Us» 
entscblossenheit  der  Furcht  ver  achwedischer,  wie  voi 
kaiserlicher  Demination,   zwischen  welchen  sie  neatrsi 
zu  sein  verlangten.    Wenn   aber  Magdeburg  in  der 
Brutalität  der  kaiserlichen  Truppen  ein  „hinreidMadet 
Motiv  besafs,  die  Aufnahme  dner  Besatzung  von  ssb 
eben  zu  verweigern  ^   so  ist  es  mir  ein  WiderspfBeki 
seinen  Anschlul^  au  Schweden  zum  „Reieluh  und  Volksi 
verrath"  au  stempeln  s  „im  Grunde*'  aber,  wenn  neb» 
lieh  anders  die  .  Behauptung  lOflSahriger  BeligioBsfip» 
heit  ein  Grund  des  Rechtes  and  der  Wahrheit  ist,  bat 
die  Stadt  ihr  Schicksal  nicht  „verdient,"  sondern  ist 
das  Opfer  der  fürchterlichsten  Barbarei   des  Fanatii- 
mus  geworden.     Empörend  oder  lacherlich  ist  hiebei 
die  S.  397  citirte  Ausflucht   MenzePs ,   dafs  Tilly  m 
den  Greueln  kein  Gefallen  getragen,  das  Morden  oni 
Brennen  nicht  befohlen  habe;  er  hat  es  doch  S  Tag« 
lang  fortwüthen  lassen,  während  die  Zucht  in  Gnstaf's 
Heer  bewies,  wie  viel  auch  damals  noch  ein  Feidberr 
über  seine  Truppen  vermochte.    Dessen  Politik  wcifi 
nun  Hr»  Leo  vom  schwedischen  Standpunkte  aus  nkitf 
anzuhaben    (womit  die  Sache   eigentlich    bereits  cal* 
schieden  wäre),   sondern  nur  vom  deutschen ;  wenn  et 
aber  trotz  aller  Exclamattonen  demselben  ein  rdigii* 
aes  Interesse  und   wenn  er  S.  410  ^ugeatehen  mvih 
der  König  habe  in  Deutsobkmd  eine  eigeae^  van  Behwi- 


583  LeOj  Lehr^uek  der  UiiwerMulge$€AieAts.    {Z^^ksr  AHiket.) 


ilas  D^tbweodiger  Weise  QBabbäogig  irerdende  prote* 
stADflBohe  Miielil  iiDter  dem  von  ilim  soin  Sohwieger- 
seh»  enAheiien  Cburprinzen  tod  Brandenborg  begrün- 
im  wollen:  was  bleibt  dann  noch  bu  tadeiu»  als  die 
■avermeidliche  Svperiorität,  die  Gustav  über  die  deut- 
•eben.  Forsten  aasübeu  uiufste?  Unfroinm  an  sieh  und 
VSD  keiaen  Volke  bei  ähuiioben  bistorischen  Erinne* 
nmgsa  getbeUt  ist  ein  Pattiotisuius,  der  jedes  Eingrei- 
ÜBB  fireinder  Hand  in  Nofb  und  Gefabr  zurüekstöfst ; 
SMrkwilrdtg  aber  inabesondere  die  Art,  wie  Hrn.  Leo 
Usr  inuner  der  weUIioho  Gesiobtspunkt  gegen  den  re< 
ügiftsen,   den   er  S<,  394   eine  speciose    Bemäuteinng 
MBDt^  btrbalten  Diufs,  da  nocli  überdiefs  Deutschland 
die .  Ebre   geblieben  ist,  ^  dafii   naehdem    seine  beiden 
Parteien  durch  den  sebreckliehen  Krieg  au  gegensei» 
ligsr  Anerkennong  geni^bigt  wurden,  die  pretestanti- 
sdie  es  xnerst  gewesen  ist^  die  den  fremden ,   nordi- 
sihen  Eialufa    wiederum    turOckstiefs.      Entsehuldigt 
aber  sind  sie  Alle,  die  sich  damals  an  den  Schweden 
aasehlosseo,   sofern   nach    S.  404  der   Vertrag,    den 
Waidtstein  über  seine  Wiederanstellong  mit  dem  Kai- 
ser seblofh  ein  Hochverrath  xu  nennen  ist;  denn  wenn 
des  Reiebaa   Oberhaupt    einen    solchen    Hochverrath 
ssBCtionuen  kennte,  so  gilt  die  dufiir  angeitihrte  Hecht- 
fsflignag   durch  die  Noth   auch    f&r  alle  Glieder  des 
Rsiebs,  und  seinerseits  ebenso  für  den  Chiirfiirsten  von 
Saiem,  deasen  Vertrag  mit  Frankreich  im  Mai  1682 
ab  eine  Schmach  S.  403 ,   sowie  seine  Annahme  der 
Nsatnlitit   im  Jahr  1647   S.  490  eine   Treulosigkeit 

gs^en  den  Kaiser  genannt  wird  *)• 

^^  ■  ■ ■  ■ 

*)  Ref.  niittmt  hiebe!  VeraoIa«iuttg ,  sein  Vaterland  und  ei« 
nen  ehrenwerthen  Diener  desselben  gegen  unwürdige  Ver« 
unglimpfung  zu  rertheidigen.  Nach  der  Nördlinger  Schlacht 
«ehailiehy  heifiit  es  8.  417,  haben  die  Protestanten  Siid* 
wsstdentacblaads,  statt  durek  ihre  Niederlage  und  das  Be^ 
asksMB  der  Kaiserliebea  ydi«  ia  gaas  Sehwaben  den  Inthe« 
fisckea  Gottesdienst  schützten)  sich  zuai  Anscblufs  an  die 
preiawürdige  vaterländische  Politik  Sachsens  und  Branden« 
bnrgs  (im  Pirna -Prager  Frieden)  bewegen  zu  Massen,  den 
Anhalt,  den  ihnen  Schweden  liur  noch  in  geringeren!  Maafse 
gewahrte,  durch'  ein  AnscMiefsen  an  Franlireich  zn  gewin« 
aea  gesucht  Der  WQrteaibevgieche  Vieekanzler  Löffler 
uM  der  Badisehe  Chheimerath  Streif  seien  die  aaserkore« 
aea  Werkzeuge  deutscher  Schmach  geworden,  welche  den 
Franzosen  gegen  Hilfe,  die   diese   den  Heiibronner  Bundes« 

'  genossen  leisten  sollten,  den  ElsaTs  zusagen  muisten:  sogar 
Ozeastienia  aber  sei  erbittert  gewesen  über  die  grofsen 
uad  ohae   allen  sichernden  Rückhalt  tob  Ldfiler  (dessen 


S34 

Ueberhaupt  aber  stad  in  diesem  verhängnifaveUea 

Krieg  alle  Parteien  nach  eiaander  durch  die  bittre 

^— i— «      11 1  ■  .      "  * 

'  Namen,  soweit  deutsche  Herzen  zu  finden  sind,  an  einem 
Schandpfahle  der  Erinnerung  stehen  sollte)  den  Franzosen 
gemachte  Zugeständnisse  u.  s.  w.  Hier  ist  nun  sogleteh 
ungenau,  was  rom  Schutze  des  protestantischen  Ciettesdiem 
stes  in  Schwaben  gesagt  ist:  in  den  Herrschaften  Biaubea« 
ren,  Hohenstaufen  und  Achalm  führte  a.  B.  die  Brzberxf^ 
gin  Claudia,  in  Heidenheim  Maximilian  von  Baiern  den  ka« 
tholischen  Kultus  ein,  die  Klostergüter  wurden  in  ganz 
Würtemberg  eingezogen,  die  protestantischen  Seminarien 
katholisch  besetzt  u.  s.  w.  Der  König  Ferdinand  liefe  sich 
in  Stuttgart  huldigen  und  setzte  eine  StatthaUefschaft  fStf 
sich  ein,  wogegen  der  Herzog  Eberhard  III.,  der,  obwohl 
im  Prager  Frieden  mit  Baden  -  Ourlach  und  Andern  ane- 
drUcklich  Ton  der  kaiserlichen  Amnestie  ausgeschlossen,  fort« 
während  seine  Aussöhnung  mit  dem  Kaiser  betrieb,  also 
Sachsens  Beispiel  folgen  wollte,  nur  nach  den  grausamsted 
Chtkanen  und  fürchterlicher  Verwüstung  seines  Lande^ 
durch  einen  Vertrag  Tom  9ten  November  1637  einen  Theil 
desselben  zurückerhielt,  das  ihm  ganz  erst 'der  Westphäli* 
sehe  Frieden  durch  Schwedens  kräftige  Vermittlung  wie« 
derbraehte.  Das  war  eine  Lage  der  Noth,  die  ihn  so  gut 
zum  Hilfesuchen  bei  Frankreich  berechtigte,  als  den  Kaiser 
bei  Waidtstein,  oder  als  früher  Spinola  und  damals  Feria 
und  der  Cardinal- Infant  mit  spanischen  und  italienischen 
HUfsvÜlkem  die  katholische  Partei  verstärkten.  Löffler 
aber,  der  wirklicher  Würtembergischer  Kanzler,  zugleich 
aber  Schwedisoher  Vieekanzler  war,  und  der  pfalz*zwei« 
brUcken'sche  (nicht:  badische)  Geheimerath  Phil.  Streuff 
von  Lawenstein  erhielten  von  dem  Heiibronner  Bundesrath 
zu  ihrer  Unterhandlung  mit  dem  französischen  Hofe  un« 
term  13.  September  1634  eine  gemelaschafitliche  Instructionf 
nach  welcher  sie  namentlich  zur  Bedingung.'  machen  soll« 
ten,  dafs  alle  von  Frankreich  Jetz(  und  in  Zukunft  zu  be- 
setzenden Reichsorte  beim  künftigen  Frieden  „ohne  einige 
Entgeltung,  Prätension,  Recompens  oder  Widerlegung  ohn- 
weigerlich  abgetreten'  und  ihren  rechtmäfsigen  Besitzeni 
wieder  eingeräumt  werden  sollten.  Von  einer  Zusage  des 
Elsasses  steht  in  dieser  Instruction  nichts,  sondern  nur  in 
der  andern,  welche  Löffler  als  schwedischer  Diener  von 
Oxenstierna  erhielt  und  nach  welcher  dieser  es  geschehen 
lassen  wollte,  dafs  Frankreich  auch  der  Elsafs,  „soviel 
Schweden  davon  von  dem  Feinde  Jure  belli  occapiert  habe, 
insonderheit  auch  Schlettstatt  und  uff  den  allereyssersten 
und  Lotsten  Fall  auch  Bennfelden"  —  jedoch  unter  der  glei- 
chen Bedingung  der  Zurückgabe  beim  Frieden  eingeräumt 
werde.  Ganz  dieser  schwedischen  Instruction  gemäfs  ist 
der  Ton  Löffler  am  Isten  November  1634  geschlossene  Ver- 
trag, und  nur  weil  er  in  demselben  auch  Benfelden  hingab, 
ohne  dafür  genug  Geldhilfe  aussubedingen,  kam  er  in  Un- 
gnade bei  dem  schwedlscheR  Hofe,  nicht  aber  bei  Oxen- 
stierna, der  fortwährend  mit  ihm  in  Verbindung  blieb  u  s. 


L&o^  Lehrbuch  der  ÜHwer$aIge9ehiehte.    ^Zweiier  ArtikeL) 


535 

Noth  so  der  ErkeBotnifs  getrieben  worden,  dafs  nicht 
die  abatracte,  an  sich  seiende  Güte  und  Gerechtig- 
keit ihrer  Sache,  sondern  dieselbe  nur  in  Verbindung 
mit  dem  präsentesten,  wachsten  Selbstbewufstsein  sich 
9tt  behaupten  und  durchzuführen  vermöge,  üic  reli- 
gUSsen  Mächte  als  solche  schieden  sich;  und  zwar- 
eben  so  auf  der  katholischen  Seite,  als  zur  Entschei- 
dung der  unmittelbaren  Fragen  concreler  Wirklich- 
keit aus  und  zogen  in  einen  mehr  abstracten  Hinter- 
grund zurück,  während  die  ihrer  selber  innegewor- 
dene, verständige  und  freie  Subjectivität,  das  moderne 
Btaatsprincip  auf  dem  leer  gewordenen  Räume  als 
dessen  nunmehrige  Inhaberin  zurückblieb.  Ueberwun- 
den  wurde  namentlich  in  diesem  Kampfe  auch  das 
alte  Naturelement  der  deutschen.  Treue  und  sein  Pro- 
duct,  die  deutsche  Reichsverfassung,  aber  nur  so,  dafs 
die  bisher  treuen  deut scheu  Fürsten  in  dem  höheren, 
ihnen  aufgegangenen  Bewufstsein,  dessen  sie  sich  zu 
Gunsten  des  früheren  natürlichen  entäufsem  sollten, 
aufs  Tiefste  gekränkt  und  verletzt  worden  waren. 
Ebendarum  trat  nun  aber  auch  das  protestantische 
f^rincip  geschwächt  zwar,  aber  innerlich  mit  dem  kräf- 
tigsten Lebensgeiste  erquickt,  aus  dieser  Blut-  und 
Märtjrertaufe  hervor,  und  hat  in  Staut,  Knust  und 
Wissenschaft. eine  neue  Substanz  aus  sich  herausge- 
boren, in  deren  Wachsthum  wir  noch  stehen,  während 
zugleich  die  alte  Kraft  des  Reichs  durch  Oesterreich, 
das  Böhmen  und  Ungarn  und.  bald  auch  Italien  an 
sein  deutsches  Element  heranzog,  gesammelt,  und  nach 
Aufsen  vertreten  'blieb,  bis  der  junge  Baum  gehörig 
Erstarkt  und  wurzelfest  geworden  war. 

Mit  solchen  Betrachtungen,  die  wir  dem  einseiti- 
gen Klagelied  Hrn.  Leo^s  S.  350  uud  431  ff.  entgegen- 
setzen, gehen  wir  noch  über  zu   seiner  schon  aus  den 


536 


fr  8.  S.  Sattler'fl  Geschit  hte  ron  Würtemberg  unter  den  Her- 
zogen Th.  VII.  —  Dals  übrigeiia  Ton  beiden  Theilen  noch 
nicht  an  eine  wirkliche  Abtretung  des  EUaascs,  sondern 
eben  nur  an  seine  einstweilige  Besetzung  durch  Frankreich 
im  Interesse  der  protestantischen  Partei  gedacht  wurdet  er- 
gibt sich  aas  dem  sp&tcrn  Vertrage  Herzog  Bernhard's  zu 
St.  Germain  en  Laye,  den  freilich  Hr.  I^eo  zu  den  schmäh- 
lichsten ^cten  rechnet,  die  die  deutsche  Geschichte  aufzu- 
weisen habe,  wogegen  wir,  um  nicht  die  obigen  Beispiele 
zu  wiederholeui  nur  bemerklich  machen  wollen,  dafs  hier- 
nach zuletzt  der  Westphälische  Frieden  selber  für  das  ganze 
Deutschland  eine  solche  Schmach  gewesen  wäre. 


früheren  „12  BBchern  niederl.  Gesch.'*  bekannten  Dar- 
stellung der  Entstehung   der    niederländischen   Repa- 
blik  S.  466  —  533,  die  indessen  nicht  bis  sur  Aner- 
kennung  derselben  durch  Spanien  im  Westphülischea 
Frieden,  sondern  nur  bis  zu  dem  Waffenstillstand  tob 
1609  fortgeführt  ist.    In  den  einleitenden   Bemerkun-^ 
gen  S.  469  sq.   werden  die  Motive  des  Aufstands  nnr 
in  den  von  Spanien  verletzten  Handelsinteressen  ge- 
sucht,   80  zwar,    dafs   eiu  gegen   den  durch  Handel 
reich   gewordenen  Bürgerstand  hcrabgekommener,  re- 
volutiousbedürftiger  Adel  ihn  begonnen,  die  Pretestaa- 
ten  sich  angeschlossen,  nach  der  Lähmung  dieser  beh» 
den  Parteien  aber  erst  jene  Verletzung  des  ntederlao- 
dischen  Lebensprincips  dem  Kampfe  einen  für  Spanien 
bedrohlichen  Charakter  gegeben  habe*     Hiebei  reicht 
aber  gleich  jenes  erste,  von  der  Verarmung  des  Adels 
hergenommene  Motiv    bei  Egmond  und  Oranien  nidit 
aus,  sondern  es  rnnfs  die  Unznfriedenheit  mit  der  von 
Philipp  II.  eingesetzten  Regentschaft,  so  wie  mit  der 
Zurücklassung    spanischer    Besatzungen  .binsngeDoai- 
men  werden.    Also  sogleich  eiu  acht  nationales  Ele- 
ment des  Widerstands,,  zudem  sofort  jdas  gleich  be^ 
rechtigte  der  katholischen   Geistlichkeit  wider  die  u* 
rechtmüfsige   Vermehrung  der  Bisthümer  kam.    Wie 
aber  die  starke  Verbreitung    und   die   grausame  Be- 
handlung der  Protestanten,  und  zwar  schon  unter  Karl 
V.  vor    sich  gegangen,   wird    nirgends  im  Detail  lie- 
rübrt,    der  Inhalt  der   Edicte  von  1529  u.   1550  gar 
nicht  genannt,  so  dafs  das  bedeutende  Moment,  dae 
gleich  von  Anfang  hier  hervortritt,  nur  aus  seinen  wei- 
teren Wirkungen  erschlossen  werden  kann,   die  ganze 
Darstellung  aber  fortwährend  den  Charakter  behanp- 
tet,   als   sei  die  Sache  nur  von  dem  aufrühreriachen 
Adel  ausgegangen.     Unt^r  den  Anhängern  des  „Com- 
promisses"  1366  soll  zwar  S.  480  Mancher  geweaea 
sein,  dem  es  mit  seinem  evangelischen  Cfaristenthame 
Ernst  war,  und  Hr.  Leo  will  es  Niemanden  verdenkea, 
der  nun  einmal  die  Messe  seiner  subjectiven  Uebersea- 
gung  nach   nicht  als  religiösen  Act  uätuiachen  kann; 
zugleich  aber  bezeichnet  er  die  Mehrzahl  jener  Mäa« 
ner  als. frivol  nnd  leugnet  das  Recht,  eine  katholieohe 
Regierung  zu  tadeln,   die  ebenfalls  durch  persdnüclie, 
religiöse  üeberzeuguog  gezwungen,    alle  Krftfire   und 
Mittel  (also   auch  die   blutigsten  Hinrichtungen  f)  aaf« 
bieten   dcu   hergebrachten  Kirchenbestand  zu  erhaltcOi. 


(Der  Beschlnfs  folgt.) 


j^  es, 
Jahrbücher 

u  r 

wissenschaftliche 


Kritik 


October  1839. 


-  Lehrbuch  der  Univer$algeachichte  zum  Gebrau- 
che m  höheren  Unierrichtsanstalten  von  Dr> 
Heinrich  Leo. 

(Schluis.) 

Da  hätten  wir  also  wieder  in  Einem  Satze  den 
leibhaftigen  Widersprach  zwischen   dem  Rechte  sub- 
jeotiver  Uebeneugnng  und  dem  Rechte,   dieselbe  ge- 
waltsam niederzuschlagen,   über  den  Prot^stanti8mu8 
aber  das   änalicbe  Urtheil  ausgesprochen,    als    habe 
er  nur  gegen  die  Messe  Opposition    zu  machen  ge- 
wafst,  was  übrigens  schon  insofern  eioe  rerfeblte  Tt- 
rade  ist,  aJä   der  Compromifs  es  keineswegs  mit  der 
Messe,  sondern  mit  der  Inquisition  zu  thun  gehabt  hat 
Egmond  sodann,  als  er  nach  dem  Vertrage    von  St. 
Trujen  der   Regierung    zur  Beruhigung   des  Landes 
aufrichtig  an  die  Hand  ging,  soll  S.  486  nicht  gewufst 
kabeo,  dafs  jede  Revolution  einen  innern  geistigen  Ver 
lauf  habe,  dafs  aber  alle  die,  welche  auf  mittleren  Stu- 
fen desselben  Halt  machen,  unfehlbar  dem  Verderben 
selbst  vera/cbrieben  sind.     Wir  sind  damit  im   umge- 
kehrten Sinne  Hrn.  Leo's  einverstanden,  der  hier  sicher- 
lich  nur    seinen  sonstigen  Canon  von   einer  physisoh 
aothwendigen  Entwicklung  der  Sünde  im  Gedächtnifs 
bat,  während  er  der  Consequenz  wegen  den  andern, 
S.  419  ansgesprochenen  bedenken  sollte,  dafs  die  Hand 
von   der   Sünde   zurückziehen,    die    Gutmachung    der 
Sünde,  die  nothwen^ige  Besserung  ist.    So  wird  denn 
&gaiond*B   und  Hoorn's  Hinrichtung  S.  499  ganz  ein- 
Euch  ebne  alle  Notirung  der   schreienden  Ungerechtig- 
keit dabei  erzählt,  die  umfassenden  Auswanderungen, 
sowie  die  Verbergung  der  Boscbgeuzen  beinahe  durch 
die  ganae  Bevölkerung  nicht  als  Zeichen  allgemeiner 
nationaler  Empörung  geltend  gemacht,  und  was  mehr, 
als  nur  partheiisch  ist,  das  Schlachten  von  18000  Pro- 
testanten durch  Alba  nirgends  erwähnt.     Völlig  unbe- 
Jakrh.  /.  wh9en9cK  KriÜk.  J.  1839.  II.  Bd. 


fangen  wird  vielmehr  S.  496  davon  gesprochen,  dafs 
der  Bluthrath  Alba's  sich  weniger  nach  positiven  Rech- 
ten, als  nach  politischen  Maximen  zu  richten  hatte, 
„da  man  ja  auch  weniger  eigentliche  Verbrechen  zu 
strafen;  als  eine  politische  (allerdings  überall  in  die 
Sphäre  des  Verbrechens  übergreifende)  Bewegung  durch 
Schrecken  einzudämmen  hatte."*  Erst  als  nun  Philipp 
durch  Alba  auch  den  lOten  Pfennig  u.  s.  w.  forderte, 
soll  er  wirklich  den  Eid,  den  er  den  Niederländern  bei 
seiner  Huldigung  geschworen,  gebrochen  haben,  und 
sofort  durch  die  Festsetzung  der  Watergeuzen  in  Brielle" 
die  Entschlüsse  des  in  seinem  Rechte  gekränkten  nie- 
derländischen Volks  frei  geworden  sein.  Ref.  getraut 
sich  kaum,  nach  so  vielen  Widersprüchen  auf  diese 
neuen  erst  noch  aufmerksa'm  zu  machen:  denn  wenn 
politische  Rücksichten  gegen  positives  Recht  zu  den 
blutigsten  Mafsregeln  Befugnifs  geben,  so  sind  duröh 
dieselben  Rücksichten  auch  die  Vertreter  des  nieder- 
ländischen Volks  von  Anfang  an  bei  ihrem  Widerstände 
gegen  Philipp  auctorisirt  gewesen ;  die  positive  Rechts- 
vecletzung  aber  ist  nicht  erst  mit  dem  lOten  Pfennig, 
sondern  schon  durch  die  Sendung  Albas  nnd-  dessen 
scbeufsliches  Verfahren  eingetreten.  Auch  ist  endlich 
ganz  deutlich,  dafs  nicht  die  Hemmung  der  merkanti- 
len Interessen  in. der  odiösen  Nebenbedeutung,  die  Hr. 
Leo  damit  verbindet,  sondern  die  Verhöhnung  seines 
innerlichsten  Rechtsbewurstseina  das  niederländische 
Volk  zur  Revolution  geführt  hat,  wiewohl  andererseits 
ein  Lebensprincip,  das  einem  Volke  durch  seine  ganze 
Lagen,  s.  w.  gegeben  ist,  an  sich  einer  jeden  eng- 
herzigen Verkleinerung  widersteht. 

Binder. 


69 


539 


Oe$eniu$y  icripturae  lingüaefue  Phoenidae  monumenta* 


XXXIV. 

Scripturae  linguaeque  Phoemciae  monumenta 
quotquot  supersunt  edita  et  inedita  ad  auto^ 
graphorum  optimorumque  e^emplorum  ßdem^ 
edidit  additisque  de  scriptura  et  lingua  ^Phoem- 
cum  commentarüs  illustravit  Ouil.  Oesenius. 
Pars  L  duo8  priores  de  litteris  et  inscriptta- 
nibus  pAoemcns  libros  continenSy  Pars  II.  duos 
posteriores  de  numis  et  lingua  Phoenicum  li- 
bros: Pagg.  XXV  et  481.  Ato.  Pars  IIL  Qua- 
draginta  sex  tabuläs  lapidi  inscriptas.  Lipsiae^ 
1837.  Sumptibus  typisque  Chr.  Frtd.  Vogelii. 

,  Als  vir  in  nnsrer  Anzeige  ^^der  paläographiscben 
Stadien"  des  berühmten  Verfs.  ^9  welche  den  würdi- 
gen Vorläufer  zu  diesem  Werke  bilden,  nach  dem  da- 
mals vorliegendeil  Prospectus  auf  das  baldige  Erschein 
neu  dieser  monumenta  hinwiesen,  hatten  wir  in  der 
Tbat  nicht  gehofft,  unsren  Wunsch  so  schnell  erfüllt 
zu  sehn.  Noch  angeoebmer  indessen,  als  durch  dieses 
über  Erwarten  schnelle  Erscheinen,  sind  wir  durch  den 
reichen  Inhalt  und  Umfang  des  Werkes  selbst,  so  wie 
durch  die  eben  so  gründliche  als  glückliche  Forschung 
des  geehrten  Yejrfs.  überrascht  worden,  so  dafs  wir  es 
zunächst  verschmerzen  können,  wenn  ähnliche  von  an- 
dren Gelehrten  unternommene  oder  beabsichtigte  Ar- 
beiten, entweder  ganz  aufgegeben  oder  bis  jetzt  aus- 
geblieben sind,  da  schwerlich  einer  von  ihnen  in  die* 
sem  Umfange  seine  Aufgabe  so  befriedigend  wie  Hr. 
Geseniu0  gelös't  haben  möchte* 

Was  zunächst  die  Sammlung  betiifft  ~  die  um  so 
mehr  Bedürfnifs  war,  als  jene  Denkmäler  zumeist  zer- 
streut in  oft  kostbaren  und  wenig  zugänglichen  Wer- 
ken behandelt  sind  —  so  dürfen  wir  diese  nach  einer 
Seite  mit  weniger  Ausnahme  als  vollständig  betrach- 
ten. Wir  erhalten  hier  nämlich  die  Zusammenstellung 
von  77  acht  pbönizischen  Inschriften  —  auf  Steinen  uCd 
Gemmen,  unter  den^n  sich  9  befinden,  die  bis  jetzt  noch 
unbekannt,  und  aus  den  Museen  zu  London,  Neapel 
und  Berlin  entnommen  sind.  Diesen  hat  der  Verf.  noch 
die  in  Aegjpten  aufgefundenen  Semitischen  Inschriften 
hinzugefügt,  damit  sie  selbst  in  ihrem  Unterschiede 
zur  Erläuterung  der  hebräischen  und  pbönizischen 
Schrift  und  Sprache  dienen  mögen,   und  damit  man 

*)  Jahrbücher  f.  W.  Krit  ^ull  1S36.  nr  6.  u.  folgg. 


540 

nichts  vermisse,  bat  er  auch  ihrer  geschichdidiea  Be- 
deutung halber  den  untergeschobenen  Inschriften  shai. 
Platz  gegeben.  Weniger  vollständig  konnte^  der  Ns- 
tur  der  Sache  nach ,  die  Sammlung  der  zerstreuten 
pbönizischen  Münzen  ausfallen,  doch  finden  wir  iijBi 
von  diesen  an  60  Legenden  zusammengestellt. 

In  Betreff  der  Darstellung  bat  der  Yerf.  durch  E^ 
fabrung  belehrt,  wie  sehr  die  Richtigkeit,  oft  sogar  die 
Möglichkeit  des  Verständnisses  von  ihrer  Genauigkeit 
abhänge,  es  für  seine  wesentlichste  Aufgabe  gehalten, 
wo  möglich  fiberall  zu  den  Antographis  selbst  voro^ 
dringen.  Zu  diesem  Behuf  unternahm  er  nicht  nnr 
eine  Reise  nach  Lejden  und  London,  und  nahm  TOn 
den  dortigen  Denkmälern  theils  Schwefel-  und  Gips- 
theils  Papier- Abdrücke,  sondern  liefs  sich  auch  de^ 
gleichen  von  Paris,  Koppenhagen  und  Neapel  zitferti- 
gen,  nach  welchen  dann,  vermittelst  sorgfUltiger  Z^eh- 
nungen,  die  beigegebenen  Lithographien  ausgefiibrt 
wurden,  so  dafs  von  den  Inschriften  nam'entfidi  xm 
die  auf  den  Inseln  Sardinien,  Sicilien  und  Malta  ge* 
fnnd^nen,  sodann  die  in  Africa  gebliebenen  (JTuggemi 
Oerb.)  und  die  im  Original  verloren  gegangnen  ((^ 
tiens.  u.  Eryc.^  nur  nach  den  frühem  apogr^phii  hier 
wieder  erscheinen.  —  Als  Resultat  seiner  Bearbeitung 
der  pbönizischen  Denkmäler  giebt  der  Verf.  eine  voH* 
ständige  phön.  Paläograpbie.  Sodann  hat  aber  auch 
Hr.  Gesenius  zu  den  Inschriften  auf  Steinen,  Oemnien 
und  Münzen  noch  eine  sprechendere  Art  von  Denkma^ 
len,  die  phönizischen  und  punischen  Reste  bei  den 
Schriftstellern  gesammelt;' namentlich  die  phöntzisch- 
punischen  Stellen  des  Plautus  (im  Poenulus)  von  neuem 
behandelt,  die  sonstigen  phön.  Glossen,  so  wie  dis 
phönizischen,  punischen  und  numidischen  Eigennanen 
zusammengestellt  und  erklärt;  und  endlich  noch  eine 
aus  beider  Art  Resten  geschöpfte  Grammatik  aufge* 
stellt,  und  dem  Ganzen  noch  wichtige  Nachträge  und 
reichhaltige  Register  hinzugefügt. 

So  hat  denn  der  Verf.  Alles,  was  im  weiteren 
Kreise  ihm  zu  seinem  Gegenstande  zu  gehören  schien, 
in  sein  Werk  hineingezogen.  Wenn  wir  in  der  Tbat 
gewünscht  hätten,  dafs  er  unter  den  Inschriften  neben 
den  ägyptisch  semitischen  auch  deo  palmyrenisektn^ 
und  unter  den  Münzen  auch  den  hasmondischen  eionn 
Platz  gegönnt  hätte,  so  wollen  wir  doch  mit  dem  Verf« 
weder  über  die  Auslassung  dieser,  noch  über  die  Anf- 
nähme  irgend  eines  andren  femer  liegenden  Stocken 


Oesemuiy  seripiunm  U»gumgf9§e  Phoenieia^  monumenta* 


MI 

rtoM6ii^  sMdem  uns  4e8  dacgobateneo  rachen  Inhalt« 
erfMOoa  nnd  dankbar  den    grofsen  Forfaobritt   aner^ 
kenaeO)  der  durob  die  Arbeit  des  Hm.  Verfs.  auf  die> 
sein  Gebiete  (gewonnen  ist»  welches  freilioh  der  Art  ist^ 
dafi  nur  die  flrklarang  veniger  Denkmäler  als  sicher 
betrachtet   werden  kann.     Diese  Anerkenntnifs   aber 
giasben  wir  Hm«  Gesenius  nicht  besser  beweisen  zu 
kdonen»  als  wenn  wir  nonmehr  Bericht  erstattend  dem- 
selben durch   die  einselnen  Thcile  folgen,  und  unsre 
Bemerkungen'  nnd  abweioheaden   Erklärungsversuche 
'gel^entlieh  anachitersen.      Den  obigen  Stoff  hat  der 
Verf.  in  4  Büchern  behandelt,  bei  deren  Anordnung  er 
jeiloch  auch   die  Zweckmäfsigkeit  berücksichtigt  hat* 
So  gleich  6ei  dem  Isten  Buch ,  es  behandelt  in  6  Ca» 
pitela  die  phomzische  Paläographie  (§.  1 — 59),  diese, 
weiche  durchaus  ¥on  der  Lesung   und  Erklärung  der 
Denkmäler  abhängig,  nnd  insofern  erst  das  Ergebnifs 
ibrer  Behandlung  und  ihres  Verständnisses  ist,  hat  der 
Verf.  jedoch  zu  Gunsten  derer,  welche  sich  auf  dieses 
Gebiet  begeben  wollen,  vorangestellt.    Das  Iste  Capi* 
tel  (^.  I — 4.)  giebt  eiuleitend  eine  kurze  aber  vollstän- 
dige litteräriscbe   nnd  bibliographis'che  Geschichte,  in 
welcher   besonders    die    Verdienste    von    Barth^lelny 
(Akerblad,  Lindberg)  und  in  ihrer  verschiedenen  Ein- 
seitigkeit auch  Kopp's  und  Hamakers  anerkannt  wer- 
den.   Das  2te  Capitel  (§.  5 — 7.)  beschäftigt  sich  mit 
der  Frage,  in  welchen  Ländern  und  zu  welcher  Zeit 
die  Phönhier  sich  der  Schrift  bedienten.    Als  die  Län* 
der  setzt  Hr.  Gesenius  nach  den  vorhandnen  Denkmä- 
lern fest:    1)  Phönicien  selbst,    von  welchem   indefs 
Dor  ans  später  Zeit  (2tem  Jahrb.  y.  Chr.)  uns  Mün- 
zeo' erbalten  sind;  2)  Cilicien   (aber  nicht« Ljcten  und 
Pisidien),   wie  Münzen  uud  einige  phön.  Städtenamen 
zeigen,  obwohl  diese  letzteren  mit  dem  Gebrauch  des 
Pbonizischen    durch    den   griechischen   Einflnfs    nach 
Alexander   des  Gröfsen  Zeiten  verdrängt  wurden;  3) 
Cjpern,    Voll  von  pbonizischen   Cotonisten,    und   der 
reichste  Fundort  der  phön.  Denkmäler;  4)  Athen,  wo 
iadessen  nur  ein  phönizisches  Euiporiuui  war;    5) Mal- 
ta; 6)  die  Küstenstädte  Siciliens;  7)  Sardinien  (wo  sich 
bis  jetzt  eine  Inschrift  gefunden) ;  8)  Spanien ;  9)  Africa 
vnd  zwar  längst  der  ganzen  Küste  von  Tripolis  und 
Leptis  bis  an  den  Säulen  des  Hercules  und  Tingis, 
wo  zwei  Sprach-  und  Schrift- Charaktere  im  Gebrauch 
waren,    wie  namentlich  die  Inscr.  6il.  Tugg.  zeigt; 
10)  Aegypteui  wo   indessen  phönizische  (und  semiti- 


5ia 


sehe)  Sprache  und  Schrift  nicht  einhcjmiscb>  sondern 
wie  in  Athen,  yon  fremden  dort  lebenden  oder  ansäfsir  ' 
gen  (Phöniziern  nnd  Semiten)  gebraucht  wurden.  Als 
das  älteste  Denkmal  mit  ph5nizischer  Schrift  hält  der 
Verf.  die  cilicisch-pbönizische  Münze  vom  ^ahre  394 
V.  Ch.,  als  das  jüngste  den  tripolitanischen  Bogen  aus 
dem  Jahre  203  nach  Chr.  Für  die  Schrift  selbst,  bei 
welcher  ein  Uebergang  von  den  genanem  und  bestimm- 
teren Zügen  zu  den  flüchtigem  und  rohem  sichtbar 
ist,  unterscheidet  der  Verf.  3  Charaktere:  1)  den  ei» 
geotUch  phöuizischen,  wie  er  sich  in  der  Maltesischen) 
Atheniensischen  Inschrift,  so  wie  in  der  sardinischen» 
und  auf  den  phöuizischen  und  sicilischen  Münzeii  dar- 
stellt; 2)  Den  nuroidischen;  3)  den  ägyptisch -.phönizi* 
sehen«  Doch  da  die  ersteren  beiden  sich  näher  ster 
hen,  so  bat  es  der  Verf.  yorgezogen,  dieselben  nicht 
zu  trennen,  sondern  vereint  zu  behandlen.  Diefs  g^ 
schiebt  uA  3ten  CapiteL  Nachdem  er  hier  die  bisher 
gegebenen  Alphabete  vorgeführt  und  geprüft  (§.  8),  so« 
dann  die  Merkmale  der  ursprünglichen  Gestalt  der 
Buchstaben  (§.  9.)  so  wie  die  Gründe  ihrär  allmäligen 
Veränderung  (§.  10.)  auseinandergesetzt,  und  Mittel 
zum  Herausfinden  der  unbekannten  Buchstabe»  an  die 
Hand  gegeben  (f  IL),  geht  er  (§.  12—^.)  die  phöni«  - 
zischen  und  uumidischeu  Buchstaben  einzeln  der  Reihe 
nach  durch,  so  dafs  er  einen  jeden  von  seiner  ältesten 
Gestalt  ab  die  ganze  Reihe  seiner  Metamorphosen  hin- 
durchfuhrt,  nnd  für  dieselben  die  Belege  aus  den  Denk- 
mälern giebt.  Aufserdem  aber  wirft  er  noch  beim 
Schlüsse  eines  jeden  Buchstaben  eben  vergleichenden 
Blick  auf  die  Form,  welche  derselbe  in  andr^i  alten 
aus  dem  Pbonizischen  entspmngenen  Alphabeten  an- 
genommen hat.  Da  hier  einleuchtend  Vieles  von  der 
Auffassung  des  bestimmten  Denkmals  abhängt,  so  wird 
man  in  gar  manchen  Fällen  Veranlassung  haben  von 
dem  geehrten  Verf.  abzuweichen  $  so  ist  z.B.  zum  Be* 
leg  für  Daleth  nr.  3.  (mit  zur  Linken  gebogenem  Schaft) 
aufser  Sigill.  67  b.  angeflihrt  Sard.  2.  3.  7. ;  nun  aber 
ist  anf  der  Sard.  3.  7.  der  Schaft  des  Daleth  entschie- 
den zur  Rechten  gewandt  (noch  mehr  als  auf  Melit.  U.^ 
wo  ihn,  wie  der  Verf.  pg.  94  bemerkt,  Lindberg  häutig 
fälschlich  zur  Linken  dreht),  wefshalb  wir  auch  Sard. 
2.  nicht  für  Daleth,  sondern  fiir  Resch  halten.  Aut 
Sigill.  67.  aber  ist  der  Schaft  des  Daleth  so  kurz, 
dafs  sich  kaum  eine  Richtung  angeben  läfst,  so  wie 
er  denn    anderwärts  ganz   und    gar   fehlt,    wie   der 


543 


Spratty   tke  language  9f  Hrd$, 


544 


Yeif.  Doch  nachträglich  im  4t6D  Anhang  bemerkt,  der 
überhaupt  (ilr  diesen  Abschnitt  noch  einzelne  wichtige 
Nachtrage  enthält.  —  Der  Verf.  gedenkt  hierauf 
noch  -einiger  abweichenden  Buchstaben  ($.  34.)i  so  wie 
einiget  Besonderheiten  der  numidischen  Schrift  (§.  35.)) 
fuhrt  einxelne  Fälle  von  verbundenen  Buchstaben  auf 
(4*  36.),  bandelt  von  den  (wohl  ^zu  weit  ausgedebtten) 
Noten  und  Siglen,  von  denen  er  auch  ein  Register 
mittheilt  (§.  37.),  fuhrt  ferner  die  seltnen  Unterschei- 
dungszeichen in  der  phönizischen  Schrift  an  (als  Punkte, 
Spatien,  Zeichen  am  Ende  und  Anfang,  der  Titel,  Or- 
namente) (§•  39.),  so  wie  den  durchgängigen  Mangel  der 
.  Vokalzeichen  (§.  39.),  spricht  sodann  ausfttl^rlich  über 
die  sogenannte  defective  Schreibart  (§.  40.)  und  schliefst 
das  ganze  Gapitel  mit  der  Angabe  der  gewöhnlichen 
Richtung  der  Schrift,  und  der  einzigen  Ausnahme  Num. 
H^rael.  F  (C  ist  als  Druckfehler  verbessert).  Nach- 
dem der  Verf.  nun  noch  im  4ten  Capitel  in  der  Kürze 
und  nach  Vorgang  Becr's  über  die  aramäisch  •  ägypti- 
sche Schrift  (d.  i.  über  die  Schrift  der  in  Aegypten 
gefundenen  Denkmäler)  gesprochen,  giebt  er  im  5ten 
Capitel  (4*  44 — 55.)  einen  Ueberblick  über  die  verschie- 
denen alten  Schriftarten,  welche  aus  der  Phönizischen 
entsprössen,  namentlich  geht  er  durch :  1)  die  altgrie- 
chischen und  die  altitalisohen  (etruskisch,  nmbrisch, 
samnitiscb,  oskiteh,  celtiberisch  und  römisch),  sodann 
2)  die  altpersische,  3)  die  ältere  hebräische  und  sama- 
ritanisohe,  4)  die  aramäische  und  ihre  Abkömmlinge, 
5)  die  ätbiopiscbe.  Diese  werden  auch  Tafel  2 — 5. 
dargestellt,  aufserdem  aber  weiter  ausgeführt  in  einer 
Stammtafel  (§•  45.).  Dafs  durch  eine  solche  verglei- 
chende Befrachtung  der  Schriftarten  manches  Licht 
auch  auf  die  phönizische  Mutter  zurückfällt,  ist  so 
einleuchtend,  dafs  man  es  dem  Hm.  Verf.  nur  Dank 
wissen  wird,  diesen  Abschnitt  eingeschaltet  zu  haben, 
in  welchem  auch  der  Paläograph  überhaupt  manche 
Belehrung  finden  dürfte.  Das  6te  Capitel  schliefst  end- 
lich das  erste  Buch  mit  der  Behandlung  der  phönizi- 
schen Zahlzeichen,  über  deren  Entstehung  jedoch  der 
Verf.  noch  nachträglich  pg.  462  gesprochen  hat. 

Das  2te  Buch  beschäftigt  sich  ausscbliefslich  mit 
der  Erklärung  der  Stein -Inschriften,  die  Hr.  Gesenius 


einzeln  genau  durchgeht,  indem  er  ein  jedes  Denk- 
mal geschichtlich  einführt,  die  angestellten  Liesungs- 
ünd  Erklärungs- Versuche  mittheilt  und  beurtheilt,  dann 
seine  eigne  Deutung  aufstellt,  und  dieselbe  durch  den 
folgenden  Commentar  nach  allen  Seiten  ausfahrt,  er- 
läutert und  begründet.  Dabei  hat  Mch  der  Verf.  das 
strenge  aber  richtige  Gesetz  gemacht,  nur  die  Erklär 
rung  zuzulassen,  welche  1)  der  Schrift,  2)  der  Spra- 
che angemessen  und  3)  zugleich  einen  dem  Denkmal 
entsprechenden  Sinn  darböte.  Die  Reihe  der  Inschrif- 
ten eröffnen  die  Maltesischen;  und  der  ersteren  we- 
nigstens, die  zugleich  mit  einem  griechischen  Titel  ver- 
sebn,  gebührt  dieser  Vorzug  unbedingt,  einmal,  weil  sie 
die.  leichteste,  sodann  aber,  weil  sie  diejenige  ist,  von 
der  eigentlich  das  Studium  der  phönizischen  Denk- 
mäler ausgegangen. 

(Die  Fortietznog  folgt) 

XXXV. 

TAe  language  of  birdsy  comprinng  poctic  and  pro te 
Illustration$  of  t/ie  most  favourite  cage  hirdt. 
With  twelve  higly^colonred  plata.  By  Mrs,  G. 
Spratt.    London.    1837.     12. 

Dafs  sich  die  Englischen  Damen  mit  den  ^Wissenschaften, 
und,  nach  unseren  geuohnten  Ansichten,  etwas  zu  ernstlich, 
beschäftigen,  ist  längst  bekannt  :-\i  er  denkt  nicht  unter  den 
neuesten  Schriftstellerinnen  an  die  Connection  of  physical  Seien* 
ees  der  Lady  SommerriUe,  die  auch  Männer  von  Pach  achten; 
wer  nicht  an  die  gelehiie  Mrs.  Guest,  welche  uns  eben  die 
ersten  keltischen  Texte  lieferte;  wie  viele  Nachahmerinnen  fin- 
det nicht  die  zarttähiende  Mrs.  Hemansl  Zu  diesen  gehört  auch. 
Mrs.  Spratt.  —  Männer  von  gröfstem  Gewicht  haben  es  nicht 
verschmäht,  den  Eindruck  zu  unteraachen,  den  die  Natur  in  ih- 
rer Gesammthelt  auf  unsem  Geist  macht;  es  ist  anziehend,  die- 
sen auch  bis  auf  die  einzelnen  Glieder  derselben  zu  verfolgen; 
vielfach  und  ansprechend  ist  dieses  in  Hinsicht  der  Blumen  ge- 
schehen; unsere  Verfasserin  versucht  etwas  Aehnliches  in  Be- 
ziehung auf  die  Stubenvögel,  die  language  of  birds  ist  analeg 
der  Biumensprache  aufgefafst.  Die  Verfasserin  hat  es  Tcrstan- 
den,  mit  ihrem  Griediischen  und  Lateinischen  nirgends  pedan- 
tisch zu  werden ;  das  Büchelchen  wird  gefühlvolle  und  gebildete 
Freunde  der  Natur  ein  Paar  Stunden  recht  angenehm  unterhal- 
ten. Wir  verkennen  dabei  nicht,  dafs  der  Gegenstand  auch  ei- 
ner ernsteren  Auffassung  wohl  fähig  ist.  Die  Tafein  sind  schön, 

das  Ganze  elegant. 

Heu  sing  er. 


JW  69» 

Jahrbücher 

für 

w  i  s  s  e  n  8  c  h  a  f  1 1  i  c  h  e 


Kritik 


October  1839. 


Scripturae  linguaeque  Phoeniciae  tnonumenta 
quotquot  super^unt  ediia  et  inedita  ad  autO" 
graphorum  opUmorumque  exemplorum  fidem 
edidit  additisque  de  scriptura  et  lingua  Phoenix 
cum  commentarns  illustravit  GuiL  Gesenius. 

(Forteetxuig.) 

Wir  baben  über  dieselbe  sohoD  bei  der  Anzeige 
der  paläographisohen  Studien  des  Verfs.  berichtet; 
Uire  Erklftmng  kann  nunmehr  als  vollendet  betrachtet 
▼erden;  and  nur  über  die  Gruppe  der  ersten  Zeile 
TI3VN  kann  noch  ein  kleiner  Zweifel  bleiben,  ob  es 
mit  dem  Vcrf,  för  ^13  W^^h?  (vielleicht  auch  ^13  TP^N 
vir  voti  est^i  oder  aber  für  *)*3)  *^^^  ^^  nehmen  sei« 
Allerdings  bat  die  erstere  Auffassung  zunächst  das 
TorauS)  dafs  U?N  die  gewdhnliche^  Schreibung  für 
VJ^bi  ist>  aber  dars,  wie  wir  schon  früher  bemerkt, 
eiae  Verkürzung  des  yOH  in  VK  in  dem  Gange  der 
Sprache  liege,  zeigt,  abgeschn  yon  allem  Uebrigen, 
ier  geläufige  Gebrauch  des  W  praefixumy  und  die 
Beibehaltung  des  leichten  Aspiraten  (n)  im  Anlaut,  bei 
der  Attsstofsung  des  härtern  ^  im  Auslaute  ist  gewiis 
unbedenklich«  Auch  glauben  wir  in  der  238ten  Cyper- 
sehen  Inschrift  tSN  fiir  *^WN  auffassen  zu  müssen. 
Tgl.  daselbst.  Diese  Votivformel  findet  sich  übrigens 
noch  auf  mobileren  Oeukmälern  (zu  den  angefiährten 
Tgl.  noch  Carth.  12*  13.),  wo  überall  freilich  dieselbe 
Frage  wiederkehrt.  Ueber  allen  Zweifel  würde  man  auch 
in  dieser  Formel  hinauskommen,  wenn  sich  ein  Ton 
einer  Frau  gesetzter  YotiTsteui  fiinde;  Tielleicht 
ist  CmirtAag.  12.  in  der  That  zu  lesen  vrm  WH. 
Das  Zeitalter  der  Inschrift  setzt  der  Verf.  auf  Grund 
des  Namens  Serapion  wohl  mit  Recht  nach  Alexander 
dem  Grofsen. 

Nicht  so  sicher  st«ht  es  mit  der  Erklärung  der 
übrigen  Maltesischen  InschriftcfU,  die  nicht,   wie  die 

Ukth.  /.  wi$9€M€h.  Kritik.  J.  1830.    II.  Bd. 


erste,  doppelt,  auch  nicht  sämmtlich  unversehrt  vor- 
handen sind,  und  denen  keine  griechische  Version  zu  . 
Hülfe  kommt.  So  gleich  die  2te  lUalt.y  obgleich  der 
Vf.  dieselbe  den  wenigen  Denkmälern  beizählt,  deren 
Erklärung  als  gewifs  betrachtet  werden  könne  (Voi^ 
rede  p.  XIX).  Ungewifs  zunächst  ist  das  3te  Zeichen 
der  2ten  Zeile,  welches  als  8tes  und  lOtes  wieder» 
kehi't.  Der  Vf.  sagt  selbst  (p.  103),  dafs,  palaeogru^ 
phuch  beurtheilt,  es  sich  dem  Jod  auf  der  ersten 
Malt.  Inschrift  anschliefse^  wofür  es  in  der  That  anoh  \ 
Tjchsen  genommen,  aber  dars  der  Sinn  mehr  für  Ue 
spräche,  wie  es  sich  ähnlich  in  der  aramaeisch-ägypti* 
sehen  Schrift  finde.  Allerdings  läfst  das  zwischenste- 
bende  Zeichen  (welches  man  mit  Tjchsen  nicht  fiir 
Phe  nehmen  kann),  kaum  das  8te  und  lOte  (und 
somit  auch  das  3te)  als  Jod  vx.  Und  alle  Ausleger 
haben  es  deshalb  auch  als  n  genommen.  Unser  Vf. 
selbst  hat  schon  1820  eine  Erklärung'  dieser  Inschrift 
versucht  (Jen.  Litt.  Zeit  Febr.  No.  39.);  ohne  dieser 
aber  weiter  zu  gedenken,  hat  er  hier  eine  neue  aufge» 
stellt,  die  er  aber  wieder  gegen  eine  andre  in  dem 
Nachtrage  (p.  402)  vertauscht.  Die  Hauptschwierig- 
keit bietet  die  Gruppe  vom  Ende  der  2ten  Z^ile  hie 
zum  Anfang  des  Eigennamens  gegen  Ende  der  3ten, 
Diese  hatte  der  Verf.  1820  erklärt  „der  Geist  des  Ab* 
geschiedenen  sei  mit  seinem  Tode**  (n03  QKB*1  Dn*^)^ 
indem  er  statt  \o  (Zeile  3  litt.  5.  vom  Ende)  ein  Q  ^ 
lass  statt  dessen  fafst  er  den  Satz  in  den  Monumen» 
ten  auf  ^ySpirituM  remüsionü  {est)  mater  tgnominüu^' 
als  eben  Wahlspruch^  den  vielleicht  der  Verstorbene  im 
Leben  geführt.  Aber  besser  unstreitig  im  Anhang  als 
Prädicat    des    Abgeschiedenen    ^yspirüus   manouetuo 

sine  dedeeore''  nvaO  NBnO  H"^  Auf  diese  letzter» 
Erklärung  hat  ihn  offenbar  die  Ute  Carthag.  Inecbrifl: 
geführt,  wo  sieh  dieselbe  Gruppe  befindet  (ttB^H*))« 
Aber  schon  dieses  Wiedeirkehren  der  Gruppe  macht 

69 


547 


Ges0niu€y  Mcripiurae  linguoe^ue  PUomUeiae  m&numeiUal 


548 


die  Anuahine  eines  Prädioats  bedeuklich,  nnd  läfftt 
eher  auf  eine  betttiinmte  Formel  ■cbliersen;  Daza 
kommt,  dafs  die  dortige,  doch  wieder  aum  Theil  ab- 

weiobende  Auffassung  des  Verfassers  KB10  TlTi .  K^ 
),«cw,  mnima  plaeida'*  sich  sprachlich  nicht  begrün« 
den  läfst  (wir  meinen  den  Gebrauch  des  ^^  als  avs). 

I>emnach  möchte  man  f  icUeicht  der  folgenden  Erkiä- 
rnng  den  Vorzug  geben:  Conclave  domus  aeternae 
est  seputcrumj  {vef)  pollutus  purgatur  in  hoe  clau^ 
9tro\  0  fnißeriears  $alva  ab  iguominia  Haunibalem 
reU.  Zur  Erläuterung  bemerken  wir  nur:  4^33  ^*^^^ 
nach  Aebr&Uohem  Sprachgebrauch  genommen,  np3 
ist  gewöbnlicbes  Nifal ;  die  fragliche  Gruppe  zu  schrei- 
be nU|[30 .  N^"^  t3n*3,  oder  mit  Hinzuziehung  des 
troriangebenden  f)  Auch  DD'in?  ^^^  ^>®  Constmction  Tgl. 
man  Jer.  30,  17.  Auf  der  Carthag.  übersetze  man 
o6$eerOy  mitericorsy  saiva  relL  Angeredet  wäre  der 
Gott  Baal.  Doch  wir  stellen  diese  Erklärung  nur  als 
einen  Versuch  in  Ermangelung  des  bessern  hin.  Die  Deu- 
tung der  3/«^  JUalt,  Inschrift,  für,  welche  der  Vf.  eigentlich 
nur  Hamaker  als  wenig  glücklichen  Vorgänger  gehabt, 
mufste  nach  theilweise  sehr  abweichenden  Apographen 
unternommen  werden.  Die  Ton  Harn,  falsch  gelesenen 
und  besonders  verkannten  gebrochenen  Buchstaben, 
hat  er'  richtig  bestimmt,  und  unsres  Eracbtens  ebenso 
den  Schlafs  restituirt,  überhaupt  bat  er  eine  Erklärung 
gegeben,  die  im  Ganzen  befriedigen  kann,  und  bei  der 
uns  nur  das  ^nhs^  (Zeile  2  und  3)  zweifelhaft  bleibt. 
Viel, zweifelhafter  ist  die  der  Torangehenden  Terwandte 
\te  M€Ul  Inschrift,  bei  welcher  dem  Verf.  so  wie  Ha- 
inaktfr  nur  ein  Apograpbon  zu  Gebote  stand.  Die  Er- 
klärung mu(^  zu  sehr  zur  Conjeotur  greifen,  als  dafs 
sie  nicht  bedenklich  bleiben  müfste.  Die  4  ersten 
Zeichen  sind  allerdings  "j^nj  \  damit  sie  3^j[3  lauten, 

bedarf  es   der  Annahme,  dafs  Jf  Terkebrt  (wie  nach 

dem  Verf.  Zeile  5  noch  ^)  und  das  acht  phöniz.  Da- 
leth  '—  ein  Dreieck  mit  zur  Rechten  ausgeschweiftem 
Stiel  —  mufs  für  Beth  genommen  werden,  wie  es  sonst 
nicht  erscheint;  3^^;)  selbst  endlich—'  verstdfst  gegen 

die  gewöhnliche  phöniz.  iSchreibuug,  —  lauter  Schwie- 
rigkeiten, die  sich  der  Verf.  selbst  nicht  verhehlt;  in 
der  3len  Zeile  ist  es  bedenklicb,  das  complicirte  Zei- 
chen fbr  ^^  zu  nehmen;  in  der  4teu  Zeile  fehlen  viel- 

leicibt,  wie  in  dec  vorangehenden,  Buofastaben;  in  der 


5ten  ist  am  Ende  nqcb  das  Fragment  eines  Zeichens 
sichtbar,  und  um  so  wettiger  snlässig  die  ohnehin  be> 

denk  liehe  Lesung  *)n3  "^SH  {ex  vete  patrie)^  bei  wel- 
cher der  Verf.  H  und  >3,  mit  Uebergehung  des  da- 
zwischen stehenden  Buchstabenfragments,  zu  einem 
Worte  zusammengeschlossen  hat.  Von  den  maltesi- 
schen Inschriften  geht  Hr^  Gescnius  zu  den  3  atie- 
nieneiichen  über;  diese  haben  sämmtlich  aufser  dem 
phönizischen  noch  einen  griechischen  Titel;  bei  der 
Erklärung  der  Isten  hat  der  Verf.  den  (auch  auf  den 
Humbcrtschen  Steinen  vorkommenden)  Namen  der  Göt- 
tin ron  E^S^^  nSn  {y^^  '^^^  Hamaker  las  und  für  die 
Mylitta  nahm),  nicht  nur  über  allen  Zweifel  sicher  ge* 
stellt,  sondern  auch  ihre  Identität  mit  der  Tanais,^der 
orientalischen  Diana,  nachgewiesen,,  und  ihren  Ursprung 
von  der  ägyptisohen  Neith  fest  begräudet ;  aa  wiif 
denn  überhaupt  die  Erklärung  dieser  Inschrift  nidita 
zu  wünschen  übrig  läfst.  Ein  nicht  so  güastigea  Rc* 
sultat  konnte  der  Natur  der  Verhältnisse  nach  die 
Auslegung  der  cypri9chcn  Steine  gewinnen.  33  aa 
der  Zahl  (bei  dem  Fundament  der  Mauern  von  Citiuui 
ausgegraben),  bildea  sie  bekanntlich  den  Hauptfnnd 
der  phönizischen  Denkmäler,  den  Rieb.  Pococke  173S 
gemacht,  der  denn  auch  eine  Abschrift  derselben  ia 
der  description  of  the  East  uiittheilt.  Eine  2te  Ab- 
schrift nahm  noch  später  von  29  Stejnen  Porter  de 
Thaxted,  der  auch  den  einen  bei  Pococke  No.  2  be- 
zeichneten Stein  mit  nach  England  brachte,  wo  er 
nachgebends  durch  Vermächtnifs  an  die  Bodlejanisclie 
Bibliothek  in  Oxford  kam.  Doch  wurden  von  Porters 
Abschriften  nur  5  durch  Swinton  veröifentlichf,  wäh- 
rend die  übrigen,  nach  den  letzten  Nachsnchungen,  die 
unser  Verf. .  deshalb  in  England  bat  anstellen  lassen, 
wahrscheinlich  verloren  gegangen  sind.  Bin  eben  so 
unglüokliclies  Geschick  waltete  über  den  Steinen  iö 
Gypem  selbst,  indem  sie  kurz  nach  Porter  der  dortige 
Statthalter  ab  einer  Wasserleitung  verwandte,  und  alle 
weiteren  Versuche  zu  ihrer  Wiederauffinduag  mif»- 
glückten.  Somit  ist  denn  die  ,  Auslegung,  mit  Ans- 
nahme  der  2ten,  von  welcher  der  Stein  selbst  exiBtift^ 
und  der  4ten,  5ten,  12ten,  21sten  und  23sten,  von  denee* 
die  Portersohen  Apographa  vorhanden  sind,  rein  auf  die 
Pocockeschen  Abschriften  verwiesen,  die,  wie  die  Ver* 
gleichung  zeigt,  sehr  unsicher  and  fehlerhaft,  weshalb 
denn  auch  viele  ganz  und  gar  nicht  zin  lesen,  nur  we- 


54» 


G€$0mm$^  äerifrtmm^  Unf^me^ue  Ph^enidae  tMnumerita. 


5» 


Bigd  ertrftgJjch  zn  erkliran  «iad.  Auch  hat  nur  die 
2te  Aittkgf  r  ki  Masse  gefoadeii)  tod  den  übrigen  ist 
kaum  die  HiUfte,  und  diese  uor  voa  wenigen  —  Swtn- 
tsoi  Kopp  und  Hamaker  —  versuclit.  Unter  diesen 
umständen  mufste  auch  unser  Vf.  manche  aufgeben, 
doch  sind  viele  von  ihm  vollständig,  andre  stückweise 
erklärt,  und  fiir  noch  andre  wenigstens  Erklärungs- 
TersQche  angestellt* 

Die  erste  Inschrift,  die  grörsto  von  allen,  gehört 
leider  zu  denen,  welche  Hr.  Gesenius  nur  stückweise 
lu  lesen  vermochte,  und  deren  völliges  Auslegen  kaum 
je  gelingen  durfte.  Dies  ist  um  so  mehr  zu  bedauern, 
da  sie  offenbar  die  bedeutendste  von  allen  ist.  Denn 
wenn  sie  auch,  weil  mit  den  übrigen  zusammengefuu- 
dSDy^eine  Grabschrift  und  kein  öffentliches  Denkmal^ 
wäre,  wie  unser  Verf.  diefs  übrigens  sehr  wahrschein- 
lich macht,  so  enthält  sie  jedenfalls  Völker-  und  Re- 
gsntenaamen  und  in  diesen  vielleicht  historische  Daten. 
Hr.  Gesenius  hat  3  Gruppen:  1)  Die  2te  Hälfte  der 
Isten  und  die  Iste  Hälfte  der  2ten  Zeile,  2)  einige 
Worte  aus  der  Mi(te  der  2teu,  und  3)  den  Schlufs. 
Alle  3  bleiben  natürlich,  bei  der  mangelhaften  Zei'ch- 
Dung  sumal,  blofse  mehr  oder  weniger  wahrscheinliche 
Mothmafsonii^,  doch  lohnt  es'  sich  kaum,  eine  abwei- 
chende, zu  nichts  weiterem  führende  Auffassung^  der 
Fragmente  beizubringen.  Hingegen  die  2te,  so  viel 
versttchte,  und  immer  noch  nicht  befriedigend  erklärte 
losehrift  ist  von  dem  Verfasser  so  vollständig  darge- 
stellt und  erklärt,  dafs  nur  ein  Zweifel  übrig  bleibt; 
dies'  ist  das  schwierige  nN3tD^>  welches  derselbe  im 
Werke    mit   (Vater    und    Eichhorn)    für     ^r)N     \0l 

(«■  N^S^^ »  n^fO^])  in  der  Bedeutung  des  arabischen 

Q/^^  im  Nachtrag  aber  vielmehr,  durch  Umtausch 
des  o  und  yj) ,  im  Sinne  des  Hebräischen  i^;^  erklärt. 

Die  3/«  Inechrift  gehört  zu  denen,  an  welche 
sich  noch  kein  Ausleger  gewagt,  und  unser  Verfasser 
giebt  demnach  den  ersten,  in  der  That  überraschen- 
den Versuch,  wenn  man  nur  einen  oberflächlichen  Blick 
auf  das  Pocoekesche  Apographon  wirft.  Indessen 
irird  man  nicht  erwarten,  dafs  mit  demselben  bereits 
alle  Schwierigkeiten  gelöst  sind.  Gleich  zn  Anfang 
scheint  uns  die  Annahme  des  ^  (nach  nSlfO)  als  Ab- 
breviatur für  |3K  «hen  so  bedenklich,  als  die  Be- 
seichnung  pNnSSCO  (Gen.  35,  14)  auf  einem  Steine 
anpassend;  sodaun  können  wir  uns  schwer  entschlic- 


fsen,  in  dem  Phönizischen  eine  sogenannte  maUr  lec* 
tionis  anzonebmen,  und  daher  der  folgenden  Ergin« 
zung  t^KnS  für  ^^nS  nicht  beistimmen.    Auch  blei» 

ben  uns  in  der  3ten  Zeile,  die  vom  Vf.  als  componirt 
angenommenen  Buchstaben  sehr  zweifelhaft,  die  Hftk« 
eben  am  oberen  und  unteren  Schaft  der  3  Buchetaben 
(des  Isten,  6ten  vom  Anfang  und  2ton  vom  Ende  der 
Zeile)  möchten  wir  nur  für  Zierrathen  halten,^  so  wie 
sich  dann  noch  ein  Zeichen  und  2  Punkte  finden,  die 
ohne  weitere  Bedeutung  zn  sein  scheinen.  Leider 
können  wir  fürs  Erste  nur  diese  Bedeuklicbkeiten,  aber 
keinen  genügenderen  Erklärungsversuch  aufstellen.  Ver- 
bältnifsmäfsig  wenig  Schwierigkeit  bieten  die  iie  und 
5te  Intchrifi  dar,  weshalb  auch  hier  der  Verf.  wieder 
einzelne  Vorgöngcr  gehabt,  jedoch  ist  erst  durch  ihn 
die  Erklärung  vollendet,  nur  dafs  in  der  letzten  die 
Entscheidung   über   die  Bedeutung  des  Namens  y^N 

billig  dahingestellt  bleibt.  Die  6(e  aus  7  Buchstaben 
bestehende  und  wahrscheinlich  unvollständige  Inschrift 
hat  der  Verf.  richtig  gelesen  und  beurtheilt.  Bie  Er- 
klärung der  7ten  gehört  wiederum  zn  den  unsichern;. 
die  erste  Zeile  fibergeht  der  Vf.,  verumtbet  aber^  dafs 
sie  (vor  HSV})  ^'n^  Zeitbestimmung  enthalte;-  in  der 

3ten  Zeile  nimmt  er  eine  Abkürzung  an,  die  (yy) 
freilich  unvermeidlich  scheint,  und  doch  istsicher^'  wie 
der  Verf.  in  der  13ten  einen  circellus  (y)  zu  Betb 
ergänzt,  so  auch  hier  zu  verfahren,  mag  man  nun 
*13y  oder  ^ys  lesen;  das  folgende  Nomen  ist  höchst 

wahrscheinlich  K^TI  (nicht  \QW.  Jedenfalls  unberech- 
tigter als  in  dieser  hat  der  Verf.  in  der  8ten  Inschrift 
2  Abkürzungen  constituirt;  die  eine  in  der  ersten,  die 
andere  in  der  letzten  Zeile;  in  jener  soll  ^  TtJM  für 
yyS  ©^>j  oder  P]y*^  stehen,  was  wir  durch.aus  für 
unmöglich  halten ;  wohl  konnte  man  umgekehrt 
yy*^  'N  für  \y^  \D^S  als  Abbrevialur  zugeben,  aber 
das  wesentliche  Prädikat  konnte  nicht  verkürzt  wer- 
den.  In  der  letzten  Zeile  soll  u;  für  yQ  stehen,  auch 

diese  Verkürzung  ist,  wenn  nicht  unmöglich,  doch  nicht 
glaublich  und  jedenfalls  unberechtigt ;  wohl  aber  ist 
eine  3te  Abkürzung  gestattet,  die  der  Vf.  zu  Anfang 
angenommen,   nämlich  St3  »  2^St3 ;  er  liest  VN^  '!£3 

"^  von   Ciflfms  viro  €0nsuli  Chan  'Esmuno  (^Aeclc* 


561 


Q«$»imUy,*eriptwrtM  Umgiatft^  'Ph^enieia*  monumMta, 


5» 


«       \ 


jdadm^  m  CkmeamHÜ^haüa^  ßlio  SoImoI  €$  Senas^ 
ffrmeipe  '  4imnfuev$rorum»  Gegen  diese  Lesnng  ist 
kauin  etwas  eimuweDden,  doch  der  3te  Buchstabe  der 
Isten  Zeile  ist  für  Lained,  der  ihm  ähnliche  3,  3.  für^ 
Jed  genomiuenj  wir  möchten  an  beiden  Stellen  ihn 
entweder  für  ^  oder  für  ein  (verzeichnetes  1)  Bcth,  wie 
wohl  auch  Cit.  33»  Zeile  1,  3.  nehmen ;  m  dem  erstem 
Falle  mürste  man  aber  auch  lin.  3,  2.  als  Beth,  in  dem 
letztern  als Resch  auffassen.  Nach  dereinen  oder  andern 

Weise    wäre  kq   erklären    VN  SUS  (oder  WNS  *2U) 

pN  S'^Pi  (ba  -  Sya)  an  oanb  |own  N3m 

Cipfnu  viriyfaveat  ei  Ksmuny  Sa/nenti  magno  vir" 
tute  {praefecto  exereitus?)^  patri  nostro  relL  Statt 
T0NM  haben  wir  vorgezogen,  das  N  zu  dem  vorange- 
bei^Lden  zu  beziehen,  weil  uns  der  Artikel  bedenklich 
schien s  l^IiT^^  mag  für  yn^XV^  O^SH^)  stehen  5  eine 
solche  Formel  durfte  sich  vielleicht  auch  zu  Anfang 
der  Steil  Inschrift  finden,    wo   (mit  den  oorrumpirten 

Zeichen)  zu  lesen  Sn  aPI"»  QO^  (h  1)  naNO)  und 
dies  nicht  als  nomen  propr.  vor  dem  folgenden   aJht 

"ego)^  sondern  als  faveat  Dcum  aufzufassen  wäre  \  der 
Name  ^2*1)  Gott  kann  nicht  auffallen  —  wenn  man  einen 

damit  componirten  Eigennamen  zugiebt;  pN  scheint 

V^äK  zu  sein,  kann  aber  auch  ein  Theil   aN«     des 

folgenden  Nomen  sein,  (z«  B.  D^^rj  ON)  dieser  lUfst 

sich   verschieden   lesen  und    abtheilen ;    statt  hv)Sw 

z.  B.  t^hu;,  oder  wenn  man  den  letzten  Buchstaben 
.zum  Folgenden  ziehen  will,   Q^u;  (auch  Schillum  — 

em)\  ob  das  folgende  D7Q  {a  zu  emendiren^  lassen 
wir« dahingestellt  sein;  die  letzten  4  Buchstaben  las- 
sen sich  ohne  Bedenken  VOr.O  lesen  und  übersetzen  e 
^inquevirii ;  vielleicht  ist  aber  auch  das  letzte  Zeichen 
der  voraugebeuden  Zeile  kein  D»  sondern  N  (Alef) 
Tgl.  Cit.  13.,  dann  könnte  man  lesen  VOn  VN  (So  \2) 
in  demselben  Sinne.  Die  9te  Inschrift  ist  des  Art, 
dafs  sie  der  Vf.  aufgeben  mufste;  an  die  lOte  hinge* 
gen  hatte  sich  schon  Kopp  und  glücklicher  Hamaker 
versucht,  unser  Verf.  berichtigt  den  letztern  mit  Recht 
in  Betreff  des  Schinfswortes,  zu  welchem  Hamaker  das 


Ornament   üls   Buohstabcn    gezogen    (^'W^'.n  «Utt 

tinnn).    Auch  gegen  den  Anfang  -^N  ^lü  wumumei^ 

4um  voiivum  erhebt  derselbe  gerechte  Bedenklichkeit. 
Er  will  dafür  nsh  alSCS  restituiren;  doch  bedarf  ei 
dessen  nicht,  wenn  man  hier  eine  Abkürzung  annimmt, 
—  wie  ähnliche  noch  auf  jüdisclien  Leiohensteineo  — 
nämlich  Nun  mit  folgendem  Punkt  (aber  auch  ohne 

diesen)  für  aSU  also  "IN  "^H  aSC3  monumetUum  hih 
iitatiofiii  (vgl.  VS  ^9,  20)  üri  filii  relL  Die  Ute 
ist  mangelhaft,  unser  Verfasser  restituirt  sie,  aber  oiH 
Annahme  einer  Abkürzung,  was  mifslich  ist$  sie  lautet 
vielleicht    IDTW  W\  VCh  ßliae  liami    peregruii  (!), 

und    der   2te    Buchstabe    (Ain)    ist    ein    verstümmel- 
tes    Beth.     In    der    12ten   hingegen    hat    er   gegeo 
seine  Vorgänger  auch  die   letzte  Schwierigkeit  geho- 
ben,  indem  er  das  Nomen  propr.  am  Ende  zu  seinem 
Rechte  gebracht,  ebenso  hat  er  vortrefflich  die  13te 
Inschrift  restituirt  und  die  14te  erklärt.   Bei  der  15^^s 
Inschrift  wagt  der  Vf.   nichts  Bestimmtes  zu  geben, 
er   stellt  jedoch   einen  Versuch  an,    der  aber  wenig 
Wahrscheinlichkeit  hat.     Schwierigkeit  macht  das  4te 
Zeichen  in  der  Isten  Zeile,    welches  als  3fes  in  der 
3ten  Zeile  wiederkehrt  $   an  beiden  Stellen  folgt  ihm 
ein  Alef,  und  der  Verf.  hat  es  mit  diesem  zu  einem 
Chet  verbunden,  dem  indessen  schon  entgegen  zn  seiq 
scheint  die   Gestalt    des    Chet   zu  Anfang  der  |sten 
Zeile.     Als  blofses   Ornament,    welches   das  Nomen 
propr.  einschlösse,  läfst  es   sich  auch  nicht  nehmen, 
weil  in  der  3ten  Zeile,  zwischen  ihm  und  dem  Punkte 
noch  ein  Buohstabe  steht  (D),  das  Nomen  propr.  aber 
hier  wirklich    durch   2    Punkte    getrennt    zu    wnden 
scheint.    Ks    ist  demnach  ein  Buchstabe.     Aber  vet 
cherl  ist  schwer  zu  sagen,  während  die  übrigen  Baob> 
Stäben  nicht  zweifelhaft  sind  bis  auf  den  2ten  zu  An- 
fang, der  Gimel,   Vau  oder  Phe  sein  könnte.    Offen- 
bar ist  aber,  dafs  auf  den  3buchstabigen  Eigennamen, 
dessen  erster  das  unbekannte  Zeichen  bildet  (^")N  j? 
ai^gespielt  wird,  in  der  Nachschrift   (HN^O).    Möchte 
man  es  nun  allerdings  auch  zunächst  für  h  halten,  in 
wird  doch  diefs  keinen   passenden  Eigennamen  (*^AiD 
mit  einem  darauf  bezüglichen  Partioip  (etwa)  (*1NnO} 
geben. 


(Die  Fortsetzung  folgt.) 


F 


Wissen 


J^  70. 

J  ahrbttcher 

für 

s  c  h  aft  1  i  c  h  e 


Kritik. 


October  1839. 


• .  B'cripturae  '  Unguaeque   Phoeniciae   monut^enta 

'  quotquot-  tupertunt  eäita  et  medita  ad  auto- 

graphorum  optAnorumque  exemptorum  ßdem 

edidit  addüüque  de  scriptura  et  lingua  Phoenix 

cum  commentariü  illustratnt  Ouil.  Oesenius. 

(FortJsetZttDg.) 

Könnte  man  es  als  Thau  nehmen,  was  nns  eln- 
tig  übrig  geblieben  scheint  (wenn  man  etwa  nicht  Tet 
Torziebt),   so  würden,  wir  also  lesen 

h?*i3  ^o»  VNno  *  may  p  *  nNn  •  nin 

Av0  TAoar  {/ormose)^  fili  Abdae  (jfui /ueraM)y  Jbr- 
mattis  instar  sinmiacri  ßiti  forrei.   niH   (vgl.  Gen. 
27, 29.)  ist  der  Gmfsy  das  Lebewohl  an  den  Abgeschie- 
denen Molve^  avß  —  wie  an  den  Lebenden,  vgl.  Plaut. 
Poen.  Fy  1.  V.  "INH,  wftre  der  Eigennamen,  wovon  das 
Fem.  auf  der  8ten  Inschrift,  auf  die  Bedeutung  INT) 
(/orma)y    würde  angespielt  mit  "^ftHS  und  die  kräf- 
tige Gestalt  des  Verstorbenen  gerühmt.    Nimmt  man 
INS    als   Eigenname,   so    müfste   man  diesen  gleich 
'intO  stellen ,  und  die  Anspielung  fiele  auf  die  diesem 
Worte  inwohnende  Bedeutung.     Doch  mag  auch  die- 
ser Versuch   nur  in  Ermanglung  eines  bessern  gelfen. 
Die  I6te  Inschrift  ist  zweifelsohne  richtig  vom  Verf. 
resfituirt,   nur   ist   das   letzte  Zeichen   wahrscheinlich 
Jod,  und  Ton  den  beiden  voraufgehenden  Ain,  das  eine 
zu  Beth,    Resch   oder  auch  Daleth  zu  ergänzen,  wie 
auf  der  7ten  und  Uten  Inschrift.    Die  Ylte  Inschrift 
läfst  nur  den  Zweifel  übrig,  oh  Ty  oder  "^^y  zu  le- 
sen; für   ersteres  spricht  die  vorangehende  Inschrift,, 
für  letzteres   die  Schrift.      Wenn   diese   nur  sicherer 
wäre!  In  der  \%ieH  Inschrift  möchte  der  Verf.  nur  in 
2  Punkten  von  seinem  Vorgänger  Hamaker  abweichen, 
1)  dafs  er  (statt  IKH)  QWfl  lies*t,    2)  statt  pSn  die 
Göttin    n^jn,  gegen  beides  läfst  sich  nichts  wesentli- 
ches erinnern;    doch  ist  vielleicht    die  Annahme    des 

Jakrb,  /.  wiuenich,  Kritik,   J.  1S39.    II.  Bd. 


componirten  Buchstaben  QU))  —  die  aber  grade  in 
dieser  Inschr.  eine  Analogie  für  sich  hat  —  bei  dem 
erstem  unuötbig,  der  Querstrich  in  der  Mitte  des  Schaf- 
tes ist  wahrscheinlich  zu  streichen  und  mit  ihm  das 
Vau;  und  der  übrige  Buchstabe  ist  ein  mangelhaftes 
Mem,  weqn  nicht  ein  schlecht  dargestelltes  Resch,  im 
letzteren  Fälle  hiefse  der  Name  *)Nn  vgl.  die  4te  u. 
15te  Inschrift.  Die  19^^  Inschr.  mürste  aufgegeben 
werden,  die  20#^  hingegen^  an  der  sich  bis  jetzt  nie- 
mand versucht,  und  die  einige  ganz  abnorme  und  über- 
haupt flüchtig  dargestellte  Zeichen  enthält,  hat  der 
Verf.  gewifs  richtig  gelesen  und  erklärt.  Ganz  abnorm 
ist  nämlich  die  Gestalt  des  Mem  (in  der  ersten  Zeile; 
mehr  dem  Tau  ähnlich,  das  Schin  (in  {OWN),  und  das 
Kaf  in  iNSlD.  Dieser  Name  übrigens  (der  sich  auch 
auf  der  4ten  Inschr.  findet),  kehrt  vielleicht  auch  auf 
der  ersten  (Zeile  1)  als  ini^DO  wieder,  dort  möchten 
wir  nämlich  lesen  DIN  \TO  iSo  {H'^SD  0)33^0'? 
|ra  Ssh,  Die  21.  aus  2  Worten  bestehende  Inschrift 
ist  gleichfalls  richtig  vom  Verf.  aufgefafst,  sehr  sinn- 
reich ist  aber  jedenfalls  die  von  Niemand  berührte  228te 
erklärt;  wir  bemerken  nur,  ob  nicht  ftir  ]0U7K  wie  Hr. 
Gesen.  wieder  herstellt,  einfacher  |'33  Wh)  zu  lesen  sei? 
Der  leere  Raum  mochte  den  Eigennamen  enthalten 
haben.  Uebrigens,  ist  die  Erklärung  der  2ten  Zeile 
richtig,  so  haben  wir  hier  ein  sicheres  Beispiel  des 
Alef  als  AHikel. 

In  der  23.  Inschr.  hat  der  Vf.  Kopp  und  Hamaker 
SU  Vorgängern  gehabt,  gegen  diese  lies't  er  in  der 
ersten  Zeile  richtig  Q^nZl  (statt  D'^pS),  auch  ganz 
vortrefliich  am^  Schlufs  Nn3"1NS,  was  sicher  turnen 
Cita  ist;  seine  abweichende  Lesung  yy>  statt  V^\ 
aber  nimmt  er  in  dem  Anhange  zurück.    Er  erklärt: 

■^*3Nh  no'»  *  NYavN  ^  Pjy^  «n*  o'^na  naxo 

NHS'^nS    Cippf$s  inter  vivot  (consulfs)  viri  defessi 
Abdacy  positus  patri  meo  ab  Ari*  Citta.    Bedenklich 

70 


GeseniuMj  Mcripturae  linguaefue  Phoenieiae  monumenia. 


555 

'  bt  ans  hier  1)  graphisch  die  AnnabHie,  dafs  das  Sa- 
mecb  (ia  10])  zagleich  daa  Jod  enthalten  soll,  da 
dc(ch  dus  Zeichen  (Samech)  ganz  ,  so  einfach  ist  wie 
Cit  8.  (Z.  Ay  3.  TOin  Ende)  und  kaum  verschieden  t^on 
dem  über  älleii  Zweifel  sicher  gesteHten  in  OV  "^N 
und  IDS  *1äy  auf  der  Isten  Malt.  Inschriftr  Der 
letzte  Namen  drängt  sich  uns  aber  auch  hier,  wenn 
wir  auf  das  vorangehende  "ISV  sehen,  von  selbst  auf, 
xwar  beruft  sich  unser  Verf.  gegen  die  Vorgänger  für 
die  Abschliersung  des  Nomen  propr.  als  hnSVN  auf 
die  Punkte«  allein  wir  können  diesen  hier  keinen  Wort- 
trennungswerth  beilegen,  eben  so  wenig  als  auf  der 
Sardiscben  Inschrift,  der  Verf.  selbst  mirst  ihnen  nicht 
immer  eine  Bedeutung  bei;  2)  in  Betreff  der  Erklä- 
rung die  doppelte  Beziehung  des  ^  (die  übrigens  der 
Verf.  noch  öfters  in  der  Erklärung  angewandt  hat)  als 
für  und  vony  und  zwar  hart  hinter  einander,  und  ohne 
irgend   eine    Vermittlung.     Giebt  man    uns    zu,   dafs 

WN  für  ^VS  stehen  könne,  so  möchten  wir  also  er- 
klären -»dnS  noNnay  r^av^  roa  iza^na  na^o 

Mn3*)hn.  Monumentum  inier  vivos,  qtiod  consulmt 
Abd-Onr  patri  meo^  lumini  Cüti.  Wir  bemerken 
nur,  1)  in  N^y^i  ist  das  M  das  Suff,  welches  auf 
naaO  zurückgeht  \  das  Verb,  rathen,  beschliefsen,  hat 
vielleicht  hier  die  Bedeutung  besorgen  (curare)  $  2)  die 
3te  Person  im  Verbo  trotz  des  Suff,  der  ersten  in  "^iSN  7 
.  darf  nicht  auffallen,  um  so  weniger  da  der  Eigenname 
dazwischen  steht,  vgL  auch  unsren  Vf.  zu  der  Isten 
JUelit.  pg.  99 ;  endlich  3)  NHS^'rN  kann  der  Namen 
des  Vaters  sein,  aber  passender  ist  wohl  der  blofse 
Ehrenname  lumini  Cittii* 

Auch  bei  der  2ieien  InseArfft  sind  Kopp  u.  Ha- 
maker  dem  Vf.  vorangegangen,  er  liest  mit  dem  letfr 

tereuNnay  p  ^n^Son*u;^{h  nw  noy  weicht 

abe^r  in  der  Auffassung  der  beiden  ersten  Worte  ab; 
PofuluM  Sehur  Aichretnalchitto  ^  filio  Abdae^  und 
meint  der  Stein  sei  von  dem  Volke  Schur  gesetzt  dorn 
Aeehr^y  der  aber  der  Bedeutung  seines  Namens  we* 
gen  „Heil  deinem  Reiche"  noch  kein  König  zu  sein 
brauche.  Um  zunächst  vom  letzteren  anzufangen,  so 
glauben  wir  nicht,  dafs  der  sonderbare  Name  vorban- 
den sei,  statt  inDbOl  ist  wohl  ynSoT  oder  Knhoi 
zu  lesen  (vgl.  die  Gemme  67) ;  sodann  aber  ist  HOV 
für  Dy  (Volk)  wenigstens  nicht  gesichert^  und. das 
Volk  Schur  nicht  weiter  bekannt ,   defshalb  möchten 


556' 


wir  vorschlage«    M*lSy  p  ♦••boi  TOrfl  nw  0» 
Popule  beatum  praedicee^  virum  Daml . . .um^  filium  \ 
Abdae* 

Die  25«^  Inechr.  besteht  nur  aus  6  Zeichen,  «bei 
die  sich  nur  muthmafsen  läfst  \  ietYty  indem  er  das  er- 
ste Zeichen  für  ein  blofses  Ornament  ninunt,  fiberseltt 
^lOh  's  Cippue  Caracco.  Nehmen  wir  das  erste 
Zeichen  fiir  Lamed,  so  hatten  wir  ein  mit  ^hO  com* 
ponirtes  Nomen  propr.  etwa  "Tl(^)D7D  7 

Die  2%$tey  welche  gleichfalls  schon  Kopp  und  Barn, 
versucht,  bietet  nur  Schwierigkeit  dar  in  Betreff  des , 
Eigennamens,  den  der  Verf.  viel  wahrscheinlicher  er- 
gänzt und  lies*t  als  Hamaker.  Die  Tlste  und  7Rit$ 
mufsten  aufgegeben  werden.  Die  ^ete  Inschrift  hin- 
gegen, welche  Kopp  versucht,  Hamaker  aber  gleich- 
falls aufgegeben,  nimmt  unser  Verf.  wieder  auf;  mit 
Recht  erkennt  er  in  dem  Tet  ähnlichen  Zeichen  lo 
Ende  der  Isten  Zeile  ein  Ornament  und  keinen  Buch- 
staben, so  wie  denn  auch  die  Zeichen  am  Schlosse 
der  übrigen  Zeile  keine  Buchstaben  sind.  Indem  er 
das  Iste  Zeichen  der  3ten  Zeile,  der  Etymologie  we^ 
gen,  lieber  für  Lamed  als  for  Than,  das  2te  der  4ten 
lieber  fiir  Non  als  ßir  Lamed,  und  das  erste  dieser 
Zeile  (wie  Cit.  20)  nicht  für  Thau,  sondern  für  Alcf 
nachträglich  p.  463  nehmen  will,  lios't  und  erklärt  er 
.  also : 

n3M*3Ä  p  PITüSb  *  •iSriDD  T\H  *  «^*S  fQ!J(D) 
Cippui  viro  mecum  incluso  Lebuichoy  ßlio  Zmanük 
Allein  die  2te  Zeile,  die  von  Seiten  der  Schrift  am 
sichersten  steht,  und  auch  bereits  von  K.  richtig  gele- 
sen wurde,  ist  gerade  in  Betreff  der  Erklärung  am 
unsichersten ;  nach  der  gegebenen  hätte  den  Stein  eine 
Wittwe  ihrem  Manne  gesetzt,  mit  dem  sie  dereinst  m 
einem  Grabe  eingeschlossen  sein  will;  oder  ein  Mami 
einem  andern,  mit  dem  er  früher  4ie  Gefangenschaft 
getheilt  hat.  Beides  ist  offenbar  ein  Nothbehelf.  Viel- 
leicht möchte  man  es  also  vorziehen,  mit  uns  die  2te 
Zeile  also  zu  erklären: 

QO"^^  i^DO  (1)l^>!  penee  quem  dolores  habitarunt 
wodurch  der  Verstorbene  als  ein  im  Leben  durch  Lei- 
den hart  Geprüfter  dargestellt  wird  (vgl.  auch  Psalm 
5,  6.  7,  6.)  Hierdurch  entledigt  man  sich  eines  dop- 
pelten Uebelstandes,  1)  einer  sonst  nicht  vorkommen- 
den und  hier  unschicklichen  Hithpaetfoi'm,  2)  aber  einer 
mitredenden  Person,   die  doch  auf  dem  Steine  nicht 


j^X 


O4§0mm9y  Mcr^haroB  KngmiefUß  Phpenieiae  masiumeBta» 


557 

weiter  genanot  itt.  «-  Die  Sttite  Ineohrift  lies*!  der 
Vfl  gaas  eioTeretanden  mitHamaker,  bis  auf  den  lets«* 
tea  Namen,  den  er  im  Naobtrag  0*^  lies't  (statt  y&3)  ^ 
vie  wir  diesen  Namen  auf  der  Uten  Inschrift  gefun- 
den haben.  Die  Slste  ist  wieder  der  Art^  dafs  sich 
kaum  etwas  mthen  l&fst.  Bei  der  328ten  ist  nur  in 
der  ersten  Zeile  der  (wahrscheinlich  Tollstftndige)  Na? 
men,  in  der  2ten  und  äten  nur  ein  Paar  Buchstaben 
vorhanden ;  und  wir  iiönnen  es  nicht  billigen»  wenn 
der  Vf.  die  Buchstaben  der  3ten  Zeile  mit  dem  Namen 
der  ersten  Tcrbindet*  Endlich  bietet  auch  die  letzte 
SSste  Inschrift  wenig  Sicheres  dar;  der  Verf.  hat  aber 
auch  diese  und  zwar  zuerst  versucht,  jedoch  mit  Aus- 
nahme der  beiden  ersten  Zeilen,  aus  welchen  kaum 
etwas  zu  cntrathen  ist.  Von  der  übrigen  Inschrift 
giebt  er  folgende  Erklärung : 

NezU'Esmtsno  viro  servo  tuo  fato^  viro  eontuli  re» 
gü  magni  C/utAaeort$m*  Salus,  populo.  Hier  müs- 
sen wir  uns  zunächst  'wieder  gegen  die  Annahme  der 

Abkürzungen  erkläre»,  N  V  "N  für  VV^  ^läV  W^^N, 
die  oomdglich  gestattet  sein  konnten.  Auch  bedarf  es 
dieser  Annahme  nichts  das  Ain  zu  Ende  der  ersten 
Zeile  ist  wiederum  (vgl.  Cit.  11)    ein  verstümmeltes 

Beth,  wodorob  statt  der  'Vy'K  nilS^H  "^Vl^*)  das 
Wort  ^aht  {fotri  meo)  hervortritt  \  \V^  WK  y  liofse 
sidi  anffasaen,  wie  oben  Cit.  23.,  aber  der  Buchstabe, 
der  Zade  sein  soll,  sieht  eher  einem  späteren  Daleth 
(vgl.  auch  Carth.  3,  5.  zu  Ende)  oder  Resch  ühnlieh, 

80  dafs  maa  ly^  WK ,  idy  quod  constituit^  oder  aber 
")V^WN,  entweder  alsPrädicat  zudem  vorangehenden 
^\  V^2^  viro  iilvae»  oder  besser  auem  reiUMciteU 
aoffasaen  kann;  das  folgende  *]10  läfst  sich  auch 
)nO  ex  gratia  lesen,  und  die  Abbreviatur  des  Verfs. 
Dir?  XD    Salus  populo   oder  principi  populij   kann 

ein  Eigenname  sein,  etwa  DV /^  für  UV  /1N^,  oder 
es  ist  auch  UVl^y  vielleicht  endlich  ist  aber  auch  das  ver- 
meintliche  Schin  ein  Mem.  Nach  den  verschiedenen  Lesun- 
gen kann  man  etwa  so  erklären:  (*l)tDN'^3i4lD^N  SJCjS 
0)OyS  D^nn  an  ^So  ^C'^)^''  Nextb-Emuno^ 
Patri  meOy  quem  suscttoAü  Jtex  magnus  Chittae» 
Mim  populo  suoy  oder  ^HPI  31  |nD  n»^  (n)WM 
Dy30  iV.    Esmuno  id^    quod  constituit  ex  gratia 


ud 


mmlia  {Prineipiii)  Chittaeorumy  Sinam.  Diefs  mag 
nur  beweisen,  wie  sohwaakend  die  Erklärung  bei  der 
unsicheren  Schrift  sein  kaonl  Dabei  ist  aber  noch  za 
bemerken,  dafs  zu  Ende  der  3ten  und  4ten  Zeile  sich 

w 

ein  gleiches  Zeichen  findet,  welches  als  Ornament 
mcht  unter  die  Buchstaben  aufgenommen. ist;  ist  es 
ein  Buchstabe,  etwa  ein  noigekehrtes  Resohi  so  wArde 

die  Erklärung  noch  anders  lauten,  etwa  *iyn  (n)tOt4 

DyS  w(>*jT  ^nn  an  pno  a/  quod  consneuit  m. 

magnus  Chittaeorumy  prineeps  populi.  Beachtungs- 
werth  ist  übrigens  die  aus  dem  unstreitig  richtig  gele- 
senen ^iin  geschöpfte  Vermuthung  des  Verfs.,  dafs  die 
D^^D  und  D'^nn  eigentlich  identisch  seien. 

So  weit  die  cypriscben  Inschriften;  sohliefslicb 
handelt  der  Vf.  noch  von  der  in  den  Trümmern  von 
Citium  gefundenen  und  von  Lindberg  erklärten  Gemme^ 
doch  können  wir  ihm  nicht  beistimmen,  wenn  er  abwei- 
chend von  ihm  (statt  IPIDy)  ^TIDy  lies%  da  es  uns 
ungerathen  scheint,  um  einen  biblischen  Namen  zu  ge- 
winnen, das  deutliche  Daleth  mit  Resch  zu  vertauschen. 

Nach  den  cyprischen  Inschriften  befafst  man  «ich 
wieder  gern  mit  einem  Monument,  welches  so  erhalten 
oder  überliefert  ist,  dafs  der  Ausleger  auf  eine  ziem- 
lich sichere  Erklärung  rechnen  kann.  Solcher  Art  ist 
die  Sardische  Inschrift,  welche  schon  1774  Bernhard 
deRossi  veröfTentlicht  und  herausgegeben,  nach  einem 
so  fehlerhaften  Apographon  jedoch,  dafs  seine  Ausle- 
gung nothwendig  mifslingen  mufste;  auch  ist  sie  in 
dem  grofsen  Publicum  wohl  kaum  bekannt  geworden. 
Hr.  Arri  hat  uns  kingegen  eine  sehr  sorgfiLltigo  Dar- 
stelluog  nach  Alberto  della  Marmora's  Apographon 
gegeben,  aber  auch  eine  fabelhafte  Erklärung  binzn- 
gefngt,  die  noch  dazu  nicht  minder  auf  graphischen  als 
auf  sprachlichen  Mifsgrilfen  beruht.  Diefs  haben  wir 
ausführlich  in  diesen  Blättern,  Juli  1836  No.  6-9,  ge- 
zeigt, woselbst  wir  auch  unsere  eigne  Erklärung  der 
Inschrift  mitgetheilt.  Unabhängig  von  uns  hat  Hr.  Ge- 
senius  in  allen  Punkten  denselben  Tadel  über  Hrn. 
Arri  aasgesprochen,  und  mit  der  Differenz  eines  einzi- 
gen Buchstaben,  gleich  dem  Unterzeichneten,  die  Ab- 
schrift gelesen  —  aber  abweichend  erklärt.  Den  Buch- 
staben, welchen  wir  (gleich  Hrn.  Arri)  für  Hesch  gele- 
sen (iin.  2,  3),  hat  der  Vf.  (ur  Daleth  genommen,  in- 
dessen unsres  Erachtens  mit  Unrecht,  da  beide  Buch- 
staben, die  noch   2mal   vollständig  .  auf  der  Inschrift 


559 


Geseniu^y  sertpturaeJMguaafue  Phßenieiae  mQmim0nim. 


sieb  finden^  graäe  liier  ganz  genau  nntersdiieden  sind, 
so  dafs  der  Unbefangene  nicht  zweifeln  wird,  das  in 
Rede  stebende  Zeichen  mit  dem  lin.  1,  3.  3,  3.  ygL 
auch  6,  7.  —  also  mit  Resch,  zusammenzustelleii,  im 
Unterschiede  von  dem  lin.  3,  4.  lin.  7^  6.  sich  finden- 
den Daletb.  Was  die  Erklärung  betrifft,  äo  hält  Ref. 
noch  jetzt  an  der  seioigen  fest,  auf  welche  Hr.  Gesen. 
nur  in  dem  Nachtjrag  verweisen  konnte,  (p.  464),  wefs- 
halb  wir  zur  weiteren  Prüfung  hier  beide  zusammen- 
stellen. 

Der  Verf. 

p^3^  Db«J  hin  rhv  pn«  asn«»  naa«?  «n  na 

•^ODS  im  P  «n  13  \r\DhD  JOomu^  capüü  (i.  e.     ""*  '^«»«'^«»  jüdischen)  bezweckt  ist. 

*  '      '  Ein  sehr  bedeutendes  ja  ia  Betracht  des  Uinfangs 


560 
scc<pali|r  nikinf^  gestttizt  werden  kann ;  -2)  die  Vertretung 
des  einfachen  Statut  constr*  durch  das  relalive  Schia 
^IXIW};  das  aber  dann  gleich  wieder  als  eigentlicbei 
Relativ  erscheint  und  zwar  3)  in  Verbindung  mit  dem 
Artikel  vor  dem  ersten  Nomen  im  Stat.  eomtr. 
yV  3tiTV0  —  was  ganz  unerhört  ist,  da  selbst  die 
Artikelsetznng  in  diesem  Falle  nie  gestattet,  aber  kei- 
nesweges  wie  unser  Verf.  sagt,  —  nothwendig  ist  — 
Was  sonst  zur  Unterstützung  unsrer  Erklärung  dient| 
haben  wir  in  der  angeführten  Stelle  beigebracht,  uod 
scbliefslich  noch  auf  den  Rhythmus  aufmerksam  ge- 
macht, der  offenbar  in  dieser  Inschrift  (wie  in  älteren 


dormttorittm)  principis  qm  {erat)  pater  Sardorum: 
Pacis  amans  üle^  pax  cöntingat  regno  nottro.  Betk 
Bosch  ßlius  Nagidi  Ij  —  etuu. 

Der  Refcr. 

■^DOb  IM  p  tüT  p  pbo  Tartesio  expulsut  hie 
(JiiiO  «>*  Sardü  in  pace  hie  (fuit)  Pax  cöntingat 
Malchilleno^  filio  Ro9ch^  ßlii  Nagidiy  Lafmensi. 

Die  Hauptdiiferenz  beider  Auffassungen  tri£Ft  hier 
den  ersten,  von  p^tlTTia  in  dem  2tcn  Theil  aber  liegt 
die  Abweichung  nur  iu  dem  Worte  pa /O ;  Ref.  hatte 
gleichfalls  damals  bemerkt,  dafs  diefs  Wort  nach 
SnS^O  (regnum  nostrum)  aufgefafst  werden  konne^ 
80  wie  Ben- Bosch  ben  Nagid  als  der  Eigenname, 
der  vielleicht  noch  durch  den  Circellus  in  seinem  er- 
sten und  letzten  Buchstaben  (Beth  und  Daleth)  hervor- 
gehoben werde;  allein  da  dieser  CirceUus  sich  aufser- 
dem  auch  in  dem  Anfangsbuchstaben  der-  ersten  Zeile, 
und  vielleicht  noch  in  dem  Isten  der  3ten  Zeile  findet, 
80  glaubte  er  diesem  Zeichen  keine  andre  Bedeutung 
als  der  Verxierung  beilegen  zu  dürfen ;  defshalb  hat 
er  es  auch  vergezogen  THShD  aus  den  Eigennamen 
(wie  jrr^DhD  Cit.  4.  23.  und  vielleicht  p'^DD  Cit.  1), 
^  p  als  die  Abstammung  aufzufassen.  Was  nun 
den  isten  Theil  betrifft,  so  müssen  wir  gesteben,  dafs 


das  gröfste  phönizische  Penkmal,   ist  die  in' der  Nähe 
,  des  alten  Eryx  (JTrftpani  del~  monte)  angeblich  gefun- 
dene Inschrift,  welche  man  aber  nur  ,aus  der  Mitthei- 
lung  Torremuzza's  kennt,   der,    selber  schon  den  Ve^ 
lust   dieses  kostbaren  Marmors  beklagend,  seine  Ab- 
schrift  aus  dem   bei  einem  Canonicus  handschriftlich 
niedergelegten  Geschichtswerk  entlehnt  hat  (vgl.  den 
Verf.  pg.  158).     Die  Inschrift  besteht    aus  8  grofseft 
Zeilen,  deren  4  letzte  jedoch  unvollständig  sind.   Be- 
trachtet man  die  Schrift,  so   nimmt  man  eine  solche 
Mannigfaltigkeit  der  Zeichen  wahr,   dafs  man  glaubt 
ein  3mal  reicheres  Alphabet  als   das  Pbönizisdie  ist, 
vor  sich  zu  haben.    Diese  Verschiedenheit  kann  sod 
Theil  ursprünglich,  und  von  dem  Sculptor  ausgegaogeD 
sein,  und  zum  Theil  erst  durch  die  unsichere  und  un- 
genaue Ueberlieferung  so  angewachsen.  -  Wir  gestebeo 
offen,  dafs  sie  uns  durchaus  verdächtig  ist,  und  dafs 
wir  fast  bezweifeln    möchten,   ob  der  verschwundene 
Stein  je  existirt.    Dem  sei  wie  ihm  wolle;  bei  der  an- 
gegebnen  Beschaffenheit    der   Inschrift   begreift  man 
leicht,  wie  eine  vollständige  Erklärung  desselben  kaum 
möglich  sei.    Auch  hat  sich  bisher  kein  Ausleger  an 
dieselbe  gewagt,  und  unser  Verf.  erklärt  ausdriicUidi) 
dafs  er  den  Versuch,  tanfuam  modestum  potius  inge- 
nii  lusum^    quam  interpretationem   ecriam  et  ptih 
uns  des  geehrten  Verfs.  Erklärung  mindestens  gezwun-    fectam    mittheile.      Derselbe    erstreckt   sich  auf  die 
gen  und   hart  erscheint.     Denn  1)  Vi  HS  „Haus  des     erste   Hälfte  der    ersten   Zeile,   und    auf  die  ganze 
Hauptes"  für  Buhestätte  (Grab)  ist  ein  nirgends  vor-     zweite  und  dritte  Zeile,  aufserdem  giebt  der  Vf.  nock 
kommender  Ausdruck,  der  schwerlich  durch  die  Phrase     das  Alphabet,    das   er    aus   diesen  Stellen   gezogen, 
in  Math.  8,  20.  „der  Menschensohn   hat  nicht  iroi;  %ny 

(Die  Fortsetzung  folgt.) 


^71. 

Jahrbücher 

für 

w  is  seii8chaftliche 


October  1839. 


Kritik 


Scrifturaef  Imguaeque  Ph&emciae  monumenfa 
j9ti>tqu&*  superwm  editm  et  inedita  ad  mifo- 

*  graphorum  opttmommque  exemplorum  fidem 
edtdtt  additisque  de  scriptura  et  lingua  Phoeni- 
cum  commentanis  illustravit  Guil.  Oesenius. 

(Fortsetcung.) 

Nach  diesen  sprioht  er  sich  denn  auch  über  die 
Bedeutung  der  ganzen  Inschrift  aus^  die  er  für  den 
Grabstein  einer  edlen^  schönen  Frau  hält.  Was  den 
Versach  selbst  betrifft,  so  enthält  der  Refer.  in  T9ller 
Anerkenniing  des  Geleisteten  sich  aller  Bemerkung,  in- 
dem er  nur  gesteht,  vie  es  ihm  auf  Grund  desselben 
bis  jetzt  nicht  gelingen  wollte,  weitere  Resultate  zu 
erzielen. 

Bei  der  Erklärung  der  Inschrift  des  Gefäfses  Ton 
Panonnus  (XLIII),  welche  der  Verf.  mit  noch  2  klei- 
Dcren  hier  anschliefst,  weicht  derselbe  insofern  von 
Barthelemy  ab,  dafa  er'  den  dritten  Buchstaben  nicht 
für  Tet,  sondern  fiir  Jod,  und  den  ersten  nicht  fär 
He  sondern  für  Lanied  nimmt  \  für  Jod  spricht  äugen- 
scbeinlich  die  Schrift,  eben  so  aber  auch  für  He,  wel- 
ches der  Verf.  ans  sprachlichem  Grunde,  weil  es  als 
Artikel  Tor  dem  zusammengesetzten  Eigennamen  ste- 
hen würde,  in  Lamed  verändert.  Indessen  läfst  sich 
die  Form  als  Hifil  nehmen  (SyS  Tyn  wie  H'V Win), 
und  Jod  in  yocalischer  Potenz  giebt  doch  auch  sonst 
der  Verf.  ausnahmsweise  im  Phönizischen  zu.  —  Die 
folgende  Erklärung  von  XLIV  halten  wir  für  rich- 
tig, so  wie  über  die  der  sardiniscben  Gemme  kein 
Zweifel  walten  kann. 

'  Das  5te  Capitel  behandelt  die  Carthagischen  In^ 
•ohriften,  die  sämmtlich  in  den  Ruinen  der  alten  puni- 
schen  Hauptstadt  -r  in  dem  heutigen  Dorfe  Alalga  — - 
gefunden,  ans  denen  indessen  die  4  ersten,  die  soge- 
nannten 4  Humbert'schen  Steine,  nicht  vor  dem  Jahre 
Jahrb.  /  wiiieMch.  Kriäk.  J.  1839.    II.  Bd. 


1817  erstanden  sind.  Die  Erklärung  des  Haupttheiles 
dieser  Denkmäler  kann  fast  als  gesichert  betrachtet 
werden,  nnd  diefs  namentlich  durch  das  Verdienst  Qua- 
tremere's  und  unsres  Verfassers.'  Es  sind  derselben 
bis  jetzt  12,  nicht  13,  indem  die  unter  nr.  10.  aus  Be- 
verland's  Insoriptionen  auf  der  Oxforder  Bibliothek  hier  ' 
mitgetheilte,  in  nichts  zerfällt,*  da  sie  ihrem  Ijbischbn 
Theile  nach,  wie  der  Verf.  gteich  gesehen,  so  wie  ih- 
rem punischen  Theile  nach,  wie  derselbe  nachträglich  * 
pg.  465  erkennt,  nur  eine  verstümmelte  Abschrift  der- 
Tuggensischen  ist.  Von  den  übrigen  aber  sind  voll- 
ständig erhalten  nur  die  3te  und  5t<i,  an  die  sieh  die 
'  2te  anschliefst ;  nur  an  einigen  Stellen  mangelhaft  sind 
die'  8t e,  9te  und  Ute,  stark  verletzt  hingegen  die  Iste 
und  4te  (12te  und  13te),  nur  in  wenigen  Zeichen  erhal- 
ten ist  die  6te,  und  die  7te  besteht  sogar  nur  in  4 
Buchstaben.  Nur  die  7te  und  8te  sind  Grabschriften, 
die  übrigen  Votivsteine  und  zwar  so  nahe  verwandte, 
dafs  sieh  aus  den  vollständigen  die  verletzten  zum 
gröfsten  Theile  sich  ergänzen  lassen.  Diefs  hat  der 
Verf.  erkannt,  und  ist  hiemach  mit  solchelr  Umsicht 
und  Kenntnifs  verfahren,  dafs  kaum  eine  Berichtigung 
übrig' bleibt.  Bemerkenswerth  ist  übrigens  die  Zähig- 
keit, mit  welcher  Hamaker  seine  falsche  und  fast  un- 
sinnige Erklärung  gegenüber  Quatremere  und  dem  Vf. 
festgehalten,  welche  beide  Gelehrten  unabhängig  voii . 
einander  schon  früher  die  Hauptinschrift  .ziemlich  über- 
einstimmend gelesen  hatten.  Als  wesentliche  Berich- 
tigung machen  whr  auch  hier  auf  die  Lesung  hSH  (statt  ^ 
der  früheren,  auch  von  Quatremere  angenomme^ien, 
nSri^  auCmerksam,  von  welcher  Göttin  der  Vf,  schon 
bei  d«r  Athen.  Inschrift  gesprochen,,  und  deren  CuUus,  so 
wie  der  des  iiir  zur  Seite  stehenden  Sennen- Baal,  hier 
ausfiihrlich  besprochen  wird  (p.  170).  —  Wender  gewifs 
ist  die  Erklärung  der  letzten,  neuerdings  von  Reade'^ 
aufgefundenen  und  vom  Verf.  pg.  449  n.  folg.'  im  An- 
hang behandelten  Carthagischen  Inschriften,    lieber  die 

71 


563 


Geseniuiy  scripturae  lingtuiegue  Phoeniciae  monumenta. 


llie  /nscAr.^  welche  vortrcfFlich  TOtn  Verf.  ergänzt 
ist,  haben  wir  unsre  tbeilweise  abweichende  AufFassung 
scbon  oben  bei  Gelegenheit  der  2ten  Maltesischen  an- 
gefahrt. Die  12te  lückenhafte,  welche  ein  Votiystein 
ist  und  sich  übrigens  ganz  an  die  Carthag.  1^5..  an- 
schliefst,  läfsl  nur  Zweifel  über  ded  Scblufs  $  der  Verf. 
lifes'tnvSvN  "t*i3  WN  mrvjovens  A-ahath^  das  letz- 
tere soll  das  Nom.  propr. ,  mit  dein  Artikel  Alef  sein, 
wir  möchten,  wie  wir  schon  oben  bemerkt  N"l*13  V7^^ 
fivby  lesen  quod  vovü  Alsatha^  den  Votiystein  für 
den  einer  Frau  nehmen,  und  darin  eine  Bestätigung 
unsrer  oben  ausgesprochenen  Ansicht  finden.  —  Die 
13te  Inschrift  endlich  ist  der  Art^  dafs  sie  der  Vprf. 
bis  auf  einige  Wort^  hat  aufgeben  müssen;  auch  wir 
konnten  nur  einen  ganzen  unsichern  Versuch  mitthei- 
Icn,   den  irir  defshalb  lieber  unterdrücken. 

0as  6te  Capitel  beschäftigt  sich  mit  den  von  dem 
^Verf.  genannten  punisch-numidischcn  Inschriften,   das 
sind  diejenigen,  welche  in  der  Alt-carthagischen  Mark 
(mit  Attsschlnfs  der  Stadt)  und   in  dem  numidischen 
Lande  bisher  gefunden  und  in  einem  rohen  und  flüch- 
tigen Schriftcharakter  geschrieben  sind.    Schon  durch 
die  paläographischeu  Studien  hatte  uns   der  Verf.   in 
dieses  bisher  fremde  Gebiet^  — •  welches  mit  Ausnahme 
Hamakers   kein  Ausleger,   und  dieser  mit  entschieden 
unglücklichem  Erfolge  betreten  —  vorläufig  eingeführt. 
Hier  erhalten  wir  nun  die  Erklärung  einer  ganzen  Rei- 
lie    dieser  Denkmäler.     Den  Uebergang  eröffnet  pas- 
send, weil  Bte  von  dem  reineren  phönizisch-pimischen 
zu  dem  punisch  -  numidischen  liberfiihrt,  die  sogenannte 
Borgianisch-zweizprachige  Inschrift,   welche  zu  Tu(cca 
schon  vor  2  Jahrhundert,  (pg.  186)  gefunden,  aber  erst 
dnrcb  Borgia  1815  veröffentlicht  ward.     Sie  ist  in  pu- 
nischer  und  lybischer  Sprache  (wofür  der  Verf.  die  un- 
bekannte wahrscheinlich  richtig  nimmt)  verfafst.    Eine 
tbeilweise  Erklärung  des   punischen  Stückes  hatte  Hr. 
Gesenr.  schon  in  jener  Schrift  n^itgetbeilt,  doch  fehlte 
ihm  damals  zu  der  vorhandnen  Borgiaschen  Abschrift 
noch  eine  andre  genauere  zur  Vergleichung,  wie  er  sie 
an    der  (Sren.   Temple*scben ,    während    der  Bearbei- 
tung des  Werkes,   hatte,   zu  welcher  sich   aber  am 
Schlüsse  noch  dfc   Honegger*sche   gesellte  (tab»  46.), 
durch  welche  die  im  Werke  gegebene  Erklärung  (viel- 
fach verändert  und  berichtigt  ward  (pg.  456  dritter  An- 
bang).   Um  wie  viel  näher  unsrem  Verständnifs  diese 


564 

Inschrift  durch  die  Lesung  des  Hrn.  Verfs.  gebracht 
worden,  zeigt  eine  oberflächliche  Betrachtung  des  Ha- 
makerschen  Versuches. .  Hat  doch  dieser  Gelehrte  so- 
gar  übersehen,  dars  von  den  7  Zeilen,  aus  welchen  die 
Grabschrift  besteht,  die  4  ersten  fast  nur  Eigemiub' 
men  enthalten,  obwohl  in  denselben  ein  Sokn  (p) 
dem  andern  folgt  I  Freilich  tritt  diefs  erst  recht  klar 
auf  dem  Temple'schen  Apographon  hervor, '  auf  vet 
chem  die  Wörter  zuerst  durch  Punkte  abgetheilt  sind, 
so  wie  denn  überhaupt  dieses  und  das  Honegger'scbe, 
vielfhch  das  Borgiasche  ergänzte,  das  seinerseits  all 
das  ältere  nur  selben  jene  vervollständigt.  Unser  Vf. 
hat  dann  auch  vergleichend  alle  3  zu  Rathe  gezogen, 
und  nach  den  aufgefundenen  Eigennamen  auch  von  der 
fremden  (lyfai^chen)  Inschrift  (von  der  aber  leider  die 
Iste  Zeile  fast  ganz,  die  2te  und  3te  zur  Hälfte  üod 
zum  Drittel  fehlen)  15  Charaktere  herauszustellen  ge- 
sucht« Indem  Ref.  auf  Grund  dieser  Arbeit  des  ge* 
ehrten  Hrn.  Verfs.  weiter  vorzudringen  suchte,  ist  er 
im  Einzelnen  auf  eine  abweichende  Lesung  geratheo, 
die  er  jetzt  übergeht,  weil  es  ihm  bisher  nicht  gelon- 
gen  eine  befriedigende  Erklärung  der  3  letzten  Zeilen 
zu  gewinnen ;  doch  kann  er  nicht  umhin  auf  ein  Paar 
durchgreifende  Versehn  aufmerksam  zu  machen,  die 
sich  in  der  Lesung  des  Hrn.  Verfj?.  finden,  und  von 
denen  das  eine  sich  vielleicht  durch  Hamaker  bei  ihm 
eingeführt  hat:  1)  hat  er  durchgehends  das  (grofse 
ovale  und  zumeist  verzierte)  Tet  für  ein  Ain  genom- 
men, obwohl  er  das  (kleine)  Ain  in  TSfi  (zu  Ende  der 
2ten  Zeile  richtig  erkannt,  und  ein  einziges  Mal  die- 
sen Buchstaben,  wo  er  zumeist  dem  Ain  gleicht  (Zeile  2 
D1N3D)  richtig  bestimmt  hat,  so  wie  denn  in  Hama- 
kers Lesung  das  Tet  sich  gar  nicht  findet;  2)  hat  er 
die  durchgehends  ziemlich  genau  geschiedenen  Buch- 
staben Schin.und Mem  vertauscht;  von  welchen  merk- 
würdiger VTeise  Hamaker  nur  den  letzteren  auf  der 
Inschrift  gefunden  hat.  Beide  Buchstaben  sind  dem- 
nach auch  falsch  im  lybischen  bestimmt,  wo  anoh 
die  Annahme  des  doppelten  Zeichen  für  L,  nämlich 
I  und  II  wohl  dahin  zu  berichtigen  ist,  dafs  .das  er- 
stere  für  ein  N  zu  halten.  Die  Erklärung  der  folgetf- 
den  numidischen  Inschriften,  .so  unsicher  sie  auch  zu- 
nächst noch  sein  mag,  wird  jedenfalls  eine  vortreffli- 
che Grundlage  zu  jeder  weiteren  Forschung  und  Aus- 
legung geben.    Die  beiden  eraten  hatte  der  Vf.  sch^m 


Ge$e$nu9y  seriptfirae  linguaefue  Phoenieiae  fnonum^nta. 


565 

Tollst&Ddig  in  deo'  paläographischen  Stadien  uiitge- 
fbeilt,  und  auch  iiier  ist  «r  der  früheren  Erklärung  im 
.Gänsen  treu  geblieben,  indem  nur  einzelne  Stellen 
nach  YergleicbuBg  des  Originals  in  London,  eine  Ver> 
ftademng  erlitten  haben.  Da  wir  über  dieselbe  schon 
in  der  Anzeige  jener  Schrift  (in  diesen  BIfittern  Jvdi 
1836)  gesprochen  haben,  so  enthalten  wir  nns  um  so  lieber 
jedes  Eingehens  auf  Einzelnheiten,  als  wir  auch  hier  lei- 
der ein  Ganies  selber  zu  geben  nicht  im  Stande  sind. 
Doch  müssen  wir  auch  hier  bemerken,  dafs  das  hüiar. 
Interesse,  welches  unser  Verf.  diesen  Steinen  noch 
darck  Beziehuog  auf  Uiempsal  I.  zu  yerleihen  sucht, 
uns  jetzt  noch  Tielmehr  als  damals  (a.  a«  0.  nr*  7. 
pg«  52)  in  Betracht  der  unsicheren  Lesung  der  Eigen- 
namen, zu  verschwinden  scheint*  Eben  so  machten 
wir  bezweifelo,  dafs  die  6«  7.  u.  8.  numidische  Inschrift 
Bich  auf  ein  Menschenopfer  bezieht,  welche  Beziehung 
übrigens  der  Hr.  Verf.  nachträglich  auch  der  5.  ge- 
ben möchte.  Wenn  aber  die  Annahme  von  Abkürzun- 
geii,  welche  der  Hr.  Verf.  macht,  auf  diesen  Steinep 
gerechtfertigter  als  sonst  erscheinen  mag,  so. ist  doch 

dieinder3tenZeiIe3(zuEnde)  DtO  '3  für  DVD  byS 
(im  Sinne  von  Esra  4,  8.  9.  17.)  durchaus  yerwerflich, 
um  so  mehr,  da  von  der  folgenden  4ten  Zeile  nur  we- 
nige Buchstaben,  und  zwar^  nur  zu  Ende  derselben 
übrig  sind. 

Die  erste  tripolitanische  oder  die  sogenannte  In- 
schrift des  Ali-J)ey  hatte  der  Hr.  Verf.  schon  in  den 
paläogr.  Studien  übereinstimmend  mit  Lindberg  gele- 
sen, bis  auf  2  Buchstaben;  den  ersten  Buchstaben,- 
den  er  damals  Tür  3  hielt,  nimmt  er  jetzt  nach  Ansicht 
des  Originals  für  %  vor  welchem  er  noch  em  Resch 
ergänzt:  so  dafs  die  Worte  lauten  Zr\  TOlul  T\BQS) 
Oby  Dp  dominium  imperii  Romani  pentat  in  aeter^ 
$mm\  ohne  die  Ergänzung  des  Resch  könnte  man  wohl 
nVJ  (p).  n^nV)  durch  eolumna  übersetzen;  indessen 
ist.  man  berechtigt  zu  einer  Ergänzung  vor  dem  Schio, 
da  auch  der  darüber  stehenden  lateinischen  Inschrift 
(wenn  nicht  mehrere)  wenigstens  ein  Buchstabe  fehlt, 
sie  lautet  Aug.  Sufe^  was  der  Vjsrf.  richtig  erklärt 
und  auf  den  Severus  bezieht.  Derselbe  thut  übrigens 
in  dem  Anhang  (pg.  466)  Hm.  Arri  in  Turin,,  der  sich 
schon  bei  der  Sard.  Inschrift  als  einen  höchst  unglück- 
Ansteger  gezeigt,  fast  zu  viel  Ehre  an,    wenn 


566 


er  die  von  jenem  Gelehrten  gegen  ihn  (Hr.  Gesen.)ini 
Journal  Asiat.  1836  //.  pg.  U2  aufgestellte  Erklä- 
rung der  VTiderlegung  würdigt.  Glücklicher  Weise 
hat  sich  zu  dieser  Arrischen  Erklärung  seitdem  die  des 
tltn.  Abh6  Barges  in  demselben  Journal  1837.  Tome  Z 
pg,  534  als  Seitenstück  gesellt^  so  dafs  wir  wohl  sa- ' 
gen  können,  dafs  die  eine,  wenn  nicht  schlechter,  doch 
eben  so  schlecht  ist,  *als  die  andre.  * 

Die  2te  tripolitanische  Inschrift  hat  der  Verf.  so 
erklärt,  dafs, nur  noch  einige   Härten  übrig   bleiben, 

wie  namentlich  in  der  2ten  Zeile  flSo,    welches    den 

Imperativ  fortsetzen  soll,  dem  dann  wieder  der  eigent- 
liche Imperat.  folgt,  wahrscheinlich  ist  statt  dessen 
VnD  zu  lesen,  was  sich  wohl  in  den  Zusammenhang 

fügen  dürtte. 

Den  Schlufs  des  Gap.  macht  endlich  die  Inschrift 
von  Gerbe,  die  aber,  wenn  auch  nicht  im  Original 
selbst,  in  der  Abschrift  so  beschaffen  ist,  dafs  der  Vf. 
nur  vermutbungsweise  eine  Erklärung  versuchen  konn- 
te,' deren .  Verdienst  man  nicht  verkennen  wird. 

Im  7ten  Gap.  behandelt  Hr.  Gesen.  6  Legenden 
von  Gemmen  und  Siglen,  von  denen  2  bisher  unedirt 
waren  (67  n.  67  6is)i  mit  seiner  Lesung  wird  man 
durchweg  einverstanden  sein,  und  es  bleibt  bei  einigen 
nur  der  Wunsch  einer  archäologischen  Erklärung. 

Das  8te  Gapitel  umfafst  die  in  Aegypten  gefun- 
denen im  aramäischen  Idiom  abgefafsten  Denkmale,  zu 
deren  selbständiger  Bearbeitung  und  Herausgabe  uns 
Hr.  Beer  HolTnung  gemacht,  in  seinen  inecriptiones 
veteres  reU,^  über  welche  wir  in  diesen  Blättern  Oct. 
1834  ar.  68.  berichtet  hatten.  Die  Reihe  eröffnet  die 
sogenannte  Garpentras'sche  Inschrift-,  die  zuerst  an  Bar- 
thelemj,  zuletzt  an  Hrn.  Beer  ihren  tüchtigen  Ausle- 
ger gefunden.  Doch  sucht  auch  hier  der  Hr.  Verf.  die 
Erklärung  gleichsam  zum  Schlufs  zu  bringen.    Am  Ende 

der  3ten  Zeile  hatte  Hamaker  np:'>D  »  "^P^^^  (vgl- 
puno,  p'inSSiS)  gelesen,   und  honorata  erklärt  (Jib- 

tribe  pg.  69  u.  folg.)  \  der  Verf.  schliefst  sich  an  ihn 
an,  ergänzt  aber  Jod  zu  He,  wodurch  er  eine  regeU 
niäfsige  Form  des  Partie,  fem.  erhält  \  sodann  erkennt 
er,  nach  Vorgang  Fabrici  bei  Lanci  (fletervaxioni  tul 
bassoriUevo  pg,  40)  in  .  N'^yDJ  richtig  eine  Transposi- 
tion  für  "^FXDVZ^  wie  auf  Münzen  \DVVÜ  ftir  \Vü^ 
wozu  wir  noch  aus  dem  A.  Test  am.  hinzufügen  wollen 


•       ( 


567 


£fss0muuy  $cripiurae  Unguatfue  Pk0enieiae  tnemumenta. 


nnCyn  filr  n^^ysn  Ezech.  29,  7.,  doch  nimmt  er  w 
natiiriich  nicht  mit  Lidici  als  adveri.  (doleemente) 
Bondern  als  nomeu  me  Fabrici  yydulcünma  mulie- 
mm**  yergl.  Beer  pag.  4.  Ferner  zieht  er  es  tor, 
statt    ^inb  n^On,    nach  der  andern   von  Beer  ?cr- 

geschlagene  Lesart  "^inn  n'^DH  zu  lesen^  und  das 
folgende   D^V  /ür  sich  im  Sinne  des  %aXqi  [und  Ain^e 

.zu  nehmen  (Beer  pg,  21);  da  aber  ^:inT\  FI^Dfl  p3*) 
im  Verhältaiis  zu  den  Torangebenden  Sätzen  uns  leer 
dünkti  so  möchten  vir  zu  qSv)  —  worauf  auch  der 
Raum  am  Ende  hinzudeuten  scheint  —  noch  ein  He 
ergänzen,  und  HD  vV  integra  (tik  pace)  noch  zu  dem 
Vorangehendra  beziehen  ^^et  inter  pios  mü  in  pace.^ 
In  Betreff  der  2ten  Zeile  bemeri^en  vir  nur  noch,  dafs 
uns  die  Eri^lärong  des  hallischen  Recensenten  von  1828 

(Roediger)  WN  M  ^3  noch  immer  dem  ^H  ""Sf^S 
vorzuziehen  scheint,  obwohl  Hr.  Gesen,  den  ungew(^bn- 
lich  langen  Strich  des  Zain  dagegen  geltend  macht. 

Das  kleine  bisher  unedirte  Londoner  Denkmal  lies't 
und  erklärt  der  Verf.  in  dem  Nachtrage  p.  4fi7,  wie 
uns  scheint^  richtig  ^H^OV  »    *^n^{  QW 

Bei  dem  folgenden  Tariner  Fragment,  wo  dem  Vf. 
nur  Hamaker  (tnisc.  pg.  66—77)  vorangegangen,  hat 
er  gleichfalls  auf  Grundlage  der  Apographa  von  Seyf- 
fartb  und  Rochette  dieErklämng  möglichst  zum  Schlüsse 
zu  iiihren  gesucht.  In  der  ersten  Zeile  bleibt  nur  etwa 
das  dritte  Wort  ungewifs;  hingegen  glauben  wir,  dafs 

in  der  2ten   ^^M*^  nicht  in  T1^n>   zu   verändern,    und 

,  •!  ' 

das  ihm  folgende  vielleicht  *1p^  zu  ergänzen  sei  $  doch 

da  das  Weitere  fehlt,  so  bleibt  hier  Alles  vage  Ver- 
muthung. 

Den  Schlufs  des  Capitels  machen  die  sogenann- 
ten Blacas'schen  Fragmente,  welche  zuerst  Lanci  (Ja 
Sacra  scrittura  Mustrata')  bekannt  gemacht,  und, 
wenn  auch  mit  manchen  Fehlern  gegen  Schrift  und 
Sprache,  doch  im  Ganzen  sehr  verdienstlich  erklärt 
hat.  Hm.  Gasen,  sind  diese  Fehler  nicht  entgangen^ 
und  er  hat  durch  Berichtigung  derselben  und  durch 
Combination  einen  möglichen  Sinn  und  Znsammenhang 


568 

in  die  fmUeh  sehr  lückenhafte  Stäckp^  sa  bringsn  g^ 
sucht  Was  den  Verf.  betrifft,  'so  weist  das  so  st^rk 
gefärbte  jüdisch -aramü^sehe  so  pugeDachetnlich  auf  ei- 
nen Juden  hin,  däfs  kaum  zu  begreifen,  wie  Land  an 
einen  Phönizier,  denken  konnte«  Im  Uebrigen  Tennii- 
thet  der  Verf.,  dafs  diese  Fragmente  einem  apoktypU- 
sehen  Buche  angehören,  welehes  die  ältere  Geschiebte 
der  Juden  in- Aegypten  behandle,  verfafst  von  eineai 
Juden  in  dem  ptolomäischen  Zeitalter. 

Im  9ten  Capitel  behandelt  der  Verf.  die  Psesdo- 
pböuizischen  Inschriften,  das  sind  diejenigen,  welche 
man  fälschlich  f&r  phönizisohe  ausgegeben,  und  die 
untergeschobenen.  Zu  den  ersteren  zählt  er  die  voo 
Hamaker  in  dem  Bpimetron  zu  den  Miscell,  pg.S& 
erklärte  (sie  wird  vom  Verf.  als  76  a«  auf  Tab.  32.  be- 
findlich citict,  ist  aber  ausgelassen),  sodann  die  von 
Terremuzza  in  der  Inscr.  Sieul.  fi#r.  cbU.  pg,  297 
mitgetheilte.  Aber  die  auf  einigen  babylonischen  Zi^ 
geln  neben  der  Keilschrift  befindliche  Schrift,  vet 
che  er  gleiehfalls  den  pseodophöuizischen  beigegeben 
(LXXVII  pg.  247  u.  pg.  74),  indem  er  sie  gegen  Kopp 
und  seine  Nachfolger  für  Persisch  hielt,  kennt  er  In 
Anhang  pg.  462  —  nach  Ansicht  eines  'von  Ro- 
chette mitgetheilten  Abgusses  eines  Pariser  Exevph- 
res  LXXVII  a  a  a  -^  richtig  als  phöniziscb,  und  be- 
zeichnet die  Buchstaben,  verzichtet  aber  auf  die|!r- 
kläruDg.  lieber  LXXVII  b  erklärt  er  sich  nicht,  doch 
scheint  auch  sie  uns  -zu  den  Ph^nizischen  zu  gehören, 
nur  dafs  hier  aus  dem  einen  Apographon  «uch  nicht 
einmal  die  Buchstaben  sich  mit  Sicherheit  angeben  las- 
aen,  geschwdge,  dafs  Hug's  Erklärung  (vgU  pg.  77  B) 
in  Betracht  käme.  Zu  der  2ten  Classe  der  unterge- 
schobenen gehören  die  berüchtigte  Cyrenaische  uod 
Atlantische,  deren  Betrug  namentlich  Böckh  aafg^ 
deckt.  Den  maltesischen  Jargon  der  Atlantis  geht 
der  Verf.  ganz  durch  und  zeigt  uns  den  Betrüger  atf 
eine  interessante  und  belustigende .  Weise,  gleiehsam 
von  W^ort  zu  Wort.  Diesen  beiden  Inschriften  zaUt 
der  Verf.  noch  nr.  LXXX  Tab.  19.  bei,  worin  wir 
beizustimmen  kein  Bedenken  tragen«  — - 


•   • 


(Die  Fortsetssiig  folgt.) 


j 


•         .     .       .       •  J^  72. 

tl  a  h  r  b  tt  c  h  e  r 

■ 

f  ür  \ 

Wissenschaftliche    Kritik 


I 


Qctober  1839. 


Bcripturae   Unguaeque   Phoemctae   monumenta 

■   qmoiquot  tupertunt  edtta  et  inedita  ad  auto- 

graphorum  opttmorumque  exemplorwm  ßdem 

edidü  additisque  de  scriptura  et  lingua  Phoeni- 

cum  commentariis  illustratit  Guil.  Gesenius. 

(Fortsetzung.) 

Nacbdem  der  Verf.  hiermit  die  Erklärung  der  Stein« 
inachriften  geachlosseo,  beschäftigt  er  sich  im  3ten 
BucAe  ansachliefelich  mit  den  phöoizischen  Münzen,  um 
welche  sich  noch  zuletzt  Lindberg  {de  inscript.  melif.) 
recht  yerdient  gemacht  hat.  Aber  auch  hier  bleibt  der 
Vermuthung  immer  noch  ein  weites  Feld,  da  nur  ver- 
häitnifsmäfsig  wenige  Münzen  —  zumeist  die  der  gro- 
fsea  Städte  —  sich  mit  Sicherheit  lesen  und  bestimmen 
laaseib  —  Das  Iste  Gap.  behandelt  die  Münzen  Phöui- 
ciens  selbst,  diese  gcbdren  weder  zu  den  ältesten  noch 
EU  den  besten,  denn  sie  sind  sämmtlich  aus  dem  scleu- 
eidischen  und  römischen  Zeitalter,  und  sind  zumeist 
Ton  Erz,  nicht  Ton  besonderer  Präge,  und  schlecht  er- 
halten. Den  ersten  Platz  nebmen  die  von  Tyrus  ein, 
deren  Legenden  keine  Schwierigkeit  darbieten.  Dann 
folgen  2)  die  Ton  Sidon,  hier  ist  es  die  4zeilige  Le- 
gende (auf  den  unter  Antiochus  IV.,  Demetrius  1.  u.  III. 
und  der  Selbständigkeit  Sidons  geschlagenen  Münzen), 
welche  seit  Bartbelemy  Tielfältig  die  Ausleger  beschäf- 
tigt. Aoeh  ist  eine  Hauptdifferenz  in  der  Siten  Zeile, 
iiideai  auf  einigen  Exemplaren  deutlich  ^3  auf  an- 
dern *U33  steht.  Noch  in  den  paläographischen  Stu- 
dien (pg.  59.  60.)  hatte'  sich  Hr.  Gesen;  an  die  Lesung 
und  Erklärung  Kopps  angeschlossen:  ^!d  QK  QHnül 
■^i  ^n^J  W  Sidomomm  matrü  circuli  item  So' 
roris  Tyri,  Jetzt  hingegen  will  er  nach  Einsicht  vie- 
ler Exemplare  zur  Gewifsbeit  gekommen  sein,  dafs 
3Q3  dio  richtige  Lesart  sei,  so  wie  denn  auch,  dafs 
rOS  mehr  verbürgt,  als  (das  leichtere)  HnN«     Da 

Jahrb,  /.  wiiienBch.  Kritik.   /.  1830.    II.  Bd. 


aber  3D3  als  Wort  keinen  Sinn  darbietet,  so  nimmt 
er  die  3  Buchstaben  einzeln  als  Abkürzungen  dreier  Co* 
Jonien,  deren  Metropolis  (DI4)  Sidon  sei,  beispiels*. 
weise  stellt  er  hin:  Cittion,  Melitta  und  Berjtos;  also 
Sidoniorum  matrie  Cittii  Melitae  Beryii  item  Sa* 
roris  Tyri\  auf  diese  Weise  liefse  sich  auch  die  Va- 
riaote  ^03  ^3  leicht  erklären.  Indessen  gestehen 
wir  offen,  dafs  uns  hiermit  der  Knoten  mehr  zerhauen 
als  gelöst  scheint.  3)  Die  Münzen  von  Acco,  hier  wi- 
derlegt der  Verf.  die  von  Lindberg  {De  intcr.  met. 
not.  120.  197)  aufgestellte  Acre  dieser  Stadt;  4)  die 
von  Laodicea  (am  Libanon) ;  5)  die  von  Marathus,  von 
welchen  der  Verf.  zugleich  3  unedirte  Exemplare  aus 
dem  britischen  Museum  mitt heilt  (Tab.  35.  'H.  J.  K,). 
In  Betreff  der  Acre  bringt  auch  hier  derselbe  die  ge- 
rechtesten Zweifel  gegen  Lindbergs  Annahme  vor,  dafs 
dieselbe  die  Selcncidische  sei,  so  wie  denn  auch  der 
alte  Irrthum,  yH^O  zu  lesen,  den  dieser  Gelehrte  wie- 
der in  Schutz  genommen,  nachdem  der  Verf.  schon 
längst  das  Richtige  gegeben  (H'^S)  aufs  schlagend- 
ste widerlegt  wird;  6)  die  Münzen  von  Aradus,  Bery- 
tus  und  Carne,  diese  sind  sehr  unsicherer  Deutung,  und 
der  Yf.  hat  siie  defshalb  nur  sehr  kurz  durchgegangen, 
doch  hat  er  auf  Grund  unsrer  in  diesen  Blättern  (Jul. 
1836.  nr.  6.)  gemachten  Bemerkungen,  Veranlassung  ge- 
nommen, in  dem  Anhange  (pg.  468)  genauer  über  die  von 
Bayer  der  Stadt  Carne  beigelegten  Münzen  zu  reden. 
Nach  Vergleichung  des  Pariser  Exemplars  (welches 
Lindb.  pg.  34  not.  Cl.  6  schon  aufführt,  und  worauf 
Ref.  verwiesen  hatte)  will  derselbe  die  Abweichungen 
von  dem  Bayerschen  dadurch  beseitigen;  1)  dafs  er 
!£  auf  demselben  nicht  als  Abkürzung  fär  *^S(,  sondern 
für  Verstümmlung  auf  dem  Münzstücke  nimmt;  2)  das 
mehr  dem  H  als  dem  N  ähnliche  Zahl  -  Zeichen  (^  20) 
nur  als  verschrieben  für  N  hält,  lieber  beides  läfst 
sieb  ohne  das  Bayersche  Stück  selber  zu  sehn  eigent- 

n 


Qeteniut^  Mcripturae  tinguäeyue  Phoemeiae  tnonumenia. 


571 

iich  nicht  entscheiden ;  jedoch  bemerken  wir'  in  Betreff 
des  tetztem^  dafs  der  Verf.  selber  das  H  in  diesem 
Wertbe  anf  den  Münzen  (vbn  Cossura)  Tab.  39.  E. 
F.  H.  J.  K.  anerkennt,  sodann  dafs  Lindbergs  Her- 
lehnng  des  Zahlzeichens  N  aus- dem  phöniziscbeü  Kaf, 
noch  problematisch  ist.  Wahreciieinlich  warden  2  Ei- 
ner (II)  durch  einen  Querstrich  zu  Zehnem  erhoben^ 
so  dafs  nicht  nur  die  Form  H  neben  N,  sondern  noch 
ähnliche  (vgl.  die  angerührte  Taf.  5.)  aufkommen  konn- 
ten. Die  Abkürzung  SC  für  ^X  wäre  jedenfalls  nnta- 
delig,  da  ja  der  Verf.  selbst  die  von  ny  fUr  11V 
und  noch  andre  zugiebt.  Im  übrigen  scheinen  uns  di^ 
Ton  ihm  angeführten  Gründe  triftig  genug,  nunmehr 
mft  Bayer  diese  Münze  Came  beizulegen. 

Das  2te  Cap:  behandelt  die  oft  herausgebenen  und 
beschriebetien  Münzen  Ciliciens,  welche  unter  der  Per- 
sischen Herrschaft  geschlagen  und  von  so  schöner 
Präg^  sind,  dafs  sie  denen  von  Panormus  und  Sjra- 
cus  billig  zur  Seite  gestellt  werden  können.  Indessen 
ist  es  schwer,  die  einzelnen  dem  Orte  nach  xu  bestim- 
men, theils  der  unsichern  Legende  halber,  theils  we- 
gen der  Unbestimmtheit  des  dem  phönizischen  Ortsna- 
men entsprechenden  griechischen.  Der  Verf.  stellt  da- 
her zuerst  unter  VH,  die  von  Tarsus  und  die  ihnen 
verwandten  zusammen  {  wir  bemerken  nur,  dafs  wir  der 

gewohnlichen  Erklärung  des  TIH  IVS  Baal  (dominus 
Tarsi)  den  Vorzug  geben  möchten  vor  der  unsers 
Verfs.  eivei  tarsenses^  weil  sich  diese  Inschrift  immer 
anf  dem  Revers  neben  dem  Bilde  des  Baals  befindet, 
vgl.  auch  die  Legende  ^^bs  hv^  (tab.'37. 1.),  und  dafs 
wir  ea  bedenklich  finden  auf  G.  -mit  Kopp  die  Schrift 
/des  Revers  und  Avers  zusammen  zu  lesen.  Beachtung 
verdient  aber  die  Erklärung,  welche  der  Verf.  von  der 
langen  phönizischen  Inschrift  (36.  A.)  gegeben,  obwohl 
wir  gestehen,  dafs  wir  der  Abkürzung  'A'3  für  hü  {HD 
lieber  auf  maccabäischen  Münzen  etwa,  als  hier  be- 


572 

kurzen  Sefcaftefi  des  ersten  Bncbstaben,  der  mehr  für 
TD  als  für  D  spräche ;  allein  die  Verkürzung  kann  auch 
nur  zufällig,  etwa  durch  den  nahen  Rand  bedingt  sdn; 
so  wie  denn  aucli  in  derselben  Legende  aaf  J.  der  er- 
ste Buchstabe  völlig  dem  3ten  -(d.  i.  O)  gleicht.  Da 
nnn  das  TD  in  der  Bedeutung,  die  ihm  der  Verf.  tu 
freigebig  leiht,  uns  mindestens  zweifelhaft  scheint,  ' 
so  möchten  wir  mit  Kopp  lieber  nsno  DVQ  leaeiu 
Eben  so  bedenklich  ist  uns  noch  die  Annahme  der 
Abkürzung  "OTWO  'DO  Panormuk  Romae  auf  K.,,eb- 
wohl  wir  in  dem  Augenblick  nichts  besseres  zu  bietes 
haben.     Unstreitig  richtig  hat  hingegen  der  Verf.  den 

Unterschied  von  O  und  CJ  geltend  gemacht  in  der  Le- 
gende der  Münze  von  Heraclea  (X),  welche  Kopp 
mpSo  Ul  las,  unser  Verf.  hingegen  mpVo^T 
Caput  Eferculisy  was  vortrefflich  den  alten  und  neuen 
Namen  der  Stadt  erklärt;  so  wie  denn  auch  als  Be- 
weis für  die  richtigeLeseart  gewiäsermafsen  das  Exem- 
plar O  betrachtet  werden  kann«  Merkwürdig  ist  übri- 
gens das  Exemplar  F.,  welches  dieselbe  Legende  dar- 
stellt, aber  mit  verkehrter  Richtung  der  Schrift  and 
thcilweiser  Umkehrupg  der  Buchstaben.  Vortrefflich 
handelt  der  Verf.  sodann  über  die  Sjracusische  Muo- 
zpn  (nr.  XI.)  9  ^le  Erklärung  der  Legende  auf  dem 
Prachtstücke  (^ab.  38.  XI.)  PlN  INS /ö7i#  #^*  oder 
miraculi  durch  die  Quelle  der  Arethusa  zu  Syracus, 
so  wie  der  Legende  H^N  und  N*^N  durch 'den  Tbeil 
der  Stadt,  welcher  NHiaoq  oder  Insula  heifst,  läfst  niofats 
zu  wünschen  übrig.  Zweifelhaft  kann  erscheioen,  06 
von  der  sicilisehen  Stadt  Motye  die  (nr.  XII)  ihr  bei- 
gelegte Münze  sei,  doch  hat  jedenfalls  die  Lesung  dei 
Verfs.  KlISC,  gegenüber  Lindbergs  mCO  die  Schrift 
für  sich.  Bei  den  Münzen  von  Cossura  (nr.  XUI.)  bait 
der  Verf.  die  Erklärung  noch  fest,  die  er.  in  den  pft- 

läograph.  Studien  gegeben;   nämKch  D^3  "^hf  «rMscb 


gegnen.     Wenig   Ausbeute  gewähren  die  unter  VUI    filiorum  9.  iwvenum.   WaiT  uns  bedenklich  gegen  diese 


zusammengestellten  ungewissen  Münzen. 

Das  3te  Cap.  enthält  die  Münzen  Sioiliens  und  der 
'benachbarten  Inseln,  von  denen  die  ersten  bekanntlich 
zu  den  schönsten  gehören ,  der .  Verf.  unterscheidet  4 
Klaslien :  l)  die  von  Panormus ;  9)  Heraclea ;  3}  Syra- 
cus;  4)  Motye.  Bei  denen,  welche  er  Panormus  bei- 
legt IX,  bleibt  uns  noch  ein  Zweifel  über  die  Legende 
H.,  weiche  der  Verf.  nSHD  DW  liest  ^    wegmi  des 


Lesung  erschienen,  haben  wir  schon  in  der  Anzeige 
Jener  Schrift  bemerkt;  es  ist  die  Gestalt  des  Nun^ 
die  unzweifelbaft  in  A.  B.  C.  hervortritt,  aber  in  allen 
übrigen  (E  —  0)  ganz  fremdartig  ist.  Aber  es  weidit 
überhaupt  in  diesen  die  Schrift  von  den  ersteren  sehr 
ab,  und  die  von  G — 0  haben  namentlich  mehr  den 
numidischen  Schriftcharakfer.  Läfst  sich'  nun  anch 
der  2te  Buchstabe'  in   allen  seinen  Abweichungen  ab 


573 


I7«MWMM,  ser^tmve  Imguaefue'  Ph9«mciae  monuaunta. 


574 


Jltd  l#Mit  «i«dev  erkeaBen,  ao  bietet  tioh  doch  iür 
den  4teii  als  JVun  gar  kein«  Analogie^'  kaoiD  eine  ge- 
schickte Ableittiog  4ar;  uüd  der  Verf.  sagt  selbst  Xpg- 
900)  JYun  m  Aü  omniSus  via;  tale  esse  ogngMeereSy 
nin  ex  primae  daMHi  ßgurie  id  eerto  constaret* 
Unter  dieseo  Uinstflnden  fragt  es  sich;  ob  diese  Mün« 
seil)  die  ohnehin  dem  Gepräge  und  Schriftoha|:akter 
und  defshalb  auch  der  Zeit  nach  von  den  andern  (A. 
B;  C.  anch  D)  verschieden,  nnd  von  dem  Verf.  mit 
Recht  auch  «als  eine  besondre  Classe  aufgestellt  sind, 
nicht  auch  eiae  verschiedene  Inschrift  und  Heimath 
haben  können?  Wir  glauben  unbedenklich;  wenn  nur 
eine  [tessende  Erklärung  sich  darböte.     Alberto  della 

Marmora^s  Lesung  DHS  "^K  (oder  NHS  ^K}  verwirft 
der  Verf.  mit  Recht,  denn  dem  Thau  entspricht  der 
Buchstabe  gewifs  nicht,  er  kann  vielmehr  ein  TD  oder 
Jody  .vielleicht  anch  ein  He  sein.  Doch  v^issen  wir 
nicht,  was  wir  aus  DTDS  ^N  machen,  oder  D^3  ^N 
ituula  in  mare  für  eine  Beziehung  geben  sollen,  und  — 
Dt13  "^S  lassen  wir  dahin  gestellt. 

Dafs  die  2te  Schrift  auf  diesen  Münzen  wahrschein- 
lidi  eine  Zahlangabe  sei,  darin  haben  wir  schon  früher 
dem  Vf.  beigestimmt.  Gewisser  als  die  Legende  die- 
ser, ist  übrigens  pN  auf  den  Münzen,  die  man  Gau- 
les (XIV),  aber  ohne  genügenden  Grund,  beilegt 

Das  4te  Gapitel  behandelt  die  in  den  Seestädten  der 
Hispania  baetica  geschlagenen  Münzen  mit  panischem 
Schriftcharakter.  Es  sind  die  von  Gades,  von  denen 
Bayer  noch  die  von  Abdera,  Lindberg  die  von  Sexti 
und  Malaca,  und  unser  Verf.  noch  die  von  Belos  ge- 
schieden. Bei  denen  von  Gades  nr.  XV.  erklärt  sich 
der  Verf.  für  die  gewobnliche  Lesung  niJiN  SVSD 
waa  er  für  a  eivilms  Oadium^  so  wie  "nSN  ThV^ 
ewviiae  Gadium  nimmt,  gegen  Bayer  und  Tychsen's 
Liesnag  'N  bySO  und  'N  hSvO  opus  Gadium  \  indes* 
Ben  ist  die  Entscheidung  schwer  j  von  den  3  Gründen, 
die  nämlich  der  Vf.  dafür  anführt,  dürfte  nur  der  erste 
gelten,  der  2te  nämlich  dafs  ilbyB  im  A.  Testament 
nur  poetisch  und  mehr  von  Gott  gebraucht  sei,  ist 
^enig  von  Belang,  so  wie  der  3te,  dafs  die  Analogie 
der  Münzen  von  Tarsos  dafür  sei,  da  es  bei  diesen 
mindestens  zweifelhaft  ist,  ob  nicht  ^ys  «  Baal  zu 
nehmen  sei ;  gegen  jene  3  Gründe  scheint  vielmehr  für 
Bayer  die  Legende  C  zn  sprechen,  die,  wenn  sie  rich- 
tig, ist,  nicht  anders  als  yXXA  xill^'^percuseura  Ga- 


dium mit  Bayer  gelesen  werden  kann,  Dafs  .diesem 
der  Verf.  mit  Recht  beitritt  gegen  Kopp  und  Lind- 
berg, haben  wir  schon  früher  bemerkt^  doch  ist  der 
wesentliche  Grund  nur  Aer^ grapAiscAey  dafs  wirklich 
Lamed  und  nicht  Nun  sich  findet,  spraeAlicA  läfst 
sich  gegen  "^IJlN  D3i1Q  nieAts  einwenden,  wenn  man 
nur  richtig,  wie  wir  schon  bemerkt,  „^or  opiAus  suis^ 
6fades''  erklärt.  Bei  denen  von  Sexti  nr.  XVL  tritt 
der  Verf.  Lindberg's  Lesung  bei  ^DIC,  doch  glaubt  er 
auf  einigen  statt  y32{  den  Namen  Hjn  zn  lesen,  und 
möchte  hiemach  diese  dem  africanischen  Tingis  bei- 
legen. Die  von  Abdera  XVII  und  Belos  XVIII,  bieten 
nichts  Erhebliches  dar.  Bei  denen  von  Malaca  be- 
richtigt nachträglich  (pg,  468)  der  Verf.  die  Lesung 
roSo  in  I^shO,  welches  er  für  hON^D  ojff'icina 
nimmt« 

Das  5fe  Gapitel  schliefst  ab  mit  den  puniscA^fru 
caniseAen  Münzen.  Von  CaHhago  selbst  sind  keine 
Münzen  mit  punischer  Schrift  vorhanden,  die  Vorhan» 
denen  sind  von  den  numidischen  Königen  oder  von  dep 
freien  Städten  zur  Ehre  der  römischen  Kaiser  geschla- 
gen. Hier  wie  bei  den  numidischen  Steinschriften,  hat 
der  Verf.  besonderes  Verdienst,  obwohl  bei  der  Unsi- 
cherheit der  Abbildungen  nur  die  Erklärung  weniger 
Legenden  über  eine  mehr  oder  weniger  gewisse  'Con« 
jectur  hinauskommt.  Hierhin  gehören  namentlich  die 
Münzen  unter  Juba  I.  u.  IL,  auch  die  von  Vacca,  we- 
niger die  von  Sign,  während  die  von  Sabratha  kaum 
einen  Zweifel  zurücklassen; 

Das  ite  BucA  soll  nunmehr  die  phönizische  Spri^ 
che  selbst  beleuchten,  und  zwar  wie  sich  darstellt:  I) 
nach  den  in  den  2  vorangehenden  Büehern  erklärten 
Denkmälern ;  2)  aber  auch  nach  den  bei  den  Alten  er- 
haltenen  Glossen,  Eigennamen  und  besonders  nach  den 
berühmten  punischen  Stücken  in  dem  Plantup'schen 
Poenulus.  Bei  dem  geringen  Umftmg  jener  Denkmä* 
1er,  insbesondere  aber  bei  der  mangelhaften  Bezeich- 
nung der  Vocale  in  der  phönizischen  Schrift,  begreift 
man  leicht,  welch'  eine  bedeutende  Stellung  diese  2te 
Klasse  phönizischer  Sprachreste,  gleichsam  als  die  lern- 
ten Zeugen  neben  jenen  ersten  der  stummen  Deakm^ 
1er  einnehmen  magl  Aber  diese  Bedeutung  wird  leider 
sehr  herabgesetzt  1)  dadurch,  dafs  eine  getreue  Dar* 
Stellung  fremder  Laute  in  fremder  Schrift  nicht  immer 
möglidi  ist,  und  dafs  selbst  die  dabei  ttberwindlichen 
Schwierigkeiten  selten  wii^klich  von  dem  Darstellenden 


575 


Gcsenms^  icr^iurae  Knguaegue  Phoemeia^  mQtmmeniä* 


äberwanden  werden  -^  daher  sumeist  schon  die  ur- 
liprünglioho  ]>ar8telhiDg  unsicher  ist  (man  vgl.  z.  B. 
den  in  griechischer  Schrift  umgeschriebenen  hebräi- 
schen Text);  2)  dafs  diiese  unsic/iere  Darstellung  netb- 
wendig  noch  unsicherer  wird,  wenn  ihre  Ueberliefemng 
und  Fortpflanzung  durch  die  Hand  der  Ignoranz  geht. 
Bedenkt  man  also^  dafs  Schrift,  Laut  und  Wort  der 
Sprache,  in  welcher  dargestellt  wird,  von  vorn  herein 
auf  die  fremde  darzustellende  Sprache  einen  Einflufs 
übt,  und  wie  dieser  Einflufs  in  dem  Laufe  der  Ueber- 
lieferung  bis  zur  Entstellung  und  Umwandlung  fortgehn 
mag,  so  begreift  man  leicht,  wie  es  zumeist  schwierig, 
'öfters  unmöglich  ist,  in  dieser  Verkleidung  das  Origi- 
nal wieder  zu  erkennen ,  und '  wie  diese  oft  nicht  in 
ihrer,  sondern  in  fremder  Zunge  redenden,  viel  schwe- 
rer zu  verstehen  sind,  als  die  stummen  Denkmäler  der 
ersten  Art.  Der  Vf.  fuhrt  uns  nicht  sogleich  zu  diesen 
2ten  Resten,  sondern  spricht  im  Isten  Capitel  erst  über 
den  Charakter  der  phdnizischen  Sprache  überhaupt, 
über  ihr  Verbältnifs  zur  Punischen,  über  das  Gebiet 
und  die  Zeit,  in  denen  sie  geherrscht,  und  die  Schrift- 
steller, die  sie  besessen  hatte  —  eine  Erörterung,  die 
besser  später  gefolgt  wäre  <-*  sodann  stellt  er  im  2ten 
Capitel  —  was  paßsender  am  Ende  des  3ten  Buches 
Platz  gefunden  hätte  -^  ^in  Verzeichnifs  der  in  den 
ohigen  Denkmälern  (Buch  3)  befindlichen  Wörter  auf, 
in  welchem  begreiflicher  Weise  manches  Ungewisse  und 
nur  der  Vermuthung  Angehörige  aufgenommen  ist,  so  wie 
denn  auch  Vieles,  was  noch  der  früheren  Erklärung 
angehört,  die  der  Verf.  nachträglich  schon  selber  aufge- 
geben hat.  Erst  hiernach  behandelt  derselbe  im  3ten 
Capitel  die  punischen  Stellen  in  Plautti%  Poenulu% 
(Act.  V.  Scene  1.  2.  u.  3.)>  Hier  hat  es  Hrn.  Gesenius 
bekanntlich  nicht  an  Vorgängern  gefehlt  *),  doch  un- 
ter diesen  ist  unbedingt  der  Preis  Bochart  zuzuerken- 
nen, der,  so  weit  er  gearbeitet,  für  die  Erklärung  die 
Grundlage  gegeben,  zu  welcher  die  Nachfolger  nur 
spärlich  einzelnes  Material  nachgetragen.  Unser  Vf. 
hat  mit  Recht  vqr  Allem  für  die  Erklärung  eine  mög- 
liehst   sichere  Basis   gewinnen  zu  müssen    geglaubt, 


♦)  FineUi(traHatd  delia  fingua  ebrmca  €  tue  affinf),  welchen 
unser  Verf.  anführt,  aber  wie  er  nagt  picht  zur  Hand  hatte, 
enthält  nichts  Eigenes,  sondern  nur  di'e  Uebersetzung  ron 
Bochari  und  Clerk. 


576 

durch  eine  neue  Vergleichnng  des  wetotg  genau  gegi- 
benen  Textes  der  Haupthandschriflen,  welche  noch 
dem  letzten  von  ihm  übersehenes  Bearbeiter  dieser 
Stücke,  Hrn.  Conr.  Lindemann^  durchaus  abgeht.  Diese 
Handschriften  sind:  die  Heidelbeiger  {ood.  deeurMut) 
die  Römische  (cod^  i^^//#)  und  die  Leipziger,  zu  vel* 
eben  noch  köinmt  die  Edü.  Princ.  (Veneta  1472). 
Aufser  diesen  boten  sich  noch  zur  Vergleichnng  du 
die  1825  tou  Angclo  Maio  herausgegebenen  Fragmente 
des  Mailänder  Palimpsest,  vrelche  aber  nur  die  'den 
10  punischen  Versen  folgende^  von  Bodiart  falBchUdi 
{iir  Ijbisch  genommenen  Verse  enthalten.  Dieser  Gmnd 
und  Boden  von  dem  Talent  des  Verfa.  bebaut,  igt 
denn  auch  nicht  ohne  gute  Früchte  geblieben,  und  auf 
demselben  haben  bereits  andre  mit  Glück  und  Talent 
fortgebaut:  1)  Hr.  Julius  Wurm,  der  in  einer  au8fub^ 
liehen  R^cension  des  ganzen  Torliegenden  Werkes  Qa' 
den  Neuen  Jahrbb.  für  Philol.  u.  Pädag.  Acht.  Jahrg. 
Bd.  23.  Heft  1.  1838.)  Kenntuifs  und  Talent  gleich 
sehr  an  den  Tag  gelegt,  durch  seine  durchgängig 
selbstständige  Erklärungen  *)•  2)  Hr.  Director  Fr.  Cad 
Wex,  dem  der  Vf«  die  nacli  der  Vollendung  des  We^ 
kes  eingegangene  neue  Vergleicbung  des  Mailänder 
Palimpsest,  so  wie  einer  andern  Vaticanisdien  Hand- 
schrift (Jordani  Ursini)  zu  diesen  Studien  überirefs,  so 
dafs  in  der  That  durch  seine  erste  Arbeit  —  de  pmi- 
cae  UngutMe  reliyuüe  in  Plauti  Poenulo  epistola  ed 
G.  Geeenium  —  die  er  in  seinen  meletcmaia  de  /m- 
nicis  Plauiinis  nunmehr  auch  über  die  andern  Scenen 
ausgedehnt  hat,  die  Erklärung  dieser  Stücke  nickt  lr^ 
nig  fortgeschritten  ist;  wie  diefs  unser  Verf.  selber 
schon  öiFentlich  anerkannt  hat)  Hall.  AU.  Litter.  Zei- 
tung, Jan.  1839  (nr.  14 — 16.\  so  dafs  es  uns  erfreu* 
lieh  ist,  über  diese  Leistungen  insgesammt,  so  weit  es 

der  Raum  gestattet,  nunmehr  berichten  zu  können. 

• 

*)  Leider  ist  sie  dem  Unterzeichneten  erst  Jetzt,  da  er  zu  die- 
sem AlMchnitte  gelangt,  zur  Hand  gekommen,  und  ob««lil 
sie  zur  gegenseitigen  Jleslfitigun£  und  Kerichtigung  reichli- 
chen Stoff  bietet,  so  hat  doch  Ref.  Scheu  getrageoi  nach- 
träglich an  seine  Arbeit  Hand  anzulegen,  und  es  >orges«- 
gen,  seine  nunmehr  gelösten  Zweifel  und  erkannten  Irrthä- 
mer  harmlos  stehen  zu  lassen,  neben  den  Ton  ihm  noch 
festgehaltenen  abweichenden  AnffaMuogen,  «ei  es  der  rts 
ihm  selbst  gegebenen,  oder  der  Ton  ihm  gebilligten  des  Ur«. 
Vfs.  Oefters  hat  er  sich  auch  der  Uebereinstimmung  mit 
Hrn.  W  urm  in  einzelnen  Bemerkungen  und  l£rklaruDgeo  er- 
freut, so  wie  denn  Hr.  W.  die  Sard.  Inschrift  ganz  so  aafge- 
fafst,  wie  sie  Ref.  in  diesen  Blkttern  bereits  183(»  erklärt  btt 


(Die  FortBetzung  folgt) 


J  ah  r  b  ti  c  h  e 

f»m 
u  r 

w  i  ssenschaft  liehe   Kritik 


Octobcr  1839. 


Scrtpturae  lingnaeque  Phoeniciae  monumenta 
quotquot  supersunt  edita  et-inedita  ad  auto- 
graphorum  optimorumque  exemplorum  fidem 
edidü  addiWsque  de  scriptura  et  lingua  Phoenix 
cum  commentqriü  illustravit  Guil.  Oe^enius. 

« 

(Fortsetzung.) 

Von  deo  16  YerseD,  mit  welchen  die  1.  Soene  be- 
ginnt, bat  Bochart  die  10  ersten  ffir  panisch  genom- 
men ond  erklärt,  und  mit  guten  Gründen  dargethan, 
wie  die  6  folgenden  nur  dasselbe  wiedergeben  können. 
Die  meisten  Nachfolger  sind  von  ihm  abgewichen  und 
baben  jene  6  Verse  für  eine  Fortsetzung  genommen; 
mit  Recht  pflichtet  unser  Verf.    aber  wieder  Bochart 
bei,  nnr  dafs  er  nicht  mit  iKm  jene  Verse  für  libysch, 
sondern  fär  libjphSniziscb  hält;   gegen  das  eine  wie 
gegen  das  andere  Sprachidiom  hat  sieh  aber  Hr.  Wex 
erklärt  und  fiberzeugend   dargethan,   dafs  auch  diese 
Verse  pnnisch  aber  Tulgär  sind,  während  die  10  erste* 
ren  rhythmischen  die  correctere  Diction  geben,  welche 
derselbe  als  pbönizisch  bezeichnet.    Als  äufseren  Be- 
weis fuhrt  er  die  Ueberschrift  im  Heidelberger  Codex 
an,  wo  bei  r.  1.  hanno  foeniee^  nach  t.  10.   hianno 
punieePEONÜS  /)C/^  sich  findet.  Dieses  räthselhafte 
Du  erklärt  er  jedenfalls  sinnreich  als  Abkürzung  für 
dietume  vulgari  (p.  11).  Diese  Ansicht  hat  sich  auch 
bereits  den  Beifall  unseres  Verfs.  erworben,  nur  dafs 
dieser  die  10  ersten  Verse  mit  Recht  dem  Plautus 
seibat  beilegt  (wegen  der  eingewebten  punischen  Rede 
Scene  2  und  3)  und  ihr  Verhältnifs  zu  den  folgenden 
6  Versen    wahrscheinlicher   erklärt.      Mit   Recht   hält 
ferner  unser  Vf.  fest,  dafs  die  dem  Punischen  folgen- 
den 11  lateinischen  Verse  eine  yon  Plautus  selbst  ge- 
machte Version  des  Punischen  sei  \  doch  gebührt  Hrn. 
Landeinann   das  Verdienst,   unter    diesen    IL  Versen 
den  5ten  zuerst  als  unächt  yerdächtigt  zu  habeli,  so 
dafa  denn  auch  der  Zahl  nach  die  10  lateinischen  den 


Je  .b.f,  yni$en$ch.  KriHk.  J.  1830.  II.  Bd. 


10  ersten  punischen  entsprechen,  welchem  Venjachte 
die  übrigen  Ausleger  sämiAtlich  beigetreten^  sind.    Au- 
fserdcm  ist  durch  die  Vergleichung  des  Mailänder  PaU 
impsest   bei  Hrn.  Wex  für  den  7ten  Vers  dieser  Ver- 
sion  die   richtige  Leseart  ad  eum  ho^pitalem  (statt 
ad  de  um)    gewonnen    worden.    Alle  Ausleger  stim* 
men  übrigens  nunmehr  überein,  dafs  fiir  die  Erklärung 
die  lateinische  Version  die  Hnnptrichtschnur  sein  müs* 
se,  und  dafs  die  für  die  beste  zu  halten,  welche  allen 
übrigen  Anforderungen  genügend,  sich  ihr  am  meisten 
anschliefse.     Hr.  Wex  hat  übrigens  noch   besonders 
darzuthun  gesucht,  wie  nun  auch  das  Phdniziscbe  und 
Vulgärpuniscbe  in  der  Erklärung  sich  stützen  und  gOr 
genseitig  aufbellen  können,  so  wie  sich  denn  dieser 
Gelehrte  um  die  Combinirudg  beider  vielfach  und  mit 
Geschick  und  Scharfsinn  bemüht  hat;  docb  müssen  wir 
aufrichtig  gestehen,  dafs  bei  dem  sehr  mangelhaften, 
gemischten  und  vielfach  corrupten  Text  —  wie  er  auch 
in  dem  Palimpsest  erscheint,    der  übrigens  nur  diese 
letzteren  Verse  enthält  —  sich  kaum  etwas  Sicheres 
gewinnen  lasse.    Betrachten  wir  nun  die  Stelle  selbst 
näher. 

V.  1.  hatte  unser  Verfasser  mit  Bellermann  ^n"^!Dt 
gelesen,  welches  er  nunmehr  aufgiebt  gegen  das  ^ von 
ihm  vorgeschlagene  und  auch  von  Hrn.  Wex  ange" 
nommene  S*^SipVJ  9  dieses  ist  allerdings,  wie  der  letz- 
tere bemerkt, '  dem  Lateinischen  entsprechender,  nur 
dafs  durch  die  Relativbeziehung  auf  das  isolirt  voran- 
gehende Object  die  Constrttction  beüpiello»  hart  wird. 
Dabei  ist  eine  doppelte  Abweichung  vom  Hebjraismua 
bemerkbar,  1)  DIpD  als  Pemin.  2)  Korathi  statt  Ka- 
rathi,  denn  die  Handschriften  geben  übereinstimmend 
$.  Nichts  desto  weniger  müssen  wir  diese  Erklärung 
ebenso  der  des  Hrn.  Lindemann  vorziehen,  als  den  Vor- 
schlägen des  Hrn.  Wurm;  beide  nämlich  entfernen 
sich  zu  sehr  von  dem  überlieferten  Text;  Hr.  L.  mit 
der  Lesung  bsru  zu  Anfang  des  v.  (statt  yth),  was 

73 


579 


Getemuiy  »eripturae  Unguaejtie  PA^enieiae  tnonumenta. 


sogar  sprachlicli  verstorst;    und   Hr.  W.  mit   ^H^N 

eben  daselbst,  oder  mit  EinschiebuDg  von  p*>yiK9  wel- 
ches letztere  obnebiD  ein  hier  (für  veneror)  unpassen- 
der Ausdruck  ist.  Eher  noch  möobten  wir  N"^p^t 
oder  "^rW^p  Torschlagen,  welches  wegen  des  folgen- 
den Sicorathi  ausgefallen  wäre.    Eben  so   wenig   ist 

wohl  beider  Schreibung  'Sni  U^ilti  für  'byi  D01"^Sy 
txk  1)illigen.  Mit  der  Auffassung  der  2ten  Vershälfte 
dieser  beiden  Ausleger  (nach  Bochart)  I^SCC^  TmpV) 
HKl  können  wir  uns  eher  befreunden,  denn  die  dage- 
gen erhobenen .  Schwierigkeiten,  1)  dafs  die  Stadt  im 
Phöniz.   sonst  Kareth  und  nicht  Koreth  gesprochen, 

%  dafs  "{DD    stützen  und   nicht   schützen  heifse,,    3) 

4oM,  vom  Nomen  getrennt  sei — sind  wenig  erheblich,  nnd 
der  Satz  wäre  einem  Jeden  auf  den  ersten  Blick  ver* 
iständlich,  auch  hebräischer  und  dem  lateiaischen  qui 

hmic  eoiunt  urAem  entsprecheiuler  als  HK*  D^pOtD« 
Doch  würde  diese  Erklärung  mit  der  des  ersten  Satze« 
fiillen,  und  die  andere  scheint  noch  eine  Stute  zu  ha- 
beli  am  panischen  Text,  wo  Herr  Wex  in  der  That 

^nir!)PWT  PlpOn  "^dSo  rin(l4)  ro  richtig  gelesen  hat 

Doch  ist  es  auffallend,  wie  in  Betreff  der  Redeweise 
das  Phöniz.  und  Puuische  ihre  Rollen  getauscht,  denn 

den  correcteren  gewandteren  Ausdruck  *21  ^)3  vS  DHNtD 
bätte  man  doch  gewifs  eher  im  Phönizischen  als  hier 
erwartet. 

Bei  dem  2ten  V.  dürfte  keine  der  gegebenen  Er- 
'klärungen  befriedigen.  Die  vom  Verf.  im  Werke  au(^ 
gestellte  bat  derselbe  mit  Recht  wieder  zurückgenom- 
men gegen  eine  andre,  gegen  welche  wiederum  Herr 
Wex  (p.  41)  gerechte  Einwendungen  gciliacbt  hat$ 
dieser  aber  hat  gleichfalls  wieder  seine  frühere  Erklä- 
rung gegen  eine  neue  yertauscbt,  mit  welcher  wir  uns 
indessen  gleichfalls  nicht  befreunden  können.  Das  Hit- 
poel  von  D7V  bleibt  wenigstens  in  der  Bedeutung  be- 
denklich (vgl.  dasAraInO;  '^H'^  MJ  DN  utinam  potes- 
tos  ßai  ist  sicher  mir  eine  gemachte  Phrase,  und 
schwerlich  kann  TV  potettaM  in  diesem  Sinne  bedeu- 
ten. Die  Schwierigkeit  liegt  darin,  dafs  der  lateini- 
sche Vers  mehr  den  Gedanken  als  die  Worte  wieder- 
zugeben scheint;  denn  filr  das  doppelte  veni  {venerim) 
sieht  man  sieh  umsonst  nach  einem  geläufigen  semiti- 
schen, Worte  um,  und  das   lateinische  rite  hat   im 


660 

Filöliia&iscben  überhaupt  wohl  nichts  ganz  Entsprechen- 
des. Das  was  Hr.  Wurm  noch  für  das  Gewisseste 
hält,  dafs  ethibarui  {ethiburui  die  Codd.)  de  medte 
("ISl)  wiedergebe,  wofür  es  auch  Bochart^  Tyobse^ 
Bellermann,  Gesenius  nnd  Wex  genommen,  bietet  du 
sonderbare  dar^  dafs  "^3*1,  was  sonst  immer  mit  i 
geschrieben  ist,  hier  von  allen  Auctoritäten  durch  %k 
ausgedrückt  wäre.  Hrn.  Wurms  Versuch  hat  im*  Qe» 
brigcn  das  für  sieb,  dafs  er  sich  am  genauesten  an  die 
phöuiz^  Worte  anschliefst,  aber  er  scheint  uns  der 
Sprache  so  wie  dem  Sinne  nach  gezwungen.  Unter 
diesen  Umständen  ist  es  bedenklich,  noch  einen  weitem 
Versuch  aufzuführen,  doch  legen  wir  noch  folgenden, 
'vielleicht  eben  so  wenig  befriedigenden,  vor: 

%U  negoiia  mea  (oder  viae  meae)  perfecta  #Mt#,  pi- 
tene^  e  decret0  ßeum  (patumP).  Was  den  löokeahst 
teo  puuischen  V.  (im  Palimpsest)  betrifft,  so  sagt  lui 
gleichfalls  weder  die  Iste  nooh  die  2te  Erklärung  des 
Hrn.  Wex  (p.  43)  zu,  die  letztere  bat  namentlich  den 
Mangel,  dafs  grade  das,  worauf  es  dem  Gedanken 
nach  ankommt,  fehlt,  denn  in  dem  Satze  ^fuoniam  vm 
meae  perfeotae  sunty  utinam  perüciam  eae^  vermifst 
man  gewifs  die  bedeutende  Bestimmung,  pre  retui 
tneie...  Andrerseits  wendet  Hr.  Wex  gegen  uaserei 
Vfs.  Erklärung  (in  der  All.  Litt  Zeit.)  mit  Rebht  ein» 
dafs  bei  CSnSon  ShHV*^  ^O  nothwendig  die  Prte- 
position  |0  fehle.  Bei  dem  3ten  F.  weicht  Hr.  Wex 
von  unserm  Verf.  nur  darin  ab,  dafs,  während  dieser 
ropisb  von  Bochart  beibehalten,  Hr.  Wex  (sich  sn 
Tychsens  DJp  T)th  anschliefsend)  dafitr  rup  HB  ^ 
lies't,  was  wir  wohl  vorziehen  mficbten;  im  üebriges 
stimmen  beide  mit  Bellerroänn,  dem  Hr.  LindeouuHi 
ganz  und  gar  folgt;  dieser  nämlich  veränderte  das  erste 

ümUAu  in  '^nN  p  (ebenso  Tyehaea)  und  adaediti)^ 
iadidi  u  (^  ^TH"^).  Statt  dessen  will  Hr.  Warm 
das  2te  binuthu  in  "^HN  |3  verwandeln,  und  adaeiin 
für  {MN  *in>  d.  i.  una  cum  hie  nehmen,  was  nnbe- 
dingt  vorzuziehen  ist,  wenn  man  *in  ^'  "in*^  and  d  ^ 
n  zugiebt,  da  einmal  es  passender  ist,  dafs  die  Tdekter 
vor  dem  Bruderssohn  vorangebn,  sodann  atioh  dieie 
Auffassung  mehr  dir  lateinischen  Version  entsprisU) 
die  obuebin  nichts  vom  dileeiue  hat,  .  wefebäib  woU 


681 


GMtmvtj  seriptHTiU  Ungtuu^tie  Phpenieia»  monumtitfat 


982 


auch  Hr,  Wcx  "^T^T^  Ton  der  Verwandtschaft  vgl,  l^T 

verstehen  raSchte.  Im.Palimpsest  ist  es  hier  übel  be- 
ateUt.  Die  Toekier  fehlen  ganz,  Hr.  Wex  ergänzt 
sie  naek  dem  Broderasohn,  weil  hier  Reste  von  Buch« 
fttaben  sich  finden,  ans  denen  sich  aber  freilich  das 
Verschiedenste  machen  läfst.  Hier  sieht  man  recht 
offenbar,  wie  in  diesem  Codex  (die  anderen  geben  nur 
ein  Paar  Worte)  Unverstand  und  Nachlässigkeit  fast 
Alles  untereinander  geworfen  haben^  so  dafs  kaum  et- 
was Sicheres  daraus  zu  gewinnen  ist;  womit  wir  in- 
dessen weit  entfernt  sind,  Hrn.  Wex*  Verdienst  um 
die  Erklärung  verkennen  oder  gar  schmälern  zu  wol- 
len; mle  coHth  erklärt  er  wohl  richtig  rüpS  ^^  ob 
das  zunächst  foigeode  ee^na  49ionim  ^^  liier  an  sei- 
nem Platze  sei,  möchte  man  bezweifeln ;  auch  scheint 
M  mifslich,  cAona  (Pulimp.  ecotm)  für  KSn»  mid  die- 
aes  als  Contraetion  für  N3  ^Sn  zu  nehmen ;  noch  li^ 

ber  nehme  man  es  für  ^Jn>  {gratioMt  sint)  das  a  in 
u  zn  verwandeln,  dürfen  wir  wohl  eben  so  wenig  Be- 
denken tragen,  als  Hr.  Wex  m  in  ti;  echo  in  achi^ 
und  atum  in  ulam^  dieses  möchten  wir  aber  nicht, 
wie  Hr.  Wex,  mit  dem  vorangehenden  alonim  (zu 
gwiperiares  mundi)  verbinden,  sondern  es  lieber  D /H 

(ßie)  oder  punisch  für  dSv  erklären  und  näher  zu 
dem  folgenden  bar  beziehen,  etwa:  mihi  reeuptrar^ 
gratiosi  iv\t  du  Ate  oder  (^iuvenem^  JUium  fra» 
tris  mei. 

Der  Ate  V.  ist  einer  der  leichtesten,  die  Ausle- 
ger aohliefsen  sich  fast  alle  an  Bochart  an,  nur  dafs 
i)  Hr.  Wex  nachträglich  {eoroUarmm)  statt  byrnt^ 
rob  (nach  Bochart  byrtta  rob  3*1  n^^S)  nunmehr 
luit  Tjchsen  Zf^SI  ]n3  byirH^  rob  lies't,  was  wir 
für  beaiMr  als  Hm.  Wurmes  Vorschlag  |0}43  halten. 
9f)  IXafs  Hr.  Lindemann  und  Wurm  gegen  die  andern 
die  2te  Person  vorziehen,  die  allerdings  passender  ist, 
und  auch  in  der  lat  Version  sich  findet,  aber  mehr 
Ton  dem  Texte  abweicht;  zugleich  nimmt  Hr.  Linde- 
lAann  mit  Bocb.  myMyrtA9ho(m)  für  Providentia  e^ 
f%imi  Hr.  Gesenius  und  Wex  i^it  Tyehsen  für  impe^ 
rio'e^rum  (DnmtÖO),  Hr.  Wurm  iuiiüia  vettra 
(CSnntff'^O) .  Hat  Tjchsens  Erklärung  das  für  sich, 
dafs  sich  das  Wort  in  dieser  Form  im  Hebräischen 
findet,  80  hat  sie  das  gegen  sich,  dafs  sie  sich  von 
dem  Texte  mehr  als  die  andern  entfernt.    Ob  die  Ab- 


weichaag  in  der  punischen  Aasspracfaa  begründet  ist  f 
llebrigens  fehlt  hier  in  allen  Handschriften  das  notb- 
wendige  m,   ist. es  im  ^Punitc/ien    schon  abgefallea 
(vgl.  Seen.  2,  57.  datha)^   oder   in   einem  Normal«, 
Cod.,  und  daher  in  unseren  vergessen  worden? 

Im  bten  Ferse  hat  der  Vf.  unseres  Erachtena  ei- 
neu  guten  Fund  an  HiriNO  gethan,  eine  weitere  Ver- 
besserung hat  aber  dann  auch  der  von  Boch.  noch  auf- 
genommene Anfang  des  V.  durch  Hm.  Wex  (ähnlich 
auch  durch  Hrn.  Lindemann)  gewonnen^  so  dafs  wir 
Hrn.  Wex'  Erklärung  fiir  diejenige  halten,  welche  dem 
Richtigen  am  nächsten  steht*    Denn  die  von  Herrn 

Wurm  vorgeschlagene  *11*1  ^D2H  ^HlJ^h  n>3  ist  schon 
der  harten  Construction  halber  (der  Trennung  de« 
fl^3  und  *Vli^  schwerlich  zulässig.  Doch  ist  eins 
auch  noch  bei  Hrn.  Wex  bedenklich  -^  worauf  schon 
unser  Verf.  hingewiesen  —  nämlich  p3  am  Ende 
des  Verses,  welches  derselbe  von  dem  vorangebenden 

> 

Nomen  proprium  abtrennt,  und  zu  ihm  als  Adjectrr 
bezieht,  entsprechend  dem  hebr.  |!3  oder  chald.  7^3 
(probue),  welches  nach  seiner  Vermuthuog  die  Phöni- 
zier dem  Namen  des  Verstorbenen  im  Sinne  unseres 
selig  beigegeben.  Freilich  hat  Hr.  Wex  Recht,  wenn 
er  behauptet,  dafs  der  Name  Antidamaschos  gegen  den 
gewöhnlichen  Antidamas  zunächst  aller  Auctorität  ent- 
behre, da  Antidamarchi  Seen.  II,  85.,  worauf  man 
sich  stütze,  wie  schon  längst  die  Ausleger  gesehn,  of- 
fenbar verderbt  sei  (man  vgl.  Sc.  2  v.  100).  Doch  fragt 
es  sich,  ob  man  nicht  im  Fhönizischen  und  Punischen 

dem  fremden  Namen  diesen  Anhang  (pS)  gegeben 
(wie  ähnlich  die  Rabbiner  verfahren),  oder  aber  auch 
ob  nicht  dieses  cAon  durch  Verwirrung  der  Abschrei- 
ber aus  dem  Schlüsse  der  vorangehenden  Zeile  hier 
her  gerathen  sei.  Die  Leseart eu  der  gegenwärtigen 
Handschriften  entscheiden  freilich  nichts,  in  ihren  ver- 
schiedenen Verdrehungen  scheinen  sie  doch  alle  den- 
selben Namen  (mit  con)  zu  geben.  Uebrigens  hat  Hr. 
Wex  für  das  Panische  noch  handschriftlich  zn  dem 
CoroUar.  eine  nickt  ungefällige  Erklärung  nns  mitge- 
theilt. 

Bei  dem  schwierigen  Sien  V.  können  wir  unter 
den  gegebenen  Erklärungen  nur  die  des  Hrn.  Wurm 
billigen,  die  in  der  That  so  glucklich  ist,  dafs  wir  sie 
sicherer  fast  als  die  aller  übrigen  Verse  halten.     Das 

Bedenken,  welches  Herr  Wex  gegen  ipoy   in   Herrn 


Lee9^  the  Affinities  t^  PhmU  wiiA  Mim,iind  anAmlä^  ete* 


683 

Wurm*«  Auffassung  Dimmt,  könnte  dieses  wsut  ak 
chaldäiMches  Wort  treffen,  nicht  als  Thalmudismns, 
wie  es  Hr.  Wex  fälschlich  bezeichnet. 

Bei  dem  7ten  V.  hingegen  bleibt  am  befriedigendsten 
die  Erklärung  des  Vfs.,  nnd  seine  Gonjectur  oder  Cor- 
rectur  133  HN  «iehen  wir  n4)ch  vor*  der  schwerfälli- 
gen Aushülfe  DN  p  HN  bei  Hrn.  Wex.  Mit  dem 
Punischen  hingegen  sieht  es  auch  hier  mifslich  ausf 
wenn  übrigens  Hr.  Wex  für  seine  Erklärung  in  dem 
Accusatiy  Agorastociem  im  Punüc/ten  Texte  eine  Be- 
stätigung £nüet  (p*23),  so  ist  diefs  ein  seltsames  Ver- 
sehen; denn  da  es  im  Punischen  keinen  lateinischen 
Accüsativ  giebt^  so  ist  derselbe  sicher  aus  der  lateini- 
schen Version  in  das  Punische  hineingerathen. 

Bei  dem  8ten  V.  hat  die  früheren  Ausleger  noch 
die  falsche  Leseart  ad  de  um  für  ad  eum  irre  ge- 
führt^ so  dafs  Hr.  Lindem,  sogar  diesen  Dens  durch 
JeAova  repräseutirt.  Nachdem  der  richtige  Text  ge- 
funden, tritt  dein  Wahren  wohl  am  nächsten  Herr 
Wex,  nur  mifsfallt  na  so  als  Particip  nehmen  zu  müs- 
sen, da  ^as  phönizische  Particip  sonst  mit  dem  hebräi- 
schen stimmt,  Tgl.  T.  6.,  yielleicht  ist  also  (nach 
naso  — )  thi  ausgefallen  oder  statt  tüh  naso  zu  schrei- 
ben sinasotA.y  auf  diese  Form  scheint  auch  das  Puni- 
'sche  hinzuführen,  das  übrigens'  Hr.  Wex  hier  recht 
sinnreich  erklärt,  nur  können  wir  kein  rechtes  Vet- 
.  trauen  zu  diesem  Text  fassen;  der  Palimpse^t  hat  nur 
Trümmer :  nqso/  —  Aeltcot,  die  freilich  Hr.  Wex  mit 
Hilfe  der  andern  Handschriften  trefflich  rcstituirt ;  aber 
das  bei  diesen  vorangehende  ettescanehc  sieht  fast 
wie  eine  Corruption  des  Phöuizischen  ythemaneht  aus; 
Hr.  W^ex  erklärt,  indem  er  mit  Hülfe  der  Trümmer 
in  dem  P^alimps.:  9iit^e  idu  liest  "^JS  WTW  NnKU) 
quem  adibo  ego;  nach  der  Vulgate  liefse  sich  schreiben 
*^3K  .71 T  KJIN  beides  ist  aber  eine  dichterische  Rede- 
weise, wie  man  sie  hier  kaum  erwartet. 

(Die  Fortsetzung  folgt.) 

XXXVL 

TAe  AffinÜM  of  PlanU  wüA  Man  atnl  anpnalMy 
sAeir  ana/ogies  and  assocüttions}  a  tecture  delp- 
vered  before  tAe  IVoree$tersAire  natural^  Aittory 
Society  by  Edwin  heee,  Ltmdon.  1834.  122  iS.  8. 

Die  Kunst,  über  wissenschaftliche  Gegenstände  vor  einem 
sehr  gemischten  Publico  verständlich   zu  sprechen,  ohne  in  das 


681 


TriTiale  su  TerfaUen,  sieht,  dotch  za  gvolse  AnfoTdeningea  4at 
Interesse  für  die  Wissenschaft  zu  verscheacben,  anitatt  es  zu 
erregen,  ist  keine  so  kleine:  wenn  sie  der  deutschen  Pedante- 
rei  überhaupt  seltener  gelingt,  als  seinen  lebensgewandten  Nadi» 
barn,  so  mufs  man  dem  Verf.  der  beseichneten  Blatter  iu|e» 
stehen,  dafs  er  sie  besonders  gut  TersUnden  hat;  mit  GeuaadI* 
heit  weifs  er  seinen  Versuch  zu  rechtfertigen  „the  old  ob8e^ 
vation  „ne  sutor  ultra  crepidam*'  is  often  repeated  ad  nauseatt 
by  those  who,  at  Bny  rate,  bare  not  tbe  acute  discrimination 
of  the  Greelc  who  first  used  the  expresslon,'*  und  geWifs  hat  er 
die  Gesellschaft  für  sich  gewonnen  durch  die  rhetorische  (an 
anderen  Orten  gesuchte  und  unpassende)  Gewandtheit,  mit  Wel- 
cher er  di^  Ladies  und  Gentlemea  anredet:  „After  the  iastrae- 
tire,  splendid,  and  truly  eloquent  lectures  of  the  leamed  phy- 
sicians T^ho  have  preceded  me.  I  must  candidly  admit  tbat  my 
Position  this  evening  is  somewhat  embarrassing ;  bot  there  ii 
öne  coosideration,  which  while  it  relierea  me«  will,  1  tnist,  alao 
plead  my  exduse  with  you.  Tou  will  remember  that  in  the 
ranks  of  science  as  in  the  ranks  of  war,  though  skilful  leaden 
plan  and  able  minds  direct,  there  must  always  "be  found  soae 
whom  deroted  enthusiasm  alone  prompts  to  stand  or  faU  iatht 
raoguard.  From  these  the  same  tempered  discipline  can  bardly 
be  expected  as  from  the  Veteran  of  a  hundred  fields,  yet  their 
ardour  is  sometimes  considered  to  balance  their  tactical  inex* 
perieoce.  Thus  niyself  a  mere  volunteer  in  the  Serrice  of  Na* 
tural  History,  1  must  intreat  you  of  the  Science  by  its  ia^ats 
merits,  and  not  by  the  imperf^ct  capabiiities  of  .its  present  ad- 
Tocate  etc." 

Wenn  wir  auf  diese  Art  das  formelle  als  das  eigentlich« 
Verdienst  dieser  kleinen  Schrift  hervorheben,  und  auf  ihre  £«•< 
achmackvoHe  Behandlung  die  Versicherung  gründen,  dafs  sie 
eine  Stunde  angenehmer  Unterhaltung  gewähren  wird;  so  wol- 
len wir  ihr  doch  keineswegs  aUt%  wissenschaftliche  Verdienst 
absprechen.  Mit  dem  Worte  Affinities  drückt  der  Verf.  nicht 
etwa  die  Verwandtschaften  und  Ueberglinge  ^^^  Pflanzenreichs 
und  Thierreichs  aus,  sondern  die  Beziehungen  der  Pflanzen  well 
zum  physischen  und  psychischen  Leben  des  Menschen  werde» 
damit  bezeichnet,  und  diese  Yorsteht  der  Vf.  mit  eben  so  un- 
gemeiner Belesenheit,  als  ansprechender  Gewandtheit  hervorzu- 
heben ;  z.  B.  wenn  er  Ton  dem  Alter  der  Bäume  spricht,  und 
erinnert,  wie  die  W^älder  der  Alpen  schon  Zeugen  ro9  Haaai« 
bals  Uebergang  waren,  wenn  er  an  die  Sprache  der  Bäume  in 
den  Ruinen  Von  Dudley  und  Kenilworth  denkt,  oder  darauf  auf- 
merksam macht,  wie  der  Eibenbaum  zu  Fortingal  bereits  das 
Römerlager  beschattete  u.  dgl.  m.,  odfer  Baume  erwähnt,  die 
schon  im  zwölften  Jahrhundert  beschrieben  werden,  und  die 
Verse  der  Dichter  anführt,  die  sie  rerherrlichten ;  die  Bedett- 
tung  der  Pflanzen  in  den  Mythen  uqd  Religionen  des  Altef: 
thums,  der  beutige  Glaube  an  die  Bedeutung  von  Pflanzen  und 
Blumen  jn  Tcrschiedenen  Ländern  und  unter  verschiedenen 
Ständen,  die  Blasnensprache  u!  s.  w.  Auch  bildet  der  Verf.  ein 
Paar  berühmte  alte  Bäume  ab. 

tieasiogen 


W  1  8  8 


^74. 

Jahrbücher 

für' 

enschaft  liehe 


Kritik 


October  1839. 


Btripturo»  Imguaeque   Pkoemciae   monumenta 
quotmtot  aupersunt  edita  et  it$edita  ad  auto- 
graphorum  optünorumque  exetnplorum  ßdem , 
edidit  additiaque  de  scriptura  et  lingua  PAoetti- 
cum  commentariü  illuatravit  OuiL  Oesenius, 

R 

(FortMtswig.) 

V.  9.  sind  die  Ausleger  aftmintlich  Bochart  ge* 
fol^,  auch  kann  naeh  ihm  nur  Wenigeü  noch  bedenklich 
sein ;  bynni  id  nimmt  er  nämlich  fiir  HV  ^3^2^  eben- 
so Bellemann  und  Gesenins  (»  hebr.  IV  "^33^3); 
dafür  i?i!l  Hr.  Lindemann  JTTö  ^3,  Hn  Warm  ^3 
T^y3  {mihi  monstratum  est  Nif^  Hofal,  auszuspre^ 
eben  n^y3  ^^S),  was  wohl  wider  den  Sprachgebrauch 
ist;  Hr.  Wex  erklärt  VIM  p3,  welches  er  6yn  yid 
schreibt;  dieses  ist  sprachlich  sichtig;  denn  nur  ein . 
Tersefan  kann  es  sein,  wenn  unser  Verf.  (Hall.  Allg. 
Litt.  Zeit.)  yon  der  gewöhnlichen  Regel  aus  dawider 
einwendet  „es  müfste  wenigstens  |13  heifsen":  denn 
grade  das  postulirte  pS  ist  nur  eine  theoretiseh  ge* 
bildete  Form,  die  nirgends  yorkommt,  während.  p3 
als  Infin.  absol.  wirklich  erscheint  Proy.  23, 1.  (p3n  p3) 
wie  noch  3^^  Jcr.  50,  34.  (welches  Beispiel  übrigens 
der  Verf.  in  seiner  Grammatik  selber  aufführt  (§.  73, 
3,  2.)  ygL  auch  Pro?.  2.3,  24  Kri.  Demnach  ist  kein 
Gi'uttd  yorhanden  VIN  713*^3  zu  lesen  ( da  an  der 
angefittrten  Stelle  p3  nicht  «  n3^3  erklärt  werden 
darf.)  Indessen  ziehen  wir  doch  Boch.  und  Gesenius  Er- 
klärung, als  dem  Text  und  der  Vcrsfon  entsprechen^ 
der,  yor  .(denn  VIK  wurde- wohl  nicht  yid  gespro» 
dien),  mag  man  nnn  annehmen,  dafs  Synni  selbst  als 
JBifii  gebraucht  sei,  oder  yerkürst  fiir  eiynni  stehe. 
Eline  andre  kleine  Abweicbiuig  yon  Bochart  hat  der 
Verf.  darin,  dafs  er  Ayli  gubulim  nicht  fiir  nSMTl 
0*^^13319  sondern  für  0*^^32  hSn  nimmt ;  das  erstere 
yerstöfst  bestimmt  gegen  den  hebräischen  Sprachge* 
UM.  /  wü$en$ch.  KnHh.   J.  1839.    II.  Bd. 


brauch,  denn  n^Kn  steht  immer  fia^A  dem  Nomen, 
SU  welchem  es  als  Demonstratiy  gehört,  nie  yor  denn 
selben ;  aber  dasselbe  ist  in  der  guten  Diction  eigent- 
lich auch  bei  nhN  der  Fall ;  und  lleferent  weifs  kaum 
2  Stellen  aufzuführen,  wo  TISk  in  diesem  Sinne  yor 
dem  Nomen  steht  (Ps.  73,  12  (?)  1  Chron.  9,  9),  aus 
denen  man  aber  entnehmen  mag,  dafs  man  später  71 7M 
auch  diese  Stellung  gegeben,  und  unsers  Verfs.  dSn 
D*^Sl33  —  was  im  eigentlichen  Hebraismus  durcl^ 
aus  diefe^  sind  Orenxen  bedeutet,  ist  hiermit  als  diese 
Grenxeny  jedenfalls  besser  begründet  als  'S  H^Nn 
und  imPuniscfaen  wohl  gereehl fertigt.  Endlich  scheint 
uns  mit  Hm.  Wurm  statt  DA  J^3V  /  nnbcfdingt  yor- 
zuziehen  DnSWb.  Was  das  Puniscbe  betrifft,  so  kann 
Hrn.  Wex's  Erklärung  dieses  yollständig  erhaltenen 
Verses  als  die  gelungenste  betrachtet  werden« 

V.  10.  hat  unser  Verfasser  das  höchst  Anstöfsige 
*)*1  N13  bei  Bochart  sehr  glücklich  beseitigt  durch 
^*13  ae  D^'ISy.  Hr.  Wez  schlierst  sich  ihm  an,  nur 
dafs  er  für  ,*^D30  mit  Bellermann  1330 ,  wie  uns 
scheint  minder  gut  lesen  möchte.  Für  Bodyali^  bie- 
tet Hr.  Wurm  etwas,   was  sich  sehr  gut  hören   lafst 

jmi^T  wenn  sich  nur  eben  so  gut  das  folgende  \et- 

trüge  I  Das  Puniscbe  hatte  hier  schon  unser  Verf.  auf 
geschickte  Weise  mit  dem  Phöuizischen  in  Einklang 
zu  bringen  gesucht,  und  Hr.  Wex  folgt  ihm  5  auffal- 
lend ist  es  hier  wiederum,  dafs  das  Phöniziscfae  das 
aramäische  VIH,  das  Panisch^  hingegen  das  entspro- 
chende  hebr.  ^W^  hat.  Die  nachträglichen  Verbesse- 
rungen her  Hm.  Wex  (pg.  43)  können  wir  aber  nicht 
billigen,  und  die  Vergleichung  Klagel.  4,  14.  ist  gewifs 
unpassend.  , 

Bei  den  der  2ten  Scene  eingemischten  pnnischen 
Stellen  kömmt  der  Erklärung  keine  lateinische  Ueber- 
setzung,  wie  bei  der  ersten  zu  Statten,  denn  die  Rolle 
des  Dolmetsch  hat  hier  Plautus  dem  Milphio  übertra- 

74 


587 


GesenüiSy  scripturae  liffgvfM^fme  PAoenieüte  monumenta. 


gen,  der,  nachdem  er  mit  seiner  Kenntnift  der  pnni- 
schen  Sprache  (und  der  andren)  gewaltig  aufgeschnit- 
ten, seine  Unwissenheit  oder  Bedienten- Weisheit  hinter 
seiiie  Scnrrilität  yerbirgt,  indem  et  seinem  Herrn  das 
Punische  nach  dein  latfinischen  Anklang  erklärt,  lau- 
ter ^lid  pro  fuos  macht,  alles  verdreht  —  und  seinen 
Herrn    wie    viele    Ausleger   in   die   Irre    führt.      Er 
beginnt  v.  34.  mit  dem  gewöhnlichen  Grufs  avo;  hier- 
über sind  die  Ausleger  einig  ( — bis  auf  Hr.  Robiano*), 
der  es  durch  ^IT^l  giebt  — ),  dafs  es  IIPI  sei,  der  Plu- 
ral ist  übertragen  auf  den  Singular,  wie  unser  Verf. 
richtig  angiebt,  mogUcky  wie  Hr.  Wex  meint,  aus  Dn- 
rgescbick.    Haben  wir  Git  15«   richtig    Tlin    gelesen, 
80  bliebe  auch  jede  Möglichkeit  einer  andren  Herlei- 
tung ausgeschlossen.    Uebrigens  scheint  uns  mit  Un- 
recht der  Yerf.   neuerdings  die  Form  für  das  Nomen 
njn  zu  nehmen.    Nach  diesem  punüeAen  Grufs  fährt 
aber  Milphio  .gleich,  weiter  ItUeinuch  fort:    guoiate$ 
estu?  out  quo   ex  oppido^  worauf  Hanno:    Annon 
muthumbalte  bechaedre  aneeh^  was  Milphio  dem  fra- 
.genden  Herrn  erkiät:  ^^Hannonem  $€$e  aü  CartAih 
gine\    CartAaginiensem  JUu^kumialü  filium*^^    Für 
die  Erklärung  des  Punischen  theilen  sich  nun  die  Aus- 
leger, indem  die   einen  Milphto's  YerdolmetschuDg  für 
richtig,  und  also  für  Norm,  die  andren  für  grundfalsch 
halten.    Zu  den  letzteren  gehört  namentlich  Bellermann, 
welcher  erklärt  PJN  mn3    "hv^  D\"lO    yx\  iiti$ 
gratiosiy  viri  domini  meiy  in  intimo  mco  est  angory 
ähnlich    auch   Hr.    Wurm    y^misererey   qtiaeio  homt- 
ms  perturAati  animo  quomodo  intelligam  cogitatio- 

ne9  tuasr  yz^v^  VIS  HD^^w  dl  Sn3o  ino  N3  ]n. 

Beide  Auffassungen  scheinen  uns  wenig  dem  Charak- 
ter der  Person  und  der  Zeit  angemessen,  besonders 
die  erste,  die  ohnehin  auch  rücksichtlich  der  Sprache 
'  "taiebr  als  bedenklich  ist.  Auf  der  andren  Seite  steht 
unter  andren  Hr.  Lindemann  —  dessen  Erklärung  aber 
zu  sehr  von  Text  und  Sprache  abweicht,  als  dafs  wir 
sie  aufführen  —  und  unser  Verf.  der  hVDIAO  pJPI 
*^3N  Nn*)p3  Hanno  MuthumbalU  {filius^  ex  Cur- 
thagine  ego  erklärt.    Zwei  Schwierigkeiten,  1)  die  Er- 


*)  Hr.  Robiano  hat  auch  Ton  der  2ten  Scene  einzelne  Erklä- 
rungsversuche gegeben,  diefs  bemerken  wir  für  Ilrn  Wex; 
unser  Verf  hat  wohl  nach  den  Proben  der  Erklärung  des 
Hrn.  Robiano  bei  der  Isten  Seen«  es  mit  Hecht  für  nicht 
der,  IMühe   werth  gehalten,  ihn  weiter  aufzuführen. 


gftnzung  des  ßtinwy   2)  das  Uebergehn  des  le  an  üb- 
thumbeU  sucht  derselbe  nachträglich  (pg.  469)  dadorck 
zu    heben,  dafs    er  jenes    le   vor  Muthutnbal  selzt. 
Dieser  Vermuthung  kommt  insofern  der  Palitnpsest  za 
Hilfe  (vgl.  Allg«  Litt.  a.  a*  St.),  dafg  er  Tor  den  Ne- 
men  wirklich  /,  und  yor  diesem  noch  ein  gebrbchesM 
Zeichen  hat,   welches  der  Verf.  fDr  #  nimmt,  so  dah 
er  hier   die  dem  hebräischen  h  entsprechende  spätre 
relative  Bezfehnng  hv  gewinnt.    FQr  die  AusIasssD^ 
des  |3  beruft  er  sich  sodann,  weniger  passend  .aaf  bi^ 
braische  Stelleo,  als  auf  den  Gebrauch  auf  arabisobea 
Münzen.    Das  le  am  Ende  aber,  welches  sich  auf  den 
Palimpsest  als  la  wiederfindet,  erklart  er  als  das  Suf- 
fix der  ersten  Person,  wie   dieses   auch  sonst  an  des 
Götternamen  erscheint.     Statt  ^HO    endlich,    will  er 
nunmehr  |nO  lesen,    so    dafs   der  Name  eigentlich: 
„Geschenk  meiner  Baals"  bedeute.    Unsrein  Veif.  ge- 
geoüber  tritt  aber  Hr.  Wex  auf  die  andre  Seite,  in- 
dem er  behauptet,  dafs  Milphio^s  Uebersetzung  ein  qtüd 
pro  quo  und  keine  Richtschnur  sei.    Der  Puuier  führe 
den  Doppelnamen  Bannon  Muthumbai  (wie  üomü' 
car  Bartas)^  Milphio  aber  Inache  ihn  mifsverstfindli- 
eher  Weise  zum   Sohne  Muthumbals,   welches  Mi6- 
verständnifs    erst   in    den   Palimpsest    hineingetrageo 

sei,  —  wenn  wirklich  hier  eil  ( /^)  nach  nnsrem  Verf. 
zu  lesen  nnd  zu  erklären.  —  In  BtUle  will  er  lieber 
die  abgekürzte  Form  des  Plural  als  das  SuflFix  der 
ersten  —  die  ohnehin  im  Punischen  ii  laute  —  erken- 
nen '  und  die  Verdopplung  des  Consonanten  (wie  ia 
donni)  gleichfalls  der  Kraft  der  Pluralen  -  Endung  «i- 
sohreiben.  Diese  Erklärung  der  Form  balle  luochtea 
wir  der  unsres  Verfs.  vorziehen,   auch   gestehen  wir, 

dafs  wir  hVD  jnoh  p^Pl  für  "O  p  pJH  nicht  fiiir 
hebräisch  halten  können;  doch  wäre  möglich,  dafs 
sich  später  auf  einem  andren  Boden  eine  solche  Spracb- 
weise  oder  Liccnz  gebildet,  obwohl  wir  selbst  bei  den 
Rabbinen,  wo  n^  im  weitesten  Umfang  gebraucht  wird, 
es  nie  auf  eine  solche  Weise  (zur  Vertretung  des  p] 

angewendet  finden.  Aber  mit  Hrn.  Wex  MilphioV 
Uebersetzung  für  ein  quid  pro  qtio  ans  sprachlicher  Un- 
kenntnifs  zu  nehmen,  scheint  uns,  bei  seiner  Jaffas- 
sang  der  Worte,  defshalb  unpassend,  weil  dai 
pro  quo  zu  unbedeutend  und  also  ohne  eigentliche 
wäre,  auch  müssen  wir  (nach  v.  46.)  wohl  ani 
dafs  Milphio  —  wenn  ihm   auch  daff  Puniscl 


sauer  aDkommt  —  d«()b  sa  Tiei  versteht,  um  die  Phrase 
y^ich  bin  N.  N."  aas  Carthago^'  richtig  fassen  zu  kön- 
jieo«  Es  koonte  Miipbio  nur  aus  Scurrulität  ?erdre- 
heo,  woroach  aber  gleichfalls  die  Sache  Dicht  ange- 
thaa  ist.  Demnach  bleibt  kein  andrer  Ausweg,  als  mit 
onsrem  Verfl  sich  für  die  Anlassung  des  p  auf  die 
arabischen  Münzen  zu  beziehen  —  wenn  man  sich  nicht 
entscbliersen  kann  einen  Ausfall  im  Texte  aiuzugeben. 
V««  fibrigeaa  den  ersten  Theil  des  NamMs  betrifft, 
so  ajchliefst  sich  die  Lesung  des  Hrn.  Wex  |nc  eher 
an  die  Aussprache  muiAum  an,  als  das  im  hebräischen 
gewöhnliche  ]A0  onsres  Vecfs.  Auch  das  folgende 
becAaeAre^  was  in  der  Auffassung  KfY^p3  noch  be- 
•ondera  Ton  Seiten  der  Präposition  (3  =  ]0)  Schwie- 
rigkeit  darbietet,  hat  Hr..  Wex  mit  geringer  Verände- 
rung becliarede  sehr  sinnreich  und  wir  glauben  befrie- 
digend erklärt. 

Bei  dem  y.  41  folgenden  wiederholten  Grufs  des 
Milphio  nimmt  Hr.  Wex  eine  kleine  Umstellung  in 
den  lateinischen  Worten  vor,  um  dem  Vers  so  wie 
dem  (angeblichen)  Sprachgemisch  des  Milphio  nachzu- 
helfen. Eigenlliche  Schwierigkeit  bieten  aber  erst  die 
hierauf  folgenden  Worte  des  Hanno:  mi  bar  boeca^ 
daneben  die  Leseart  mehar  boccha.  Die  Erklärun- 
gen der  Ausleger  lauten  hier  sehr  verschieden;  Bei- 
lermann  erklärt  nicht  uneben  1133  *^3  HS  ^^was  ist 
das  für  ein  Sohn  des  Jammers!''  abgeschmackt  hin- 
gegen Lindemann  (um  den  S  Laut  in  der  folgenden 
Erklärung  wiederzugeben)  Np3  "il  "^D  9^^  ^'^  P^^^ 
grinus  iusciiansy  und  nicht  zu  'gedenken  Robia- 
no  Wp3  inaO  a  mvenibus  fuaerof  Wenig  befrie- 
digt  aber  auch  die  Erklärung  unsers  Vfs.  "^pS  ^3  ^O 
gtiis  fiUuM  urbis  s=  quo  ex  oppido  es.  Für  *)p3  beruft 
sich  derselbe  auf  Vacca  (p.  321,  417),  für  das  er  noch 
besser  im  Anhang  nVp3  vergleicht;  giebt  man  nun 
auch  zu,  dafs  n;;p3  (als  vallisycanipusy  regio)  hier 
auch  passend  sein  könne,  so  steht  doch  zu  dieser 
Frage  die  Antwort  Milphios  ietnc  tibi  sit  potiusy 
qtiam  mihi  in  gar  keiner  Beziehung;  diesen  Uebel- 
stand'  sucht  schon  Hr.  Wurm  zu  vermeiden,  nach  wel- 
chem Hanno  glück  wünscht  in3  ')^Ü  a  Princtpe  ßoc- 
c/iore^  was,  als  von  einer  panischen  Gottheit,  sich 
fiUlphio  schönstens  verbittet.  Viel  geschickter  aber 
Hr.  Wex ;   er  hält  die  andere  Leseart  meAar  bocca 


€fue  PAo0H$c$ae  monmnmtnn  590 

fest,  und  erklärt  "{D'IS  n^MO  dirae  §mt  tibi  bene* 
dictio  (Fluch  dir  zum  Dankl)>  dabei  nimmt  er  neben 
n3')3  eine  Masc.  Form  "]*^3  an^  die  mit  dem  Suff, 
in  boeea  contrabirt,  was  freilich  etwas  gewaltsam,  aber 
doch  wohl  erträglich  ist;  kommt  der  Fluch  Hanno's 
hier  überhaupt  nicht  zu  früh,  so  könnte  man  auch  die 
andere  Leseart  in  einem  ähnlichen  Sinn  erklären.  Han- 
no sagt  zu  sich  selbst  *^S3  iy3  ^D  quis  brutuf  ve* 
nit  tibi  (auf  welchen  Dummkopf  bist  du  da  gestorsen  I). 
Milphio  versteht  *^3  iy30    incendium    tecwn   (die 

Pest  mit  dir!)  und  antwortet  in  diesem  Sinne. 

Milphio  soll  (v.  45  sq.)  dem  Hanno  im'  Namen 
seines  Herrn  sagen,  dafs  sie  keine  Aerzte  seien;  er 
sagt  rufen  nu  eo^  is  tam^  was  unser  Verf.  vortreff- 
lich erklärt  DM  W^N  nS  XiÜ  psm  medici  nos  non  • 
{iumus)  vir  bone^  nur  hat  er  hier  eben  eo  in  lo  ver- 
wandelt, Hr.  Wex  hingegen  hält  an  dem  Text  fest, 
schreibt  TO  (hie)  und  glaubt,  dafs  Miipbio  dem*Hanno 
die  grade  dem  Befehle  seines  Herrn  entgegengesetzte 
Erklärung  gebe,  was  wir  nicht  unpassend  finden^  sonst 
mufste  man  noch  ein  *)33^N  mit.  Herrn  Wurm  vor  co 
einschieben,  was  nur  eine  harte  Contraction  mit  dem 
vorangehenden  pND"^  giebt.  Als  sprachliche  Rarität 
aber  mag  hier  noch  Hrn.  Robiano*s  Erklärung  stehen: 
pN  W^   ^33N  NS*!  medicus  ego  sum  non. 

Weiter  fragt  nun  v.  48  Milphio  im  Namen   seines 
Herrn :  tu,  gui  xonam  non  habee 

Quid  in  Aano  venistü  urbemy  aut  quid  quaeritis? 

worauf  Hanno:  Mupkuna.  Agor.  quid  oÄ^. Hanno: 
mii$  lee  hi  anna\  das  erstere  nrnphursa  erklärt  un- 
ser Verf.  TITÖIBO  explicationem^  gegen  dieses  wen- 
det  Hr.  Wex  wohl  mit  Recht  ein,  dafs  diese  Antwort  zu 
ernst ;  er  selber  nimmt  muphur  sa  für  HT  ■^S''.D  en  per- 
ditum  homiuemy  was  der  sprachlichen  Begründung 
entbehrt.  Doch  betrachten  wir  erst  wieder  die  andren 
Worte;  unser  Verf.  hat  wegen  der  folgenden  Ver* 
dolmetschung  Milphio's  miu  in  more  lech  ianna  ge- 
ändert, diefs  erklärt  er  doctor  tibiexplicabit.  AUeiu, 
dafs  es  unschicklich  sei,  dafs  Hanno  den  Agorastocies 
an  Milphio  verweist,  an  welchen  Ag.  eben  ja  die  Frage 
richtet  —  hat  schon  Hr.  Wurm  bemerkt  5  dazu  kommt, 
dafs  Hanno  schwerlich  dem  Milphio  solche  Ehre  (als 
t^ore)  erveist.    Auf  Grund  der  Conjectur  unsers  Vfs* 


GeMeffihn^  teripturae  lingwiteque  Pkpenieiae  momnmnta.  (ä2 

^  "^S  in  **0  i1TtriD>  30     ticbtig  Hr.  Wex  bemerkt,  der  mnr  am  mmMiiger  B^ 

denklichkeit  za  einer  abaonderlioheii  Erklärung  greift^ 

der  vir  nicht  beistimmen  können^  üämlicb  0^X3^  "f) 
r\n^3Db  obi  ad  culices  ad  requieMcendum,  Die 
Variante  übrigen»  lacAanam  (Cod.  P.  L.)«  vet 
che  Herr  Wex  zu  Hülfe  nimmt,  weist  nur  auf  den 
Singular  pflS  bin.  — -  Auf  die  weiteren  Pessen  dei 
Milphio  nad  die  Vemnithang  seines  Herrn,  dafs  Hass» 
ein  Kaufmann  sei,  sagt  dieser 

t/,  56  isMom  arbinamy  wie-  der  Text  (Cod.  P.  IL] 

lautet.  —  Beilermann,  erklärt   dies   03^3  *1SK  «"^I^ 

vir  topdtur  prudenter^  unser  Ver£  hingegen  Terlo- 

dert  binam   in  hinam  und    erklärt    Djn  *10N  V^K 

vir  loquitur  ßruMtra  —  beide  ÄnlFassungen  sind  aber 

unzulässig  $    bei   der    ersteren   wird  Dil^S    gegen  die 

Sprache   als   Adverb  genommen   und  in   beiden  ION 

absolut  gesetzt  (statt  •QH);   auf  den  letztern  ücbel. 

stand  macht  unser  Vf.  selbst  aufmerksam,  und  er  wird 

in  der  That  übel  gehoben  durch  die  Bemerkung  des 

Hrn.  Wex,  der  uusers  Vfs.  Erklärung  aufnimmt,  dafg 

ION  hier  mehr   die    Bedeutung  denken    habe.    Wir 

bleiben  bei  der  gewöhnlichen  Leseart  (auch  mit  do]^ 

pelteu  e)  stehe»  und  erklären  D3^3   HOtE^^      Sertt- 

iur  mens   eorum!    eine  Art  Euphemismus  im  Sino: 

was  für  kluge,  scharfsinnige  Leute!  etwa:  Gottbehüte 

ihren  Verstand   (vgl.  Hieb  17,  4)!    Die  Form   D3^3 

ist  von  raO  wie    D312n  von  PJ^an  Hos.  13,  2.   k\ 

diesen  Ausruf  schliefst  sich  dann  sogleich  der  äludi- 

che  des  Hanno  v.  57  an:  Palumerega  datAa(m)!  den 

unser  Vf.  vortrefflich  erklärt    DföH    nPT    HD   if^H 

mir\im  est^  quam  inauie  cognitio  eorum!  Hrn.  Wex' 

Veränderung     J|^e    iudicate^  kc>nnen  wir  eben  so  w 

nig  billigen,  als  die  Lesung  VVT  statt  DnyT(wieun. 

ser   Vf.   richtig  Äie   Vfägate  deetha    aufgefafst   hat), 

weil  wir  die  Plurale  Beziehung  in  dem  vorangehendea 

DJ^3   haben,  und  Hr.  Wex  selbst  sie  mit  den  andern 

in  dem  Folgenden  wiederfindet  v.  63.     Das  m  ist  hier 

ausgelassen   wie  Seen.  I.  v.  4.    —     Hingegen  halten 

wir  die  Versetzung  der  folgenden   lateinischen  Verse, 

welche  Hr.  Wex  rorgenommeii,  für  sehr  angemessen 

und  richtig. 


591 

erklärt   Hr.  Wurm 

gute  hoc  4nterpr€tahitmi^%  gme  amicue  mihi  gui  re- 
epondeaty  —  was,  wie  man  sieht,  sich  nicht  ohne  Will- 
kür  durch  die  punische  Anssprache  mit  dem  Text  in 
Einklang  bringen  läfst.  Herr  Wex  endlich  erklärt 
rt3y^  Y;  «\n  "»O  quie  tibi  respondebitf  Diese  Auf- 
fassung  ist  passender,  und  hat  das  fiir  sich,  dafs  sie 
sich  an  den  gegebenen  Text  anschliefdt,  der  auch 
ohne  jene  Conjectnr  Anspielung  genog,  auf  die  muree 
ufiricanoe  darbietet.  Aber  da  wir  die  vorangehende  Er- 
klärung des  muphuna  nicht  billigen  können,  was  oh« 
nehin,  wie  Hr.  Wurm  richtig  gesehn,  zu  dieser  Phrase 
gehört,  die  nur  dnrch  das  aus  Neugier  hastig  dazwi- 
schen geworfene  quid  ait  des  Agorastocies  unterbro- 
chen wird,  so  mufs  auch  diese  Auffassung  fallen.  Wir 
erklären  nav^  llh^Tt  ^D  HV  (njl^BO  ex  torculari 
hoc  fuie  hoepitem  eervaUtI !  So  spricht  Hanno  halb 
ungeduldig  über  den  Possenreifser  zu  sich  selbst. 
il'^ID  nämlich  (was  im  Punisohen  vielleicht  Mase.  war) 
heifst  im  Hebräiechen  Kelter  Jes.  63,  3.  Hagg.  2,  16. 
dieses  steht  für  unsre  Tortur  etwa  (für  die  Constrne- 
tion  vgl.  Ps.  22,  22).  .  Schon  wenn  wir  hierbei  stehen 
bleiben,  so  ist  der  Ausruf  sehr  passend,  denn  in  ge- 
rechter Steigerung  sehen  wir  im  Folgenden  Hanno  aus 
Ungeduld  den  Milj^bio  zum  Teufel  schicken,  und  bo- 
ren ihn  V.  70  endlich  lateinisch  erklären : 

Servum  hercU  te  eue  oportet  et  nequam  et  maliwl, 
Hominem  peregrinum  atque  advenam  gm  irrideat. 

Aber  gestatten  wir  dem  Worte  PHIB,  auch  im  Puni- 
nischen,  die  Bedeutung,  die  es  bei  den  Rabbinen  hat, 
und  die  in  der  Sprache  begründet  ist  (vgl.  das  Ara^ 
bische)  „Wer  rettet  mich  aus  dieBer  Mäuse-Falie  P'  —  so 
hat  der  weitere  Spafs  des  Milphio  non  audis  muree 
africanos  praeditat  relL  auch  noch  eine  innere  lä- 
cherliche Beziehung.  Hiernach  hören  wir  in  der  That 
dei)  Hanno 

V.  53  ausrufen :  Laech  lachananim  ii  minuchoth. 
Diese  Worte  hat  gewifs  unser  Verf.  richtig  aufgefafst 
mn30  ^h  ü^iZrh  ^b  aH  ad  (deosj  misericordesy 
mihi  quies  (sitj;  nur  haben  wir  die  mi$ericordes  als 
Euphemismus  zu  nehmen,  wie  bei  den  Griechen  die 
Eumeniden  (für  die  Erinnyen)  und  bei  uns  der  Gott- 
eteh-mir-heir  u.   s.  w.   für  den  Teufel,  wie   dies   auch 


(Der  Beschlufs  folgt.) 


^75. 

Jahrbücher 

für 

wissenschaftliche 


Kritik. 


October  1839. 


Scripturae  linguaeque  Phoeniciae  monumenta 
quotquot  supersunt  edita  et  inedita  ad  auto- 
graphorum  opttmorumque  exemplorum  fidem 
edidit  additisque  de  scriptüra  et  lingua  Phoenix 
cum  commentariü  illustrarit  6uiL  Oesenius. 

(Scblafs.) 

Nach  grade  roft  v.  63  Hanno  aus:    muphonium 
succarat  him^  nach  der  Leseart  des  Palimp.  ticcora* 

tim\  diese  Worte  erklärt  unser  Vf.  OnH^tp^  Qn^-JBO 
r^movebo  mendacia  eorumy  was  spracblioh  sehr  hart, 
und  von  der  Aussprache  des  Textes  abweichend  ist. 
Äiif  das   Richtige   hat   hier  Hr.  Wurm   geführt,    der 

D^rnnpU;  CV  |B1  '^D  lies%  aber  fälschlich  über- 
aetzC«  qms  addueet  diem^  quo  ohviam  fiam  illü^  in- 
dem er  wohl  den  Ausspruch  auf  die  freilich  erwünschte 
(aber  uir  Unzeit  vorgebrachte/)  Begegnung  der  Töoh<p 
ter  und  des  Neffen  bezieht.  Diesen  Fehler  verbessert 
Herr  Wex,  indem  er  übersetzt  utinam  dies  mclina- 
reiuTy  quo  in  ütos  incidi  (eigentlich  quit  inclinabit 
Jiem),  wir  stin^men  ihm  bei,  nur  lesen  wir  (statt 
njD'^  ^O)  Dl*^  TODO  d.  i.  evertatur  d«  i.  pereat  dt- 
ee^  was 'dem  Texte  und  auch  dem  Sinne  angemesse- 
ner ist ;  die  vorgezogene  Bedeutung  von  i12B  ergiebt 
Bicb  von  selbst» —  In  dem  v.  67  schliefsenden  Fluch  des 
Hanno  stimmen  die  bessern  Ausleger  überein,  und  es 
kann  kaum  ein  Zweifel  gegen  die  gegebene  Erklärung 
erhoben  werden. 

In  der  3ten  Scene  finden  sich  nur  2  punische  Stel- 
len, welche  der  Verf.  in  dem  vorliegenden  Werk  nicht 
zu  bebandlen  unternahm,  sich  begnügend  Bellermann's 
QDhahbare  Erklärung  anzuführen  \  jedoch  hat  er  nach- 
gchends  in  der  Allg.  Litt.  Zeit.  a.  a.  St.  die  erste 
Stelle  versucht,  während  früher  Hr.  Lindemann  und 
Hr.  W^urm  und  später  Hr.  Wex  an  beide  Stellen  sich 
gewagt  haben.  Indessen  will  keine  einzige  befriedi- 
Jakrh^  f.  wUuMcK  Kritik.   J.  1830.   IT.  Bd. 


-gen,  freilich  am  wenigsten  die  des  Hm.  Lindemann, 
die  unser  Verf.  so  wie  Hr.  Wurm  verwirft,  des)sen  Er- 
klärung vom  Isten  V.  wir  aber  gleichfalls  nicht  billigen 
mögen,  weil  sie  uns  sprachlich  bedenklich  und  auch 
sehr  gezwungen  scheint.  Auf  die  Schwierigkeiten,  die 
unsres  Verfs.  Auffassung  entgegen  stehen,  hat  Hr.  Wex 
aufmerksam  gemacht,  der  aber  wiederum  eine  Erklä- 
rung darbietet,  die  nicht  ohne  Uebelstand  ist.  Die  Be- 
grüfsung  der  Amme  Seitens  des  puuischeu  Knaben  läu- 
tet also :  ffau  dones  tili  havon  bet^  nlli  mi  nmstine^ 
aoser  Verf.,  indem  er  statt  Aetvon  mit  dem  Cod.  IAp$. 
hav  ori  lies't,  erklärt : 

inNSQ  DN  "»Stp  ^3^>»3  "»nw  mn  'ho  ijnN  mn 

„Sei  gegrüfst  meine  Herrin,  sei  gegrüfst  du  Licht  mei- 
ner Augen,  wenn  ich  doch  (Gnade)  gefunden.**  — 
Hier  leuchtet  das  Mifslicbe  ein :  dafs  .'^i^ü  auch  in  der 
Anrede  an  das  andre  Geschlecht  genommen,  ^2^y3 
luxuriöser  Weise  mit  "HIN  .verbunden,  während  es 
grade  der  folgenden,  von  der  es  getrennt  wird,  Phra^ 
se  eigenthümlich  ist,  wodurch  diese,  da  ihr  auch  dan 
Object  fehlt  —  ganz  unverständlich  erscheint.  Ans 
diesem  Grund  erklärt  eben  Hr.  Wex 

hO-iri«o  p  "hv^  ^a-^ya  pn  Ti  -»hy  run  (n)  in 

oder  nachträglich  .  |n  "^nNlTO  QN  indem  er  dann  »ii^ 
stien  schreiben  will.  Hier  aber  ist  bedenklich,  ))  ^^V 
für  villicGj  2)  pn  das  für  seineu  Gebrauch  schwer- 
lich auf  Prov.  30,  15.  16.  sieh  stützen  darf.  Am  lieb« 
sten  möchten  wir  uns  noch  an  unsres  Verfs.  Erklä- 
rung anschliefsen ,  zu  deren  Gunsten  man  nur  etwa 
statt  siilli  lesen  dürfte  sillic.    Also 

■311  ibtö  ^3^y3  ^^t^^  (n)^n  'h^  (n)3h  (s)  (pi)in 

Salve  domina  mea^  salve  lux  mea^  in  oculie  tui$  relL 
Zwar  wendet  Hr.  Wex  ein,  dafs  die  Leseart  havori 
dem  corrupten  Leipz.  Cod.  angehöre,  aber  auch  dieser 

.  75  ' 


595 


,  Mcripturae  linguqe^ß  Phoenieiae  monumenta. 


l^dnnte  ja  ^iomal  das  Richtige  bewahrt  haben.  Uebri- 
gens  lirängt  sich  hiei^  unwillkuhriich  die  Frage  auf: 
sollen  /wir  bei  diesen  punischen  Bedienten  eine  correcle 
Sprache  voraussetzen  dürfen?  Soll  ihnen  Plautus  ein 
ziertiches  f^uniscb  In  den  Mund  gelegt  haben?  und  ist 
diefs  nicht  der  Fall,  was  für  einen  Mafsstab  haben  wir 
.  für  die  incorrectc?  Keinen.  Die  Aussprache  undCon- 
tractiön  muiti  statt  mazati  oder  maxoti  ist  abnorm, 
nnd  Tienetofat  hat  ebenso  abnorm  das  gemeine  Volk  im 
statt  in^  en  ss  |n  gesprochen,  dann  könnte  man,  ste- 
hen bleibend  bei  der  Leseärt  hau  on^  dieses  on  zu  dem 
folgenden  (als  |n)  beziehen,  (während  man  im  andren 
Falle  den  Schlufs  mit  Hrn.  Wex  zu  lesen  hat)«  Hat 
das  Volk  Tielleicht  auch  ilU  neben  immi  (^ON)  gespro^ 
oben?  in  diesem  Falle  wären  wir  mit  dem  ganzen  v. 
im  Reinen  -^  da  wir  aber  von  Allem  diesen  nichtä 
wissen  —  so  werden  wir  ohne  VVillkübr  nicht  durch« 
kommen.  -*  Bei  der  2ten  Stelle  der  folgenden  Antwort 
der  Amme,  sagt  uns  am  besten  Hrn.  Wurms  Auffas- 
jittog  zu«  Die  des  Hrn.  Vi^ex  nämlich  ist,  so  sehr  atich 
die  alte  Magd  mit  dem  punischen  Sciaven  kokettiren 
mag  (wie  Hr.  Wex  meint)  doch  mindesten^  in  so  dich- 
terisch vornehmen  Phrasen  abgefafst,  dafs  sie  hier- 
durch selbst  unnatürlich  .erscheint. 

Doch  —  wir'  eilen  zum  Schlufs  der  Anzeige  des 
vorliegenden  Werkes.  Auf  die  Erklärung  dieser  puni- 
'  sehen  Stellen,  läfst  der  Hr.  Verf.  ein  dreifaches  Ver» 
aeichniis  folgen,  I)  B,  von  phönieischeri  Wörtern,  die 
bei  Griechen  und  Römern  sich  finden,  2)  C,  von  Eli* 
gennamen  Von  Menschen  und  Göttern,  3)  D,  von  Stfid« 
ten  und  Ländern.  Eine  genaue  Vergleichung  der  Ar- 
beiten, welche  hier  der  Hr.  Verf.  vorgefunden,  wird 
deicht  überzeugen,  wie  viel  Verdienstliches  er  geleistet. 
Dafs  bei  der  vielfältigen  Belehrung,  die  man  bei  ihm 
findet,  es  auch  an  Stoff  zu  Gegenbemerkungen  nicht 
fehlen  darf,  liegt  hier  mehr  als  irgendwo  in  der  Natur 
der  Sache,  und  der  Verf.  sagt  (pg.  419)  ^eXh^UJacile 
apparety  Universum  hoc  etynd  inveniendi  negotium 
Mubinde  conjecturale  atqtie  ita  comparatum  eae^  ut 
omni  cautionis  genere  adhibito^  errores  vix  effugias. 
Das  4te  Capitel  endlich  giebt  einen  kurzen  Abrifs  der 
phönizischen  und  punischen  Grammatik.  Diese  ist  noth-* 
Wendig  von  des  Verfs.  Lesung  und  Erklärung  abhän- 
gig,  und  mufs  defsfaalb  Vieles  enthalten,  was  mit  jener 
fällt,  und  bei  weiterer  Forschung  noch  fällen  wird.  Aber 
sie  giebt  fürs  Erste  einen   festen  Haltpunkt,  und  ist 


.  5M 

reich  an  treflTlichea  Bemerkungen  (vgl.  z.  B.  f.  23). 
Diefs  ist  ftberhaopt  die  grofse  Bedentang  des  gasiea 
Werkes,  aus  dem  wir  so  vielfaohe  Belehrung  geschdpft, 
dafs  wir  nicht  ohne  den  innigsten  Dank  gegen  den  Te^ 
ehrten  Verf.  auszasprechen,  von  ihm  scheiden  tnogM. 

Ferd.  Benary.  *) 

XXX  Vir. 

Grundriß  der  Oeschichte  der  deutschen  Naik- 
nal'JLitteratur.  Zum  Oebrauch  auf  Gjfmnth 
sien  entworfen  ten  Aug.  Kohersiein.  DriUt 
verbesserte  und  zum  großem  Theil  röllig  um- 
gearbeitete Ausgabe.     Leipzigs  1837.    XVI  u, 

536  s.   a 

Die  auf  dem  Titel  hervorgehobene  BezeichnoBg 
einer  völlig  umgearbeiteter^  Ausgabe  erstreckt  sich 
nur  auf  die  erste  Abtheilung,  des  Buches,  welche  nicht 
blofs  eine  bedeutende  Erweiterung^  sondern  auch  .eine 
fast  durchgängige  Umschmclzung  erfahren  hat;  woge- 
gen die  zweite  Abtheiiung,  die  neuere  Zeit  vom  An* 
fang  des  17.  Jahrhunderts  umfassend,  ihre  frühere,  xaa 
in  Kleinigkeiten  verbesserte  und  ergänzte  Gestalt  wie- 
derholt. -  Schuld  daran  war  ,eine  langwierige  Krast 
heit  des  geehrten  Verfa.^  dem  es  noch  gegOoBt  sein 
mdge  bei  einer  künftigen  neuen  Auflage  im  GennsM 
wiedererlangter  Gesundheit  und  binroicbendor  JMsfM 
das  Ganze  nach  allen  Seiten  bin  abzurunden  nnd  xa 
einem  erwänschten  Absohlufs  au  bringen. 

In  der  Vorrede  zu  der  3.  Auflage  erklärt  Hr.  Ko* 
berstein,  dafs  der  vorliegende  Grundriß  zunächst  fit 
Lehrer  bestimmt  sei,  welche  in  oberen  Gymnasialchs- 
sen  über  die  Geschichte  der  deutschen  Litteratur  Vo^ 
träge  i^u  halten  haben  und  diese  an  seinen  fiir  Seliüier 
entworfenen  Zfeit/inkn  knüpfen.  Es  will  uns  aber  b^ 
dflnken,  als  ob  der  Verf.  die  Grenzlinie  swisoben  Im 
derlei  Bearbeitungen  seines  Buches  nicht  scharf  geong 
gezogeu  habe:  als  Hilfsbuch  für  den  Lehrer  entbitt 
der  Grundriß  zwar  Material  genug,  aber  das  Detail 
in  der  Behandlung '  mancher  Hauptparticeo  ^  in  der 
Charakteristik  hervorragender  Schriftsteller  und  ihrer 
Werke  ist  nach  diesem  Mafsstabe  iuuiier  noch  a 
skizzenhaft  ausgefallen ;  andererseits  ist  der  Ijeitfsds» 

*)  Der  Unterzeichnete  kann  zum  Schlufs  nur  sein  BedaarfA 
ansdrttcken,  daifs  in  den  obigen  in  seiner  Abii'escfflieit  ^ 
druckten  Nummern  so  viele  störende  Fehler  stehn  geblieben 
sind,  für  deren  Berichtigung  leider  der  K«um  gebricht. 


597 


K»t4i'*tMJ$f  .GM«kieki0  der  tbuttcAtm '  NatitmJ-Littirmtm;    3tt  Amtgad«. 


598 


theilwehe  «i   apbtristisob  und  trSgt  zn  sehr  das  Ge* 
pri^e  eines  dfiiroo  Gerippes  nod  einer  blofsen  Nomes^ 
clatQr,    wodorcb   die  Belebung  des  Stoffes    im  Geiste 
der  Sebülor  dem  rortragonden  Lehrer  nnndtbigerweise 
ereebwert  wird.     Ich  möchte  daher  für  das  Bedürfuifs 
der  Schuler  eiuen  Mittelweg  eingeschlagen  wissen,  jstwa 
der  Art,  dafs  im  wesentlichen  der  Text  des  Grundris- 
ses,  nuriiin  und  wieder  modificirt  niid  abgeknrat,  bei- 
behalten, dagegen  die  Anmerkungen  ganz  weggelassen 
würden,    welche  nach   dem  Ansspniche   des  Hrn.  K. 
selbst  mehr  ffir  den  Lehrer  als  den  Schiller  bestimmt 
sind :   denn   was  daraus   auch  für    den  letzteren  too 
Wichtigkeit  ist  (z.  B.  Aagabe  der  Geburts-  und  To- 
desjahre u.   dgl.   wie  f.  107.  über   Walther  Ton  der 
Yogelweide)  kann  leicht  in  die  zusammenhängende  Dar- 
stellnng  zweckmäfsig  eingewebt  werden.    Dafür  wäre 
der  Text  de»  Grundrisses,  insofern  er  dem  Lehrer  ein 
Tollständigcs  und  umfassendes  Hilfsmittel  an  die  Hand 
geben  soll,  an   fielen 'Stellen  bedeutend  zu  erweitern. 
Denn  wer   sollte  nicht  in   einem  solchen  Werke  eine 
genauere  Darlegung  des  Inhaltes  und  der  ästhetischen 
Composition  unserer  beiden  gröfsten  epischen  National- 
dicht nngen,  der  Nibelungennoth  nnd  der  Gudrun,  er- 
warten, Ton  denen  jene  mit  Recht  der  Homerischen 
Ilias,  diese  der  Odyssee  zur  Seite  gestellt  wirdi  Was 
darüber  §.  100  n.  101.  rorkommt,  ist  Terhältpifsmäfsig 
zn  dürftig  ausgefallen.     Es  kann  und  soll  dabei  immer 
noch  eine  gewisse  Grenze  gezogen  nnd  namentlich  alles 
Debermafs  subjectiver  Reflexionen  und  kecken  Abspre- 
efaens,  wie  es  sich   nicht  selten   bei  Gervinus  findet, 
streng  vermieden  werden.     Auch  über  unser  ältestes 
poetisches  Sprachdenkmal,   fiber  das  HiidebrahdBlied, 
dad  schon  eben  wegen   seines  hohen  Altertbums,  we^ 
gen  seiner  eigenthümlicben  Form  und  seiner  epischen 
Einfachheit  eine  umständlichere  Charakteristik  verdient 
hätte,  ist  §.  34.  zu  wenig  mitgetheiit,   wie  denn  auch 
Ar  die  nähere  Betrachtung  Waltbers  von  Aqnitanien 
tianmebr  durch  J.  Grimms  Untersuchungen  ein  neues 
Lficht  aufgegangen  ist« 

Der  Yerf.  stellt  in  der  Einleitung  zu  seiner  Litte» 
rftturgeschiehte  einen  Unterschieil  zwischen  der  hiu^ 
mtur  der  Deutithen  überhaupt -^wnd  zwischen  der 
GcMchichie  der  deuUchen  Nattontdliteratur  aufs  er- 
stere  nmfafst  die  Gesammtheit  -der  von  dem  deutschen 
Volke  in  Sprache  und  Schrifl:  niedergelegten  Geistes- 
erzeugnisse, ohne  Rücksicht  auf  Form  und  Inhalt  der- 


selben  $    letztere   kiur   dictjenigen  Werke  >   welche  auf 
konstleriscbom  Wege  bervorgebraeht)    sowohl  ihrer 
Form  wie  ihrem  innem  Wesen  nach  ein  eigenthümlich 
deutsches  Gepräge  an  sich  tragen,  wodurch  sie  sich  von  dei| 
litterarischen  Erzeugnissen  andererNationcn  schon  an  sich 
und  ohne  Rücksicht  auf  die  Sprache  unterscheiden.  Indem 
nun  der  Vf.  hier  den  zweiten  Gesichtspunot  festgehalten 
wissen  will,  würde  er  sich  den  Vorwurf  d^f  laconse-» 
quena   dadurch   zuziehen,   dafs    er  aufer   Ulfilas  eine 
Menge  althochdeutscher  Uebersetzungen  sowohl  geist« 
liehen  als  weltlichen  lohaltes,  ja  sogar  die  Glossen- 
sammlungen in  den  Kreis  seiner  Betrachtungen  gezo- 
gen hat,   wenn  er  nicht   ausdrücklich  erklärt   hütte, 
dafs  die  genannten  Litteraturwerke  darum  nicht  aus- 
geschlossen werden  dürften,   weil  sie   allein  ein  Bild 
von  dem  Leben  und  der  Gestalt  der  Sprache  in  Zei- 
ten zu  geben  vermöchten,  aus  d^non  si^^  nur  wenige 
oder  gar  keine  poetischen'  Denkmäler  erhalten  haben. 
Das   Gesammtgebiet  der  deutschen  Litteraturge- 
schiobte  ist  diesmal  in  sechs  Perioden  vertheilt,  deren 
in  der  ersten  Ausgabe  sieben  angenommen  waren:    1) 
Yen  den  ältesten  Zeiten  deutscher  Geschichte  bis^iu 
die  Mitte  des  vierten  Jahrhunderts;  2)  von  da  bis  ge-* 
gen  die  Mitte  des  12.  Jahrhunderts  \  3)  von  der  Mitte 
des  12,  bis  gegen. die  Mitte  des  14.  Jahrhunderts;   4) 
von  da  bis  zum  Ende  des  16.  Jahrhunderts;  5)  vom 
Anfang  des  17.  bis  zum  zweiten  Viertel  des  18.  Jahr- 
hunderts;  iS)  von  da  bis  auf  die  neueste  Zeit.    Ich 
kann  diese  Eintheilung  nur  für  eine  durchaus  willkür- 
liche und  nicht  dem  £ntwickelungsgaugc  der  delitscheu 
Sprache    analoge    ansehen.     Erstlich  darf  von   einer 
Periode  in  der  Littoraturgeschiohte  da  flicht  die  Rede 
sein,  wo  es  überhaupt  keine  Spmebwerke  giebt,  nach 
denen  wir  den  Zustand  der  Litteratur  zu  beurtheilen 
vermöchten.    Ich  würde  daher  den  als  erMte  Periode 
bezeichneten  Abschnitt  nur  als  einleitend  in  die  Ge- 
schichte der  Sprache  und  Poesie  hingestellt  und  darin 
jedenfalls  den  von  J.  Grimm  entdeckten  Gesetzen  der 
Lautverschiebung  eine  genauere  Betrachtung  gewidmet 
haben:    wenigstens    ist   diese   auf  einem    lebendigen 
Sprachorganitmus    basirte   Erscheinung  hier  eben  se 
wichtig,   als  was  f.  2  über  die  Rnnen  gesagt  wird. 
Dieses,  wie  alles  üebrige,   insonderheit  auch  das  f.  5 
über  die  von  Tacitus  .erwähnten  Heldenlieder  Vorge- 
brachte ist  nicht  geeignet,   ein6  besondere  Periode  in 
der  deutschen  Litteralurgeschichte  zu  bilden.    Einen 


'/: 


599 


_  s 

KoberMtein^  OeschieAie  der  deuiscAsn  ßiattQnal' 


3ts,  Ausgabe. 


.  600 
wohl  SU  unteraobeideih  too  der  spltorn  EDtaHimg'un. 
ter  den  Händen  der  Meietersänger  im  engeran  Sinne 
des  Wortes.  Ferner  bedarf  die  neuhochdeutscbe  Spra- 
che  noch  folgender  Absobuitte:  d)  Von  Luther  bh 
Opitz,'  b)  von  Opitz  bis  Klopstock,  e)  von  Klopstock 
bis  Goethe  und  zur  neueren  Zeit. 

Ein  wesentliches  Verdie|iBt  um  die  Behandlung  der 
deutschen  Litteraturgeschichte  auf  Gymnasien  hat  sich 
Hr.  K.  dadurch  erworben,  dafs  er  die,  einzelnen  Schrift- 
inrerke  überall  uifdit  blofs  nach  Poesie  ond  Pfosa  ge- 
schieden, sondern  auch  die  Hauptrichtungen  der  Poe^ 
,sie  (epische,  lyrische  — >  didactische  —  draniatiacbe) 
und  Prosa  (Roman,  Geschichte,  Philosophie,  Beredt- 
samkeit  u.  s.  w.)  wieder  besonders  abgehandelt 
hat.  Gegen  diese  ästhetische  Auffussungsweise  liersc 
sich  allerdings  einwenden,  dafs  dadurch  die  Betrach- 
tung eines  nach  verschiedenen  Seiten  hin  sich  beve- 
genden  Schriftstellers  nicht  nur  erschwert,  sondern 
auch  die  ursprünglich  zu  einem  Ganzen  gehörigeo 
Theile  ans  ihrem  lebendigen  Zusanimenhange  gerissea 
würden.  Aber  man  bedenkt  nicht,  dafs  bei  jener  Me- 
thode die  scheinbar  zerstückelten  Bestandtheile  der 
Littcratur  in  einer  höheren  ästhetischen  Einheit,  wie 
die  Radien  im  Centrum-  des  Kreises,  zusammenlaufen, 
und  dafs  es  nur  auf  den  rechten  Tact  des  yortrageo- 
den  Lehrers  ankommt,  die  zerstreuten  Erscheinungen 
eines  Individuums  am  rechten  Orte  r<}capitulirend  wi& 
der  zusammenzufassen. 

Gehen  wir  nunmehr  zur  Erörterung  einiger  Puncte 
im  Einzelnen  über. 

Was  f.  26  und  68  über  die  alt-  und  mittelbochdent- 
sehe  Verskunst  gelehrt  wird,  bedarf  auf  dem  gegenwärtig 
gen  Standpuncte  der  Wissenschaft  einer  genauereo  und 
schärferen  Bestimmung.  Jacob  Grimm  hat  in  der  Vorrede 
zu  den  von  ihm  und  Schmeller  herausgegebeneu  latei- 
erste  beginnt  um  360,   die  zweite  im  8.  Jahrhundert  .  nischen  Gedichten  des  10.  uiid  11.   Jahrhunderts  mit 


festen  Anhaltspunct  finden  wir  erst  in  einem  wirklichen 
;8prachwerk  aus  dem  vierten  Jahrhundert,  welches  in 
den  Ueberbleibseln  der  gothischen  Bibelübersetzung 
des  Ulfilas  erhalten  ist.  Hier  also  hätte  die  erste  Pe- 
riode anheben  und  in  der  geschichtlichen  Darstellung 
des  Organismus  der  gothischen  Sprache  und  dessen, 
was  uns  über  gothische  Heldenlieder  überliefert  ist, 
abgeschlossen  werden  sollen.  Statt  dessen  sind  äänimt- 
liehe  gothische  und  altdeutsche  Sprachdenkmäler  in 
Eine  Periode  zusammengefafst ,  wodurch  nicht  blofs 
eine  um  eine  ganze  Stufe  tiefer  stehende  Sprache  mit 
der  höher  stehenden  seltsamer  Weise  confundirt,  son- 
dern auch  noch  ein  zweiter  Mifsstand  erzeugt  wird, 
indem  das  älteste  Sprachmouument  erst  §.  49  aufge- 
führt ist,  nachdem  Jbereits  §.  34  das  seiner  Sprache 
nach  weit  später  abgefafste  Hildebrandslied,  f.  35  das 
Ludwigslied  und  der  Leich  auf  Otto  den  Gröfsen,  f. 
45  Otfrieds  Krist  u.  s.  w.  behandelt  worden.  Auf  so 
wesentliche  Unterscheidungen  wie  sie  die  Entwicke- 
lung  der  Sprache  augenscheinlich  ditrbietet,  hätte  bei 
Feststellung  der  Perioden  am  meisten  Rücfcsicht  ge- 
nommen Werden  sollen.  Nicht  weniger  tadelnswerth 
erscheint  es  uns,  dafs  die  Zeit  von  der  Mitte  des 
vierzehnten  bis  zum  Ende  des  sechszehnten  Jalirbun- 
derts  als  eine  eigne  Periode  angenommen  worden  ist, 
weil  weder  im  vierzehnten  noch  im  siebzehnten  Jahr- 
hundert  eine  eigentliche  Epoche  in  dem  Bildungsgange 
unserer  Sprache  eingetreten  ist.  Desto  entschiedener 
stellt  sich  der  niittelhochdeutschen  die  neuhochdeut- 
sche Sprache  gegenüber,  worauf  wir  weiter  unten  zu- 
rückkommen werden. 

Hiernach  bieten  sich  ganz  von  selbst  vier  Hanpt- 
Entwickelungsperiodeil  in  der  Geschichte  der  deutschen 
Sprache  dar:  1)  die  gothische,  2)  die  altdentsche,  3) 
die  mittelhochdeutsche,    4)  die  neuhochdeutsche.    Die 


(Mittelpuuct  Karl  der  Gräfte)^  die  dritte  im  12.  Jahr- 
hundert {ffoAenstafifen)^  die  vierte  im  16.  Jahrhun- 
dert. Dafs  dabei  hier  und  da  noch  besondere  Unter- 
abtheilungen  erforderlich  werden,  die  ja  der  Vf.  ohne- 
hin nicht  unterlassen  hat,'  versteht  sich  von  selbst.  So 
wäre  z.  B.  der  Glanzpunct  der  mittelhochdeutschen 
Poesie  unter  dem   Einflüsse    der  Fürsten  und  Ritter 


fiberzeugender  Gründlichkeit  dargethan,  däfs  wir  ii 
der  ursprünglich  auf -blofem  Accent  beruhenden,  aus 
acht  Hebungen  bestehenden  Langzeile  und  nirgend  ao* 
ders  den  uralten  volksmäfsigen  Vers  des  deutschen 
Heldenliedes  zu  suchen  haben,  der  bis  ins  ^chte  Jall^ 
hundert  seinen  Schmuck  aus  der  Allitteration,  nachher 
aber  aus  dem  Reim  entnommen  habe. 


(Der  Beschlufii   folgt.) 


wissen 


^76. 

Jahrbücher 

für 

schaftliche 


October  1839. 


Kr  i  t  i  k. 


Grwidrift  der  Oe$chichte  der  deutschen  National^' 
Idtteratur»  Zum  '  Oehrauch  auf  Oymnanen 
entworfen  .von  Aug.  Koberstein^ 

(Schlttfg.) 

Sowie  nno  der  Reim  des  Anlauts,  der  sich  Doch 
im  Hildebrandsiiede  findet,  schon  bei  Otfried  und  im 
Lodwigsliede  durch  den  Reim  des  Auslauts  verdrängt 
ist,  so  Monte  man  in  yorhistoriscber  Zeit  eine  Pe- 
riode vermutben,  wo  weder  Allittefation  noch  Endreim 
stattgefunden,  sondern  der  heroische  Vers  sich  blofs 
rAjftAmücA  uinerbalb  der  ihm  gesetzten  Schrauken 
von  acht  Hebungen  und  entsprechenden  Seniiungen 
bewegt  habe.  In  dieser  einfachen  Form  waren  viel- 
leicht die  von  Tacitus  erwähntpn  Heldenlieder,  der  Ger- 
manea  gedichtet,  wiewohl  es  auch  nicht  unmöglich  ist, 
dafs  in.  so  firfiber  Zeit  die  germanische  Poesie  ein 
äbnliehes.  Gesetz  der  Quantität ,  wie  die  griechische 
und  römische,  beobachtet  habe.  Mit  gröfster  Wahr- 
acbeinlicbkeit  ist  der  Ursprung  -des  Endreims  aus  der 
regelmäfsigen Anwendung  des  sogenannten  leoniniscben 
Hexameters  abzuleiten,  welcher  sich  in  lateinischen 
Gedichten  des  Mittelalters  häufig  findet  und  so  be- 
schaffen ist,  dafs  die  letzte  SUbe  der  ersten  Hälfte  in 
der  eaesnra  pentberoimeris  mit  der  letzten  Silbe  des 
ganzen  Hexameters  reimt.  Die  Aehnlichkeit  des  latei- 
nischen Hexameters  mit  der  aus  acht  Hebungen  beste- 
henden, deutschen  Langzeile  lag  zu  nahe,  als  dafs  nicht 
gelehrte  Mouche  auf  den  Gedanken  hätten  verfallen 
flollen,  gleichwie  früher  durch  die  als  heidnisches  Ele- 
ment in  Verachtung  gesunkene  AUitteration ,  so  seit 
dem  neunten  Jahrhundert  durch  den  Reim  des  Aus- 
lauts die  beid^in  kleineren  je  aus  vier  Hebungen  beste^ 
henden  Verse  zu  einer  Langzeile  zu  binden. 

^Hiernach  verdankte  der  die  poetischen  Formen 
der  neueren, deutschen  und  romanischen  Völker  beherr- 
schende  Endreim   seine    Entstehung   der  lateinischen 

Jahrb,  /•  mt$en$ck,  Kritik.  /.  1839.  II.  Bd. 


Dichtkunst  des  Mittelalters,  welche  hinwieder  diesen 
Schmnck*  aus  der  älteren  lateinischen  und  griechischen 
Litteratur  überkommen  hat,  sp  dafs  uns  die  Geschichte 
des  Reims,  wenn  auch  nicht  }>is  zu  den  homerischen 
Gedichten,  worin  die  hier  und  da  vorkommende  An- . 
Wendung  •  dieses  Gleichklaogs  in  der  Mitte  <und  am 
Ende  der  Hexameter  mehr  zufällig  als  absichtlich  sein 
niag,  doch  unbedenklich  bis  zu  den  ältesten  Elegikern 
zurückführen  würde,  welche  dergleichen  Homöoteleuta 
mit  absichtlicher  Vorliebe  als  kunstvollere,  wenngleich 
nicht  regelmäfsige  Bindemittel  der  beiden  Hälften  des 
Pentameters  sich  angeeignet  zu  haben  scheinen.  Der 
Grund  hiervon  ist  natürlich,  weil  der  Pentameter  durch 
die  Cäsur  gerade  wie  die  deutsche  Laugzeile  in  zwei 
gleiche  Hälften  zerschnitten,  wird;  weshalb  denn  die 
lateinischen  Elegiker  sich  auch  ii^  diesem  Punkte  die 
Griechen  zum  Vorbilde   dienen  liefsen :   die  einen  wie 

r 

die  andern  schwerlieh  aufs  Gerathewohl  hin ,  sondern 
unstreitig  von  eiuem  feinen  Gefühl  geleitet,  wie  es  dem 
zarten  Hauche  elegischer,  insonderheit  erotischer  Lie- 
der so  natürlich  ist.  Es  ist  daher  auch  eine  auffal- 
lende Erscheinung,  dafs  eben  die  Liebeselegie  der  Hel- 
lenen in  ihrer  geringen  Anzahl  auf  uns  gekommener 
Pentameter  den  Reim  verhältnifsmärsig  am  meisten 
liebt.  Bei  Mimnermos  kommt  er  freilich  nur  dreimal 
im  Pentameter  vor:  Ij  2.  iaoi  =  fiikoi  5,  2.  Oavatov  — 
QQX^Uov  10,  6.  XQvoifi^  BS  ^aXofiq»,  desgleichen  dreimal 
im  Hexameter:.  1,  7.  xajeai  =»  lUQiiivat  1,  9.  nouaiw  ■» 
yvvailly  14.  äycov  =  Xnncov^  Desto  häufiger  bei  den  alo- 
xandrinischen  Elegikern  Philetas,  Hermesianax  und 
Phanokles,  deren  Stellen  in, meiner  Ausgabe  S.  27  zu 
finden  sind,  worüber  schon  W.  v.  Humboldt  zu  seiner 
Zeit  an  mich  geschrieben  hat,  dafs  diese  Zusammen- 
stellung sehr  wichtig  sei  für  die  Behandlung  des  mu- 
sikalischen Wohlklangs  und  die  Geschichte  des  Reims. 
Dafs  demnach  der  Endreim  gleich  der  AUitteration  als 
ein  in  der  Natur  der  Sprache  selbst  tief  begründetes 

76 


603 


KoS^tteAty  Oe»eJUeAt4  der  dmU9kt»  Hati^md-Littert^ur.    SM  Auagmt^ 


m 


Bindemittel  in  seiner  sporadischen  Erscheinung  nrntt 
ist^  liegt  klar  itm  Tdge.  Seine  regeimitfsige  Anwen- 
dung hingegen  datirt  sich  erst  aus  dem  christlichen 
Mittelalter  und  greift  innntr  mächtiger  um  sich,  je  mehr 
die  romanischen  Sprachen  auf  der  einen,  die  deutsehe 
auf  der  andern  Seite  ihren  alterthümlichen  Charakter 
im  Laufe  der  Zeiten  verwischen  und  mit  schwächeren 
f^ormationen  vertauschen. 

Der  allmälig  immer  mehr  um  sich  greifende  Ver- 
'  lust  scharf  bezeichnender  und  stark  betonter  Flexio- 
nen, .  wie  sie  noch  im  Althochdeutschen  vorkommen^ 
hat  für  dte  Bildung  des  mittelhochdeutschen  epischen 
Verses  eine  zwiefache  Folge  gehabt,   Minderung  der 
Langzeile  um  zwei  Hebungen  und  Verlegung  des  Reims 
aus  der  Cäsur,  wofür  Grimm  a.  O.  S.  XXXIX  ff.  schla- 
gende Beweisgründe  beigebracht  hat.    Nnr  die  Frage 
wollen  wir  bei  dieser  Gelegenheit  erheben,  ob  sich  wohl 
nicht  unter  genauer  Berücksichtigung  der  historischen 
Entwickeinng  unserer  Sprache  nnd  Poesie  ein  durch- 
aus Nationaler  Vers,  wie  er  der  neuhochdeutschen  Spra- 
che'  annoch   abgeht,    für  das  Epos   gewinnen    lasse. 
Uhland  n.  a.  haben  sich  allerdings  schon  in  erzählen- 
den Gedichten    der  Nibelungenstrophe  mit  Glück  be- 
dient.    Allein  ich  befürchte^  dafs  weder  der  Reim  noch 
der  Strophenbau  einer  dem  Geiste  der  neueren  Zeit 
und  nenhoohdeutschen  Poesie  entsprechenden  epischen 
Composition  von  grofserem  Umfang  günstig  ist.    Für 
tlie  deutsche  Tragödie  hat  das  Vorbild  der  Hellenen 
durch  angemessene  Modiiicatiofa  des  iambischen  Tri- 
roeters  längst  entschieden.     Solltd  uns  dadurch  nicht 
ein  Wink  gegeben  sein,   den  mittelhochdeutschen  epi- 
schen Vers  mit  Beseitigung  von  Reim  und  Strophen* 
bau  (wie  man  ja  auch  vordem  die  Fesseln  der  AUitte- 
ration  wieder  abzustreifen  gewufst)  für  das  neuhoch- 
deutsche Epos  ebenso  zu  verwenden  wie  den  antiken 
Hexameter,   dem  nun  und  nimmermehr  ein  wahrhaft; 
nationales  Gepräge  wird  aufgedrückt  werden  können? 
Wir  würden  uns  in  diesem  Falle  der  Veränderungen, 
welche  durch  das  Abschleifen   früherer  Sprachformen 
schon  im  Mittelhochdeutschen  nothwendig  herbeigeführt 
worden  sind,  einerseits  nicht  entschlagen  und  statt  der 
ursprünglichen  acht  Hebungen  nur  sechs  anbringen  dür- 
fen, andererseits  aber  in  der  freieren  Bewegung  des 
erzählenden   Gedichtes    bedeutend    gefördert    werden, 
wenn  wir  zu  der  uralten  blofs  rhythmischeti  Form  im 
wesentlichen  zurückkehrten  und  uns  dabei  den  organi- 


schen Wechsel  ianribisdier  und  trochftisther,  nach  Be- 
dürfntfs  auch  wohl  daktylischer  und  anapästischer  Füfie 
-zn  gute  kommen  liefsen. 

Den  Glanzpunkt  der  deutschen  Poesie  währenddes 

Mittelalters  erblicken  wir  im  Zeitalter  der  Minneili. 

ger.    Um  ihr  Verhältnifs  zh  den  äufsem  und  rnnen 

Zuständen  Deutschlands  richtig  aufzufassen,  wird  f 

52 — 60.  eine  gehaltreiche  Uebersicht  der  politischen  ml 

wissenschaftlichen  Einwirkung  auf  die  Blöthe  und. da 

beginnenden  Verfall  der  Poesie  gegeben.    Wie  dsa  Le* 

ben  des  Staates,  so  erscheint  auch  die  Entfaltusg  g«i. 

stiger  nnd  sittlicher  Kräfte  unter  dem  ewig  denkirfr 

digen  Scepter  der  Hohenstaufen  in  seiner  eigeotlidiei 

Glorie.'  Treiflich  gelungen  und  in  kräftigen  Zügen  zu* 

sammengedrängt,   ist.  die  Schilderung  der  Regierof 

Friedrichs  I.  und  Heinrich^  VI.,  unter  welcher  Dentiok 

land  nach  manchen  Erschütterungen  und  Schwankiis- 

gen  in  seinem  Innern  zu  einer  solchen  Festigkeit  soi 

Ruhe  gelangte,  dafs  es  als  ein  grofsea  wohlgegliede^ 

tes  Ganzes   erscheinen  -  konnte.    Die  Brweiteruog  d« 

Handels,  das  Emporkomiiien  des  Städtewesens,  die 

Blüthe  des  deutschen  Ritterthums,  der  Glanz  der  ff^ 

fseren  und  kleineren  Hdfe  mit  ihren, Turnieren  und  ai- 

dem  Festlichkeiten,  alles  dieses  mufste  den  Sinnfir 

frohen  Lebensgenufs   wecken*  und  einen  ZustiM  der, 

Dinge  herbeiführen,  in  dem  sich  die  Gegenwart  .mit  bei* 

term  Behagen  bewegte,  die  Poesie  wie  tou  selbst  ei» 

stellte,   und  nach   welchem   das    nächetfbigende  ^ 

schlecht  wie  nach  einer  dahing^sebwundenen  goldeoei 

Zeit  sich  zurücksehnte.     Ungeachtet  der  unheilvoHei 

Spaltung  nach  Heinrichs  VL  Tode  und  der  yieles  Wi* 

derwärtigkeiten ,  mit  denen  Friedrich  II.   zu  kämpfeli 

hatte,  war  gleichwohl  die  Lage  und  Stimmung  Deutsek ! 

lands  hoch  immer  nicht  so  trostlos,  dafs  sie  die  Freada  | 

an  poetischen  Genüssen  hätten  aus  dem  Leben  Tefr 

drängen  können.    „Vielmehr,  sagt  unser  Vf.,  ftUt  g» 

rade  in  diese  Jabrzehnde  die  eigentliche  Wirksamkeit 

der  meisten  ausgezeichneten  Dichter  (z.  B.  WaltlieM 

Ton  der  Vogel  weide,  welcher  erst  den  eigentlicfaeo  Cri*^ 

minationspunkt  d6r  deutschen  Lyrik  erreicht  bat)  di» 

ses    Zeitraums,  deren  Jugend  und  erstes  ManneasKer 

ja  noch  jenen  bessern  Tagen' angehört  und  sie  wii^ 

nossen  hatte.    Auch  tetrafen  die  Streitigkeiten,  die  da* 

mals  das  Reich  aufregten,  noch  nicht  so  wie  späterfaio 

blofs  persönliche  Verhältnisse;  die  ganze  Nation  naluB 

mehr  oder  weniger  daran  Theil,  und  die  Dichter  koofi» 


M^imräUith  GemMekie  der  Smüseken  NmtimM^  Lüier^iur.    9ie  JuBgoti^ 


606 


taO)  waott  iio  ilii#  StaUung  itn4  Umgobung  b^griffeB, 
in  dem  was  das  öffentHcbe  Leben  ihnen  von  dieser 
Seite  darbot,  die  Mittel  finden  aof  die  Meinung  des 
^Ages  Binflofs  sa  gewianen,  sich  selbst  die  Gaset  der 
Grofsen  nnd  ihren  Djchtnngea  schnelle  nnd  weite  Ver^ 
brcitnng  zn  verschaffen.  Und  wirklich  bewegen  sich 
Tiele  der  schönsten  lyrischen  Gedichte  dieser  Zeit  ganz 
in  den  Verhältnissen  des  öffentlichmi  Lebens,  anf  des- 
sen Beartheilnng  und  Erfassung*  sie  bei  den  Zeitgenos- 
sen nicht  ohne  Einwirkung  gewesen  sein  können."  — 
Leider  sollte  diese  köstliche  Bliithe  des  deutschen  Gei- 
stes nach  Friedrichs  U.  Tode  nnr  allznsohnell  wieder 
Tcrwelken« 

In  dem  zweiten  Abschnitte  bandelt  der  Verf.  über 
^radie»  Verskunst,  Schule,  das  allgemeine  Verhält- 
iiira  der  höfischen  Dichtkunst  cur  Yolkspoesie.  In  der 
lyrischen  Poesie  hat  man  wesentlich  einen  doppelten 
Stropbenbau  zu  beachten  r  I)  den  bei  Sprüchen  und  Lie- 
deini,  2)  den  bei  Leichen  angewendeten.  I>er  Spruch 
besteht  seiner  Natur  nach  immer  nur  aus  Einer  Stro- 
phe,  während  sich  das  JLied  am  häufigsten  in  zwei  und 
aehreren  Strophen  bewegt,  die  aber  alle  der  ersten 
durchaus  gleich  gebaut  sein  müssen.  Es  lassen  sich 
unterscheiden :  a)  Strophen  voa  vier,  sechs  und  mehr 
Zeilen,  indem  je  zwei  unmittelbar  aufeinander  folgende 
durch  den  Endreim  gebunden  sind;  A)  solche  Ton  fünf 
oder  sieben  Zeilen,  wo  auch  unvörschränkte  Bindung 
stattfindet,  aber  zwischen  den  Reimen  des  drittletzten 
nnd  letzten  Verses  jbui  reimloser  (Waise)-  eingescho- 
ben ist;  e)  Strophen  von  acht  Zeilen,  in  denen  reim« 
lose  mit  gereimten  regelmäfsig  wechseln,  jene  von  vier, 
diese  meist  tou  drei  Hebungen.  Davon  ist  die  Form 
der  Leiche  (worin  aach  Heien  und  Tänze  gedichtet 
ifHrden)  wesentlich  verschieden,  indem  sie  keinen  fol- 
gerecht durchgeführten  Strophenbau,  wie  in  den  eigent- 
lldien  Liedekrn,  kennt,  sondern  aus  einem  Ton  in  den 
andern  fibergegangen  werden  kann,  doch  so,  dafs  wo 
der  Dichter  zu  ähnlichen  Gefühlen  oder  Gedanken  zu- 
rftekkebrt,  auch  oft  dasselbe  System  wiederholt  wirdf 
indeui  ferner,  während  im  Liede  mit  der  Strophe  der 
Qedanke  abscblieTsen  mufs,  hier  eher  das  Hinübergrei- 
fen des  Sinnes  aus  einem  System  in  das  andere  ge* 
snoht  wird.  Ihrem  Stoffe  nach  zerf&Ut  die  lyrische  Poe* 
sie  des  deutschen  Mittelalters:  1)  in  eigentliche  Min' 
$9cliedery  entsprungen  ans  der  besondem  Scheu  und 
Ehrfurcht  der  Deutschen  vor  dem  weiblichen  Geschlechte 


(cf.  Taoiti  Germ,  c*  18*  J.  Grimm  deutsche  Mytho- 
logie S.  225>,  welche,  unter  dem  Einflüsse  des  Ritter- 
tbums  und  lies  in  der  heiltflfen  Jungfrau  von  der  Kirche 
aufgestellten  Ifleals  der  Weiblichkeit  einen  ctigenthüm- 
lich  schwärmerischen  Charakter  annahm;  2)  religiöse 
hfrisehc  Gedichie  in  kunstmäfsiger  Form  von  Leichen, 
Liedern  und  Sprüchen ;  3)  an  einzelne  Fürsten  und  Edle 
gerichtete  Lob  -  und  Strafgedichie^  Kläggeiänge  auf 
berühmte  Verstorbene  und  die  aus  jenen  entsprungenen 
polüiMchen  Gedichie  \  4)  gnomitehe  Ijieder  uiidi^frü' 
che^  als  PaSeluy  Gleichnisse  und  HäthieL 

Die  vierte  Periode  erstreckte  sich  in  der  ersten 
Ausgabe  des  Grundrisses  von  der  Mitte  des  14.  bis  in 
den  jin/anß  des  16.  Jahrhunderts,  reicht  aber  in  der 
dritten  Au^ige  bis  zum  Ende  deji  16«  Jahrhunderts. 
Sicherlich  aber  ist  der  Anfang  oder  das  erste  Drittel 
des  16.  Jahrhunderts  weit  beseichoender  für  den  Be- 
ginn einer  neuen  Periode,  als  der  Anfang  des  17.  Jahr- 
nunderts,  welches  in  der  Ausbildung  der  deutschen 
Prosa  wenigstens  eher  einen  Schritt  rückwärts  als  vor- 
wärts gethan  hat.  Denn  eben  der  Zeitpunkt  ist  zur 
Feststellung  einer  neuen  Periode  am  meisten  entschei- 
dend, wo  die  Prosa  ganz  unabhängig  von  der  Poesie 
zuerst  selbständiger  hervortritt  in  dieser  Hinsicht  ist 
aber  Luthers  Bibelübersetzung  ein  um  so  sicherer  An- 
haltspunkt, als  man  von  da  ab  allmälig  anfing  eine  all- 
gemem  verständliche  Schriftsprache  einzuführen,  wäh- 
rend man  sich  früher  bald  mehr  bald  weniger  nicht 
überall  leicht  verständlicher  Mundarten  bedient  hatte. 
Wir  müssen  es  daher  als  einen  grofsen  Gewinn  anse- 
hen,  dafs  Luther,  an  der  Grenze  von  Ober-  und  Nie- 
derdeutschland geboren,  erzogen  und  gebildet,  die  Ele- 
mente dieser  beiden  Hauptmundarten  auf  eine  äufserst 
glückliche  Weise  zu  einer  hochdeuischen  Schriftspra- 
che verschmolz^  die  am  leichtesten  und  schnellsten  all- 
gemeine Geltung  erhalten  konnte«  Nehmen  wir  dazu, 
dafs  Luthers  Bibelübersetzung  aus  den  bereits  vorhan- 
denen früheren  Uebersetzungen  wie  ans  den  im  Munde 
des  Volkes  aus  undenklicher  Zeit  fortgepflanzten  bibli- 
schen Kern-  und  Kraftausdrücken  gerade  dasjenige  in 
sich  aufnahm,  was  die  Gemüther  am  lebhaftesten  er* 
grifl^en  hatte  und  schon  längst  ein  unveräufserliches 
Gemeingut  der  christlichen  Kirche  in  Deutschland  ge- 
worden war;  so  erklart  sich  am  natürlichsten  der  mäch- 
tige Einflurs,  den  sie  auf  die  ganze  deutsche  Sprache 
(katholische  Schriftsteller  —  wenn 'auch  manchmal  wi« 
der  Wissen  und  Willen  —  keineswegs  ausgenommen) 
seit  drei  Jahrhunderten  ausgeübt  hat.  Wer  daran  noch 
zweifeln  sollte,  der  lese  Friedrich  Sohlegels  geistreiche 
Darstellung  in  seiner  Geschichte  der  Litterat  ur. 

Je  gröfser  der  Fortschritt  war,  den  die  Ausbildung 
der  deutschen  Prosa  zu  machen  anfing,  desto  tiefer 
sank  die  unter. dem  Haodwerkszwange  der  Meistersän- 

5er  schon  früher  entwürdigte  Poesie  im  Laufe  des  16. 
ahrhunderts  herab  und  war  höchstens  auf  Kirchen« 
und  einige  Völkslieder  beschränkt.  Die  Gelehrten, 
wenn  sie  sich  einmal  in  dieses  Feld  verstiegen,  dich- 
teten aus  Verachtung  gegen  ihre  Mutterspradie  Latei- 
nisch;    Das  in  Italien  zuerst  wieder  erwachte  Studium 


KöberHein^  Guehkhte  der  Jmdwhen  NAtÜmuU  *  lAüeratur.    3<#  AuMgmie. 


607 

der  grieobtsoben  und  lateinisöhon  Litteratiur  wirkte  xwar 
in  der  R'eformationsxeit  auch  auf  Deutcchland  mächtig 
ein;  allein  parteiische  Yornrtbeile,  wie  sie-iD  Mouienten 
gewaltiger  Gührung  aufzutauchen  pflegeu,  wareo  wohl 
die  Hauptursache,  dafs  man  Anstand  nahm  die  vater- 
'  lündiscfae  Poesie,  geläutert  und  belebt  tturch  das  Ele- 
ment der  classischeii  Bildung,  nach  dem  Vorbilde  der 
mittelhochdeutschen,  Muster  zu  reorganisiren,  indem  die 

Erotestantischen  Gelehrten,  wie  der  Verf.  sehr  richtig 
emerkt^  sich  immer  mehr  von  dem  abwandten,,  was 
das  Mittelalter  im  Gebiete  des  Geistes  hervorgebracht 
hatte,  weil  es  ihnen  in  Finsternifs  uud  Aberglauben 
gehüllt  erschien.  Lobenswerth  ist  die  unparteiische 
Auffassung  aller  Verhältnisse,  welche  auf  die  Litera- 
tur eingewirkt  haben  ^  und  der  Rec.  glaubt  aus  inniger' 
Ueberzeugung  versichern  zu  dürfen,  dafs  Hr.  K.'  weder 
den'  katholischen'  noch  den  evangelischen  Glaubensge- 
nossen irgendwie  zu  nahe -getreten  ist:  durch  solches 
leidenschaftslose  und  zugleich  gründliche  Streben  dürfte 
das  seit  kurzem  immer  lockerer  werdende  religiöse 
Band  der  verschiedenen  Richtungen  der  chriätiicheu  Ge- 
meinschaft am  ersten  wieder  befestigt  und  zum  Heil  uud 
Frommen  der  Wissenschaft  und  Kunst  wie  des  Staates 
,  und  der  Kirche  um  Millionen  geschlungen  werden.  Muis 
*  ja  die  christliche  Religion,  oft  genug  zergliedert  uiid 
zörstreut^  sich  doch  endlich  immer  wieder  am  Kreuze 
zusammenfinden. 

Den  Mittelpunkt  der  von  dem  Verf.  angenomme- 
nen fünften  Periode,  bildet  unstreitig  die  sogcuaniite 
Bchlesiscfae  Dichterscholo,  wenn  gleich  Opitz^  ihr  Mei-^ 
ster,  nichts  weniger  als  eine  in  lebendiger  Fülle  und 
Kraft  strömende  poetische  Ader  bcsafs.  Um  so  weni- 
ger berechtigte  daher  diese  Erscheinung  zur  Annahme 
eiuer  eignen  Periode,  die  vielmehr  lediglich  als  eine 
Fortsetzung  des  von  Luther  gebahnten,  aber  durch  un- 
'  günstige  Zeitverhültiiisse  theilweise  wieder  verschütte- 
ten Weges  anzusehen  ist.  Als  ein  Hauptverdienst  die- 
ses Dichters  wird  die  Eintuhniug  der  richtigen  Silben- 
messung in  die  Poesie  bezeichnet,  die  aber  auch  aude- 
rerseits  eine  gewisse  steife  Regelmäi'sigkeit  vorbereitet 
bat,  wie  sie  später  in  der  Gottschedschen  Schule  auf 
die  Spitze  getrieben  worden  ist  —  ein  passendes  Ge- 
genstück der  gleichzeitigen  Reifröcke  und  Alongen- 
perücken.  Die  hervorstechendsten  Talente  in  der  er- 
sen  schlesischen  Schule  waren  unstreitig  Paul  Fleui- 
ming  und  Andreas  Gryphius,  was  wir  namentlich  bei 
dem  ersteren  mehr  hervorgehoben  wünschten.  Der  we- 
sentliche Unterschied  zwischen  der  ersten  und  zweiten 
sohlesischen  Schule  scheint  uns  nicht  scharf  und  be- 
stimmt genug  ins  Licht  gestellt  zu  sein,  wie  de'nn  auch 
die  charakteristischen  Meijcmale,  wodurch  die  beiden 
Koryphäen  dieses  modernen  Geschmacks;  Hofii|iauns- 
waldau  und  Lohenstein,  divergirend  hervorragen,  erst 
mit  Noth  nach  den  Anmerkungen  abstrahirt  werden 
müssen.  Auch  ist  es  ein  handgreiflicher  Irrthum,  wenn 
dem  schwülstigen  Lohenst'ein  ein  bedeutenderes  poeti- 


sches Talent  beigelegt  wird,  als  dem.  sinnlich  latciren 
Hoffmannswaldau,  den  man  niclit  oime  Grand  für  deo 
Vorläufer  Wielands  zu  halten  pflegt. 

Mit  der  Thropbesteigung  Friedrichs  des  Grofsen 
erhielten  die  gedrückten  politischen  Verhältnisse  Dent^k- 
lands  urplötzlich  eine  andre  Gestalt  und  atbmelen  eil 
frischeres  Leben,  welches,  wie-auf  geistige  AasbildaDg 
überhaupt,  so  auf  die  Litteratur  insbesondere,  vie  sie 
sich  in  der  angenommenen  sechsten  Periode  zu  gestal* 
ten  anfing,  einen  bedeutenden  Einflufs  hatte,  so  wenig 
auch  sonst  der  deutsche  Fürst  zuV  Beförderang  vate^ 
ländischer  Poesie,  aus  einem  tief  eingewurzelten  Vor- 
urtheil  seiner  Zeit,  beizutragen  sich  geneigt  fühlen 
mochte.  Mit  desto  freierem  Geiste  trat  daher  ni 
rechten  Stunde  Klopstook  auf,  um  zunächst  das  hei* 
mische  Gebiet  von  fremden  Schlacken  zu  reini^a  nnd 
Religion  und  Vaterlandsliebe  und  Alles  was  seine  gro- 
fse  und  edle  Seele  .bejvi'egte  zu  Trägern  seiner  Dicb- 
ttmgen  zu  machen.  Jetzt  erst  folgte  Schlag.  nafSohlng 
eine  wunderbare  Erscheinung  in  der  deutschen  Litte» 
ratur  nach  'der  andern^   bis  zuletzt  Goethe  den  Höhe- 

funkt  des  deutschen  Geistes  in  sich  concentrirend  ein 
deal  aufstellte,  tvelches  alle  früheren  Bestrebungen 
weit  hinter  sich  liefs.  Was  in  der  Rcproduction  des 
classischen  Alterthums  durch  holländischen  Sau)mle^ 
fleifs,  durch  englischen  Scharfsinn  und  durch  deutsche 
Genauigkeit  seither  geleistet  war,  das  hat  Priedridi 
August  Wolf  unter  einen  höheren  Gesichtspunkt  n 
bringen  und  mit  der  Tiefe  seines  Geistes  als  selbstäo* 
dige  Wissenschaft,  als  das  festeste  Fundament  deot- 
scner  Jugendbildung,  ein  für  allemal  zu  begründen  ge> 
•  warst.  Nachdem  nun  später,  noch  Wilhelm  von  Hum- 
boldt, änfser  seinen '  grofsen  Verdiensten  um  die  Te^ 
gleichende  Sprachforschung^  dem  höheren  Unterrichts^ 
Wesen  in  Preufsen  eine  ganz  neue  Gestalt  zu  geben 
und  einen  Geist  einzuhauchen  vermocht^  welcbeF  in 
unserer  Zeit  seine  Früehte  zu  tragen  beginnt,  vurdl 
der  kräftigste  Damm  gegen  alles  ultramontane  ood 
transrhenane  Wesen  im  Gebiete  deutscher  Wissen- 
Schaft  und  Kunst  errichtet. 

Der  ganze  Zeitraum  seit  dem  zweiten  Viertel  des 
18.  Jahrhunderts  bis  auf  die  neueste  Zeit  zerfallt  la 
drei  Unterabtheiluogen^  voj)  denen  die  erstere  die  Haupt- 
momeute  in  dem  Bildungsgange  der  deutschen  Natio* 
Hallitteratur  bis  um  das  Jiihr  1770,.  die  zweite  bis  tm 
Jahre  1795,  die  dritte  bis  in  die  ersten  Jahre  des  U 
Jahrhunderts  darstellt.  Dafs  die  Geschichte  der  neue- 
sten deutschen  Litteratur  seit  den  letzten  30  Jabren 
fast  ganz  ausgeschlossen  worden,  entschuldigt  der  Tf« 
dadurch,  dafs  diese  Entwickelungsstrophe  noch  zu  sehr 
in  die  unmittelbarste  Gegenwart  herubergreift,  zu  eu 
mit  den  Interessen  des  Tages  zusammenhängt  und  nodi 
zu  wenig  zum  Abschlufs  gekommen  ist,  als  dafs  es 
sich  geziemen  möchte,  sie  in  den  Kreis  des  Schnlun- 
terriohtes  zu  ziehen. 

Dr.  N.  Bach. 


j  a 


Jlf  77. 

h  r  bu  ch 


e  r 


für 


wissenschaftliche    Kritik 


October  1839* 


XXXVIII. 

Herbert  Qder  Papst  Sylvester  IL  find  sein  Jdhr^ 
hundert,  von  Dr.  C.  F.  Hoch.  Wien  1837. 
IV.  u.  239  8.    in  8. 

Eb  werden  bald  hnndert  Jafare,  dafs  die  Beoedio- 
tiiier  Ton  St.  Maur  mit  dem  Fleifse  und  der  umfassen» 
den  Gelehrsamkeit,  die  ihrer  Congregation  auTergäng- 
li^e  Verdienste  um  die  Rirchengesobichte  des  Mittel- 
alters erworben,  eine  ansfübrltcbe  Lebensbeschreibung 
Gerlieit's  in  dem  6ten  Bande  der  histoire  litt^raire  de 
la  Franoe  lieferten^  Diese  Abhandlung  galt  bisher  fär 
das  Beste  über  Gerbert.  Bei  dem  erneueten  Streben 
iailefs,  mit  welchem  seit  einigen  Jahrzehnden  allseitig 
an  die  Erforschung  des  Mittelalters  gegangen  wird,  war 
as  SQ  erwarten,'  dafs  eine  so  bedeutende,  in  dem  Leben 
wie  in  der  Wissenschaft  sich  vor  allen  Zeitgenossen, 
herrorhebende  Erscheinnng  eine  neue,  vom  Standpunkt 
^r  faevtigen  Wissenschaft  unternommene  Bearbeitung 
.hervorriefe. 

Eine  solche  hat  Hr.  Hock,  schon  durch  seine  kleine ' 
Schrift  über  Cartesins  bekannt,  in  dem  angezeigten  Bu- 
^e  geliefert.  Seine  Absicht  ging,  im  Widerspruch  mit 
den  bieherigen  Bearbeitern,  dahin,  Gerbert  nicht  blofs 
nach  seinen  äufserlichen  Beziehungen,  sondern  ak  ein 
^itoth wendiges  Moment  in  dem  Entwicklungsgänge  der 
Jüensefaheit'Vanfzufatsen,  und  zu  diesem  Zwecke  hat  er 
der  eigentlichen  Lebensbeschreibung  zwei  Abhandlun- 
f^en  über  den  christlichen  Inhalt  der.  Geschichte  und 
der  Wissenschaft  im  Mittelalter  und  über  die  Entwick- 
luDg  und  Ausbreitung  der  Wissenschaften  bis  zu  den 
-Zeiten  Gerbert's  vorhergehen  lassen. 

Von  diesem  specnlativen  Gesichtspunkte  ausgehend, 
iet  der  erste  Abschnitt  von  einem  gewissen  pseudo-phi- 
losopbischen  Elemente  erfüllt,  welches  den  Werken  jün- 
gerer Gelehrten  nur  zu  häufig  eine  Uebersohwänglioh- 
keit  uad  Unklarheit  der  Ideen  verleiht,  durch  welche 
Jahrl.  /  triftenicA.  KriOc.  J.  1830.    II.  Bd. 


der  Sache,  die  sie  fSSrdern  wollen,  nicht  selten  der 
gröfste  Schaden  zugefügt  wird.  Wir  verkennen  des 
Yfs.  gute  Absicht  nficht.  Er  erachtete  es  für  npthig,  - 
das  geistige  Terrain  zu  gewinnen,  auf  dem  ein  solcher 
Heros  fufste,  und  glaubte  hierbei  vorzugsweise  „das 
specnlative  Moment  ins  Auge  fassen  zu  müssen."  Auch 
würden  wir  die  Richtigkeit  dieser  Betrachtungsweise 
zugestehen,  wenn  es  sich  hier  um  Reproducirung  eines 
philosophischen  Systems  hfmdelte;  aber  Gerbert  war 
bei  allec  seiner  Wissenschaftlichkeit  eine  so  reale,  dem 
Leben  und  seinen  Forderungen  hingegebene  Existenz, 
das  philosophische  Werk,  welches  wir  von  ihm  besit- 
zen (de  rational!  et  ratione  uti)  steht  dem  specnlativen 
Inhalt  der  mittelalterlichen  Philosophie  so  fern^  dafs 
wir  bezweifeln  möchten,  ob  vom  speculativen.Geaichta» 
punkte  aus  sein  Wesen  sich  uns  erschliefsen  und  zum 
wissenschaftlichen  Bewurstsein  gebracht  werden  könne. 

Indem  der  Vf.  dann  den  geistigen  Procefs  zu  schil- 
dern unternimmt,  der  sich  in  der  Wissenschaft  vor 
Gerbert  vollzog,  erweckt  er .  bei  dem  Leser  die  Erwar- 
tung, dafs  in  der  eigentlichen  Biographie  nachgewiesen 
werde,  wie  alle  jene  geistigen  Bewegungen  «ich  in  Ger- 
bert gestaltet  hätten.  Doch  dieser  Theil  der  Arbeit  des 
Hrn«  H.  hat  einen  von  der  Einleitung  ganz  verschiede- 
nen Charakter.  Es  ist  eine  fleirsige,  nach  den  geschicht- 
lichen Urkunden  ziemlich  treu  bearbeitete  Schrift  $  jene 
oft  so  störenden  Phrasen  Verschwinden  ganz ;  der  Styl 
•verliert  das  Geschraubte  \  der  Ausdruck  ist  einfaeh,  ge- 
mäfsigt,  ohne  doch  der  gehörigen  Fülle  zu  entbehren« 

Diesen  Charakter  der  Einfachheit  hat  schon  der 
zweite  Theil  der  Einleitung,  der  eine  dankenswerthe, 
klare  Uebersicht  der  Geschichte  der  Wissenschaften 
im  Mittelalter  bis  auf  Gerbert  giebt,  und  von  bedeu- 
tenden Stadien  des  Yfs.  in  diesem  Fache  zeugt;  wenn 
derselbe  auch  vielleicht  zuviel  auf  die  Autorität  MabiU 
lon's  (Annal.  Ord.  S.  Ben.)  und  der  übrigen  Mauriner 
fiberhaupt  gegeben  hat. 

77 


n 


611  BoeJkj   Geriert  §d0r 

Gehn  wir  nun  tnm  eigentliölMi  Werk  telbat  fiber» 
so  ist  hier  besonders  das  Verdienst  desselben«  tin  fri- 
schejs»  ansohanliches  Gemälde  Gerbert's  und  seiner  Zeit 
sn  fiew&hren,  bervorsubeben.  Aber  der  Biograph  eines 
Mannes,  dessen  Leben  ebenso  sehr  der  Soge  als  ^r 
absichtlichen  Verfälschung  anheimgefallen  ist,  b^^^^ 
aufserdem  noch  die  Verpflichtung,  das  rein  Thatsäch- 
liehe  mit  allem  Fleifse  und  Scharfsinn  zu  ergründen. 
In  dieser  Bexiehung  hat  sieh  der  Vf.  grofse  Verdienste 
um  die  Gesohichte  Gerbert's  und  seiner  Zeit  erworben, 
und  dies  zumeist  durch  eine  genauere  und  sorgfaltigere 
Benutzung  der  Briefe  seines  Helden  selbst.  Insofern 
inöchte  sein  VlTerk  mit  H|irter*s  Inaooenz  IIL»  den  sich 
der  Vf*  auoh  sonst  zum  Muster  genommen  zu  haben 
scheint,  Aehnlicbkeit  haben. 

Diese  Briefe,  von  denen  der  Vf«  p.  189  eine  ziem- 
lich vollständige  bibliographische  Notiz  giebt,  sind  lei- 
der nur  nach  den  höchst  mangelhaften  Himdschriften 
von  PapiriuB  Massen  und  Sirmond  bekannt,  und  wir 
bedauern  dies  um  so  mehr,  als  si^  mit  alleiniger  Aus* 
Afdune  des  jetzt  wieder  aufgefundenen  Richer,  welchen 
wir  im  nächsten  Bande  der  Monumenta  nach  seinem 
Autographon  gedruckt  erhalten  werden,  und  aus  dem 
Hr.  Constantin  Uöfler  in  der  Receinsion  des  hier  ange- 
zeigten Werkes  (Miinchener  gel.  Ans.  1837.  146^152) 
nach  einem  Bamberger  Codex  wichtige  Auszüge  mit- 
theilt, über  die  Tbronveränderung  in  Frankreich  ui|s 
bei  der  Dürftigkeit  der  Chroniken  die  Stelle  aller  übri- 
gen Nachrichten  vertreten  müssen.  Hr.  Uöfler  giebt 
uns  ebendaselbst  p.  137  die  erfreuliche  Nachricht,  dafs 
im  nächsten  Bande  der  Monumenta  neu  aufgefundene 
Briefe  Gerbert's  mit  den  verbesserten  alten  erscheinen 
sollen,  obwohl  sie,  wie  wenigstens  aus  dem  Archiv  VI, 
p.  311  erhellt,  sich  iiicht  unter  der  Zahl  der  heranszo- 
gebenden  Briefe  ursprünglich  befanden,  und  Pertz  auch 
nur  eine  neuere  Abschrift  des  kleinern  Sirmond'schen  Cob 
dex  in  Italien  bat  entdecken  können.  (Ital.  Reise  p.339. 
VgL  aber  jetzt  Arch.  VII.  p.  98. 116.  129. 137.  871.) 

Der  Vf.  hat  nun  diese  Briefe  zu  einem  Gegenstande 
^iner  besondem  Prüfung  gemacht,  und  darauf  wesent-  ^ 
lieh  seine  Darstellung  vom  Lieben  Gerbert's  gegründet. 
In  dieser  Uatittsuchung  ist  er  durchaus  auf  §^z  an- 
dere Ansiditen  über  ihre  Ordnung  gekommen,  als  bis- 
her nach  der  Autorität  Mabillon's  und  Bouquet's  gal- 
ten. Während  diese  nämliclr  die  Briefe  aus  der  Reihe- 
folge, wie  sie  im  Codex  des  P.  Massen  u.Jac.  Sil 


F/i^  Sylißsster  II.  612 

> 

sieh  befanden,  risseB  und  iHUktlliriieh  «nstelMse,  6^ 
klärt  der  Vf.  p.  191,  dafs  sie,  wenn  auch  nicht  dud^  * 
gängig,  doch  wenigstc^na  zum  grdfsten  Theil  mitBeaA> 
Inag  der  chronologisohen  Ordnung  berausgegeben  seies.  ' 

Der  Ref.  hält  dier  für  unbedingt  richtig,  nsd  ftUt 
sich  um  so  mehr  gedrungen,  es  init  dem  gebühreodeD 
Lobe  hervorzuheben,  als  eine  mehrjährige  Besohifii. 
gnng  mit  den  Briefen  ,  Gerbert's  ihn  im  Grofsea  asd 
Ganzen  zu  demselben  Resultate  gef&hrt,   Hr.,  CosiL 
Böfler  aber  in  der  Benrtheilung  dieses  Werks  das  gio> 
fse  Verdienst  unseres  Autors,  dies  zuerst  gesehen  m 
haben,   mit  Stillschweigen  übergeht.    Wenn  aber  as- 
drerseits  der  genannte  Recens.  findet,  dafs  der  Vf.  mit 
meist  lobenswurdigef  Genauigkeit  gearbeitet  kabe,  to  , 
mufs  Ref.  ihm  auch  hierin  entgegen  sein.    Ihm  sohebt 
vielmehr  Hr.  H»  nicht  diejenige  Sorgfalt  angewandt  n 
haben,  die  geeignet  gewesen  wäre,  seinem  Weike  et 
neu  dauernden  wissensebaftlichen  Werth  zu^erleUMSS  I 
und  während  Hr.  Höfler  weiter  ihm  darans  nagered^ 
ter  Weise  einen  Vorwurf  macht,  dafs  er  nAgednickte 
Quellen  nicht  benutzt  habe,  erheben  wir  -gegen  den  Vt 
den  gewifs  begründeteren,  dafs  er  längst  bekannte  snt* 
weder  gar  nicht  oder  doch  nieht  gehörig  zn  Ratk 
gezogen« 

Dieser  Mangel  einer  strengen,  auch  das  kleissli 
Detail  ergründenden  Untersuchung,  möchle  indessen  an 
wenigsten  in  dem  hervortreten,  was  der  Vf*  über  ik 
von  Gerbert  vor  seinem  bleibenden  Aufenthalt  in  Firask» 
reich  geschriebenen  Briefe  sagt  (p.  195).  Ans  diMi 
'  selbst,  so  wie  ans  dem  Diplom  hei  Mabillon  (Annaki 
Ben.  IV,  35.)  weist  er  hier  aufs  Udbertengendste  nsfl^ 
dafs  erst  Otto  II.  Gerbtnrt  zum  Abt  von  Bobbio  g^ 
macht;  alla  Briefe  daher,  die  ai^s  diesem  Kloster  g^ 
schrieben,  und  somit  auch  alle  darin  aufbewahrten  Nsob 
richten  sich  auf  die  Regierung  und  den  Hof  Otto's  IL, 
und  nicht  auf  den  seines  Vätern,  wie  Mabillon  nad 
Bouquet  annahmen,  beziehen. 

Der  Vf.  giebt  p.  192  die  chronologische  Ordanag 
an,  In  welcher  er  glaubt,  dafs  dia  Biiiefe  geschriekaa 
wären.  Vorläufig  genüge  die  Bemerkung,  dafii  wir  mit 
ihm  über  die  Ordnung  der  Briefe  1—46  im  Ganzen  eiap 
verstanden  sind,  lieber  diese  hat  er  es  allein  fnr  ni* 
thig  erachtet,  einen  erläuternden  Commentar  hiimni* 
fägen;  was  hier  gesagt  wird,  ist  zum  gröiateD  Thal 
ebenso  neu  als  wohl  begrfindet. 

In  Betreff  der  ibrigen  Briefe  hätte  er  sich  uasfrei» 


%  Im  frgfcte  Yewfaait  Twor bm»  w«iin  er  die  Hanpt- 
Aila  der  poütiecben  GeeoUeirte,  insofern  sie^  ia  den 
Srieftn  erwälmt  werden,  als  Anhaltspunkte  ittr  die  Gmp* 
pinmgp.der  andern  benotxt,  and  naehdem  er  merst  das 
Jafcr  bestimmt,  welehem  Jeder  Brief  angehört,  unter- 
ancbt  hätte,  ob  die  so  häufig  yorkommenden  Monats- 
dateo. erlauben,  dnrohgängig  eine  ohronologisehe  Qrd- 
■ong  der  Briefe  anzunehmen.  Die  blofse  Angabe  aber, 
dafs  die  Briefe  so  und  nichl  anders  geordnet  werden 
■ifisseo,  kann  der  Wissenschaft  durohaos  nicht  front» 
■len^  eine  Monographie,  welche  den  Anforderungen  der 
historischen  Kritik,  so  wie  sie  heat  zu  Tage  mit  Recht 
geltend  gemacht  werden,  entsprechea  will,  darf  sich 
darohaas  nicht  Jener  sorgsamen,  die  Sachen  bis  in  ihr 
geringstes  Detail  yerfelgenden  Untersuchung  entschlap 
gen,  die^endlich  einmal  ins  Klare  bringen  soll,  was  und 
wienel  uns  Ton  den-  Ereignissen  sicher  und  unsweifel- 
haft  flberliefert  ist     Wäre  der  Vf.  auf  diesem  Wege, 

9 

den  er  einmal  und  mit  so  rielem  GIftck  betreten,  ge* 
Uirteii ;  so  würde*  der  Abschnitt  über  die  Briefe  ohne 
Zweifel  bei  weitem  umfangsreieher  geworden  sein  \  aber 
man  hätte  ihm  dalur  gern  die  Beilagen  p.  203 — ^239  er- 
lassen, die  doch  nur  die  jedem  Gelehrten  zngängljcheD 
Stücke  enthalten. 

Als  em  Beleg,  wie  wenig  befriedigend  scüne  Forschun- 
gen smd,  heben  wir  das  heraus,  was  über  dieGescinchte 
des  Bisthnms  Verdau  gesagt  wird.  Den  hierauf  bezügli« 
oheo  47.  Brief  setsen  MabiUon  und  alle  andere  in  das 
Jakr  965;  Hr.  H.  p.  192  in  die  Jahre  984— «6.$  p.  68 
aber  deutet  er  an,  daTs  er  auf  984  su*  beziehen  sei. 
IKese  Ansieht  ist  -  naaweifelhaft  -  die  richtige;  aber  er 
UUte  Tor  AUem  untersndien  müssen,  was  MabiUon  za 
dar  aeioigen  bestimmt  haben  mochte.  Es  ist  dies  die 
Enllhlang  der  Ereignisse  in  Verdau,  so  wie  sie  ans 
der  Bist.  Bpisc.  Virdun»  (ap.  Calmet.  h.  de  Lorrainjb.  L 
paeares  p.  200)  in  Hago  von  FhiTigny's  Chronik  (ap. 
Labb.  I,  157)  und  Ton  da  in  unzählige  andre  Zeitbfi» 
«her  und  ip  alle  neueren  Bearbeitungen  übergegangen 
ist.  Diesen  gana  falschen  Bericht  hätte  er  zuerst  mit 
Hfilfe  der  Briefe  nnd^der  ?ita  Adalb«  episc  Met.  (ap. 
Liabb.  1, 670)  widerlegen,  aber  die  Schwierigkeiten  nicht 
hAio^  ignorirea  müssen«  So  wie  die  Sache  jetzt  steht^ 
wird  jeder,  den  nicht  eigne  Forschung  zu  der  riobti- 
gaiiy  von  dem  Vf.  mit  gutem  Tacte  angenommenen  An- 
aicht  geführt,  der  Darstellung  dieser  Verhältnisse  bei  . 
Mkbillon  durchaus  den  Verzug  geben  müssen. 


P0pH  SybßesUr  H.  614 

hk  der  Geschicfale  des  Jahvea  984  herrsoht  aber 
überhaupt  bei  dem  Vf«'  eine  grofse  Verwimmg,  und  es 
fehlen  hier  nicht  die  bedeutendsten  Widersprüche.  So 
heirst  es  p.  09,  „dafs  Carl  von  Lothringen,  Lothar*s 
Bruder,  feindlich  gms^n  diesen  denke,  und  dafs  audi 
dessen  Freunde,  Heribert  von  Troyes  und  Odo  y. , Vor- 
aiaadois,  die  Sache  Deiitscbkinds  begünstigen,  weifs  er 
(Gerbert)  auszumitteln.'*  Dieser  Ansicht  widerspricht 
er  noch  auf  derselben  Seite:  „es  ist  ihm  gewifs,  dafs 
JMier  (Lothar)  die  Usurpation  Heinrich's  hasse.**  Doch 
ist  auch  die  Nachricht  von  Carl,  so  wie  sie  bei  Bm. 
H.  erscheint,  durchaus  falsch.  Denn  eben  der  60ste 
Brief,  worauf  er  sich  beruft,  sagt  grade  das  Gegea- 
theil:  Conjuratio  in  filinm  Caesaris  ac  in  tos  et  acta 
est  et  agitur,  neu  solum  a  principibns,  imier  guos  Cara^ 
h$9  dux  jam  non  in  oeeulto  ssty  sed  etiam  a  militi- 
bus  etc.  Wenn  der  Vf.  aber  ans  ep.  58.  zn  erweisen 
gedenkt,  dafs  Heribert  und  Odo  die  Sache  Dentsdi- 
lands  begünstigt  hätten;  so  ist  dies  auch  me  hdchst 
willkühriiche  Annahme.  In  jenem  Briefe  wird  kdn  Na- 
me genannt,  sondern  nar  Toa  einem  tjrannns  gespro^ 
eben,  den  Adalbero  von  Rheims  früher  gefürchtet,  jetzt 
aber  als  planum  fidei  et  sapientiae  bewundere,  und  mit 
dem  er  durch  Ecbert,  Erzbiscbof  von  Trier,  an  den 
der  Brief  gerichtet  ist,  in  Unterhandlungen  stehe.  War- . 
um  hätte  sich  Adalbero  des  Ecbert  bedient,  um  mit 
Hugo  und  Odo,  seinen  Nachbarn,  zu  unterbandeint  Im 
Gegeutheil  erscheint  es  höchst  wahrscheinlich,  dafs  da- 
mit Heinrich  tou  Baiem  gemeint  sri,  besonders  da  es 
Ecbert  vorzüglich  war,  der  ihn  in  seiner  Usurpation 
unterstützte. 

Ebenso  fiilseh  ist  es,  Venu  es  p.  69  u.  71  heifst, 
Lothar  habe  nie  die  Partei  Heiurich's  ergriffen.  Denn 
der  39ste  Brief  erwähnt  einer  Zusammenkunft  des  Ktt- 
nigs  mit  ihm,  und  aus  ep.  59.  erhellt,  dafs  em  Gesaa#- 
ter  Heinrich's  in  Frankreich  gewesen,  was  auch  durch 
den  wiederaufgefnndenen  Richer  bestätig  wird.  (Mün* 
eben,  geleh.  Anz.  1837«  num*  148.  p.  153).  In  dieser 
Beziehnng  ist  auch  der  65ste  Brief  zu  yei^leichen. 
Pag.  70  wird  die  Behauptung  angestellt,  dafs  Gerbeit 
durch  Notger  von  Lfittich  auf  Emma,  die  Gemahlm 
Lothar's,'  zu  wirken  gesucht  habe.  Der  Vfl  bemft  sich 
hierbei  auf  ep.  30. 35. 39.  Abgesehen  dayon,  dafs  der 
dmUseke  Bischof  Notger  hierzu  die  geeigneteste  Person 
nicht  war,  steht  dies  auch  nicht  einmal  m  den  dtirten 
Briefen  $  dann  ep.  30.  schreibt  Gerbert  un  Nanfen  Adal* 


615 


H^ck^    Oerbert  oder  P^wt  SfheMter  If. 


iMTo'fl  'von  Rheims  an  Notgelf:  is  quem  ndstis,^  nobis 
istimus  Tobisqoe  fidis^iinos,  interpres  apud  Regiain 
majeBtatem,  ut  clecnit,  fuit  eto.  und  sagt  also  weder, 
dafs  Notger  dieser  ihterpres  genesen,  noch  dafs  bei 
der  Königin  Emma  diese  Unterhandlungen  gepBogen 
worden  seien.  Der  35ste  Brief  bandelt  gar  nicht  hieru 
Ton,  und  der  398te  gar  Ton  den  feindlichen  Absichten 
Lethar's« 

Der  Vf.  würde  in  diese  Fehler  und  Widersprüche 
-iiicht  terfttllen  seio,  wenn  er  ein  ernsteres  und  sorgsa- 
meres Studium  auf  die  Briefe  gewandt,  die  Ton  an- 
dern Quellen  uns  überlieferten  Berichte  fleifsiger  benutiit 
und  in  Verbindung  mit  diesen  die  in  den  Briefen  vor- 
kommenden Daten  zu  einer  chronologischen  Anordnung 
derselben  gebraucht  hätte.  So  aber  erscheint  bci>  ihm 
das  in  der  Zeit  getrennte  als  gleichzeitig  nebeneinan- 
der, und  dies  mufs  noth wendig  die  klare  Einsicht  in 
den  Fortgang  und  die  allmälige  Entwicklung  der  yon 
Gerbert  uns  so  schön  überlieferten  Ereignisse  trüben« 
Es  wäre  vor  Allem  die  Ueberzeugung  nöthig  gewesen, 
dafs  die  Briefe  20  —  64  genau  chronologisch  geordnet 
nns  vorlägen.  Hr.  H.  würde  gefunden  haben,  dafs  Lo- 
thar  und  Carl  im  Anfange  des  Jahres  -984  allerdings 
die  Sache  Otto's  III.  begünstigten  (cf.  ep.  22.  30.  ^2. 
35.),  dafs  aber  mit  dem  1.  Februar  984,  wo  Lothar  mit 
Heinrich  in  Deutsch  -  Breisach  zusammenkommt,  die 
Scene  sich  ändert,,  und  Gerbert,  delr  vorher  Lothar 
nicht  genug  loben  konnte,  jetzt  Verdacht  schöpft  ep. 
39.  41.  $  bis  endlich  der  König  seine  Pläne  offenbart, 
den  16.  März  Verdun  einnimmt  (ep.  47.),  und  von  die- 
sem bis  zum  64sten  Briefe  nur  als  Feind  des  juogen 
Otto  erscheint. 

Viel  zu  wenig  aber  hat  der  Verf.  die  enge  Ver- 
knüpfung der  französischen  und  deutschen  Parteien, 
welche  beinah  allein  durch  diese  Briefe  überliefert  wird, 
beachtet.  Er  hat  nicht  bemerkt,  wie  der  Carolinger 
Lothar  im  engsten  Verbände  mit  dem  Usurpator,'  Hein- 
rich von  Baiern,  steht,  Hugo  von  Pdris  (in  ^späteren 
Chroniken  Capet  genannt),  dagegen  die  Sache  des 
unmündigen  Königs  unterstützt  (ep.  59.  zum  Theil'  auch 
60.),  und  wie  endlich  nur  durch  Vermittlung  seiner 
Schwester,  Beatrix  von  Mosellanien  (von  der  es  p.  70 
-ohne  Beweis  heifst,  dafs' sie '984  Wittwe  geworden) 
Friede  zwischen  den  streitenden  Parteien  gemacht  wurde. 


fUi 

Hafte  er  hierbei  die  vifa  Adälberonis- (ap*Lab.  1,5701) 
jnit  dem  ^n  Beatrix  gerichteten  Briefe  vergliohea-,  s« 
würde  er  gefiinden  haben,  dafs  der  durch  die  Betrieli- 
samkeit  dieser  ausgezeichnet en  Frau  bewirkte  Fried« 
zu  Worms  geschlossen  wurde  (ep.  64.  duei  Beatiki; 
Excellentiam  acuminis  vestri  videpr  videre,  pace  ister 
Principes  stabilita,  Republica  bene  disposlta,  ac  per 
vos  in  melius  commntata«  Die  vita  Ad.  nennt  sie  pro- 
pagatrix  bujüs  pacis  und  fügt  hinzu:  acta  sunt  baee 
felicibns  auspiciis  Wormatiae.  Der  Friede  selbst  wird 
hier  kurz  nach  dem  16.  <  Oct.  gesetzt  $  nach  ^ner  Ui^ 
künde  bei  Hugo  An.  Praemonstrat.  Nanceji  1734  IL 
p.  325,  in  welcher.  Otto  auf  die  damaligen  ümstSud« 
Bezug  zu  nehmoi  scheint ;  illis  apprime  favenduin  est, 
quoB  statum  regni  nostri  diligere  cognpscimus,  war  er 
den  20.  Oct.  984  in  Wenns.  Vgl.  über  diesen  Friedes 
auch  die  vita  S.  Geraldi  ap.  Calniet  I.  preuv.  p.  146). 

Wir  sind  über  diesen  Punkt  etwas  ia's  Detail  eiih 
gegangen,  um  dem  Verf.  zu  beweisen,  wie  scböa  die 
Briefe  mit  den  übrigen  geschichtlichen  Denkmalen  jeaei 
Jahrhunderts  harmoniren,  und  wie  'fruchtbringend  eio^ 
Vergleichung  beider  sowohl  für  die  Geschichte  dieser 
Zeit,  selbst,  als  auch  für  die  Erkliirung  der  Briefe  ai|»> 
gefallen  sein  würde. 

Den  so  eben  erwähnten  Frieden,  der  nur  diePa^ 
teien  Deutschlands  betraf,  kennt  der  Vf.,  obwohl  die 
Gerbertinisohen  Briefe  seiner  so  deutlich  Erwähnuvt 
thun,  gar  nicht;  er  geht  unmittelbar  auf  den  überi 
welcher  den  Streitigkeiten  zwischen  Frankreich  and 
Deutschland  ein  Ende  machte.  Ur.  IL  fällt  hier  io 
einen  argen  Fehler,  indem  er  diesen  in  das  Jahr  985 
setzt  (p.  71).  Wir  wissen  sehr  wohl,  dafs  dies  diege- 
wöbnliche,  bis  auf  den  beutigen  Tag  gültige  Annahnii 
ist,  mufstenaber  vor  Allem  von  dem  Biographen  G«p- 
bect's  erwarten,  dafs  er  diesen  Irrthum  endlich  aus  der 
Geschichte  ausmerzte.  Balderic .  ;iämlich  in  seinen 
sonst  so  guten  Chronicon  Atrebatense  (von  dem  kürss* 
lieh  eine  neue,  von  Le  Glay  besorgte,  vorzügliche  Aae* 
gäbe  erschienen  ist),  sagt  c.  104  fin.  hi&  (Otto  1110 
postea  tarn  virtute  quam  aetate  proßciens  adeo  vigai^ 
ut  Lotharius  urbem  Virdunensium.  et  GodefridiUD 
comitem  redderet,  eine  Angabe,  die,  wrie  wir  jetit 
ersehen,  in  Richer,  diesem  auch  für  seine/  Zeiten 
höchst  unsichern  Geschichtschreiber,   ihren  Grund  bat. 


(Die  Fortsetzung  folgt) 


wissen 


M  78. 

Jahrbuch 

für 

s  c  h  a  f  tl  i  c 


October  1839. 


e  r 


h  e    Kritik. 


Gerbert  oder  Papst  Silvester  IL  und  sein  Jahr- 
hundert,  voa  Dr.  (X  F*  Hoch. 

(FortsttzuDg.) 

Aos  Balderic  nahm  Sigebert  yon  Gemblours  beinah 
wortlich  diese  Stelle  in  sein  Chron.  auf,  und  setzte  will- 
kührlich  das  Jahr  965  hinzu.    Auf  seine  Autorität  hin 
ist  die  Sache   bis  jetzt    allgemein   geglaubt  worden. 
H&tte  aber  Hr.  H.  den  72sten  Brief,  den  er  doch  nach 
p.  72  kannte,  aufmerksam  betrachtet,  so  würde  er  die 
TÖUkommne  Grundlosigkeit  dieser  Nachricht  leicht  ha- 
ben einsehen  können.     Aus   diesem  erhellt  nicht  nur, 
dafs  Godfrid  yon  Lothar  seine  Freiheit  noch  nicht  er- 
hielt, sondern,   dafs  er  selbst  bei  dessen  Tode  (f  2. 
März  986)  seiner  Haft  noch  nicht  entlassen  war.    Ref. 
wird  in  den  Excursen  zur  Geschichte  Otto's  HI.  (Jahr- 
bücher  des  deutschen  Reichs  unter   den-  sächsischen 
Kaisem,  herausg.  yon  Leop.  Ranke)  zu   beweisen  su- 
chea«  dafs  der  Friede  zwischen  Deutschland  und  Frank- 
reich  erst  im  Jahre  987  gegen  den  17.  Mai,  kurz  yor 
König  Lndwig's  V.  Tode  geschlossen,  Godfrid  in  Frei- 
heit gesetzt,  und  Verdnn  an  Deutschland  zurückgege- 
ben worden  ist  (Vgl.  ep.  103  so  wie  auch  100  u.  101). 
Er  mufste  diesen  Irrthnm  um  so  mehr  rügen,  als  der 
Yf.  dabei  yon  Neuem  in  einen ,  seltsamen  Widerspruch 
mit  sieh  gerathen  ist.    Aus  ep.  105  entnimmt  er  näm- 
lich die  Nachricht,  dafs  Graf  Gotfrid  mehre  harte  Be- 
diDgangen  sich  habe  gefallen  lassen  müssen  und  setzt 
p.  192  diesen  Brief  auch  richtig  in  die  Zeit  nach  Lo« 
thar'8   Tode  (f  2.  März  966) ;  im  Texte  aber  (p.  71) 
bleibt  er  bei  der  alten  Annahme  stehen,  dafs  dieses  im 
Jahre  985  erfolgt   sein.     Ein  ähnlicher  Widerspruch 
findet  sich  p  73.    Hier  bezieht  ei^  den  91sten  Brief  auf 
deo   Afpfang  des  Jahres  987,  indem  er  sagt,  dafs  der 
dert   erwähnte  Tod   des  Abts  Gerald  yon  Anrillac  in 
diese  Zeit  falTe,   p.  192  aber  setzt  er  den  Brief  yor 
den  Tod  Lothar*«  und  giebt  p.  196  noch  an,  dafs  er  mit  M  a- 
Jal^h.  /.  wuuMch.  KriOk.   J.  1839.   II  Bd. 


billon  diese  letztere  Ansicht  theile. '  Was  soll  der  Le- 
ser davon  halten?  Und  doch  war  es  so  leicht,  hierüber 
zu  einem  höchst  wahrscheinlicben  Resultate  zu  gelan- 
gen. Wenn  er  nämlich  die  Angaben  des  91sten  Brie-' 
fcs  über  den  Zug  Otto's  gegen  die  Slaven  mit  den  Aj^- 
nales  Hildesheim.  ad  ann.  986  verglichen,  dann  auf  die 
ep.  90.  ausgesprochene  Absicht  Adalbero's,  Gerberten 
der  Kaiserin  Theophania  und  ihrem  Sohne  entgegen- 
zuschicken, mehrere  Andeutungen  des  91sten  bezogen, 
und  hierfür  noch  die  Daten  benutzt  hätte,  welche  uns 
die  Urkunden  bei  Böhmer  No.  647—649  über  den  Au- 
fenthalt des  Kön^  darbieten,  so  würde  er  gefunden 
haben,  dafs  der  9l8te  Brief  in  die  Zeit  zwischen  den 
18.  Januar  und  20.  Mai  987  fällt. 

Es  würde  zu  weit  führen,  wollten  wir  die  Ansicht 
des 'Hrn.  H.  über  alle  Briefe  im  Einzelnen  dnrcbgc- 
hen.  Wir  bemerken  hier  nur  noch  im  Allgemeinen, 
dafs  kein  Grund  vorhanden  ist,  um  Briefe,  wie  45,  46, 
70,  82,  89,  92,  93,  104,  106,  die  an  und  für  sich  kei- 
nen Haltpunkt^  zu  ihrer  <ihronologlschen  Fixirung  dar- 
bieten, aus  der  in  den  Handschriften  herrschenden 
Ordnung  zu  reifsen  und  willkürlich  umzustellen.  Wir 
unsererseits  bekennen,  dafs  wir  die  Ordnung,  in  der 
sie  uns  überliefert  sind,  im   Grofsen  und  Ganzen  für 

t 

die  allein  richtige  halten,   und  dies,  nur  mit  wenigen 
Ausnahmen,   durch  alle   anderswoher  entlehnten  Noti- 
zen immer  bestätigt  fanden.    Wir  erkennen   den  Un* 
tersuchungen  des  VfB.  das  ihnen  im  Vergleich  mit  Ma- 
billon  und  Bouquet  gebührende  Lob  willig  zu,  müssen 
aber  \i'iederbolt  bedauern,  dafs  derselbe   die  von  ihm 
glücklich   entdeckte   chronologische  Folge    der  Briefe 
^  nicht   mit    mehr  Gousequenz  durchgetührt  und  durch 
ein  tüchtiges  Studium  der  übrigen  Quellen  dieser  Zeit 
tiefer  begründet  bat.    Möge  man  uns  ^ie  etwas  weit- 
läuftige  Ausführung   dieses   Punktes  zu  Gute  halten. 
Es   kam   uns   vorzüglich  darauf  an,,  die  Möglichkeit 
nachzuweisen,  dafs  für  diese  überaus  wichtigen,  aber 

78  -         ■ 


S19  BocJby   Gerdert  othr 

.  doob  höchst  «ohwierigen  nnd  selbst  räthsclhaften  Briefe 
fester  Grund  und  Boden  genug  gewonnen  werden  kenn» 
tey  von  wo  ans  mit  einiger  Sicherheit  zu  ihrer  Ericlä- 
rung  und  Benutzung  hätte  geschritten  werden  müssen. 
Von  p.  74^118  behandelt  d^r  Vf.  einen  der  wich* 
figsten  Abschnitte  in-  Gerberts  Leben,  wo  seine  Per- 
son eine  europäische  Bedeutung  erhält:  die  Zeit,  in 
der  Hugo  Ton  Paris  den  Thron  Frankreichs  besteigt, 
den-Bruder  des  letzten  Karolingers,  Arnulf,  zum  Erz- 
bischof von  Rheims  macht,  dieser  ihn  yerräth,  statt 
seiner  aber  Gerb^rt  erwählt  wird,  der  gegen  die  An- 
inafsungen  Roms  sich' nicht  halten  kann,  und  am  Hofe 
seines  Schülers  Otto  UI.  Schutz  suchen  mufs«  Auch 
hier  hätte  der  Vf.  mehr  Fleifs  und  Sorgfalt  auf  die 
Erforschung  der  Quellen  wenden  mfis^ea.  Aber  seine 
Arbeit  beschränkt  sich  fast  nur  darauf,  dafs  er  die 
Briefe  Gcrberts  und  die  von  ihm  verfafsten  Acten  der 
Synoden  zu  St.  Basel  und  Mouzon  ezcerpirt  und  diese 
Excerpte  nach  Gutdünken  zusauimenstellt«  Und  selbst 
in' dieser  rein  äufserlichen  Arbeit  kommen  viele  Nach- 
lässigkeiten von  Warum  citirt  er  p.  75  das  Chron. 
iVlalleacense  (ap.  Bouq.  X.  p.  231  und  nicht  p.  25)  aus 
der  Mitte  des  12.  Jahrhunderts,  und '  nicht  Tielmehr 
das  gleichzeitige  fragm«  bist.  Aquit.  ap.  du  Chesne  U, 
635,  aus  welchem  jenes  ein  Excerpt  ist.  Der  4te  und 
5te  Brief  in  der  Sammlung,  die  du  Chesne  aus  dem 
Mscpt.  von  Sirmond  herausgegeben,  utid  der  Vf.  im- 
mer mit  einem  D  bezeichnet,*  besagt  nicht,  dafs  Ger- 
bert  seine  Dienste  der  Theophania  angetragen,  bevor 

'  er  die  Anerbietungen  Hugo's  annahm.  Ep.  114  han- 
delt nicht  von  der  Gefangenschaft  der  Königinn  Emmaf 
ep.  134  betrifft  eine  arithmetische  Aufgabe  und  nicht 
die  Verzweiflung  Gerberts  an  dem  glücklichen  Aus- 
gang der  Dinge,  eben  so  wenig  wie'ep.  146,  der  ein 
Geschäftsbrief  ist,  und  ep.  10  D,  der  sich  auf  ganz 
andre  Dinge  bezieht  (p.  77  n.  3).  Ibidem  n.  4.  mag 
118  statt  115  Druckfehler  sein.  Wie  kalin  aber  der 
Vf.  p*  80  glauben,  dafs  es  in  der  Tbephania  Macht 
gestandeil  habe,  den  erzbischöflichen  Stuhl  von  Rheims, 
der  Metropole  Frankreichs,  zu  besetzen.  Auch  sagt 
ep.  152. gar  nicht,  dafs  man  die  Theophania  darum 
angegangen,  eben  so  wenig  wie  ep.  117  den  Namen 
des  (deutschen)  Bisthums  angiebt,  das  durch  ihren 
Ehiflufs  Gerbert  übertragen  .werden  sollte.  Aus  ep. 
8  D,  welche  Belegstelle  Hr.  H.  dem  Leser  aufzusu- 
chen  überläfrt,    darf  er  wohl   nicht   schliefsen,  «dafs 


PapH  SylveMter  IL   ^  820 

Rheims  im  Spätherbst  eingenommen  worden,  wie  ei 
denn  übeifhaupt  zweifelhaft  erscheinen-  möchte,  ob 
dies  schon  im  Jahre  988  erfolgt  ist. 

Im  Allgemeinen  tritt  aber  in  dieser  Partie  der  Dar* 
Stellung  des  Hrm  Vfs.  die  schon  obM  gerügte  Usfo 
stimmtbeit  in  der  Chronologie  aufs  *  Störendste  uod 
Unangenehmste  hervor.  Obwohl  hier ''zu  seiner  Est- 
sohnldigung  angeführt  werden  murs,  dafs  keine  Periode 
armer  an  einigermaisett  volisfandigen,  genatt  ehroM«' 
logischen  Aufzeichnungen  ist;  so  hätte  doch  ein  ge. 
naues  Studium  der  Acten  ie9  Baseler  Concils  und  det 
Briefes  Gerberts  an  Wilderold  von  Strafsburg  deoi' 
Vf.  die  bedeutendsten  Momente  zu  einer  cbronologi- 
sphen  Fixirnng  der  Ereignisse  an  die  Hand  gegeben. 
Vor  allen  hätte  er  den  trefflichen  Pagi  ad.  b«  an.  bo* 
nutzen  sollen.  Er  würde  z.  B.  gefenden  haben,  dair 
die  Briefe  an  den  Papst  über  den  Verrath  Aroulfr  ior 
December  989  abgefafst  worden  sind,  da  es  in  den 
Acten  des  Baseler  Concils,  gebalten  den  17.  Juni  991, 
heifst  (ap*  Mansi  19.  p.  161) :  sed  neque  primati  Ro» 
mann  injuriam  illjitam,  cum  per  18  menses  Utteris  et 
legatis  commonitus  respoAdere  nobierit,  eine  Angabe^ 
die  Gerbert  auf  dem  Mouaoner  Concil  ib.  p.  195  wie- 
derholt Ebenso  hätte  er  aus  der  Ep.  ad  Wüder.  Ar. 
p.  154  ersehen  könne,  dafs  auch  Arnulf  18  Monat  laog 
ermahnt  worden  ist,  dies  aber,  da  er  kurz  vor  dem 
Baseler  Concil  mit  dem  Könrge  sich  versöhnte,  gegeo 
den  1.  Nov.  989  fallen  mufs.  Hr.  H.  würde  hierbei 
ohne  Zweifel  auf  chronologische  Schwierigkeiten  gs- 
stofsen  sein,  wie  ^  die  p.  130  von  den  11  Monaten. 
Aber  der  Scharfsinn,  der  ihn  nie  verläfst,  wenn  er  sidi 
einmal  zu  jenen  mikrologischen  Forschungen  bequemt^ 
würde  sie  ihn  sicherlich  haben  lösen  lassen«  Das  \a^ 
ben  eines  so  ausgezeichneten  Mannes  war  es  weU 
werth,  in  solche  mühseligen,  aber  doch  nur  allehi  %viä 
Zwecke  führenden  Untersuchungen  einzugehn.  In  d« 
Gestalt  aber,  in  welcher  diese  Partie  A6^  Werks  des 
Hrn.  Vfs.  uns  vorliegt,  ermangelt  sio"  gänzlich  eisee 
wissenschaftlichen  Charakters.  Sie  bietet  uns  w^tar 
nichts,  als  Auszüge  aus.  den  am  finde  doch  sehr  si* 
gänglicheu  GoncilienacteU'  nnd  Briefen  Gerberta. 

Und  doch  sind  diese  Excerj^te  in  Betre£f  der  Vs^ 
handlnngen  auf  dem  Concil  zu  Basel  niebt  einmal  rieb» 
tig  und  ganz  getreu.  Dem  Vf.  ist  hier,  wie  wir  glafr 
beji,  sein  Standpunkt  als  Katholik  an  der  Erkeftnuag 
der  Wahrheit  hinderlich  gewesen  itnd  \M,  sein^  KliA 


cai 


Hockj  G0rUr$  9der  I^H  SyU^ter  It. 


•of  Alywege  gefiüirt.    Dieiet  Coacil  (welches  die  oa« 
rialistiscbeQ  Sebrifteteller  und  noch  nealich  Hr.  Coaat. 
Böfler  io  der  ReceosiOB  dieges  Werkes  nur  coBcilia* 
briam  Bennen,  und  dessen  Acten  unser  Vf.;  nach  dem 
Torgange    du  Chesne's,  nur  unter  dem  Titel  htstoria 
depofiilionis  Amulfi   citirt)  ist  für  die  Geschichte  des 
Papstthums  von  der  höchsten  Wichtigkeit.    Nachdem 
nfimlioh  Hugo  von  Frankreich^  und  die  Bischöfe  seines 
Laadtfs  18  Monat  Tergebfich  beim  ll^apst  Johann  XV. 
um   Absetzung    und  Bestrafung    des    verrätherischen 
Arnulf  von  Rheims  angehalten^    wurde  den  17.  Juni 
S81  (nickt  den  16.^  wie  p.  93  steht)  unter  dem  Vor- 
süse  des  Bisehofs  Signin  von  Sens  su  St  Basol  bei 
Rbeims  eine  Synode  franzSsischer  Bischöfe  gehalten, 
welche,  nach  Prüfung  der  Anklage  und  dem  freiwilli- 
gen Geständnisse  Arnulfs,  diesen  seiner  VTürde  ent- 
setzte.   Später    wurde  Gerbert   statt   seiner  erwählt, 
kenale  sidi  aber  nicht  gegen  die  Benähungen  des  Pap- 
atee haken  und  mufste  seinen  Sitz  anheben.    Die  Ac- 
ten dieser  Sjnode,  von  Gerbert  selbst  verfafst,  erreg- 
ten von  dem  Augenblick  ihrer  Bekanntmachung  an  den 
grofsten  Streit.    Baronius  erklärte  sie  für  eine  Erfin- 
dung Gerberts,    um  seine  Intrusion  zu  rechtfertigen  j 
Neuere,  wie  Mansi,  haben  dem  mit  Reckt  Widerspro« 
eiien.    Hr.  U.  erkennt  an,   dafs  sie  von  Gerbert  ber- 
rahren,  hält  sie  aber  fiir  späterbin  interpolirt  und  kann 
daher  jedenCslIs  nur  die  Abkürzung,  welche  du  Chesne 
tonn.  IV*  gegeben,  „als   den  gereinigten  und  wieder- 
hergestellten Urtext  ansehn"  (p.  188). 

Es  fragt  sich,  mit  vrelchem  Reobtet  Wenn  da 
Cftesne,  wie  der  Verf.  selbst  eingesteht,  nicht  erklärt 
hat,  ob  er  abgekfirzt  oder  aus  anderen  Quellen  ge- 
schöpft habe;  so  hätte  dies  ihn  doch  etwas  stutzig 
machen  scdfeu,  um  so  mehr,  als  man  in  dieser  Aus- 
gabe an  vielen  Stellen  die  Abkürzungszeichen -*  : 

fiadet,  und  du  Chesne  selbst  dMi  Acten  den  Titel  giebt: 
fr^agmenia  divers,  seript.  de  rebus  llngonis,  also  klar 
lamit  anzeigt,  dafs  er  nichts  Ganzes  geben  will.  In 
leo  irollständigen  Acten  kommen  die  grofsten  Anzüg- 
lichkeiten auf  Rom  vor;  als  du  Chesne  seinen  vierten 

» 

Band  der  Script.  >er.  Ht.  herausgab  (1641),  stand  der 
rsMKdsMohe  Hof  in  der  firenadsohaftlicbsten  Verbiodung 
nit  dem  damaligen  Papst  Ui^ban  VBL  Was  ist  na- 
urlidier,  als  dafs  der  Herausgeber  aus  Rücksicht  auf 
tie  Verhältnisse  Jene  Invectiven  aasliefs,  ohife  dadurch 
iber  zu  erklären,  dafs  er  sie  für  Interpolationen  halte« 


thut  Hr.  H.,  und  während  selbst  Maust  o« 
28   die  Rede  Arnulfs  von  Orleans,  worin  gegen  die 
Anmafsungen  Roms  gedonnert  wird,  'al|i  die  Vis  tetiui 
concilü  bezeichnet,' ttbergeht  unser  Verf.  sie  mit  Still* 
schweigen.    Hr.  Const.  Höfler  kann  den  Ghrund  hier«» 
von  nicht  einsehen,  aber  es  ist  unzweifelhaft  die^e  He« 
de,  welche  Hr.  H.  als  Interpolation,  befrachtet.    Zwas 
hat  Arnulf  sie  grade  so  nicht  gehalten,  und  Cierbevl 
gesteht  selbst  ein,  dafs  er  verschiedene  Aeufsermgea. 
Arnulfs  zu  einer  Rede  verbunden  habe.  Aber  Niemand^ 
selbst  unter  den  KathoKken,  hat  sie  je  Gerbert  abge« 
sprechen,  und  Jeder  Unbefangene,  der  nur  einigenna* 
fsen  mit  der  Redeweise  desselben  vertraut  ist,  wird 
ohne  Zweifel  wegen  jener   gesuchten  Classicität  and 
jener  Reniiuiscenzen  aus  Cicero  sie  fnr  acht  gerberti« 
nisch  halten.    Warum  ist  also  Hr.  H.  von  der  bishet 
allgemein  gültigen  Ansiebt  abgegangen!    Oerbert  äo« 
fsert  sich  dort  aufs  Heftigste  gegen  die  auf  die  fal^ 
sehen  Deoretalen  gestützten  Anmafsungen  der  Päpdte,. 
so  wie  gegen  die  furchtbare  Sittenverderbnifs  detseW 
ben;  er  vertheidigt  aufs  Wärmste  die  Freiheiten  der 
Kirche.    Der  Vf.  hält  es  für  unmöglich,  dafs  selche 
Schmähungen   von  seinem  Helden  (diese  Gestalt  hat 
Gerbert  unter  seinen  Händen   gewonnen)  hätten  ans* 
gehn  können.    Und  doch  ist  Nichts  wahrhafter  als  die«', 
ses.    Gerbert  selbst,  nachdem  er  sich  in  jenem  Briefe 
an  Wilderold  in  ähnlichem  Sinne  ■  über  denselben  6e« 
genstand  geäufsert  hat,  fugt  znm  Ueberflnfs  noch  hin« 
zu:. de  quibus  omnibus  in  Remensi  concilio  plenius  ex- 
posuimus  (Mansi  19  p.  164).     Der  Verf.  kaniite  den 
Briefs  wie  soll  man  es  nennen,  wenn  er  dann  noch  an 
Interpolationen  glaubt!     Es  ist  wenigstens  eine  arge- 
Selbsttäuschung  $   aber  dadurch   geht  ihm  grade  der 
bedeutendste,  wahrhaft  wehbistorisebe  Moment  in  Ger- 
berts Leben  verloren.    Jener  Streit  mit  dem  päpstli- 
chen Stuhle  entbehrt  in  des  Vfs.  Darstellung'  seiner 
eigentlichen,  geistigen  Grundlage,   der  Bedeutung  ftlr 
die  Freiheiten  der  gallicanischen  Kirche.  Nur  so  oben* 
hin  wird  p.  106  aus  dem  Briefe  an  Siguin  der  Mei- 
nung Gerberts  über  die  Deoretalen  gedacht,  sonst  er- 
scheint dieser  Streit  bei  Hm.  H.  als  ein  rein  persön- 
licher,    und  doch   wie  viele  Momente  würde  er  in  al- 
len Schriften  Gerberts  fiir  eine  detaillirte  Auseinander- 
setzung dieser  Bestrebungen  gefunden  haben,  wenn  er 
es  der  Mühe  werth  gehalten,   darauf  einzugehn.    Wir 
wollen. nur  nach  dem  Vorgange  unseres  verehrten  Ne- 


623  Kamenski  u»  L^owxaWy   Verzeichnif»  der 

ander  (Kirch.  Gesch.  IV)  p.  140)  daran  erinnern,  dafa 
in  Gerberts  GlaubeHsbekenntnirs  wohl  die  katholische 
Kirche  und  die  Vier  allgemeinen  Synoden  anerkannt, 
der  römischen  Kirche  aber,  so  \7ie  der  den  Nachfol- 
gern Petri  übetragenen  Gewalt  gar  nicht  Erwähnuug 
geschieht.  Dafs  er  die^e  letztere  ganz  abzuleugnen 
gesonnen,  möchte  am  deutlichsten  aus  seinem  Scrmo 
de  informatione  Episcoporum  hervorgehn,  in  welchem 
es  Keifst:  Repetituni  est  ei  (Petro)  a  Domino  tertio: 
Pasce  oves  meas.  Quas  oves,  quem  gregem  non  so- 
him  tunc  beatus  suscepit  Apostolus,  sed  et  noffucum 
eas  aecepit  et  ct^m  illo  eae  euscepimuM  omnei.  Unde 
regendo  Sacerdotibus  contraduntur.  (Bouquet  X,  p.' 
413.  n.  c.)  Eine  Ansicht,  die  aufs  schlagendste  von 
einer  Stelle  des  von  Höfler  (Münch.  gel.  Anz.  1837.  p. 
175)  bekannt  gemachten  Richer  bestätigt  wird.  In  die- 
ser wird  berichtet,  die  französischen  Bischöfe  hätten 
unter  dem  Vorsitze  Gerberts  zuChela  eine  Synode  ge- 
baltep,  Ton  deren  Acten  ein  Artikel  ausdrücklich  fest- 
setze, dafs  das,  was  von  dem  römischen  Papste  gegen 
die  Decrete  der  Väter  (des  Concils  zu  Kasol)  augefuhrt 
werde^  als  nichtig  und  ungeschehen  zu  betrachten  sei, 
da  der  Apostel  befehle,  man  solle  einen  ketzerischen 
und  mit  der  Kirche  nicht  übereinstimmenden  Menschen 
gänzlich  meiden. 

Diese  freie  Stellung  Gerbert*s  der  Kirche  gegen- 
über, die  ihm  in  diesen  Zeiten  ganz^  allein  cigentbüm- 
lich  ist,  ignorirt  der  Vf.  beinahe  ganz.  Was  p.  157 
darüber  gesagt  wird,  bezeichnet  sie  wenigstens  durch- 
aus nicht.  .Es  konnte  al&o  um  so  weniger  seine  Sa- 
che sein,  die  Folgen  anzugeben,  welche  der  für  Gerbert 
unglückliche  Ausgang  des  Btreites  dadurch  für  die 
ganze  Kirche  gehabt,  dafs  nämlich  jene  Decretaleit  über 
Berufung  von  Provincialconcilien  (von  der  auch  Wal- 
ter Lehrb.  des  Kirchenrechts  p.  159  eingesteht,  dafs 
sie  im  Vergleich  mit  der  Disciplin  des  nennten  Jahr- 
hunderts als  neues  Recht  enthaltend  zu  betrachten  sei) 
bei  dieser  Gelegenheit  siegreich  Tom  Papste  gegen  die 
französischen  Bischöfe  behauptet  wurden. 

(Der  Beschlaft   fol^t.) 

XXXIX. 

KATA.lOr'b    KmnaucKHMi»  h   jinoucKHM'b    sjuiraMi»  etc* 
(Verxeichnifs   der ^Chinesuchen  und  Japanischen 


1 


Ckineiiichen  und  Japaniechen  Bücher.  624* 

BUrheTy  welche  !fur  Bibliothek  der  kaiserL  jfftfi- 
siechen  Akademie  der  IVissenechaften  gekoren.) 
Auf  Befehl  dee  Präeidenten  der  Akademie  und 
Ministers  der  Folks-Avfklärungy  Sergei-SemenB»  - 
feit  seh  von  Uwarott'y  neu  abgefa/st  von  Paul  Ka> 
menski  und  Stephan  Lipoufxow.  St.  Peierh 
bürg.    1839.    57  Seiten. 

Die  Chinesischen,  Mandschuischen  und  Japanischen  Sdi&Us 
der  auf  dem  Titel    erwähnten    Bibliothek,   welche  bald  durch 
Ankauf    eines     Theils    der    Baron    Schilling'schen    Sammlung 
noch  ansehnlich  Termehrt  werden  dürften,  sind  in  rorUegendea 
Verzeichnisse  unter  folgenden  Rubriken  classilicirt:    1)  TAesfs* 
gisc/i«  Werke,     Enthalten   das  VorsügÜchste,  was  von  kathott* 
sehen  Mis^ionairen  in  Chinesischer  Sprache  geschrieben  woirdM. 
44  Nummern.     2;  Philo*ophuclie  Werke,    Die  kanonischeD  B8- 
cher  in  vielen  Ausgaben  mit  und  ohne  Commentare;  die  Schrif- 
ten des  berühmten  Erklärers  Ticha^hi   u.  s.  w.    2Ü  Nummen. 
3)  Moralische  Werke.    17  Nummern.    4)  Schulbücher.  20  Nm- 
mern;     6)  DUhterwtrke.  6  Nummern.    Darunter  ein  stattiidici 
Exemplar   Yon    Kaiser  Kian-'lung  s  Panegyricua  auf  die  Stadt 
Mukden.    6)  HiUorUcht  Werke.    Die   groCsen  Reichs -Anaalci, 
die  besten  und   bequemsten  Reichsgeschichten  in  kürzerer  Fat* 
sung,  und  mehrere  wichtige  Special-Historien.  40  Nummern.  7) 
Geographüdhe  Werke.  Darunter  die  grofse  Reichs-Geograpbie  ii 
23  Europfiischen  Bänden.    14  Nummern.    8)  Aetronomitke  wd 
maihematuche  Werke.  20  Nummern.    9)  Legülative  und  ttsiult 
uhe  Werke.  Darunter  die  groiäe  Statistik  des  chinesischen  Kei« 
ches   in    139   chines.  Heften     15    Nummern.    10)  MedisMiuk 
Werke.  19  Nummern.     11)  NaturhutortMche  Werke.  5  Nummen. 
12)  Oekonomische  Werke,  4  Nummern.    13)  MilüairücheWerh. 
4Non[imern.  14)  Wörierbücher.  13  Nummern.  Die  besten  undbraudi* 
barsten  lexicalischen  Werke  für  die  Kenntnifs  des  Ckinesischci, 
Mandschuischen  und  Mongolischen.     15)   Anekdoient  Mikrekut 
Mannigfaltigei,    Diese.  Rubrik  enthült  Alles,  was  seinem  Inball 
zufolge   in  die  übrigen  Rubriken   nicht  passen    will,    als  s.  6* 
Betten,  Romane,  Komödien  u.  s.  w.  27  Nummern.  10)  Japsaiicii 
Bücher.   29  Nummern.     17)  ChincMche  Pläne  und  Karten.   \^ 
Nummern.  '. 

Zu  tadeln  ist  an  diese^i  Kataloge,  dafii  seine  Verf.  bv 
über  die  fast  altbekannten  und  schon  bis  zam  Ueberdrusse  b»' 
sprochenen  kanonischen  Bücher  etwas  Ausführliches  sage»,  tai 
allen  übrigen  aber  beinahe  ohne  Ausnahme  die  nackten  Titd 
angeben,  oder  den  ungefähren  Inhalt  mit  ein  Paar  Worten  aa- 
deuten.  Aufserdem  erhalten  wir  die  chinesischen  Büchertitd 
nicht  einmal  in  europäischer  Umschreibung,  geschweige  deai 
in  Original -Cliarakteren,  welcher  Mangel  die  nothwendtge  fo\l^ 
hat,  dafs  die  meisten  Werke,  sofern  man  sie  nur  aMS  dem  Vs^ 
zeicbnisse  kennen  lernt,  gar  nicht  recognoscirt  werden  kiHmcs. 

Schott. 


wissen 


JW  7». 

Jahr bttc her 

u  r 

Schaft  liehe 


October  1839. 


Kritik 


Qerbert  oder  Papst  Sylvester  IL  umd  sein  Jakr^' 
kwuhrtj  ton  Dr^  C.  F.  Hoch. 

r 

(Sehluis.) 

Et  ist  wobi  hier  der  Ort^  Eioigea  über  die  Art  und 
Weite  sagen,  wie  Hr.  H.  den  Charakter  Gerbert's  auf- 
gefafst  bat  (p.  144  sq.)«    Wir  untersohreibeo  aus  toI« 
1er  UeberzeuguDg  das  Lob,   welches  er  seinem  bren- 
nendsD  Durst  uach  Wissensohaft,  seiaen  für  jene  Zei- 
tsB  an  Umfang  und  Tiefe  bewundmngswiirdigen  Kennt* 
Bissen  ertbeiitj  er  ist  ein  leuobtendes  Meteor  in  der 
Nacbt  des. Mittelalters,  und  Jabrbunderte  lang  erscheint 
er  den  Abendländern  im  magischen  Lichte  der  Sage 
als  ein  Zauberer,  dem  der  Bund  mit  ^en  unteren  Ai  äoh- 
tso  jene  Fülle  übermenschlichen  Wissens  Terlieben.  Der 
Vf.  vergleicht  ihn  daher  sehr  treffend  mit  Faust,  scheint 
aber,  was  seine  sittlichen  Eigenschaften  betrifft,  durch 
eine  Jange  Beschäftigung  mit  einem  so  ausgezeichne- 
ten Charakter  eine  Vorliebe  für  ihn  gewonnen  su  ha- 
ben, die  ihn  dessen  schwache  Seiten  yerkennen  läfst. 
Gerbert  war  keineswegs  so  demfithig,  mitleidig,  gütig, 
Ters({bnlich  und  nachsichtig,  wie  der  Vf.  behauptet;  er 
seigte  sich  im   Gegentheil  auf  allen  Scliritten  seines 
Tieibewegten  Lebens  von  unersättlichem  Ehrgeiz  ge^ 
trieben  und  von  einer  weltlichen  Geainnung  bewegt,  die 
ueht  dem  demttthigen  Priester  Gottes  geziemt.    Immer 
ist  sein  Hern  von  der  Sorge  um  äufsere  Dinge  erf&Ut, 
lud  zeigt  beinah  nie,  selbst  in  den  wärmsten  Ergie- 
fsttttgen  der  Freundschaft  nicht,  jene  Lebenswärme  und 
Frische  des  Gefühls,  jene  Tiefe  der  Andacht  und  jenen 
steten  .innern  Bezug  aller  Gedanken  anf  Gott,  wie  wir 
dieses  bei  Adalbert,  Ramuold  und  andern  heiligen  Män- 
nern seiner  Zeit  finden* 

Hrr  H.  lobt   Gerbert*s  Anhänglichkeit  und  Liebe 

ffir  das  Hans   der  Ottonen,   und  mit  vollem  Rechte* 

Aber  diese  Liebe  vrar  eioe  interessirte ;  die  Ottonen 

wjaren  Gebieter  der  Welt;  nur  in  ihrem  Dienste  konnte 

Jtkrh.  /.  w%Mni$eK  Kriäk.  J.  1839.  IL  Bd. 


der  ehrgeizige  Mönch  zu  Macht  und  Würde  gelangen. 
Es  glückte  ihm,  aber  auf  seinem  vielbewegten  Lebena- 
pfade  verlor  er  die  Unschuld  des  Herzens,  die  unwi- 
derstehlich gewinnt ;  seine  Principien  waren  ihm  nicht 
innerstes,  geistiges  Eigenthum,  sondern  nur  Mittel,  um 
zum  Zwecke  zu  gelangen.  Er  diente  allell  Parteien, 
und  lieh  ihnen  seine  gewandte  Feder.  Im  Namen  Carl*« 
von  Lothringen  verfafste  er  jenen  abscheulichen  Droh- 
brief gegen  Theodorich  von  Metz,  unterliefe  aber  nicht 
unmittelbar  darauf,  in  den  hohlsten,  nichtssagenden 
Phrasen  ihn*  um  Verzeihung  zu  bitten ;  jetzt  titulirt  er 
den  decQS  Romani  imperii,  welchen  er  vorher  als  hj- 
pocritarum  idea  bezeichnet  hat  ep.  32  u.  33.  Er  ist  fiir 
den  gefangenen  Otto  thätig,  bleibt  aber  dennoch  in  dem 
freundschaftlichsten  Verkehr  mit  dem  verrätherischen 
Ecbert  von  Trier,  ja  unterhandelt  wahrscheinlich  selbst 
mit  dem  Usurpator  Heinrich  (ep.  38).  Lothar  heifst 
bei  ihm  in  dieser  Zeit  tjrannus  (ep.  49),  späterbin  aber 
Francorum  clarissimum  sidns  (ep.  74).  Nach  Ludwig's 
Tode  ist  er  als  Geheimschreiber  in  den  Diensten  Uugo's 
(ep.  107.  111.  112.  120.),  er  eifert  gegen  Carl,  der  sein 
Erbe  wiedergewinnen  will,  und  doch  schreibt  er  an  des- 
sen Neffen :  Arnulf  (ep.  10  D.)  Div.  Aug.  Lotharii  ger- 
manne  frater  heres  Regni  Regno  ezpulsus  est.  Ejus 
aemuli,  ut  opinio  multorum  est,  inter  Reges  creati  sunt» 
QuQ  jure  legitimus  heres  ezheredatus  est,  quo  jure 
regno  privat lis  est !  Seine  Treue  war  in  diesen  Zeiten, 
so  wie  späterhin  den  Deutschen  verdächtig;  er  brach 
mit  ihnen,  als  sich  ihm  Aussichten  auf  das  Erzbistbum 
Rbeims  eröffneten  ep.  20  D.  cf.  Ep.  ad  Wilder,  fia. 
In  dem  lOten  Briefe  dieser  Sammlung  zeigt  er  sich 
dem  Interesse  Arnulfs  ganz  ^geben,  er  warnt  ihn  und 
fügt  hinzu:  Inventus  est,  qui  tuas  vices  sortiatnr.  Und 
doch  war  er  es  sj^lbst,  der  den  Sitz  des  gestürzten 
Freundes  einnahm.  Diese  Duplicität  der  Gesinnung, 
diese  sittliche  Haltungslosigkeit  hätte  der  Vf.  vor  Allem 
hervorheben  müssen.    Die  Sage  hat  wenigstens  richtig 

79 


627  Hoeky   Gerbet  §der 

gefühlt,  vpon  'sie  etwas  Dämonisches  in  diesem  Cha- 
rakter findet.  Wir  kehren  zur  nüheren  Beleuchtang 
der  Forschungen  des  Hrn.  H.  zurück.  Wenn  es  ep. 
135  beifst:  quia  etiam  obttdio  Laudunensis  urbis  prae- 
Jierita  pace  sequestra  inter^lissar  est,   X  CaK  Nov.  re- 

'  peteuda,  so  ist  es  falsch  und  flüchtig  übersetzt  p.  91: 
,,Am  1.  November  990  hatte  diese  zweite  Belagerung , 
begonnen."  Zu  der  Annahme  des  Jahres  990  berech- 
tigt ihn  aufserdcm  keine  einzige  Notiz  in  den  Briefen, 
80  wie  es  auch  gänzlich  unbegründet  ist,  dafs  Arnulf 
ebenfalls  in  den  Mauern  der  Stadt  war.  Di^  Nach- 
richten, welche  Richer  (Münchener  gel.  Anz.  1837.  n. 
150.)  von  diesen  Vorfallen  giebt,  würden,  wären  sie 
dem  Vf.  bekannt  gewesen,   seine  Darstellung  wesent* 

'  lieh  modificirt  haben.  Aus  dem  fragm.  bist.  Aq.  (du 
Chesne  II,  635):  Episcopus  montis  Laudunensis  As<^* 
lious  e&domada  maj[ors  ante  Patcha^  in  qua  est  coena 
Domini,  velut  ludas  Christum  et  ipse  tradidit  Carolum, 
hätte  er  aufserdem  den  Tag  der  Einnahme  Laou's  ge- 
nauer bestimmen  können.  Seltsam  ist^  dars  er  p.  104 
-Aea  verstümmelten  Text  ep.  35  D.  hunc  quoniam  fra- 
ter  •  .  .  sicut  per  antiquiorem .  .  •  gerulum  soripseram 
fio  übersetzt:  „da  der  Bruder  gekommen,  wolle  er 
Nachricht  von  sich  geben."  Woher  weifs  der  Verf.  p. 
113,  dafs  Gerbert  sich  itn  Spätjahre  994  nach  Deutsch- 
land begabt  Nicht  begründet  genug  scheint  uns  auch 
p.  119  die  Annahme^  dafs  im  Sommer  995  derselbe  den 
König  auf  dem  Feldzug  gegen  die  Slaven  begleitet 
habe.  Da  Otto  indefs  in  diesem  Briefe  (vor  der  Ab- 
handlung de  rationali  etc.)  schon  Imperator  heifst,  wel- 
cher Titel  ihm  bekanntlich  erst  nach  dem  21.  Mai  996 
zukam,  und  Gerbert  denselben  in  itinere  Italico  im  tie- 
folge  Otto*s  geschrieben,  den  König  also  nur  im  Jahre 
998  begleitet  haben  kann;  so  wird  der  erwähnte  Zug 
wohl  erst  im  Jahre  997  stattgefnnden  haben,  was  auch  mit 
der  Angabe  des  Chron.  Qaedlinb.  a.  h.  a.  übereinstimmt. 
Auffallend  war  uns,  dafs  der  Vf.  p.  130  die  an- 
gebliche Urkunde  Otto's  111.  über  die  Wahl  Gerberts 
zum  Papste,  so  wie  über  die  ihm  geschenkten  8  Graf- 
schaften für  acht  hielt.  Sie  befindet  sich  bei  Goldast. 
Const.  Imp.  1,226.  und  wurde  nach  Baron  ad  an.  1191 
im  Jahre  1339  gefunden,  cf.  Vitriarins-PfefBnger  1,63. 
und  1371.  Ihr  lohalt  ergiebt,  däis  sie  ein  und  dieselbe 
niit  der  in  der  bibliotheca  Vallicelliana  zu  Rom  befind- 
lichen Ottonis  IIL  improbatio  donationum  Caroli  M.  I. 
38.  fol.  121,  von  der  Pertz  Ital.  Reise  Archiv  V,  469 


Pap$t  Sylvester  if.  ,628 

"  i. 

berichtet^  ist.  Pertz  selbst,  wie  wir  ans  dem  kQrxlich 
erscbieneneu  4ten  Bande  der  monumenta  (IV,  leg.  II, 
B,  162)  ersehen,  hält  sie  für  acht,  indejn  er  gich  auf 
den  158.  Brief  Gerberts  (Duch.  II,  826)  beruft.  Wenn 
Otto  daselbst  bei  seiner  Abreise  aus  Italien  px  jeQcm 
Papste  sagt:  vestroque  solatio  afqne  subsidio  primo- 
res  Italiao  relinquimus.  Hugoncm  Tuscum  vobis  per 
omuia  fidum,  S.  Comitem  Spoletinie  et  Cumerim 
praefectum^  cui  octo  Comüatusy  gui  eub  lue  srnt^ 
veetrum  ob  amorem  contulitnusj  noetrumque  legatum 
eü  ad  praesene  prae/erivtuM^  sq  deutetr  er  damit  aoob 
nicht  im  geringsten  an,  dafs  er  sie  dem  päpstlichen 
Stuhle  geschenkt  habe;  ganz  abgesehen  davon,  dafs 
es  keinesweges  ausgemacht  Ist,  dafs  die  in  der  Ur- 
kunde aufgexä/ilten  8  Grafschaften  die  in  dem  Briefe 
gemeinten  seien.  Wir  können  wenigstens  nicht  gha- 
ben,  dafs  Otto  urkundlich  gesagt  habe:  sicut  —  do«  | 
minum  nostrum  Silvestrum  Papam  elegimui  et  Deo 
volonte  ipsum,  serenünmum  ordifiokmme  et  tread- 
musj  und  müssen  aufrichtig  bekennen,  dafs  die  scharfe 
und  gründliche  Kritik,  die  Pagi  ad  Baron,  tom.  XVI. 
p.  391  dieser  Urkunde  hat  zu  Theil  werden  lasseo, 
uns  vollkommen  von  ihrer  Unäohtheit  überzeugt  hat. 

Schliefslich  hätte  das  für  die  Litteraturgescbichte 
nicht  unwichtige  Factum,  dafs  Gerbert  noch  Cicero^ 
Schrift  de  republica  gekannt  (ep.  87),  nicht  übers^hea 
werden  müssen,  um  so  mehr  als  der  von  Ang.  Mai 
gefundene  Palimpsest  aus  dem  Kloster  Bobbio,  dessea 
Abt  Gerbert  bekanntlich  war,  stammt. 

Von  p.  166  —  202  folgen  Abhandlungen  über  6e^ 
berts  Schriften.  Wenn  hier  auch  die  gelehrten  Uote^ 
Buchungen  der  Benedictiner  (h.  litt.  d.'l.  Fr.  VI,  p. 
577)  zur  Grundlage  gedient  haben ;  so  läfst  es  der  Vf. 
docb  auch  nicht  an  eigenen  Forschungen  fehlen.  Na- 
mentlich  mufs  die  Geschichte  der  Mathematik  für  die 
gründliche  Auseinandersetzung,  die  hier  den  Ansichtea 
Gerberts  geworden,  dankbar  sein.  Im  Anhange  auid 
die  vorzüglichsten  Briefe,  so  wie  die  über  ihn  spre* 
chenden  Quellenstcllen  abgedruckt« 

Bei  allen  Ausstellungen^  die  wir  an  der  Arbeit  dei 
Hrn.*  H.  gemacht  ^  können  wir  doch  nicht  ohne  Jen 
aufrichtigsten  Dank  für  seine  fleifsige  and  anregeoda 
Schrift  scheiden,  und  hegen  die  Erwartung,  ihn  recht 
bald  wieder  als  einen  rüstigen  Erforscher  des  Mittel- 
alters willkommen  zu  heifsen.  Roger  W  i  Im  ans. 


Düntsetf  tUt  Ihelmoti9»  der 
XL. 

Dte  Declination  der  indogermanischen  SprQchen 
nach  Bedeutung  und  Form  entwickelt  von  Dr. 
H.  Dnntxer.    Köln^  1839.   hei  Eisen. 

Die  Flexioneo  sowohl  der  Nomina  ala  der  Verba 
Biod  es  haiiptaächlioh,  auf  die  man  bei  sprachwissen- 
sobaftKofaen  Untersuchangen  immer  zurückznkommen 
aich  genotbigt  siebt^  weil  sie  den  festen  Boden  bilden, 
TOD  dem  aus  man  über  die  n&bere  oder  entferntere 
Yerwandtschaft  der  Sprachen  entscheiden  kann:  diesen 
liat  man  daher  in  den  indogermanischen  Sprachen  bis« 
her  vonogsweise  seine  Aufmerksamkeit  zugewendet, 
nnd  das  Resultat  davon  ist  eine  ziemlich  allgemeine 
Oebereinstimmung  der  Forscher  in  den  yerglichenen 
Flexionen  gewesen,  so  dafs  zwar  im  Einzelnen  noch 
bei  den  Verschiedenen  Abweichungen  übrig  blieben,  das 
Gante  aber  für  immer  festgestellt  und  sicher  erscheint. 
Werfen  wir  z.  B.  einen  JSlick  auf  die  Dedinationsfor^ 
jnen  der  indogermanischen  Sprachen,  so  ist  hier  die 
formelle  lüentit&t  der  yerscbiedenen  Flexionen  fast  durch- 
weg anerkannt,  wogegen  über  die  Bedeutung  derselben 
noch  sehr  anseinanderliogende  Ansichten  herrschen :  die- 
se zu  beseitigen  oder  zu  reieinigen  ist  der  Vf.  der  vor- 
liegenden Sdirift  bemüht  gewesen,  und  wir  wollen  daher 
Im  Folgenden  prüfen,  inwieweit  ihm  dies  gelungen  ist. 

Hr.  D.  läfst  seine  Untersuchung  in  zwei  Theile, 
nämlich  „über  die  Beziehungen  des  Nomens  im  Allge- 
meinen" und  „über  die  Decliiiationsformen  der  indo- 
germanischen Sprachen**  zerfallen,  und  behandelt  zu- 
nächst im  ersten  Kapitel  des' ersten  Theils  die  Wort* 
kategorie  des  Nomons'  als  solche.  Im  zweiten  Kapitel 
gebt  er  darauf  auf  das  Geschlecht  des  Nomens  über, 
nnd  stellt  hier  als  erste  Unterscheidung,  welche  die 
Sprache  gemacht  habe,  den  Gegensatz  zwischen  Le- 
i^ndem  und  Leblosem  auf,  indem  er  zugleich  Pott's 
Ansicht  (Et.  Forsch.  II.  405),  das  Noutrum  sei  die  letzte 
AbstractioD,  die  der  Mensch  im  Geschlecht  mache,  als 
nngegründet  abzuweisen  sucht.  Ref.  mufs  gestehen, 
dafs  er  durch  das  hier  sowohl  als  bei  der  Formbildung 
des  Geschlechts  Gesagte  nicht  überzeugt  ist;  Acker, 
(,  Pflanze,  Baum,  Wald,  Flufs,  Strom,  See,  Bach, 

:,  Hügel,  Stein,  alles  dies  hatte  froheren  Geschlech- 
tern Leben,'  was  unserer  Abstraction  al^  todt  erscheint, 
nnd  eine  in's  Genauere  eingebende  Zusammenstellung 
dürfte  durchaus  nicht  för  die  von  dem  Vf.  behauptete 


indogermanischen  Sprachen.  930 

Ansicht  sprechen.  —  Das  dritte  Kapitel  haadell;  vom 
Numerus  des  Nomens,  und  im  vierten  betrachtet  Hr« 
D.  die  Casus,  von  denen  er  zunächst  den  Nominativ 
und  Vocativ  ausschliefst,  weil  die  Casus  das  Verbält^ 
nifs  andrer  Nomina  entweder  zum  Verbum  oder  zum 
Hauptnomen  darstellen  sollen,  und  weder  Nomin*  noch 
Voc.  dies  thun.  Aber  wie  die  Casus  obliqui  dazu  die« 
neu«  das  besondre  örtljche,  oder  doch  so  gedachte  Ver« 
hältnifs,  der  abhängigen  Nomina  zum  Subject  oder  Prü« 
dicat  zu  bezeichnen,  oder  vielmehr  wie  der  Sprechende 
dies  Verhältnifs  anschaut,  wie  er  es  sich  denkt,  so 
dient  det  Nomin«  dazu,  das  Verhältnifs  des  Subjecis 
zum  Hedenden  zu  bezeichnen,  indem  es  als  ein  aufser* 
halb  seiner  im  Räume  Befindliches,  oder  doch  so  Ge- 
dachtes, als  ein  Dortiges  dargestellt  wird;  nnd  somit 
wird  durch  den  Nomin.  das  atlgetneine  örtliche  Ver- 
hältnifs des  Subjects  angegeben.  Der  Vocat.  aber  ist 
seiner  Beziehung  als  Casus  nach  mit  dem  Nomin.  iden- 
tisch, nur  dafs  er'  nicht,  das,  aufser  dem  Sobjeot  befind- 
liche oder  so  gedachte  iff^sprochene,  sondern  jlnge* 
sprochene  bezeichnet.  —  Hr.  D.  geht  darauf  zu  den 
über  die  Casus  vorgebrachten  Erklärungen  über,  und 
findet  sie  sämmtlich  ungenügend ;  dies  liege  darin,  dah 
man  den  Hauptunterschied  zwischen  zwei  parallellau- 
fenden Kasusreihen  übersehen  habe,  nämlich  den  zwi- 
schen adverbialen  und  adnominalen  Casibus.  von  de- 
nen  jene  eine  nähere  Bestimmung  zum  Verbum,  diese 
zum  Nomen  fügen.  Dieser  Unterschied  findet  aller- 
dings statt,  nur  wird  es  sich  schwerlich  beweisen  las« 
sen,  dafs  die  Sprache  fiir  denselben  verschiedene  Ca- 
susformen hervorgebracht  habe,  da  in  den  beigebraoh- 
ten  Fällen  zwar  die  Art  der  Beziehung  verschieden, 
das  wirkliche  oder  gedachte  Verhältnifo  aber  immer^as- 
selbe  ist.  Hr.  D.  fährt  nun  fort,  die  nähere  Bestim- 
mung des  Verbi  könne  nur  eine  örtliche  sein,  -*  die 
modale  erwähnt  er  hier  nicht,  sondern  erst  späterhin  (pi 
46),  wo  er  sie  ebenfalls  ala  eine  örtliche  fafst,  —  diese 
nähere  örtliche  Bestimmung  ist  die  Richtung  (vgL  Pott 
Et.  Forsch.  II.  358),  das  Woher  und  das  Wohin  oder 
Wo  $  die  beiden  letzteren,  sagt  er,  seien  dieselben,  je 
/nachdem  der  Endpunkt  noch  als  ein  erstrebter  oder 
als  ein  schon  erreichter  betrachtet  werde*  '  Auf  diese 
Weise  erhält  dann  Hr.  D.  nur  zwei  adverbiale  Casus, 
nämlich  einen  des  Wo  und  einen  des  Wober,  einen 
Dativ  und  einen  Genitiv,  von  denen  jener  ursprünglich 
zugleich  als  Casus  des  Wohin  gebraucht  worden  sein 


id 


l  

ßüfUzery  (Üe  Declmatimi  der  indogmrmaniidAenSpraekm* 


631 

soll,  denn 'der  Aecusativ  ist  naoh  Hrn.  D.  eigentlich 
adnominal  und  erst  später  auch  adverbial  zur  Bezeioh- 
mwg  der  Richtung  Wobiii  gebrau.cht«    Dars  nun  jener 
Casus  des  Wo  ursprünglich  anch  das  Wohin  tertre* 
ten  habe,  sucht  Hr.  D.  1)  durch  häufige  Verwechselung 
des  Wo  und  Wohin  zu  beweisen  \  diese  kann  aber,  wenn 
aie  auch  wirklich  in  einzelnen  Fällen  zugegeben  wer- 
den mufs,  nicht  die  ursprüngliche  Gleichheit  der  Casus« 
formen  beweisen,  da  soweit  unsre  Denkmäler  indoger- 
manischer Sprachen  hinaufgehn,  sich  überall  ein  Accu- 
satir  der  Richtung  wohin?  findet,  und  man  auf  dieselbe 
Weise  sowohl  den  Gas.  des  Woher  mit  dem  des  Wo, 
als  auch  den  des  Woher  mit  dem  des  Wohin  identifi* 
ciren  könnte,  weil  z.  B.  im  Lat.  das  Wo  bei  den  Städte- 
namen  der  dritten  DecL  durch  denselben  Casus  ansge* 
drückt  wird,  wie  das  Woher  (vgl.  auch  im  Grieoh.  ig)* 
innmv  oxtiaOai  u.  A.),  und   das  Wohin  im  Grieoh.  bei 
Präpos.  häufig  mit  dem  Cas.  des  Woher  ausgedrückt 
wird,  so  z.  B.  ini  ^d^iimp  tpiiyuv  (Kühner  Grr.  Gr.  4* 
611.  vgl  Pott  II.  614.).    Die  scheinbare  Verwesphslung, 
die  im  Lat.  u.  Grieche  ziemlich  selten,   wohl  am  bau* 
figsten  im  Sanskrit  ist,  erklärt  sich  zuweilen  durch  eine. 
Attraotion,   z.  B.  Od.  tt.  81.  ndfiipm  d^  onnij  fAtv  HQCtdiij 
0vft6i  XI  wXiiii^  oft  dadurch,  dafs   die  noch  währende 
Bewegung  als  eine  schon  vollendete  gedacht  wird,  dann 
aber  auch  dadurch,  dafs  der  Ort  auf  welchen  sich  die 
Bewegung  richtet,  kein  einzelner  Punkt  ist,  sondern  ein 
grofserer  Raum,  in  welchem  sich  die  Bewegung  noch 
fortsetzt,  so  Coelö  ü  elamary  das  Geschrei  dringt  zum 
Himmel  und  durch  ihn  hin,  vanisu  gagäma  er  ging  in 
d^n  Wald  und,  als  er  dort  angelangt,  weiter  in  demselben. 
Dafs  aber  umgekehrt  das  Wohin  zuweilen  zur  Bezeich- 
nung des  Wo  gebraucht  wird,  erklärt  sich  aus  der  Na- 
t^r  solcher  Verba,  die  mit  dem  intransitiven  Sinn  einen 
transitiven  verbinden  können,  dann  aber  auch  oft  dar- 
aus, dafs  bei  den  verbis  die  sitzen,  stehen,  liegen,  weh* 
neu  bedeuten,  neben  den  durch  sie  ausgedrückten  Zu- 
ständen zugleidi  auch  eine  denselben  vorangegangene 
Bewegung  ausgedrückt  werden  soll,  wie  z.  B«  in  der 
von  Hm.  D.    aus  Soph.  Trach.  v.  100.   angeführten 
Stelle  OT^i^*  al  fih  t6vdt  tfißo9  al  d*  äXkov  ojfiov^   so 
auch  im  Sanskr.  z.  B.  Mahäbh.  111.  Qalyap.  v.  2023. 
rdhinfm  nivasati  priyamänö;    2)  sucht    Hr.   D.  seine 
Ansicht  dadurch  zu  beweisen,  dafs  manche  Sprachen 
überhaupt,  andre  in  besondern  Fällen  keinen  Accusa- 

(Der  Besehlafs   folgt) 


tiv  haben,    aber  daraus,  geht  nicht  hervor,  dars  sie 
nicht  in  irgend  einer  frühem  Zeit  einen  solchen  gebakt 
haben  können,  zumal  da  die  Sprachen  die  Bezeichnung 
des  Accusativ's  am  ersten  aufgeben^  weil  sich  das  acco. 
sative  Verhältnifs  am  leichtesten  aus  dem  Ganzen  des » 
Satzes  ergiebt.    In  den  Fällen,  wo  gar  kein  Acc  voh 
banden  ist,  mufste  Hr.  D.  nachweisen,  dafs  das  aocn* 
sative  Verhältnifs  nun  auch  wirklich  durch  den  Dotlr 
ausgedrückt  werde.    Die  wenigen  Beispiele  wo  J)at  o. 
Acc.  gleichlautend  sind,  beruhen  entweder  aaf  allmik 
liger  Entstellung  aus  verschiedener  Form,  wie  z.  B.  ni^ 
derd.  mi  (mir  und  micA)^   oder  es  sind  Urformen,  die 
noch  gar  kein  besonderes  Casusverhältnjfs  bezeichnen, 
wie  ich  z,  B.  -  glaube,  dafs  das  m&  im  Sanskr.  und  das 
alte  lat.  me  für  mihi,  das  Hr.  D.  p<  43  anfuhrt,  das 
sich  jedoch  auch  in  den  angeführten  Stellen  als  Accus, 
fassen  läfst,  solche  sind ;  den  besten  Beweis,  dafs  aot 
che  Formen  sich  neben  vollständigen  Flexionen  liem- 
lich  lange  erhalten,  hat  jetzt  Rosen  im  Rig.  V.Ma,  An- 
not.  p.  XXVIII;  geliefert,   wo,  er  zeigt,  dafs  asmifiir 
alle  7  Casus  im  Plur.  des  Pron.  der  Isten  Person  ohne 
Unterschied  gebraucht   werde.    Müssen  wir  nach  dem 
eben   Gesagten  Hrn.  D.  die  ursprünglich  gleiche  Be- 
zeichnung der  Verhältnisse  Wo  und  Wohin  bestraten, 
so  können  wir  auf  der  andern  Seite  auch  nicht  zoge- 
ben, dafs  die  hier  als  Genitiv  und  Dativ  gefafsten  Ca- 
sus nur  rein  adverbiale  seien,  da  namentlich  der  Loes- 
tiv  im  Sanskr.  häufig  als  erstes  Glied  eines  Composi* 
tums  der  Tatpuruscba  benannten  Klasse  erscheint^  abe 
hier  oflFenbar  adnominal  ist,  vgl.  Bopp  gramm.  sanscr. 
r.  673  u.  Päninis  VI.  3.  1—24,  wo  zugleich  auch  Bei- 
spiele andrer  mit  flectirten  Nominibus  componirten  Sob- 
stantiva  gegeben  werden.  —  Die  beiden  von  Hm.  D. 
adverbial  genannten  Casus  erscheinen  ihm  nun  1)  der 
Gas.  des  Wo  als  Dat.  im  Laf.^  Griech.,  German.  (hiei 
hat  sich  dann  aus  dem  Dat.  noch  ein  Instrumentalis 
entwickelt),  femer  als  Locativ  im  Sanskr.,  Zend,  Alt- 
slav.  n,  Litth.,  von  denen  dip  letzteren  den  Locat.  so- 
gleich als  Dat.  gebrauchen ;  2)  der  Gas.  des  Wober  ab 
Genit.  im  Lat.,  Griech,,  Genn.,  Altslav.  n.^  Litth.    bn 
Sanskr.  uod  Zend  hat  sich  aus  dem  Genit.  ein  Instroio. 
entwickelt  (so  auch  im  Altslav.  u.  Litth.),  und  zorGo- 
staltung  eines  eigentlichen  Dativs  sind.  Genitiv,  und  Lo- 
cativ zusammengetreten. 


jr  80. 

Jahrbücher 


für 


wissenschaftliche    Kritik. 


October  1839. 


Die  DecUnation  der  mdogermamtchen  Sprachen 
nach  Bedeutung  und  Form  entwickelt  von  Dr. . 
ff.  Düntzer. 

(Schlnfii.) 

Darauf  geht  der  Vf.  zu  den  adnenuDalen  Casibus, 
über,  and  sagt  wie  die  ganze  Personenwelt  in  den  drei 
perafittttohen  Pronooiinibiis  ihren  drtlieh  pronominellen 
AntdmfTlr  erhalten  habe»  so  habe  die  Sprache  zur  Be» 
seiehnang  de«  Verhältnisees  der  Nomina  untereinander 
drei  jenen  .Pronominibas  parallellaufende  Casus  gebil* 
det'  Dean  leh  als  der  V(»rbindnng  der  denkendeü  und 
gedaobten  Person  entspricht  ihm  die  Verbindung  der 
Nomina,  wenii  zwei  wie  zu  einem  Begriffe  zusammen» 
treten,  indem  das  eine  sich  in  dem  andern  manifestirf, 
«ad  das  andre  in  diesem  und  durch  dieses  Wirkung 
empfangt,  so  dafs  Handelndes  und  Behandeltes  als  die 
beiden  Seiten  der  Handlung  toiit  einander  zu  einem  Gän- 
sen sieh  Tereinigen.  Dies  sucht  der  Vf.  an  dem  Satze 
^,der  Vater  schlägt  den  Sohn'*  durchzufuhren,  aber  hier 
wie  in  allen  dem  gleidien  F&llen  ist  es  ja  irgend  eine 
allgenieine  Thätigkeit,  welche  dadurch,  dafs  sie  sich  an 
tinem  bestimmten  Objecto  ftnfsert,  als  eine  besondre  er- 
schein^  und  so  in  diesem  Olyecte  eine  nähere  Bestimm 
muDg  hat;  derAcc.  gehört  demnach  als  nähere  Bestim- 
nnng  zunächst  zum  Prädikat,  und  die  Sprachen  drficken 
dies  auweilea  sogar,  was  der  deutlichste  Beweis  für 
nnare  Ansicht  ist,  durch  Compösitipn  des  accusatiTea 
NoQiens  .mit  dem  Verbum  aus,  wie  z.  B»^  im  Deutschen 
in  „rathschlagen*'  u.  a.  und  im  Sanskr.  in  Zusammen- 
setzungen mit  dem  Verb.  JM  (vgU  Bopp  gramm.  sause. 
T.  653,  Lassen  AnthoL  p.  201.) ;  dafs  aber  der  Acc. 
sudrerseits  auch  adoominal  gebraucht  werde,  zeigen 
liüafige  Beispiele  und  am  unwiderlegÜchsten  indische 
Composita  wie  Pnrandaras,  Dhanangayas  n.  b.  .  Der  Vf. 
behauptet  aber,  *  dafs  der  Accus,  eigentlich  nur  zum 
Nomen  nicht  zum  Verb,  gehöre,  was  daraus  henrorgeh^ 

Jdkrh,  f.' wuun%€k.  Kritik.  J.  1830.   ü  Bd. 


dafs  z.  B.  im  Lat.  alle  Bedeutungen  so  gefafst  werden 
können,  dafs  sie  zum  Nomen  gehören,  viele  dagegen  es 
müssen.  Hier  aber  yertnifst  man  eine  tiefet  Begrün^» 
düng,  da  mit  den  wenigen  Bedeutungen  die  hier  und 
im  Anhang  gegeben  werden,  die  Sache  nicht  entscbie* 
den  wird.  -—  Im  Genit.  erkennt  der  Vf.  das  du  als  die 
Verschiedenheit  der  denkenden  und  gedachten  Person 
mit  der  Beziehung,  dafs  der  mit  Du  Angeredete  in  ei« 
ner  äufsern  Verbindung  mit  dem  Denkenden  steht,  und 
theilt  ihm  deshalb  das  Verhältnifs  der  An-  und  Abbän* 
gigkeit  zu.  Da  sich  nun  aber  nicht  alle  Fälle,  wo  der 
Genitiv  gebraucht  wird,  so  erklären  lassen,  nimmt  Hr. 
D.  an,  dais  sich  dieser  Casus  mit  dem  adverbialen  viel- 
facli  durchkreuzt  habe,  und  sich  beide  dergestalt  ver- 
wirrten, dafs  sie  in  den  indog.  Sprachen  sich  zu  einem 
Casus  vereinigten,  indem  bald  diese  bald  jene  Endung 
in  Anspruch  genommen  wurde.  Hier  giebt  Hr.  D.  also 
selbst  die  Unmöglichkeit  der  Scheidung  beider  Casus 
zu.  — .  Im  Ablativ  findet  der  Vf.  Verschiedenheit  nebst 
Trennung  ansgedräckt,  entsprechend  dem  Pron.  der 
dritten  Person;  auch  dieser  Casus  hat  sich  aber  mit  et- 
nem  andern  vermischt,  pämlich  mit  dem  des  Woher 
(p.  48.  49)  und  somit  läfst  sich  auch  hier  nicht  mehr 
genau,  scheiden.  Der  Vf.  mufs  demnacb  die  Möglich- 
keit ober  andern  als  rein-  adnominalen  Beziehung  bei 
allen  drei  Casibus  zugeben,  und  so  wurde  es  ihm  da- 
her schwer  sein^  selbst  wenn  die  Casusformen  keine 
andre  Erklärung  zuliefsen,  seine  Hypothese  mit  diesen 
Mitteln  durchzuführen.  Jedenfalls  verdient^  aber  doch 
der  hier  angeregte  Unterschied  einer  sorgfältigen  B^ 
achtnng,  da  er  fttr  die  Syntax  von  nicht  unbedeutender 
Wichtigkeit  ist.  •» 

Im  zweiten  Theile  sucht  nun  Hr.  D.  seine  Ansich- 
ten durch  Zusammenstellung  der  Deolinationsfonnen  an 
diesen  zu  beweisen  und  handelt  hier  im  ersten  Kap. 
vom  Genus.  Er  erkennt  als  Genuszeichen  der  Masc« 
\L  Fem.  #,  als  aus  dem  Pron.  der  zweiten  Person,  der 

80 


635  DüntxeTy  Jü  Deelmation  der 

Neutra  t^  als  aus  dem  Fron,  der  3ten  Person  genotn- 
nueo,  an  dessen  Stelle  dann  später  das  accusatire  m 
getreten  sei,  das  aber  nachher  bei  vielen  Stämmen  wie- 
der Terloron  ging  ^.  Wir .  haben  obep  bereits  zn  zei- 
gen versucht,  dafs  der  Nom*  ein  Casus,  und  daher 
das  Kennzeichen  desselben  ein  Casus-  und  kein  6e- 
schleehtszeichen  sei;  das  letztere  scheint  uns  um  so 
mehr  unmdglich  als  man  nicht  einsieht,  warum  nur  der 
Nom.  nicht  auch  die  übrigen  Casus  aller  Numeri  das 
Geschlecht  bezeichnen  sollten.  Wenn  Hr.  D.  bei  Be* 
urtheilung  d^r  Ansicht  des  Hrn«  Prof.  Bopp,  daTs  dasPron. 
der  S.Person  Nominativzeichen  sei,  fragt,  welchen  Grund 
die  Sprache  gehabt  habe,  das  t  im  Masc.  o.  Fem.  in 
#  zu  verwandeb,  so  kann  man  nur  antworten,  ^densel- 
ben,  aus  welchem  im  Nom.  sing.  masc.  u.  fem.  des  Pro- 
nomens selber  s  aus  t  hervorging,  ohne  dals  man  an- 
zunehmen brauchte,  das  s  sei  schon  fertig  ans  dem 
Pronomen  heriibergenommen  worden.  Dafs  der  Nomin. 
MOB  gegen  jene  Annahme  spräche,  können  wir  nicht  fin- 
den, er  läfst  sich  auf  dieselbe  Weise  erklären,  wie  die 
griecb.  Form  der  2.  Pers.  sing^.  auf  a^^a  u.  Aehnliches. — 
Im  zweiteil  Kap.  behandelt  Hr.  D.  die  Formen  des  Nu- 
merus. Indem  er  davon  aasgeht,  es  sei  sehr  wahr^ 
scheinlich,  dafs  das  Verbum  in  Bezeichnung  des  Nume- 
rus dieselbe  Bildungsart  befolge  wie  das  Nomen,  geht 
er  zunächst  auf  die  Betrachtung  der  Personalendungen 
des  Verbi  ein^  und  findet,  dafs  dieses  m  zur  Kenn- 
seichnong  des  Dual,  $  zu  der  des  Plural  verwende, 
eine  Ansicht,  gegen  welche  der  gewichtige  Umstand 
spricht,  dafs  grade  das  Präs.  des  Parasm.  im  Sanskr., 
das,  durchweg  ältere  und  vollere  Formen  im  Gegensatz 
zu  den  historischen  Temporibus  -zeigt,  im  Dual  das 
Kennzeichen  #  hat,  was  Hr.  D.  nicht  weiter  berfioksich- 
tigt  hat,  und  dafs  ferner  auch  die  2te  u.  3te  pers.  du. 
im  redupl.  Prät.  #  zeigen,  wovon  Hr.  D.  den  Grund 
darin  sieht^  dafs  die  Sprache  fär  das  Prät.  eine  kräf- 
tigere Form  haben  wollte  und  dazu  das  plurale  «ge- 
wählt habe ;  indefs  ist  nicht  gut  einzusehen^  warum  die  in 


^  Ref.  hfilt  dies  m  für  identisch  mit  t,  das  nach  seiner  An- 
sicht ursprünglich  allen  Neutris  sukam,  dann  aber  bei  den 
a-Stäminea  in  Annsrara  überginge,  bei  den  andern  abfiel. 
Ueber  dep  Wechsel  zwischen  diesen  beiden  Lauten  hat  er 
sich  bereits  in  seiner  AbhandL  de  Conjug.  in  /i»  BeroK  ap. 
Dummler  1S37.  ausgesprochen.  Als  Rest  der  neutralen  No- 
ihinatiTbezeicbnung  durch  t  erscheint  ihm  ^atat  f8r  <atam 
Rosen  R.  V.  p.  995.  1. 


inthgermanuehen  Spraeken* 

den  Personalendungen  ausgedrückte  Zweiheit  grtde  im 
Prät.  stärker. hervorgehoben  werden  sollte  als  a&de^ 
wärts.  In  dem  m  des  Dual  erkennt  nun  Hr.  D.  das 
Pron.  -der  Isten,  so  wie  im  #  das  der  2ten  Person,  in- 
dem er  annimmt^  dafs  diese  Nomeralbeseiebnang  «ich 
suerät  am  Pronomen  der  ersteq  Person  g^ebildet,  dies 
also  den  Dual  durch  ich  -H  ich,  den  Plural  durch  ich  -f 
du  ausgedrückt  habe,  und  tou  da  auf  Nomina  nsd 
Verba  fibergegangen  sei ;  ferner  sacht  er  dann  bei  des 
einzelnen  Casibus  nachzuweisen,  dafs  diese  Numarsl- 
beseichnung  nicht  blos  dem  Nomio.,  sondeni  allen  Csp 
sibns  anhafte^  worüber  auch  bereits  Pott  gehandelt  (Et> 
Forsch.  II.  S.  628  ff.).  Wenn  nun  auch  Ref.  in  leti* 
terer  Hinsicht,  was  das  Princip  anbetrifft,  mit  dem  Tf. 
fibereinstimmt,  so  kann  er  doch  die  hier  gebotene  Ait 
der  Beseichnnng  nicht  billigen;  das  m  ist  wie  beb 
Verbum  eben  so  wenig  beim  Nomen  aussehliefslichei 
I)ualkennzeichen,  das  zeigen  die  zendisohen  Formes 
auf  Aos  der  masc,  und  £s  der  fem.>  die  Hn  D.  nicbt 
dadurch  abweisen  kann,  dafs  er  sagt  jene  >sei  ploni» 
weil  im  Plural  auch  Formen  auf  äo'  Torkonuaen,  ws» 
mal  da  er  ja  die  Richtiglceit  der  Ableitung  des  Bn. 
Professor  Bopp,  der  te  aus  ajäos  entstehen  läfot,  ai^ 
erkennt:  denn  will  Hr.  D.  ayäos  als  Plural  nebmo^ 
so  geht  dies  nicht  an,  da  die  Fem.  auf  ä  im  Sandb 
und  Zend  nur  äs.  und  äo  zeigen,  will  er  es  als  Dual 
nehmen,  so  widerspricht  das  s  dem  als  ursprünglich  sa- 
genommenen  m.  Ferner  widerstrf^ht  dieser  Ansicht 
auch  das  s  des  Gen.  Loc.  Du.  im  Sanskrit,  dessen  E^ 
klärung  aus  mas  s  uas  "^  ds  (p.  95)  aiok  sdiwarlidi 
wird  begründen  lassen  (hier  dürlBte  Hr.  D,  .die  fibrigesi 
npch  zu  bezweifelnde  Form  des  Gen.  Du.  auf  ä  will* 
konmaen  sein,  Rosen  R  V.  Annot.  p.  XXIU.  YH,  2.)» 
und  die  neutrale  Endung  i,  in  welcher  der  Vf.  das  i» 
monstrative  i  sieht,  was  auch  Pott  Et.  Forsdi.  U.  p. 
629  thot.  Endlich  findet  sich  aber  grade  im  P^oa.  dei 
ersten  Person,  von  dem  die  Bezeiohnung  ausg^angen 
sein  soll,  auch  wenn  wir  vom  Gen«  Plur.  absehen,  doch 
noch  im  Dat  Abi.  Plur.  u^fnoByam^  so  wie  im  Nein* 
wayam  ein  m  statt  #,  und  dasselbe  findet  im  Pros,  d« 
2ten  Person  statt.  Demnach  müssen  wir  m  als  lu^ 
sprüngliches  Dualzeicfaen  gänzlich  von  der  Hand  «tt" 
Ben.  —  Als  allgemeines  Pluraizeiehen  sucht  Hr.  D.  i 
nachzuweisen  (vgl.  Pott  U,  629  ff.),  das  jedoeh  im 
Nom.  und  Accus,  in  einigen  Fällen  dem  demonstrsti» 
?en  i  gewichen  ist  \  dies  •  bleibt  aber  jedenfalls  m  ei* 


6S7 


JHMm$r^  die  DeeUnaiion  der  indogertmmieehen  SpraeAen. 


Dfgen  Owibns^  WU  Pott  dargethan  bat^  sehr  fragKcb, 
;  and  dann  bat  es '  scb verliob  den  Ursprung,  den  ibm 
Hr.  D.  zuschreibt f  wir  erkennen' nftmlicb  in  ihm  mit 
Hm.  Prof.  Bopp  das  Pron.  der  3ten  Person,  vas  uns 
aus  dem  Accus,  im  Sanskrit  am  allerdeutlicbsten.  her- 
Torui'gebn  scbemt,  denn  1)  wird  in  den  Yiden  oft  swi- 
sohen  Accusative  des  Plurals  auf  n  und  einem  folgen« 
den  8  ein  t  emgesciioben  (s.  Rosen  R.  V.  p.  13.  6; 
22!  6;  152.  2.  cf.  PAo.  VUI.  3.  39),  dann  auch  zuwei- 
len ein  s  oder  Visarga  (PAn.  VHI.  3.  5,  8,  10)  vor  an- 
dern Buchstaben;   2)  6nden  sich  in  den  V^den  noch 
Accusative  auf  nr  yon  Wörtern  auf  i  und  u  vor  Vo-- 
ealea  (s.  Rosen  R.  V.  Annot  XXXIX,  5);  3)  findet 
sich  in  den  Sobolien  zum  PAninis  (VII,  1.  39)  das  Bei* 
spiel  eines  alten  Accus.  Plnr.  auf  t  (na  tat  brabma- 
uAt  nindauMi  na  tAn  brAlmiauAn  iti  IdkA).  Die  ursprfing- 
Uohe  Form  sdieint  mir  demiutcb  die  in  dem  ersten  Falle 
eriuiltene,  nAmHch  nt  zu  sein ;  im  nr  ist  das  t  schon 
in  8  und  daraus  wegen  des  yorbergebenden  i  und  u, 
dessen  Wirkung  durch  das  n  nicht  geschwächt  wurde, 
in  r  Terwandelt;  der  letzte  Fall  zeigt  eine  deuFemini- 
nis  auf  &  ganz  analoge  Bildung,  nur  ist  das  t  noch 
nicht  in  s  verwandelt.    Dafs  t,  s,  Visarga  im  ersten 
Falle   kein  eupl\onischer  Einschub  sei,  geht  aus  den 
in  demselben  Kapitel  des  PAninis  beigebrachten  ana- 
logen Beispielen  hervor,  die  alle  auf  ein  ursprfiuglicbes 
t  aohliefsen  lassen.  —  Im  dritten  Kapitel  gebt  Hr.  D. 
daoB  zur  Casusbezeichoung  über,  indem  er  hier  die  nach 
seiner  Meinung  zusammengehörigen  Casusformen  mit-  - 
dnander  v^gleioht.    Bei  den  adverbialen  Casibus  ist 
ihm  s  Bezeichnung  des  Wo-,  a  die  des  Wober-Casus ;  bei 
den  abdominalen  m  Bezeichnung  des  Aoa,  s  des  Genit., 
i  des  Ablativ.     Die  Hauptabweichungen  der  Verglei- 
chnng  von  der  gewöhnlichen  Ansicht  finden   sich  hier 
bei  den  adverbialen  Casus,  der  Raum  verbietet  uns  in- 
defs  diese  Zusammenstellungen  hier  n&her  zu  betrach- 
ten*    Dafs   die  locative  Endung  des  Zend  sva,  hva 
dondi  ein  a  erweitert  sei  (p.  76),  was  nur  gerade  kein 
bstrumentales  in  Hrn.  D.'s   Sinn  sein  mufs,    scheint 
letzt  auch  der  Vedadialeet  zu  bestätigen  (Rosen  R,  V. 
Annot.  p.  LIX.  15)$  ursprüngliche  Länge  des  instru- 
mentalen a  auch  der  masculina'  (p.  80)  beweisen  jetzt 
Formen  wie  hm  Rosen  p.  47.  3«,  bakur^na  ib.  p.  251. 
21. ;  -dafs  Am  nicht  die  ursprünglich  ganze  Endung  des 
Benit  Plnr.,  sondern  aim  oder  aam  sei,  zeigt  das  Ale- 
hnun  sehr  häufige  wahrscheinlich  ging  ein  sAm  voran. 


638 

Der  grfech.  Gen.  auf  oio  mufs  jedeüfans  zu  asya  gi^ 
stellt  bleiben,  um  so  mehr  da  dies  aus  metrischen  Grün- 
den in  den  VAden  häufig  als  asia  genommen  werden 
mufs,  a  fiel  daher  im  Griech«,  da  es  zwischen  zwei  Vo-  ^ 
calen  stand,  ans,  und  oio  verhält  sich  zu  dem  aus  oo 
Contrahirten  ou  wie  Xaioirpf  zu  dem  AoL  Xaiorpr  Etym^ 
M.  p.  658.  28. 

Als  Anbang  giebt  Hr.  D.  nodi  eine  Nachweisung- 
der  verschiedenen  aus  der  Urbedeutung  hervorgegan- 
genen Bedeutungen  der  Casus  nach  ihrer  Entwicklung 
in  den  klassischen  Sprachen j  die  Ref.  nach  dra  bisher 
entwickelten  Gründen  nur  zum  Theil  billigen  kann. 
Schliefslich  empfehlen  wir  die  kleine  Schrift  dem  Pu- 
blikum, wenn  auch  nicht  wegen  der  darin  niedergeleg- 
ten Resultate,  so  doch  wegen  der  guten  Zusammen- 
stellung des  Materials  und  der  darüber  vorgebrachten 
Ansichten  bewährter  Sprachforscher,  und  der  in  gar 
mannichfacher  Beziehung  anregenden  Behandlungsweise 
des  Verfasjsers. 

Dr.  A.  Kuhn. 


XLI. 

A  Criiical  Orammar  qf  the  hebrew  language  by 
Isaae  Nordheiner,  Prof.  of  arabicy  eyriacy 
and  other  Orient,  langg^  and  aeting  Prof.  of 
hebrew  in  the  univereiiy  of  the  City  of  New^ 
York.  In  tteo  Volumee.  Fol.  1.  {Orthoepie  u. 
Etymohgie.)  JVew-Tor^,  1838.  gr.  8.  XXXFI 
undiSO  S. 

Eine  kritische  Grammatik  ia  Amerika  gehört  gewifs  zu  dea 
seltensten  Erscheinangen.  Dort  ist  man  wohl  yon  England  seit 
▼jelen  Decennien  emancipirt,  nicht  abef  ron  Deutschland,  wel- 
ehesy  wenn  aoch  nicht  die  Staatsangelegenheiten  deic  Amerika- 
■er,  doch  das  ganze  Gebiet  ihrer  Literatur  beherrschti  rorziig- 
lich  Theologie  und  die  damit  in  Verbindung  stehende  biblische 
Sprachkunde.  Wir  haben,  in  Betracht  dieses  Zustandes  der 
Dinge,  daher,  als  wir  das  Buch  zur  Hand  nahmen,  nichts  anders 
erwartet,  als  eine  Uebersetzung  eines  OefenncMchen  oder  EweH- 
sehen  Werks,  oder  einen  Gesenius  mit  etwas  Ewald  daruntsr, 
wie  es  Jetat  alle  Ausländer  mit  der  hebr.  Grammatik  ma6hen. 
Allein  wir  haben  uns  zu  unsrer  grolsen  Ueberraschung.  Tollkom 
men  getüuscht.  Wir  haben  wirklieh  eine  kritische  Grammatik 
und  zwar  eine  Originalarbeit  rer  uns.  Die  Glaubwürdigkeit 
unsrer  Behauptung  wird  leichter  anerkannt  werden,  wenn  wir 
dem  Leser  sagen,  da(s  der  Vf.  ein  gebmtur  Dttuuchtr  ist  und 
dentsche  Bildung  und  Grflndlichkeit  in  hohem  Grade  besitzt 
Er  hat  ror  wenigen  Jahreo,  politischer  Beschränkung  wegen, 


639 


N^rdheiner^  A  Critieai  OrammarqftAs  keinem  bmgyage* 


fein  Vaterlud  Baiern  rerluien  and  in  New  York  einen  1¥ir* 
kungskreifl  gefunden,  in  welchem  er  heilsam  -  strebt»  die  Theo- 
logie und  Philologie  in  Amerika  Mchrifttick^  Theologen  und  Phi- 
lologen aber  durdi  vffenUichen  ünUrrichi  ku  fordern,  lü'ir  kön- 
nen nicht  besser  zur  Beurtheilung  seiner  Leistung  schreiten,  als 
wenn  wir  einige  Worte  Ton  ihm  selbst  anfuhren,  durch  welche 
er  den  Standpunkt  bezeichnet,  auf  welchem  er  steht  und  von 
welchem  aus  er  betrachtet  zu  werden   verlangt      Nachdem  er 

/  in  der  tiefgedachten  und  schön  geschriebenen  l^inleitung  erklärt, 
dafs  die  hebrSische  Sprache  jetzt  nicht  mehr  einseitig  vom  Um- 
fange der  Semitischen  Dialekte,  geschweige  denn  von  ihrem  ei 
Jenen  beschränkten  Umfange  aus  behandelt  werden  darf,  son- 
em  nur  durch  das  tiefere  Eindringen  in  den  Indogermani- 
schen (er  nennt  ihn  Indo-European)  Sprachstamm  gedeutet  wer- 
den kann,  wendet  er  sieh  zu  den  Trägern  der  neuern  Forschun- 
gen auf  dem  Gebiete  der  hebr.  Philologie,  zu  Geseniut  und 
liwüld.  Mit  Geiet  und  Sachkenntniis  erklärt  er  sich  für  'das 
Verdienst  beider  einereeits,  und  gegen  ihre  Mängel  andrerseits, 
denen  er  mit  Sehonung,  wie  ein  dankbarer  Schiller,  abzuheilen 
strebt  Er  sagt  dann :  „Wenn  er  Cder  Verf.)  es  wagen  dürfte, 
den  Gesichtspunkt  anzugeben  (the  light).  aus  welchem  er'  sein 
M'erk  betracntet  zu  werden  wUnscht  in  Verhältnifs  zu  den  vor- 
mnfgegangenen  Arbeiten  Jener -beiden  ausgezeichneten  Philologen 
Ge$enni$  und  Ewald ;  so  möchte  er  bemerken,   dals  er  bei  der 

,  Bildung  seiner  Ansichten  Tollkommen  unabhängig:  von  beiden 
geblieben  ist.  Sein  Streben  war,  sich  auf  einer,  Bahn  in  der 
Mitte  der,  von  jenen  Terfolgten  Bahnen  zu  erhalten,  eingedenk 
dafs* 

—  „aicnf  cerft  denigue  finet 
Quoi  ultra  eitraque  nequU  eonsütere  rectum.** 

.  Daher  liat  der  Vf.  auf  der  einen  Seite  nicht  vermieden,  die  ab- 
schreckendsten Gegenstände  (the  most  formidable)  der  Etymo- 
logie selbst  bis  zii  den  geringfügigsten  Einzelheiten  zu  verfol- 
gen. Er  hat  sich  auch  nicht  begnügt,  zu  ihrer  Beleuchtung  ir- 
gend eine  gleiche  Erscheinung  in  der  aramäischen  oder  arabi- 
schen Sprache  als  Qrunäform  beizubringen.  Denn  so  unerläfs- 
lieh  die  Kenntnifs  der  Schwesterdialekte  auch  für  das  Hebräi- 
sche ist,  so  besteht  doch  die  wahre  Anwendung  nicht  darin,  daCi 
man  blofs  parallele  Fälle  citirt,  sondern  in  der  Anwendung  der 
Grundsätze,  welche  die  Phänomene  derselben  beherrschen.  Gram- 
matik ist  nicht  Lexicon Auf  der  anderen  Seite  liefe  sich 

der  Vf.  nicht  von  Neuerungssucbt  beherrschen,  oder  von  einem 
Verlangen,  den  Vorgängern  au  widersprechen.  Seine  Untersu- 
.  chung  war  bestfindig  dahin  gerichtet,  Wahrheit  und  Einfachheil 
zu  erreichen."  Diesen  Grundsätzen  e^eniäis  bewegen  sich  nun 
wirklich  die  Bemühnngen  des  Um  N.  durch  das  ganze  Buch« 
Kr  sucht  stets  die  Kegeln  und  Bildungsgesetze  der  Grammatik 
bis  zur  möglichsten  Einfachheit  zurückzuführen,  und  seine 
Leichtigkeit,  mancher  bisher  ungelösten  Spracherscheinung  einen 
hSrbaren  Grund  abzugewinnen,  ist  höchst  überraschend,  und 
gleicht  nur  noch,  der  Leichtigkeit  und  Klarheit,  mit  der  er  das 
Gefundene  vorträgt  Letzteres  ist  um  so  bewundernswerther, 
da  er,  wie  er  in  der  Vorrede  bescheiden  erklärt,  sich  der  engli- 
schen Sprache  noch  nicht  für  mächtig  genug  hielt,  um  in  ihr 
zn  schreiben,  und  sich  daher  von  Hrn.  Wm.  W.  Turneri  einem 
Jungen  Philologen,  unterstützen  liefs. 

So  sehr  nun  aber  auch  Hr.  N.  sich  unabhängig  diinkt,  uhd 
80  «ehr  er  auch  von  Neuerungssucht  frei  zu  sein  vermeint,  so 
linden  wir  ihn  doch  manchmal  von  letzterer  Sünde  gelockt,  und 
^sehr  oft  abhängig  von  den  beiden  deutschen  Gelehrten.  Die- 
ses uäre  kein  Unrecht,  ]a  es  ist  kaum  anders  möglich;  jedoch 
Buifs  man  ehrlich  genug  sein,  es  einzugestehen,  ohne  öffentlich 
mit  der  vermeintUchen  Unabhängigkeit  zu  liebäugeln,  Nicht 
alle  Seiten  des  Buches  haben  wir  gelesen,  ohne  auf  alte  Be- 
kannte zu  stofsen!  Alte  Bekannte  sind  aber  hier  nur  Qe^eniun 
und  Ewald;  von  alUm  BehannUn^  von  Reuthlin  bis  unt  Heizel, 


640 

haben  wir  selten  einen  angetroffen,  denn  Hr.  N«  bat  «eoirB«> 
kanntschaft  mit  ihnen  gemacht-  Seine  Quellen  sind  die  cram- 
matischen  Werke  des  G€9tnüUf  aber  eine  Vorliebe  for  EwtU 
dringt  bei  der  Benutzung  des  ersteren  immer  hervor.  Kr  pflägt  ' 
mit  dem  Kalbe  beider,  aber  er  säet  mit  Gluck  und  ehitet  mit 
Segen.  Auf  ihren  Schultern  stehend  äi^t  er  in  der  Thtt  ««• 
ter,  aber  auf  das  grade  Vorl.effende  sehn  natürlich  sie  besicr. 
Viit  leugnen- nicht,  dafs  er  im  Vortrage  der  Regeln  und  derK^ 
klärung  so  vieler  Sehwierigkeiten  originell  ist ;  wir  beklagen  nur, 
dafs  er  inuner  originell  sein  wollte,  und  daher  seinen  ScharfBian 
oft  vor  sich  hertrieb,  bis  dieser  zu  einem  Punkte  kam,  wo 
Scharfsinn  und  Spitzfindigkeit  synonym  werden. 

Ausgezeichnet  klar,  griindlich  und  genial  finden  wir  ithr 
viele  Theile  behandelt  Wir  rechnen  dahin  die  l^ehre  von  Var 
conversivum  S.  120,  deren  Grundlage  Michaelis,  Hetzel  unl  Qe-. 
senius  angehört,  dennoch  selbst  den  mit  dem  Geist  der  Sprächet 
vertrauten  Gelehrten  in  ihrer  hier  neuen  Gestalt  ansprechet 
niuis.  S.  93  if.  wird  eine  Betrachtung  angestellt,  ob  Niphal 
ursprünglich  passiv  von  Kai,  oder  reflexiv  sei.  Gesenius  stiinnt 
für  die  erste  Meinung,  Ewald  für  die  zweite;  Hr.  N.  vertheidii^ 
auch  ^ie  erste,  und  zwar  mit  gröfserer  Gewandtheit  als  dura« 
gängiger  Wahrheit  Er  hat  durchaus  vergessen,  dafs  die  rei^ 
xive  Kraft  von  Niphal  immer  im  Verhältnifs  zu  Kai  steht,  wih* 
rend  die  reflexive  Kraft  des  Hiihpael  von  Fiel  bestimmt  wiri 
Dies  kann  man  an  dem  von  Um.  N.  selbst  angeführten  Beispiel 

deutiich  sehn.    Der  Erzähler  sagt  von  Adam  NSDA^^  er  vec- 

barg  sich  ernstftcA,  er  wollte,  im  BewuCstsein  der  Schuld,  mckt 

gefunden  werden.    Dagegen  sagt  Adam  selbst  NDPNl  ichvo^ 

iUckte  michy  ich  ging  nur  bei  Seite,  aus  zartem  SchaamgefShl, 
in  dieiem  Augenblick  ntck$  ge$ehn  zu  werden. 

Nicht  ganz  glücklich  ist  Hr.  N.  in  der  Angabe  der  Bedeo- 
tungen  der  Konjugationen.  Bei  Piel  z  B.  verschweigt  er  gau, 
dafs  es  eine  privative  Bedeutung  giebt,  oder  eine  solche  von  4et 
Grammatikern  angenommen  \iird.  Er  sagt  nur  ^07.  4.)  „Byüie 
iniensitive  force  of  Pi'hel  some  nouns  are  a$  ü  were  antmetti 
inlo  verbs  (,f),  whioh  designate  an  action  performed  witb  thit 

noun ^P.Q  "^  '^^'^^  i"*^^'.»  ^flQ   ^^  stone."    Wo  Hr.K. 

gefunden  hat,  dafs    yPD    Stein  heifst,  wissen  -  wir,   nämlich  ia 

Ewald;  wo  aber  dieser  es  gefunden ^hat,  wissen  wir  nicht 

Vortrefflich  ist  das  ganze  (Capitel  von  den  Pronominibti» 
das  Capitel  von  den  Zahlwörtern,  und  viel  Gntea  findet  sich  bo 
der  Behandlung  der  unregelmäfsigen  Verba. 

Die  Grammatik  gereicht  dem  Vf.  zur  Ehfe,  und  macht  tif 
die  Erscheinung  des  folgenden  Theils  gespannt.  Sie  ins  Oetit- 
sehe  zu  übersetzen  würde  kein  überflüssiges  Unternehm'eo  sein; 
nur  würde  der  deutsche  Uebersetzer  manches  noch  berichtiget 
müssen.  Einen  groben  Fehler  wollen  wir  hier  gleich  noch  b»> 
richtigen.  \^ir  hätten  einen  solchen  nicht  erwartet,  da  er  in 
totalen  Mifsverhältnifs  zum  Charakter  des  Buchcfis  steht  S.22 
nämlich  heifst  es:  „Das  Zeichen  -r  vor  Sh'wa,  obgleich  ohne  Sie- 
theg^  wird  wie  lang  A  gelesen,  wenn  es  Kametz  war  ehe  dai 
Wort  durch  Anwa^hs  zu  dem  Sh'wa  gekommen  ist  },e.  %^  Akit 

er  fort,  the  infii|itives   1 JU;    '\DVi    'häbhöd,  shämdr,  wbich  ob 

taking  the  sutfix  f\  become  rtiajX.   TTiO^  'häbhdha,  shin* 

ra."  Bei  dieser  Regel  ist  Hr.  N.  ganz  Original,  ohne  deutsche 
Vorgänger)  w'it  hoffen  auch,  er  wird  darin  ohne  deutsche  Nach- 
folger bleiben.  In  Deutschland  liest  man  Obhda  und  ^ckomn, 
weil  man  wohl  weifs,  dafs  diese  Fönten   nicht  aus  den  liifi>> 

absol.  "^b^J  und  "läV»  sondern  dem  Inf.  constr.  ^tlVj  *lb9. 

hervorgehn, 

F.  S.  Lebrecht 


Jl^  81. 

J  a  h  I*  b  fi  c  h  e 


N  t 


für 


wisse  nschaftli  c  h  e    Kritik. 


November  1839. 


XLII. 

Dialektik.  Aus  Sckleiermachers  handschriftU" 
chem  Nachlasse  herausgegeben  von  L.  Jonas. 
(Fr.  Schleiermachers  literarischer  Nachlafs. 
Zur  Philosophie.  Zweiten  Bandes  zweite  Ab- 
tkeilungj.  Berlin,  1839.  bei  Reimer.  XVIII. 
610  8.    gr.  & 

Vott  allen  Tbeika  iea  SohM6niiaoli«ndien  Nach- 
lasses wMPd  der  vorJSegeode  mit  besonderer  Spannung 
^vora  wisaenschaftliehen  Pnbfioam  erwartet,  weil  man 
sich  voa  ihm  den  Anfscbhifs  dber  den  inaersten  Kern 
oadMittelpaneider  Philosophie  des  hocbgefeierfen  Man^ 
aes  fersprechen  \inffte.    Er  ist  gegenwCrtig  erschienen, 
and  zwar  in  einer  Weise  aasgostattet,  die  wenigstens 
über  die  strengste   diplomatisebe  VoUst&ndigkelt  der 
MateriaKea,  ans  welchen  die  Kenntnifs  von  Schleier- 
fliaohera  dialektischem  System  sn  schöpfen  ist,  keinen 
Zweifel  Ulfst.    Eine  Ausarbeitung  dieses  Systeme  fnr 
den  Bnaok  halte  der  Verewigte  erst  knra  vor  seinem 
Tode  begonnen;  die  wenigen  Paragraph^  der  Einlei- 
fang,  welche  er  m  diesem  Bebnlis  niedergeschrieben, 
konnten  daher  gegenwärtigem  Werke  mir  ah  Anhang 
beigegeben  werden.     Im   (Jebrigen   war   dasselbe   zu- 
ttikehsl  aus  den  handsohriftltchen  Notizen  zusammensu« 
Stelleo»,  welohe  der  Verf;.  sich  lilr  den  mündltcbea  Vo»» 
trag  aufgesetzt;  der  Hr.  Herausgeber,  welchem  Nie- 
flumd  die  Anetkemmag  yersagen  wird,  den  Ton  seinem 
▼erewig^en  Freund  ibm  gewordenen  Auftrag  mit  muster- 
hafter, bis  zur  Selbstaufopferung  fortgehender  Gewis- 
senhaftigkeit voltzogen  zu  haben,  ist  dabei  so  verfah- 
ren, dafs  er  die  ausfährliehate  und  geordnetste  jener 
bndaohriften ,   ans  dem  Jahre  1814,    als  Grundtext 
gegeben,  dieser  aber  die  übrigen,  von  denen  nur  die 
eine  ttech  ftiter  ist,  die  andern  aber  sämmtlioh  jfingev 
sind   uid  jene  zu  oberst  gestellte  meist  ausdrücklieh 
ala  ibre  Grundlege  voraussetzen  oder  sioh  auf  sie  zn- 

Jakrb.  /.  wMtejMcA.  Kritik.  J.  1839.    II.  Bd. 


rtickbezteheu,  zugleich  mit  dem  schon  erwähnten  An- 
fange einer  für  den  Druck  bestimmten  Einleitung,  in 
einer  Reibe  von  Beilagen  hinzugefugt  hat.  Gröfsere 
und  kleinere  Stellen  ans  fremden  Nachschriften  der 
mündlichen  Vortrüge  sind,  allenthalben  mit  genauer 
Angisbe  der  Zbit,  welcher  sie  angeli((ren,  sowohl  dem 
Haopttexte  als  den  Beilagen  in  Anmerkungen  bei- 
gegeben. 

Die  Form,  in  welcher  das  Werk  auftritt,  ist  hier^ 
nach  aller^ngs   eine  fragmentarische  geblieben;    bei. 
weitem  mehr,  als  sie  es  hütte  werden  können,   wenn 
man,  was  aber  weder  in  dem  WHlen^  des  verewigten 
Yerfs.,  noch  in  dem  Interesse  des  PubHcums  lag,  eine 
Nachschrift  der   mündlich   gehaltenen  Vortrüge  hätte 
zum  Grund  legen  wollen.     Auch  das  Hauptheft  vom 
Jahre  1814  nämlich  bietet  nichts  weniger  als  eine  aus* 
gcftibrte    Darstellung    von   stetigem,    gleichmäfsigem 
Flusse;    es  sind  kurze  Sätze  in  Paragraphenform  mit 
beigegebenen  aphoristischen  Bemerkungen,  nicht  im- 
mer in  sehr  strengem  logischem  Zusammenhange,  viel- 
mehr  mit  manchen  Sprüngen  und  uttausgeAllten  Lücken, 
welche  dem  mündlichen  Vortrage  ins. Gleiche  zu  brin- 
gen überlassen  blieb.    Aehnlicbes  gHt  natürlich  in  noch 
höherem  Grade  von  den'  übrigen  handschriftlichen  J^nt* 
Zeichnungen,  mit  Ausnahme  der  einen,  ftlr  Abu  Druck 
bestimmten,  die  aber,  als  ein  gar  nicht  weit  fortge- 
führter Anfang,  fär  das  Ganze  kaum  in  Betracht  kom- 
men kann«    Auch  an  vielfadken  Wiederholungen  fehlt 
es   bei  so  gestalteter  Zusammensetzung  des  Werkes 
begreifliche  Weise  nicht ;  doch  möchten  H^ir  nicht  sa* 
gen,   dafs  das  Gmize  allzu  weitschweifig  ausgeftilien 
sei.    Man  kann  sich  vielmehr  auch  jene  Wiederholun- 
gen wohl  gefallen  lassen,  da  sie  nie  leicht  ohne  Er- 
läuterung und  VervoHirtändigung  des  früher  Gegebenen 
sind',  wiewohl  sie  freilieh  nicht  eben-  ein  besonderes 
Interesse  der  geschichtlichen  Bntwickehing  und  orga- 
nisohen  Fortbildung  des  in  diesen  Handschriften  nie- 

81 


643  S^AlöiermaeA 

dergelegteD  OedaDkeDsjstemes  darbieten^  welches  eibh 
vielmehr  seinem  wesentlichen  Gehalte  nach  gleich  ?on 
Torn  herein  abgeschlossen  und  vollendet  zeigt.  Die 
nachschriftlichen  Bruchstücke  der  mündlichen  Vorle- 
,  suiigen  sind  ungemein  lesbar,  und  lassen  nirgends  jenen 
streng  geordneten  Gedankengang  vermissen,  welcher 
auch  den  improvisirten  mündlichen  Vortrag  ihres  Ur- 
hebers  au^eichnete.  Je  näher  dieser  Vortrag  überall 
'  der  strengeren  Haltung  des  schrifth'chen  kam,  je  wo- 
liigep  er,  gleich  dem  in  seiner  Art  nicht  minder  vor- 
auglichen  und  vielleicht  noch  unmittelbarer  anfegenden 
und  belebenden  Kathedervortrag  anderer  ausgezeich- 
aeter  Docenten,,  sich  in  der  freieren  Weise  des  eigent- 
liehen  Conversationstones  gehen  liefs,  um  so  mehr 
scheint  sich  derselbe  auch  zur  unmittelbaren  Uebertra- 
gung  in  die  schriftliche  Rede  zu  eignen.  —  Im  Ganzen 
hat  gewifs  das  Werk  durch  den  treuen  Fleifs  und  die 
gewissenhafte  Sorgfalt  des  Hm.  Herausgebers  dieje- 
nige Gestalt  gewonnen,  die  es  vor  allen  andern  etwa 
möglichen  am  besten  dazu  eignet,  dem  Zwecke  zu  ge- 
nügen, dem  es  zunächst  gewidmet  ist,  uns  in  die  Be- 
schafFenheit  der  philosophischen  Gesammtansicht,  wel- 
che Schleiermachers  sänimtlicben  wissenschaftlichen 
Thaten  und  Unternehmungen  zum  Grunde  liegt,  einen 
eben  so  klaren  und  vollständigen,  als  durchaus  authen- 
tischen .Einblick  zu  geben. 

Dafs  nämlich  die  wissenschaftliche  Discipliu,  wel- 
che Schleiermacher  DMektik  nannte,  nach  seiner  Ab- 
sicht  die   allgemeine   philosophische   Grundlage   alles 
Wissens  enthalten,  dafs  sie  in  dem  Ganzen  der  Wis- 
senschaft die  Stelle^  um  uns  des  bekannten  Aristoteli- 
schen Ausdrucks  zu  bedienen,   einer  nQfOTri  (fiXoaoqila 
\    einnehmen  sollte:  dies  ist  aus  mannichfachen  Andeu- 
tungen, welche   sich  hierüber  in    des  Verfs.    frühern 
Werken,  neuerlich   noch   in  dem  ,, Entwurf  eines  Sy- 
stems  der  Sittenlehre''    finden,    hinlänglich    bekannt. 
Schi,   hatte  den   Ansdruck   Dialektik  von  Piaton  ent- 
lehnt, bekanntlich  demjenigen  Philosophen,  dem  er  sich, 
was  Styl  und  Methode  des  Phiiosophireus  betrifft,   am 
liebsten  anscblofs;   er  beabsichtigte,   so  scheint  es,  in 
seiner  Dialektik  etwas  Entsprechendes  zu  geben,    wie 
was  Piaton  im  siebenten  Buche  der  Republik  als  Wis- 
senschaft der   Dialektik    bezeichnet.     Wie^dem  Pia- 
ton,  —  diesen  wenigstens  so  verstanden,  wie  eben  Schi, 
ihn  verstand,  —  so  war  auch  Ihm  die  Philosophie  zu- 
nächst mehr  Kunst,  als  Wissenschaft,  und  die  Dialek- 


ertDiatektik.  641 

tik  sollte  nach  ihm  die  Darlegung  der  Gmndsltse  leia, 
nach  welcher  in  jener  Kunst,  •—  der  Kunst,  so  fisdes 
wir  sie  in  der  für  den  Druck  bestimmten  EinleitiiBg 
(S*  568)  bezeichnet,  der  „Gesprächfuhrnng  im  Gebiet 
des  reinen  Denkens",  —  zu  verfahren  ist.  Wens  er 
zugleich  für  diese  wissenschaftliche  BetrachtuDg  die 
Forderung  aufstellt,  dafs  sie  „il*gendwie  die  Principiea 
des  Philosophirens  enthalten  müsse'*  (S.  2),  und  wenn 
wir' aus  dem  Charakter,  welchen  die  vorliegende  Ans* 
führung  trägt,  entnehmen  dürfen,  dafs  dieser  Aüssprack 
in  einem  realeren  Sinne  zu  verstehen  ist,  als  dabei 
mit  jener  Definition  unmittelbar  identisch  erscheisen 
könnte:  so  werden  wir  jedoch  über  das  Verhältoib 
beider  nicht  lange  im  Zweifel  gelassen.  Die  Regeb 
äer  Verknüpfung  des  Wissensinhalts,  welche  die  Dia- 
lektik als  Kunstlehre  des  wissenschaftlichen  Denkesi 
aufzustellen  hat,  sind,  so  erfahren  wir  S.  7,  nicht  ?oo 
den  innersten  Gründen  des  Wissens  zu  trennen,  und 
umgekehrt,  die  Einsicht  in  diese  Gründe,  oder  die  Ein- 
sicht in  die  Natur  des  Wissens  als  auf  die  Gegen- 
stände sich  beziehend,  kann  sich  in  nichts  andenn  au* 
sprechen  und  verkörpern,  als  in  den  Regeln  der  Ve^ 
knüpfung.  Die  Dialektik  in  Schleiermacbers  SiBite 
stellt  sich  uns  hiemach  als  eine  Vereinigung  dessen 
dar,  was  man  sonst  Logik^  mit  dem,  was  man  M^^ 
pAysik  nenqt.  Für  beide  Seiten  der  Betrachtung  fia- 
den  wir  hier  auch  die  Ausdrücke:  „formale"  tmd 
„transscendentale  Philosophie"  gebraucht,  wobei  zu» 
gleich  ausdrücklich  bemerkt  wird,  dafa  Logik  obae 
Metaphysik  keine  Wissenschaft  sei,  Metaphysik  aber 
ohne  Logik  keine  Gestalt  gewinnen  könne,  als  eiae 
willkuhrljche  und  phantastische. 

Die  Verbindung  dieser  zwei  Seiten  des  allgemeia 
philosophischen  Wissens,  der  formalen  oder  logiscbea 
und  der  transscendentalen  oder  metaphysischen,  zu  ei- 
ner und  derselben  Disciplih,  erinnert  jeden  mit  dea 
neuem  Gestaltungen  der  Philosophie  Bekannten  zu  «if« 
fallend  an  das  Unternehmen  einer  ähnlichen  Ineiosbit 
düng  beider  Seiten  in  Hegels  „Wissenschaft  der  iAh 
gik,"  als  dafs  wir  uns  eines  Hinblicks  auf  diese  leti- 
tere  und  einer  vergleichenden  Zusammenstellung  bei- 
der, ihrer  Gestalt  und  ihrem  wissenschaftlichen  GchaMe 
nach  nichtsdestoweniger  so  weit  von  einander  ablte* 
genden,  Werke  enthalten  könnten.  Solche  Verglricbinig 
wird  noch  näher  gelegt  durch  den  Umstand,  dafe  der 
Gedanke  jener  Vereinigung  bei  beiden  Philosophen  offen* 


8iS  S  e  k  l e,i  0  r  m  a  c  h 

hur  «00  derselfceii  Quelle  fliafaty  Dftalieh  «v«  der  Idee  der 
ats^iuien  Identüäi  des  Seins  u^d  des  H^üeene^  wel« 
'  ehe  im  AUgemeiiieo  den  Staedpiuict  sowohl  des  Schlei- 
eröiftdieracb^ii,  als  des  Hegebohea  Philosophirens  be- 
■eiciiBet*   Bei  demjenigen  Philosopheo^  welcher  gev'dhn- 
lieh,  und  mit  Recht,  als  der  erste  Entdecker  oder  Wie- 
derenldecker  dieser  Idee  inmitten  der  neuem  Entwicke- 
Iwigsperiode  der  Philosophie^  die  mit  Kant  ihren  An« 
fang  nimmt,  hetrachtet  wird,  bei  Schelling,  war  dieselbe 
bekanntlich   nnTcrmittclt   durch  einen   logischen  oder 
metaphysischen  Denkprocefs   in  einem  Acte  begeister* 
ten  Aufschwungs,  welchen  dieser  Denker  „intellectoelle 
AiMchaanng'^  nannte,  gefafst  worden.    Sie  diente  dort 
nur  als  Ausgangspnnct  der  realen  Theile  des  philoso- 
pUscben  Wissens,  der  Natura  nnd  der  Geistesphiioso« 
phicy  ohne  für  sich,  selbst  Gegenstand  einer  abgeson- 
derten,   im  reinen  Denken  sich  vollendenden  wissen« 
sdiafUichen  Betrachtung  su  sein.    Eben  darum  aber 
schien  in  jener  ersten  Gestalt  der  Schellingschen  Phi- 
losophie sowohl  Natur-,  als  Geistesphilosopbie  des  si« 
obem    wissenscbafilichen  Grundes  zu  entbehren   und 
gkichsam  in  der  Luft  oder  in  einem  mystischen  Aetber 
sn  schweben.    Man  yermifste  gerade  das  bei  ihr  am 
meisten,    in  dessen  Begrändung  und  Ausführung  die 
Philosophie  seit  Kants  Vemunftkritik,  wo  nicht  ihre 
«insiget,  doch  ihre  erste  und  nächste  Aufgabe  gesetzt 
hatte,  eine  ausdrückliche  Erkenntnifstheorie,  durch  wel- 
che die  Art  und  Weise,  wie  sich  das  Erkennen  sum 
Sein  in  ein  Verhultniis  setzt  oder  damit  identisch  weifs, 
entwickelt  worden  wäre.     Diesen  Maogel  suchten  so- 
wohl Schleiermacher  als  Hegel  zu  ergänzen,  indem  sie, 
jeder  auf  seine  Weise,  den  Anfangspunct  der  Philoso- 
phie weiter  zuröckverlegten,  und  durch  eine  von  jenem 
tieferliegenden  Punkt  ausgehende  Betracbung  nicht  nur 
das  Dafs,  sondern  auch  das  Wie  jener  Einheit  des  sub- 
jectiven  und  objectlren  Momentes  im  wissenschaftlichen 
Erkennen  nachzuweisen  strebten.  —     Wenn  nun  eher 
diese  Betrachtung  selbst  bei  beiden  Denkern  eine  ganz 
Tarschiedeoe  Gestalt  gewann;   wenn  wir  die  Dialektik 
Sohiejermachers  und  die  Logik  H^els  nicht  etwa  als 
eine  und  dieselbe  Wbsenschaft  in  yerschiodenartiger 
Darstellong  und  Bearbeitung,  sondern  in  der  Tbat  als 
zwei  gänzlich  verschiedene,  kaum  einen  oder  den  an- 
derR  Satz  oder  Gegenstand  mit  einander  gemein  habende 
wissenschaftliche  Gebiete  sich   einander  gegenäberste- 


er*    Dialektik.  646 

hen  sehen:  so  ist  hiervon  der  Grund  nicht  etwa  nuf 
in  ein»  zufAlligen  Abweichung  des  subjectiven  Verfah- 
rens zu  suchen,  in  welchem  Beide  dem  gleichen  Ziele 
entgegenstrebten.    Die  Betrachtung  jener  Verschieden- 
heit erhält  ihr  tieferes  Interesse  vielmehr  eben  dadurch, 
dafs  ihr  Grund  in  der  Fassung  der  Idee  selbst  liegt, 
die  bei  Beiden  eben  so  sehr  das  Princip,  wie  das  Ziel 
oder  den  letzten  Gegenstand  der  Wissenschaft,  von 
der  hier  die  Rede  ist,  ausmacht.    Beide  nämlich  haben 
diese  Idee  nicht   etwa   nur  äufserlich   von   Schelling 
oder  von  einem  andern,  altem  oder  gleichzeitigen  Phi- 
losophen aufgenommen  nnd  eben  so  äufserlich  das  dort 
Fehlende  hinzugefijgt    Von  Jedem  von  Beiden  ist  viel- 
mehr  die  Idee,    welche   den   substantiellen  Kern  des 
beiderseitigen  wissenschaftlichen  Thuns  ausmacht,  auf 
selbständige  Weise  im  eigenen  Geiste  producirt,   und 
durch  die  Verschiedenheit  der  Gestalt,  welche  die  Idee 
in  dieser  wiederholten  Selbsterzeugung   angenommen, 
sind' Beide  auf   wesentlich  von  einander  gegenseitig, 
nnd  von  andern  Philosophen,  die  sich  mit  ihnen  schein- 
bar zu  einem  und  demselben  Princip  bekennen,  abwei- 
chende wissenschaftliche  Standpuncte  gestellt  worden. 
Diese  verschiedenen  Standpuncte  sind  es,   die  sich  in 
den  verschiedenen  Disciplinen  ausdrücken,  durch  wel- 
che Schleiermacher  und  durch  welche  Hegel  jenem 
Princip  eine  immanente,  im  reinen  Denken  sich  vollen- 
dende wissenschaftliche  Entwickeluog  gegeben  haben« 
Die  Schleiermacbersche  Auffassung  der  Idee  des 
Absoluten  unterscheidet  sich  auf  bewufste  und  ausge- 
sprochene Weise  von  andern  gleichzeitigen  Auffassun- 
gen dieser  Idee  zuvörderst  dadurch,  dafs  nach  ihm  die 
Realisirung   derselben  im  Wissen   in    keinem  Gegen- 
satze gegen  das  gemeine,  sinnliche  Erkennen  steht, 
sondern  in  ununterbrochener  Stetigkeit  von  jenem  An- 
fange aus,   der .  in  dem  sinnlichen  Erkennen  gegeben 
ist,  erfolgen  kann.     Schleiermacher  glaubte,  wie  uns 
der  Herausgeber  berichtet  (S.  25),  das  nt^wvov  yttvögg 
der  neuesten  philosophischen  Bestrebungen  in  der  An- 
nahme einer  absoluten  Trennung  zwischen  gemeinem 
und  philosophischem  Wissen  zu  erkennen,  und  stellte 
diesem  gegenüber  (S.  24  ff.)  als  die  erste  Vorausset- 
zung, ohne  welche  von   einer  Wissenschaft  der  Art, 
wie  seine  Dialektik,  nicht  die  Rede  sein  könne,  eben 
diese  hin,  dafs  alles  Wissen  nicht  zwiefach,  sondern 
einfach,  dafs  also  das  Princip  des  philosophischen  Wis- 


647  Seilei^rmac 

mmß  idbon  ia  dem  geoMfaen,  wiewobl  uabeiriirst  ge* 
gBDwftrtig  sei«  -«  Was  die  io  diesem  Sutse  entbaltcoe 
Polemik  betrifft:  so  war  zauächat  wohl  die  SchelliDg« 
•che  ^^inlelteetnell^  AASchaming"  genieiet ;  wie  wir  dena 
auob  aaderwftrt«  (S.  166,  S.  334)  dea  \t.  io  ausdrücli:- 
Hdb^  Oppositioa    gegen   den  rem  Staadpaact  dieser 
y^Aoscbaaaag''  aufgestellten  Satz  erbliciLen,  dafs  das 
ebdliebe  ^in,  die  GSegenstAndUctikeit   des  gemeinen^ 
similicbett  Wissens^  durch  einen  Abfall  von  Gott  oder 
dem  Absolttten  entstanden  sei.  Wiefern  sieb  Schleier* 
macher  in  der  sp'&teren  Ueberarbeitnug  seiner  Vorle* 
amigeii  aaeb  den  Gegensatz  zum  Bewafstsein  gebracht 
faatt^  der   zwischen    seiner   Grundvoraussetzung  nnd 
dem  Princip  der  Hegebchea  Lio^ik  obwaltet^  mufs  da- 
bittgesteltt   bleiben^   da  er  auf  letztere  nirgends  aus* 
drfickKcb  Bezug  nimmt.    Dafs  aber  auch  hier  eio  sei» 
der  Gegensatz  wirklich  stattfindet,  darüber  kann  &m 
uns  kein  Zweifel  sein.    Obgleich  nämlich  auch  diese 
Logik,,  wie  Torbia  erwähnt,    sich  die  Aafgabe  stellt, 
die  Idee  des  Absoluten  für  das  natürliche  Bewufstsein 
zu  Yormilt^ln»  so  ihut  sie  es  doch  auf  eine  der  ScMei- 
ermacherschen   dired   entgegengesetzte  Weise.      Sie 
tbut  es  durch  inwehnende  Bntwiekehmg  dieser  Idee 
aaa  ihrem  eigenen  Princip  heraus,  während  die  Schiet* 
ermaehersclie  Dialektik  vielmehr  nur  eine  rcflectirende 
Bezeiehmiag  des  Yerhältnisses  derselbea  zu  dem  Pro* 
GOsse  des  realen  Wissens  ist,  welches  nach  Sohl.,  ob» 
gleidi  nach  der  l4lee  biustrebend,  ja  in  gewissem  Sinne 
schon  von  voni  herein  durch  sie  durchdrungen,  den* 
noch  zugleich  der  Idee  inadäquat  und  also  in  so  fem 
ihr  ftnfserlich  bleibt*    Auch  von  Hegel  würde  man  da* 
her  in  Scbl.s  Sinne  nicht  minder  wie  von  Sehelling  ,sa^ 
gen  können^  dafs  er  die  Coutinuität  zwischen  phiioso» 
phlsohem  und  gemeinem  Wissen  abbricht.  Man  würde 
es  besonders  in  so  fern  sagen  können,  in  so  fem  er, 
was  Seht,  eben  für  unmöglich  erklärt,  ein  wirkliches, 
d«  h.  ein  reales  und  inhaltvolles  phUosophiscfaes  Wis* 
sen  uaabhäagig   von  der  sinnlichen  Erfahrang  zu  be* 
gründen  unternimmt,  welche  nach  dem  letztgenannten 
Philosophen  nicht   blos  im  Allgemeinen,'  sondern  attf 
Jedem  einzelnen  Sckrüte  des   PAüeeopkirens    mit 


ereDimlektik.  Ü8 

dem  transeendentalca  Denken  Haad  ia  Haad  gehcs 
soll 

Es  ist  nämlich  nicht  zu   verkenaen,  dafs  jener 
Schleiermachersche  Satz  von  der  Einheit  alles  Wi^ 
aens  oder  von  der  Immanenz  des  philosophischen  Wii« 
sena  in  dem  gemeinen,  und  umgekehrt  des  gemeiBCB 
in  d^m  philosophischen  der  Betrachtaag  eine  doppelte 
Seite  darbietet    Jenem   Standpuaete  gegenüber,  vct 
eher  das  Absolute  nur  in  ,|itttellecttteUer  Anschanaiig" 
zu  fassen  weifs,  ohne  der  Uee  desseUbea  eine 
und  Ausbreitung  für  das  verständige  and 
Wissea  abzugewiaaen,  erscheiat  die  Fassu^;  Schleie^ 
macbers  als  die  positivere^  iadem  sie  die  Aussiebt  a 
die  Möglichkeit  eröffaet,  die  Totalität  des  smnlichoi 
Erkenneas  in  die  Idee  aufzunehmen  aad  dadurch  da 
letzleren  eine  concreto  Gestalt  auch  für  das  meBieh- 
liebe  Bewulstseia   zu  geben«     Das  Absolute  ist  U 
Schi,  akht,  wie  es  H^el  ia  der  Vorrede  zur  Phis^ 
menologie  des  Geistes  ausdrückt,  „die  Nacht,  in  der 
alle  Kühe  schwarz  sind,*'  sondern  es  ist  der  reiok  ge- 
gliederte- und  hell  beleaehtete  Inbegriff  des  WirklidM^ 
so  im  Denken  erüetrst,  wie  wir  unablässig  im  EiaielBCi 
es  zu  erfassea  den  Anfang  machen,  ohne  dodi,  bei  der 
Mangelhaftigkeit  uaaeres  unwissenschafUicbea  Veifidi- 
rens  eben  im  gemeinen  Erkennen,  auch  nur  im  Eioid- 
nen  je  zu  einem  Abscblufs,  zum  wirktieAen  Wissesa 
gelangea.    Eben  darun^,  weil  es  nach  diesem  Denk« 
eine  wirkliche  Empirie  von  wissenschafilicber  Jfedea 
taug,  ein  im  Empirischen  sich  realisirendes  und  voll- 
ziehendes, wiewohl  nie,  weder  iatensiv  noch  extesslT) 
zur  Vollenduag  und  Abscblufs  kommendes  Erkenoei 
giekt,  eben  darum  giebt  es  für  ihn  auch  eine  DieUk' 
tiky  d.  h.  eine  wissenschaftliche  Betraebtuog,  die  iick 
mit  der  Idee  als  solcher  beschäftigt,  und  das  Verbtit- 
aifs  derselben  za   dem  empirischen  Erkenntuitetefi 
und  dessen  wissenschaftlicher  Verarbeitung  zu  srai^ 
teln  sucht»  —  Dies  lalsa  die  positive  Seite  der  SekL* 
sehen  Fassung:  der  Idee  des  Absolnten;  eine  aegstife 
aber  hat  diese  Fassung  insofern,  als  sie  die  M^liob 
keit  einer  Erkenntnifs  des  Absoluten  im  reinen  Dei- 
ken,  unabhängig  von  der  Erfahrung,  *ia  Absede  steVt 


()Me  FortaetzoDg  folgt) 


j 


•M  82. 

Jahrbücher 

für 

wissenschaftliche 


Noveml^er  1839. 


Kritik: 


Dialekts^.  Aus  Schieiermachers  handschriftlichem 
Nachlasse  herausgegeben  ron  L.  Jo  nas. 

(ForUeteoDg.) 

Die  Idee  des  Absoluteo,  auf  franaseendentale  Weise 
im  reieen  Denken  erfafsty  gestaltet  sich  nach  Schi,  nicht  * 
etwa  auch   zam  Princip  des   empirischen  Ericenriens, 
sondern  sie  ist   nach  ihtn  nur  als  solches   Princip; 
jedirede    coaerete    Darstellung^  oder  wissenschaftliche 
Ansfilhnuig  ilieser  Idee  fällt  aber  mit  dein  empirischen 
firkenoen  als  solchem  zasammen.    Dies  ist  ausgespro« 
tsben  in  dem  Satze,    welcher  ein  Grandaxiom  de$  ge- 
aaaunten    ScbLschen   Philosophirens    aasmacht:    dafs 
das  Wissen  ala  gemeinschaftliches  Prodnct  der  ,,Ter- 
nuift^'  and  der  ^^Organisation*'  (S.  47),   wie  im  Gän- 
sen so  ancb  oberall  im  Einzelnen,  aus  zwei  Factoren 
bestehe  (S.  61),  dem  „eigentlichen  Denken"  und  dem 
-  j^ Wabiinelnnen,"  deren  Imlifforeuz  oder  Gleichgewicht 
<bw  „Ansohaaen"  oder  eigentliche  Wissen  gebe.    In 
Verbindung    mit  diesem  Axiom  finden  wir  (8.  57  f.) 
die  weiteren  Behauptungen  aufgestellt,  dafs,  wie  die 
Thätigkeit  der  organischen  Function   ohne  Vernunft«  ' 
thätigkeit  noch  kein  Denken  ist,  so  auch  die  ThS^tig- 
keit  der  Vernunft,   obue  alle  Thätigkeit  der  Orgaoisa^ 
tien  (d.  h.  ohne  sinnliche  Wahrnehmung)  kein  Denken 
smeAr  sei,  und  daTs  nicht  blos  die  realen,  sondern  auch 
die  formalen  Allgemeinbegriffe  nur  in  dem  Maafse,  als 
Aie    durch  sinnliche  oder  organische  Elemente  belebt 
'vrerden,  etwas  wirklieb  Gedachtes,  etwas  mehr  als  blö- 
fse  Zeichen  sind.    Folgerechter  Weise  schliefst   sich 
IftiiMran  der  Ausspruch  (S."  60),   „dafs  das  rein  Trans* 
flcendentale,  die  Ideen,  wie  Schi,  sie  fafst,  der  Gottheit 
sind  der  Welt,  sich  weder  zu  einem  wirklichen  Wissen, 
sioeb  zu  einem  für  sich  bestehenden  Denken  gestalten 
iK^nnen,  sondern  nnr  als  begleitendes  Moment  in  an« 
derein  Denken  und  Wissen  gegeuwärtig  sind«  —    Of- 
Cenbar  verhalten   sich  diese  Sätze  uusschliefsend  und 
Jdkrh.  /.  vu%€Mch.  Kritik.   J.  1839.    II.  Bd. 


▼emeinend  gegen  das  Unternehmen  einer  reinen  Fer» 
nun/iwi$4en9chqfi^  d.  h.  gegen  eine  solche  Gestaltung 
der  Speculation,  welche  das  Absolute  an  und  für  sich 
oder  seinem  reinen  Wesen  nach,  getrennt  von  dem 
Empirischen,  zum  Gegenstand  einer* wissenschaftlichen 
Betrachtung  macht.  Wenn  die  „intellectuelle  An- 
schauung" der  frühern  Schelliogscben  Philosophie  nach 
Schleiermacher  nur  als  die  unklare  Vorausnähme  einer 
Erkenntnifs  erscheint,  die  sich  ihrer  Wahrheit  nach  nur  in 
allseitig  vollendeter  Empirie  realisiren  könnte;  so  wird 
das  unternehmen  einer  „Logik"  in  Hegels  Sinne  von 
eben  diesem  Standpunct  aus  als  etwas  ganz  und  gar 
Unmögliches  erscheinen,  weil  die  reinen  Denkbegriffe, 
in  denen  diese  Wissenschaft  ihr  Element  hat,  nach 
Schi.,  da  ihnen  das  eine  unter  den  zwei  nothwendigen 
Momenten  der  realen  Begriffsbildung  fehlt,  weder  wirk- 
liehe  Begriffe  noch  ein  wahrhaftes,  inhaltvolles  Den- 
ken  sind. 

Es  ist  ohne  Weiteres  klar,  und  wir  haben  auch 
bereits  ausdrücklich  darauf  hingedeutet,  wie  bei  einer 
solchen  Ansicht  des  Wissens  die  Dialektik  als  ,^Orga- 
non'*  (S.  22)  dieses  Wissens  sich  nur  zu  einer  forma- 
len,  aurserhalb  '  der  eigentlich  inhultvbilen  Wissen- 
schaft bleibenden  Betrachtung,  zu  einer  Rciexion  über 
das  Wissen  vielmehr,  als  zu  einem  wirklichen  Wissen 
gestalten  kann.  Auch  Hegels  Logik  zwar  wird  we- 
nigstens von  «nem  Theil  der  Schule  dieses  Denkers 
als  eine  wesentlich  formale  Vl^issenschaft  betrachtet, 
gegenüber  der  Natur-  und  Geistcsphilosopbie  als  den 
eigentlich  realen  Theilen  der  philosophischen  Wissen- 
schaft Aber  der  Sinn,  in  welchem  sie  so  bezeichnet 
wird,  ist  ein  ganz  anderer ;  diese  Form  ist  eine  absO" 
lutSj  eine  dem  Realen  schlechthin  immanejite  Form« 
Sie  ist  das  Absolute,  die  absolute  Einheit  des  Seins 
und  des  Wissens  seihst,  von  der  Seite  ihrer  Form  be- 
trachtet, so  wie  sie  im  reinen  Denken  und  Wissen 
iBt.     Das   logische  Wissen  in  diesem  Sinne  is^}  ob« 

82        . 


651  Schteiermaeh 

gleich  ein  formales,  doch  ein  objectiyes^  inhaltvolles 
Wissen^  denn  die  Form,  welche  Gegenstand  dieses 
Wissens  ist,  ist  etwas  an  und  für  sich  selbst,  unab* 
fauDgig  von  dein  wissenden  Subjecte  und  dessen  Ver- 
hältnisse zn  den  realen  Wissen^gegenständen,  Seien-^ 
des  und  Wahres.  Anders  die  Dialektik  in  Schleier- 
machers  Sinne.  Diese  hat  (vergl.  S.  493  die  Bezeich- 
nung des  ,,logischen*'  Denkens,  welches  oflPonbar  nitoh 
Sohl,  mit  der  Dialektik^  zusammenfällt)  zu  ihrem  Ge- 
genstände durchaus  nur  das  subjective  Verhältoif?  des 
denkenden  und  nach  Wissen  strebenden  Geistes  zu 
den  Objecten  seines  Erkennen»;  und  auch  dieses  Ver- 
hältnifs  nicht  als  ein  in  der\^ahrheit  der  Sache,  d.h. 
in  der  schon  vorausgesetzten  Wirklichkeit  des  Wis- 
.sens  begründetes,  sondern  als  ein  vor  dem  wirklichen 
Wissen,  zum  Behufe  einer  vorläufigen  Orientirung  in 
dem  Wissen,  festzustellendes.  Allerdings  hat  die  Dia« 
lektik  neben  dem'  „formalen  oder  technischen'*  auch 
einen  „transscendentalen''  Theil,  welcher  sich  mit  den 
objectiven  Grundpriocipien  des  Wissens  beschäftigen 
'  soll.  Allein  diese  Principien  bilden  nach  lies  Verfs« 
ausdrücklicher,  aus  dem  Zusammenhang  seiner  Lehre 
folgerecht  sich  ergebender  Erklärung  (S.  87,  S.  92), 
noch  kein  Wissen  im  eigentlichen  Wortsinne.  Sie  sind, 
so  wie  .sie  Gegenstand  der  dialektischen  Erörterung 
sind,  nur  zum  Behuf  der  formalen  Constniction  des 
Wissens  aufgestellte  Postulate  oder  Axiome,  die  erst 
durch  das  reale,  d.  h.  empirische  Denken  zum  wirkli- 
chen Wissen  erhoben  werden  sollen.  Darum  auch  fin:- 
den  wir  in  sämmtlichen  hier,  neben  einander  gestellten 
Entwürfen  zur  Darstellung  dieser  Discipliu  den  trans* 
scendüutalen  Theil  dem  technischen  vorangescbickt, 
weit  in  dem  letzteren,  nicht  in  dem  ersteren  dem  Vf. 
der  Zweck  und  Zielpunct  seiner  Uutersuchung  liegt. 
—  Wenn  aber  (S.  104)  der  Satz  aufgestellt  wird,  dafs 
„das  System  aller  das  Wissen  constituirenden  Begriffe 
in  der  Allen  in  wohnenden  Vernunft  auf  eine  zeitlose 
Weife  gegeben  sei,"  wenn  im  Sinne  dieses  Satzes  an 
die  Lehre  von  den  „angebornen  Begriffen''  (S.  105) 
erinnert  wird:  so  ist  durch  die  dort  beigefügten  Erklä- 
rungen hinreichend  dafür  gesorgt,  dafs  dieses  zeitlose 
Gegebensein  der  Begriffe,  auch  der  ganz  empirischen 
und  sinnlioheii,  nicht  mit  dem  Vorfaandeiisein  reiner 
Vernunftbegriffe,  welches  der  Vf.  eben  in  Abrede  stellt, 
verwechselt  werd^en  könne.  Es  ist  nämlich  dort  nicht' 
von  einem  wirklichen  Wissen,    sondern  nur  von  dem 


er  $    Dialektik.  föS 

der  Sinnlichkeit  gegenfiherstehendea  Faetor  des  Wi«* 
sens  die  Rede,  und  es  soll  also  mit  jenem* (wie  uns 
scheint  etwas*  unbequemem)  Ausdrucke  nichts,  als  nur 
eben  dies  gesagt  werden,  dafs  das  formale  Homeat 
der  Bogriffsbildung  nicht  der  Sinnlichkeit  angehöre 
und  nicht  aus  ihr  sich  erklären  lasse« 

Was   den  näheren  Inhalt  des  „transscendentalen 
Theiles"   betrifft:  so  wird  man  nach  allem  bisher  Ge- 
sagten nicht  anders  erwarten,   als  da^s  auch   in   ihm 
die  Betrachtung   voü  dem.  subjectiven  Momente  des 
Denkens  und  Wissens  als  solchen  ausgeht,    Schleiev- 
macher  hat  in  Folge  seiner  Auffassung  der  Idee  des- 
Absoluten  den  Vortheil,   welchen   andere  Philosopbeoy 
die  sich  zu  dieser  Idee  bekennen,  nicht  mit  ihm  thei* 
len,  dafs  er  die  Vorstellungen,  in  welche  sich  bei  ihm 
dieselbe  als  Princip  des  realen  Wissens  ausprägt,  auf 
eine  auch  dem  natürlichen  Bewufstsein  leicht  zugSag* 
liehe  Weise  aus  den  Prämissen  zu  entwickeln  vemiag) 
welche  sich  in  diesem  Bewurstsein  selbal:  über  die  all- 
gemeine Natur  des  Denkens  und  Wissens  finden*    Er 
beginnt  zu  diesem  Behufe  (S.  43)  mit.  einer  formalea 
Definition  des  Wissens,    indem  er  Wissen  als  daafe« 
.nige  Denken  bezeichnet,  welches  eiuestbeils  vorgesteltt 
wird  mit  der  Nothwendigkeit,  dafs  es  von  allea  Den- 
kensfcübigen  auf  dieselbe  Weise  producirt  werde;   und 
welches  anderntbeils  vorgestellt  wird  als  einem  Seia, 
dem  darin  gedachten,  entsprechend.    Hierauf  zur  Dn- 
terscheiduug  jener  beiden  Functionen  übergehend,    ia 
deren  Zusammentreffen   er,   wie  vorhin  bemerkt,  das 
Wissen  findet,  bedient  er  sich  eben  dieser  Unterscfaek 
düng,  um  nachzuweisen,  wie  (S.  53)  „Uebereinstimmag 
des  Gedankens  mit  dem  Sein  nicht  ein  leerer  Gedanke, 
sondern  im  Selbst  bewufstsein  uns  gegeben  ist,  dafs  wir 
beides  sind.  Denken  und  Gedachtes,  und  unser  Lebca 
haben  im  Zusammenstinmien  beider.''    Das  Correspoa- 
diren  des  Denkens  und  des  Seins  nämlich  sei  (S.  54) 
vermittelt  durch  die   reale  Beziehung,  in  welcher  die 
Totalität  des  Seins  mit  \ler  Organisation  steht.    DuitA 
das  Geöffftetsein  (S.  387)  des  geistigen  Lebens  nach 
aufsen  sa  Organisation  komme  also  das  Denkea  n» 
Gegenstand  oder  zu  seinejoi  Stoff,  gleichwie  durch  eine 
ohnerachtet    aller   Verschiedenheit    des   Gegensf-andes 
sich  immer  gleiche  Thätigkeit  »  Vernunft  zu  seioer 
Form.  -^  Wer  mit  der  Fassung  der  höchsten  Dcak- 
probleme,'  welche  die  neueste  Entwicklung  der  pbiloae^ 
phisohen  Speculation  uns  gebraoiit  hat^   vertraut  ist. 


633 


Soklei0r^aehers.  Dialektik. 


654 


irird  hier  freilioh  nicht  ^geheD^^  weich  ein  nn- 
Yolliconiaienes  Verfuhren  es  i«!,  diese  so  unermefslieh 
wicfat^e  nnd-  inhaltschwere  Vornnssetzung,  die  ^^reale 
Besiebnng  der  Totalität  des  Seios  auf  die  Organtsa- 
fioii,*'  tuid  das  ,,Gedffnetseiu  des  geistigen  Lebens  nach 
aufsen  mittelst  der  Organisation"  so  unerwiesen  nnd 
onvermittelt  als  Postulat  bioznstellen ;  abgesehen  noch 
davon,  dafs  die  hier  gebrauchten  Ausdrücke,  die  auf 
gleiche  Weise  auch  die  übrigen,  welche  der  Verf.  in 
den  yerschiedenen  hier  vorliegenden  Bruchstücken  ih- 
aea  beigesellt  oder  an  ihre  Stelle  setzt,  siemlich  unbe« 
stimnt,    schwankend  nnd  vieldeutig  sind.    Gewifs .  ist 
diese  Voraussetzung,  so  wie  wir  sie  hier  als   ein  un- 
mittelbar Gewisses,    im  weiteren  Denken  sich   zwar 
Bewähren  sollendes,  aber  doch  nicht  eigentlich  erst 
au  Erweisendes  hingestellt  finden,  wissenschaftlich  be- 
trachtet eine  nicht  minder  gewaltsame,  als  die  Schek 
liogsche  „absolute  Anschauung,"  wenn  sie  auch  immer- 
hin dem  natürlichen  Bewufstsein   oder  gesubden  Men- 
schenverstaude  sich  als  näher  liegend  und  in  so  fern 
annehmbarer  empfehlen  mag.     Indessen  wird  man  zu- 
geben, dafs  von  dem« einmal  genommenen  Standpuncte 
ans  kein  anderes  Verfahren  möglich  war.    D€^  Wis- 
sen, dessen  Identität  mit  dem  Sein  die  Grundanschau- 
ong  des  Schl.*schen  Philosophirens  ausmacht,  ist  ein 
Ar  allemal  kein  anderes,  als  das  durch  Ineinsbildung 
der  organischen  mit  der  Vemnnftthätigkeit  zu  Stande 
kooimende.    Das  Umfafstsein  der  Totalität  des  Seins 
in  diesenr  Wissen  kann   daher,   so  gewifs  in  diesem 
Gegensafoe  die  organische  Thätigkeit  die  Stelle  des 
realen,   die  vernünftige    die   des   formalen  Monientes 
rertritt,   auf  keine    andere  Weise  sich   ergeben,  als 
eben  durch  die  Annahme  einer  universellen  Natur  je- 
ner organischen  Thätigkeit,  eines  Geöffhetseins  dersel- 
ben  gegen  die  Totalität  des  Seins.  —  fVÜMenMchaß* 
Uch  würde  solche  Annahme  sich  nur  dadurch  recht- 
fertigen, und  zugleich  nur  dadurch  näher  bestimmen 
oder  auf  ihren  eigentlich   gehörigen  begriflFlichen  Aus- 
druck,   den   wir  bei  Schi,  vermissen,    bringen  lassen, 
dafa  gezeigt  würde,  wie  in  reiner  Vemunftcrkenntnifs 
der  Begriff  des  Organismus  «nach  seiner  mikrokosmi- 
acfaen  Natur  als  Spitze  und  Gipfel  des  objectiven  zur 
Vernunft  oder  znr  Idee  sich  dialektisch  heraufbildenden 
Seins  mit  immanenter  Nothwendigkeit  dargeli^  und 
xam  Bewufstsein  gebracht  würde.     Diesen  Weg  aber, 
vql  der  Voraussetzung,   die  seiner  weiteren   Betrach- 


tnng  zum  Grdnde  liegt,   methodisch  zu  gelangen,  hnt , 
.der  Verf.,  wie  wir  vorhin  sahen,  sich  von  vorn  herein 
selbst  versperrt.  .  * 

Der  Gang  dieser  weiteren  Betrachtung  ist  nun  in-     . 
nerhalb  des  „transscendentalen  Theiles"  im  Allgemei- 
nen dieser,  dafs  die  Duplicität,  welche  im-  subjectiven 
Wissen  nachgewiesen  worden  war,  zu  einer  Duplicität 
transscendentaler  Ideen,  der  Idee  der  Gottheit  und  der 
Idee  der  Welt,  «als  allem  realen  Wissen  zum  Grunde 
liegender  und  in  allem  Wissen  gegenwärtiger  fortge- 
bildet wird.    Hier   begegnen   wir  zuerst  (S.  63)  dem 
'  Satze,    dafs  in   allem  Denken    die  Vernunftthätigkeit 
der  Quell   der  Einheit   und  Vielheit,   die   organische 
Thätigkeit   aber   der  Quell  der  Mannichfaltigkeit  ist* 
Da  aber  (S.  64)  ohne  Einheit  und  Vielheit  die  Man- 
nichfaltigkeit unbestimmt,   ohne  Mannichfaltigkeit  die 
bestimmte  Einheit  und  Vielheit  leer:  so  sei. die  Ver- 
richtung der  Vernunft  im   Denken  die  Bestimnmngy  - 
die  Verrichtung  der  Organisation  die  Belebung.    Dafs 
„in  der  Vernunfttbätigiccit  unter  der  Form  der  Eiuh^t 
Dasselbe  müsse  können  gesetzt  sein,  was  in  der  orga- 
nischen Thätigkeit  als  unbestimmte  Mannichfaltigkeit 
gesetzt  ist*'  (S.  74),  tritt   in   diesem  Zusammenbang 
natürlich  wiederum   in  Gestalt  eines  Postulates    ein, 
ohne  dafs  davon  die  Rede  wäre,  solche  Identität  der   . 
bestimmten  Einheit  oder  Vielheit  mit  der  unbestimm- 
ten Mannichfaltigkeit  in  der  Vernunfterkenntnifs  selbst 
durch  objective,  —  nicht  blos  subjectiv  construirende  «> 
Dialektik  als   nothwendig^  nachzuweisen.    Eben  so  er- 
folgt die  Uebertragung  jenes  Gegensatzes  vom  Wissen 
auf  das  Sein  (S.  75  f.)  in  einer  Weise,  worin  die  rein 
subjcctive,  formale  Fassung  dieses  „höchsten  Gegen-    ' 
Satzes'^    auf  das   Deutlichste    sich    ausspricht.      „Es 
gebe^**  so  heifst  es  ausdrücklich,  „keine  andere  posi- 
tive Erklärung  desselben,  als  dafs  das  Ideale  sei  das- 
jenige im   Sein,  was  Princip   aller  Vernunftthätigkeit 
ist,  das  Reale   dasjenige,  vermöge  dessen  es  Princip 
der   organischen    Thätigkeit.''     Die  Anni^hme  dieses 
höchsten  Gegensatzes  sei  also  zuletzt  „Sache  der  Ge- 
sinnung," denn  sie  beruhe  lediglieh  darauf,  dars  beide 
Elemente  im  Denken  als  unabhängig  gesetzt  werden. 
Solle  die  Vernunftthätigkeit  von  der  organischen  ab- 
stammen,   so    seien  wir   „nur  Durcfagangspuncte  für 
das  Spiel  des  gespaltenen  Seins  $"  solle  aber  die  orga- 
nische Thätigkeit  von  der  Vernunftthätigkeit  abstam- 
men, so  „machen  wir  die  organischen  Eindrücke  selbst 


6&5  Schleiermacher*    Dialektik* 

und  haben  keine  Ursache,  ein  Sein  aufser  nne  anm«- 
nefamen,  welches  sie  machen  helfe.'*  Ahe  ^^mässen 
vir  jene  Duplicität  des  Idealen  und  des  Realen  anneh- 
men) so  gewifs  wir  uns  selbst  halten  und  festhalten^ 
und  so  gewifs  wir  die  Welt  im  Gegensätze  mit  dem 
loh  halten  wollen/'  Auch  dafür  aber^  dafs  dieser  höch- 
ste Gegensatz  des  Realen  und^  des  Idealen  zuletzt  in 
dem  Einem  Sein  befafst  werde  unjl  auf  dieses  zurück^ 
fthre,  wird  (S.  77)  als  Grund  nur  dieser  angegeben, 
dafs  er  ^^ein  leeres  Mysterium  wäre,  wenn. man  bei 
ihm  stehen  bliebe,''  Das  Endergebnifs  dieser  Betracii- 
tung  wird  zuletzt  (§.  136.)  als  ,,die  Idee  des  Seins'' 
ausgesprochen,  „unter  zwei  entgegengesetzten  und  sich 
auf  einander  beziehenden  Arten  oder  Formen  und  Mo« 
dis,  dem  Idealen  und  Realen,  als  Bedingung  der  Rea- 
lität des  Wissens;"  —  eine  Idee  übrigens,  die,  wie 
die  mündlich  gehaltenen  Vorlesungen  (S.  78)  ausdrück* 
lieh  hinzufagen,  hiermit  nur  angegeben  sein  soll,  aber 
nicht  erklärt;  weder  gedacht,  noch  wahif;enommen, 
am  wenigsten  also  angeschaut,  also  auch  nicht  eigent- 
lich gewufst,  sondern  nur  yorausgesetzt  zum  Behufe 
des  Wissens,  geglaubt  in  dem  Sinne  des  Wprts,  in 
welchem  es  auch  auf  dem  religiösen  Gebiete  yorkommt, 
wo  es  eine  Gewifsheit  bezeichpet,  die  der  letzte  Grund 
aller  Thätigkeit  ist. 

Es  würde  uns  zu  weit  führen,  wenn  wir  mit  glei« 
eher  Ausführlichkeit,  wie  die  yorstehende  Gedanken- 
reihe, den  gesammten  übrigen  Inhalt  des  Werkes  aus- 
ziehen, wollten.  Auch  bedarf  es  dessen  nicht,  om,  was 
wir  hier  bezwecken,  den  Standpunct  desselben  im  All- 
gemeinen anzudeuten;  dieser  wird  mit  hinlänglicher 
Klarheit  schon  aus  dem  bisher  Gesagten  sich  ergeben 
haben.  Wir  bemerken  daher  nur  kurz,  dafs  die  ge- 
sammte  weitere  Ausföhrung  des  transscendentalen  Thei- 
les  an  eine  Theorie  der  logischen  Functionen  des 
Begriffi  und  des  ürtheii$  geknüpft  wird,  welche  beide 
der  Verf.  für  die  alleinige  Form  des  Wissens  erklärt. 
Beide  Functionen  setzen  sich  nach  ihm  gegenseitig  ein- 
ander yoraus;  man  darf  nicht  sagen  (S.  95),  alles 
Wissen  sei  nur  in  der  Form  des  Begriffes  gesetzt; 
diese  Behauptung  hängt  im  Idealismus;  eben  so  wenig 
aber  darf  man  sagen  (S.  96),  alles  Wissen  sei  ujir  in 
der  Form  des  eigentlichen  Urthciis  gesetzt,  welche  Be- 
hauptung im  Realismus  hängt.  Das  Wissen  unter  bei- 
den Formen  geht  auf  denselben  Gegenstand  und  ist 

(Der  Beschlnfs  folgt.) 


K6 
sich  auch  der  Form  nach  nur  rdatiy  entgegengesetit; 
^s  .  gibt  ein  Wissen    mit  dominirender   Begriffsfenn, 
wobei  das   ürtheil  nur  als  conditio  sine  qua  non  e^ 
scheint,  oder  ein  speculatiyes  Wissen,  und  ein  Wisiei 
mit  dominirender  Urtheilsform,  wobei  der  Begriff  mi 
als  solche  Bedingung  erscheint,  d.  h«  das  empiriaciw 
oder  historische  Wissen  (S.  130).  —  Die  nähere  Ans» 
einandersetzong  jener  Denkfunctionen,  sowohl  hier,  ak 
auch  weiterhin  im  zweiten  oder  technischen  Tbeile,  iat 
übrigens  yoll  speculativ^n  Gehalts,  und  verdient  bod^ 
lieh  die  Beachtung  und  das  aufmerksame  Stadium  vmf 
mentlich  solcher,  welche  es  noch,  immer  nicht  voUeo 
Verstehen  lernen,  das  überlieferte  Material  der  alten 
Logik  in  Flufs  zu  bringen  und  zu  einer  frochtbareo 
Erkenntnifs  zu  yerarbeiten«    Von  besonderem  IntcresM 
aber  für  den  Standpunct,   den  wir  bei  unserer  kriti- 
schen Betrachtung  des  Werkes  genommen  habeo,  iit 
auch  hier  die  Art  und  Weise,  wie  aus  der  snbjectiTea 
Beschaffenheit  der  Begriffs-  und  Urtheilsbildung  ent 
auf  die    objectiye  Beschaffenheit   des  Seins,  weichet 
darunter  begriffen  ist,  und-  sodann  weiter  auf  des  b 
halt  der  transscendentalen  Voraussetzungen,  weiche  die 
Grenze  dieser  Denkthätigkeit  bilden,  geschlossen  wird. 
Wie  im  Begriffe,  so  mufs  (S.  111)  auch  im  Seio  eia 
Gegensatz  des  Allgemeinen  nnd  Besondern  statt  fia* 
den;  wie  (S.  112)  der  niedere  Begriff  im  hohem  aeiaer 
Möglichkeit  nach  gegründet  ist,  und  in  der  Maosicb- 
faltigkeit   näherer  Bestimmtheit   ihn   zur  Anscbamiog 
bringt,  der  höhere  aber  ein  productives  Znsammeabe* 
sen  einer  Mehrheit  des  Niederen  ist :  so  auch  das  bo« 
here  Sein  der  productiye  Grund  oder  die  Kraft  zu  ein« 
Mehrheit  der  Erscheinungen.     Eben  so  eutspricht  (S. 
125)  das  Sein  auch  der  Form  des  Urtheils.    Es  ist  eiae 
Gemeinschaftlichkeit  des  Seins ,  oder  ein  System  te 
gegenseitigen  Einwirkung'  der  Dinge  gesetzt,  und  (S. 
127)  dieses  System  yon  Ursachen  und  Wirkungen,  ^el* 
ches  der  Form  des  Urtheils,   ist  mit  dem  System  der 
substantiellen  Formen,  welches  der  Form  des  Begrib 
entspricht,  eines  und  dasselbe;  —  es  ist  (S.  129)  ebea 
so    wahr,    dafs   das   ganze  Sein    steht,  als   dafs  Au 
gaqze  Sein  in  beständigem  Flufs  ist.     Dagegen  ist  auf 
dem  Wege  der  Begriffs-  und  Urtheilsbildung  unmittel-' 
bar   durchaus   zu    keiner   adäquaten  Erkenntnifs  des 
AöeAsteti    Seins,    d.   h.  der    GottAeit  zu    geiasgeo* 


wissen 


Jahr  buch  er 

f  ii  r 

Schaft  liehe 


November  1839. 


Kritik. 


DMeittk.  Am  ScÜeiermachers  handschriftlichem 
'Nachlasse  herausgegeben  ton  L.  Jonas. 

(Sehluff.) 

Wed«r  die  hdohste  SfcigemDg  des  Begriffes  der 

Kiaft  (S.  113),  noch  die  VoratdIuDg  eines  böehsten 

Sobjeotee  (S.  136)  entspricht  der  Idee  der  Gottheit; 

oiid.  eben  se  aaoh  kommt  der  Vörstellong  einer  ehao* 

fiecAen  Materie^  welche  die  Begrenzung  der  Begriffs» 

«ad  Urtheilsbiidnng  nach  unten  beseiehnet  (S  .116  ff.  S. 

138)^  keine  Realität  der  Art  zu,  welche  sie  znm  Gegen« 

•tande  eines  eigentlichen  Wissens  macht.  —     Um  die 

BedeotuDg,  welche,  jenseit  des  eigentlichen  logischen 

Wissens,  die  Idee  der  Gottheit  Tür  uns*  hat,  in  ihr  reoh- 

tos  Licht  zu  stellen,  findet  sich  SchL   yeranlafst  (S. 

150),  die  lemmatische  Bemerkung  biozuzunebmen  (oder, 

wie  es  S.  428  heirst ,  „nachzoboien") ,  dafs  wir  eines 

transsoendentalen  Grundes  fiir  unsere  Gewifsbeit  eben 

so  gut  im  fFolleny  als  im  fVissen  (Rir  die  moralische 

eben  so,  wie  für  die  theoretische)  *)  bedürfen;  und  so 

gelangt  er  denn  zu  dem   berühmten,   namentlich  für 

seinen  tbeologiscben  Standpnnct  so  folgenreichen  Satze 

(S*  151):  dafs  wir  „den  transscendentalen  Grund  nur 

lo    der  relativen  Identität  des  Denkens  und  Wollens, 

n&uilich  im  6r^^/  haben.*' 

Was  Scbiciejrmacber  nuter  dem  ^^GcfühV^  ver- 
steht, aof  dessen  Begriff  er  bekanntlich  sein  tbeologi- 
sefacs  Sjstem  begründet  bat,  und  wie  er  zu  dieser  An- 
siebt gelangt  sei;  darüber  erbalten  wir  in  gegenwärti- 
l^eoi  Buche  Aufschlüsse,  welche  bei  dor  Würdigung  des 
Standpunktes,    von   welchem  jenes  System  entworfen 


*J  Ein  Versuch,  das  Hereinziehen  des  praktischen  Momentes 
an  dieser  Stelle  der  Dialektik  niiher  zu  motiviren,  findet 
sich  noch  aus  späterer  Zeit,  in  den  handschriftliclien  Bruch- 
aläekea  aus  dem  Jahre  1831  (8.  516  ff.).  In  Folge  dieses 
Versachs  wird  dort  Gott  näher  als  ,,ld«Dtität  von  Gesetz 
ond  Weltordnung"  gefafst. 
3akTh.  /.  miMeiftch.  Kritik.   J,  1830.  II.  Bd. 


ist,  fortan  nicht  unberücksichtigt  werden  bleiben  dBr> 
fen.    Wir  sehen  aus  dem  Zusammenhange,  durch  wel« 
eben  er  hier  darauf  gefuhrt  wird,  und  aus  seinen  aus- 
drücklichen Erklärungen,  dafs  er  wissenschaftlich  weit 
davoii  entfernt  bliebe   das  Religionsgefohl  etwa,  wie 
man  ihn  häufig  verstanden  hat,  einfach  nur  als  etwas 
Gegebenes  hinnehmen  zu  wollen,  ohne  die  philosophische 
Einsicht  in   seine.  Nothwcndigkeit  oder   in  die  Noth« 
wendigkeit  seines  Inhalts.    Dieses  Mifsverständnifs  ist 
verschuldet  durch    den   allerdings  etwas  unbequemen 
Ausdruck  „Gerühr*,  fiir  welchen  wir  ihn  hier  in  aus« 
drücklichem  Unterschiede  eben  so  sehr  von  der  Eu»» 
pfindung,  wie  von  dem  „reflectirten  Selbstbewufstsein 
oder  Ich"  den  Ausdruck  unmütMares  SsUstbewufsU 
sein  substituiren  sehen  (S.  429,  vergl.  S.  524).    Auch . 
erklärt  er  sich  ausdrücklich  dagegen  (S.  152,  vergh 
S.  431),  die  Religion,  welche  bei  dem  Gefubl  oder  un« 
mittelbaren  Selbstbewufstsein  s'tehen  bleibt,  für  "etnas 
Höheres  ku  nehmen,  als  die  philosophische  Speculation^ 
welche  auf  dem  Wege  des  Denkens  und  Wissens  nach 
der  AnschauuDg  Gottes  strebt.    Obgleich  nämlich  diese 
Anschauung  nie  wirklich  vollzogen  werde,  sondern  nur 
indirecter  Schematismus  bleibe,  so  sei  sie  doch  aufser, 
dieser  Form  völlig  rein  von  allem  Fremdartigen,  wäh- 
rend dagegen  das  religiöse  Gefühl  zwar  eiu  wirklieb 
vollzogenes,    aber  nie  rein,   sondern  das  Bewufstsein 
Gottes  darin  immer  an  einem  Andern  sei^  weshalb  es 
auch  bildlicher,  anlbropoeidiscber  Vorstellungen  nicht 
entbehren  könoe,  von  welchen  das  speculative  Denken 
sich  rein  zu  halten  oder  wenigstens  der  Gränzen  ihrer 
Geltung  sich  bewufst  zu  werden  allerdings  vermöge*  — 
Wenn  also  Schi,  auch  im  speculativen  Zusammenhange 
vom  Religiousgcfiihle  spricht  und  darauf  verweist,  so 
geschieht  es,  wie  wir  hier  sehen,  nicht  in  der  Absicht, 
um    das   Gefühl  als    eine   Autorität  hinzustellen,   fiir 
Wahrheiten,  die  sich  auf  andere  Weise,  als  eben  aus 
dem  Gefühle,   nicht    beweisen   lassen.     Es   geschieht 

.83 


659  '       '  S  e  hleisrmaeke 

Tielmebr,  um  för  jenen  ^^transscendentalen  Grund   des 
WisseoB,**    welchen'  aufzusuohen  uns  die  Speculation 
drängt,  wfibrend  sie  ifau  auf  adfiqnate  Weise  im  Wis- 
sen danustelleD  nach  dem  Vf.  nicht  vermag;,  das  Ent< 
sprechende  im   subjectiireo   Geiste   aufzuzeigen.     Die 
^Analogie  nämlich  des  Gefühles   oder  ^^unmittelbaren 
Selbsttiewurstseins"  zu  dem  transscendentalen  Grunde 
besteht  nach  dem  Verf.  (S.  429)   darin:   dafs  es  „die 
aufhebende  Verknüpfung  d^r  relativen  Gegensätze,  die 
Einheit  des  denkend  wollenden  und  des  wollend  den-  ^ 
kenden  Seins*'  ist.    Als  solche  aber  ist  es  nicht  etwa 
Bur  im  Uebergang  vom  Denken  zum  Wollen  oder  um- 
gekehrt, sondern  es  ist  in  jedem  Moment  des   Den- 
kens und  des  Wollens,  weder  verschwindend  in  irgend 
einem  dieser  Momente,  noch  je  für  sich  allein  bervor- 
tretend.    AU  unter  Bewufstsein  zeigt  es  (S.  430)  uns 
selbst  uns  als  bedingt  und  bestimmt,  aber  nicht  durch 
iCtwas  selbst  im  Gegensatze  Begriffenes,  sondern  durch 
dasjenige,    worin   allein    das   denkend   Wollende  nud 
das  wollend  Denkende  mit  seiner  Beziehung  auf  alles 
Uebrige  Eins  sein  kann,  also  durch  den  transscenden- 
ten  Grund  selbst.    Solchergestalt  also  ist  in  dem  reli- 
giösen Gefühl  das  höchste  Wesen  selbst  repräsentirt  \ 
dieses  Gefühl,  das  aUgemeine  Abhangigkeittgeßthl^ 
vermittelst  dessen  der  Urgrund  eben  so  in  uns  gesetzt  ist, 
wie  fn  der  WahrL*ehmung  die  Dinge   in  uns   gesetzt 
sind,  ist  die  Ergänzung  zu  dem,  was  wir  in  jeder  BXt* 
dern  Formel,  welche   die  Dialektik   für   das   höchiste 
Sein  erfinden  kann,  noch  vermissen.    Jede  dieser  For- 
meln wird  eine  Beschreibung  des  Urgrundes   dadurch, 
dafs  wir  sie  auf  dieses  Gefühl  beziehen. 

Man  siebt  hieraus,  und  die  weitere  Folge  bcstä- 
ti|rt  es  auch  noch  ausdrücklich,  wie  eng  dieses  Zurück- 
kommen auf  das  GeftihL  oder  unmittelbare  Selbstbe- 
wufstsein  mit  demjenigen  zusammenhängt,  was  man 
als  das  pantbeistische  Element,  als  den  Spinozismus^ 
in  Schleiermachers  Lehre  bezeichnet  bat.  Auch,  Jacobi ' 
hat  seine  ireligiöse  Philosophie  auf  das  Gefühl  begrün- 
den wollen^  aber  was  dieser  Philosoph  Gefühl  nannte, 
ist  ganz  etwas  Anderes,  als  was  wir  bei  Schi,  so  ge- 
nannt finden.  Jacobi^s  Gefühl  stellt  sich  dem  Spino- 
zismus  des  remen  Denkens  ausdrücklich  entgegen;  es 
ist  das  noch  nicht  zur  Klarheit  des  reinen  Denkens  ge- 
brachte, vielmehr  mit  den  wirklich  zur  Klarheit  ge- 
brachten Begriflsbestimmungen  dieses  Denkens  noch 
im  Widerspruch  stehende,   aber  mit  unwiderstehlicher 


r  $    Dialektik*' 

Energie  sich  hervordrftngende  Bewnfstsein  oder  AHge* 
meiugefühl  der  Persontiefikeit.    Das  Scbleiermacher- 
sehe  „Abhängigkeitsgefühl"  dagegen  ist,  wie  wir  au» 
vorliegender  dialektischer  Ableitung  desselben   dentlK 
eher  noch  sehen,  als  ans  der  Ausführung,  die  9«  io  der 
Glaubenslehre   dieses    Forschers   erhalten   hat,    swar 
gleichfalls  etwas  die  abstracten  Denkbegriffe,   welebe 
nach  Schleiermachers  eigenem  Bekenntnifs  <S«  113  t) 
als  Deukbegriffe  ein   pantheistisches    oder  spinozisti 
«cbes    Resultat   geben,    Ergänzendes,    aber  in    einer 
Weise,  welche  durch  diese  Begriffe  selbst  gefordeH 
und  vermittelt  wird,   und  daher  nicht,  wie  dort,   emen 
wirkliehen  Gegensatz  oder  Widerspruch  gegen  sie  ein- 
schliefst, sie  Ergänzendes.  Bei  Jacobi  erscheint  es  im- 
mer  als  eine  Schwäche  unsers  Erkennens,   wenn  wir 
den  Inhalt   des  Gefühls  nicht  auch   zur  Erkenntnifa, 
zum  Wissen  zu  bringen  vermögen.    Allerdings  findet 
sich  auch  bei  diesem  Denker  der  Satz  ausgesprocfceDt 
ein  Gott,  der  gewufst  wxrden  könnte,  wäre  kein  Gelt, 
allein  nur  Schiciermacher  hätte  diesen  Satz  in  seinem 
eigentlichen  und  strengen  Wortsinne  ausspredieo  kdn* 
neu.     Denn  nur  nach  itim  ist  ein  Wissen  von   Gett 
an  Mich   oder  in  Folge  der  eigenen  Natur  Gottee 
unmöglich,  während  es  bei  Jacobi  immer  nur  in  Folge 
der  Beschränktl|eit  unseres  Erkennens  unmöglich  ist. 
Gott  kann  nach^  Schleiermacher  nicht  gewufst  werden, 
weil  er    seinem   eigenen  Wesen   nach  das  ober  alles 
Wissen  Hinausgehende  und  ihm  Jenseitige,  der  Gmod 
des   Wissens   vielmehr,   als   ein  Object  des  Wissens 
ist.  —  Ganz  folgerecht  schliefst  sich  daher  bei  ihm  an 
die  Bestimmung,  dafs  Gott  nur  im  Gefühl  erfafst  wer- 
de, der  Satz  (S.  154),  dafs  wir  nur  um  das  Sein  Got- 
tes in  uns  und  in  den  Dingen  wissen,   gar  nicht  aber 
um  ein  Sein  Gottes  aufser    der  Welt  oder  an  sieb. 
Dieser  Satz  hat  in  dem  Zusammenhange,  in  welcbem 
er  uns  begegnet,    zwar  nicht  den  Siuu^    als   öei  das 
Sein  Gottes  mit  unserem  Sein  und  dem  Sein  der  IKoge 
eines  und  dasselbe,  wohl  aber  diesen,  dafs  nur  in  m- 
serm  Sein   und  dem  Sein  det  Dinge  das  Sein  Gottes 
zu  einem  wifsbaren,  nicht  blofs  f&r  uns,  sondern  über- 
haupt wifsbarcn  sich  gestaltet.   Ferner '  reiht  ^ich  ebeo 
daran  der  weitere  Satz  (S.  161  ff.),  dafs  der  Idee  dto 
Gottheit  eine  zweite  Idee  „correlaf  ist^   die  Idee!  der 
Welt,  welche  ebenfalls  (nicht  blofs  extensiv,  sondern 
auch  intensiv  S.  164)  unser  reales  Wissen  iiberaclirei- 
tet,  und,  zwar  nicht  in  demselben  Sinne,  wie  die  Idee 


SeAledermaoA 

te  Ctdtttei^  aber  auf  ihre  eigne  Weite  traasfecenden- 
tal  ipt  Wie  die  Idee  der  Gottheit  der  transseeoden- 
tale  terininus  a  quo  und  das  Princip  der  Möglichkeit 
des  Wiaseoa  an  sich,  so  ist  nach  unserem  Yerf«  die 
Idee  der  Welt  der  transscendentale  Terminus  ad  quem 
mid  das  Princip  der  Wiriilichkeit  dos  Wissens  in  sei- 
nem Werden.  Wir  sind  nicht  befugt,  ein  anderes  Ver- 
haltnifs  swisehen  Gott  und  der  Welt  zu  setzen,  als 
das  des  Zusammenseins  beider;  die  fVeh , nicht  ohne 
Geiiy  Gott  nicht  ohne  die  Welt.  *)  Dennoch  sind 
bcÄde  Ideen  nicht  dasselbe,  Gott  und  Welt  nicht  iden- 
tisob.  Die  Vorstellung,  dafs  die  Idee  Gottes  rein  ge- 
halten nur  die  leere  Einheit  «i  Nichts  sein  müsse,  ist 
schielend;  Gott  ist  die  volle  Einheit,  die  Welt,  die  in 
sieh  eine  Vielheit.  Die  Vorstellung  aber,  dafs  Gott 
das  Urbild  sei  und  die  Welt  das  Abbild,  ist  nur  in 
sofern  gültig,  als  nicht  gesetzt  wird,  das  Urbild  könne 
aueh  ohne  das  Abbild  sein.  ^  Wenn  übrigens  auch 
von  der  Idee  der  Welt  ge^isagt  vird  (S.  165),  dafs  uns 
nicht  ihr  Sein  au  sich  und  ihr  Sein  im  Gegensatz  ge- 
gen Gott  im  Wissen  gegeben  sei,  sondern  nur  ihr 
Sein  in  uns  und  in  den  Dingen:  so  hat  auch  hier  die- 
ser Satz  denselben  Sinn,  vie  bei  der  Gottheit,  nämlich 
nicht,  daCs  wir  die  Welt  hn  Wissen  zu  fassen  nicht 
fermögen,  sondern  dafs  sie,  als  nicht  seiende,  sondern 
werdende,  als  eben  so  sehr  intensiv,  wie  extensiv  un- 
endliche sich  dem  Wissen  überhaupt  entzieht  oder  dar- 
übet hinausgreift. 

Heber  den  zweiten  oder  „technischen'*  Theil  kön- 
nen wir  uns  kurz  fassen,  obgleich  derselbe  vom  Verf. 
aelbst  keineswegs  stiefväterlich  bebandelt  ist,  sondern, 
formal  betrachtet,  sich  sogar  als  Zweck  und  Zielpunct 
das  Ganzen  darstellt  Er  zerrällt  in  zwei  Abschnitte, 
deren  erster  ?on  der  „Construction  des  Wissens  an 
sich,"  der  zweite  von  der  „Combination  des  Wissens** 
handelt.  Im  ersten  wird  ausfuhrlicher  die  Theorie  der 
Begriffs- und  Urthcilsbildung  entwickelt,  deren  allge- 
meine Principien  schon  im  ersten  Tbeile  gegeben  wa- 
ren* Wir  finden  darin,  wie  schon  vorhin  angedeutet, 
ungemein  schätzbare  Anregungen  und  Materialien  zur 
Darstellung  der  Logik  in  einem  Sinne,  wie  wir  solche 


e  r  e    Dialektik. 


662 


•-)  Dieter  Satz  steht,  wie  der  Herausgeber  S.  168  bemerkt,  in 
der  ersten  DarsteUuni^  aus  dem  Jahre  1811  am  meisten  in 
dem  Vorgrundy  in  den  späteren  kommt  der  entgegengesetzte 
Ton  der  Nichtidentität  Gottes  und  der  Welt  m^hr  zu  sei- 
.nem  Rechte  and  drängt  Jenen  in  dea  Hintergrnnd  zuiück. 


auch  nach  Hegel  noch  für  eine  Forderung  halten,  wet 
che  der  Wissenschaft   demnächst  zu   erföllen  obliegt.^ 
Begriff  mid  Urtbeil  werden  von  Scbleiermaeher  als  sub- 
Jective  Functionen  des  Denkens  zwar,  aber  keinesw^a, 
wie  in  der  bisherigen  formalen  Logik,  als  etwiis  schlecht- 
hin Gegebenes   in  Betrachtung  gezogen,   so    dafs  die 
AufgaKe  dieser  Betrachtung  nur  ifi  dem  Aufzeigen  des 
äufserlicben  Mechanismus  der  Deitkprocesse,  und  dann 
etwa  noch   der  Species   und  Varietäten  der  Begi^iffe^ 
(Jrtheiie  und  Schlüsse,  gleichwie  bei  einer  Thier-  oder 
Pflanzengattung,   bestände.    Der  Verf.   geht  vielmehr 
darauf  aus,  zunächst  zwar  die  Genesis  des  Begriffs  und 
Urthcils  aus  den  zwei  Haupt»  und  Grundfactoren  alles 
Wissens,   der,  Sinnlichkeit  und  der'  Vernunft,   sodann 
aber  die  Fortbildung  der  unter  dieser  doppelten  Form 
gesetzten  Deuhninctioncn  zum  realen  Wissen  nachzus- 
weisen.     Der  Grund,  weshalb  er  uns  in  diesem  Unter- 
nehmen sowohl  fibediaupt,  als  auch  an  jeder  einzelnen 
Stelle  nicht  ganz  zu  genügen  vermag,  so  sehr  wir  das 
Unternehmen  an    sich  selbst    gtitheifeen  und  für  ver- 
dienstlich achten,  liegt  in  dem  mangelhaften  Grundbe* 
griffe  des  Wissens,    so  wie  er  sich  aus  den  allgemei- 
nen Principien  dieses  Denkers  ergiebt.     Alle  wirkliche 
Begriffs-  und  UrAeilsbildung  kann  sich  nach  Scbl.  zu 
demjenigen  Wissen,   welches  in  der  That  das  absolui- 
'  te,  das  eigentlich  wissenschaftliche  wäre,  doch  immer 
nur,  so  zu  sagen,  als  Asymptote  verhalten.    Das  abso- 
lute Wissen  bleibt  ein  Jenseits,  alles  wirkliche  Denken 
ist  nur  ein  relatives  Wis8c;n,   dem  absoluten  sich  Jns 
Unendliche  annähernd,  aber  nie  dasselbe'erreichend.  Dies 
die  nothweudige  Folge  der   Verläuffuung  eines  reinen 
Vernunftwissens,  eines  Wissens,  welches  keines  durch 
die     Sinnlichkeit    herbeizuschaffenden  Stoffes    bedarf, 
sondern  dem    durch   die  Vernunft   selbst  sein  Gegen- 
stand  gegeben    ist.      Denn    nur  ein   solches   Wissen 
i^t  tbeiis  für  sich  selbst  auch  im  Einzelnen  und  Beson«  ^ 
dern  ein  wahrhaftes  und  vollendetes  Wissen,  eine  Prä- 
senz des  Absoluten  im  denkenden  und  wissenden  Geiste, 
tbeiis  vermag  es,   durch  sein  Inwohnen,  das  sinnliche 
und  empirische  Wissen   zu  einem  solcheif  zu  erheben^ 
während  ein  Wissen,  welchem  die  Immanenz*  einer  Ge- 
genständlichkeit der  reinen  Vernunfterkenntnifs  abgeht, 
nur  durch  das  Umfassen  der  Totalität  des   sinnlichen 
Inhalts  sie  zu  ersetzen  vermöchte.    So  gewifs  also  diese 
Totalität  nie  eine  seiende,  sondern  immer  nur  eine  wer* 
dende  ist,  so  gewifs  kann  nach  Schleiermacher  nie  ei- 
gentlich von  emem  seienden,  sondern  immer  nur  von 
einem  werdenden  Wissen  die  Rede  sein.    Man   si^ht, 
wie  hierdurch  uothweudig  auch  seine  Theorie  von  der 
Construction  des    Wissens  eine  andere  Richtung  und 
Färbung  erhalten  mufs,  als  sie  in  einem  solchen  Zn- 
sammenhange erhalten  würde,  welcher  auf  die  Aner- 
Jcennutag  eines  reinen  Vernonftwissens  und  apf  den  Be- 
sitz einer  absoluten  Gegenständlichkeit  dieses  Wissens 
gebaut  wäre.     Der  Gegensatz  der  Schleiermacherschen 
Erkeuntnifstheorie  gegen  eine  solche,  wie  wir  sie  hier 
*]m  Sinne  haben,  aber  freilich  noch  nicht  als  vorhanden 
aufzeigen  können,  wüt-de  noch  gröfser  sein,  wenn  nicht 
auch  letztere,  unserer  Ansicht  nach,  gerade  bei  dem, 


663 


SphleiermaeherM     Dialektik. 


vas  ScbL  Gonstrnction  des  Wissens  heont,  bei  der  Bot- 
Wickelung  der  DenkConetioDen  des  BegrifiFs,  des  Ur« 
thcils  a.  s.  w.  nicht  sowohl  von  der  Voraussetzung  ei- 
ner reinen  Vernunfterkenntnifs  auszugehen,  als  yieloiehr 
'nach  dem  vollständigen  Begriff  solcher  Erkenntnifs  und 
des  Erkennens  ujid  Wissens  überhaupt  erst  hinzustre- 
ben hätte.  —  In  der  eben  angegebenen  Stellung  der 
Schleiermacherschen  Erkenntniistheorie  liegt  nun  auch 
der  Grund,  weshalb  der  zweite  Abschnitt  dieses  Th'eils, 
statt  sich^  wie  in  einer  Darstellung  der  Fall  sein  würde, 
die  auf  der  von  uns  angedeuteten  Grundlage  rufato^ 
mit  der  Aufsuchung  und  Darstellung  der  wahrhaften 
wissenschaftlichen  Methode   zu  beschäftigen,    derjeni- 

gen  Methode,  die,  in  der  Einheit  mit  dem  absoluten 
legenstande  des  Wissens,  ihr  Ziel,  d.  h.  die  Wahrheit 
als  Syitem^  als  ff^iseeusgimzes  nicht  nur  anstrebt, 
sondern  wirklich  erreicht,  nur  mit  der  Combinatiou  je- 
ner unvollkommenen  Wissensformen  zu  einem  der  wah- 
ren. Wissenschaft  nur  ins  Unendliche  sich  annähernden 
Denkznsammenbange  sich  beschäftigen  kann.  Er  stellt 
in  diesem  Sinne  den  Begriff  eines  doppelten  Verfah- 
rens auf,  des  AetiristiscAen,  und  des  arc/ntektonücAeny 
über  deren  Beschaffenheit  man  sich  in  der  Hauptsache 
nach  dem  bisher  Gesagten  leicht  eine  Vorstellung  wird 
bilden  können. 

Sollen  wir  scbliefslich  noch  ein  Urtheil   über  die 
Bedeutung  des  vorliegenden  Werkes  im  Ganzen  aus- 
sprachen :  so  sind  wir  allerdings  geneigt,  dieselbe  njcbt 
gerin^^  anzuschlagen,  in  sofern  das  Buch  dient,  unsere 
geschicbiliche    Kenntnifs    des   philosophischen    Stand- 
puncts,  durch  welchen  die  vielseitige  und  tiefgreifende 
Wirksamkeit  seines  berühmten  Urhebers  bedingt  wird, 
zu  vervollständigen,  und  in  den  eigentlichen  Uauptmo- 
uienten    darüber    abzuschliefsen.      Diesen   Standpunct 
selbst  kann  Ref.   freilich  nicht  für  den  unserer  Zeit 
durchaus  gemäfsen,  ja  nicht  einmal  für  einen  solchen 
erkennen,  Ton   welchem  zu   erwarten   steht,    dafs   er 
sieh   in  einem  Kreise   wirklicher  Anhänger  noch  läu- 
gere  Zeit  hindurch  forterhalten  und   eine  Stellung  in 
der  Gegenwart  behaupten  wird.  .  Nur  in  der  Theolo- 
gie, nicht  In  der  Philosophie  hat  Schleiermacher  wäh- 
rend seines  Lebens  eine  Schule  gestiftet,  und  auch  in 
der  Theologie  nicht  in  dem  Sinne,    dafs  diejenigen, 
welche  diese  Schule  bilden,  sich  vollständig  oder  auch 
nur  in  allen  Grundprincipien  zu  seiner  Lehre  bekennen  * 
sollten.     W  as  zwar  ihn  selbst  betrifft,  so  hängt  sein 
theologischer  Standpunct  bei  weitem  enger,   als.  man 
oft  hat  finden  wollen,  mit  dem  philosophischen  zusam- 
men, ja  er  bildet  mit  demselben  in  \\  ahrheit  Ein  un« 
trennbares  Ganze.  ^  Denn  das  Gefühlsprincip,   auf  wel- 
ches seine  Theologie  sich  begründet,   kann   in  seiner 
wahren  Bedeutung  durchaus  nicht  verstanden  werden 
aufserhalb  des   speculativ^n  Zusammenhangs,   der  ihn 
auf  den  Begriff  jenes  „Abhängigkeitsgefübis'*  gefuhrt 
hat,  umgekehrt  aber  führt  dieser  speculative.  Zusam- 
menbang mit  Nothwendigkeit,  nicht  nur  auf  den  Begriff 
des  Gefühls, als  Princips  der  Religion  überhaupt,  son- 
dern auch  ausdrücklich  darauf,  das  Absolute,  welches 


m 


sich  dein  Wissen  unmittelbar-  gegeDstftadlidi  in  na* 
eben  nicht   vermag,    durch  das  Medium  des  Gefnhli 
zum  Qegenstaud  emer  mittelbaren,  nicht  sowohl  philo- 
sonhischen  als  theologischen  Erkenntnifs  zu  gestalten. 
Allein  so  sehr  eben  diese  Richtung  auf  eine  das  icK» 
gidse  Gefühl   als  solches  zum   Gegenstand  nehmeuje 
theologische  Betrachtung  ilas  Zeitalter  ansprach  und, 
durch  eine  geistvollere  Behandlung   der  theologischeo 
Studien  und  Belebung  derselben  mit  dem  auf  speeala- 
tivem  Boden  gewonnenen  Ideenschatze  ein  Bedörfbili 
des  Zeitalters  erfüllte :   so  wenig  populär  ist  doch  im 
Ganzen  der  Weg  geworden,  auf  welchem  Schleienna- 
cher  für  seine  Person  philosophisch  diese  Kicbtu»^  zh 
motiviren  suchte,  und  es  schemt  uns  auch  wenig  Am- 
sicht,  dafs  die  Veröffentlichnng  des  vorliegendeu  Wer- 
kes ihn  populärer    machen   wird.     Nicht   als   ob  wir 
diesen  Weg,  nur  auf  einer  subjectiven  Grille  beruhend 
meinten;  wir  bleiben   weit  entfernt,  in   die  Beschnldi- 
gungen   der  Sopbistik   oder  des  Eklekticismüs  eiozii- 
stimmen,  die  man  vielfach  gegen  Scbleiermacber  auch 
als  Philosophen  erhoben  hat,  und  glauben  vielmehr  in 
der  Gestaltung  seiner  philosophischen  Lehre,  so  rein 
sich  uns  dieselbe  hier,  und  noch  mehr  vielleicht,  vie 
sie  sich  in  seinen  ethischen  Arbeiten  darstellt,  einen 
eben  so  sehr  innerlich  nothwendigen  und   aus  achtem 
Geistestrieb  entsprossenen,   wie  mit  schöpferischer  Ei« 
genthümlichkeit  ausgewirkten  Seitenschöfsling  des  ^ro- 
fsen  Stammes  der  neueren  deutschen  Philosophie  n 
erkennen  j  eine  keineswegs  unberechtigte  Varatioa  des 
„Sy Siemes  der  absoluten  Identität,"  dem  in  seiner  .e^ 
sten  Fassung  durch  „intellectuelle  Anschauung",  so- 
bald das  Unzureichende  dieser  „Anschauung'*  erkaont 
ward»  der  Uebergang  in  jene    dialektische  Rcflexioa, 
welche  sich  das  Absolute  nur  im  Gefühl  wirklich  prä- 
sent zu  haben  bewufst  ist,   in   der  That   nahe  gennt 
lag.    Die  Einflüsse  anderer  Philosophen,  unter  den  A 
teren  besonders  Platon's  und  Spinoza's,  unter  den  neoe- 
ren  Fichte's  und  Schelling's,  sind,  wie  in  Schleienn» 
chers  Lehre  überhaupt,  so  auch  in  gegen wärtiger  Dia* 
lektik   unverkennbar;   allein   sie  sind   durchaus  vera^ 
beitet,  und  die  Selbstständigkeit  seiner  philosophiscfaea 
Weltansicht  wird  dadurch  eben    so    wenig  gefährdet, 
wie  die  jedes  andern  Phitosophenj   welcher  das  Werk 
seiner /Vorgänger  nicht  ignorirt,   sondern   darauf  fort- 
baut.    Bei  dem  allen  will  es  uns  scheinen,  als  ob  di^ 
se  philodophjsche  Ansicht   haarscharf  zugespitzt  und 
auf  einen    sich    selbst   überfliegenden  Gipfel  gestellt, 
wie  sie  ist,   schon  in  der  Person  'ihres  ifrliehers  ihre 
Bestimmung  erreicht  habe,  die .  Bestimmung,   von  .den 
Standpunkte  des  Identitätsjstemes,   als  des   dem  Zeit- 
alter, dem  sie  angehört,  zunächst  gemäfsen,'  eine  ver- 
änderte  Auff'assung  der  Theologie  und  der  Ethik  ein- 
zuleiten, und  als  ob   daher  die  Bedeutung,    die   auch 
wir  ihr  zuzugestehen  uns  nicht,  entbrechen  können,  viel- 
mehr in    der   Geschichte,   als   in   der  Gegenwart  der 
Wissenschaft  zu  suchen  sei. 

Weif-se. 


,      •       J^  84. 

Jahrbuch e 

u  r 

wisse  nschaftlicheKritikJ 


November  1839. 


XLHL 

Darstellung  der  ägyptischen  Mythologie^  verbun^ 
den  mit  einer  kritischen  Untersuchung  der 
Ueberbhibsel  der  ägyptischen  Chronologie  f)on 
J.  C.  Prichardj  M.  D.  Uebersetzt  und  mit 
Anmerkungen  begleitet  von  L.  Baymann.  Nebst 
einer  Vorrede  von  A.  JV.  r.  Schlegel.  Bonnj 
1837.  bei  Eduard  JVeber.  XLII.  X.  491. 

Wibrend  an  den  Ufem  des  GaDges  europäischer 
Fonchongigeist'  eine  längst  Terscbüttete  unennefsliobe 
Gdttervelt  ans  dem  Grabe  gerufen,  während  das  alte 
Hiadoatan  mit  seinen  Epopöen  nnd  Dramen,  semen 
Religionsfomien  nnd  philosophischen  Systemen  dem 
ah en  Hellas  sein  verjährtes  Recht  anf  die  Vorliebe  der 
Nachwelt  streitig  macht:  liegt  noch  eine  ägyptische 
FiDstemiTs  über  das  enge  Nilthal  gebreitet,  und  jeder 
Versuch,  das  nnheimliche  Dnnkel  seiner  Tempel  und 
Sagen  zn  erhellen,  endigte  mit  dem  Geständnifs  seiner 
Vecgeblichkeit.  Die  Sprache  des  alten  Aegyptens  ist 
spurlos  ausgestorben,  die  Geschichte  erzählt  kaum 
noch  Ton  dem  Untergang  der  Nationalität  seiner  Be* 
w<»hner,  und  die  einzigen  Dollmetscher,  die  zu  befra* 
geo  wären,  sind  selbst  upanflösliche  Räthsel.  Mit  ge- 
spannter Erwartung  nahmen  wir  daher  eine  Schrift 
über  diesen  Gegenstand  zur  Hand,  die  aus  der  Mitte 
dea  Volkes  hervorging,  dessen  wissenschaftlicher  Fleifo 
imd  geistige  Regsamkeit  nur  an  dem  Ueberflnfs  von 
Mitteln  ein  Gegengewicht  findet,  die  ihm  zu  Bewäh- 
rang  dieser  Eigenschaften  dargeboten  sind« 

Seit  dem  Werke  Jablonski's  ist  keine  grfiadlichere 
und  detaillirtere  Untersuchung  über  die  ägyptische  Re> 
liicion  erschienen,  als  die  Schrift  des  Hm.  Pricbard, 
OBd  schon  um  der  Bedeutung  des  Gegenstandes  wiU 
len  radgen  wir  dem  berttbmten  Vorredner  das  empfish« 
lende  Wort  v0rdanken,  womit  er  dieselbe*  auf  deut- 
lokth.  /  wUmMtk.  KrkUt.  J.  1830.    II.  Bd. 


seilen  Boden  emführte.  Hr.  v.  Schlegel  beschränkt 
sich  darauf,  über  das  VerwQndtschaftsverhältnifs  zwi« 
sehen  Indien  und  Aegypten  zu  debattiren,  nnd  die  be^ 
sonneoen  und  erschöpfenden  Aeufserungen  Jos  beröhm« 
ten  Mannes  hierüber  erlassen  es  uns,  dieser  Frage 
ausschliefsliohes  Gewicht  zu  geben« 

Die  Aussicht  auf  eine  vollendete  Kenntnirs  des 
alten  Aegyptens  hängt  an  der  unsicheren  Möglichkeit, 
dafs  jemals  neue  und  originelle  Quellen  für  dieselbe 
sieh  eröffnen.  Da  ein  solcher  Vorschub  nur  etwa  durch 
neue  Aufschlüsse  über  die  Bildwerke  und  hieroglyphi» 
sehen  Denkmale  des  wunderbaren  Landes  zu  gewinnen 
wäre:  so  ist  die  Erklärung  des  Verf«.  (S.  15),  dafs 
er  diese  nicht  unter  seine  Hülfsmittel  zähle,  so  gut  als 
eine  Verzichtleistung  auf  da«  Verdienst,  den  Stand  der 
Untersuchung  zum  Ziele  gefiihrt  zu  haben.  Der  Vor* 
such,  die  ägyptische  Religion  aus  der  indischen  zu  er* 
läutern,  der  bei  der  Unbekanntschaft  des  Verfs.  mit 
der  deutschen  Literatur  hierüber,  besonders  der  Schrift 
V.  Bohlen's,  beziehungsweise  ein  neuer  Weg  genannt 
worden  mag,  setzt  die  Frage  über  den  äufseren  Ver« 
kehr  „zwischen  den  Philosophen  des  Nils  und  jenen 
des  Ganges^'  (S.  14)  als  abgemacht  voraus,  für  deren 
Lösung  die  Geschichte  jedes  Datu6i  verweigert  i  kann 
aber  jedenfalls  nur  mit  strengeren  Grundsätzen  gewagt 
werden,  als  die  sind,  denen  Hr<  Pr.  huldigt.  Dennoch 
verkennen  wir  nicht,  dafs  in  VerarSeituiig  der  von 
Jablonski  gesanunelten  und  benützten  Hülfsmittel  noch 
sehr  Viel  zu  leisten  sei,  und  zumal  durch  ein  umsicb« 
tiges  britisches  Verfahren  im  Gebrauch  derselben  nicht 
nur  über  einzelne  Theile,  sondern  übor  das  Ganze  der 
Untersuchung  ein  neues  /und  helleres  Licht  sich  ver> 
breiten  lasse,  indem  unsere  ganze  KenntniÜB  des  alten 
Aegyptens  sieh  auf  die  Berichte  gründet,  die  uns  ein 
fremdes  Volk,  dessen  lerste,  aocli  unmündige  Jugend 
kanm  mit  dem  Verfall  des  ägyptischen  Lebens  gleich« 
zeitig  ist,  aus  den  verschiedeneu  Perioden  seiner  Ge- 

84 


6$7 


^,  Darstellung  der 


Mythologie. 


668 


schichte  hinterliefs.  Anstatt  dieses  kritischen  Sinnes 
finden  wir  dagegen  bei  Hrn.  Pr.  umgekehrt  eine  an's 
.  Naive  grenzende  Hingebung  an  die  griechischen  Be- 
richterstatter, und  Herodot  und  Porpbyrius,  Plutarch 
und  Plato,  Diddor  Und  Makrobius^  Jamblicb  und  Strabo 
drängen  sich  in  bunter  Verwirrung  durch  einander,  um 
am  Meisten  das  Wort  zu  führen.  Selbst  wo  sich  ihn^ 
eine  kritische  Einsicht  darbietet, 'verscherzt  er  das  Ver- 
dienst derselben.  Er  erkennt  die  Ünbrauchbarkeit  der 
Etjmolo{^ieen  Jablon8)i;i*8,  setzt. selbst  die  ältesten  Spu- 
ren des  Koptischen  über  die  erste  christliche  Zeit  lierab 
(8.  14);^  dennoch  mag  er  Ableitungen  von  Formen 
dieser  Art  als  acht  ägyptische  billigen,  deren  auslän- 
discher und  nichtägyptischer  Charakter  auf  den  ersten 
JBIick  einleuchtet,  wie  Herakles  s»  Sem  von  Jörn,  Dsom  a 
Macht,  Kraft  u.  a.  ni.  (S.  100),  während  Herodot  gerade 
in  Herakles  ein  ägyptisches  Stammwort  findet  (II.  43.). 

Zur  Zeit  des  Hekatäus  und  Herodot  war  mit  der 
Nationalität  Aegyptcns  siclier  auch  die  Reinheit  der 
alten  Sprache  und  das  Verständnifs  der  alten  Mythen 
^durch  «asyrische,  chaldäische,  persische,  griechische 
Elemente  verwischt  Kein  Hellene  war  wohl  jener 
Sprache  mäbhtig,  und  wer  bürgt  uns  für  die  Tüchtig- 
keit jener  griechisch  erzogenen  ägyptischen  Kna- 
ben, von  denen  Herodot  (II.  154.J)  als  seinen  Her- 
meäeuten  redet  f  wer  für  den  guten  Willen  der  Prie- 
ster, die  er  befragte?  wer,  bei  der  Aehnlichkeit  indi- 
scher und  ägyptischer  Verfassung  und  des  dadurch  be- 
dingten Charakters  beider  Völker  dafür,  dafs  nicht  hin 
und  wieder  Täuschungen  statt  fanden,  wie  sie  Wilford 
von  jenem  Panditen,  Voltaire  und  seine  Zeit  durch  den 
Ezöurveda  erfuhren  t  Dafs  aberPlato  in  Aegypten  Viel 
gelernt,  bezweifelt  schon  Strabo. 

Wie  nötbig  ist  jene  kritische  Behutsamkeit  erst 
bei  Benutzung  jener  späteren  Auetoren,  die  ihren  Ge- 
gens&nd  bereits  durch  das  Prisma  einer  deutenden 
Allegorie  auifafsten  \  und  doch  findet  sich  in  der  Schrift 
des  Verfs.  nicht  eine  Spur  des  Bemühens,  denselben 
durch  einen  Abzug  jenes  prismatisehen  Einflusses  auf 
seine  ursprüngliche  Gestalt  zurückzuführen!  Ja,  was 
soll  man  dazu  sagen,  dafs  gerade  diese  Quellen  es  sind, 
in  denen  er  den  Sinn  des  ägyptisoheft  Mythus  am 
Wahrsten  gegeben  findet}  was  zu  dem  Luxus,  ^en  er 
mit  Plutarch,  Diodor,  Makrobius,  den  Neuplalonikern 
treibt!  Zur  Rechtfertigung  dieses  Verfahrens  sucht  Hr. 


Pr.  (S.  6-*  10)  zu  beweisen,  dafs  die  hermetischen  BS- 
eher,  welche  die  Quellen  jener  Schriftsteller  gswesen 
seien,  ursprängUehe  Denkmale  des  alten  Aegypteni 
waren*    Das  Dasein   derselben  setzt  er  voraus.   Pia. 
tarch  kennt  sie  vom  Hörensagen;    Clemens  besokreibt 
deren   schon  .44.     Das  Zeugnifs   des  viel  getäaschten 
Vaters  ist  für  Nichts  zu  achten.    Die  Bücher  handeli 
von  Institutionen,  deren  Beechreibung  ein  Zeiohen  ist, 
dafs  ihr  Gebrauch  längst  aufgehört  hatte,  die  wäbrenl 
der  ihnen  angemessenen  Verfassung,  zumal  unter  I^^ 
Stern,  nur  durch  lebende  Tradition  sich  erhalten  konn- 
ten.   Galen  verwirft  sie,  jedoch  nicht   ans  kritisdieii 
Gründen,  sondern  wegen  ihres  läppischen  Inhalts.  Jam- 
blicb  aber  kennt  solcher   Bücher  36524  und   beweist 
^  damit  aufs  Beste,   wie  die  ganze  Erscheinung  4rar  anf 
der  Mysterienmanie  einer  Zeit  ruhe,  in  welcher  falsche 
Schriften  pilzenartig  aufschössen,  und  ein  alter  Name 
genug  war,  um  eine  Lüge  daran  zu  knüpfen,  die  neh 
alsbald   lavinengleich  vergröfserte.     Es   ist  mehr  ab 
zweifelhaft,  ob  die  alten  Aegypter  überhaupt  eine  Buch- 
stabenschrift besafscn,  da   alle  Spuren  einer  solohea, 
wie  die  Mumienscbriften  des  Grafen  Caylns,  dielii> 
Schrift  von  Rosette  auf  phönicischen,  persischen,  grie> 
chiscben  Charakter  deuten.    Das  Zeugnifs  des  Plate^ 
das  sich  an  die  jüngere  Figur  des  Thot  und  das  nach 
Strabo  erst  unter  Psammetich  erbaute  Naukratis  lebnt, 
kann   über   das  griechisch  -  ägyptische   Alter   zoriitk 
keine  Kraft  haben ;  während,  wenn  wirklich  der  l]nt€^ 
schied   bei   Herodot  zwischen  heiliger   und   gemeinet 
Schrift  Grund  hätte,  man  nicht  sieht,  wie  jene  noch 
zur  Zeit  der  Ptolemäer  oder  gar  ded  Jamblichos  ve^ 
ständlich  gewesen  wäre,  da  offenbar  jener  Untersehiel 
nur  in  der  Tendenz  begründet  war,  die  GeheimoisfiC 
der  Priester  vor  dem  Volke,  wie  viel  mehr  vor  Abs* 
ländern  zu  verbergen,  die  ein  Aegypter  nach  Beredet 
nicht  einmal  küssen,  mit  denen  er  nicht  einmal  esses 
durfte.     Hr.  Pr.   bedenkt  diese  priesterliche  Tendeos 
ebenfalls;  er  gesteht  sich,  dafs  kein  Grieche  die  Lan- 
dessprache der  Aegypter  verstand;  er  kennt  die  Pro* 
duc|ivität  des   frommen  Betrugs;  —  dennoch  setit  er 
solche  ächtägyptiscbe  Schriften  voraus,  lälst  sie  durch 
gräcisirte  Aegypter  übersetzen,   und  bedauert  nur  den 
Verlust  dieser  Versionen,  die  indessen  jene  AudoRD 
als  Quellen  benützten.    Er  beruft  sich  auf  Jamblieb, 
der  wirklich  von  solchen  Uebersetzungen  redet,  darob 


66» 


PrMimrdy  DarMtelbmg  det  &gypH$ckm  JUytAoUgie. 


670 


das  Bemübeil  aber>  den  platonisoh^  Anstnoh  dersel« 
bau  nach  Sprache  nad  Gedanken  an  entscbnldigen,  das 
Drtbeil  über  die  Zeit  ihrer  Cooipoaition  feststellt 

Als   Quelle   ffir    das    richtige    Ferstäiubit/i   der 
ftgyptiachcn  Mythen  beoützt  Hr.Pr.  femer  die  griechi- 
sehe  Philosophie -9    deren   ägyptische  Abstanunung  er 
als  Etwas   an-  sich  Gewisses  betracbtetw    Vor  Allem 
bift  er  sich  an  Orphons  und  die  Pjthagorfier,  die  wahr» 
'  seiieinlichen  Verfasser  der.  orphisohen  Gedichte«    Die 
•rpbische  Kosmogonie  bildet  den  stebendep  Ausgangs- 
po&kt  seiner  Untersuchungen  (vgl.  S.  SO  ff.  43  ff.  139  ff.). 
Dem  Orpheus    weist  indefs  der  sicher  i^^mittelte  Ur- 
tsproag  'der    baecbiscben  Mysterien  seine  Heimath  in 
Thracien,  sdne  Lebensaeit  lange  nach  Homer  an,  als 
Um   ägyptischen  Zustände  längst   durch  fremde  Ele- 
■lente  ihre  Reinheit  yerloren  halten.    Die  Beziehung 
dea  Orpheus  auf  Aegypten  hält  auch  Hr.  Pr.  nicht  ge» 
rsde  fest  (S.  11  A-  l-);  dennoch  ,,enthaltenfliribndie 
erpbischen  Fragmente  die  ältesten  Gattungen  der  Sa- 
twrdotal- Philosophie  der  Griechen,   oder  jener  mysti* 
uAea  Auslegungen  des  Volksaberglaubens,  die  unter 
den   Hieropbanten  aufbewahrt  wurden,   und    die  den 
Caltua  der  Götter  von  den  Ufern  des  Nil  in  die  Wei* 
1er  Ton  Arges  und  Attika  hinübertrugen"  (S.  30.  31.)« 
Und  doch,  verdient  die  Sucht  der  Griechen,  ihre  belli« 
gen  Institutionen  von  Aegypten  abauleiten,  etwa  mehr 
R&cksicht,  als  der  Brauch,  sie  auf  Orpheus»  Linus,  Mu» 
e&BS  aorückzuführen  f  Die  grofse  Bedeutung ,  welche 
die  orphischen  Mysterien  fiir  das  erwachende  Bewufst« 
sein  der  Hellenen 'gewonnen  hatten,  trug  sich  in  dem 
Geiste  des  Volks  auf  die  Person  des  mythischen  Stif- 
ten Aber,  dessen  Name  sofort  der  belle  Punkt  war, 
-weran  sich   die  Productionen  ihres  religiösen  Lebens 
auieetaten ;  er  war  zugleich  das  Vehikel  ihrer  eigenen 
Attctorität    Fand  nun  die  Vorliebe  der  Griechen  fttr 
das  Fremde,  ihre  Sucht,  die  eigenen  Zustände  durch 
dAs   Verdienst  hoben  Alterthnms  zu  sanctioniren,  in 
dem  längst  gräcisirten  Aegypten  zahllose  Aoknüpfungs« 
pciiikte,  so  lag  es  allzu  nahe,    den  orphischen  Namen 
mit  diesem  Wundorlande  der  Hellenen  in  Verbindung 
KVi  setzen,  tu  den  abgeleiteten  Formen  des  griechisch« 
ägyptischen  Lebens   die  ursprönglicben  Elemente,    in 
d^r  Tochter  die  Mutter  zu  sehen.    Herodot  nennt  den 
Ovpbeus  nicht  in  Aegypten.     Eine,  auch  in  seinen  An- 
g^n  nur  halbe,  Aehnlichkeit  der  Dionysien  mit  den  osi- 
risohen  Ceremonien  ist  dem  befangenen  Manne^  Grund 


genug,,  jene  von  diesen  abzuleiten,  und  dita  Melampus 
lind  Kadinus  als  Vermittler  zu  conjecturiren«  Diodor 
aber  erzählt^ schon  tou  einer  Reise  des  Orpheus  und 
Melampus  nach  Aegypten.  Orpheus  und  Melampus  in 
Aegypten  haben  nicht  mehr  historischen  Werth,  als 
Makedbn,  der  Sohn  des  Osiris,  der  italisch -troische 
Aeneas,  der  phooicjsche  Kadmus,  der  ägyptische  Da*' 
naus.  Man  sieht,',  wie  leicht  es  ging,  das  wahre  Ver- 
bältnifs  Ton  Hellas  zu  dem  Aegjrpten  der  Hellenen 
umzukehren.  Es  ist  unmöglich,  aus  den  unlantem 
Nachrichten  über  Pytbagoras  die  Ansichten  desselben 
selbst  zu  ermitteln.  Wollten  wir  auch  .seine  .ägypti- 
sehe  Reise  für  mehr,  als  einen  Mythus  nehmen,  — 
die  ägyptischen  Bestandl  heile  Jener  ausscheiden  zu 
wollen,  ist  ungereimt.  Pytbagoras  ist,  wie  der  Name 
des  Orpheus,  Homer,  Hesiod,  der  Typus  für  eine  Seite 
des  griechischen  Lebens  geworden.  Die  Nachricht  tou 
seiner  Beschneidung>  die  Sagen  bei  Clemens  über  ihn 
sind  Fictionen  einer  spätem  Zeit.  Zudem  war  Aegyp« 
ten  um  die  60.  Ol.  nicht  mehr  dos  Land  der  alten  Fa- 
bel. Hr.  Pr.  macht  es  sich  bei  alle  Dem  leicht;  die 
Pythagoräer  behandelt  er  geradezu,  als  wären  es  ägyp- 
tische  Philosophen.  Indessen  macht  er  es  mit  den  ioni- 
schen Philosophen,  mit  den  Stoikern,  ja  mit  —  Virgil 
nicht  anders. 

Es  murs  einen  tieferen  Grund  haben,  warum^  der 
Vf.  einen  so  luftigen  Weg  geht.  —  Weit  strenger  als 
selbst  für  den  Historiker  gilt  für  den  Mytbographen 
die  Forderung  einer  absoluten  Freiheit  Von  Vorurthei« 
len,  je  mehr  der^  religiöse  Charakter  des  Mythus  ge« 
eignet  ist,  das  sobjoctive  Denken  zu  verleiten,  an  zu- 
fällige Seiten  desselben  Gesichtspunkte  anzuknöpfen, 
die  nur  ihm  selbst  eigen  sind.  Von  jener  Unbefangen« 
heit,  jenem  rein  historischen  Interesse  findet  sich  aber 
in  dem  Buch  des  Verfs.  so  wenig  eine  Spur,  als  von 
jener  Quellenkritik,  nnd  Beides  hängt  genau  zusam« 
men*  Die  ägyptische,  wie  die  indische  Religion  ist 
für  ihn  nur  das  Medium,  seine  eigenen  Gedanken  über 
die  ersten  religiösen  Zustände  der  Menschheit,,  die  Hy- 
pothese von  einer  gemieinsamen  Urreligion  zu  bewahr- 
heiten. Die*  ganze  Behandlung  seines  Gegenstandes 
ist  auf  den  Schlufs  augelegt,  dafs  diese  Urreligion  den 
Glauben  an  die  Existenz  einer  Gottheit  im  christlichen 
Sinne  des  Wortes,  an  eine  Uiisterblichkeit  und  Wie- 
dervergeltung enthalten  habe,  dafs  jenem  „Theismus 
der  ersten    Zeitalter'*  besonders  das   „Dogma  einer 


671  Priekardy  DanteUung  der  ägyptüek^n  Mytikel^gie. 

Trias  der  Personen"  der  ^Gottheit  suzusohreiben,  der- 


872 


selbe  auf  „äbematfirlichpn  Ursprung''  zurückzufahren 
sei;  woHiif  genau  zusammenbängf,  (}i<i  geistige Entwick» 
lung  der  Menschheit  als'  eine  wachsende  Corruption 
aufzufassen.  Das  Bemühen  zumal,  sich'  den  Inhalt  je- 
nes Glaubens  phüotaphüch  zur  Anschauung  zu  brin- 
>  gen,  erzeugte  nach  Hrn.  Pr.  zuerst  Emanatismus,  da^n 
Pantheismus,  dann  jrohen  Naturdienst  (S.  183 — 216, 
242 — 246).  Seltsam,  vie  die  doch  aus  dem  unmittel- 
baren Quell  der  Wahrheit  selbst  fliefsenden  Anfänge 
der  alten  Philosophie  so  roh  sein  konnten  I  wie  der 
Geist,  im  yoUen  Genüsse  des  wahren  Wissens,  so  Tiel 
Drang  und  Mühe  haben  moditOi  dasselbe  auf  einem 
Wege  zu  suchen,  der  geradeaus  auf  den  Verlust  des- 
selben ausging!  Es  ist  hier  nicht  der  Ort,  über  die 
längst  gerichtete,  alle  menschlichen  Entwicklungsge- 
setze nicht  minder,  als  alle  Zeichen  der  Geschichte 
Biirsachtende  Hypothese  uns  zu  äufsem;  hier  nur  toq 
dem  Binflufs  derselben  auf  des  Vfs.  Ansicht  ron  der 
Mythologie  ^er  Aegypter ! 

Je  hdher  das  Alter  eines  Mythos  genommen  wird, 
um  so  mehr  wird  nach  jeuer  Hypothese  in  demselben 
religiöse  Wahrheit  liegen.  Die  Mytbenbildung  ist  dem 
Vf.  der  erste  Versnob,  „jene  einfache  Form  der  Theo- 
logie mit  philosophisehen  Fictionen  nach  dem  philoso- 
.pbirenden  Stiele,  der  dem  „Genius  des  Zeitalters  pas- 
send war,  auszuschmücken''  (S.  245);  eine  Beschrei- 
bung der  „Operationen  der  Elem«ite,'in  einem  mysti- 
schen und  poetischen  Stil '  gegeben  (S.  29).  Der  My- 
thus wird  zur  allegorischen  Form  eines  abstracten  Ge- 
dankens. Was  Wunder,  wenn  Hr.  Pr.  sich  nou  fiir 
den  ägyptischen  Mythus  vorherrschend  an  jene  Schrift- 
steller hält,  in  denen  er  seine  eigene  Anschauung  des- 
selben wiederfindet!' 

Indem  wir  uns  zu  der  Darstellung  wenden,  welche 
Hr.  Pr.  von  dem  Inhalt  der  ägyptischen  Religion  giebt^ 
sollte  man,  yon  der  Hypothese  jenes  „Theismus  der 
ersten  Zeitalter''  aus,  tneinen,  der  Vf*  werde  sich  vor- 
erst bemühen,  in  derselben  die  Spuren  des  Glaubens  ' 
an  die  Existenz  ^nes  Gottes  im  ohristlioben  Sinne  auf- 
zusuchen. Die  Entwicklung  des  Buchs  leidet  jedoch 
durchwi^  an  einer  st(hE«nden  Confosion,  entbehrt  eines 


fortlaufenden  Zuummenhao^s.  Man  mufs  das  Zu* 
sainmengehörige  meist  in  zerstreuten  Fragmenten,  oft 
an  den  ungehörigsten  Stellen  zusammenlesen ;  (x.  B. 
die  orphischen  Gedichte,  obgleich  die  Grundlsge  des 
Ganzen,  stellen  füglich  das  Bild  ihres  zerrissenen  lim. 
herrn  vor,  wie  sie  Hr.  Pr.  aufiührt ;  einen  sehr  sps» 
ciellen  Zug  fiir  die  Einheit  des  Siva  und  Qsiris  findet 
man  in  dem  Absdinitt .  über  die  IdentitlLt  Typhons  and 
Siva's  u.  dgl.  Solche  ünprdentliehkeiten  sind  den 
Buche  habituell.)  Auf  den  Beweis,  dafs  der  ägypti- 
schen Religion  der  Glaube  an  die  ,>Bxistenz  dne«  no* 
sichtbaren  Schöpfers"  (S.  139)  nicht  fremde  sei,  läfst 
sich  Hr.  Pr.  nur  erst  ein,  nachdem  er  die  ägyptisohe 
Trias  und  alle  Götter  abgehandelt  hat  Zudem  wird 
dieser  Gegenstand  in  einem  ganz  andern  CapitM,  Bach, 
ja  unter  einem  ganz  anderen  Titel  als  die  übrigeo 
Mythlen  behandelt.  Die  Frage  nach  der  Kosmogonie 
der  Aegypter  nennt  Hr.  Pr.  nebst  ihrer  Eschatologie 
„die  esoterische  Philosophie"  derselben.  Ein  UDt6^ 
schied  des  Esoterischen  und  Exoterischen  ist  anf  dos 
StandpuBCt  des  Verfs.  nothwendig ;  Jenes  begreift  «üe 
Begriffe  und  Gedanken,  Dieses  die  allegorischen  F(n> 
neu«  Anders  Hr.  Pr.  Der  Mythus  von  Knepb,  mit 
dem  orphischen  Wdtei  im  Munde,  von  deni  Demioig 
Phthas  ist  ihm  das  Esoterisohe^  das  Exoterische  aber 
ist  der  Thiercultus  des  Volks  (8.  217).  Wohin  die 
Mythen  von  Osiris  und  den  anderen  Göttern  gehdroi} 
sieht  man  nicht  Sie  stehen  zu  ihren  thieriscben  Eft- 
Uomen  in  keinem  andern  Verhältnifs  als  Knuphia  n 
semer  Schlange;  dennoch  werden  sie  als  die  „volks- 
thümliohen  Fabeln"  sehr  strenge  von  jener  „esoteri* 
scheu  Philosophie"  getrennt  (S.  139).  —  Die  ägypti- 
sche Trias  findet  Hr.  Pr.  in  Osiris,  Typhon  .und  B9* 
ros  (S.  68,  70).  Hat  man  es  wobl  als  eine  philoM- 
phische  Zuthat  anzusehen,  dafs  diese  drei  Reprasea* 
tauten  jener  Urtrias  in  Isis,  Nephthys,  Bubastis  je  eise 
weibliche  Geffthrtin  haben??  (S.  113,  124,  115.)  Dieie 
Trias  ist  eine  herbe  Fiction.  Typhon  und  Osiris  et^ 
hen  sich  als  durchaus  feindselige  Prineipien  gegennbtf ; 
dennoch  sollen  sie  als  Personen  der  Trias  neben  en^ 
ander  stehen,  und  diese  sogar  eine~,,pantbeistiscbe^ 
sein.    Hr.  Pr.  sucht  die  indische  Trimurti  in  derselbcSi 


(Die  Fortsetzung  folgt) 


* » 


wissen 


J  ahrbfieher 

für 

Schaft  liehe 


K  r  i  t  i  k^ 


November  1839. 


m 


Darstellung  der  ägyptischen  Mythologie^  vertun* 
den  mit  einer  kritischen  Untersuchung  der 
Ueberbleibsel  der  ägyptischen  Chronologie  ton 
J.  C.  Prichard. 

(FortietxoDg.) 

Allein  Siya  ist  nicht  nar  der  schreeklicbe  Gott, 
er  .'ist  kein  bösartiges  Wesen,  wie  Typbon;  seine 
achreckliche  Seite  ist  die  Folie  seiner  wobltbätigen 
Wesenheit,  wie  das  Priuoip  der  Zerstörung  im  Gebiete 
des  Naturlebens  nur  die  Kehrseite,  ein  anderer  Aus- 
draek  ist  f&r  das  der  Geburt.  Die  indische  Religion 
ist  daher  Pantheismus;  die  ägyptische  bat  in  jenen 
drei  Formen  bereits  parsisch-dualistiscbe  Einflüsse  er« 
lahren«  Hr.  Pr.  mufs  die  sehr  spröde  Form  der 
Persönlichkeit  Jener  drei  Götter  in  dem  abstracten  Be* 
griff  des  Naturlebens  absorbiren,  um  den  Schdn  des 
Partheistiscben  xu  retten.  Wo  bleibt  femer  in  dieser 
Tjriäs  der  für  Hm.  Pr.  von  Horos,  Osiris  und  Isis  un- 
trennbare  Harpokratesf  und  was  hat  man  von  dem 
gebeimnifsvollen  Knnphis,  dem  Demiurgen,  was  TOti 
dem  mit  Kneph  nach  dem  Yf.  fast  identischen  Jupiter 
Ainmon  in  ihrem  Verb&ltnifs  zu  dieser  Trias  zu  den- 
ken? uind  wenn  nun  nach  Herodot  gar  Pan  der  älteste 
Gott  der  Aegypter  ist  (II,  143),  wie  steht  er  zu  jenem 
Theismus,  xu  dieser  Trias!  u.  s.  w.  «— 

Bei  der  Entwicklung  der  einzelnen  Götterdeutun- 
gV^  oder  der  Lehren,  die  ,)im  Geheimen  den  Schülern 
des  dreimal  grofsen  Hermes  vorgetragen  wurden**  (S* 
30),  hält  Ur.  Pr.  fest,  dafs  dem  ganzen  Mythensystem 
Jener  Pantheismus  zu  Grunde  liege,  der  „das  Ganze  (0 
der  Natur  als  eine  beleihende  Seele,  deren  Theile  den 
JElementen  u.  s.  w.  beigelegt  wurden,  betraebtete,"  in 
^em  Pantbeus  bald  ein  Mannweib  sab,  bald  die  acti« 
wen  und  passiven  Natnrkräfte  unter  der  Form  der 
bimmlischen  und  sublunariscfaen  Welt  trennte  u.  s.  w. 
(S.  30^46),.—  Alles  nach  neoplatonisch -orphischen 
Jmkrb.  f.  ^munKh.  Kriiik.   J.  1839.    II.  Bd. 


und  virgilscben  Versen!  —  Die  Legende  von  Osiris 
wird  nun  S.  47  ff.  nach  Plntarch  erzählt  und  S.  60  ff. 
gedeutet.  Der  Verf.  entwic)Lelt  zuerst  die  Beziehung 
des  Mythus  auf  den  Wechsel  der  Jahreszeiten  und  den 
jährlichen  Sonnenlauf,  und  sucht  besonders  die  an  die 
einzelnen.  Momente  desselben  sich  kniipfenden  Feste 
mit  diesen  ins  Gleiche  zu  bringen.  Aber  weder  die 
Deutung  des  Osiris  auf  die  Sonne,  noch  die  von  Plutarch 
erwähnte  auf  den  Mond,  noch  die  bei  Eusebius  auf 
den '  Nil  ist  seiner  Anschauung  gerecht ;  sie  sind 
sämmtlich  nicht  abstract  genug.  Mehr  gefällt  ihm  die 
Deutung  der  „tieferen  Gelehrten  uliter  den  Aegyptiern" 
(S.  64),  die  in  Osiris  den  Typus  des  feuchten  Ele- 
ments sehen,  das  sie  „als  das  zeugende  Princip  der 
ganzen  Natur"  betrachteten^  was  ja  nicht  nur  durch 
die  jonische,  ans  Aegypten  stammende  Schule  genii- 
gend  bestätigt  wird,  sondern  schon  durch  den  offen- 
bar daher  kommenden  Vers  Homers:  'i^xiayor  tc  ^hop 
ytnoiP  noi  (Afiuqa  Ti^ew^  und  Thetis  ist  dem  Vf.  Sym- 
bol der  — ^  Erde ! !  Hierauf  zieht  Herr  Pr.,  alle  diese 
Deutungen  summirend,  das  Resultat,  Osiris  sei  die  äc- 
tive  Naturkraft  überhaupt,  Isis  die  hervorbringende 
Kraft  d^r  Natur  in  der  sublunarischen  Welt.  „Vereint 
betrachtet  aber  sind  beide  da»  universelle  Wesen,  die 
Seele  der  Natur,  dem  Pantbeus  oder  dem  doppelt  ge- 
schlachtigen Zeus. der  orphischen  Verse  entsprechend*' 
(S.  65),  eine  Vorstellung,  die  sich  (S.  147)  in  Phthas 
und  Neith  ganz  wiederfindet.  In  dieser  physischen  Ab- 
straction  werden  nun  alle  Gotter  aufgelöst.  Typhon 
ist  die  „zerstörende  Ursache  in  der  Natur,"  im  Gan- 
zen identisch'  mit  —  Osiris^  Uoros  ist  „der  Erneue- 
rer und  Erbalter  der  Natur,"  doch  ist  die  Ansicht  Plu- 
tarchs  auch  sehr  plausibel,  dafs  „Heros  die  ganz^ 
sichtbare  Welt  begreife,"  da  diese  Idee  „mit  dem  Gor 
nius  der  pantbeistischen  Mythologie  übereinstimmt^'  (S, 
69).  Die  „idealiscbe  Existenz"  des  Harpokrates  be- 
ruht in  der  das  Aufsprossen  der  zarten  Pflanzen  be* 


85 


675 


Prichardy  Darstellumg  der  ägyptüeken  Mythologie. 


fördernden  Nafurkraft  (8.  73,  74).  Serapis  wt  das 
prodnctiTe  Leben  der  Natur  ivährend  der  Periode  ,,der 
Abnahme,  welebe  demselben  für  eine  Zeitlang  die 
Kraft  nimmt,  es  zeugongsunfähig  macht^  (S.  76). 
•Jupiter  Ammon  ist  der  un$ichtbare  Gott  des  Firma- 
ments mit  Donner  und  Blitz  (S.  99)\  Ueroulea  die 
Kraft  der  —  Sonnen -Attraction  oder  Gravitation  (S. 
100);  doch  ist  Jupiter  Ammon  auch  die  das  Beseelte 
bewegende,  Hercules  die  das  Leblose  ordnende  Macht 
(S.  102).  Pan  „fährt  den  Vorsitz  l>ei  dem  Processe** 
der  Fortpflanzung  (S.  103);  far  Papremis  giebt  es 
keine  Deutung  mehr,  er  ist  eben  eine  Form  des  Ty» 
phon  (S.  106);  bei  Anubis  geht  t^enigstens  die  Ab- 
atraction  aus;  er  ist  Vorl&nfer  des  Tags,  Fuhrer  der 
G^tteraufzüge,  und  Psychagogos  (S.  109);  Thot  Gott 
der  Gelehrsamkeit.  Die  Göttinnen  verwirren  sich  ganz 
in  einander. 

Bs  liegt  ohne  Zweifel  in  der  symbolischen  Anschau- 
ung des  Mythus  ein  tiefer  Reiz.  Der  Gedanke  bew&hrt 
dadurch  seine  Macht  über  die  äufsere  Erscheinung, 
indem  er  sich  als  das  Wesen  derselben  begreift;  und 
in  dem  poetischen  Geiste  eines  jCreuzer  und  Baur  auf- 
gefafst,  kann  die  Symbolik  nicht  yerfeblen,  eine  tiefe 
Wirkung  zu  äufgern.  Um  so  widriger  erscheint  jene 
Deutungsart  in  dem  Buche  des  Verfassers.  Hr.  Pr. 
besitzt  Nichts  tou  jeuer  Phantasie  und  seine  Hypothese 
quält  sich  in  dürftiger  Einförmigkeit  von  einem  Mythus 
zum  andern.  Ein  ärmlicher  Nothbehelf  ist  die  Vermu- 
thung,  dafs  wahrscheinlich  schon  vor  der  Zeit  der 
Griechen  die  Auslegung  mancher  allegorischen  Fictio« 
Den  verloren  gegangen  sei  (S.  30).  Besonders  unphi- 
losophisch aber  erscheint  diese  Deutungsart,  wenn  sie 
den  abstracten  Gedanken,  der  nur  als  substanzielles 
Element  dem  Mythus  einwohnt,  dem  religiösen  Snbject 
selber  ins  Bewufstsein  schiebt,  und  die  mythische  Form 
als  eine  ursprünglich  denselben  beabsichtigende  Er- 
findung hinstellt.  Das  Denken  steht  gleichsam  stille, 
wenn  man  z.  B«  lesen  mufs:  „nicht  nur  zur  einfachen 
Sonnenscheibe  richteten  die  Aegyptier  ihre  religiöse 
Andacht ;  sondern  die  ganze  generative  oder  prpdnctive 
Macht  der  Natur,  welche  sich  zu  gewissen  Jahrszeiten 
auf  eine  eigenthümliche  Weise  in  dem  Einflufs  der 
Sonne  entfaltet,  war  Gegenstand  derselben^'  (S.  67). 

Hr.  Pr.  fafst  die  ägyptischen  Mythen,  wie  sie  jetzt 
vor  uns  liegen,   als   ein  „verbundenes  System*'   auf. 


676 

aa  kann  an  ihn  gewifs  wenigstens  sovid  forden, 
dafs  er  sich  bemühe,  jbdor  Göttergestalt  aus  den  Foii4a 
seiner  Abstractionen  eine  ihrer  Erscheinung  eotspror 
chende,  gleich  scharf  abgegrenzte  Bedeutong  zu  g^ 
ben.  Allein  hier  laufen  Osiris  und  Typhon,  Osirii  qqiI 
Horos  unsicher  durch  emander;  Serapis  fällt  mit  Ty* 
phon  zusammen  nach  einer  Seite,  nach  der  aadera 
mit  Osiris;  Jupiter  Ammon  und  Knepb  sind  nur  die 
etwas  abgeblafste  Figur  des  Osiris,  den  man  von  den 
hier  zeugenden  Göttern  Phthas  nnd  Hercules  mcbt 
trennen  kann,  und  wie  bei  diesem  und  Zeus  Aoibmi, 
«9  ist  Hr.  Pr.  besonders  bei  den  Göttinnen  in  ye^ 
zweiflung,  sie  auseinander  zu  reissen.  Alle  sind  Blond- 
symbole; Isis,  Bubastis  und  Eileitbyia  sind  Geburts- 
göttinnen;  Titbrambo  wie  Buto  haben  die  Bcdeutoog 
der  Hekate  u.  s.  w.  Diese  Gleichartigkeit,  dieser  Mao- 
gel  an  individueller  Bestimmtheit  einzelner  Götterfor« 
men  in  Einem  Mytheuoyclus  ist  das  sicherste  Zeugnift 
gegen  die  symbolische  Deutung,  und  drängt  so  der 
hutorüehen  Anschauung  der  Sache  gewaltsam  hin, 
die  zwar  an  sich  durch  jene  nicht  ausgeschlosseo,  woU 
aber  immer  gehindert  ist,  und  bei  Hrn.  Pr.  kaum  ii 
flüchtigen  Spuren  zu  ihrem  Rechte  kommt.     . 

Die  Mythologie  eines  Volks  ist  eine  geschiohtliolM 
Gröfse,  die  schon  darum,,  weil  sie  auf  der  mafsloses 
Energie  der  bildenden  Pha^ntasie  beruht,  in  unaoflialt* 
samem  Wachsen  begriffen  ist.  Der  Mythus  von  Kdq- 
phis,  dem  blaugedaohten  Agathodämon  mit  seinem  Em« 
blem  der  Boa  erinnert  zu  sehr  an  den  auf  derselbes 
Schlange  ruhenden  Wishnus  (der  als  Krisfanas  d« 
Blaue  ist),  aus  dessen  Nabel  die  den  schaffenden  Brak 
man  hervorbringende  Lotosblume  entspriefst,  wie  auf 
dem  Munde  des  Kncph  das  den  Schöpfer  Phthas  eot* 
brütende  orphische  Ei  (dessen  ursprüngliche  Identittt 
mit  dem  Lotos  Plotarch  sehr  einfach  nahe  legt,  weui 
er  die  xi;a^oi  der  Pythagoräer  in  Eter  verwandelt, 
Symp.  n.  3.),  die  erst  sehr  späten  Zeugnisse  f&r  die* 
sen  Gott,  die  seinem  Mythus  so  sichtbar  anhaftende 
Tendenz  ergänzender  Retiexion  deuten  zu  sehr  auf  eis 
jüngeres  Alter  desselben,  als  dafs  er  fiir  eine  a/rägyp* 
tische  Figur  gelten  könnte.  Wie  hier  indisoh^griechi- 
scbe,  so  mischen  sich  in  Zeus  Ammon  sichtbar  semiti« 
sehe  und  griechische  Elemente.  Von  Serapis  ist  es 
historisch,  dafs  sein  Cultus  erat  unter  den  Ptolemfieiii 
aufkam,  und  das  zu  früh  geborene  Kind  Harpokrates 


C77 


LüeAj  OsmdUokie  der  MmekdrueJ^&rimn^i  im  Mskbhkurg  hü  zttm  J.  1540. 


678 


beweiü  tehie  spAte  Oebvft  denfiioh,  wenn  Herodol  ihn 
nioht  koDDt  (was  Hr.  Pr.  schwach  genug  damit  ent- 
scbiddigt,  dafs  der  sonst  so  nmstftndliohe  Historiker 
ihn  oiitHoros  identificirt  habe  (S.  71),aud  weil  er  kein 
thieriaobes  Emblem  hat,  Hercnles  aber,  das  Weltei 
aeograd  und  öffnend ,  ist  eine  Fignr  orphisober  My- 
steneii« 

(Der  Besdünfii  folgt.) 

XLIV. 

€h$eAiehte  «hr  BuekdruekerkwMt  in  Mekhnburg 
Sis  »um  Jahre  1640  mü  O.  C.  F.  LiseA.  SeÄuf^ 
riny  1839.    F/il. .  281  S.    8. 

Mit  Rscfat  MMcht  mao  gsgeDwftrtig  sn  bibliogrsphbche  Ar- 
beitern im  Allgemeinen  ernste  wissenschaftliche  Ansprüche,  man 
mifsachtety  was  in  die  Kategorie  der  Büeherliebhaberei  und  Ca- 
liositfttenfreude  gehört,  man  schStit,  was  das  litterargeschicht- 
liebo  Wisien«  als  solches»  IBrdert.    Genau  dasselbe  gilt  von  tj- 
pografhiseh -geschichtlichen    Untersachungen ;     wenn    derartige 
Forschung  an  sich,  wegen  der  TielAltigen  cultur-  und  liunsthi- 
storischen  Beziehnag  auch  Eimigen  Gegenstand  ernster  Bestrs> 
buog  und  Arbeit  ist,  VieUm  kann  sie  dies  nicht  sein,  Ja  es  wür- 
de eine  noch  so  fleifsige  Leistung  der  Art,  beschrSnkte  sie  sich 
inrklich   nur  auf  niichternes  Annalenw^en,  Icanm  auf  Beach- 
tung ia  einem  groiseren  Kreise  Anspruch  machen  können,  son- 
4am  hier,  wie  aberail,  stellt  sich  die  Frage  aach  dem  wissen* 
ackaftli^en  Gehalt^  der  wissenschaftlichen  Ausbeute  sofort  aufs 
antscbledenste  (leraus.    Kaum  bedart  es  wohl  der  Verwahrung 
gegen  den  Vorwurf  der  ImpietSt,    als  solle  durch  diese  Worte 
das  unsterbliche  Verdienst  eines  Maittaire,  Panser,  Hain  u.  a. 
te' mindesten  rerkümmert  werden,  nichts  weniger  als  das;  Bck- 
krf  ist  der  BegrOnder  der  alten  Numismatik,  seit  dem  AbschlnCi 
aeiass  Werkes  aber,  war  «s  dennoch  mb'glich,  eiaxelne  Partien 
des  groCMu  Gänsen  bei  grofserer  Oetaiikenntniis  TollstAndiger 
anxnbauen,  ohne  dols  dadurch  das  Verdienst  des  Meisters  im 
satfemtesten  geschmälert  ist,  so  hier  auf  Terwandtem  Gebiet; 
jene  haben  den  Wald  gelichtet,  uns  litrgt  es  ob,  das  gewonnene 
-Terrain  su  mSgliehstem  Fruchtertrage  su  nutsen,  jeder  an  sei- 
aeas  Theil,  am  aweckaiifsigstsn   gewils  durch  Loealmonogra- 
phiea,  und  swar  durch  solche,  deren  Verfasser  die  Bedeutung 
ilürer  Forschung  rem  richtigen  Standpunkt  aus  erkannt  haben, 
dafs  sie  durch  die  Summe  der  gewonnenen  R<esnltate  eben  das 
litterargeschichtiiche   Wissen  ipon    einem  Lande  aufhellen   und 
fördern  sollen.    Dafa  nun  das  bevorstehende  Jubeljahr  der  gro- 
Inea    Erfindung   der   Localbuchdruckergeschichten   mehrere  ins 
lieben  rufen    wird,  llist  sich  erwarten,    und  grade  derartige 
aind  freudiger  su  begrfifsen,   als  hier  und  dort,  prächtig  genug 
angekündigte,  umfassende  Jubeldenkmale,  Jubelalbum,  Jabeldenk- 
ateine  and  wie  die  Arbeiten  alle  heirsen  werden,  deren    wir  iu 
Jahr  und  Tag,  es  läfst  sich  Toraussehen,  einen  ganzen  Catalog 


anfeuwsisea  haben  werden  —  freudiger,  sagten  wir,  weil  sie 
^  wahrscheinlich  niitslicher  sein  werden,  als  Tiele  Jener  Pracht- 
stücke.   Dem  Verein  fOr  Meklenburgische  Gesohichto  und  Alter-  . 
thumskunde,    dessen    Bestrebungen    Ton   anspmchlosem  Beginn 
ansgehend,  nunmehr  In  Achtung  gebietender  Weise  auftreten  uSd 
nicht  nur    der  speciellen   vatorlSnilischen  Geschichte,  ^sondern 
der  allgemeinen  deutschen  und  nordischen  in  yielfllttger  Weise  ' 
▼on  anerkanntem  Nutsen  geworden  sind  —  diesem  Verein  ver- 
danken wir  in  dem  oben  genannten  Boche  die  erste  Jubelschrift« 
Dem  Verf.  derselben  fehlte  es  fast  an  aller  Vorarbeit,  das  We- 
nige abgerechnet^   was  in  einer  längst  vergessenen  Zeitschrift 
dem  Rostocker  Etwas  su  finden;  um  so  anerkennungswürdiger 
ist,  was  er  geschaffen,  eine  Arbeit,  welche  allen  Ansprüchen,  die 
man  biliigerweise  an  eine  erste  der  Art  machen  tuiun,  genügt; 
es   wird  nicht'  fehlen,  dais  nun,   nachdem  die  Aufmerksamkeit 
auf  ^ostocker  Drucke  gelenkt  ist,  mancher  pflichttreue  Biblio- 
thekar dergleichen  nachgehen  und  dem  Vf  nachweisen  wird  — 
aber  das  Bedentendste  ist  gans  gewiis  geschehen,  die  Uauptämte 
ist  geschnitten,  und  das   Gewonnene    ist  in  wissenschafUieher 
Weise  aufgestellt,   so  dafs  sich  jene  Resoltate,   auf  die  es  an- 
kommt,   fast  von  selbst   darbieten.     Wie   forderlich  aber,  um 
das  gleich  vorweg  sa  nehmen,  eine  Aufmerksamkeit  bis  ins  De* 
taii  grade  bei  derartigen  Forschungen  ist,  seigt  die  grofse  Aas- 
beute, die  aus  der  Beachtung  einzelner  Blätter  und  Fragmente 
f ür  Geaealogie  und  Verwandtschaft  der  Oflicinen  gewonnen  woi^ 
den  ist   Fassen  wir  diese  wissenschaftlichen  Resultate  zunächst 
kurz  zusammen,  um  dann  noch  eiliger  (denn  wohl  fühlen  wir^ 
dais  derartiges  kaum    vor    das  Forum    der  wissenschaftlichea 
Kritik  gehört)  za  den  typographischen  Binzelheiten  überzugehea. 
Hr.  Lisch  eröffnet  seine  Untersuchungen   mit  einer  gedrängten 
Darstellung  der  geschichtlichen  und  literarischen  Bedeutsamkeit 
der  Brüder  vom  gemeinsamen  Leben  und  lehnt  sich  mit   Recht 
an  Delprats  vortreffliche  Arbeit.     Nach  dieser  Einleitung  arbei- 
tet er  aus  dem  ganzen,  noch  nie  benutzten  Urkundenschatze  der , 
Bruderschaft  (ein  und  dreiisig  Urkunden  sind  vollständig  mitge- 
theilt)  die  Ckschichte  des  FraterhaiAes  zu  St.  Michaelis  in  Ro« 
stock,  nach  seiner  MInsterschen  Entstehung,  päpstlichen  Aner- 
kennung   (ß,  d.   Bulle  T.  25.  Aug.  1471),    und  Erhebung  zur 
kirchlichen  Congregation  (31.  März  1476),   da  denn  gemeinsa- 
mes Leben,  ohne  Privateigen thum  der  Einzelnen  und  Unterhal- 
tung durch  eigne  Arbeit,  der  wesentliche  Inhalt  der  Ordensre- 
gel ist,  zufolge  deren  den  Mitgliedern  der  Congregation  die  Aus- 
übung   nicht    geringer   kirchlicher  Beftignisse    (Beichtehören, 
Messelesen,  Saoramentreichen,   Glocken  und    dergl.)    zustand* 
Die   Geschichte    der  Brüderschaft,   von  deren   Verfassung  das 
Bedeutendste  mitgetheilt  ist,  schliefst  mit  dem  Jahre  1539   ab, 
als  die  Ausbreitung  der  Reformation  dieser  Genossenschaft  ein 
Ende  machte.     Wir  nehmen  nicht  Anstand,   diesen  ersten  Theil 
der  vorliegenden  Arbeit  mit  dem  PrSdicat  einer  überaus  gewis- 
senhaften und  fleifsigen  Leistung  zu  bezeichnen,  welche  in  mehr 
als  einem  Punkte  Ober  das  geistige  und  kirchliche  Leben  des 
Nordens   Licht   verbreitet  und   eminente  Persönlichkeiten,   wie 
Heinrich  Arsenius,  kennen  und  hochachten  lehrt.  — 


679 


IMchj  Oesehiehte  der  Buehdrtiekerlnimi  m  BSMenh^g  Ue  isum  J.  1&4(K 


680 


Die  Briider  torgtea  darch  Errichtung  einer  deutschen  Schu- 
le, Tor  nllem  aber  durch  Verbreitung  nutslicher  Kenntnisse»  na- 
mentlich dureh  Bücherabsehreiben,  fttr  Aufklärung,  und  Steiger- 
ten  diese  ihre  Wirksamkeit  durch  die  Errichtung  ,  der  ersten 
Bachdruckerei  im  Lande  (1476))  mit  welcher  sie  Buchhandel  im 
ausgedehntesten  Sinne'  des  Worts  rerbanden  Die  Notia  (S.  37), 
es  fehlten  aus  dem  ganzen  Zeitraum  der  Jahre  14S6  bis  1500 
durchaus  alle  Mflnsterischen  Omeke,  möchte  nach  Niesert  dahin 
SU  berichtigen  sein,  dafs  Hermanni  Buschii  fipigranimatam  libri 
II.  im  J.  1494  und  das  Breviarium  de  tempore  im  J.  1407  ge- 
druckt sind.  Die  Jederzeit  interessante  und  folgenreiche  Fra- 
ge,  wpktr  die  Kostocker  OfAcin  ihren  Ursprung  nahm,  enticheidet 
d(^r  Vf.  wohl  mit  Recht  dahin,  dais  er,  Brüssel  abweisend,  sich 
Lübeck  zuwendet,  und  endlich  behufs  der  zweiten  Frage,  wom 
druckten  die  Brüder,  eine  möglichst  rolletHndige  Liste  dieser 
Produkte  liefert  und  jedes  durch  Uinzufügung  des  nöthigen  Ap- 
f  aratee  erläutert.  Es  sind  das  nun  überwiegend  kirchliche  Din- 
ge, Patres,  wie  Lactantius  und  Augustinas,  Predigten  des  Bernhard 
von  Clairvaux  und  des  Johann  Heroldt,  denn  dieser  ist  der  Vf« 
der  Sermones  de  tempore,  Plenarien,  Breviarien,  Horarien,  Mis- 
salen,  Agenden,  Ablafsbriefe  (1500),  ControTersscbriften,  Pole- 
misches "und  ^^9i  Oldendorp  tractatus  de  praescriptionibus  — 
also  Gegenstftnde,  welche  theils  durch  das  asoetische  Bedürfnifs 
der  Bniderschafl,  theils  durch  die  Kirche  selbst  herrorgerufen 
waren.  Mit  Recht  macht  der  \^ti,  den  Hermann  Barckhusen 
sum  Gegenstand  eines  zweiten,  nicht  minder  lehrreichen  Ab- 
aehnittes,  er  entdeckt  in  diesem,  bisher  fast  ganz  unbekannten 
Mann  (^seine  Thätigkeit  für  den  Donat  wird  Schwetschke  be- 
sprechen) einen  der  ausgezeichnetsten,  einsichtsvollsten  Prirat- 
Imeker,  dessen  Existenz  selbst  dem  fleifsigen  Sammler  am  En- 
de, im  Allg.  Litt.  Anzeiger  1799  flg.  röllig  entgangen  ist.  Der 
Verf.  beweist  bis  zur  Evidenz,  dafs  Barckhusen  kein  anderer 
ist  als  der  Uemiann  von  Enibden  des  Hamburger  Missale  uod 
als  der  Peter  de  Wertborgh,  da  denn  glücklich  entdeckte  Ar- 
chivalien und  Autographa  zu  diesen  Resultaten  führten.  Mit 
dem  Jalure  1531  hört  die  topographische  Wirksamkeit  der  Mi- 
ehaeliftbrQder  auf,  die  des  Barckhusen  umfafst  die  Zeit  von 
1505  bis  1517  und  ist  dieselbe  überwiegend  juristischer  Ten« 
denz,  das  Lübische  Recht,  dem  Dreyer,  Seelen  und  Westphalen 
die  verdiente  Würdigung  haben  angtdeiben  lassen,  und  die  Bam- 
bergische Halsgerichtsordnung  (1510),  deren  Bearbeiter  Barck- 
husen unzweifelhaft  ist  (vergl.  seinen  Brief  von  St  Jacob  1510 
an  Herzog  Heinrich)  sind  eminente  Zeugnisse  für  die  bedeu- 
tende Thätigkeit  dieser  Officin,  aus  welcher  aueh  in  wiederhol- 
ten Auflagen  eine  Geschichte,  wie  Israeliten  in  Stembeig  die 
Hostie  gemishandelt,  hervorgegangen  ist,  welche  für  uns  beson- 
ders aus  dem  Grunde  merkwürdig  ist,  weil  genau  in  dieselbe 
Zeit  auch  ein  niKrkisches  Produkt  desselben  Inhalts  föllt.  Sehr 
beachtenswerth  sind  ferner  die  Ergebnisse  des  dritten,  dem  aus 


Rofsla  gebürtigen«'  daher   lliuriaa    genannten,  Nloolans   Mar- 
schalck  gewidmeten  Absdinittes.   Die  hier  gegebene  Biographie 
des  als  Staatsmann  Und  Gelehrter  gleich  ausgezeichneten  Man- 
nes, ist  ein  sehr  werthvoHer  Beitrag    zur   Gelehrtengeschichte, 
sind   doch  MarsChalcks  Verdienste   lediglich  schon  um  Ansbrei* 
tung  griechisch^  Studien  im  Norden  von  unberechenbaren  Fol- 
gen  gewesen*    Seine    Druckerei    umfafst   einen   Zeitraum  von 
acht  Jahren  (1514—1522),  sie  liefert  allerhand  classische  Auto- 
ren,  wie  das  Bedürfniis  sie  forderte,  Dion^sius  Periegesis   de 
situ  orbis,  Cebes,  Virgilcentonen,  dann  wissenschaftliche  DingO} 
wie   eine  wenig   bekannte  .\usgabe    der  Anatomie   des  Mundin, 
ein  Decretum  aureum,   die  publicistisch  und  kriegsu  issenschaf t- 
lich  bedeutenden   Institutiones    relpublicae    militaria  ac  aivllis, 
mit  werthvollem  Uolzschnittschmuck,  nicht  minder*  raich  ausge- 
stattet als   die -Historia  ^aquatilium,  des  Padus  Camoenae,  die 
sieben  Bücher   der  Annales   Herulorum   und  allerhand   für  dos 
kirchliche  Bedürfnifs,  wie  Indulgenzbriefe,  Paritoriarmandate  und 
Erlasse,  der  sachlich  höchst  bedeutenden  deutschen  Meklenbur- 
gischen  Chronik  (1521)  nicht  zu  vergessen.    Referent  war  em- 
sig bemüht,  die  Exemplare  der  Probe  Falconia,  des  Cebca,  der 
Institutionum  und   der   Historia  Aquatilium,   welche  die  K«  Bi- 
bliothek zu  Berlin  bewahrt  und  nun  erst  gebührend  wordigca 
wird,  mit  des  Verfs.  Beschreibung  zusammen  zuhalten,  and  be- 
gegnete Überall  der  gröfsten  Genauigkeit;  sonderbar  ganug  ist 
das  Vorsetzblätt  unteret  Cebes  von  entschieden  franz5aischea 
Lilien papier.   Das  Büchlein:  Magni  Athanasii  in  Psalmos  opuscu- 
lum  pulcherrimum  (^Titel  in   der  Einfassung  des  Decrets)  acht 
Bl.  4to  mit  den  Schlufsworten :  Talis  est  igiFstiltts  et  earader 
psalmorum    ad    hominnm    ntilltatem*      Impressum    Rh«atnclN% 
MDXIIII,  entschieden  Marschaickscher  Druck,  entdeckt«  ReHu; 
^rst  nach  des  Verfs.  Notaten   —  es  ist  eine  Paraphrasa»  nkbl 
Uebersetzung    eines  Theiles  der  Psalmen.    Das  letzte  Stadium, 
bis  zum  Jahre   1540  durchlauf^  die  Buchdruckerkunst  in  Mck- 
lenburg  unter  Ludwig  Dietz,  dessen  Lfebensgeschichtc  ans 
her  völlig  nnbekannten  Archivalien  gearbeitet,  denfrfihcrg« 
ten  Abschnitten  würctig   sich   anechliefat;   auch   die  Thfitlgkait 
seiner  Oflicin,  vorwaltead  medicinisch- theologisch,  wird  aua  ei- 
ner bedeutenden  Anzahl  gröiserer  oder  kleinerer  Bücher  gesdiil« 
dert  (die  Cirurgia  des  Hieronymus  Brunswyk  besitzt  die  Berli« 
ner  Bibliothek  ebenfalls),  und  endlich  bei  Gelegenheit  der  Aus» 
gaben  des  Reineke  Vols  zu  einem  Eicurse  geschritten,   deBaia 
Resultat  dies  ist,  dals  Nieol.  Banmann  der  Vecf.  des  niaderdeai» 
sehen  Reineke  Vofs  ist '  Die  der  fleifsigen  und  unter  Terschie* 
denem  Gesichtspunkt  ergebnifsreichen  Arbeit  beigefügten  Schrift- 
proben und  Signete  sind  instructiv  und  'genügend  treu,  und  ge» 
wifs  dasselbe  kann  man  von  den  rein  technisch-typographlscben 
Bemerkungen  des  Verfs.  sagen,  sie  zeugen  von  Sachkenntnila. 

Gottlieb  Friedlaaod^r. 


1 


Jahrbücher 

für 

wissenschaftliche 


Kritik. 


November  1839. 


JHßr$i€Ütmg  der  agyptitchen  MyAologiet  verbtith- 
dem  mü  .eimer  kritischen  Uatersuehung:  der 
Ueberbieibtel  der  ägyptischen  Chronologie  von 
J.  Ci  Prichard. 

(Schlafii.) 

Wenden  wir  nun  auf  die  aoeh  übrigen  Götter  und 
ihre  Mythen  eine  historische  Auslegung  an,  so  kön* 
neu  wir  in  der  Osirissage  viele  Momente  ni|r  auf  einen 
fwtgehenden  Kampf  zweier  heterogener  mythischer  EI& 
mente  besiehen,  die  wir  näher  bezeiehnen  m^gei^  ak  den 
persiscfaea  Dualismus  und  die  akägyptiscbe  Religion» 
Entwickeln  wir  zunächst  die  ursprMnglieABn  Bestand- 
Aeile  der  S^ge  durch  Ausscheidung  der  späteren  An- 
wüchse! —  Die  Deutung  jenes  Mythus  auf  die  Erschei- 
nni^en  des  Naturlebens  legt  eich,  sowek  wir  in  dem^ 
selben  eine  origmelU  Production  des  ägyptischen 
Volkslebens  noch  erkennen,  schon  durch  die  natürlich- 
ste Vorstellung  über  den  Procefs  der  Mythenbildung 
Ten  selbst  nahe*  Wenn  der  Grundsatz  gilt,  dafs  in 
einer  Reihe  historischer  Entwicklungen  das  Gepräge 
der  Ein&chheit  ein  Kriterium  des  Altertbümlioheu  is^ 
so  war  dem  Bewufstsein  der  Aegypter  schon  in  seinen 
ersten  Regungen  Nichts  gegeben,  woran  es  sich  hal- 
ten konnte,  als  die  durch  den  Nil  so  eigentbümlich  be- 
stimmten Natur?erhältnisse  des  Landes.  Wir  'finden 
dahsf  ifi  des  einfachen  drei  Hauptmomenten  jenes  My- 
th^s^i ,  in  dem  Aphanismus^  der  Zetesis  mid  Heuresis 
des  .Ospris  J^ichts  einfacher  dargestellt^  ids  den  Wech- 
sdy  i^im  die  physischen  Verhältnisse  Acgyptens  durch 
4en.  NU  ^ufigeBetzt  sind.  Die  Deutung  der  Osirissage 
äuC  astirwpqiische  Vorstellungen  dagegen  findet  an  der 
TlHitmii4ie|...dftr8  der  Tbierkreis  den  Aegyptem  erst 
doj^hf^yilO^haldäer  engefiibrt  wurde,  daCs  das  ursprüng- 
lirqlif  il^lq^  derselben  aar  360  Tage  hatte,  nniiberwind- 
iyi|jnj)B|J||priqrijj;kritrn  \  und  der  Mythus,  daTs  Hermes 
Wl^ Jm  ««lÖBde  die  fünf  Tsge ,   an  denen  .  Rhea  die 

jMkrh.  f.  wiM€M$ch.  Kriäk.  h  1S30.  II.  Bd. 


ßiuf  Götter  gebäbfen  konnte,  ablosen  mufst^,  ist  eine 
Erfindung,  die  sich  an  die  Eioführoog  der  fünf  Schalt- 
tage zu  absichtlich  knüpft,  npd  wie  die  indische  Reise 
des  Osiris  zu  deutlich  das  erst  spätere  Alter  der  Be« 
Ziehung  des  Mythus  auf  den  Sonnenlauf  anzeigt,  als 
dafs .  nicht  dieser  Theil  nur  als  eine  spätere  Episode 
des  Mythus  ausgeschieden  werden  müfste.  Das  Ora- 
kel des  Apollo  Clarius,  das  Jablonski.  für  seine  Hypo- 
these anführt, 

^gaCto  xw  nvvtwv  vntxioy  9ioy  iftfur  iam, 
X**f4art  /i«y  r'  jfidtjr,  Jm  t    %laqoi  aQXOfuyoM, 
^JBeltoy  dg  ^tQoyt,  fiironn^y  <f *  aßqoy  '/aa> 

weist  der  Verf.   (§•  95)  damit  ab,    dafs  ja  dasselbe 
keine  Beziehung  auf  die  ägyptische  Mythologie  habe. 
Dagegen  offenbar  ist  das  zweite  'iaoo  zu  tilgen,  nn4 
etwa  aus  dem  Orakel  des  Apollo  bei  Eus.  Fr.  Ev.  V. 
0.  7.  zu  verbMsem  a^Qov  Vüiqiv.     Wohl  aber  cbarak- 
terisirt  das  'laco  überhaupt  die  Verse  als  eine  Poesie 
des  gnostischen  Zeitalters.    Die  Interpretation  des  My- 
thus auf  die  Jahreszeiten  aus  dem  ägyptischen  Fest- 
oyclus,    womit  Hr.  Fr.  sich  viele  Mühe  giebt,    geht 
schon  darum  nicht  an,  weil  bei  der  Beschaffenheit  des 
altägyptisoben  Jahrs   die  Feste  durch  alle  Jahrszeiten 
wechseln  mufsteq.,    und  die  Ordnung  der  Feste,   wie 
sie  Plntarch  angiebt,  in  dem  Monat  Athyr  erst  selbst 
corrigirt  und  dem  Mythus  angeparst,  nämlich  der  19te  * 
Athyr  in  einen  Trauertag  yerwandelt  und  in  den  An- 
fang Januars  veriegt  werden  mufs.    Ob  die  Feste  über- 
haupt erst  aus  dem  Mythus  entsprangen,  oder  umge- 
kehrt, ist  eine  Frage,  die  nicht  mehr  sicher  zu  beant-' 
werten  ist.    So  gewifs  indefs  die  spätere  Zeit  aa  ein 
vorhandenes    mythisches    Element   gern    einen   Ritus 
knüpfte,  80  wabrscbeinlieb  ist  es,  dafs  der  der  mensch- 
lichen Natur  wesentliche  Trieb,  sich  in  Zuständen  der 
Freude  und  der  Trauer  selber  gegenständlich  zu  wer- 
den, die  ursprüngliche  Basis  der  Feste  in  alten  Zeiten 
war,  die  sofort  durch  die  Poesie  des  Mythusi  Ordnung 

86 


683  .  Priohard^  Dantettung  der  Sgyptüehen  *MytJkologie. 

und  Form  erlangten.    So,  erklärt  es  sioli  auch  eiofacfc^     fen  Osiriscultiis.    fiioe  solche  Reactton  des  Ottrisdien- 
varmn  mitten  unter  die  Tier  Trauertage  des  Monats^    stes  ist  vieiieicht  auch  Serapis  $  noch  wahrscheiDlidier 


Atbjr  ein  Fest  der  Freude  fiel,    aus  dem   natürlichen 
Hang  der  Menschen,  Lust  und  Trauer  scenisch  tu  ver- 
binden.    Dafs  die  Beziehung  dieser  Solennitäten  auf 
die  Osirismythe  erst  jüngeren  Alters  war,  gebt  nicht 
nur  aus  dieser  Inconvenienz,  sondern  noch  mehr  dar- 
aus hervor,  dafs  dieselbe  bereits  einjalir  von  365  Ta- 
gen  voraussetzt,  weil  sonst  das   auf  den  Aphanismus 
des  Osiris  bezogn^  Athjrfest  nicht  zur  gehörigen  Zeit, 
welche   diese    Beziehung   verlangt,   zugetroffen   wäre. 
Diese  Beziehung  der  alten  Feste  weist,  wie  das    nm 
die  Zeit  des  Wintersolstitiums  gefeierte  Fest  der  Ze- 
tesis  und  die  Geburt  des  Harpokrates,  bereits  auf  dio 
Periode  hin,  da  das  Jahr   nach  festen  Verhältnissen 
geordnet  wurde.     Dafs  der  Zug  von  dem  verlorenen 
Zeügungsglied  des  Osiris  dem  Mythus  erst  eingeschal- 
tet wurde  zur  Sanctionirung  der  Phallephorincn,  fühlt 
Hr.  Fr.  seihst  (S.  51).    Indem  wir  nun  diese  fremdar- 
tigen, späteren  Elemente  von  dem   Mythus   ausschei- 
den^  und  uns  an  jene  ursprünglichen  Grundzüge  des 
Mythus  halten;  sehen  wir  in  Osiris  und  Isis  die  zwei 
religiösen  Symbole   eines  ackerbauenden  Volkes.     In 
Typhon  dagegen  finden  wir  den  Eiofiufs  des  iranischen 
Feuerdienstes  ausgedrückt,  der  sich  in  dem  widerstre- 
l>enden  Geiste  der  alten  einheimischen  Religion  unaus- 
bleiblich zur  Bösartigkeit  Ahrimans  entwickeln  mufste. 
Wir  finden  diese  Bedeutung  des  Typhon  noch  bei  Plu- 
tarch  deutlich  hervorschimmern,  wenn  er  ihn  (Is.^  et 
Osir.  41.)  als  Sonnengott  im  Gegensatz  gegen  den  Mond- 
gott Osiris  auftreten  läfst.    Der  Mond  war  in  der  Vor- 
stellung der  alten  Welt  die  Grenze  der  irdischen  At- 
mosphäre, und  besonders  der  Punkt,   in  welchem,  die 
befruchtenden  Wirkungen  der  Sonne  auf  die  Erde  sich 
conccntriren.    Osiris  als  Mondgott  ist,  gegenüber  dem 
Sonnengott,  das  S>mbol  der  fruchtbaren  Erde;  wäh- 
rend TyphoD  als   Sonnengott  dem    Orirü  gegenüber 
eine  andere  Bedeutung  haben  mufs,  als  die  Erde  be- 
fruciitende  Sonnenwärme;  er  ist  vielmehr  Repräsentant 
des  Feuerdienstes.    In  dem  Sieg  des  Horos  aber  über 
den  Typhon  hat  die  Sage  die  Anschauung  der  Reac- 
tion  der  alten  Religion  sich   bewahrt.     Horos  hat  we- 
iiler  in  dem  Gyclüs  der  Jahrszeiten,  noch  in  den  beson- 
deren Natjurverhältnissen   des  Landes   eine  Stelle,   die 
nicht  Osiris  selbst  schon  erfüllt.    Seine  Bedeutung  kann 
nur  eine  historische  sein ;  er  ist  Typus  des  regenerir- 


Rnuphis,  in  welchem  ägyptische  und  indische  Elemeiite 
sich  verbinden  zum  Kampf  gegen  den  Feuerdieast,  was 
noch  von  Suidas  durch  die  Sage  ausgedrückt  ist,  .dii- 
ser  Gott  habe  dordi  den  auch  beim  Wiahnodieost  ge- 
brauchten  Kanopus  den  herrschenden  Feuefcult  besiegt 
Die  von  diesen  Reactionen  vorausgesetzte  Entartvair 
des  einheimischen  Dienstes  scheint  mehr  eine  allmih- 
lige  gewesen  zu  sein.  Doch  ist  beides,  Abartmig  mid 
Restauration,  schön  in  dem  Schlufs  des  Osirisnydnii 
bezeichnet,  wenn  Isis  den  gefangenen  Typhon  frei  IHst^ 
Horos  dafür  ihr  Diadem  zerreifst,  und  Hermes  ihr  ei- 
nen Ochsenkopf  aufsetzt«  Dafs  in  jeder  Regeneratioii 
Osiris  in  einer  höheren  Form  des  Gedankens  ersoheiot, 
ist  dem  natürlichen  Gesetze  gemäfs,  dafs  jeder  Kaa|i{ 
eine  neue  Entwicklung  ist. 

Für  die  Auffassung  der  übrigen  Götter  ist  es  tss 
Interesse,  dafs  die  Geschichtschreiber  ükre  Verebnif 
ifnr  als  particularistischen,  an  die  einzelnen  Städte  tml 
Nomen  geknüpften  Cult  darstellen.  Selbst  Tjphoe 
scheint  ursprünglich  eine  solch  beschränkte  Bedeotoog 
gehabt  zu  haben  für  den  ombitisehen  Nomos.  AomMl 
war  Gott  der  Thebais,  Fan  des  mendesischen  Nomoi^ 
Papremia  Gott  der  Stadt  Papremis,  Annbis  von  Kyno- 
polis,  Thot  von  Hermopolis,  Bübastis  von  Bubastoi^ 
Buto  von  Buto.  Sie  schliefsen  sich  ohne  Zweifel  tt 
besondere  umstände  an,  die  diese  Städte  specieU  k> 
treffen.  Die  allen  gemeinsame  Jfatur  des  Landes  gik 
dem  Osiriscult  eine  Bedeutung  für  ganz  Aegyptes. 
Diesen  Unterschied  zwischen  allgemeinen  und  besoDd» 
ren  Göttern  machen  die  Schriftsteller  selber.  Die  V» 
Schmelzung,  derselben  und  ihre  Verwendung  zu  myet» 
riösem  Dienst  fllllt  erst  in  ^e  Zeit  des  reiigidaen  Sy» 
eretismus. 

Für  die  OenetU  der  ägyptischen  Odtter  habe! 
wir  in  dem  Thiercultus  einen  bedeutenden  Erklämigf^ 
grund.  Diese  thierischen  Embleme  stehen  den  Gütteni 
als  Bilder  der  Erinnerung  an  ihre  ursprBiigBohe  At> 
knnft  bedeutsam  zur  Seite.  Die  HeiligkeÜ  der  Kalb 
der  Stiere  Apis  und  Mnevis  im  Oult  des  Osim  vaH 
der  Isis,  weisen  durchaus  auf  Viehzucht  oad  Aekerhn 
als  die  Basis  der  altägyptischen  Religion«  Nielit  tti» 
der  die  Heiligkeit  des  Bocks  im  Cnit  des  altiS  Atti 
Die  Vorsteflnog  einer  höheren,  wohlthätigen 
für  das  unmündige  Denken  des  menschüelie» 


r 


666  ^  PrichM^^  Dmr%tMnng  der  ägyptischen  Mythologie^ 


686 


ten  Ton  den  sichtbaren  Repräseotuoten  ihres  Ehifliis- 
ses  uotrennbar.     Das  Riodergeschlecbt  ersoliien  noth* 
wendig  in  einem^  heilige  Scheu  erregenden  Lichte,    Alle 
LebensbeiKngangen  waren  filr  den  Aegypter  an  dasselbe 
gebanden,  und  die  Kraft  der  Abstraction  der  urzeitli- 
eben  Bildung  fremd.     £a  ist  ein  grofser  Schritt,   den 
das  BewoTstsein  tbat,  indem  es  su  dieser  Abstraction 
fortging  und  den  Gott  von  seiner  leiblichen  Binkerke- 
rang  befreite.    So  ist,  was  Cicero,  Philo  (Decal.  755^9 
Plutarch  und  Diodor,  und  nach  ihnen  Hr.  v.  Schlegel 
(Su  XXL)  meinen  y  der  Nutzen  der  Thiere  die  Basis 
ihres  Cults:  nicht  aber  eine  bewufste  Reflexion  über 
diesen  Nutzen  I  Nicht  eine  absichtliche,  auf  den  Schqtz 
der  nützlichen  Thiere   berechnete  Action  eignete  sie 
dem  Gott  „nach  sinnbildlichen  Beziehungen*'  zu  (ibid.), 
sondern  nur  ein  noch  nicht   über  die  JC^i^i^tnirs    der 
nächsten  sinnlichen  Gegenstände  erweitertes  Bevufst- 
nein«  '  Jede  andere  £rkläning  ist  weniger  em^aeh^  und 
hängt  an  späteren  Vorstellungen.    Noch  spät  erschei- 
nen die  Götter  in  halb  tbierischer  Gestalt;   Osiris  mit 
dem  Habicbtskopf,  Typbon   mit  dem   des  Crocodils, 
^nbia  der  Hundskdpfige,   Isis   mit   dem  Stierbaupt. 
Schädliche  Thiere,   wie  das  Crocodil,  der  Hippopota- 
auia  waren  als  Gegenstände  der  Furcht  verehrt,  die 
dadurch  die  Bösartigkeit  der  Gattung  zu  entwaffnen 
sachte  (S.  XXI).  —  Viele  thierische  Embleme  aber  bat 
man   auch   wohl  als   jünger  anzusehen.     Das  heilige 
Thier  behauptete  noch  in  semer  Trennung  ?om  Gott 
die  Qedentnng  des  charakteristischen  Symbols,  und  das 
Symbol  durfte  auch  den  jüngeren  Göttern  nicht  fehlen, 
weil  es  zum  Begriff  eines  Gottes   zu  gehören  schien. 
Als  daa  Verständnifs  der   symbolischen  Thiere  Tcrlo- 
ren  gegmigen  war,  hielt  sich  die  Mysteriensucht,  wie 
Oberhaupt  an  die  der  Gegenwart  entfremdeten  Reliquien 
der  Urzeit,  so  an  den  Thiercult,  in  dem  Wahne,  in 
dem  sinnlos  gewordenen  Cultus  den  tiefsten  Sinn  zu 
finden.    Daher   die  vielen  Deutungen   dieser  Erschei- 
•oiig.    Lttoian  findet  in  den  heiligen  Thieren  astrono- 
■iisohe  Figuren,  und  soviel  ist  natürlich,  dafs  naeh  Ein* 
bfirgemng  des  Thierkreises  in  Aegypten  einzelne  Figu- 
fco  denselben^  wie  der  Skarabäus,  heilige  Bedeutung  er*> 
Ini^gten.    Andere  finden  in  den  Thieren  göttliche  Attri- 
bute Tersmnlicht,  Porphyrius   glaubt  mit  Hrn.  Pr.  (S. 
274),  man  habe  die  in  ihnen  wohnende  Partikel  des 
emnuifteri  Gottes  verehrt ;  der  Art  ist  auch  die  Den- 
taogy  dafs^die  ursprüngliche  Schonung  der  Thiere  auf 


der  Ansicht  gegründet  gewesen  sei,  sie  seien  von  wai)- 
dernden  Menschenseelen ,  bewohnt ;  —  lauter  Versuche^ 
ein  nicht  mehr  verstandenes,  durch  das  Hetkommen 
sanctionirtes  Institut  der  Vernunft  späterer  Zeiten  nahe 
zu  bringen.  Unbefangener,  und  in  seiner  Art  richtiger 
siebt  der  die  griechischen  Götter  allegorisch  deutende 
Philo  de  Decal.  755.  im  ägyptischen  Thiercult  nur  Unr« 
Vernunft.  —  Die  Ableitung  der  Götter  von  der  Vereb«« 
rung  verdienter  Menschen  läfst  Ur.  Pr.  nur  für  die 
griechischen  Götter  gelten,  sofern  „die  ägyptischen 
Priester'*  wohl  die  Legenden  einzelner  Häupter  als  An« 
knüpfungspunkto  für  ihre  Theorieen  benutzten,  z.  Bt  . 
die*  'Attribute  des  Bacchus  und  Osiris  einem  böoti- 
schen,  als  Anführer  festlicher  Freude  gepriesenen 
Fürsten  zuschrieben,  „einen  braven  Jäger,  den  Sohn 
der  Alkmene,  mit  dem  Helden  der  12  mystischen  Ar-  * 
beiteu  vermengten,  welch  letztere  die  12  Zeichen  des 
Thierkreises  bedeuten'-!!  (S.  40)  Wir  sehen  keinen 
Grund,  diese  Art  der  Entstehung  mythischer  Gestalten 
der  ägyptischen  Mythologie  zu  entziehen.  Doch  läfst 
sich  die  Ausdehnung  derselben  nicht  näher  bestimmen. 
Das  Gewicht  einer  heroischen  Persönlichkeit  möchte ' 
indessen  hin  und  wieder  die  Trennung  des  Gottes  von 
der  thierischen'  Form  vermittelt  haben.  Bei  den  Chi- 
nesen fällt  der  Name  der  ältesten  Könige  mit  dem 
der  Gottheit  zusammen,  und  die  Ablösung  jener  ak 
Götter  wird  nur  dadurch  gehindert,  dafs  der  Kaiser 
überhaupt  jedesmal  die  sinnliche  Gegenwart  des  Got- 
tes ist.  Auch  die  ägyptische  Geschichte  beginnt  mit 
einer  Götterdynastie. 

Die  von  Hrn.  Pr.  auf  eine  platonische  Stelle 
hin,  und  weil  sie  bei  Pythagoras  und  den  Stoikern  sich 
6ndet,  als  ägyptisch  genommene  Lehre  von  den  tVelt* 
xerstorungeny  entbehrt  in  der  Religion  des  Ackerbau'« 
aller  Grundlagen,  die  sieb  ihr  im  parsischen  Dualis- 
mus darbietet.  Hier  ist  das  Bewufstsein  der  Geschichte 
unter  der  Vorstellung  eines  allgemeinen  Götterkampfes 
aufgegangen,  dessen  Katastrophen  für  das  Ganze  der 
Welt  der  Kataklysmos  und  die  Bkpyrosis  sind.  In* 
dem  aber  alle  einzelnen  Wesen  unausbleibrich  in  die- 
sen Kampf  hineingezogen  werden,  jedes  Individuum  io 
demselben  die  Bedeutung  seiner  Existenz  findet,  hängt 
damit  genau  zusammen  die  Lehre  von  der  Seelen' 
Wanderung^  die  als  Reinigungsprocefs  aufzufassen-  und 
die  Form  ist,  in  der  jener  Götterkampf,  unmittelbare 
Wirklichkeit  erhält.  Die  Lehre  Zoroasters  von  den 
Weltaltern,  deren  Dauer  je  auf  3000  Jahre  komnit^ 
ist  durch  die  ägyptische  Lehre,  dafs  die  Seelenwande» 
rung  je  3000  Jahre  währe,  bei  Herodot  zu  ergänzen« 
Diese  ist  ein  parsisches  Element.  Hr.  Pr.  reuet  von 
einem  Widersfirucb,  der  in  den  ägyptischen  Vorstel« 
lungen  über  die  Dauer  der  Individualität  liege,  ohne 
ihn  klar  zu  machen  (S.  178).  Derselbe  liegt  nicht  hierin^ 
sondern  in  der  Annahme  eines  Hades  und  der  Metem- 

Esycbose.     Jene  schliefst   diese  einfach  aus,    und  die 
[ypothese   von   einem   nur  temporären  Aufenthalt  der . 
Seelen  im  Hades,  um  sich  die  neue  Incorporation  durch 
Drtliel  und  Recht  bestimmen  zu  lassen,   ist  ein  späte- 
rer Vermittlungsversuch,  den  selbst  Herodot  nur  andeu- 


687 

tet,  spftter  eraosDen^  wie  die  VerbinduBg  der  Einbalsa^ 
mirung  mit  der  Metempsychoee,  als  Reinigungsact  «i 
Abwendung  der  Wanderung.  Der  dunkle  Schoofe  der 
Erde  mufs  dem  Ackerbau  treibenden  Meusoben  als  der 
orsprünglicbe  Heerd  «alles  Lebens  erscheinen,  aus  dem 
die  Seele  sich  wie  der  Same  erbebt,  um  wieder  da- 
bin Mfückzuffeben.  Die  Einbalsamirung  war  für 
die  fromme  Illusion  eia  Act,  der  die  liebgewonnene 
Existenz  dos  Todten  yerlängern,  durch  kostbare  Aus- 
stattung der  Gräber  dem  Bewohner  den  Genufs  seiner 
Gfiter  fristen  sollte.  Dieselbe  Tendenz,  die  Todten 
Tor  der  Zerstörung  der  Elemente  zu  sichern,  ist  es, 
Trenn  man  sie  in  Felsengrotten  verbarg.  Hru.  v.  Sohle* 
ff  eis  Neigung,  hierin  eine  Saiiitätsmafsregel  zu  iiuden, 
ist  für  das  Kindesalter  der  Welt  zu  raffinirt<S.  XXIII). 

Der  Abschnitt  über  die  hierarchischen  und  politi« 
%<ketk  Institute  der  Ae^pter  bedarf  einer  ähnlichen 
Kritik  nach  den  bisberigeu  Grundsätzen.  Bei  Dar- 
stellung der  Hierarchie  legt  Hr.  Pr.  eine  Stelle  von 
Clemens  (Strom.  VI.)  zu  Grunde,  in  der  dieselbe  in  dem 
Mmeösen  Stil  der  Hierophauten  jener  Zeit  erscheint. 
Hr.  Pr.  ist  hier  sehr  vollständig,  ein  Ruhm,  mit  dem 
sich  der  Tadel  der  Mengerei  heterogener  Elemente 
gerne  yerbiadet  Wir  enthalten  uns  weiterer  Bemer- 
kungen, die  sich  ans  dem  Bisherigen  ergeben.  Die 
Menschenopfer  (ß.  301),  dem  milden  Sinne  der  Reli* 
gion  des  Ackerbaus  zuwider,  haben  ihren  Grund  Yiel- 
ieicht  nur  in  einer  Ueberreizung  reactionärer  Tenden- 
sen.  Die  Menschen  mit  rothen  Haaren  mochten  wohl 
als  incorporirte  Geister  des  ahrimanischen  Typhon, 
4es  Repräsentanten  des  Feuerdienstes,  erscheinen,^  wes- 
halb sie  am  Grab  des  Osiris,  Busiris  genannt,  geopfert 
wurden. .  Die  Nachricht  des  Porphyrius,  dafs  Aniasis 
den  menschlichen  Opfern  wächserne  Bilder  substituirt 
liabe,  bezieht  sieh  wohl  nicht  auf  diese  typbcnischen 
Opfer,  die  noch  Manetfao  bei  Piutarch  (Is.  et  Os.  73.), 
auch  Diodor  (1,  88.)  noch  erwähnt,  und  von  Herodot 
nur  bezweifelt  werden.  Vielleicht  waren  sie  nur  par- 
ticnläres  Institut  eines  einzelnen  Nomos,  und  das  Opfer 
«uf  dem  Täfelwerk  za  Tentyra  könnte,  wenn  man 
sich  erinnert,  dafs  eben  hier  der  einfiifsige  Stier  des 
Manu  sich  findet,  auf  indischen  Einflufs  deuten,  wo- 
von die  Thebais  noch  andere  Spuren  zeigt. 

Dieser  indische  Binflufs  kann  nicbt  wohl  bezwei- 
felt werden,  obgleich  das  Alter  desselben  nicfat  zu 
hooh  zu  stellen  ist.  Bei  Hrn.  Pr.  erscheint  alles  Ae- 
gyptischc,  was  irgend  nahe  kommt,  als  mit  ludischem 
gleiob^  obgleich  er  über  die  Frage,  welches  das  Ur«. 
aprüngliche,  sich  nicht  entscheidet.  Hrn.  v.  Scblegers 
ausgezeichnete  Bemerkuhgen  stellen  die  Coatroverse 
nur  in  ihrer  Schwierigkeit  dar.  Die  liösuag  wird  von 
der  Aasicfaft  ausgehen  müssen,  dafs  die  Grundlage 
der  Mythologie  beider  Völker  reines  und^  ursprüHfpi« 
ehes  &zeugnifs  ihres  eigenen  Geistes  sei;  ihr  GeliiH 


PrMmrdy  Dm^uUung  der  SgyptücAen  Mytkelegie. 


gen  hängt  ¥on  der  M5glicbkeit  ab,  dieses  Urq^rSogfi. 
che  von  den  späteren  Anwüchsen  berauszuschäleiu 
Hiebei  ist  die  Rücksicht  auf  das  blofs  Aebniiche  ge- 
rade  das  Täuscheade ;  das  Differenzielle  allein  ist  Ren» 
zeichen  des  Ursprünglichen  und  seuies  eigenstes  Cbi^ 
rakters.  Ist  aber  das  charakteristische  Grundprineip 
einer  Volksreligion  gefunden,  so  ist  jener  Scheidung». 
procefs  wenigstens  nichts  Unmögliches.  Orphiscne, 
neuplatonische  Deutungen,  ^echiscbe  Philosophie,  Sfit 
gli^er  des  Ordens  deir  bedigen  Schreiber,  wie  der  ?, 
Hrn.  Pr.  hochgehaltene  Cbftremon,  den  Strabo  far  ei- 
nen unwissenden  Prahler  erklärt,  sind  aus  dem  Spiel 
zu  lassen.  Selbst  Plato,  Diodor^  Herodot  sind  in  ih- 
ren Darstellungen  mit  Vorsicht  und  nicht  unkntißcb 
zu  gebrauchen. 

Ueber  das  Verhältnifs  der  Juden  zu  Ae^pten'ao« 
fsert  sich  der  Verf.,  wie  ein  rechtgläubiger  Bndftnder. 
Die  entschiedensten  Züge,  der  Gleichheit  sind  bier  ssr 
zufällige  Aehnlichkeiten.  In  den  Gibeoniten  eine  nie- 
derere Kaste,  in  den  Leviten  die  erbliche  PriesteN 
käste«  in  dem  Propbetenstande  der  Aegjpter  ein  Vor- 
bild inr  die  Propbetensehulen  u.  s.  w.  zu  sehen,  liM 
ihm  sein  Sinn  nicht  zn.  Ebttuo  unteraebeidet  er  die 
jüdische  Beschneidung  von  der  ägyptischen.  Seiner 
Ansicht,  dafs  nur  die  ägyptischen  Priester  beschnittei 
wurden,  wird  durch  Herodot*  nicht  gerade  und  aus- 
drücklich, wie. Hr.  ▼«  Schlegel  meint,  widersprosbei 
(8.  332.  33.  coli.  XXIU.),  aber  von  Philo  ausdrück. 
lieh  bestätigt  de  Circuincis.  S.  810,  der  den  Braocb 
mit  dem  Scneeren  der  Haare  am  ganzen  Körper  za- 
sammennebmend ,  Beides  unter  den  Begriff  der  priS' 

liehen  Reinigung  brinct» 

Hr.  Pr.  giebt  sich  viele  Mühe,  die  ägyptische  Chro- 
nologie zu  ordnen.  Man  möchte  diesen  fieifsig  geaN 
beiteten  Abschnitt  den  verdienstvollsten  des  Boche 
nennen,  wenn  es  Verdienst  wäre,  sich  «n  deia  Fasse 
der  Danaiden  abzumähen« 

Die  Uebersetzung  prädieirt  Hr.  y.  Schlegel  als 
treu.  Der  Ausdruck  ist  schwerfällig,  und  nur  dard 
einzelne  Ritzen  klingt  die  ohne  Zweifel  fliefsende  Spn^ 
che  des  Originals  durch.  Von  Druokfshlern,  falsdics 
Citaten  wimmelt  das  Buch.  Unverständliche  SäUe 
sind  nicht  selten,  selbst  Uebersetzungsfehler,  z.  6« 
S.  9  Z.  22  ist  statt  dennoch  zu  lesen  daher^  (viel» 
leicht  nrspriinglich  demnaeh?)\  S.  8.  A.  I.  kHüp 
Schrift,  statt  Schriften}  S.  39.  6.  heilet  es  „viele  gri» 
cbische  Götternamen  sind  aus  einer  Mythologie  genoiB- 
tnen,  die  sich  auf  sehr  wer^chiedenen  Principien  pm 
der  Vergötterung  der  Menschen  gründet,  statt«  dil 
eieh  anf  Principien  gründet,  welche  von  den  der  Veig.i 
M.  yerschieden  sind  u.  s.  w«  Sonst  ist  das  Aeufsen 
des  Buchs  ansprechend. 

L.  GeorgiL 


Jtf  87.        ■ 

Jahrbücher 

für 

wissenschaftliche 


Kritik. 


November  1839. 


XLY. 


Euripidis  Andromacha:  recensuit  Oodqfredus 
Hermannus*  Lipsiae^  1838.  in  libr.  Wetd- 
manma. 

Dam  Aespbyli  tragoedias  oialti  a  me  reqüirant, 
Mgt  der  berfi^mte  Hr.  Verf!,  ego  iDterim,  majora  pro^ 
/0$M0s  extpectanM^  Helenam  (resp.  Andromacbam)  Eu- 
ripidis edere  iostitoi.  Traurig  für  den  Euripides,  daf« 
aeio  Schicksal  dcrgleicben  vielTerinogende  Geister  in 
mseren  Tagen  niobt  zu  rubren  vermocbt  hat,  und  wie» 
demin  desto  erfreulicber,  dafs  diese  seine  Einsamkeit 
einen  Hermann  zum  Beistand  vermocbt  bat.  Denn 
4afs  dieser  das  Werk  nicht  rergeblicb  nntemebmen, 
dafs  sein  Talent  und  sein  Fleifs  manobe  verdorbne 
Stelle  von  Grund  aus  heilen,  manche  fiir  gesund  ge- 
haltene als  schadhaft  nachweisen,  vielfach  anregen, 
und,  wo  nicht  helfen,  doch  zur  Hilfe  Veranlassung  ge- 
ben werde,  das  erwartet  wohl  jeder,  der  ihn  zu  wür- 
digen versteht,  schon  im  Voraus:  und  es  geschiebt 
auch  nicht  in  der  Absicht,  diefs  zu  erweisen  oder  zu 
bestreiten,  dafs  Ref.  diese  Anzeige  unternimmt,  son- 
dern i^m  sein  Verfahren  zu  prüfen,  ob  es  wohl  das 
rechte  ist,  oder  ob  vielmehr,  falschen  Principien  zu- 
folge, auch  Mirsgriffe  gemacht,  grobe  Fehler  begangen 
und  so  das  Gute  durch  Schlimmes  aufgewogen  wor- 
den ist.  Ref.  bekennt  frei  im  Voraus  seine  Ueberzeu- 
l^ng,  dafs  Letzteres  der  Fall  sei,  und  will  diefs  nun 
an  der  znletzt  herausgegebenen  Tragödie  Andromache, 
als  an    einem  Beispiele^  zu  erweisen  soeben. 

Fürs  Er$te  thut  Hermann  unrecht,  dafs  er  unter 
den  Urkunden  in  Bezug  auf  Abstammung  und  Verwnndt- 
achaft  keinen  Unterschied  macht,  und  somit  die  Stim- 
men zählt,  anstatt  sie  zu  wägen.  Und  doch  ist  ihm  schon 
mehrfach  und  handgreiflich  genug  nachgewiesen  wor- 
den, dafs  s.  B.  der  Aldina  nicht  gleiche  Autorität  mit 
Jahrb.  /  wwtenfcA.  Kritik,   h  183&     11.  Bd. 


den  besseren  Hdscb.  eingeräumt  werden  darf;  und 
doch  war  ihm  namentlich  bei  diesem  Drama  Lenting 
mit  einer  Classificirnng  der  Urkunden,  vorangegangen, 
die  im  Ganzeji  wohl  jeder  bestätigt  finden  wird,'  der 
hierauf  sein  Augenmerk  richten  will.  Die  besten  Hdschr. 
sind  Flor.  15. 10.  A.,  die  aus  Einer  Quelle,  aber  nicht 
unmittelbar  von  einander  stammen:  aber  10  und  A 
sind  wieder  etwas  näher  unter  sich  verwandt,  und  A 
ist  ziemlich  liederlich  geschrieben.  Nächst  diesen 
dreien  haben  Par.  B.  und  D.  den  meisten  Werth«  Wo 
diese  mit  jenen  zusammenstimmen,  da  ist  die  Lesart 
unter  zehen  Fällen  gewifs  neunmal  die  richtige:  oft 
aber  haben  diese  beiden  Florentiner  auch  ganz  allein 
das  Wahre.  Die  dritte  Stelle  nimmt  Par.  A.  ein,  uhd 
bewahrt  gleichfalls  öf^er  das  Richtige  auf,  s.  B.  V.  515. 
540.  723.  748.  757.  789. 1148.  1241.  Der  vierte  Rang 
gebührt  den  codd.  Par.  E.  Flor.  2.,  die  in  den  meisten 
Fällen  zusammenstimmen.  Was^  noch  übrig  ist,  näm- 
lich Havn.  Taur.  Guelf.  Läse.  Vict.  Aid.  sammt  den 
auf  diese  letztere  gegründeten  Editionen  ist  theils  von 
so  abgeleiteter  Quelle  und  theils  von  so  bedenklicher 
Qualität,  dafs  es  für  sich  und  im  Widerspruch  mit  den 
genannten  Urkunden  nie  einen  Ausschlag  geben  darf. 
Wohl  aber  mufs  der  Scbeliast  noch  sorgfältiger,  als 
diefs  selbst  von  Hermann  geschehen  ist  (der  übrigens 
aus  ihm  V.  133.  emendirt  hat),  beachtet  werden. 

In  dieser  Hinsicht  weicht  unsere  Ansicht  z.  B.  in 
folgenden  Stellen  von  der  des  Verfs.  ab.  V.  194.  folg. 
bezeugen  die  Worte  des  Scholiasten  Tjf  tvdaifioviq  imt(^ 
ßiXkti  fj  OQvymt  noXiq  t^c  Aanaivtiq  und  wie- 
derum ov  utaxa  noXkmq  d6iav  ovn  xarä  ^Imav  ovrt 
naxä  tvxfiv  oov  ßiXxiiav  ovaa,  dafs  derselbe  im  Texte 
gelesen  habe:  toq  xTjq  uiaHaivrjg  ^  <Pqvym  luCCfion  noXi^ 
tvp]  {)•*  vniQ^ity  näfA*  iXtv&i^av  ogqg;  und  diefs 
fordert  auch  die  Construction.  —  V.  286.  emendiren 
wir  am  genauesten  nach  den  Hdsch.  KvnQtq  tDa  loyotg 
ovliotgf  vgl.   Soph.  Aj.  933.  —  V.  291.  bezeugen  die 

87 


691  Euriptdü  Andromaeka. 

Worte  des  Scholiasten  ^  rfxovaa  %6v  IlaQiv,  dafs  in 
der  Lesart  der  Hdsch.  a  -^tnouaa  viv  TIoqiv  der  Name 
llaQiv  als  Glosse^iy  und  in  der  Gegenstrophe  der  Vo- 
cativ  yivat  als  melriscbes  Flickwort  zu  streichea  sind, 
so  dafs  die  trochäiscbea  Tetrauieter  entstehen: 

a  Tixovca  vtv,  nqly  ^Idalov  xarotxtcat  lAnag 
dovitoy,  cv  t'  ov  Tvqayyay  Icj^tC  ay  \f6fi(oy  idga^. 

Denn  auch  ai  t'  ov  für  ovu  ab  lag,  wie  der  Vf.  selbst 
gesehen  hat,  dem  Schol.  yor.  —  Gleich  darauf  V.  302. 
ist  wohl  aas  dem  Schol.  sammt  den  besten  Hdsch« 
(Aoxd-ovg  für  novovg  aufzunebmen.  —  V.  319.  ist  der' 
Verf.  über  eine  sinnlose  Schreibart,  die  durch  Matthiä's 
höchst  wunderbare  Auslegung  nicht  gerechtfertigt  wird, 
stillschweigend  hinweggegangen.  Des  Scholiasts  Deu- 
tung robg  da  iptvÖrj  exovTag  inovoicev  ov»  dl^iio  ivdaifAovag 
itaXtla^ai^  rljg  Tvxtjg  tovto  xaQiaofA^vfig  läfst  vermufhen, 
dafs  derselbe  etwa  so  gelesen  habe :  rovg  3*  ifno  tpiv^ 
Sviv  aoqtovg  ovx  dl^oiato^  nXrpf  rv^jj  (p^ovtXv  Soxhv.  —  V. 
422.  war  aus  dem  Scholiasten  und  den  besten  Hdsch. 
difwtg  für  xigag  aufzunehmen.  —  V.  464.  bat  Seidler 
vortrefflich  em^idirt  tlg  {liav  fioi  axkqyix»  nöaig  ya^kotg 
(vgl.  V.  178.);  minder  gut  V.  475.,  wo  ivbg  Interpre- 
tation Ton  /«(a  zu  sein  scheint,  indem  gesqhrieben  war 
fcia  Si  Svvaaig  etc.  —  Durch  jene  EmenJation  ersparen 
wir  zugleich  V«  469.  die  gewaltsame  Aenderung  t<(- 
.rav  für  tixt6pav.  Aber  auch  Y.  472  folg.  finden  wir  die 
Lesart  der  besseren  Hdsch.  und  des  Scholiasten: 

9carä  ntidaliu>y  didv/xat  nganidaty  yyeSf4at 
cotf'my  TB  n)Si9^os  aS-Qooy  dad'tyioTtQoy 
tpavXoxi^  tf-qiydg  avTOXQOjovC, 

(indem  in  der  Gegenstrophe  XintQca  für  A/jj^a  gesetzt 
wird)  in  jeder  Hinsicht  für  weit  geeigneter  und  richti- 
ger, als  des  Verfs^  bedenkliche  Umstellung  und  Aen- 
derung. —  V.  Sl5i  hat  der  Verf.  nicht  einmal  erwähnt, 
dafs  cod.  Par.  A.  und  Havn.  TdXog  bieten,  welches  doch 
offenbar,  die  richtige  Lesart  ist:  denn  dafs  die  einzige 
Zuflucht  im  Bitten  und  Flehen  bestehe  (dahin  müsse 
man  fiHog  deuten),  wird  ja  dem  Molossus  erst  nach- 
her gesagt.  —  Mit  der  nämlichen  Unachtsamkeit  ist 
gleich  darauf  V.  518.  äv^g  0drcixov  fn  für  ^ayaxov  iaoi 
unberücksichtigt  geblieben.  Wenn  der  Tod  als  Untei> 
gang,  nicht  als  Strafe,  die  man  überstehen  kann,  be-* 
trachtet  irird,  so  ist  ohne  Zweifel  jenes  das  Richti- 
gere. -^  V.  526.  hätte  wohl  die  Aldina  den  Hdsch. 
nacbgestelltj  und  die  fehlende  Sylbe  in  der  Partikel 
fuv  gefunden  werden  sollen^    welche  der  Sinn  begehrt: 


£!x  ree.  G.  Hermanm.  693 

%oXg  luy  yag  ii^tg  yiyov*  <itp%Xla.  -^  V.  535.  war  abe^ 
mala  kein  Grund  Torhanden,  von  den  besseren  Hdgch. 
abzugeben,  und  wenn  ja  etwas  geändert  werden  mufstei 
so  war  diefs  xdu,  welches  mit  iu  in  yertanschen  sein 
dürfte.  Das  Asyndeton  ziemt  der  Heftigkeit  besser 
als  die  vorsichtige  Verbindung  t€  »al.  —  Bei  V.  580. 
war  die  Spur  der  Florr.  Hdsch.  nicht  unbeachtet  zu 
lassen,  weil  sie  die  Verderbung  im  Werden  zeigt.  Demi 
aSov  zwischen  den  Worten  aMlfjora  inofm^*  stehend,  Te^ 
dankt  sehr  handgreiflich  seine  Entstehung  einer  blofseo 
Wiederholung  der  End-  und  Anfangssjlben  dieser  bei- 
den Wdrter.  Nachdem  der  Auswuchs  einmal  vorbao- 
den  war,  mufste  man  ihn  doch  auch  zu  deuten  sncheD; 
und  so  haben  die  Einen  ihn  in  qSovy  die  Andern  m 
adovXa  verwandelt.  Der  Schaden  sitzt  aber  noch  ao 
einer  anderen  Stelle  des  Verses,  nämlicli  in  dem  selt- 
samen Ausdrucke  doifia&*  iariag.  Denn,  wie  der  Verll 
selbst  bemerkt  hat,  man  sagt  zwar  ganz  natürlich  sni 
gewöhnlich  Naus  und  Herd  (z.  B.  Hec.  353.)  9  aber 
nicht  richtig  des  Herdes  Baus.  Es  mufs  also  in  die^ 
ser  Gegend  ein  anderes  Nomen  ausgefallen  seb,  tob 
welchem  der  Genitiv  iatlag  abhing,  und  welches  mit 
diesem  eine  gewisse  Umschreibung  des  Herdes  bUdeo 
konnte,  kurz  der  Vers  scheint  also  gelautet  zn  haben: 

Vgl.  .Orest.  1441. 

Die  Verse  680  u.  681.  finden  sich  bei  Julian  in 
den  Caesarn  in  der  Art  citirt,  dafs  der  eine  des  aode- 
ren  Nachsatz  ist,  welcher  Schreibung  Lenting  mit  Recbt 
gefolgt  ist,  indem  Plntarch  (Alex.  c.  51.),  der  naci 
Art  der  Sprüchw5rter  blos  den  Anfang  der  Worte  ci- 
tirt^ keinen  Beweis  gegen  die  Echtheit  jener  Inte^ 
punction  liefert.  Daraus  l&fst  sich  nun  ferner  vermn- 
then,  dafs  die  folgenden  Verse  in  den  codd.  nicht  gans 
richtig  sind :  und  eine  Spur  dieser  Verderbung  bewahit 
V.  685.  die  Lesart  ixv  ^^  ^^^  ^^^^  Florentiner  Hdack. 
Sicherlich  hatte  Euripides  also  geschrieben: 

ov  TtSy  norovyrtay  rovgyoy  fyopyra»  tüde, 

tk,  elf  fUT^  äXloy  fwqiny  ndXXtay  doq» 
»oidiy  nXiop  d^iSy  iyos,  ij[ff  nltia  Xoyoy» 

Es  finden  sich  in  dieser  Gegend  noch  mehr  derglei» 
oben  Verderbungen,  deren  zwei  der  Verf.  in  den  V« 
693,  694  u.  698.  gehoben  hat,  eine  andere  aber  oooh 
in  den  V.  688,  669.  stecken  geblieben  ist  Denn  sdl 
ein  passender  Sinn  herauskommen  (und  diefs  ist  •ii' 


i 


dg  deirjenige, .  dte  der  Scholiast  will)^  bo  ^rd  wohl 
alfo  geschriebeD  werden  müssen: 

it  Tolfta  Tts  yiy^no  ßovltfCig  ^'  S/ttä, 

Die  vierte  Corru^tel  V.  696.  möchten  vir  mit  dem  Vf. 
weder  durch  8  y^  i\  noch  durch  xai  oi%^  sondern  durch 
no^^  oi%  (dieHdscb.  geben  £9'i{)  cn  heben  suchen. — 
V.  772.  hat-  Matthiä  mit  Recht  an  einer  Construction 
wie  oin  jiani&aiat  KivxavQOi^  OfuXrjaai  dogl  nhivotditp 
'Anstofs  genommen,  und  der  Verf.  würde  die  ganze 
Epode  in  Worten  und  Versen  anders  hergestellt  ha« 
heu,  wenn  et  mehr  die  Handschriften  unterschieden 
und  mehr  auf  den  Soholiasten  gemerkt  hätte,  dercB. 
T.  772.  oiFeubar  mi&oiAai  ai  las«  Nach  meiner  Mei- 
nung hat  sie  also  gelautet: 

ntl^ofioi  at  Mai*  Awti^oMti  tt  xal 
MMyiav^uf§y  ^^U^cra* 
9w  do^l  xXttyotiir^  x^n"* 
*4Qy^»  (fo^of  äi§yoy  vyffwf 
ixniQacM  noyttuy  Sv/Ltnhiyadcty 
tdtivay  M  yavüToliay, 
*ikHNf€t  T§  noUy  St§  na^ 
%v^oxkfios  Jtds  lytc 
ifiqißtdU  ^oy^,  noiyay 

tmy  ivxXiHO^  ^X'*^^  ^^~ 
fniniaf  «(ßixBcd^eu.   — 

V.  813.  durfte  nur  qrdQva  (welches  aus  dem  vorange- 
henden Verse  herübergekommen  ist),  mit  airj&og  ver- 
tauscht werden,  um  in  Strophe  und  Gegenstrophe  des 
Metrums  wegen  aller  weiteren  Aenderungen  überhoben 

XU  sein,  nämlich: 

r^  di  f4S  dti  MttlvTFwy  TtinXotf 

a/a/ftftunj  mtl  iat^tmta  di^^MUtfoy  ni^^y. 

Mar«  i»iy  omy  niyw  diäas 

riXftiK,  iy  l^if' 

^  Moroifarof  fy»  xnoQinas  iy^ifnCiy.  — 

VT^em  der  Hiatus  dTjht  »al  diAq>iq,av^  anstöfsig  scheint^ 
der  müfste  noch  d^)x[  yotg  xäfi(puf<xvfj  emendiren.  — 
Den  V«  821.  hat  der  Verf.,  wie  noch  mehrere  andere 
Stellen,  durch  das  allerbedenkliohste  Mittel,  die  Um- 
Stellung,  ZU  heilen  gesucht.  Die  Tilgung  des  *V'  war 
om  80  erlaubter,  weil  unwissenden  Grammatikern  die 
daraus  hervorgehende  Construction  ganz  natürlich  An- 
•tofs  gegeben  hatte,  über  die  man  meine  Paftikellehre 
a[*h.  U.  p.  133  folg.  nachsehen  mag.  —  *  V.  836—838. 
bat  der«  Verf.  die  leichte  und  treiFliche  Emendation 
£Mdler8  (ai(f&iiifw  für  h&*  dfpf)  sammt  dem  Zeugnisse 


Es  ree.  O.  Bmtumn$.  '      .  694 

des  Scholiastcn  verworfen,  um'  mittelst  einer  gewalt* 
samen   Umstellung  einen   viel  schlechteren  Gedanken 
dem  Dichter  aufzudrängen/ —  V.  89d.  ist  das  wg  do- 
noval  yt  der  bessern  codd.   ohne  Noth  geändert  wor- 
den.   Sollte  denn   dem  Verf.  wirklich  unbekannt  sein, 
dars  yt  hinter  ei;  eben  se  gut  und  in  eben  dem  Sinne, 
wie  hinter  tl^  zu  folgen  pflege  f  —  V.  94Ö'  folgt  der  Vf. 
wieder  gegen  denSchol.  und  alle  guten  Hdsch.  der  Aldina. 
Gegen  jueVoiy  liefse  sich '  wohl   viel  Gegründeteres  ein- 
wenden, als  gegen  oißtov^  z.  B.  dars  das  Präsens  hier 
nicht  zu  gebraueben  wäre.  —    Das  Nämliche  ist  wie- 
derum  V.  945.  geschehen,   wo  ywaln   ifioi  at  dov^f  vni» 
axt&^  vQXhQov  ohne  allen  Tadel  war,   um  so  mehr,  da 
das  a'  des  darauf  folgenden  Verses  im  Nothfall  gestri- 
chen  werden   konnte.  —  Vs.  953.    ist  der  Verf.   über 
eine  seltsame  Construction  und  kluifende  Verbindung 
ganz  stillschweigend   hinweggegangen.    Es  mufs  ohne  ' 
Zweifel  T^;  für  lU  geschrieben  werden,  indem  die  En- 
dung des  Wortes  vßQiatfji  zum  Ausfall  dieses  Artikels 
Anlafs  gegeben  hat:    6  d'  ^v  ißgiaii^i,  x^g  t*  iiir^Q  (ifj^ 
XQ^g  q,Qyov  xa^  ^*  alficnconoig  ^tug  orudi^wv  ifAoL  —  V. 
967.  hätte  abermals  die  Schreibart  aller  besseren  Hdsch. 
^  ngiaßvg  der  Aldina  und  ihrer  Sippschaft  nicht  aufge- 
opfert werden  sollen:  noch  weniger  V.  1041. ^   wo  die 
Aldina  nur  eine  unerträgliche  Tautologie  darbietet  statt 
des  Ausrufs  aiaP   nQOfjiarxig  ^vfiig  äg  xi  nqogion^l  — ^ 
In  V.  1063.  las  der  Scholiast  mal  Stixigov  naqovx^  iq>* 
ohi  xal  nägog,  und  auch  des  ood.  Havn.  nai  xd  diuxigop 
kann  nur  aus  solchem  Ursprünge  erklärt  werden.    Diese 
Lesart  ist  viel  passender  und  gewählter,  als  die  ge- 
wöhnliche: vgl.  meine  Partikellebre  I,  127  oben,   wo- 
selbst man  gelegentlich  auch  lernen  kann,  dafs  die  im 
V«  1048.   vorgenommene  Aenderung   keine  Verbesse- 
rung, sondern  eine  Verderbung  ist.    Hermann  ist  ein- 
mal entschlossen,  in  den  Partikeln  nichts  Neues  mehr 
zu  lernen,  und  das  müssen  die  armen  Autoren  vielfach 
entgelten,    wie    z.  B,   gleich  V.  1083.    ganz   natürlich 
dy&vcfHax^HH  für  üq*  vcfHaxijxH  (mag  auch  das  Letztere 
noch  60  vortrefflich  für  den  Sinn  passen),  geschrieben 
stehen  mufs,  nur  damit  Hermann  seine  ganz  unlogi- 
sche und   willkührliche  Unterscheidung   von  äga   und 
äga  nicht  zurückzunehmen  braucht.  —   V.  1140,  1141. 
zeigen  die  besseren  Hdsch.  ganz  handgreiflich,  dafs 
erstlich  iiolgag   blofses  metrisches  Flickwort  ist,  und 
zweitens  i^xvgaag  oder  avvixvqoag  nur  einmal  im  Text 
gestanden  hatte,  folglich  also  zu  emendiren  sei 


^ 


«95 


JSur^Mis  Andromaeka. 


avTos  Ti  ntatots 


icas  auch  schon  die  gewohnte  Construction  des  Yerbi 
GvytcvgCi  uod  das  Metrum  erheischen.  Denn  man  hat 
überall  Ursache,  mifstrauisch  zu  sein,  wo  bei  Eoripides 
ein  anapästisches  System  nicht  mit  dem  Dimeter  and 

dem  Parömiacns  schliefst,  oder  auch  der  Dimeter  mit- 

» 

ten  im  Systeme  erscheint,  wie  z.  B.  Y.  484«,  wo  die 
Verderbnng  daher  rührt,  dafs  naTaxtxgiiAivov  als  eine 
Interpretation  von  avyxQotov  eingeschoben  worden  ist, 
und  sodann  in  weiterer  Veränderung  dieses  Ton  sei- 
nem Platze  verdrängt  hat,  folglich  die  Worte  ur- 
sprünglich also  gelautet  haben  müssen: 

\ffftff'ffi  9'€tyaTov  Todi  avyxQaroy. 

Weil  hier  einmal  von  Metrum  und  Versabfheilung  die 
Rede  ist,  so  will  ich  auch  erwähnen,  dafs  die  Strophen 
V«  985  folg.  auf  eine  fast  unerhörte  Weise  Tom  Verf. 
mit  lauter  getheilten  Wörtern  angefüllt  worden  sind. 
Nimmermehr  kann  diefs  in  Versen,  die  den  Hiatus  und 
die  Anceps  in  ihrer  Endsylbo  gestatten,  erlaubt  sein: 
doch  bilden  Zusammensetzungen,  zumal  die  mit  tvy  dvg 
und  Präpositionen,  eine  Ausnahme.  Die  genannten 
Verse  aber  theilen  sich  sehr  harmonisch  und  natürlich 
auf  folgende  Weise  ab: 

iJ  4>oiß\  o  nvQydcttg  toy  ly^lXltp  €v- 

Ttixv  ^<ityoy,  *(ti  Hot^n  xpayiats 

innotf  d$f/Qtv<uy  aXtoy  nikayo^, 

Tiyo^  ovyix^  ärtfioy  o^yayay  jjfs^a  nxrocvyas  ^SyvaJJ^ 

io^hfAifitoqh  nQos&iyrtS  raXatyay,  jaXtuyay  ftsd-tiTS  T^olay, 

nlitoTovs  d*  in^  axraiirty   Stftoiyrlaty  ti^ 

irtnovs  o/ovf  iCtv^ars  xai  ifoyhug 

aydQtSy  dfAiXltts  ^^«r'  acTSffiiyovs ; 

and  di  g^O-ifuyot  ßißSc^y  ^IX&adat  ßafftX^ig,  ovd^  It*  nvg 

intß<6fÄioy  ly  Tgol^e  d-tolay  XiXajumy  xanyt^  d-uoidtt, 

—  V.  1153  folg.  hat  sich  der  Vf.  durch  seinen  Respect 
vor  der  Aldiua  und  sein  blofses  Zählen  der  Stimmen 
verleiten  lassen,  das  Bessere,  welches  L.  Dindorf  und 
Pfingk  erkannt  hatten,  zu  verkennen.  Uebrigens  ist 
die  Umstellung,  welche  derselbe  in  dem  angrenzenilen 
Chorgesange  mehrmals  vorgenommen  hat,  hier  nicht 
glücklicher  als  andei^wärts  gewesen :  auch  konnte  leicht 
auf  andere  Weise  geholfen  werden,  z.  B.  V.  1156.  so: 

xal  noXiy  a/uay  (SXsüag,  ataZ, 


Ex  ree.  O.  Bermanm. 
und  in  der  Strophe: 


696 


10»  fioi  ftok. 


Nur  V.  1193.   scheint  dieses  Mittel   mit  Recht  ange- 
wandt, weil  der  Grund  der  Verderbung  vor  Augen  Iieg;t. 
Der  zweite  Punkt,  in  welchem  Ref.  nicht  mit  dem 
Verf.  übereinstimmen  kann,  betrifft  nicht  die  Anerken- 
nung  einzelner   Sylben,    sondern   ganzer  Verse.    Ich 
weifs,  dafs  diefs  bei  Vielen  ein  verrufener  Handel  ist, 
die  theils  die  Sicherheit  eines  Unternehmens  nach  dem 
Gegenstande,  der  dabei  aufs  Spiel  gesetzt' wird,  b^ 
messen,  und  theils  der  Vernunft  überhaupt  nur  so  weit 
trauen,    als    nach    ihrem   eigenen,    sehr   natürlicbeD, 
Gefühle   der  ihrigen  zu  trauen  sein   würde«    Indefi 
kann  die  Sache  doch  einmal  nicht  umgangen  werden, 
zumal  wo  so  viele  sprechende  Zeugnisse  und  deutliche 
Spuren,  wie  in  dem  vorliegenden  Fülle,  vorhanden  sind. 
Gleich  im  Eingange  des  Stucks   läfst  der  Verf.  einen 
Vers  von  den  Todten  erstehen,   der  längst  von  allen 
neueren  Herausgebern  begraben  und  vergessen  worden 
war,  und  zwar  tbut  er  diefs  nicht  allein  mittelst  einer 
gewaltsamen  Aenderung,  auf  Kosten  der  besten  Hdncb. 
und  des  Scholiasten,    sondern  auch  mittelst  eines  So- 
loecismus:  denn  es  müfste,  was  auch  der  Verf.  sagen 
mag,  nothwendig  oida  y^vi^cnai  nott  heifsen.    Und  wel- 
chen Vers  I  —  Habeat  sibi !  —  Sodann  läugnet  er  die 
sehr  handgreifliche  Lücke  zwischen  V.  146  u.  147.  und 
meint  unter  Anderem  auch  den  Ref.  (der  daraof  hin- 
gewiesen  hatte,   dafs  nie  eine  neue  Person  unang^ 
kündigt  auftrete)  durch  Citirung  des  306.  Verses  wi- 
derlegt zu   haben,  welcher  also   beginnt:  H%m  hißm 
abr  naXda  etc.     Heifst  das  wohl  unangekündigt  aufin- 
ten? Dabei  wird  uns  zugemuthet,  zu  glauben,  dafs  die 
WortQ  iifuaq   fjiiy   ovp  xoTgd*  avtafiilßofAa  i  kiyon;  auf 
die  itumme  Anwesenheit  oder  die  blofsen  Mienen  und 
Blicke  des  Chors  zu  bezieben  seien!    Wenn  die  alten 
Schauspieldichter  auf  ^Bevormundung  der  Acteurs,  wie 
die  neueren  vielfach,  gerechnet  hätten,  und  wenn  das 
Spiel  der  Alten  dergleichen  gestattet  hätte,    so  k5BBfe 
ein  solcher  Grund  wohl  einige  Berücksichtigung  in  An- 
spruch nehmen :  so  aber  sieht  er  einem  Söphisma  sehr 
ähnlich.  — 


(Der  Bescblnis  folgt) 


.^88. 

J  a  h  r  b  fi  c  h  CT 

für' 

wisisenschaftliche 


November  1S39. 


K  ri  t  i  k. 


Emripidü   Andromacha:    recensmt    Oodofredu$ 
^  Hermannus. 

(Scl»laf0.) 

Bei  V.  373,  374.  irt  das  Ref.   Bemerkung,  dafs 
diese  Worte  netbwendig  von  dec  PreundMchafi  oder 
ianeren  Uebereinstimmoog  der  Seelen  Terstanden  wer« 
den"  Dififsten,  von  dieser  aber  hier  nicht  die  Rede  sein 
kSane,  keiner  Berüoksiq^tigung,  ja  nicht  einmal  einer 
Brwfthnang   gewürdigt  /worden.     Das   ist  freilich  die 
leichteste  Art,   sidi  etwas  Unbequemes  vom  Leibe  zu 
halten.  —  Hinsichtlich  der  V.  391,  395.    kann  man  es 
nm  bedauem,  dafs  ein  Mann  yon  Hermanns  Verstände 
nicht  einsehen  wiil^  dafs  das,  was  er  Z^usammenbang 
Deant,  eben  kein  Zusammenbang  ist,  und  dafs  wenn  V. 
396.  vom  V.  393.  gerissen  wird,  der  schönste  Gedanke 
mid  passendste,  Uebergang  su  dem  auszusprechenden 
Cntschlasse  der  Andromache  zerstört  ist.     Eben  we- 
gen dieses  nat&rlichen  und  notbwendigen  Ideengangs 
können  die   betreiFenden  Verse  auch  nicht  hinter  V. 
400.  angebracht  werden,  und  sind  überhaupt  ganz  stö- 
rend und  unnütz.  —   Dafs  Euripides  keinen  Vers,  wie 
der  429.  ist,  gemacht  haben  kann,  bat  der.  Vf.  richtig 
gefohlt.    Die  bedenklichen   Varianten,   die  zwecklose 
und  alles  Maafs  überschreitende  Grausamkeit  der  Wor- 
te, lassen  erkennen,  dafs  dieser  überflüfsige  Vers  das 
Maohwerk  irgend  eines  übelgescbäftigen  Auslegers  ist, 
der  seine  aus  dem  V.  439.  geschöpfte  Kenntnifs  hier 
anbringen  wollte.  —    Wahrscheinlich  von  demselben 
grofsen  Geiste  rührt  auch  der  651.  V*  her,  den  sammt 
der  vorangehenden-  Partikel  d'  Lenting'mit  Recht  zu 
tilgen  gerathen-  hat.    Hat  etwa  Menelaus  nicht  gewufst, 
dafs  Andromache  schon  einen  männlichen  Spröfsling 
am  Leben  hatte,  dafo  er  sagen  konnte  ^  xwlnt^i  äno 
ßJLamäoi  naütg^  Wie  konnte  aber  der  Verf.  vollends 
Jmkrh.  /.  triiienfcA.  KriHk.  /.  1839.   II.  Bd. 


einen  so  lumpig  zusaimnengeflickten  Vers,  wie  der  633. 
ist,  unbeachtet  lassei;!?    Was  er  aber  zqr  Läagnun^ 
der  Lücke  zwischen  V.  634  u.  635.  vorbringt,  welches 
im  Wesentlichen  mit  Leotings  Meinung  übereinstimmt, 
ist  bei  Weitem  nicht  so  fein,  als  was  Jacobs  und  An* 
dere  bei  deren  Entdeckung  bemerkt  haben. —  y.96I,' 
962.  dieser  Gedanke  klingt  im  Munde  des  Chors  (dem 
der  Verf.  mittelst  einer  Emendation  ihn  zugetheilt  hat), 
noch  ungeschickter,'  als  in  dem  des  Orestes.    Denn  nur, 
konnte  hier  auf  den  Gedanken  kommen,  dafs  Pietät  und 
FerwandtscAq/i  die  Hülfsleistuog  veranlafst  haben.  Vom 
Orestes  gesprochen,  würde  mai)  sie  doch  wenigstens  auf 
Heuchelei  oder  Selbsttäuschung  deuten  können.  —  Der 
V.  1044.  fehlt  in  zwei  der  besten  Hdsch.,  und  mit  Recht, 
penn  es  bat  'fMt'^biir'.die  nämliche  Bewandtnifs,  wie 
mit  dem  V.  1120.,  der  ohngeffthr  von  gleichem  Inhalte 
mit  ihm,  aber  in  anderer  Hinsicht  noch  viel  erbärmli- 
cher ist.    Zudem    liegt   dem    letzteren   eine  Sage  zu 
Grunde,  von  der  Euripides  ganz  und  gar  abgewichen 
ist,   nämlicb>  dafs  nicht  die  Velksmasse,  sondern  ein 
einzelner  Deipbier,   Namens  Maxcugivgy  den  Neoptole» 
mos'getödtet  habe,  s.  des  Verfs.  Vorrede  p.  Xlll.  — 
Eine  solche,  dem  Inhalte  dieser  Tragödie  widerspre- 
chende, Notiz  enthält  auch  V.  1214.,  welchen  der  Scho- 
liast  mit  den  Worten  notirt:  iv  toXg  noXkoXg  dvxiyQa<i)9ov 
ov  {paivtxai  6  läfißoq,  ourog.    Der  nämliche   macht  uns 
auch  auf  die  Unechtheit  eines   anderen   überflüssigen 
Verses  aufmerksam,  nämlich  des  1225.,  wofür  er  allen 
Dank  verdient,  um  so  mehr,  als'  nach  dessen  Tilgung 
im  V.  1227.  die  Lesart  der  meisten  und  besten  codd. 
awotu^oHg  ^<$  unangefochten  bleiben  kmn.  *-  Die  Bin- 
schiebung  einzelner  Worte  ist  schon  bei  mehreren  Stel- 
len von  uns  nachgewiesen. worden,  aber  es  sind  noch 
einige  übrig.    V.  1146.  werden  die  Worte  fioi  xixva^ 
welche  o£fenbare  Interpretation  von  fto«  yivo%  sind,  in 

.     88 


t    \ 


699  Euripidü  Andromacka. 

eiDigeo  codd.  nicht  gefunden,  und  sind  dem  Vene 
überflüssig.  —  V.  1174.  fehlen  die  lästigen  Interjectio- 
nen  ioi  [aoi  iaoi  in  zwei  der  besten  Hdscb.  und  die  der 
Gegensfrophe  V.  1187.  sogar  in  allen.  Mit  Recht  bat 
man  ancb  raXainmifov  ifid  aus  V.  1174.  allgemein  ver- 
bannt. Sonach  kann  man,  genau  den  Hdsch.  folgend, 
schreiben : 

(J  qiXoSg  d6fi09f  HUnts  ij^fioy 
fi^ovT^  anaida  yo<rqi<fas 

a/47tTttfitya  (f'^Qvdu  nawra  Xiirat 
xoftnaty  fASTOQciay  nQoata, 

ond  braucht  des  Verfs.  Aenderungen  um  so  weniger, 
da  diese  Art  von  Versen  (ein  Cretious  mit  einer  tro« 
chäischen  Reibe)  sehr  gewöhnlich  ist  —  V*  140.  findet 
sieh  <u  nur  in  den  schlechteren  codd.  Diefs  mufs  als 
Fingeraeig  dienen,  dafs  liian  die  unnützen  Fiickwörtef 
nicht  nooh  zu  vermehren,  sondern  vielmehr  zu  tilgen 
hat,  nm  rhythmische  Verse  zu  erhalten,  alsos 

nayrnXaiya  yvfAiffU 

I 

fiil  naig  Jhos  xoqag 
fi    9v  ffQoyovfftty  tvQrj, 

^  Bei  V.'  181.  hatte  Valkenär  ganz  Recht,  daüa  inl- 
q>^op6f  XI  x^^fcff  ^j^Xaooy  e^t;  nicht  griechisch  sei,  und 
Beispiele  wie  V.  933  dienen  keineswegs  zur '  Bestäti« 
gung,  weil  sie  ganz  anderer  Natur  sind.  Denn  hier 
ist  der  Infinitiv  (axoiz&y)  Subject,  und  der  Sinn  ist:  taer 
das  gelehrt  haiy  der  hat  die  Menschen  etteae  Klu- 
ges gelehrt.  Unsere  Stelle  dagegen  findet  im  714.  V. 
ihre  Analogie,  und  mufs  nach  diesem  auch  emendirt 
werden,  nämlich  htlcpOovdv  n  x^^f^c*  ^fjltiSv  yivog.  Zwar 
hat  die  Vertauschung  mit  iqtv  auch  in  jenem  Verse 
(714)  -sich  eingeschlichen,  doch  bewahrt  Stobüus  das 
Richtige  auf,  und  hatte  ohne  Zweifel  auch  V.  18L 
also  geschrieben,  indem  q>ptv6^  blofse  Verderbung  aus 
yAfoq  zu  seiki  scheint.  —  In  V.  648.  ist  es  zu  verwun- 
dern, wie  Brnncks  treffliche  Aenderuog  navuv  für  die 
schwankende  Lesart  scranSr  oder  ^avtuf  auch  von  dem 
Verf.  verkannt  werden  kowate.  —  V.  1119.  ist  die  Les- 
art der  Florentiner  Hdsch.  dafutq,  als  die  gewähltere, 
unbedingt  vorzuziehen. 

Der  drüte  Punkt  endlich  betrifft  die  Auffassung 
des  Ganzen  und  die  ästhet^che  Beurtheilung.    Wenn 


JKr  ree.  O.  HemumnL  700 

der  Verf.  mitunter  liebanptet  hat,  dafs  ohne  Texte^ 
kritik  die  Beurtheilung  des  Ganzen  nicht  gelingen  kdnn«; 
'so  hat  er  hier  den  Beweis  geliefert,  dafs  sie  auch  mk 
jener  nicht' sicherer  gehe,  oder  er  selbst  hat  dnreb  die 
Art,  wie  er  die  letztere  geübt  hat,  den  Stab  über  sehie 
Texteskritik  gebrochen.  Der  Verf.  sollte  wohl  Anstand 
nehmen,  ein  Urtheii  zu  &ufsern^  wie  dieses  (p.  XIll  u. 
XIV):  „Euripides  habe,  weil  das  eine  Tmmm  zur  Aoi- 
füUung  einer  Tragödie  nicht  gelangt  haben  würde,  denm 
zwei  an  einander  gestückt,  und  da  sei  denn  freilich  At 
los  verkehrt  ausgefallen,  die  Schuldigen  seien  beiobiit, 
die  Unschuldigen  bestraft  worden.''  Dergleichen  .Cr« 
theile  könnten  wir  mehrere  ausschreiben,  wenn  sie  uns 
nicht  Und  was  glaubt  der  Vf.  für  ein  Recht  zu  babeo, 
um  so  mit  einem  Tragiker  umzugehen,  den  das  Alter« 
thum  am  höchsten  geachtet,  wenigstens  keinem  «sde* 
reu  mit  Entschiedenheit  nachgestellt  hat?  Ebea  diese 
Celebrität  seines  NaayMus  soll  den  Beweis  abgebeo, 
dafs  er  nichts  getaugt  habe,  indem  er  der  Pabelfiint 
gewesen  sei.  -  Fürs  Erste  kommt  beim  Alterthnn^  keti 
Pöbel  nach  Art  des  unsrigen  in  Betracht,  weil  die  ei- 
geatliche  Grundsuppe  durch  den  Solavoistand  ven 
freien  Pöbel  ausgeschieden  war;  und  fiirs  Zweite  ver 
der  Gebranch  und  die  Bestimmung  des  Theaters  dpr 
Alten  verschieden  von  deui>  unsrigen,  so  daÜB  nicht 
wohl  ein  Kotzebue  zur  Herrschaft  gelangen  konntei 
Und  wenn  auch:  so  sollte  man  selbst  in  diesem  PaUe 
vor  dem  Urtheii  einer  Nation  einige  Achtung  hegen, 
so  wie  Goethe  geibhan  hat,  indem  er  defshalb  nocb  is 
seinen  letzten  Tagen  seinem  gebomen  Feind  und  An- 
tipoden, dem  eben  genannten  Kotzebue,  Gerechtigkeit 
widerfahren  liefs.  ludefs  haben  wir  es  mit  dem  eths' 
wischen  Volke  zu  thun,  dessen  Urtheii  selbst  eiscft 
Horaz  in  Geschmackssachen  als  höchste  Entscheidssg 
galt:  und  dieses  Volk^  hat  diesen  Dichter  nicht  aileis 
gebilligt,  sondern  auch  geliebt  und  auswendig  gewaM 
wie  keinen  anderen.  Oder  soUen  etwa  die  Parodies 
des  Aristophanes  (die  ihrerseits  selbst  aicht  raögUck 
waren,  wenn  nicht  fast  jedes  VVort  unseres  Diehteii 
der  Nation  ins  Herz  geprägt  war)  als  Zengnife  des 
Gegentheils  gelten  I  Dann  gestalte  die  Geschichte  dock 
auch  den  Sokrates  nach  diesem  Zerrbilde  I 

Wer  urtheilen  will,  ob  in  einem  Kunstwerke  Ein- 
heit ist,  mufs  diese  Einheit  nicht  in  Aeufserlichkeitä, 
in  dem  Schicksale  einer  Person  u*  s.  w.,  soeben«  Sonst 


701.  Euripidu  Amhrmmaeha* 

wird  man  an  dea  bestell  Stocken  der  gefeiertsten  Dich- 
ter aller  Nationen  und  Zeiten  (z.  fi.  an  tShaliespeares 
Cäsar)  gerade  so  wie  an  der  Audromache  und  Hekuba 
des  Buripides  irre  werden.  Die  höhere  Einheit  liegt 
in  der  Tbat,  mit  oder  aus  welcher  sich  Alles  ent- 
wickelt. Diese  That  ist  in  unserer  Tragödie  die  Ver- 
Diählttng  des  Neoptolemos  mit  der  Herinione^  oder  die 
Verbindung  eines  reinen  Geschlechts  mit  einem  unrei« 
nen,  durch  welche  Vennengung  Unheil  aus  diesem  auf 
jenes  binüberströmt  Audromache^  von  der  das  Stück 
snfallig  den  Namen  erhalten  hat,  ist,  aufser  dafs  sie, 
wie  auch  Thetis ,  den  Gegensatz  bilden  mnfs  gegen 
die  öbelberücbtigten  nnd  ungetreuen  Ehefrauen  Her- 
mione  und  Helena,  für  die  Hanpthandlnng  unwesent- 
lich. Uebrigens  wird  der  Unsegen,  welcher  aus  einer 
solchen  Mifsheirath,  sowohl  durch  die  Frau  selbst  als 
auch  durch  deren  Vater,  Scbwäher  und  Verwandte 
über  das  ganze  Geschlecht  kommt,  und  dagegen  der 
noch  in  späten  Zeiten  fortwirkende  Segen  einer  ehren- 
Teilen  und  tugendhaften  Verbindung  durch  Thaten 
ond  W^orte  so  deutlich  dargelegt,  dafs  die  Absicht 
des  Euripides  kaum  irgend  jemand  Terkenuen  kann,. 
IKers  ist  demselben  mit  den  V.  1158— >  1165.  be- 
gegnet, welche  die  Tendenz  des  Stücks  mit  Eins  aus- 
sprechen. Uatie  doeA  (so  ruft  Polens  über  der  Lei- 
ohe  seines  Enkels)  mein  Geschleckt  ißxseiüe  Fami- 
lie) nie  das  Unheil  deiner  ehelichen  Verbindung 
üter  sieh  gen^^mmen  auf  Kinder  und  Hmusy  dae  Ver* 
derben  (das  an)  der  Uermione  {haftete)  auf  dichy 
mein  Enkel!  -Hier  macht  Hermann  eine  Conjectur, 
mittelst  welcher  die  Anspielung  von  der  Hermione  auf 
die  Andromacfae  übergetragen  und  deren  Umgang  mit 
Neoptolemos  bejammert  wird.  Scboliast  und  Zusam- 
menhang warnten  vergebens  I 

J.  A.  Härtung» 


XLVL 
De'  ecclesia  Carinthia  primaeva  factionibüe  tur- 
bata.  •  Disquisitio  critico "  historica  ad  antiquie- 
iitnum  ecclesiae  chri$t.  statum  illustrandum 
peftinene.  Scrtpsit Daniel  Schenkely  Theol. 
Iac.  in  Acad.  Basü.  privatim  docehs.  Inest 
escursus  de  Clementinorum  origine  argumen- 


Sx  rec.  G*  Hermanni.     .  702 

toque.     Bassleae^  1838.  m  librenria  Schweige 
kauseriana.   XTI.  162. . 

Eine  neue  Untersuchung  und  Hypothese  über  die 
in  der  neuern  Zeit  so  vielfach  besprochene  korinthi- 
sche Christuspartei !  Hr.  Lic.  Schenket  erkennt  zwar^ 
indem  er  seine  Untersuchung  mit  einer  kritischen  Ue- 
bersicht  über  die  verschiedenen,  die  korinthischen  Par^ 
teieu  betreffenden ,  Meinungen  beginnt ,  der  von  dem 
Ref.  aufgestellten  den  Vorzug  vor  den  übrigen  zu, 
glaubt  jedoch  auch  bei  ihr  nicht  stehen^  bleiben  zu 
köunen.  Ref.  ist  sich ,  wie  er  auch  schon  früher  er- 
klärt hat  (Tüb.  Zeitschr.  für  Theol.  1836.  IV«  Einige 
weitere  Bemerkungen  über  die  Christuspartei  S.  6) 
wohl  bewufst,  dafs  auch  seine  Ansicht,  der  Natur  der 
Sache  nach,  nichts  anders  sein  kann,  als  eine  Hypo- 
these, welche,  bei  dem  durchaus  relativen  Werth  jeder 
Hypothese,  sich  nur  so  lange  geltend  machen  kann, 
bis  eine  andere  wahrscheinlichere  aa  ihre  Stelle  tritt. 
Aus  diesem  Grunde  will  auch  Ref.  die  Einwendungen 
des  nrn.  Vcrfs.  gegen  seine  Ansicht,  obgleich  hier  so- 
gleich manches  zu  berichtigen  wäre,  zunächst  ganz  auf 
sich  beruhen  lassen.  Gelipgt  ea  dem  Hm.  Verf.  etwas 
Einleuchtenderes  und  besser  Begründetes  zu  geben,  so 
wird  Ref.  gern  seine  Ansiebt  auf  sich  beruhen  lassen; 
sollte  sich  aber  ergeben,  dafs  auch  die  Ansicht  des 
Hrn.  Verfs.  zum  wem'gsten  nicht  minder  an  den  Ge- 
brechen einer  Hypothese  leidet,  so  wird  es  auch  dem 
Ref.  erlaubt  sein,  auf  die  seinige  zurückzukommen, 
um  sie  gegen  die  Einwürfe  des  Hrn.  Verfs.  so  viel 
möglich  in  Schutz  zu  nehmen. 

Der  neue  Weg,  auf  welchem  Hr.  Lic.  Schenkel 
der  räthselhaften  Christuspartei  näher  zu  Jjcommen 
sucht,  hat  für  den  Ref.  insofern  nichts  Ueberrasoben- 
des  gehabt,  als  er  sich  noch  wohl  erinnert,  den  Brief  des 
römischen  Clemens,  von  welchem  der  Hr.  \t  bei  der 
Begründung  seiner  neuen  Hypothese  ausgebt,  gleich- 
falls eiumal  für  denselben  Zweck  verglichen  zu  haben. 
Da  der  römische  Clemens,  wie  der  Apostel,  durch 
Parteistreitigkeiten  in  der  korinthischen  Gemeinde  zu 
seinem  Schreiben  an  sie  veranlafst  worden  ist,  so  liegt 
in  der  That  der  Gedanke  einer  auf  diesem  Wege 
möglichen  Gombination  sehr  nahe,  allein  bei  allem  Ver- 
trauen zu  dem  Scharfsinn  des  Hrn.  Verfs.  kann  Ref. 
in  Ansehung  des  Resultats  sich  keine  grofse  Ho&ung 


Schenkel^  de  ecelesia  CorinMia  primamni  ete* 


I  \ 


703 

machen.  In  der  korinthischen  Genkeinde  gab  ea  sur 
Zeit  des  röoniscben  Clemens  einige  Unruhestifter,  ivcl- 
che  die  Presbyteren  Yon  ihren  Stellen  z^u  verdrängen 
suchten.  Da  sie,  wie  der  Hr.  Verf.  schliefsen  zu  niüs-' 
sen  glaubt,  nicht  gerade  die  Absicht  hatten,  sich  selbst 
derselben  zu  bemächtigen,  so  mnfs  man  um  so  mehr 
nach  der  Veranlassung  dieser  Bewegung  fragen,  deren 
Tcrwerflicher  Charakter  und  gefahrliche  Tendenz  Cle- 
mens mit  sehr  starken  Ausdrücken  bezeichnet.  Der 
Hr.  Verf.  findet  nun  in  Hinsicht  der  fraglichen  Chri- 
stuspartei schon  diefs  bemerkeuswerth,  dafs  Clemens 
die  Einsetzung  der  Presbyteren  durch  die  Vermittlung 
der  Apostel   auf  Christus  zurückführt.     Diefs   könne, 

"  schliefst  der  Hr.  Vf.,  nur  aus  dem  Grunde  geschehen 
sein,  weil  es  in  Corinth  solche  gab,  die  den  Aposteln 
das  Recht,  Bischöfe  in  der  Kirche  aufzustellen,  ab- 
sprachen«  Deswegen  also  haben  sie  die  Presbyterien 
verdrängt,  und  da  sie  diers  nicht  ohne  sich  auf  eine 
bestimmte  Autorität  zu  stützen,  gethan  haben  können, 
so  haben  sie  sich,  um  die  Apostel  herabzusetzen,  auf 
Christus  selbst  berufen.  Wie  denn  Clemens  so  gro- 
fses  Gewicht  darauf  legen  könne,  dafs  nur  Ein  Chri- 

>  stus  sei,  und  nur  Eine  n^kTiois  h  XQigS,  wenn  es  nicht 
solche  gab,  qui  Christum  peculiari  quadam  ratione  ad 
se  pertinere  volueruntf  ^—  Igitur  duae  ei:ant  partes 
Corinthiorimn,  quorum  alteri  apostolis  episcopisque  ab 
illis  constitutis  fidcm  habebant  et  addicti  erant,  alteri 
apostolorum  et  praecipue  episcoporum  auctoritate  re- 
jecta  sibi  ipsis  solis  sapere  volebant,  ut  Christo  soll 
addicti  (S.  88).  Dem  Hrn.  Verf.  scheint  das  so  aus 
Clemens  erhobene  Resultat  höchst  wichtig  zu  sein,  wie 
schwäch  sind  aber  schon  diese  anknüpfenden  Fäden? 
Welcher  rasche,  unnatürliche  Schlafs :  Weil  es  in  Co- 
rinth einige  gab,  die  keine  Presbyteren  haben  wollten, 
wollten  sie  demnach  auch  die  Apostel,  und  zwar 
nicht  blos  als  Anordner  der  Presbyterien,  sondern 
schlechthin  in  jeder  Beziehung  nicht  anerkennen,  und 
v^il  sie   die   Apostel    nicht  anerkannten,    ohne  alle 


701 


apostolische  Vermittlung   und   zugleich   auf  eine  Ar 
alle   andere  völlig   ausschliefsende  Weise  nui*  in  ei* 
ner  unmittelbaren  Beziehung  zu  Christus  stehen  t  Dafs 
sie  die  Presbyteren  aus  dem  von  d|>m  Hm.  Verfasser 
angenommenen    dogmatischen    Grunde     nicht    haben 
wollten,  sagt  Clemens  nioht,  und  man   mnfs  vielme&r 
aus  dem  Tone,  in  welchem  er  von  diesen  Unmiiestif* 
tern  spricht,  und  aus  den  Motiven,    deren   er  sich  be- 
dient, auf  etwas  ganz  anderes  schliefsen,  dafd  nemliob 
jene  Widersetzlichkeit  gegen  die  Presbyteren  nur  eine 
Widersetzlichkeit  gegen  die  durch  die  Presbyteren  in 
ihrer   kirchlichen  Stellung  sich  mehr  und   mehr  i)efe> 
stigende  kirchliche  Ordnung  und  Verfassung  war,  eine 
Annahme,   welche  der  Hr.  Vf.  in  der  Folge  selbst  ttt 
der  seinigen  macht,  indem  er  der  Meinung  Lisf  s  bei- 
tritt, es  seien  vorher  in  Corinth  nulla  eerea  institutS) 
nullum  ^rnmni  eeclesiasticum  vinculum  gewesen,  sia* 
gulosque  pro  singulis  studiis  singulis  in  aedibns  conv^ 
nisse,  und  demgemäfs  annimmt,  der  Apostel  habe  die 
Vorkehrung  getroffen,   ut  ecciesiae  episcopis  sive  r^ 
ctoribns  cum  auctoritate  nova  atque  graviori  constitu- 
tis,   optimi   cüjusque  consilio,  .  prudentia,   auctoritate^ 
seditionis  materia  ipsa  exstincta,   scditiosis   anima  io- 
terduderetur  (S.  115).    Wie  läfst  sich  demnach  hier- 
aus schliefsen,  jene   seditiosi   haben   nur  Christo  soll 
addicti  sein  wollen?     Dafs  auf  eine  solche  Grundlage 
nichts  Erspriefsliches  gebaut  wei*den    kann,  ist  klar, 
wir  wollen  aber  dem   Hrn.  Verf.    weiter    folgen.    Er 
meint,  indem   er  jenes  Resultat   an  den  ersten  Brief 
des  Apostels  au  die  Corinther   anknüpft,    auf  die  ii 
demselben  gegebene  Ermahnung  haben  sich  die  Paoii' 
ner,  Petriner  und  ApoUonier  dem  Willen  des  Aposteh 
gefügt,    nicht  aber   die  Anhänger   der  Christuspartei. 
Diesen  gelte  die  starke  Sprache  des  Apostels  im  zwei- 
ten Briefe,   und  dieselben  seien  nun  auch  die  Unruhe- 
stifter, welche  den  römischen  Clemens  zu  seintoi  Schrei- 
ben  an   die   corinthische  Gemeinde  veranlafst  haben. 


(Die  Fortsetzung  folgt) 


J 


J  a 


.Jf  89. 

h  r  b  fi  c  h  e  r 

für 


^  I 


wissen  seh  a  f  1 1  i  c  h  e    Kr  i  t  i  k. 


November  1839. 


Jh  eeciesia  Cormthio  prunaeta  factumibtu  tur- 
battt,    Düquisitio  crilico<-kitterica  ad  antiquig- 
simum  ecclestae   christ.    statufn   illustrandum 
^pertinens.     Bcripsit  Daniel  Schenkel. 

(Foitietsang.) 

lieber   den  fortgebenden  Wtderspmcb  der  Cbri- 
■totpaEtei  sagt  der  Hr.  Vf.  S.  91:  pl-ocul  dubio  nega- 
bant  seditiosi  apostolo  esse  aliqnod  jns  peeuliare  eo-. 
desiae  jDorintbiae  regendae  (2  Cor.  10,  8),  eontende- 
baut  amoria  sui  studio  atque  pecuniae  faciendae  cnpi- 
dbii  potioa  quam  eodesiae  aaluti  cum  hucusque  con- 
salniMe,  poatremo  et  ry  yvioaii  ipsi  antecellere  vole- 
bant  apostölnm  et  inxaaiav;  Mai  mauälvipiaiv.  Daß  letz- 
tere soll  daraus  gescblossen  werden,   dafs  sich  ohne 
diese   Voraaasetznng   nicht   begreifen    lassen    irärde, 
warum  der  Apostel  in  seinem  zweiten  Briefe  11,  6. 
12)  IrfTon  seinen  omaaUu  nnd  dnoMaXiiffii^  rede.  Wäre 
es  dem  Apostel  nur  nm  die  Yertheidigung  seiner  apo« 
atoliscben  Anctorität  gegen  seine  Gegner  zn  tbun  ge- 
wesen, so  würde  er  sich  auf  das  portentum  auf  dem 
Wege  nach  Damascns  berufen  haben,  da  er  diefs  nicht 
thoe,  sondern  ron  seinen  omaoicu  und  dnonakihfftig  re- 
de^ und  zwar  sonst  nirgends  als  gerade  nur  hier,  wie 
er  selbst  sage,  durch  seine  Gegner  genötbigt,  so  müa- 
sea  seine  Gegner  sich  besonderer  Visionen  und  Offen- 
baraogen  Christi  gerühmt  haben/  und  weil  sie  sich 
solcher  rühmten,  haben  sie  jede  apostolische  Auotori- 
tit  rerworfen,  woraus  demnach,  waa  selbst  dem  Scharf- 
■inn  eines  Neander  entgangen  sei,  sonnenklar  erhelle, 
iais  die  Christiaer  nur  deswegen  nach  Christus  nnd 
aicht  'mch  einem  Apostel  sidi  geilannt  haben,  weil  ih- 
aea  atte  Apostel  nichts  galten.    I>er  Ur.  Verf.  selbst 
kann  sich  nicht  genug  daoruber  wundern,  dafa  so  Tiele 
nnd  so  grofse  Gelehrt«  nicht  sehen  vor  ihm  auf  eine 
so  einfache^  leichte,  sich  von  selbst  empfehl<Aide  L5- 
■ung  der  sehwierigen  Frage   gekommen   seien,   und 

/oArft./  iptMejtfcA.  KriOk.  J.  1839.  II.  Bd. 


glaubt  nun  nur  noch  näher  entwickeln  zu  müssen^  wi^ 
es  geschehen  sei,    dafs  man  in  der  ältesten  Kirche 
mit  völliger  Verwerfung  der  apostolischen  Auetorität 
sich  einzig  nur  an  Christus  halten  wollte.    Den  Gmdd 
hie?on  findet  er  in  der  B^ebenheit  des«  Pfiogstfestes. 
Da  nemlich  an  demselben  der  göttliche  Geist  auf  eine 
völlig  unTcrmittolte  Weise  vom  Himmel  herabgekodi- 
men  sei,  so  habe  „sagacissimua  quisque^'  hieraus  schlie- 
fsen  müssen,  dafs  an  deni  apostolischen  Unterricht  gar 
nichts  gelegen  sein  könne,  eine  Ueberzeugung,  in  wei- 
cher man  durch  die. plötzliche  Bekehrung  des  Apostels 
Paulus  in  Folge  einer  himmlischen  Erscheinung  noch 
mehr  habe  bestärkt  werden  müssen,  und  man  könne 
sich  daher  nicht  wundem,  dafs  es  seitdem  auch'  noch 
andere  gab,  welche  nur  von  dem'  spiritualis  Christus 
berufen   sein   wollten^.    Verachtung  der  apostolischen 
Lehre  und  Auetorität,  auch  der  des  Apostels  Paulus, 
'seien  die  natürliche  Folge  dieses  in  der  Kirche^  sich  - 
verbreitenden  Irrthums  gewesen,   welchen,  der  Apostel 
Paulus  schon  in  seinem  ersten  Briefe  an  die  Corinth« 
sehr  ernstlich  bekämpfe,  indem,  was  man  gewöhnlich 
auf  die  ApoUopartti  beziehe,  weit  treffendc;r  gegen  die 
Christiner,    als  Anhänger  eines  spirituellen   Christus^ 
gesagt  sei.  (Wie  treffend  der<  Apostel  diesen  Spiritua- 
lismus  des  Tov  XQtgöv  dvat  als  die  aoqUt  rov  aiSva^ 
tovrov  bekämpft  haben  würde,  sieht  jeder.)    Bei  die- 
sem   Gange  der  Beweisführung  sieht  pian  eigentlich 
nicht  recht,  welches  Moment  die  Beiziehung  des  Brie- 
fes des  römischen  Clemens  noch  haben  soll.     Gleich- 
wohl sucht  der  Hr.  Verf.  dem  aus  ihm  erhobenen  Re- 
sult^  durch  die  nähere  Öestimmung  des  Alters  des 
Briefs  noch  gröfsere  Wichtigkeit  zu  geben.    Mit  jgpn^ 
fser  Zuversicht  behauptet  er  nicht  nur,  dars  der  Brief 
noch  vor  der  Zerstörung  ^rusalems,  sondern  sogar, 
dafs  er  während  der  Nerpnischen  Christeiiverfolgung 
geschrieben  Hiei.     Da   Clemens    ain  Eingang    seines 
Briefs  die  Verzögerung  desselben  durch  oc^Wdioi   nai 

89 


707«  .  Schenkel^  "de  eeeleHa 

ImxiXriKoi  ytv6^vmi'  aviAffOQal  lUcl  nafifimdon^  entschul^ 
dige,  so  könne  man  dabei  an  nichts  anders'  als  an  die 
plötzlieb  ausgebrochen'e  Neronische  Christenverfolgung 
denken^  and  da  Clemens  von  den  in  dieser  Verfolgung 
als  Märtyrer  gestorbenen  beiden  Apostehi  Petrus  und 
Paulus  als  den  Syyi^a  yivi^uvoi  d&Xtital  spreche,  zu- 
gleich aber  ben^erke,  dafs  sie  (die  römischen  Christen) 
sich  noch  jetzt  auf  demselben  Kampfplatze  befänden 
(was,  beiläufig  bemerkt,  ein  sehr  unsicherer  Schlafs 
aus  der  Stelle:  ravxa  ov  ^6voy  viAog  vov&novvng  ini" 
^ß^ppur  dlXä  nal  iavvovg  vnoiufivi^ijxovüs '  h  yaf  %$ 
avi^  i&lif»  intäfifiaxiy  xai  6  avrbi  ^fiZp  dyAv  inuuitat  ist, 
indem  wegen  der  Gegenüberstellung  von  iffiäg  und  iau- 
tobg  unter  der  Identität  des  Kampfes  in  jedem  Fall 
eben  so  gut  das  Gemeinsame  desselben  für  die  Römer 
und  Corinthier  verstanden  werden  kann  als  die  Fort- 
dauer desselben  ii^  Rom),  so  haben  wir  hier  den  deut- 
lichen Beweis  davon,  epistolam,  flagrante  persecutione 
esse  soriptam  (S.  110).  Dadurch  glaubt  der  Hr.  Vf. 
einen  dopjßelton  Vortheil  erreicht  %u  haben:  1)  die 
schon  so  laugq  obschwebende  Frage  über  eine  zweite 
Gefauge^schafl  des  «Apostels  scheint  ihm  jetzt  erle- 
digt, denn  da  der  .schon  zu  Anfang  der  Neronischen 
Verfolgung  geschriebene  Brief  des  Clemens  den  Mär- 
tyrertod des  Apostels  als  schon  geschehen  erwähne, 
so  sei  ja  nicht  möglich,  ut  apostolus  denuo  post  mar- 
lyrium  illatum  liberatus,  in  Hispaniam  profectus^  ite- 
rumque  captus  sit  atque^ductus  (S.  113),  was  gewifs 
jeder  zdgeben  wird ;  2)  der  Brief  des  Clemens  und  der 
de&  Apostels  rücken  so  nahe  zusammen,  däfs  zwischen 
den  Streitigkeiten  zur  Zeit  des  Apostels  und  denen" 
zur  Zeit  des  Clemens  kaum  ein  Zeitraum  Von  5— ^B 
Jahren  gewesen  sei.  Dabei  nimmt  der  Hr.  Verf.  noch 
an,  dafs  der  Apostel,  während  seines  letzten  Aufent- 
halts in  Corinth,  um  der  corinthischen  Gemeinde  eine 
bestimmtere  Verfassung  zu  geben,  eben  jene  Presby- 
teren  aufgestellt  habe,  welche  sodann  seine  Gegner 
auf  die  Nachricht  von  seiner  Gefangenschaft,  dem 
Briefe  des  Clemens  zufolge,  wieder  zu  verdrängen  ge- 
sucht haben.  Wie  willkürlich  auch  hier  alles  ist,  darf 
im  Grunde  kaum  bemerkt  werden.  Aus  der  Stelle  der 
Ep«  Clem.  c*  41:  oi  nawtaxov  ngoatpe^otrai  ^uaiai  dXX* 
h  ^liifovaaXfffA  fiovi^,  kann  man  nicht  mit  Sicherheit  auf 
die  Abfassung  des  Briefs  vor  d^r  Zerstörung  Jerusa- 
lems schliefsen,  da  diese  Worte  auch  als  allgemeiner 


Carinthia^  prünaetfa  eic.  708 

^Satz,  als  wesentliche  Bestimmung  der  aittestamcntG- 
chen  Religionsverfassung,  wie  dieselbe  (nach  dem  Zu- 
sammenhang der  Stelle)  auch  jetzt  noch,  für  die  christ- 
liehe  Kirche,  ihre  Bedeutung  haben  mufs,  genommen 
werden  können.  Noch  unrichtiger  aber  ist  der  aas  dfii 
Worten  e/yiaxa  yivoiiivoi  dOXtjral  gezogene  Schlafs.  Neh- 
men wir  die  Worte^  wie  sie  bei  Clemens  lauten:  äX 
Xva  rSv  aq^attov  moduynixmv  navüdfAt&a,  Ik&mfuif  hd 
rovg  eyyiata  ytvofiivovg  d^Xtirdq'  Xdßcofnv  t^$  ytvtag  ^fiAr 
T«r  ytv}*ata  vnoddyfAata*  —  Xdßafiiv  ngo  6(püaljtj£9  ^fm 
«o^;  dyoi^ovg  dnogoXovg,  so  bleibt  den  alttestamentlk 
eben  Beispielen  gegenüber,  welche  unter  den  d^a!a 
vnoddyfiata  zu  verstehen  sind,  für  die  Beispiele  au 
der  neuesten  Zeit  immer  noch  ein  so  weiter  Spiel- 
raum, dafs  sich  diese  Worte  keineswegs  zu  einer  lo 
speciellen  Zeitbestimmung  eignen.  Auch  wenn  seit 
dem  Märtyrertode  der  beiden  Apostel  schon  30 -«-40 
Jahre  verflossen  waren,  konnte  Clemens  gar  wobi  sich 
so  ausdrücken.  Warum  soll  denn  hier  gerade  an  des 
Moment  des  Märtyrertodes  selbst,  gedacht  weritenf 
I^t  doch  an  sich  schon  die  Vermuthung,  währead  die 
Neronische  Christenverfolgung  mit  ihren  aus  der  Schil- 
derung des  Tacitus  bekannten  Gräueln  in  Rom  wiitha- 
te,  nachdem  unmittelbar  zuvor,  wie  der  Hh  Vf.  oabe- 
denklich  annimmt,  die  beiden  Apostel  als  Märtyrer^g^ 
fallen  woren,  habe  Clemens,  welcher  in  jedem  FaK  ab 
eines  der  bedeutendsten  Mitglieder  der  Gemeinde  des 
Gefahren  der  Verfolgung  am  meisten  ausgesetzt  seil 
mufste,  sich  in  der  Lage  und  Stimmung  befunden^  dci 
gerade  jetzt  in  Rom  auf  eine  Antwort  harrenden  Ab« 
geordneten  der  corintbischen  Gemeinde  ein  solob« 
Antwortschreiben  mitzugeben,  eine  sehr  unnatfirlioha 
Wie  ganz  imders  hätte  sich  Clemens  über  die  Neroit 
sehe  Christenverfolgung,  den  Tod  det  beiden  Aposte!, 
und  wenn  man  c.  47.  vergleicht,  wo  er  selbst. den 
Brief  des  Apostels  und  der  damaligen  Parteinageo  c^ 
wähnt,  besonders  auch  über  den  Zusamuienhan^  die* 
ser  Streitigkeiten  mit  den  frühern  aussprechen  vdüB' 
seo,  wenn  er  in  allem  diesem  so  frisebe  ThatsadieB 
vor- sich  gehabt  hätte!  Ueberhanpt  aber  hat.. der  Hr. 
Vf.  die  kritische  Frage  über  den  BridT  des  remischei 
Clemens,  bei  welchem  es  sich  nicht  blos  um  eia  Zeil* 
datum,  sondern  vor  allem  um  die  in  maaoker  Betie' 
hung  zweifelhafte  Person  des  römischen  Clemens  (mM 
vgl.  meine  Abhandlung  über  die  Christuspartei  u«  &W. 


700  Schenkely  de  eedesia 

Tob.  Zeitsohr.  fdr  Theoi:  1831.  IV.  S.  198  f.)  han- 
delt, nicht  so  Tielsehig  erwogen,  als  fiir  dea  Zweck 
seiner  Untersuchöng  n5tbig  gewesen  wfire* 

Auf  diese  Weise  steht  der  spiritnelle  Christus, 
dessen  Anhänger  ol  rou  Xqioxov  gewesen  sein  sollen, 
wahrscheinlich  in  der  Luft.  Um  ihm  eine  festere  und 
breitere  Basis  zu  geben,  sucht  der  Hr.  Verf.  weiter 
sn  seigen,  dafs  die  Zahl  derer,  welche  nach  dem 
Pfiogstfest  neqna  doctrina  aliqua  o^us  .  esse  dtce- 
rent,  neque  episcoporum  institutione  ad  Christi  cogni- 
tionem  percipiendam ,'  gar  nicht  gering  gewesen  sei. 
Fnr  diesen  Zweck  wird  zuerst  der  Häretiker  Cerinth 
aufgeführt.  Dem  yon  Ensebius  H.  E.  111,  28.  aus  ei- 
ner'Schrifl  des  römischen  Presbyters  Cajus  mitgetheil- 
ten  Fragment,  das  zwar  etwas  dunkel  ist,  aller  Wahr- 
sehcittlichkeit  nach  aber  einen  ganz  andern  Sinn  hat, 
gibt  der  Hr.  Verf.  die  Deutung,  Cerinth  habe  sich 
selbst  für  einen  grofsen  Apostel  gehalten,  und  somit 
natürKcb  die  wahren  Apostel  schlechthin  verworfen« 
Dabei  wird  nicht  nur  dem  mit  dieser  Annahme  strei- 
tesden  Zeugnifs  des  Epipbanius,  dafs  Cerinth  wenig«: 
stens  das  Evangelium  des  Matthäus  angenommen  habe, 
einfach  die  Wahrheit  abgesprochen,  sondern  auch  den 
Worten  des  Cajus'scben  Fragments,  Cerinth  habe  ge- 
lehrt, fuva  Tijfy  uvaaraatv-  iniyuov  drai  t&  ßaaiKtiov  tov 
X^iattlv,  die  kaum  glaubliche  Deutung  gegeben,  das 
PaaÜLHov  kniyHov  sei  regnum  a  Christo  spiritali  spiri- 
tale  in  terris  constitutum,  in  welchem  Christus  quali- 
caoque.modo  sire  visionibus  extrinsecus  oblatis,  siye 
revelationibus  intus  factis  bisweilen  den  Seinigen  habe 
ersdieineb  sollen.  Unde,  lautet  nun  der  merkwürdige 
Sehlnrs,  satis  perspicuum  est^*  et  apostolos,  qui  ad 
Christum  cum  Jesu  ettam  cönjunctum  i.  e.  Christum 
corporeum  et  terrestre  (soll  wohl  terrestrem  heifsen), 
nt  ita  dicam,  pertinere  Tolebant,  pro  veris  apostolis 
a  Cerinthiaais  haberi  non  potuisse,  et  unumquemquo 
TOV  XQtaxov  ex  eorum  opinione  fuisse  futurum,  qui  ex 
aliqua  ratione  cum  spiritali  illo  coelestique  Christo 
(welchen  Cerinth  yon  Jesus  unterschied)  post  resur- 
rectionem  fuerit  coi^unctus  (S.  121).  Woher  weifti 
denn  aber  der  Hr.  Verf. ,  um  nur  diefs  Eine  zu  be- 
merken, dafs  Cerinth  solche  Visionen  und  Offenharun- 
gen, gesetzt  auch,  es  habe  sich  mit  ihnen  wirklich  so 
rerhalten,  wie  der  Hr.  Verf.  annimmt,  nur  erst  nach 
der  Auferstehung  stattfinden  liefs,  und  welcher  Grund 
ist  demnach  zu  der  Annahme  vorbanden,  dafs  er  die 


CorintAia  primaeva  etc.  .  7 10 

Apostel  Jesu   schlechthin    von   ihnen   ausgeschlossen 
faabel  .  . 

'  Dasselbe  Gewebe  von  Unwahrscheinlichkeiten  fahrt 
der  Hr.  Verf.  noch  weiter  fort,  indem  er  von  Cerinth 
zu  den  in  den  Ignatianischen  Briefen  bestrittenen  Do- 
keten,  den  Marcioniten  und  Montanisten  fortgeht.  Al^ 
lein  die  Willkür  wird  immer  bodenloser,  und  es  ^wird 
dem  Ref.  immer  zweifelhafter,  ob  eine  mit  solchem 
Material  aufgebaute  Hypothese  auch  nur  den  Reiz  ei-  • 
Der  geistreichen  Combination  haben  kann,  zumal,  da 
auch  die  mit  dem  lateinischen  Ausdruck  mühevoll  ritt* 
gende,  zu  umständlich  weitschweifige,  das  kaum  Ge- 
sagte mit  der  steten  Versicherung  der  Wichtigkeit 
des  erhobenen  Resultats  recapitulirende  Darstellung 
nicht  sehr  geeignet  ist,  die  Sache  für  den  Leser  anzi^ 
hender  zu  machen.    Aus  diesem  6runde  glaubt  Ref,  * 

hier  nur  noch,  das  Verhältnifs  beriibren  zu  dürfen,  in 

f. 

-  welches  der  Hr.  Verf.  den  Marcion  zu  seiner  bisher 
entwickelten  Ansicht  setzt,  da  hier  hauptsächlich  der 
Punct  ist,  auf  welchem  die  kecke  Hypothese  sich  in 
sich  selbst  verrennt.  Marcion  hat  bekanntlich  die  Au- 
torität der  s&mmtlichen  ApOstel  wegen  des  ihnen  noch 
anhängenden  Judaismus,  mit  Ausuahe  des  Apostels 
Paulus,  verworfen.  Es  hing  diefs  mit  dem  DnaKsmus 
theils  seiner  Weltansicht  überhaupt,  theils  seiner  An- 
sicht von  dem  Verhältnifs  des  A.  u.  N.  T.  aufs  eng-  .. 
ste  zusammen,  und  dieser  Dualismus  selbst  war  mit 
dem  für  sein  System  nicht  minder  charakteristischen 
Doketismus  so  wesentlich  verbänden,  dafs  an  seinem 
System  alles  in  einander  emgriff,  und, das  Einzelne  m 
dem  Zusammenhang  des  Ganzen  seine  hinlängliche 
Begründung  hatte.  Wenn  nun  aber  der  Hr.  Vf.  seine 
Zusammeustellong  des  Marcion  mit  der  korinthischen 
Christuspartei  nur  so  zu  motiviren  wetfs,:  In  eo  igitur 
a  Christinis  (qui  apostolis  repudiatis,  doctrina  omni- 
neglecta,  revelationibus  solis' verum  apostolum  aliquera 
fieri,  ad  Christum  pertinere  statuebant)  stat  (Marcion), 
ut  nullum  Christi  esse  potuisse  dicat,  quin  alia  ratione 
quam  doctrina  atque  externa  ipstitutione  apostolus  sit 
factus,  ut  neminem  npostolum  agnoscat,  qni  cum  Chri- 
sto populär!  terrecitrique  nonnisi  vinoulo  sit  oonjunctus 
(S.  131),  so  ist  nicht  abzusehen,  welches  hesondere 
Moment  in  dieser  Zusammenstellung  enthalten  sein 
soll,  wenn  wir  nicht  auch  bqi  jener  Christuspartei  den- 
selben Zusammenhang  der  religiösen  Ansicht  über- 
haupt vorauszusetzen  berechtigt  sind^  welcher  bei  Mar- 


711 


Schenkel^  tUi  eeelesüi  Carinthia  prinaeva  0te, 


712 


cioD  stattfand.  Aoch  }i«i  Maroion  ist  ja  diers  nicht 
die  Hauptsache,  dafs  er  Christus  nach  seiner  Entfer- 
nung Ton  der  Erde  durch  besondere  Visionen  und  Of- 
fenbarungen auf  Paulus  einwirken  liefs,  sondern,  weil 
ihm  iiur  die  Lehre  des  Paulus  das  Wahre '  und  We- 
sentliche de«  EYangeliums  zu  enthalten  schien,  diesel- 
ben Grundideen,  die  ihm  nicht  anzunehmen  gestatte- 
ten^ Christus  sei  als  Erlöser  mit  der  Welt  des  De- 
miurg  und  dem  Judentbum  so  susammengewachsen 
gewesen,  wie  nitch  den  andern  Aposteln  angenommen 
il^rden  nmra,  galt  ihm  nur  Paulus  ala  der  wahre  Apo- 
«tel,  und  nur  aus  diesem  Grunde  uiufste  er  jenen  Er- 
scbeiniingen  und  Offenbarungen  eine  ganz  andere  Be- 
deutung zuschreiben,  als  die  irdische  Verbindung  Jesu 
mit  seinen  Jüngern  haben  konnte.  Läfst  sich  nun  nicht 
auch  bei  der  korinthischen  Christuspartei  ein  ähnlicher 
Zusamcnenhang  einer  in  das  Wesen  des  Christenthums 
ti^er  eingreifenden  Ansicht  auf  irgend  eine  Weise 
wahrseheinlieb  machen,  so  jst  es  eine  völlig  werthlpse 
'Hypothese,  von  dieser  Partei  zu  sagen,  sie  habe  dfe 
nAactorität  der  s&mmtlichen  Apostel,  die  mit  Jesus 'wäh- 
rend seine«  irdischen  Lebens  zusammen  waren,  verwor- 
fen, und  dagegen  um  so  mehr  Gewicht  auf  die  dmo- 
üiüi  und  inovtaXixpiui  des  Christus  spiritualis  gelegt. 
So  .unbestimmt  und  unmotivirt  hat  niemand  je  über 
die  Auctorifät  der  Apostel  abgesprochen,  jsondern  wo 
ein  solcher  Widerspruch  hervortritt,  hat  er  immer  auch 
emen  tiefem  Grund,  welcher  sich  auf  irgend  eine  Weise 
zu  erkennen  geben  mnfs.  Aber  das  ist  es  eben,  was 
^egen  die  Hypothese  des  Hrn.  Verfs.  am  meisten  gel- 
ttod  gemächt  werden  mufs,  dafs  sie  durchaus  ^ine  rein 
abstracto  Vorstellung  bleibt,  welche  nirgends  eine  con- 
creto Gestalt  zu  gewinnen  weifs,  nirgends  in  den  be- 
kannten und  nachweisbaren  Zusammenbang  der  in  der 
Wirklichkeit  stattfindenden  Lebensverhältnisse  auf 
eine  anschauliche  and  lebendige  Weise  eingreifit,  was 
doch  allein  einer  Hypothese  Wahrheit  und  Bedeutung^ 
und  selbst  bei  dem  Mangel  einer  bestimmtem  bistori- 
achen  Begriindung  ein  höheres  Interesse  geben  kann. 
Wie  viel  darauf  ankommt,  hat  der  Hr.  Verf*  so  wch 
nig  '«rwogeB,  dafs  er  selbst  den  auffallenden  Wider- 
«pruch,  ib  welchen  seine  Hypothese  gerade  bei  Mar- 


oion sich  mit  sich  selbst  verwickelt,  gar  zu  leicht  ge- 
nommen hat.  Könnte  auch  der  Gedanke,  die  Christi- 
ner  haben  wie  Marcion  die  Auctorität  der  Apostel  ver- 
worfen, und  den  Grundsatz  aufgestellt,-  nur  dorcli  be> 
sondere  Offenbarungen  Christi  könne  man  ein  wahrer 
Apostel  Christi  werden ,  und  mit  Christus  in  Verbin- 
dung stehen ,  für  sich  betrachtet ,  etwas  scheinbares 
haben,  so  mufste'  doch  der  so  nahe  liegende  nichtige 
Umstand,  dafs  derselbe  Apostel,  dessen  Auctorität  dem 
Marcion  als  die  ansschlicfsliche  galt,  von  der  Christus- 
pärtei  den  grörsten  Widerspruch,  und  die  feindseligste 
Herabsctsung  seines  Ansehens  erfuhr,  sogleich  gerech- 
tes Bedenken  erregen,  und  auf  eine  Verschiedenheit 
des  ganzen  Standpuncts  zurückweisen,-  welche  das 
Sehnliche  über  dem  Unähnlichen  beinahe  völlig  ve^ 
schwinden  läfst.  Was  weifs  nun  aber  der  Hr.  Verf. 
cur  Erklärung  dieser  so  auffallenden  Erscheinung  tu 
sagen!  In  eo  autem,  wird  S.  Yi\  nach  den  oben  aa-, 
geführten  Worten^  gesagt,  ab  iis  (Christinis)  discedit 
(Marcion),  quod  largitur  illud  ab  iisnegatum:  Paalum 
alia  via  esse  usum,  extraordinaria  revelatione  esse  in- 
butum,  qua  pleniorem  perceperit  veritatis  cognitiooenu 
Quod  JMarcion  igitur  non  omnes  apostolos  rejedt,  sed 
Paulum  unicum  agnovit,  ex  eo  coUigi  non  potest,  aliam 
esse  ejus  quam  Christinornm  rationem,  eadem  ratio 
est,  sed  diversa  ratiocinatio  (welche?).  Quam  C|ain 
solam  vefanii  Christi  cognoscendi  rationem  Chrietisi 
Paulo  largiri  noluerunt,  eam  Maroion  Paulo  largitur 
(Ist  diefs  eine  ratiocinatio?).  Attamen  non  ita  larg^ 
tnr,  ac  si  Paulus  ex  doctrina  quadam  vera  cognoTe- 
rit,  ex .  iis  quidem,  quae  in  ecclesia  tradebantor  ab 
omnibusque  erant  recepta;  Christum  Bpiritualem  po- 
tius,  quam  a  Paulo  cognitum  esse  dixit  extraordiaari« 
revelatione,  divinitus  semper  manifestari  voluit,  atque 
in  semet  ipso  manifestatum  .esse  dixit  revelatioae. 
Warum  nahmen  denn  aber  nicht  auch  die  mit  M8^ 
cion  sosehr  stusammenstimmendeu  Christiner  dasselbe 
in  Ansehung  des  Apostels  Paulus  auf  Ist  das  Gesagte 
etwa/i  aiiders  als  eine  blofse  Wiederholung  der  Tbat- 
Sache,  deren  Widerspreohendes  gerade  erklärt  werden 
soll!  Wie  viel  Unbefriedigendes  bleibt  demnach  hier 
imm«r  snrück? 


(Der  Bescblttfs    folgt.) 


wissen 


Jahrbücher 

,  f  ü  r 

Schaft  liehe 


November  1839. 


Kritik 


De  eccleiia  Corimthia  primaeva  facHtmibui  tuT" 
birta.  Disquiniio  crütco  -  hütorica  ad  antiquis- 
ihnum  eccle^tae  christ.  statum  illustrandum 
pertinens.    Scnpsit  Daniel  Schenkel. 

(Schlaf!.) 

Bei  dieser  Lage  der  Sache  wird  sich  Ref.  wohl 
«rlaoben'  dörfeo^  nun  doch  wieder  auf  seine  eigene  An- 
sicht Ton  der  fraglichen  Christnspartei  xnrückzulcom- 
meo,  um  zu  sehen,  welches  Gewicht  die  Ton  dem  Hm. 
Vf.  gegen  sie  yorgebrachten  Einwendungen  habeU)  ob 
seine  Untersuchung.  Tielieicht  ihre  Stärlie  um  so  mdir 
in  ihrem  antithetischen  Theile  hat  Je  willkürlicher 
nod  haltungtloser  jedoch  die  neue  Hypothese  erscheint, 
desto  leichter  kann  sich  Ref*  darüber  beruhigen,  dafs 
seine  Ansicht  den  geraden  Gegensatz  gegen  si^.]^ildet. 
Dens  während  dem  Hrn.  Vf.  der  Christus  der  Christus« 
partei  der  spirituelle,  in  Visionen  vom  Himmel  sich 
kondgebende,  ist,  kann  dagegen  Ref.  in  demselben  Chri- 
stas nur  den  leiblichen,  durch  die  Gemeinschaft  des 
vdischen  Lebens  mit  seinim  Jüdgem  verbundenen,  su- 
chen« Uebergehen  wir,  was  in  der  Reihe  der  Einwen- 
duDgep  des  Hrn.  Vfs,  nur  die  Form  der  blofsen  Be* 
haaptung  hat,  oder  gar  zu  sehr  eine  blofse  Wiederho- 
luDg  des  längst  Gesagte|n  ist,  wie  namentlich,  dafs  es 
schlechterdings  ebenso  Tiele  streng  von  einander  un- 
terschiedene selbstständige  Parteien  sein  müssen,  als 
es  Terschiedene  Namen  in  der  fraglichen  Stelle  sind 
(worüber  Ref.  sich  längst  zur  Genüge  erklärt  zu  ha- 
ben  glaubt),  so  sind  die  tJauptmomente  kurz  folgende : 

1.  Ein  Hauptgewicht  legt  Ref.  auf  die  Stelle  1. 
Cor.  9,  1.  Die  emphatische  Entgegnung  des  Apostels 
in  den  Worten:  ov^i  'Iiiaoup  X(fiaviv  top  xvqiov  ^ia£v  id^ 
faxai  i*t  ihm  ein  Beweis  dafiir,  dafs  es  sich  zwischen 
dem  Apostel  Paulus  und  den  Gegnern  seiner  aposto- 
lischen Auctorität  (welche  er  doch  unläugbar  hier  im 
Auge  hat,  wenn  er  vi  2.   fortfährt :  h  äXXoii  ovh  üfii 

JsAr6.  /.  wu$€Htch.  Kritik.   J.  1839.     II.  Bd.. 


cindoToXog)  um  das  iwQcixivat  xbv  Xfiaxov  handelte.  Was 
wendet  nun  der  Hr.  Vf.  eini  Wie  man  auch  das  Ico^a- 
9ti¥€u  verstehe,  sei  es  von  der  Erscheinung  auf  dem 
Wege  nach  Damascus,  sei  es  von  der  fnaraaig  Act» 
22,  17«,  oder  von  den  öirxaaiai  und  dnoKaXvifHg  2.  Cor* 
12,  L,  so  habe  doch  Paulus  Christus  nicht  auf  dieselbe 
Weise  gesehen,  wie  die  übrigen  Apostel.  Paulos  habe 
entweder  beweisen  müssen,  dafs  auch  er  in  einer  äu- 
fsern  Verbindung  mit  Jesu  stand,  oder  dafs  die  äufsere 
Verbindung,  nichts  wesentliches  sei.  Das  Letztere  habe 
er  nicht  gethan,  also  habe  er  das  Erstere  thun  müs- 
sen, diefs  habe  er  aber  nicht  thun  können,  da  ja  die 
Worte :  kmqa%iv€u  ^Itjaovp  Xqasxov  xhv  xvqiov  ^fjudv,  wie 
Ref.  selbst  zugebe,  sich  nicht  auf  eine  äufsere. Verbin- 
dung mit  Christus  bezieben.  Derisissent  sane,  neque 
iojnria,  adversarii  illi  apostolum  nostrum.  —  Qua  de 
re,  sagt  nun  der  Hr.  Vf.  in  seiner  lateinischen  Spra- 
che, in  welcher  man  es  auch  sonst  mit  dem  Ausdruck 
nicht  zu  genau  nehmen  darf,  von  der  Meinung  des 
Ref.,  valde  perplexa,  ut  ingenue  fatear,  mihi  V.  CL 
sententia  videtur  esse  et  secum  ipsa  pcgnare  u.  s.  w. 
Unmöglich  könne  doch  der  Apostel  sosehr  pingui  Mi- 
nerva (ein  Lieblingsausdruck  des  Um.  Vfs.)  verfahren 
sein,  dafs  er  aus  einer  innem  Vision  eine  äufsere  Ver- 
bindung mit  Christus,  wie  die' der  übrigen  Apostel  war, 
habe  beweisen  wollen.  Allein,  wer  behauptet  denn, 
dafs  diefs  der  Apostel  beweisen  wollte!  Es  ist  nur  ein 
Mifsverstäudnirs  auf  Seiten  des  Hrn.  Verfs.,  wenn  er 
meint,  das  sei  der  Hauptpunct,  auf  welchen,  der  An- 
sicht des  Ref.  zufolge,  die  Argumentation  des  Apostels 
losgehen  müsse.  Es  ist  gerade  so,  wie  wenn  jemand 
behaupten  wollte,  weil  der  Apostel  Paulus  nicht  ganz 
in  demselben  Sinne  Apostel  ist,  wie  Petrus  und  die 
andern,  defswegen  kann  er  gar  nicht  Apostel  sein.  Ei- 
nem solchen  mufste  man  sagen,  dafs  ungeachtet  dieses 
Unterschieds  doch  noch  etwas  Gemeinsames  bleibt,  was 
hinreichend  ist,  um  den  Apostel  Paulus  zum  Apostel 

90 


/• 


715 


Sekenlßely  da  eeelaim  Cm^mikm  prmaew»  eie. 


71« 


SU  machen.    Ebenso  mnfs  nnn  Ref.  gegen  den  Em* 

Vf.  bemerken,  dafs  swar  allerdings  Paulus  jenes  imga- 

uivai  niobt  in  demselben  Sinne  von  sich  sagen  kounte^ 

in  Welchem«  es  yon   den  übrigen  Aposteln  galt,   dafs 

aber  dessennngeachtet  «ein  itoqattsfat  so  gut  ein  eco^«- 

iiivai  war,  als  das  der  andern,  sofern  das  Gemeinsame 

des  äufsem  und  innern  iwqaxivai  das  Unmittelbare  ist, 

die  unmittelbare  Gegenwart  des  Gegenstandes  des  Ico- 

Qäxerai^  und  diefs  ist  es,  was  nach  der  Ansicht  des  Ref. 

als  das  Hanptmoment  der  Argumentation  des  Apostels 

angesehen  werden  mufs,  dafs  er,   wenn  auch  anders, 

doch  nicht  minder  unmittelbar  als  die  andern  Apostel, 

durch  eine  unmittelbare   Anschauung  des  Herrn  tou 

ihm  cum  Apostelamt  berufen  worden  sei.    Hätte  sich 

der  Hr.  Verf.,   ehe  er  die  Ansicht  des  Ref.  als  eine 

ralde   perplexa   sentcntia    bezeichnete,   doch  nur  der 

Stelle  1  Cor.  15,  5—9.  erinnert,  in  welcher  Paulus  die 

Erscheinung  des  auferstandenen  Christus,  welche  er 

hatte,   Töllig   in    Eine   Reihe  mit  den  Erscheinungen 

stellt,  die  die  übrigen  Apostel  hatten,  obgleich  der  Hr. 

Verf.  gewifs  nicht  läugnen  wird,  dafs  zwischen  diesen 

und  jener  ein  grofser  Unterschied  gewesen  sei,  in  der 

That  derselbe,  wie  in  Beziehung  auf  9,  1.  zwischen 

dem  ifagaxivai  des  Paulus  und   dem  iw^axivai  der  an* 

dem  Apostel.     Allein  hier  wie  dort  ist  6s  dasselbe  In* 

teresse  des  Apostels  Paulqs,   wahrend  seine  Gegner 

gegen  ihn  den  Unterschied  geltend  machten,  in  diesem 

Unterschied  um  so  mehr  auf  das  ihn  ausgleichende  und 

aufhebeude  Moment  der  Einheit  zu  dringen. 

2.  Eines  logischen  MifsgrilTs  derselben  Art  be* 
schuldigt  der  Herr  Verfasser  den  Referenten  in  B»- 
ziebung  auf  die  Stelle  2  Cor.  II,  5.  12,  II.  Eo,  ruft 
er  aus,  argumentatio,  qua  utitur  V.  Cl.  ^Tniqhav  dno^ 
orokoi  Petrus  fuere  et  Jacobus,  ex  epistola  porro  se- 
quitur,  inter  roig  {mtqkiav  dnoaT6'Kovq  pseodoapostolos- 
qu^  i.  e.  Pauli  adversarios  arctissimam  fuisse  conjun- 
ctionem  \  ergo  Pauli  adversarii  a  partibus  apostolomm 
illorum  stabant.  Das  sei  doch,  meint  der  Herr  Ver* 
fasser  und  kann  es  nicht  vinständiich  und  emphatisch 
genug  sagen,  ein  logischer  Cirkel.  En  nova,  en  in* 
audita  argumentandi  ratio  (wie  wenn,  wenn  es  auch 
80  wäre,  noch  niemand  einen  Cirkel  begangen  hüttel)! 
Der  Herr  Verfasser  ist  aber  auch  hier  im  Irrthum. 
Wer  die  Abhandlung  des  Referenten  a.  a.  O.  S.  102 
vergleicht,  wird  sogleich  sehen,  dafs  Referent  nicht 
so    sehliefst,    wie   der   Herr  Verfasser  ihn  schliefsen 


Itfst»    Was,  me  der  Herr  Verfasser  meint,  für 

Richtigkeit  der  Argumentation  "des  Referenten  zoror 

sehen  bewiesen  sein  sollte,  sucht  ja  Referent  wirklich 

zu  beweisen.    Der  Schlafs  ist  einfach  dieser:  da  aui 

1  Cor.  1,  13.  zu  sehen  ist,  dafs  in  jedem  Fall  sine 

der  corinthischen  Parteien  sich  auf  die  Auctorit&t  des 

Apostdd  Petrus  stützte,  und  da  Paulus  Gal.  2,  9.  von 

Jacobnsi   Petrus  und  Johannes  einen  dem  Ausdmcke 

vnigUav  ändaröXov  ganz  entsprechenden  Ausdruck  go- 

foraucbt,    so  ist  kein  Grund    vorhanden,   warum  maa 

unter  den  wnQXicnf  djtdaxolo^  nicht  die  Apostel  selbst, 

deren   Schüler   und   Emissäre  jene  ipeudanoßTokM  2a 

sein  vorgaben,  und  deren  Auctorität  sie  auf  eine  so 

ausschliefsende  Weise  gegen  Paulus  geltend  machten, 

verstehen  soll.  .  Dafs  die  Interpreten  sonst  unter  des 

vneQXiaw  dnoatcXoi  die  Pseudapostel  verstehen,    kann 

gegen  die  Erklärung  des  Referenten  nicht  mit  Recht 

geltend  gemacht  werden,  da  der  Zusammenbang  der 

Stelle  insofern  derselbe  bleibt,  sofern  unter  deb  vm^ 

XUcv  inoavoloi  in  jedem  Fall  die  wahren  Apostel  nicbt 

an  sich,  sondern  nur  nach  der  subjectiven  Vorsteliong 

zweier  Pseudapostel,    nach  der  fär  Paulus  so  oaclh 

tbeiligen   Ueberschätzung  ihrer  Auetorität   (was  ebeil 

durch  vm^Xiav  dndaroXo$  ausgedrückt  ist)  zu  verstebeü 

sind,  und  der  Apostel  demnach  auch  bei  den  wtifikt 

ditSaroloi  immer  zugleich  zwei  Pseudapostel  selbst  vor 

Augen  hat.    Uebrigens  ist  dieser  Ponct  für  die  Erklft- 

rung   des   Referenten   im  Ganzen    unwesentlich;   eie 

bl6ibt  dieselbe,  wie  man  auch  den  Ausdruck  wufliop 

dnoatoXoi  nehmen  mag.  —  Gleiche  Bewandnifs  hat  e< 

mit  dem  die  Stelle  2  Cor.  11,  22.   betreffenden  Ein^ 

Wurf,  in  Beziehung  auf  weleheu  Refer.  nur  auf  seine 

Abhandlung  S.  103  verweisen  kann. 

3.  In  der  Stelle  2  Cor.  5,  16.  glaubt  Referent  in 
dem  Ausdruck  XQunhf  ttatä  ßag^a  j^tvciaxup  einen  Sei- 
tenblick auf  die  Gegner  annehmen  zu  müssen,  die 
sich  als  vorzugsweise  xovs  rov  Xqiittov  Svrag  geltend 
machten.  Indem  der  Apostel  vou  einem  /irdaxiiv  Math 
GaQxaX^Gtiv  spricht,  stellt  er  seine  Gegner  als  solcbe 
dar,  die  im  Grunde  ganz  noch  anfdem  Standpnncte 
des  Judenthoms  und  des  jadischen  Messiasbegriffs  ste- 
hen, wenn  sie  ihm  selbst  den  acht  apostolischen  Cba- 
rakter  deswegen  absprachen,  weil  er  nicht  in  dersel- 
ben unmittelbaren  äufsem  Verbindung  mit  Jesu  gevt- 
sen  sei,  wie  die  von  Jesu  selbst  während  seines  irdi- 
schen Lebens  zum  Apostclamt  berufenen  Jünger.  Anob 


717  Sckmdfel^  de  ecUgnm 

dieM  EvkliroBg  greift  der  Herr  VetfaiMr  sa,  iodem 
er  Miaqilet  tmtA  nd^ftuc  Xjpcmr^r  yinieutof  sei  solriel  alfl 
imtwoiQ  J^,  «ad  omdn  X^mthv  navd  aJifna  pmiantt»  so« 
fiel  als  ppdu  iavx^l^  Xjifl.  „Kmtä  oo^sa  igttor  /ofttmfHP 
m%ndhm  niiiii  aliail  est  qaaai  Christum  nondum  ut 
easi  habere  oofahuai,  oni  vitam  aaimainqtte  totani  tra« 
das«"  Hfitte  aber  der  Apostel  nur  dielte  sagen  voU 
ka,  so  hätte  er  ea  ja  sehon  y.  15.  gesagt.  Warom 
•prieht  er  denn  v.  16*  noch  besonders  von  einer  Ver» 
Mkthtng  des  tUinu  oder  r^iimmv.  durch  die  aapSf 
Wanun  gebraacht  er  gerade  diesen  Ansdrook,  weU 
eher  aar  Bemeiobnung  eines  solchen  Verhältnisses  an 
seinen  Gegnern^  wie  der  Herr  Verfasser  gewifs  nicht 
liiifgnen  kann,  üi  jedem  Fall  sehr  treffend  gewühlt  iet, 
■ad  mit  der  von  dem  Herrn  Verfasser  ganz  unbeach- 
tet gelassenen  Stelle  2  Cor«  7,  10.  anfe  Beste  zusam- 
Bieastimmtf  Refereat  kann  daher  in  der  Erklärung  dea 
Herrn  Verfassers  mir  eine  Verflacbung  des  tiefen  in 
der  genannten  Stelle  enthaltenen  Gedankens  sehen« 
Dagegen  macht  freilich  gerade  der  Herr  Verfasser  der 
Erklärung  des  Refer.  den  Vorwurf:  Ex  frigide  sane 
sententia  et  quae  roiniine  ad  omnes  Coriothios  qua« 
diaty  sed  ad  pauoissimos  tantum  eos  qpi  Jndaei  erant 
ofiundi«  Allein  spricht  denn  nicht  der  Apostel  in  dem 
ganzen  Abschnitt  2  Cor.  5,  11  f.  zunächst  von  seiner 
Person  f  Hat  er  es  nicht,  der  Voraassetzuag  zufolge, 
mit  jüdischen  Gegnern  an  thon,  wie  sollte  es  daher 
eine  frigida  sententia  sein,  wenn  er  etwas  sie  speciell 
Betreffendes  sagt?  Zudem  schliefst  ja  der  von  dem 
i^ostel  ge^braucbte  Ausdruck  neben  dem  speciellen 
Sinn  den  allgemeinen  nicht  aus.  Ganz  verkehrt  ist 
aber  unstreitig,  um  nur  alles  so  viel  möglich  zu  gene- 
ralieiren,  die  speciellen  Beziehungen  zu  übersehen,  an 
welcbeii  die  paulioischen  Briefe  so  reich  sied,  die  aber 
freilich  der  Natur  der  Sache  nach  so  oft  nur  geistrei- 
ehe^  Ajüdentungeu  sind,  die  nur  aus  dem  Zusanunen« 
hange  des  Gaoaen  anf  dem  Wege  einer  mehr  oder 
minder  wahrscbeiulichen  Combination  aofgefafst,  nicht 
aber  iamier  jedem  in  der  Form  logischer  Syllogismen 
andemonstrirt  werden  kdunen. 

4.  Der  Gegner  des  Apostels  in  der  corintbiscben 
GeaMinde  geborte  der  Ansicht  des  Referenten  zufolge 
in  die  Klasse  derselben  judaisirenden  Lehrer,  welche 
dem  Apostel  auch  im  andern  Gemeinden  entgegentra* 
ten,  Dttt  ist  es  natürlich,  dafs  sie  nach  der  Verschie- 
denheit der  Verhältnisse  in  ihrer  Opposition  gegen  den 


CorhUkim  fnimämm  etfe«  .    718 

Apostel  bald  diefs  bald  jenes  vomaateDtea.  Aneh  da^ 
gegen  polemisirt  der  Herr  Verfiisser  auf  eine  aiemlich 
kleinlichte  ynd  unerhebliche  Weise;  nur  sofern  dem 
Refereaten  anob  hier  wieder  der  Vorwurf  emes  Wi« 
dersprncbs  mit  sich  selbst  gemacht  wird,  mag  hier 
darauf  noch  kurz  Rücksicht  genommen  werden.  Dar 
Herr  Verfasser  argnmentirt  sei  Wenn  die  Gegner 
des  Apostels  in  der  galatisohen  Gemeinde,  wie  die  in 
Corinth,  denselben  Grundsatz  gehabt  hätten,  dafa  nur 
die  wahre  Apostel  seien,  welche  mit  Jesu  während  sei* 
'  nes  irdischen  Lebens  äofserlich  verbunden  waren, 
amentis  sane  fiusset  (von  Seiten  des  Apostels  Pau« 
Ins)  demonstrare,  so  nuUo  modo  ad  eos  apostolos  per« 
tinere,  qui  pro  solis  veris  erant  habiti.  Mit  bestem 
Recht  hätten  seine  Gegner  so  gegen  ihn  argnmentfaren 
können:  Wer  nicht  zu  den  Aposteln  Christi  gehört, 
kann  nicht  wahrer  Apostel  sein;  nun  längnet  Paulus, 
dais  er  je  zu  den  Aposteln  Christi  gehört,  also  kann 
er  auch  nicht  wahrer  Apostel  sein.  Da  nun  aber  Pau- 
lus gegen  seine  galatischen  Gegner  beweise,  dafs  er 
von  den  übrigen  Aposteln  gank  unabhängig  sei,  mid 
nichts  von  ihnen  gelernt  habe,  so  können  auch  diese 
galatischen  Gegner  nicht  in  dieselbe  Classe  mit  dea 
corinthischen  gehört  haben.  Si  quidem,  sagt  def  Hr« 
Verf.  S.  30  von  den  letztern,  eos  solos  pro  veris  apo- 
stolis  habuerunt,  qoi  a  Christo  ipso  delecti  fdernnt  et 
instituti,  quidnam  apostolo  faciendum  erat,  nisi  ut  de* 
monstraret,  sc  ex  iis  veris  nempe  apostolis  doctrinam 
suam  repetivisse,  eadem  so  docuisse,  sc  ex  iis  solis 
pendere^  eorum  sola  aiti  auctoritate.  Das  hätten  die 
Gegner  des  Apostels  in  Corinth,  wie  Ref.  sie  voraus- 
setze, nicht  tadeln,  nur  loben  können.  Allerdiogs,  al- 
lein es  würde  damit  auch  vom  Apostel  Paolua  nichts 
anderes  verlangt  werden,  als  dals  er  das  Princip  sei- 
ner apostolischen  Auctorität  selbst  hätte  aufgeben  sol- 
len. Es  ist  doch  von  selbst  klar,  dafs  er  dasselbe  ge- 
gen die  galatischen  Gegner  auf  dieselbe  Weise  recht- 
fertigt, wie  gegen  die  corinthischen,  indem  er  gegen 
beide  behauptet,  dafs  er  auf  eine  von  den  übrigen 
Aposteln  unabhängige,  aber  eben  so  unmittelbare 
Weise,  wie  sie,  Apostel  geworden  sei.  Was  soll  denn 
hier  in  der  Ansicht  des  Ref.  Widerspre^endes  seiet 
Referent  mafs  daher  gestehen,  dafs  er  sieh  die  Un- 
klarheit, die  in  dem  ganzen  Raisonnement  des  Herrn 
Verfiassers  S.  30 — 32  herrscht,  nur  aus  dem  Bestre- 
ben erklären  kann,  der  Ansicht  des  Referenten  mit  Ge- 


719 


De  Bostiy  /UUoriteAe«  ff^8t*erh»ok  tkr  JOduehen  8ckftfttt«tter. 


wdt  •iflfen  Widerspnioh  aii{siidringeD>  welchen  Aurse^ 
dem  Hrn;  Verf.  voh)  niemand  in  ihr  finden  wird.  AI- 
Itnn  die  eigene  Hypothese  desselben  wird  dadurch  um 
nichts  wahrscheinlicher.  Wm  hilft  es,  solche  Bin- 
lelnheiten  aufzugreifen,  und  über  diefs  und  jenes  mit 
der  hartnäckigsten  Snbtilität  zu  streiten,  wenn  man 
nicht  zugleich  in  den  ganzen  Geist  der  ernsten  und 
grofsartigen  Polemik,  die  sich  durch  die  beiden  Briefe 
des  Apostels  hindurchzieht,  einzudringen  weirs?  Ref« 
hat  sich  aufs  neue  fiberzeugt,  dafs  diese  Polemik  nur 
vom  Standpnnct  seiner  Ansicht  aus  in  ihrem  ganzen 
Zasammenhang  aufgefafst  werden  kann,  bei  der  Hj* 
pbthese  des  Hrn.  Verfs.  weifs  man  in  der  That  nicht 
einmal,  um  was  es  sich  denn  eigentlich  zwischen  dem 
Apostel  und  seinen  Gegnern  handelte. 

Der  Raum  gestattet  nicht,  auch  noch  den  Wider« 
sprach  des  Hm.  Verfs.  gegen  die  Ansicht  des  Refer. 
ttber  den  Ursprung  der  pseudociementinischen  Homi- 
lien  und  ihre  historische  Bedeutung  zu  beleuchten.  Ref. 
begnügt  sich  daher  mit  der  einfachen  Bemerkung,  dafs 
er  in  dem  diesen  Gegenstand  betreffenden  Abschnitt 
S.  33 -7-74  nichts  gefunden  hat,  was  ihn  bestimmen 
könnte,  von  meiner  wiederholt  dargelegten  und  mit  ih- 
'ren  Gründen  entwickelten  Ansicht  in  irgend  einem 
Puncto  abzugehen. 

D.  Banr.^  in  Tübmgen. 


XLVII. 
Historisches  Wörterbuch  der  jüdischen  Schrift- 
steller und  ihrer  Werke  von  Q.  B.  De  JRos- 
siy  aus  dem  Ital.  übersetzt  von  Dr.  C.  H. 
Hamberger*  Leipzigs  1839.  Bei  L.  Fort. 
8.    XVI  und  336  S. 

Der  erhöhte  Aufdciiwung,  dessen  sich  in  neuerer 
Zeit  die  bibJisehe  Kritik  durch  yergleichende  Sprach-, 
Länder-  und  Geschichtskunde  erfreut,  rief  das  Bedürf- 
nifs  hervor^  auch  die  Stimmen  derer  zu  sammeln  und 
zu  prüfen,  die  durch  Herkommen,  durch  eine  fast  un- 
unterbrochene Kette  von  Uebertieferungen  und  meist 
durch  ihren,  semitischen  Landesdialekt  mit  dem  Leben 
der  hebräischen  Sprache  enger  verbunden  sind.  Als 
Wegweiser  zu  diesen  Hülfsquellen  findet  der  Gelehrte 


73» 

vom  Fache  mehrere  gute  NationBbehrilkatellei%  deren 
Reihe  schon  Rabbi  Scherira  Goon  im  lOteo  Jakrh. 
eröffnet.  Aber  die  Darstelhmgsweise  derselben  in  der 
eigenthttmlioKen  rabbinischen  Sprache  und  der  Hangel 
wissenschaftlicher  Anordnung  haben  wenig  Einladendes 
für  Leser,  die  nicht  früh  an  diese  Sprache  gewöhnt 
sind.  Nächst  den  jüdischen  Liiterärhistorikern  ond 
zumeist  aus  ihnen  haben  wir  vortreffliche  Abhandlun- 
gen von  Joh.  Morinus  und  Richard  Simon;  BotÜB- 
ger,  Buxtorf  u.  A.  und  zwei  umfassende  Werke,  die 
Bibliotheca  rabbinica  von  Jul.  Bartolocei  nud  die  Bi* 
bliotheca  hebraea  von  J.  G.  Wolf.  Das  erstere  ist 
jet^t  beinahe  nubrauchbar;  der  sehr  gelehrte  Römer 
bat  von  dem,  was  er  geufufsi^  überladend  viel  ge- 
schrieben, und  von  dem,  was  er  nicht  gemufst^  g^ 
nng,  um  den  Leser  in  stetem  Mifstraaen  m  erhaltcik 
Alles  in  ihm  enthaltene  Gute  aber  hat  der  unvergleich- 
liche Fleifs  des  deutschen  Gelehrten  Wolf  dankbar 
benutzt  und  nach  sorgfilltiger  Prüfung  in  seine  BibLhebr. 
aufgenommen,  welche,  trotz  ihrer  Mängel,  ein  hieben» 
des  Denkmal  deutscher  Gründlichkeit,  Ausdauer  und 
Klarheit  genannt  werden  mufs.  Für  den  Handgebrauch 
ist  das  Werk  jedoch  zu  umfassend  und  die  Ben«tznng 
ermüdend,  weil  die  vier  starken  Quartanten  nicht  als 
ein  aus  dem  ersten  Plane  hervorgegangenes  Gamc^ 
sondern  nur  durch  gegenseitige  Ergänzungen  zusam* 
menhangen,  wodurch  man  gezwungen  ist,  jeden  Arti- 
kel öfters  zu  vergleichen. 

Nach  Wolf  trat  ein  Stillstand  bis  auf  den  berühm- 
ten De  Rossi  ein,  der  erst  1802  bei  der  Abfassung 
seines  Dixionario  storico  dsgli  auiori  ebrei  e  delU 
loro  opere  den  Versuch  machte,  alle  Ergebnisse  fri- 
herer  Forschungen  mit  geschmackvoller  Auswahl  in 
gedrängter  Kürze  zu  vereinigen,  ihre  Mängel  aber  be- 
hutsam zu  vermeiden.  Zur  Ausführung  diesw  Absieht 
war  er  nicht  nur  durch  seine  tiefe  Gelehrsamkeit  und 
sein  gesundes  Urtheil  berufen,  sondern  auch  durch  den 
Besitz  handschriftlicher  Schätze  (an  1400  Codices), 
wie  ihn  keine  fürstliche  Bibliothek  in  diesem  Fache 
aufzuweisen  hat,  reichlich  unterstützt.  Das  Buch  eiw 
schien  in  einem  Jahre,  das,  wie  noch  viele  der  folgenden, 
im  Gedränge  der  gewaltigsten  politischen  BeweguBgeni 
Leistungen  didser  Art,  so  grofs  ihr  Verdienst  auch 
sein  mochte,  keine  günstige  Aufnahme  gewahren  konnte. 


(Die  FortsetzuDg  folgt) 


wissen 


J  ahrbficher 

f  ü'r 

Schaft  liehe 


Kritik 


November  1839. 


■SB 


Hitt^riichet  Wörterbuch  der  füdüchen  Schrift- 
iteUer  und  ihrer  Werke  Tim  O.  B.  De  JRosgi. 

(FortsetzuDg.) 

Der  Verf.  ■cbien  dies  gefürchtet  zu  haben,  und 
liefe  deehalb  wahrscheinlich  so  wenig  Exemplare  ab- 
sieben, dafa  das  Buch,  selbst  in  Italien,  selten  mehr 
xa  sehen  ist  *)•  Demnach  hat  sich  Hr.  Dr.  Hamber- 
ger.  durch  sein  Unternehmen  einen  gerechten  Ansprach 
auf  Dank  erworben,  indem  er  ein  so  gediegenes  Werk 
eadlich  aaC  deutschen  Boden  xu  verpflanzen  sucht,  wäh- 
resd  man  lihigst  gewohnt  ist,  nur  die  flachsten  Mach- 
verke  des  Auslandes  mit  einem  Wetteifer  übertragen 
SU  sehen,  der  einer  besseren  Sache  würdig  wäre. 

De  Roasi  in  deutschem  Gewände  wird  gewifs  bald 
in  vielen  Händen  sein ;  auch  wird  er  Vielen  bei  ihren 
Studien  als  Orakel  gelten,  indem  sie  glauben  werden, 
die  naverfttlschte  Stimme  des  berühmten  Verfs.  zu  ver- 
aebmen.  Leider  aber  hat  Hr.  H.  das  Verdienst  eines 
gewissenhaften  Dolmetschers  Terschmäht,  dafür  aber 
Uoiändemngen  gewagt,  die  nur  aus  einem  Verein  von 
wissensohaftlichem  Ernste  mit  tiefer  Kenntnifs  der  rab« 
binischen  Litteratur  als  Verbesserungen  hervorgehen 
können.  Indem  aber  Hr.  H.  durch  diese  Freiheit,  die 
er  sich  genommen,  aus  der  Bahn  eines  blofsen  lieber- 
Setzers  herausgetreten  ist,  müssen  ihm  eigentlich  auch 
die  stillsohweigend  fortgepflanzten  Fehler  seines  Ori- 
ginals zur  Last  gelegt  werden. 

Betrachten  wir  zuvörderst  die  Lichtseite  seiner 
Leistungen,  so  wollen  wir  mit  Freude  hervorheben, 
dafs  er  überall,  wo  er  die  Treue  gegen  das  Original 
nicht  verletzte,  mit  Gewandtheit  und  Kunstfertigkeit 
fibertrug.  Der  Ausdruck  bewegt  sich  im  Ganzen  flie- 
Dsend  und  leicht,  und  der  deutsche  Leser  wird  selten 


^)  In  lletrtsdilaDil  wird  es  in  mancher  grofsen  UnireraitSU- 
stsdl  rermlist ;  in  Berlin  befindet  es  sich,  unseres  Wissens, 
nur  in  den  Händen  eines  PriTstgelehrten. 
JMkrb.  /.  wiiunick.  KriHk.   J.  1839.   II.  Bd, 


die  Abhängigkeit  eines  Uebersetzers  gewahr.  Bei  der 
Schreibung  der  hebräischen  Blichertitel  mit  deutschen 
Buchstaben  herrscht  eine  Genauigkeit  und  Konse- 
quenz, die  alles  Lob  verdient,  besonders  wenn  man 
ihre  Verdrehung  im  Qriginal  betrachtet.  Aufserdem 
finden  wir  in  der  Vorrede  als  Zugabe  eine  Skizze  der 
seit  De  Rossi  gemachten  Fortschritte  in  der  jüdisch- 
bebr.  Litteratur;  Notizen  über  Bartoloccis  und  Wolfs 
Leben,  und  im  Buche  selbst  hier  und  da  eine  Anmer- 
kung bibliographischen  und  litterärischen  Inhalts. 

Zur  Schattenseite  des  Buches  übergehend,  mösseo 
wir  unsere  tadelnde  Bemerkungen  mit  einer  doppelten 
Rüge  eröfltien,  deren  erste  den  innern,  die  zweite  den 
äufsern  Werth  des  Buches  betrifil.  De  Rossi  bat  näm- 
lich 1807  ein  ähnliches  Werk  über  die  arabischen 
Schriftsteller  unter  dem  Titel:  yjDixionario  Horico. 
degli  autori  arc^bi  e  delh  loro  opere^^  herausgegeben, 
in  welchem  fast  alle  Arabisch  schreibende  Juden,  wie* 
Saadia  Oaon^  Hai  Oaofiy  Jona  den  Oannach^  Sch 
lomon  ben  Oabirol  u.  a«  noch  einmal  beschrieben  wer- 
den. Der  Zeitraum  zwischen  der  Erscheinung  beider 
Werke  hat  bei  De  Rossi  den  Schatz  seiner  Erfahrun- 
gen und  handschriftlichen  Quellen  gar  sehr  bereichert 
und  dadurch  den  Verf.  in  den  Stand  gesetzt,  Vieles 
zu  berichtigen  und  zu  ergänzen,  was  in  dem  ersten 
Werke  der  Berichtigung  und  Ergänzung  bedürftig  war. 
Dafs  einem  Bearbeiter  des  Dizionario  degli  aut.  ehr. 
die  Vergleichung  des  Diz.  degli  aut.  arab.  unerlärslich 
ist,  liegt  am  Tage;  bei  Hrn.  H.  indefs  ist  keine  Spur 
dieser  Vergleichung  sichtbar.  Dieses  Unrecht  verliert 
freilich  von  seiner  GrSfse,  wenn  uns  das  noch  gröfsere 
entgegentritt,  jiämlich,  dafs  er  einer  fleifsigen  Verglei: 
chuog  Wolfs  entsagt  zu  haben  scheint.  Wie  viel  der 
innere  Werth  manches  Artikels  hierdurch  gelitten  hat, 
werden  wir  im  Laufe  unserer  Beurtheilung  zu  zeigen 
Gelegenheit   haben. 

Die  zweite  Rüge  betrifft  den  verderblichen  Wahn, 

91 


^ 
i 


1 


723 


De  Ito»$ij  AütoriseAes  Wörterbuch  der  /i 


ScArf/Uteller. 


724 


in  welchem  er  mit  einer  ^^durekgre^nden  FertoecJk* 
selung  der  Namen^^  (vergl.  S.  91.  Dior.)  einen  gro- 
fsen  Theil  seines  Erfolges  zerstört  hat.  Eine  seltsame 
Grtlle  bewog  ihn>  vielen  hebräischen  Eigennamen  eine 
deutsche  Uebersetzung  und  folglich  eine  andere  alpha- 
betische Stellung  zu  geben.  Ein  einziges  Beispiel  aber 
mag  genügen,  um  das  Nacbtheilige  dieses  vnnderli- 
ohen  Verfahrens  zu  zeigen,  ^m  Rabbi Simcha^  der 
keinen  Fufs  auf  deutschen  I^oden  gesetzt  hat,  wird  in 
der  alphabetischen  Reihe  unter  F.  (S.  107.)  mit  dem 
Namen  ^^Fretidman^*  (Simcha  Ben  Gerson  Koben)  auf- 
geführt. Welche  Augen  würde  Hr.  Dr.  H.  aber  ma- 
chen, wenn  er  in  einer  Litteraturgeschichte  fände; 
^yKicAererbees  Briefe  an  Dummkopf**!  *)  „der  Som- 
mernachtetraum  von  Speer echwingef^^  ••);  ^jütf- 
ben  der  grojien  franzotischen  Tragiker  Wurxel 
und  Kräh e^^\  *^*).  Sollte,  ernstlich  gesprochen,  die- 
ses Verfahren  auch  bei  den  andern  Völkern  auf  die- 
sem und  anderem  Gebiete  Platz  greifen,  wollten  aus 
dem  dem  besagten  Rabbi  Simcha  die  Franzosen  etwa 
Rabbi  Oaillard  und  die  Engländer  etwa  Rabbi 
Merry  machen,  so  würden  wir  begreiflicher  Weise 
mit  allem  Geschichtlichen  bald  in  eine  babylonische 
Verwirrung  gerathen.  Als  hätte  aber  Hr.  H.  an  die- 
ser lieber-  und  Versetzung  der  Namen  nicht  genug, 
geht  er  sogar  noch  weiter  und  führt  viele  Schriftstel- 
ler nur  unter  dem  Namen  des  Ortes  auf,  an  welchem 
sie  sich  aufgehalten  haben.  Man  vergl.  nur  die  Arti- 
kel Polniy  Gneseny  Pragy  Premelau  u.  s.  w.  Hätte 
er  die  betreffenden  Männer  ihrem  herkömmlichen  Na- 
men nach  wenigstens  an  ihrem  Platze  aufgeführt  und 
auf  die  neue  Stelle- hingewiesen,  so  würde  er  den  Le- 
sern das  mühselige  Aufsuchen  der  einzelnen  Artikel 
erspart  haben.  Denn  wer  kann  z.  B.  Ahron  den  üTo- 
räer  unter  Nikomodeo  finden  f 

Zur  Probe,  wie  er  das  Original  behandelt  hat, 
wählen  wir  zuerst  eine  Stelle,  die  zu  den  besseren  ge- 
hört. S.  165  bei  David  Kimchi  heifst  es:  „Unter 
den  wenigen  uns  bekannten  Schicksalen  seines  Lebens 
finden  wir,  dafs  er  mit  Eifer  die  Partei  Maimunie  (nach 
der  neuen  Onomatologie  des  Hrn.  H.  statt  Maimoni' 
des)  in  dessen  Streite,  mit  den  Verfolgern  seines  Bu- 


*)  Cicerottis  Epist.  ad  Brutum. 

**)  Shakeip€are. 

♦♦*)  Bacine  und  CorneUU. 


ehest  Jtlere  Nebuehim  ergriff  und  Über  dieses  Bueh 
gelehrte  Disputationen  mit  Alfaear  hatte,  ferner,  dafs 
er  1232  in  einem  hinfälligen  Alter  zum  Schiedsrichter 
io  den '  über.  Maimunis  Orthodoxie  (im  Origbal  steht 
hiervon  nichts)  zwischen  den  spaniselien  und  fransB«- 
schen  Synagogen  entstandenen  Zwistigkeiten  erwählt 
wurde,  woraus  hervorgeht,  dafs  er  in  diesem  Jahre 
noch  gelebt  hat  Die  Worte  „in  dessen  Streit"  lassen 
glauben,  es  hätte  Maimonides  selbst  den  Streit  geführt. 
Im  Original  heifst  es  aber  nur:  „egli  prese  na  vivo 
impegno  a  favor  del  Maimonide  contra  gli  impugsiUori 
del  suo  More.*'  Der  Streit  ist  übrigens  erst  ein  Vier^ 
teljahrh.  nach  des  Maimonides  Tod  gefuhrt  worden. 

In  demselben  Artikel  S.  167.  8)  heifst  es  i  y^Blieh' 
My  eine  in  der  That  sehr  ausführliche  und  vollstän- 
dige hebräische  Grammatik.  Sie  wird  vorzugsweise 
unter  diesem  Titel  verstanden,  den  unser  Autor  auch 
seinem  Lexikon  gegeben  hat  und  hat  zwei  Theäs^ 
Dergleichen  Unrichtigkeit  wird  Keiner,  der  sich  irgend 
mit  der  Gesch.  der  helHr.  Gramm.,  beschäftigt  hat,  Tor* 
bringen,  geschweige  dafs  wir  sie  dem  gelehrten  De 
Rossi  zutraueu  sollten.  Vernehmen  wir  diesen,  so  sagt 
er:  „Michlol,  perfezioncy  gramatica  ebraica  assai  dif* 
fusa  e  veramente  perfetta.  Cosi  s'intende  ora  speciai- 
mente  sotto  quel  titolo  estesa  dalPautore  ancb'al  les- 
B\CQ  facendone  due  parti.**  Kimchi  nämlich  begreift 
unter  Michlol  Grammatik  und  Lexikon  $  nennt  aber 
zur  Unterscheidung  die  Grammatik  den  ersten  Theil 
(auch  p^lpin  p^n)  und  das  Lexikon  den  zweiten 
Theil  (auch  y^2VT\  p^Pl)  des  Michlol;  folglich  bat 
Michlol  zwei  Theile,  nicht  aber  die  Grammatik.  Auch 
hätte,  da  perfezione  nicht  übersetzt  ist,  Hr.  H.  eben- 
falls veramente pcrfetta  unübersetzt  lassen  sollen.  Einen 
weit  grörseren  Fehler  begeht  der  Uebersetzer  bei  Jos. 
Kimchi  S.  169.  5).  Hier  heifst  es;  „Ein  Kommen- 
tar zu  dem  Prediger,  Ruth  und  Esra,  handschrifUich 
im  Escorial,  mit  InbegriiF  der  Sprichworter.  Wolf 
nennt  Tbl.  III.  S.  424,  noch  eineny  hinter  einem  band- 
schriftlichen  Katalog  dieser  Bibliothek  u.  s.  w.**  Was 
das  ^inoch  einen^^  heifsen  soll,  hat  sich  Hr.  H.  woU 
nicht  gefragt;  viele  seiner  Leser  werden  es  auch  nicht 
wissen,  nur  mögen  sie  es  nicht  dem  De  Rossi  zuschrei- 
ben, der  kein  dergleichen  Wort  hat.  Aber  dafs  die 
Herren  im  Esoorial  einen  so  seltenen,  odw  gar  einzi- 
gen Kodex  hiihter  den  Katalog  ihrer  BiUiotbek  bin* 
den  sollten,  mufs  Jedem  etwas  zu  spanisch  vorkonameo  1 


/    f 


7^  ß^ 

»kl  ra  (ieA  gansen  DogUlck  dieser  Debefsefzaog;  Ut 
mifflYersf aodeb»  W6rlcben  dietr^  Schald.  4in  Ori- 
giaat  uftmlich  heifst  es:  ,,5*  Comento  sepra  t^EccIe- 
siaste,  Rat  ed  Esra,  ms.  neu*  Escuriale  unitjimente  ai 
proverbi.  Lo  porta  il  Wolfio  T.  111.  p.  424.  dietro 
a  an  catalogo  ms.  di  qnelia  biblioteca.'*  Dietro  be- 
deutet hier,  wie  öfter,  nict  hinter^  post,'  sondern  nach 
als  gemä/iy  ^ecunduMy  telon^  and  De  Rossi  will  nur 
0ageti,  dafs  «r  diese  Angabe  Wolf  verdankt,  der  sie 
naeA  einem  baadscbriftl.  Katalog  der  Bibliothek  im 
EsiBorial  in  seine  Bibl.  hebr.  aufgenommen  hat.  Ein 
Blick  auf  des  letzteren  Worte  selbst  würde  dem  Uebers. 
keioea' Zweifel  Ober  den  Sinn  De  Rossis  übrig  gelas- 
sen haben.  Wolf  sagt  nämlich  I.  c.  ,,Commentarios 
Aostri  Mss.  in  Ecclesiasten,  Ruth,  Proverbia  et  Esram 
fn  bibliotheca  Scorialensi  exstttisse  didiei  ex  eata^ 
iogo  Mm.  iUiu$  bibttotheeae^  t/uem  manu  exaratum 
Aaieo.** 

Whr  begnügen  nns,  nur  noch  eine  Stelle  anzufüh- 
MD,  die  wenig  TOn  der  Sorgfalt,  sowie  von  der  Sprach- 
und  Sachkenntnifs  des  Hm.  Uebers.  zeugt.  •  Wir  mei- 
oen  in  dem  durchaus  verunglückten  Artikel  Dior  S. 
91  die  Worte,  welche  ein  falsches  Licht  auf  das  Le- 
ben und  den  Tod  dessen  werfen,  der,  als  der  Patriarch 
der  jüdischen  Litteratnrgeschichte,  von  einem  Bearbei- 
ter derselben  doch  wohl  mehr  Beachtung  verdient  hätte. 
De  Rosai)  der  sidi  gern  wörtlich  an  nnsem  Wolf 
acbüefst,  sagt  von  jlbraham  ben  Dior:  „finalemente 
fe  ucoiso  in  patria.  per  motivo  di  religione."  (Wolf: 
^^Toleti  illam  denique  religionis  causa  interfectum  esse 
etc.  *  ^O  Hr.  H.  giebt  ganz  Verkehrtes,  indem  er  die 
ai^r  deutlieben  Worte  übersetzt:  ^^Endlich  ver- 
liefe. er  Mein  Vaterland^  um  seine  Retigion 
mu  V  er  ander  m^*  Er  hat  onglücklicher  Weise  ucciso 
Ar  ttsbito  genommen,  bei  per  motivo  nur  an  muovere' 
gedacht,  in  patria  übersetzt,  als  wenn  es  „e  patria" 
hiefae^  und  so  aus  dem  Märtyrer  einen  Apostaten 
gemacht. 

Das  sehr  kleine  DruckfeMerverzeichnifs  könnte 
noeh  un  Vieles  vermehrt  werden;  doch  wir  wollen  nur 
einige  der  störeadst^n  aafiihren.  S.  169.  2)  wird  ge- 
sag^y  der  Kommentar  zum  Jcremias  läge  handschrift- 
lich 9,m  der  BibHoi/iek  von  KftrlacAer\^  es  mufs 
beifaen  „in  der  Dorlacher  Bibliothek'*  (nella  biblioteca 
di  Dorlach).  Ebendaselbst  6)  ist  Adonai  statt  Adonia 
xa  lesen.    S.  262  wird  von  der  Grammatik  Petach  De* 


\i  hietorhtikee  PFUrierliueh  der  jüdiMohe»  SeArißstellH^. 


72« 


bari  gesagt,  dafs  sie  von  elnigea  Bibliographen  dem 
M.  Kimchi  zugeachrieben  wird.  Hierzu  findet  sich  fot 
gende  Nöte:  „So  bei  Jnsifon  und  Juchasin.  Den  Ja- 
den  wurde  er  zuerst  bekannt  durch  David  Provenzale.^ 
Rabbi  nennt  ihn  zuerst  Juda  Muscato.  f!**  S.  110 
bei  Oanach  ist  schön  in  der  Ueberaohrifl;  gefehlt; 
Hr.  H.  selbst  schreibt  an  anderen  Steilen  den  Namea 
richtiger  OannacA^  obgibich  er  nach  der  Analogie  sei- 
ner Schreibung  der  hebräischen  dagessirten  Bnchsta- 
ben  den  mit  Teschdid  versehenen  arabischen  nicht  für 
einen  doppelten  nehmen  dürfte.  Als  Druckfehler  wol* 
len  wir  das  Wort  Mervan  in  der  ersten  Zeile  dieses 
Artikels  betrachten.  De  Rossi  sagt  Merino  und  will 
damit  nur  andeuten,  dafs  ihn  die  Juden  sowohl  Rabbi 
Merinue^  wie  Rabbi  Jona  ben  Gannaeh  nennen. 
Mervan  Abul  Walid,  sagt  De  Rossi  weiter  unten  rich- 
tig, ist  sein  Name  bei  den  Arabern.  Eben  daselbst  ist 
in  Kitab  Aa-Ztama  das  ha  unrichtig,  da  der  arabi- 
sche Name  ja  einen  arabischen  und  nicht  hebrftischea 
Artikel  hat.  Auf  der  vorletzten  Zeile  in  Ikkare  Mu 
lot  widerspricht  sich  die  Schreibart;  entweder  mufs  im 
zweiten  Worte  das  dagessirte  S  als  ein  Doppelbuchr 
Stabe  genommen  werden,  wie  dies  im  ersten  Worte  bei 
dem  p  geschehen  ist,  oder  es  haften  mit  mehr  Kon- 
sequenz beide  Buchstaben  einfach  genommen  werden 
sollen.  S.  230  schreibt  übrigens  Hi*.  H.  wieder  Millot 
und  ebenso  S.  145  Megillot  für  das  hebräische  Hl^SO. 
S.  73  bei  CAajug  4)  ist  einmal  RikcAa  statt  Rikma  zu 
lesen.    S.  79  Z.  3  v.  u.  ist  CAaedai  st.  CAariei  zu  lesen. 

Von  der  Uebersetzung  wenden  wir  uns  zum  Ori- 
ginale, dessen  grofse  Vorzüge  im  Ganzen  anerkannt 
sind,  dessen  einzelne  Schwächen  aber  noch  eine  Ver- 
besserung erwarten. 

Der  aufserordentliche  Dichter  Salomon  ben  Cro- 
biroly  dessen  Leben  von  der  Dunkelheit,  dessen  Tod 
von  der  Sage  umgeben  ist,  wird  S.  108  unter  Gabiroi 
als  im  Uten  Jahrb.  blühend  ausführlich  besprochen. 
S.  284  dagegen  wird  er  unter  .dem  Namen  Salomo 
als  ein  ganz  anderer  im  12ten  Jahrb.  lebend  aufge- 
führt. Der  Uebersetzer,  —  bei  dem  wir  hier  Marino 
als  Druckfehler  sX^Xi  Morinus^  „bringt"  als  undeutsoh 
und  „Anweisung  des  hebräischen  Stjls''  als  unge- 
schickt rügen  müssen,  —  zeigt  in  seiner  bibliographi>>  i 
sehen  Anmerkung,  dafs  er  ihn  als  den  wahren  Salo- 
mon ben  Gabirol  erkennt  und  läfst  ihn  dennoch  als 
Doppelgänger  auftreten. 


727 


De 


histarueheM  ff^UriueA  der  judieeken  Sehriftet^Ur. 


Bei  Jos.  Kimchi  S.  169  heifst  es ,  dafs  •  berfibtnfe 
Mämier)  wie  Michaelis,  Bruns  und  Aodere  gewünscht 
hätteo,  dafs  die  Handschriften  des  J.  Kimchi  ,,yeni8- 
sero  ricercati  con  diligenza,  e  dissof  terati  e  pubblicati.'' 
(Br.  H.  ungenau:  ^^sie  h&ufiger  benutzt  und  der  Oef- 
fentlioblceit  übergeben  2u  sehen."  Besser:  ^^dafs  sie 
sorgfältig  aufgesucht,  beryorgezogen  und  Teröffentliobt 
vürden.'O  Und  nun  zählt  De  Rossi  die  einzelnen  Kom- 
mentare auf  und  bemerkt  bei  N.  4.),  dafs  Bruns  den 
Kommentar  xum  Boheti  Liede  im  12.  Th.  deM  orieu" 
taiücAen  Repertariume  *)  lobte^  und  wUnMcAte^  dafs 
er  gedruckt  werde.  Hören  wir  aber,  wie  Bruns  da- 
selbst S.  283  diesen  Kommentar  lobt  und  wie  er  des* 
sen  Veröffentlichung  wünscht.  „Ich  habe,  sagt  er,  un- 
ter den  vielen  rabbinischen  Manuskripten  auf  der 
Bodiejanischen  Bibliothek  zu  Oxford  nur  einen  Kom- 
mentar vdn  R.  Jos.  Kimchi  vorfinden  können;  und 
zwar  ist  dieser  über  das  Hohe  Lied  Salomonis.  Es 
ist  der  Codex  Marschalli  73.  Ich  bin  aber  gewifs, 
4af8,  wenn  dieser  Kommentar  ganz  oder  auszugsweise 
herausgegeben  würde,  er  der  Erwartung  der  Oelehr* 
ten  keineewegee  entsprechen  würde  u.  e.  w.  Der 
Verf.  allegorisirt  von  Anfang  bis  zu  Ende  u.  s.  w." 
Indefs  möge  man  von  J.  Kimchi  besser  denken  und 
diesen  Kommentar  seinem  Gescbmacke  und  seiner  Kri- 
tik nicht  aufbürden.  In  einer  von  dem  Rec.  bald  zu 
vertfffejitJicbcnden  Schrift  über  Jbul  fValid^  die  drei 
Kimchi  und  andere  ältere  Grammatiker  *"*")  hofft  er  bis 
zu  einem  hohen  Grade  von  Wahrscheinlichkeit  zu  be- 
weisen,' dafs  der  tüchtige  Narbonnenser  J.  K.  nicht  der 
Urheber  eines  solchen  Kommentars  sei.  S.  235  lesen 
wir:  „Mose,  ein  Grammatiker..  ..  Verf.  des  Horo' 
jot  ha-Korcy  eines  alten,  von  Jehuda  ben  Bileam  ..•• 
angerührten  Buches."  Drei  Zeilen  tiefer  heifst  es: 
9,Nur  das  erkennt  man,  dafs  er  später  als  Aben  Esra 

^)  De  Rbssi  meint  das  Repertorium  für  bibl.  und  morgenllin- 
dische  Litteratur  t.  Eichhorn,  und  sein  Uebers.  behält  die 
imgenaue  Benennung  bei. 

**)  Auch  in  dem  Anhange  zu  der  von  demselben  in  Gemein- 
schaft mit  Hrn.  J.  II.  K.  Biesenthal  besorgten  kritischen  Aus- 
gabe des  Lexikons  ron  Dar..  Kimehi  wird  in  der  Kürze 
darüber  gesproehen  werden. 


•  • 


728 
•  gelebt  bat**  Also  T<m  Jehuda  ben  Bileam,  der 
lange  vor  Aben  Esra  lebte,  ward  unser  Mose  ange- 
führt und  soll  dennoch  später,  als  Aben  Elsra  gelebt- 
haben ! 

S.  258,  6)  soll  Penini  Jedc^a  ein  Mibehar  h- 
Peninim  in  arabischer  Sprache  geschrieben  und  Je- 
kutla  Ibn  Tibbon  es  ins  Hebräische  fibersetzt  haben. 
Allein  J.  Ibn  Tibbon  bat  150  Jahre  Yor  Penini  ge- 
blüht,  und  dieser  hat  schwerlich  arabisch  geschrieben. 
Indefs  begeht  selbst  Munk  in  seiner  „Notice  sur  Rabbi 
Saadia  Gaou**  Paris  1838.  S.  19.  diesen  Anachrmüi- 

UIUS. 

Die  von  De  Rossi  S.  73,  5)  ausgesprocbene  Mei- 
nung, dars  Jehtsda  Chiug  auch  ein  Wörterbuch  der 
hebr.  Sprache  geschrieben  hab^  ist  xwar  auf  die  Aao> 
torität  des  Parchon  gestützt  \  dennoch  bedarf  sie  ei* 
ner  genauen  Prüfung«  Aben  Esra  säblt  die  hioteilas- 
senen  grammatischen  Werke  J.  Chiugs  genau  auf, 
thut  aber  keines  Lexikons  Erwähnung;  eben  so  wenig 
Dav.  Kimchij  der  die  Werke  «A  CA,%  sehr  oft  Domt 
und  benotzt  \  ja  selbst  aus  ParcAone  Vorrede  (die  vir 
nach  dem  Wiener  Codex  von  -  der  Hand  unseres  Freun- 
des, Hrn.  Dukes,  vor  uns  haben)  scheinen  Zweifel  über 
die  Existenz  desselben  hervorzugehen.  Wir  stdlen 
hierüber  zwei  Vermuthungen  auf;  entweder  haben  Ab- 
schreiber \0^in  p  min>  (was  öfter  für  Tö^p's'^ 
vorkommt)  mit  JVn  Tn\Tf^  verwechselt,  oder  es  ist 
unter  Wörterbuch  das  alphabetische  Wörterveneicb- 
nifs  zu  verstehen,  welches  in  den  Grammatiken  dd 
Alten  sowohl  beim  Verbum  als  beim  Nomen  and  be- 
sonders bei  den  unregelmäfsigen  gewöhnlich  ist. 
Kifncki  hat  deren  mehrere  im  Miohlol  und  citirt 
seiner  Berufung  darauf,  als  wäre  es  aus  einem  Le 
kon,  indem  er  sagt:  „whr  haben  schon  in  der  Gra 
matik  davon  gesprochen  in  seiner  fFur%i 
(Wntoa).  So  citirt  er  auch  sehr  oft  die  Worte 
nes  Vaters,  der  ebenfalls  kein  Wörterbuch  gesebii 
ben  bat.  Vielleicht  könnte  durch  Vergleichang 
bei  de  Rossi  angeführten  Stelle  in  andern  Handschrii 
ten  Parchons  etwas  unsere  Vermuthnng  Bestätigenl 
oder  Widerlegendes  gewonnen  werden. 


(Der  Beschlufs  folgt.) 


J  a  h  T  b  ü  c  h  er 

für 

w  i  s  s  e  n  schaftliche    Kr  i  t  i  k. 


November  1839. 


Historisches  Wörterbuch  der  judischen  Schrift-^ 
steller  und  ihrer  Werke  von  O.  B.  De  Rossi. 

^  (ScMofii.) 

Von  J.  ChiDg  möge  un«  noch  der  Ueberganrg  %n 
seiiiem  unnittelbaren  Nachfolger  in  Verbreitung  kriti- 
scher Sj^rachstudien. gestattet  sein.  Wir  meinen  Jona 
ben  Gannaeh  oder  Abul  fValidy  bei  dem  vir  einen 
Attgenblick  verveilen  wollen.  Dieses  schöne  Gestirn 
am  linguisfiscben  Himmel  durchsfrdmte  mit  irohlthäti« 
gem.  Lichte  alle  sprach  wissenschaftlichen  Bestrebungen 
des  Uten,  12ten  und  13ten  Jahrhunderts,  und  wurde 
unsichtbar,  seitdem  seine  Trabanten  Aben  Esra  und 
Kimchi  sich  vor  dasselbe  stellten.  Erst  Ed^Poeocke 
tnnfste  ihn  wieder  entdecken  nnd  Gesenius  der  Vereh-i 
mog  unserer  Zeit  empfehlen.  Uns  möge  hier  nur  so- 
Tiel  fibeV  den  aufserordentlichen  Mann  zu  sagen  ge- 
stattet sein,  als  zur  Berichtigung  De  Rossis  nöthig 
ist.  Unter  dem  Art.  Giona  ben  Gannaeh  wird  gesagt, 
dafs  er  im  J.  1121  lebte.  Diese.  Zeitangabe  hat  sich 
4nrdi  eine  mifsverstandene  chronologische  Stelle  des 
Schalseheleth  Hakkabala  in  Wolfs  Bibi.  hehr,  einge- 
scblichen  und  bis  auf  die  Ute  Aufl.  dei^  Gesenischen 
Gramm.  (1834)  fortgeführt.  Schon  vor  mehreren  Jah- 
ren hat  der  von  einer  bewundernswürdigen  Kritik  ge? 
^äiXeXe^^Rapoport  bis  zur  Unwiderleglicbkeit  bewiesen,, 
dafs  Abni  Walid  wenigstens  um  1050  schon  als 
Schriftsteller  bekannt  war.  Er  benutzte  zu  seiner  Be- 
ipreisfiihmng  den  in  der  kaiserlichen  Bibliothek  zu  Wien 
sich  befindenden  Kodex  des  Parcbon'schen  Lexikons, 
in  dessefr  Vorrede  unwillkürlich  das  wichtige  Faktum, 
erzählt  wird,  dafs  Abul  Walid  eine  litterarisohe  Fehde 
mit  Samuel  Hannagid  bestand,  dessen  Tod  von  jalien 
HiBtorikern  einstimmig  in  das  Jahr  1055  gesetzt  wird. 
Iljlerkwüritig  genug  fuhrt  De  Rossi  dieselbe  Stelle  ans 
seinem  Kodex  des  Parchon  Muter  Giona  ben  Gannaeh 
anwohne  zu  ahnen,  dafs  ihr  zufolge  von  der  Jahrzahl 
Jahrb.  f.  unuenKk.  Kritik.  /.  183i).  H.  Bd. 


1121  über  ein  halbes  Jahrhundert  abgezogen  werden 
müsse.  Sicherlich  aber  läfst  sich  aus  Parchon  noch 
ein  höheres  Alter  fiir  Abul  Walid  gewinnen.  Es 
heifst  nämlich  an  der  angeführten  Stelle,  dafs  jene 
litterarische  Fehde  den  Dichter  Salomon  ben  Gabirol 
zu  seinem  grammatischen  Versuche  in  400  Versen  ver- 
talafst  habe.  Sah  ben  Gabirol  aber  schrieb  sein  phi^ 
losophisches  Werkchen,  *}  wie  De  Rossi  in  seinem 
Diz.  degli  aut.  arabi  durch  einen  dritten  Kodex  bestä- 
tigt, im  Jahre  1045$  seinen  grammatischen.  Versuch, 
der  jenem  Werkchen  ohne  Zweifel  vorausging,  schrieb 
er,  wie  er  in  depi  Versuche  selbst  sagt,  in  ein'em  Al- 
ter, von  19  Jahren.  Nehmen  wir  selbst  an,  das  erstere 
sei  in  seinem  18tea  Lebensjahre  geschrieben,  so  müfste 
er  1027  geboren  sein  und  dann  fiele  die  Abfassungs- 
zeit des  grammatischen  Gedichtes  auf  1046.  Daraus 
geht  nothwendig  hervor,  dafs  die  Streitschriften  Abul 
Walids  vor  1046  entstanden  sein  müssen.  Die  Folgen 
der  Annahme  eines  höheren  Zeitalters  seiner  gelehrten 
Thätigkeit  sind  für  die  Geschichte  der  faebräisched 
Litteratur  überhaupt,  für  genauere  Würdigung  seiner 
Verdienste  insbesondere,  so  wie  für  die  von  ihui  an- 
geführten Autoren  von  unbestreitbarer  Wichtigkeit.  — 
Ein  anderer  seit  Pococke  fortgepflanzter  Fehler  ist 
die '  Aussprache  und  Uebersetzung  des  Namens  der 
Grammatik   n^\  \^^  V^^*^  -    ^^  Rossi  liest  mit  sei- 

neu  Vorgängern  ;t»Jüf  =9  und  übersetzt  demgemäfs 


libro  dello  splendore  (libcr  splendoris);  allein   diesem 
widerspricht  schon   die  Uebersetzung  des   Wortes  in 

das  Hebräische  HSp")  opus  phrjgionicnm,   durch  Je^* 

huda  Ihn  Tibbon,  der  die  wörtliche  Treue  im  Ueber- 
setzen  sich  zum  strengsten  Gesetz  gemacht  hat.    Es 


*)    In  der  UeberBetzung    des  J.   ben  Tibbon    ni*lD   pPH 
\I)D3n   genannt 

92 


731 


De  JUttii  Aüt0rüeAM  ff^rttr&mk  der  jÜieeAem  SeArifteteiler. 


mufs  Tielmehr  ftjüf  ^3  gelesed  und  etwa  Mwr  po- 
riegaiionif  fibersetzt  werden.  So  liest  Pärchen  an  der 
mehr  erwähnten  Stelle  VOS«  und'  so  will  Abul  Wa- 
lid  selbst  das  Wort  erklftrt  wiBsen^  indeia  er  seine 
Grammatik  mit  ihren   mannichfachen  Kapiteln  jenen 

bnntblumigen  Anen  yergleioht,  die  im  Arabischen  ft^J 

gepanni  werden«    (Siehe  Mupk  a.  a.  0.  S.  12«) 

Die  Pariser  Handschrift  der  Grammatik  ist  nicht| 
wie  man  aua  De  Rossi  glauben  könnte,  in  der  Origi- 
nalspracbe^  Bondern  in  hebräischer  IJebersetzung. ,  Job. 
Morinus  sagt,  sie  sei  die  Uebersetsung  eines  Judaeus 
quidam.  Indessen  braucht  man  nur  Ton  und  Aus- 
drucke der  Vorrede  mit  der  Vorrede  des  Jeduha  Ihn 

• 

Tibbon  su  seiner  Uebersetzung  des  Buches  TOyc\ 
Jn\3SnT\  zu  yergleichen,  um  diesen  fleifsigeu  üeber* 
«etzer  sogleich  darin  wieder  zu  erkennen. 

Bei  der  Angabe  der  Schriften  Abnl  Walids  nach 
Zahl  und  Namen  ist  De  Rossi  weniger  genau,  als  bei 
den  unbedeutendsten  Schriftstellern.  Wolf  ist  genauer, 
aber  auch  bei  ihm  sind  sie  nicht  sämmtiich  angegeben, 
Und  die  angegebenen  nicht  nach  der  muthmafsUcben 
Zeit  ihrer  Abfassung  geordnet.  Auch  sind  dort  nur 
die  Titel  der  hebräischen  Uebersetzungen  aufgeführt. 
Wir  fürchfen  daher  nicht,  dafe  man  es  für  überflüssig 
halten  wird,  wenn  wir  in  diesem '  Punkte  berichtigen 
imd  ergänzen»    Das  Iste  bekannte  Werk  ist  \^JCKi 


nau  liier  iupplementi  sive  spieilegif).  Es  enthält 
kritische  Bemerkungen  und  Nachträge  zu  Jeduha  Chiugs 
grammatischen  Monographien  über  die  Verba  quiescen« 
tia  und  geminantia.  Es  ist  handschriftlich  zu  Oicford 
Cod.  Pocockel34.  Nie.  IL  cod.  XII.  Der  Name  der  he- 
bräischen,   nicht  mehr  Torbandenen  Uebersetzung  ist 

Das  2te  Werk  heifst^^yjjcjf  ^\j£=>  liber  pu. 
de/hetüfUMy  besser  wohl  conßitationü^  ^^Bueh  der 
Beeckämmt^g  oder  eigentlich  Zurec/itweuung\''  hehr. 
nohsnn  "IBO  »  Original  und  Uebersetzung  sind  nicht 
ttiehr  vorhanden.  Es  enthielt  eine  Antikritik  gegen 
den  der  afrikanischen  Schule  J.  Cbiug's  ergebenen  ^a- 
mtiel  Hannagidy  welcher,  seinen  Lehrer  Chiug  in 
Schutz  nehmend,  gegen  das  vJtacxUXAA^  und  seinen 
Urheber,  den  Repräsentanten  der  spanischen  Schule, 


738 
auftrat.  Wahrscbeinlieh  war  die  Haltung  des  gelebr- 
ten  und  reichen  Emir  etwas  Tomebm  biUer  (wir  k^a. 
neu  dies  aus  Parohons  Worten  vielleicht  entnehmen), 
wodurch  Abul  WaUd  zu  einer  energischen  Enfgqpiiuig 
veranlafst  wurde« 

20[^f  LKVV  cj^f  T}^*  Epistobi  monitionis,  quanl 
scripsit  Abul  Walid  MervAn  ben  Gannach,  ad  quos- 
dam  fratres  sucsj  hebr.  mynn*0  handschriftl.  za 
Oxford  Nie.  II.  Cod.  XIII,  2.  Es  ist  ganz  kurz  mid 
gehört  noch  zur  Polemik  gegen  die  afrikanische  Schole. 
4)  ^J^M^df  v.^Ax^  Über  conciliationis ,  hand- 
schriftlich in  Oxford  Nie  XIII,  3.$  hebräisch  "1B0 
T(A"\^7{Ti  hat  abermals  die  Widerlegung  der  Ein  würfe  g» 
gen  sein  OtarüLJCMMO  ram  Zweck,  und  ist,  wie  man  sobm 
aus  dem  Titel  schliefsen  darf,  in  versahnlicberemTonaii 
•'•*-  geschrieben. 

jA^Mjdfj  L^Ä^J^f  &JL.J  Epistola  appropia. 
ijuatiouis  et  complanutionis  (infroductionis?)  hebräisdi 
"^IW^ni  SITpn'O«  Eis  ist  gewissermafsen  eine  gram- 
matische Vorschule,  in  welcher  schwierige  Stellen,  des 
J.  Chiug  den  Lernenden  zugänglich  gemacht  werden. 
Der  Mi.  war  bei  Abfassung  dieser  Schrift  nicht  mehr 
in  Cordova.    Es  bildet  den  Uebergang  zu 

6)  ^fi^  oVX^a  liber  variegationtM   und 

7j  Jlyo^f  i^lvf— >  liier  radicumy  seinea  Icti- 
ten  und  grtffsten  Werken  im  Fache  der  Grammatik) 
deren  nähere  Beschreibung  jedoch  wir  ebem  aadern 
Räume  ersparen  müssen. 

Dafs  Abul  Wälld  auch  als  medjcinischer  Schrift- 
steiler  auftrat,. erzühlt  Jxn^Jbn  Oeaiia  in  seinem, noch 
nngedruokten,  Werke  de  Vitis  medicomm,  wo  (fei.  194 
im  Oxforder  Exemplar,  im  Pariser  fol.  92.)  das  Werl 
de  medicamentia  simplicibtts  und  sein  Verf.  (dort  JT^yv 
van  ten  GanttaeA)  sehr  gelobt  werden.  Wir  ghNh 
ben  dieses  Bach  auch  in  J6n  Beitmr  benutzt  zu  ae^ 
hen.  Es  ist  nicht  mehr  vorhanden.  Der  bei  Css« 
P.  I.  Cod.  DCCCLV,  4.  mit  den  Worten  anfgefnlirte 
TractatUM  de  eimplieibue  medieameHtia  auetore  ith 
eerte  ist  vielleicht  identisch  mit  dem  unsrigen. 

Munk  theilt  a.  a.  O.  S.  13  eine  merkwttrdige 
Glosse  aus  einem  im  13ten  Jahrb.  gesdiriebenen  Codex 
des  More  Nebuchim  mit,  woraus  hervoriugeben  seheint 
dafs  Abnl  Walid  auch  gegen  das  System  derer»  w* 


TSrmmiT^  BiMhtkifu^  mmMemike  etc. 


734 


die  die  BwigkeU  der  Materie  (oh^VTt  HIO^p)  behanp. 
teoy  gesohrieben  habe,  Maimonide«,  der,  Torgeblieh^ 
aelbat  in  dieser  OloMe  spricht,  meint  aber  wohl  kein 
bes.  Werk,  sondern  die  in  Ab.  Wal.  Sobriften  xer- 
streuten  Gedanken  über  diesen  Punkt,  "irie  z.  B.  dent- 
iidi  in  der  Wnnel  DUO.  Dafs  Mainronides  das  Lexi- 
ken des  Ab.  Wal.  yerglichen,  ist  bekannt.  'So  nennt 
auch  Jedaja  Happenini  in  seinem  HlhstSm  SHS 
Ab.  Wal.  einen  Logiker  nnd  Naturphilosophen,  weil 
er  Tiele  philosophische  Gedanken  in  seinem  nODl 
niedergelegt  habe.  Hfttt^  Ab.  Wal.  ein  eigenes  philo- 
sophisches Werk  geschrieben^  so  wfirde  es  Jed.  Happ. 
gekannt  und  genannt  haben. 

Bei  dieser  Gelegenheit  machen  wir  auf  noch  einen 
Fehler  De  Rossis  aufmerksam,  welcher  behauptet,  Ab. 
WaL  werde  yon  H.  Salomon  ben  Aderet h  in  seinen 
Reohtsgntaohtcn  genannt ;  allein  es  ist  der  eben  genannte 
Jed.  Uapp,y  welcher  ihn  in  seinem,  in  die  Sammlung 
jener  Recbtsgutachten  aufgenommenen,  Sendschreiben 
anfährt,  nicht  aber  R.  Saiomon  selbst,  welcher  über- 
haupt auf  Philosophen  und  Grammatiker  keine  grofsen 
Stücke  hielt. 

Wir  wünschen,  dafs  der  Hr.  Uebersetzcr ,  bald  eine 
zweite  Auflage  zu  veranstalten  im  Stande  sein  und  dars 
es  ihm  gelingen  möge,  in  dieser  seine  Ansprüche  auf 
den  Beifall  und  den  Dank  des  gelehrten  Publikums 
sa  Tormehren,  und  die  Worte  ]>e  Saoy*s  zu  rechtfer- 
tigen, der  das  Original  nennt:  „un  ouvrage  dont  il 
snffit  de  nommer    l'auteur  pour  en  garantir  l'exacti- 

tnde." 

F.  S.  Lebrecht. 


XLvin. 

BibUotkefue  americame  Qu  catahgu^  des  üutra^ 
g9t  relatifs  d  PAmeriquej  qui  ont  paru  depuii 
$a  deamverie  jutqu'd  fmn  1700  par  H.  Ter- 
naux.     PariSj  1837.    8. 

VoyageSj  relattom  et  memoires  originaus  pour 

gervür  a  Fhistaire  dela  decouverte  de  TAme^ 

riquey  publies  pour  la  pr emier e  fois  enfran- 

gaisy  par  H.  Ternaux.    Paris,  1837.  u.  1838. 

IIS  8.  bisjetzt  11  Bände. 

Diese  zwölf  Bände  machen  em  fortlaufendes  Werk 
suia,    und  hängen  nur  durch  ihren  allgemeinen  Inhalt 


mid  deo  zweiten  der  Torstehenden  beiden  Titel  snsam» 
men,  welcher  jedepi  Bande  Torgedruckt  ist.  Was  der 
Herausgeber  über  Plan  und  Zweck  desselben  zu  sa- 
gen fiir  gut  gefunden  hat,  enthält  die  kurze  Vorrede 
ztt  dem  bibliographischen  Band«  > 

Hr.  Temaux  bemerkt,  dafs  die  Neugierde  des  Pu- 
biicums,  welche  sich  in  unsem  Tagen  allen,  über 
Amerika  erscheinenden,  Schriften  zugewendet,  in  der 
Zeit  der  Entdeckung  nnd  Eroberung  weit  gröfser  ge* 
wesen  sei.  Im  l&ten  und  löten  Jahrhundert  wäre  eine 
grofse  Reihe  wichtigier  Werke  erschienen,  die  sieh 
durch  ihre  Genauigkeit  auszeichneten,  und  deren  Wertk 
die  nensten  und  zuverläfsigsten  Berichte  immer  mehr 
nnd  mehr  bestätigten.  Die  meisten  davon  seien  ver- 
gessen; auch  wären  sie  gröfstentheils  in  andern  Spra- 
chen (als  der  französischen),  ersohienen,  oder  in  so 
aachläfsig  gearbeiteten  französischen  tlebersetzungen 
gedruckt,  dafs  man  das  Original  oft  kaum  mehr  zn 
erkennen  vermöge.  Ueberdiefs  erschwere  ihre  grofse 
Seltenheit  die  AnschaiTung  derselben.  Seine  Absicht 
sei  daher,  von  dieser  altem  Literatur  Alles,  was  ihm 
der  Kenntnifs  unserer  Zeit  wurilig  schiene,  nach  und 
nach  in  Uebersetzungen  bekannt  zu  machen.  Er  glaube 
die  Reihe  dieser  Publicationen  mit  einen  ^Verzeichnifs 
aller,  in  seinen  Kreis  einschlagenden,  Werke  begin- 
nen zu  müssen,  dasselbe  Jedoch  nur  bis  auf  das  Jahr 
1700  fortführen  zu  dürfen,  da  die  spätere  Literatur  in 
einem  ganz  verschiedenen  Geiste  geschrieben  sei.  Schon 
seit  Jahren  habe  er  daran  gesammelt  und  iit%  Bücher 
genauer  beschrieben,  als  die  Bibliographen  vor  ihm« 
Inders  wären  doch  manche  dieser  Werke  allen  seinen 
Nachforschungen  entgangen,  daßir  aber  Barbesa,  An- 
tonio,  Leon-Pinelo  und  Bärcia  nur  uiA  so  fleifsiger 
von  ihm  -benutzt  worden. 

Bs  ist  nicht  zu  verhehlen,  dafs  diese  Erklärung 
nicht  befriedigen  kann.  Mit  Recht  erwartet  man  an 
der  Spitze  einer  solohen  Saunnluag  einen  würdigen- 
den Ueberblick  der  vorzüglichsten  Werke,  die  sie  bil- 
den sollen,  und  eine  Entwicklung  der  Gmndsätze,  die 
in  ihrer  Auswahl  bestimmend  sind.  Diese  Einleitung 
mufs  gleichsam  die  Beglaubigung  enthalten,  dafs  der. 
Verf.  seiner  Aufgabe  gewachsen  ist. 

Der  Unterzeichnete  hat  sich  selber  mehrere  Jahre 
mit  dem  Gedanken  an  die  Herausgabe  einer  spanisch- 
amerikanischen  Bibliothek  getragen,  welche  die  wich« 
tigsten  Quellenschriften  für  die  Entdeckungen  und  £r- 


^ 


735 

oberangen  der  Spatiier  in  dem  neuea  Cootiuönt  in 
deutschen  UeberseUungen  umfassen  sollte ^  und  darf 
sich  daher  erlauben,  seine  Ansichten  in  dieser  Bezie- 
kuag  mitzutheilen. 

Wenn  es  auch  nicht  möglich  ist,  den  historischen 
Standpunlit  ganz  von  dem  geographisch -ethnographi- 
schen zu  trennen,  so  mufs  dotoh  der  erste  vorwaltend 
bleiben.  Es  kommt  darauf  ao,  dafs'der  Zustand  der 
Länder  des  neuen  Continents  zur  Zeit  der  Entdeckung 
und  die' Geschichte  ihres  Uebergangs  in  das  europäi- 
sche Colonial- System  in  den  Quellen-Schriften  vorge- 
legt werde»  Alle  mitgetheilten  Werke  müssen  daher, 
WO  möglich,  von  Augen-  und  Ohren- Zeugen  und  so- 
gar von  Mithandelnden  herrühren.  Gewährt  die  spat 
iiisobe  Literatur  in  dieser  Beziehung  auch  einen  grd- 
fsern  Reichthum,  als  die  Uuthätigkeit  der  spätem  Zei- 
ten dieses  Volks  glauben  läfst,  so  ist  damit  doch  eine 
i^ngemessene  räumliche  Grenze  gesteckt,  die  überall 

~  nöthig  erscheint,  wo  die-  Aufmerksamkeit  des  Publi- 
oums  in  einem  bestimmten  Kreise  gehatten. werden  soll, 
der  die  Tbeilnahme  nicht  ermüden  kann.- 

Wenn  in  diesen  Mittheilungen  die  chronologische 
Ordnung  schon  gleichsam  tod  selbst  j^egeben  ist,  so 
mtebt  sich  auch  die  geographische  Eintheilung  geltend. 
Und -dann  bildet  die  Quellen -Literatur  der  Antillen 
den  ersten, 'und  einen  überaus  reichen  Abschnitt.  Hier 
mufs  mit  den  unschätzbaren  Reliquien  von  Christoph, 
Colon  begonnen  werden,  die  in  den'  letzten  zwanzig 
Jahren  durch  das  Werk  von  Navarrete,  durch  den 
Cpdice  diplomatico-americano'von  Genua,  und  meh- 
rere' einzelne,  kleinere  Publicationen,  einen  ziemlich 
bedeutenden  Umfang  gewonnen  halben.  An  dieselben 
müfste   sich   das  Leben  des  grofsen  Entdeckers   an- 

'  schliefsen,  wie  es  von  seinem  Sohn  und  Begleiter, 
Don  Fernando  Colon,  geschrieben  worden,  und  nur 
noch   in  der    italienischen    Uebersetzuug    von  Alonso 

r  UUoa  auf  uns  gekommen  ist,  aus  der  es  in«  Barcia's 
Sammlung  zurück  übersetzt  wurde.  Alsdann  dürften 
umfassende  Auszüge  aus  Oviedo,    so /wie  die  Haupt- 

^  Actenstücke  über  die.  Eroberung  und  die  erste  Ver« 
waltungs  -  Periode  der  Antillen  bis  auf  die  Zeit  von 
Diego  Velazquez  folgen.  Den  Schlafs  müfsten  die  be- 
treffenden Decaden  des  Werks  von  Peter  Martyr  von 


Ternmux^  Bibltotkifue  am4ricaihe  4tt, 


T» 


Angbiera  bilden,  das  wegen  desJiiilserlichen  Standt 
puukt's  und  der  hohen  Bildung  seines  Verfs.,  beson» 
ders  aber  wegen  seiner  persSnlicben  VerbinduDg  mit 
Colon  und  den  ersten  Entdeckern  und  Eroberem  selbst, 
aus  deren  müudlictien  Erzählungen  und  schrlftUchon 
AufzcicknuQgen  aller  Art  er  schöpfen  durfte,  den  ent; 
schiedeasten  Werth  als  Quellenschrift  besitzt,  und  am 
treusten  den  gewaltigen  Eindruck  darstellt,  welcbeo 
die  plötzliche  Eröffnung  einer-  ganz  neuen  Welt  auf 
das  Zeitalter  derselben  gemacht  hat. 

Die  zweile  Abtbeiluug  würde  Neu -Spanien  umfas- 
sen müssen.  Sie  leitete  durch  die  Nachrichten  über 
die  ersten  Fahrten  von  Cordoba  und  Grijalva  naeh 
den  Küsteu  des  mexikanischen  Meerbusens  gleichsam 
die  Unternehmung  von  Cortes  ein,  und  begänne  solche 
mit  den  wichtigen  Berichten,  welche 'derselbe  an  Kai« 
ser  Carl  Y«  erstattet  hat.  Unmittelbar  an  die  officiel* 
Icn  Darstellungen  schlössen  sich  die  Denkwürdigkei- 
ten eines  der  tapfersten  Männer  des  kleineu  Grobe- 
rungs  -  Heeres,  des  Bernal  Diaz  del  Castillo,  die,  weui 
sie  auch  von  der  Befangenheit  eines  ganz  subjectiven 
Standpunkts  und  den  Eindrücken  eines  mannichfacb 
unbefriedigten  Lebensgangs  nicht  frei  sind,  doch  durch 
ihre  hohe  Naturwahrheit  eine  Beglaubigung  ansprechen, 
welche  wir  seinem  glücklichen  Anführer  nicht  immer 
zugestehen  können.  Nach  diesem  Werk  müfste  das 
von  Gomara  folgen,  welches  sich  schon  durch  die  Stet 
lang  des  Yerfs.,  als  eines  Haosgeistlichen  von  Cortes, 
empfehlen  würde,  wenn  es  auch  nicht  unverkennbar 
nach  Materialien  von  dessen  eigener  Hand,  ja  Tiel- 
leicht  gröfstentheils  von  Cortes  selbst  gearbeitet  wäre. 
Diese  verschiedenen  Werke  kfinnten  durch  die  Be- 
richte seiner  Offiziere  und  durch  die  Nachrichten  tob 
den  merkwürdigen  Expeditionen,  die  an  der  Westkfiste 
von  Amerika  und  auf  der  östlichen  nach  Florida  g»> 
macht  worden  sind,  vervollstöndiget  werden.  Es  wurde 
aber  ein  Material  von  einer- Vollst ändigkcit  dargelegt 
sein,  wie  es  in  grofsen  historischen  Ereignissen  der 
Vorzeit  nicht  wieder  zu  linden  ist,  wenn  auch  ditf 
verschiedenen  Werke  der  Eingebornen  mitgetheilt 
würden,  deren  Bekanntmachung  in  spanischen  Uebe^ 
Setzungen  Bustamente  in  Mexiko  selbst  begonnen  bat. 


(Die  Fortsetzung  folgt.) 


Jahrbfieher 


für 


wissenschaftliche    Kritik. 


November  1839. 


Bibliptheqtse  americaine  ou  catalogue  des  Ofs- 
rrages  relatifs  a  FAmeriquej  qu$  ont  paru 
depuis  $a  decouterte  jusqu^a  Fan  1700  par  H. 
Ternaux. 

Vayag€$y  relations  et  memoires  originaux  ponr 
Merrir  d  FAütotre  de  ia  decouterte  de  FAme^ 
rique^  publiei  pour  la  premiere  fois  en  fran^ 

fmn^  par  H.  Ternaux* 

* 

(Fortsetzung.) 

Man  wird  Jedoch  den  Gewinn  dieser  letzten  Werke 
als  Qaellensohriften  nicht  sehr  hoch  anschlagen  dürfen. 
Alle  diese  Männer  gehörten  der  Zeit  der  Bntdecl&nng 
md  Eroberung  nicht  mehr  selbst  an.  Sie  sind  sämmt- 
lich  schon  Zöglinge  der  Bildungs- Anstalten,  welche 
die  Spanier  mit  klager  Berechnung  frühe  fiir  den  jun* 
gen  Adel  des  eroberten  Landes  gegründet  hatten«  Die 
Vergangenheit  ihres  Vaterlands  steht  nur  in  mafsloscn 
Dlibertreibnngen  vor  ihnen  nnd  das  Vorurtbeil  gegen 
die  Eroberer,  welches  sie  mit  ihren  Lehrern,  den  Mis- 
nctoarien  des  Dominikaner-  und  besonders  des  Fran- 
makaner- Ordens  theilten,  hat  ihrer  Wahrhaftigkeit  ge- 
rade in  demjenigen  Theil  der  Geschichte,  wo  die  Ge- 
rechtfgkeit  allerdings  sehr  schwer,  aber  auch  nur  um 
so  Dothiger  war,  den  gröfsten  Eintrag  getban. 

Die  dritte  Abtbeilung  würde  sich  mit  Peru  be- 
sehftftigen,  und  mit  den  yerschiedenen  Unternehmungen 
beginnen,  welche  seit  der  Entdeckung  der  Südsee  durch 
Nunes  von  Baiboa  nach  dem  reichen  Goldlande  ge- 
Diaobt  wurden,  von  dem  man  seit  einiger  Zeit  dunkle 
Kunde  hatte.  Die  Entdeckung  und  Eroberung  von 
Peru  selbst  müfste  xunächst  mit  deih  wichtigen  Beriebt 
von  Pedro  Sancho  nud  dem  des  anonymen  OiTiziers 
bei  Ramnsio  eröffnet  werden.  Beiden  folgten  die 
Werke  von  Francisco  Xerez  und  von  Augustin  Zarate, 
und  die  Chronik  von  Peru  des  Piedro  Cic^a  de  Leon« 
Jdkrh.  /.  vfU%tn%tK  Kritik.  J.  1839.    II.  Bd. 


Das  Gänse  schlössen  umfassende  Auszüge  aus  den 
Werken  von  Garcilasso  de  la  Vega.  Auf  diese  Weise 
wftre  dem  Geschichtsforscher,  und  auch  jedem  gebil^ 
deten  Leser,  ein  umfassendes  Material  zur  Scihstprü- 
fung  groben.  Alle  Verf.,  mit  Ausnahme  des  Letzten, 
sind  Augen-  und  Ohren -Zeugen  der  Ereignisse.  Sa  t^ 
oho  und  Xerez  waren  Geheim  Schreiber  bei  der  Unter- 
nehmung selbst,  und  Zarate'n  hatte  Kaiser  Carl  V.  in 
der  Zeit  der  gefäbrliphsten  Bewegungen  des  Streits 
der  Eroberer  unter  sich  nach  Peru  geschickt,  um  durch 
einen,  ihren  Leidenschaften  und  Zerwürfnissen  frem- 
den, Beobachter  über  den  wahren  Stand  der  Dinge 
Aufschlufs  zu  gewinnen.  Wie  schon  bemerkt,  so  ist 
Garcilasso  de  la  Vega  zwar  nicht  selbst  Augenzeuge 
der  Zustände  des  Lands  bei  der  Entdeckung  und  sei- 
nes Uebergangs  unter  die  spanische  Herrschaft  gewe- 
sen; aber  sein  Vater  hatte  eine  bedeutende  Wirksam- 
keit in  der  Eroberung  gehabt,  und  seine  Mutter  war 
aus  dem  Königlichen  Gesohlechte  des  Landes  eotspros^ 
sen.  Dieser  Schriftsteller  verdient  überhaupt  eine  hd^ 
here  Würdigung,  als  sie  ihm  durch  Robertson  gewor- 
den ist,  der  sich  noch  immer  nicht  von  dem  alten  Geist 
der  Geschichtschreibung,  welcher  die  Kriegs-  Geschich- 
ten für  die  Hauptsache  absiebt,  loszumachen  verstan- 
den hat.  Bekannt  mit  der  Sprache,  mit  den  Sitten, 
mit  den  Gesetzen  und  mit  der  Geschichte  des  Lan- 
des, gibt  Garcilasso  einen  Reichthum  von  Material  für 
den  Alterthunis-  und  Geschichtsforscher,  welcher  erst 
in  der  Zukuuft  ganz  erkannt  werden  wird,  wenn  sich 
die  Wissenschaft  mit  dem  Ernst,  den  sie  der  Vorzeit 
des  alten  Contioents  gewidmet,  der  Geschichte  des 
neuen  zugewendet  haben  wird.  Eine  solche  Richtung 
manuicbfaltig  anzuregen,  mufs  das  Hauptziel  einer  ame- 
rikanischen Bibliothek  sein,  wie  sie  vorerst  zu  wün- 
schen ist.  Je  näher  die  Welt  demselben  kommt,  de- 
sto nothwendiger  wird  die  Ruckkehr  jlvl  den  Original- 
Werken  selbst  in  ihrer  Ursprache  sein.    Eine  gründ- 

93 


739 


Ternaux^  BibH^thSfue  amMeaine  ete. 


740 


liehe  GescbiehtsbearbeituDg  ist  niebt  möglicby  wenn 
man  die  Quellen  nur  üi  Uebersetzungen  kennt,  und 
sollten  sie  ancb  noch  so  gut  gearbeitet  sein. 

Mit  diesen  drei  Abschnitten  scUiefst  sieh  der 
wichtigste  Theil  der  Bibliothek  ab.  Alles,  was  von 
den  Spaniern  weiter,  besonders  im  südlichen  Amerika, 
gewirkt  worden  ilBt,  betrifft  Länder,  die  offenbar  auf 
einer  weit  niedrigem  Civilisationsstufe  gestanden  ha- 
ben, als  die  Völker  von  Neu -Spanien  und  Perul  In- 
defs  verlangen  die  Spuren  einer  früheren  und  unterge- 
gangenen Cultur  und  die  bedeutende  Zukunft,  welcher 
die  Columbischen  Staaten  und  die  Länder  am  Rio  de 
la  Plata  und  in  Chili  entgegen  gehen,  dafs  die  älte- 
sten Nachrichten  über  sie  mitgetheilt  werden.  Hier  er- 
öffnet dann  den  Reihen  der  Deutsche,  Ulrich  Schmid, 
von  Straubingen,  der  ülrioo  Fabro,  wie  ihn  die  Spa- 
nier nennen,  mit  dem  Bericht  über  die  Geschichte  der 
Expedition,  welche  1534  unter  Don  Pedro  von  Men- 
doxa  von  Cadiz  nach  dem  Rio  de  la  Plata  unter  Se- 
'gel  gegangen  ist.  An  ihn  schliefst  sich  die  Erzählung 
von  Pedro  Hemandcz  an,  welcher  den  Alvaro  Nunes 
Cabeza  de  Vaea  begleitete,  als  er  die  Statthalter- 
schaft der  Länder  an  dem  genannten  Strome  antrat. 
Für  Chili  wird  man  sich  wohl  mit  zweckmäfsigen  Aus- 
sügen  aus  den  Werken  von  P.  Alonso  de  Ovalle  be- 
gnügen müssen,  da  dieser  Mönch  die  besten^  Materia- 
lien gehabt  und  sie  auch,  naöh  seinem  Standpunkt, 
sehr  zweckmäfsig  benutzt  hat.  Endlich  mag  ^ür  die 
frühsten  Zustände  der  Länder  am  Amazonen -Strom 
das  Werk  des  Paters  Cristobal  de  Acuna  genügen, 
welches  nicht  so  selten  ist,  dafs  man  die  Mittbeilung 
desselben  nicht  an  ein  Werk  der  Art  federn  dürfte. 

Ich  bin  weit  entfernt,  zu  glauben,  dafs  aufser  den 
rangegebenen  oder  angedeuteten  Werken  nichts  in  eine 
solche  Bibliothek  aufgenommen  werden  sollte ;  vielmehr 
ist  von  Hm.  Ternaux,  der  sich  im  Besitz  einer  reichen 
Büchersammlung  befindet,  und,  wie  man  aus  seinem 
Namen  scbliefsen  darf,  in  einer  Lage  sein  mufs,  um 
durch  Reisen  in  Spanien  noch  Vieles  zusammenzubrin- 
gen, das  nicht  gedruckt  ist,  zu  erwarten,  dafs  er  sich 
die  Kosten  und  die'  Mühe  nicht  werde,  verdriefsen  las- 
sen. Es  würde  schwerlich  über  seine  Kräfte  gehen,. 
Imd'  schon  ein  bedeutendes  Verdienst  sein,  wenn  er 
sich  diejenigen  Scbrifteä  des  Bischofs  von  Chiapa  und 
von  Oviedo  verschaffen  könnte,  welche  noch  nicht  ge- 
druckt sind,  und  in  mehreren   bekannten  Bibliotheken 


.vorhanden  sind.  Die  Bibliotheken  in  Madrid,  in  Es- 
Gorial,  in  Sevilla  u.  s.w.  enthalten  höchst  wahrsoheiih 
lieh  Handschriften  der  Brüder  Bernardino  ron  Saha-. 
gun  nnd  Torribio  von  Benevente,  welche  för  die  Spra- 
chen, die  Alterthämer  und  die  Geschichte  von  Neo- 
Spanien  höchst  wichtig  sein  müssen.  Die  Fortsefcuag 
der  Sammlung  von  Navarrete  wird  schon  Bedeutendes 
ans  Licht  fSrdem.  Sollte  sie  aber  unterbleibeD,  so 
würden  die  handschriftlichen  Materialien,  welche  Dmi 
Juan  Baptista  Muuoz  ans  den  Archiven  für  die  CSee 
schichte  von  Amerika  gesammelt  hat,  nur  um  so  eh^ 
zu  erwerben  sein.  Vielleicht  liegen  noch  die  Sanufr- 
lungen  des  Raths  von  Castilien,  Don  Andr.  Gonzalez 
Barcia,  des  Herausgebers  der  Uistoriadores  primitives 
de  las  Indias  occidentales,  irgendwo  verborgen.  Ohne 
Zweifel  sind  nun  auch  die  Archive  von  Siinancas  und 
die  übrigen  Reichsarchive  zugänglicher  geworden,  in 
welche  zu  verschiedenen  Zeiten  die  altern  Acten,  der 
höchsten  Regieriings- Behörden  niedergelegt  wurden« 
Selbst  in  Betreff  der  Archive  des  Raths  von  Indien 
möchte  diese  Hoffnung  fiir  einen  Mann  von  Kenntnis- 
sen und  guten  Verbindungen  nicht  au  kühn  sein. 
Das  Werk  von  Hrn.  Ternaux  umfafst  zwar 
nur  die  Entdeckungen  und  Eroberungen  der  Spu»«»., 
sondern  dehnt  sich  auch  auf  die  der  übrigen  Völker^ 
und  namentlich  der  Portugiesen  aus;  dennoch  wird 
der  Mafsstab  dessen,  was  über  die  Literatur  der  Er- 
sten gesagt  worden,  ohne  Unbilligkeit  hier  angewen* 
det  werden  dürfen.  Und  dann  ist  nicht  zu  verhehlen, 
dafs  die  bisherigen  Bünde  nur  wenige  Hauptwerke 
enthalten.  Läfst  sich  dieses  nun  auch  bei  Colon  eiü» 
germafsen  dadurch  rechtfertigen,  dafs  die  wichtigen 
Tagebücher  desselben,  welche  Navarretes  Sammloag 
enthalt,  vor  eilf  Jahren  in  einer  Uebersetzung  von 
Chalumeau  de  Vernevil  zu  Paris  herausgegeben  woiu 
den  sind,  und  dafs  es  von  Cortes  Amtsberichten  eine 
schon  1779  erschienene  Uebersetzung  des  Grafen  von 
Flaviguy  giebt,  so  bleibt  doch  immer  auffallend,  dalSi 
man  weder  mit  Bemal  Diaz,  welcher  doch  kürzlich  in 
spanischer  Sprache  in  Paris  gedruckt  worden,  noch 
mit  Gomara  und  ähnlichen  Hauptwerken  die  Samtnlung 
eröffnet  hat.  Es  ist  schwer  zu  glauben,  dafs  die  Wer» 
ke,  die  bisher  gewählt  worden  siad,  derselben  eine 
bedeutende  Theilnabme  gewinnen  werden.  Bin  flüoh- 
tiger  Blick  über  dieselben  mag  die  Behauptung  reoht» 
fertigen. 


741 


T^rnim»^  jßMietJUfue  mmMoaüu  etc. 


742 


Wu  sMrt<  den  UUiogtiq»bis4AeQ  Band  betrifft^ 
mlcber  die  Reihe  begiiii(it>  so  dürfte  es  nicht  leicht 
eeio,  die  Greose  des  Jahres  1700,  welche  diesem  Bü- 
oherFerseidhnifs '  gesteckt  ist»  su  begi^adea.  Gerade 
u-  das  ]8te  Jahrhundert  fiUlt  eine  ansehnliche  Zahl 
der  viehtigsteB  Poblilcationen  über  die  ältesten  Zeiten« 
ier  Entdeckung  und  Ereberuüg.  Von  Colon  sind  die 
TagdbAdier^  so  wie  mehrere  Briefe  desselben^  die  nicht 
Bsr  einen  biographischen»  sondern  allgemein  histort- 
acben  Werfh  haben,  erst  in  nnsem  Zeiten  erschienen ; 
so  wie  auch  die  ganze  reiche  Literatur  über  den  gro* 
fsen  Entdecker  aus  den  letzten  7ünf  und  zwanzig  Jah- 
ren ist.  Die  Amtsberichte  von  Cortes,  so  weit  sie 
vorbanden  sind»  wurden  im  Torigen  Jahrhundert 

erstenmal  vollständig  in  spanischer.  Sprache  ge- 
draekt^  und  ihre  durch  den  Cardinal  Lorenzana  vei^ 
aiistaltete  Ausgabe  fehlt  somit  gleichfalls  in  dem  Ter* 
DMix'schen  Verzeiebnirs.  Von  Herrera^s  höchst  wich« 
tigens  Werk  gehören  der  Antwerpener  Nachdruck  von 
1728  und  die  beste  Ausgabe  von  Barcia  dem  ISten 
Jahrhundert  an.  Die  Monarquia  Indiana  von  Torque- 
mada,  welche  für  den  Altertbums*  und  Geschichtsfor- 
seber  Tielleicbt  einen  noch  hohem  Werth  hat»  ist  in 
ihrer  besten  Ausgabe»  welche  der  nämliche  Rath  von 
veranstaltet  hat»  um  dieselbe  Zeit  erschie» 
Aber  auch  die  erste  Ausgabe  dieses  Werks»  die 
gewöhnlich  unter  dem  Druckjahr  1615  angegeben  wird» 
Milt  in  dem  vorliegenden  Verzeichnifs  wenigstens  un- 
ter dem  genannten  Jahr.  Baodini's  Ausgabe  der  Be- 
richte von  Amerigo  Vespucci»  und  die  Ausgabe  dcf 
Garotlasso  de  la  Vega  von  Nie.  Kodr.  Franco  gehö- 
ven  dem  18ten  Jahrhundert  an«  Ein  Gleiches  ist  mit 
den  wichtigen  Werken  von  Carli  und  Ulloa»  von  den 
Missionären  Gumilla  und  Gily  und  so  vielen  andern 
der  Fall»  der  Werke  von  Clavigero»  von  Robertson» 
Ton  Rüssel  u«  s«  w.  gar  nicht  zu  gedenken.  Dafür 
hätten  manche  unbedeutende  Schriften  weggelassen 
werden  können»  oder  eine  gröfsere  Vollständigkeit  er^ 
atrebt  werden  müssen»  welche  schon  durch  eine  Ab- 
nefarift  der  Liiteratur»  die  Leon  Pioelo  mit  so  äogstli- 
€h«n  Fleifte  gesammelt  bat»  zja  erreichen  gewesen 
•ein  dürfte. 

Die  übrigen  eilf  Bände  unterscheiden  sich  nur 
dor^h  die  Jahrszahlen  1837  und  1838»  so.dufs  maa 
nach  Gefallen  herauswählen  kann*  Sonderbarer  Weise 


gehören  von  den  7  Bänden  von  1837  drei  der  deut« 
sehen  Literatur  an.    Sie  haben  die  bespndem  Titel: 
Histoire  v^ritable  d'un  voyage  curieux  fait  par  Ulrich 

Schmidel  de  Straubing  etc. 
Belle  et  agre.able  narration  du  premier  voyage  de  Nie. 
Federmann   lo  jeune^  d'Ulm»  aus  lodez  de  la  .mer 
oo^ane  etc. 
Viritable  histoire  et  discription  d'un  pays  habit6jpar 
des  hommes  sauväges»  nus»  f^roces  et  antbropopha^ 
ges»  situ^  dans  le  nouveao  mpnde»  nomine  Am^rique 
etc.  Hans  Staden  de  Homberg  en  Hesse  Ta  connu 
.    par  sa  propre  experience  etc. 

Das  erste  dieser  Werke  ist  oben  als  Quellen- 
schrift angeführt  worden.  Ursprünglich  in  deutscher 
Sprache  geschrieben»  kam  es»  wie  Hr.  Temaux  an* 
giebt»  zuerst  1567  mit  einer  deutschen  Uebersetzung 
von  Cudamosto  heraus.  Die  Ausgabe»  die  ich  selbsf 
gebraucht  habe»  ist  in  der  Sammlung  von  De  Bry^ 
Oppenheim  1617.  fol. .  enthalten^  Wie  alle  diese  frü- 
bem  Reisenden»  so  bat  auch  unser  deutscher  Lands« 
mann  es  mit  den  Namen  nicht  sehr  genau  genommen« 
Er  ist  schon  frühe  deshalb  getadelt  worden;  denn 
Hulsius  rühmte  sich  in  seiner  lateinischen  Ueberset- 
zung» die  er  1599  zu  Nürnberg  drucken  liefs»  des  Ver- 
dienstes» ihn  in  diesem  Punkt  gebessert  zu  haben* 
Nach  dieser  lateinischen  UebersetzuDg  ist  die  spani- 
sche in  Barcia's  Sammlung  und  die  vorliegende  des 
Hrn.  Temaux  gearbeitet»  welcher  gleichfalls  in  den 
Namen  manche  schätzbare  Aenderung  angebracht  hat  | 
wie  z.  B.  S.  105  der  Domingo  von  Ayolas  in  den  Do* 
mingo  de  Irala»  oder  vollstündiger  Domingo -Martinez 
de  Irala  berichtigt  ist.  Der  Verf.  war  ohne  Zweifel 
gemeiner  Soldat  in  der  Unternehmung»  welche  1534 
linter  Don  Pedro  von  Mendoza  mit  so  vielem  Au& 
wand  und  Glänze  nach  dem  Rio  de  la  Plata  gemacht 
wurde  und,  gleich  manchen  andern  Unternehmungen 
jener  Zeit»  ein  schlechtes  Ende  genommen  hat.  Die-* 
ser  Abenteurer  mufs  nicht  ganz  ohne  Bildung  gewe- 
sen ^ein.  Er  spricht  einmal  »»von  der  rohmräthigen 
und  stolzen  Kriegsgurgel  Thraso  in  Terentio»"  und 
zeichnet  sich  gegen  so  manchen  andern  Reisebeschrei- 
her  seiner  und  der  spätem  Zeit  durch  eine  merkwür- 
dige Erhebung  über  die  Volksvorurtbeilc  aus.  Den- 
kiocb  enthält  sein  Buch  wenig  Gewinn  für  die  Ge- 
schichte des  Colonialwesens  und  die  Kenntnifs  der  äl- 


743 


TwiMMM!',  BUfliothiytM  amiric»iM  ete. 


744 


testen  Zastimle  ron  Amerika.  Selbst  als  Uofses  Da« 
terhaltuogsbaeh  irird  es  seine  franzdsiscben  Leser 
scbwerlicb  sehr  anziehen. 

Von  gröfserer,  jedoch  nicht  ausgezeichneter  Be- 
dcutunjg  sind  die  beiden  anderen  Werke.  Für  die  Er- 
ft&hlung  des  Federmana  werden  vir  Deutsche  dem 
Hrn.  Ternaux  in  mehr  als  einer  Beziehung  danken 
dürfen.  *  Dieser  Abenteurer^  von  Ulm  gebürtig,  fehlt 
in  nnsem  gewöhnlichen  literarischen  Hülfeuiitteln  und 
Damendieb  in  Mensel.  Hr.  Ternaux  führt  eine  Aus- 
gabe des  Buchs  mit  dem  Druckort  Hagenau  1557.  an, 
die  semer  Uebersetzang  zu  Grunde  zu  liegen  scheint. 
Es  hat  das  Interesse,  dafs  es  eine  Episode  aus  der 
Zeit  ist,  in  welcher  sich  die  reichen  Welser  von  Augs- 
burg (die  Belgares  der  Spanier)  durch  Kaiser  Carl  Y. 
im  Besitz  des  gröfsten  Theils  von  Venezuela  befan- 
den, und  daselbst  ihre  eigenen,  deutschen  Statthiüter 
hielten.  Die  Stelle  eines  solchen  hat  Federmann  eine 
Zeit  lang  bekleidet,  und  es  scheint  sogar,  dalb  er 
durch  seinen  energischen  Charakter  verdächtig  und 
lieine  Rückkehr  nach  Amerika  verhindert  wurde.  Auch 
die  Thätigkeit  dieses  Mannes  theilt  das  Schicksal  der 
Expedition,  welche  Schmid  begleitet  hatte.  Es  ist 
nichts  dadurch  begründet  worden,  was  für  die  Nach- 
welt Bedeutung  gewonnen  hätte. 

Ganz  unwichtig  als  historische  Quelle  ist  das 
dritte  jener  Werke.  Hans  Staden,  von  Homberg  in 
Hessen,  beschreibt  darin  seine  Schicksale  in  der  Ge- 
fangenschaft der  Tuppinambas,  einer  brasilischen  Völ- 
kerschaft, bei  der  er  über  sechs  Monate  in  steter  t3e- 
fahr  lebte,  von  diesen  Anthropophagen  aufgezehrt  zu 
werden.  Was  er  über  ihre  Sitten  und  Gewohnheiten 
aufgezeichnet  bat,  geht  zwar  nicht  in  die  Tiefe,  ist 
aber  doch  nicht  ohne  Werth  für  die  Ethnographie. 
Dieser  Staden  war  1547  in  die  neue  Welt  gegangen, 
um  sein   Glück   zu   suchen.     So  verführerisch  hatten 

* 

die  glänzenden  Schicksale  der  spanischen  und  portn- 
giesiscjien  Entdecker  bereits  auf  das  übrige  Europa 
gewirkt  I 

Die  beiden  nächsten  Bände  sind: 
Commentaires  d*Alvar  Nunez  Cabetjä  de  Vaca,  redig^s 

par  Pero  Hernandez,  notaire  et  secr^taire  de  la  pro- 

vince  etc. 
Relation  et  naufrages  d'Alvar  Nunez  Cabe^a  de  Vaca. 


Das  erste  dieser  beiden  Werke  schliefst '  sich  ge- 
wissermafsen  an  den  Bericht  unseres  Landsmanns  von 
Straubingen  an.  Nachdem  die  Unternehmung  des  Doa 
Pedro  von  Mendoza  verunglückt  war,  schlofs  die  «{Mi* 
nische  Regierung  mit  Cabe^a  de  Vaca  ein  Uebereia* 
kommen,  dafs  er  auf'  seine  Kosten  eine  Ausrfistoog 
nach  dem  I^io  de  la  Plata  machen  und  die  Länder 
daselbst  unterwerfen  und  colonisirea  sollte.  Die  Be- 
dingungen von  beiden  Seiten  werfen  ein  merkwürdiges 
Licht  auf  die  Art  und  Weise,  wie  dergleichen  Unter» 
nebuiuDgen  damals  angefangen  wurden.  Gabe^a  de 
Vaca  machte  sich  verbindlich,  eine  Ausrüstung  mit 
dem  Aufwand  von  8000  Ducatcn  zu  machen,  und  der 
bedrängten  Niederlassung  am  Rio  de  la  Plata  Hülfe 
zu  bringen.  Dafür  ertheilte  ihm  der  König  die  Statt- 
halterschaft des  Landes  mit  dem  Titel  eines  Adelan* 
tado,  und  ein  ZwölAbeil  aller  Ein-  und  Ausfuhrzdile 
der  Colonie.  Für  die  genannte  Summe  kaufte  Cabe^ 
de  Vaca -vier  Schiffe,  von  denen  das  gröfste  ^ana  neu 
war  und  350  Tonnen  Ladungsftlhigkeit  hatte.  Er  ver- 
sah dieselben  mit  der  gehörigen  Schiffsmannschaft  und 
mit  Lebensmitteln,  und  bemannte  sie  mit  400  Soldat 
ten,  die  mit  dem  nötbigen  Geschütz,  Munition  und 
Waffen  versehen  waren.  Alles  ilieses  wurde  vollbracht 
vom  Mai  bis  zum  September  1540;  doch  konnte  die 
Expedition  wegen  des  widrigen  Wetters  erst  am  2ten 
November  in  See  gehen. 

Indefs  fiel  die  Unternehmung  nicht  glücklicher  ans, 
als  die  von  Mendoza;  wie  denn  überhaupt  den  Spip 
niern  am  Rio  de  la  Plata  nie  etwas  Bedeutendes  ge- 
lingen wollte.  Bald  kam  Unfrieden  in  die  Niederlas- 
sung; Unfälle,  ja  Elend  aller  Art  vermehrten  die  Zei^ 
Würfnisse,  und  Cabegas  Rolle  endigte  damit,  dafs  er 
von  seiner  eigenen  Mannschaft  gefangen  und  aus  den 
Lande  geschafft  wurde.  Die  Geschichte  dieser  Unord- 
nungen ist  nicht  ohne  Bedeutung  ftir  die'  Geschicfate 
des  Colonialwesens  überhaupt;  indefs  erscheint  die 
Quelle  insofern  verdächtig,  als  die  ganze  Erzählung 
durchaus  im  Interesse  von  Cabega  de  Vaca  abgefafirt 
ist.  Man  wird  daher  Manöhes,  wie  z.  B.  die  Angabe» 
dafs  die  Anführer  der  Empörung^  um  die  Neigung 
der  Eingebornen  zu  gewinnen,  ihnen  förmlich  die 
Erlaubnifs  gegeben,  ihre  Feinde  zu  t5dten,  und  ihr 
Fleisch  zu  verzehren,  nicht  unbedingt  glauben  dürfen. 


(Der  Bescfalufs  folgt.) 


Jahrbücher 

für 

wissenseh  aftli  che   Kritik. 


November  1839« 


BiUtotheque  americume  ou  catalogue  des  ou- 
rragei  relatifs  a  l'Amerique,  qmi  ont  paru 
depuii  $a  decouterte  jusqua  Pan  1700  pur  H. 
Ternaux. 

Vo^ageSy  relations  et  memoires  origtnaux  pour 
servir  d  thistotre  de  la  decouterte  de  tAme^ 
riquej  publies  pour  la  premiere  fois  en  franr 
^üf  par  JB.  Ternaux. 

(Schlafs.) 

Die  Schrift  ist  offeobar  cur  Rechtfettigong  des 
TeroDgliickteo  Statthaitors  abgefafst,  und  dessen  Lag9 
in  allen  Uebertreibungen  dargestellt.  Als  er  aus  dem 
Lande  transportirt  wurde,  -brachten  ihm  sei^e  Feinde 
dreimal  Arsenik  bei.  Er  hatte  sich  jedoch  vorgesehen^ 
und  ^eine  Flasche  Gel  und  ein  Stück  von  dem  Hörn 
des  Einhorns"  mitgenommen,  so  dafs  er  jedesmal  mit 
starken  Leibschmerzen  davon  kam.  Auch  hatten  diese 
Vei^ftungen  so  wenig  Folgen  für  seine  Gesundheit, 
dafs  er,  als  Mitglied  des  höchsten  Gerichtshofes  von 
Sevilla,   in  hohem  Alter  gestorben  ist. 

Diesem  Manne  scheint  überhaupt  das  Mafs  von 
Geist  und  Kraft  für  seine  Unternehmung  gefehlt  xn 
haben.  An  einer  guten  Schule  für  dieselbe  hatte  es 
ihm  die  Vorsehung  nicht  mangeln  lassen.  Diefs  be- 
weist das  zweite  Werk,  welches  den  unglücklichen  Zug 
erzählt,  den  et  mit  Pamfilo  NarvaSz  nach  der  Küste 
TOD  Florida  gemacht.  Dieser  Narvaez^  ist  der  nämli- 
che,  der  von  Diego  Velazquez  mit  so  ansehnlichen 
Streitkräften  nach  Neu- Spanien  geschickt  worden  war, 
um  dem  Cortes  das  Commando  abzupehmen,  und  bei 
dieser  Gelegenheit  seine  völlige  Unfähigkeit  zu  grofsen 
Dingen  an  den  Tag  gelegt  hatte.  Auch  diese  Unter«* 
nehmitng  lief  so  noglncklich  ab,  dafs  von  den  300 
Mann,  aus  denea  sie  bestand,  wie  Cabe^  de  Vaca 
versichert,  auCser  ihm  nur  drei  Personen  mit  dem  Le- 
Jmhrh.  f.  wiuemeh.  Kritik.   J.  1839.   II.  Bd. 


ben.  davon  gekommen  sind.  Mit  der,  in  Neu  «Spanien 
bewiesenen,  Unbesonnenheit  hatte  Narvaez  seine  Schiffe 
verlassen  und  den  Zug  an  der  Küste  hin  zn  Lande 
fortgesetzt.  Was  aus  ihm  geworden  ist,  hat  man,  so 
viel  mir  bekannt  ist,  nie  mit  Gewifsheit  erfahren; 
Cabega  de  Vaca  kam  nach  einer  guten  Zahl  von  Jah- 
ren und  nach  Mühseligkeiten  aller  Art  zu  Lande  nach 
Neu- Spanien.  Seine  Erzählung  ist  durch  Alles,  wan 
er  ertragen,  und  durch  viele  merkwürdigen  Züge  aus 
dem  Leben  und  den  Sitten  der  Landes- Einwohner 
merkwürdig,  und  auch  für  das  grofse  Publicum,  das 
nur  seine  Unterhaltung  sucht,  in  hohem  Grad  anzie- 
hend. Der  wissenschaftliche  Gewinn  wird  schwerlich 
hoch  anzuschlagen  sein. 

Histoire  de   la  Provinoe  de  Santa  Cruz  etö.  par  Pero 
de  Magalhanes  de  Gandavo  etc. 
Dieses  Werk  ist  aus  dem  Portugiesischen  über- 
setzt und  wird  in  seinem  Vaterland  und  in  Spanien  sehr 
hoch  geschätzt.    Es  betrifft  Brasilien,  welches  im  An- 
fang unter  dem  Namen  der  Provinz  von  Santa  Cruz 
bekannt  war,  und  erschien  1576  in  4to  zu  Lissabon. 
Meusel  gibt  das  Jahr  1579  wahrscheinlich  nach  Anto- 
nio  an.    Hrn.  Ternaux  Angabe   stimmt  liiit    der  von 
Leon-Pinelo  zusammen;  auch  hatte  er  das  Original 
selbst  in  Händen.    Nach  seiner  Versicherung  sind  nur 
noch  vier  Exemplare  desselben  übrig,  und  war  es  in- 
sofern schon   der  Mühe  werth,   dasselbe   dem  wissen- 
schaftlichen Publicum  zugänglicher  zu  machen.     Wel- 
chen'Werth  es  aber  auch  haben  mag;  eine  Quellen- 
schrift ist  es  nicht,  sondern  50  bis  60  Jahre  nach  der 
Entdeckung  von  Brasilien  in  Portugal  geschrieben  wor- 
den.   Der   Verf.,    ein   für    seine  Zeit    sehr  gelehrter 
Mann,  ist  ohne  Zweifei  ein  Bekannter  von  CamoCns 
gewesen;   wenigstens  befinden  sich  an  der  Spitze  der 
Original -Ausgabe  etliche  dreifsig  Terzette  des  Dich- 
ters der  Lusiade,  von  denen  man  wünschen  mdchte,  dafs 
Hr.  Ternaux  sie  in  der  Ursprache  mitgetbeilt  hätte. 

94 


\. 


747 


Temaux^  Bibliotheque  atnerieaine  ete. 


748 


Relation  T^ridique  de  la  conquAte  du  Perou  etc.  par 
X^res. 

Es  ist  oben  scbon  bemerkt  worden,  dafs  Xeres 
Arbeit  eine  Qnellensohrifk  sei.  £r  war  Geheimsc&rei- 
'her  im  Dienste  von  Franz  Pizarro,  und  schrieb  das 
Buish  wahrscheinlich  auf  seinen  Befehl,  um  der  öfTent- 
lichen  Meinung,  oder  dem  Kaiser  selbst,  die  Vorgänge 
in  Peru  in  einem,  dem  Eroberer  günstigen,  Licht  zu 
zeigen ;  wenigstens  erschien  es  schon  1534  zu  Sevilla, 
also  sieben  Jahre  vor  Pizarro's  Ermordung,  im  Druck. 
Dieser  Umstand  allein  beweist,  dafs  dasselbe  mit  Vor- 
sicht gebraucht  werden  mufs*  Indefs  ist  diefs  bei  den 
meisten  Quellen -Schriften  der  Fall;  da  sich  diejeni- 
gen, welche  in  den  Ereignissen  selbst  mitwirken,  höchst 
selten  unbefangen  zu  erhalten  yenn5gen. 

Die  Jahrzahl  1S38  tragen  die  folgenden  dreiWerke : 
Cruaut^s  horribles   commises  par  les  conquSrants  du 
Mexique  etc.,  memoire  de  Don  Fernando  Alra  Ix- 
tilxochitl  etc. 
Recneil  de  pieces  relatives  ä  la  conquäte  du  Mexique. 
Relation  du  Vojage  de  Cibola  entrepris  eu  1540.  par 
Pedro  de  Castaiieda  de  Nagera. 

Das   erste   dieser  Werke  wurde  ursprünglich  in 
mexikanischer  Sprache  geschrieben,  und  macht  nur  ei- 
nen kleinen  Theii  eines  grdfsern  VVerks  aus,  den  Bu- 
stamente   1829    in  einer   spanischen   Uebersetzung  zu 
Mexico  herausgegeben  hat.    Der  Werth  dieser  Schrif- 
ten Von  eingebornen  Mexikanern  ist  oben  im  Allgemei- 
nen angegeben  worden;   der  Werth  der  vorliegenden 
stellt  sich  jedoch  in  mehreren  Beziehuugen  höher,  als 
die  übrigen.    Der  Verf.  stammte  in  gerader  Linie  aus 
dem  Geschlecht  der  Könige  von  Acolhuacan,  und  ist 
auch    durch  ein  Königliches   Decret  vom    16ten   Mai 
1602  dafür  anerkannt  worden.    Er  war  unter  dem  Vice- 
'  König  Don  Diego   Carrillo  Mendoza  y  Pimentcl  Dol- 
metscher  desselben,    und  hatte  diese  wichtige  Stelle 
wegen  seiner  tiefen  Kenntnifs  in  den   hierogljphischen 
Mahlereien,   den  Sprachen,  den  Alterthümcrn  und  den 
National -Gesängen  seines  Landes  erhalten.    Er  hatte 
die  Kenntnisse  mehrerer  Augenzeugen  der  Eroberung 
benutzen  können,  namentlich  des  lOSjäbrigen  Don  Lu- 
cas Cortes  Calanca,   eines  Mannes  aus  einer  der  Tor- 
nehmsten   Familien    des    Landes.     Inzwischen    würde 
Bustamcnte  "die  Wissenschaft  besser  gefordert  haben, 
wenn  er  mit  denjenigen  Theilen   der  Werke  von  Don 
Fernando  angefangen  hätte,  welche  die  Geschichte  der 


Tulteken  bis  zu  ihrem  (Jntergang,  und  die  der  Chi- 
chimeken  bis  ^ur  Ankunft  der  Spanier  zum  Gegenstaikl 
haben.  Die  Schranken  dieser  Anzeige  erlauben  nicht, 
auf  die  Bedeutung  der,  im  Anhang  -von  Bustameote 
mitgetheilten,  Stücke  anders,  als  durch  blofse  fiinwei- 
sung  aufmerksam  zu  machen. 

Das  zweite  Werk:  Recneil  etc.  enthält  eine  Reihe 
kleinerer  Schriften,  die  zum  Theil  ganz  neu,  und  mit- 
unter   von   hohem    Werth    für '  die    Geschichte   siDd. 
Gleich   das  erste  Stück  ist  der  wichtige  Bericht  üher 
den  zweiten  Entdeokungs  -  Versuch    der  Länder  am 
.mexikanischen  Golf,  welcher  1518  durch  Juan  von  Gri« 
jalva  von  Cuba  ausgemacht  worden   ist,  und  die  gri- 
fsere  Ausrüstung    unter  Cortes   im    Jahr  darauf  inr 
Folge  hatte.    Der   Bericht  ist  nach  der  italienischeD 
Uebersetzung  in  des  Bolognesers  Varthema  Reisen  m 
den  Orient  (Venedig  1522.)  übergetragen,  da  das  Ori- 
ginal bisher  noch   nirgends  gedruckt    worden.    Dann 
kommt  die  Beschreibung  des  alten  Mexico  von  einem 
Hidalgo  in  Cortes  Umgebung,   welche  kürzlich  auch 
der  deutsche  Bernal  Diaz  del  Castillo  mifgetheilt  hat 
Nach  den  Berichten  von  Alvaradt)  und  von  Diego  voi 
Godoy  aus  Ramusio  folgt  eine  ganze  Reihe  von  Bn^ 
fcn  und  Berichten  von  Missionären,   Bischöfen,  Vice- 
Königen    und   andern   bedeutenden  Personen,   welche 
nach  Handschriften   aus   den  Archiven  Von  Simaocas 
übersetzt  sein  müssen;  wenigstens  sind  sie  amScblaBse 
ge\(öhnlich   mit  diesem   Wort  bezeichnet.     Bei  meh- 
rern  ist  auch  die  Uebereinstimmung  mit  der  Urschrift 
durch  den  Namen  Munoz   bezeugt;  so  dafs  man  Te^ 
mutben  darf,    dem   Hrn.  Ternaux    seien   die  reichen 
Summlungen  dieses  zu  frühe   gestorbenen   Gescbicht- 
schreibcrs    von    Amerika    zugänglich    gewesen.      Der 
Mangel   an  Angaben  über  diese  und  andre  Umstände 
gibt  dem  Werk  ein  Ansehen  von  Nichtwissenschaftlich- ' 
keit,  welches  man  am  meisten  in  den  letzten  Bäodefi 
bedauert,  da  ihr  Gehalt  sie  so  hoch,  über  die  frühem 
erhebt.     Auch  das  vorletzte  Stück,   das  eine  Angabe 
der  jährlichen   Gold- ^  und  Silber -Sendungen,    wdche 
die  Statthalter  und   Vice  -  Könige  von  Neu  -  Spaniea 
jedes  Jahr,  von  1522  bis  1587,  nach  dem  Mutteriaode 
gemacht  haben,  ist  so  wichtig,  dafs  man  den  Maugel  einer 
nähern  Beglaubigung  wahrhaft  schmerzlich  vermifst. 

Dennoch  möchte  man  glauben,  dafs  die  Sammlaog 
mit  ihrem  Vorrücken  eine  gröfsere  Bedeutung  gewinne. 
Dieser  letzte  Band  ist  vielleicht  der  wichtigste;  in- 


J 


749  V.  Hßgel,   Füche  aus  Ka$eAtnir. 

dem  er  nicht  nnr  alle  TefsobiedeneD  Berichte,  welche 
Insher  über  die,  zu  Anfsuchnng^  der  Stadt  Cibola  ge- 
machten, Untemehmnogen  bekannt  gewesen,  und  sainnit- 
lieh  in  Ramusio's  Sammlung  enthalten  sind,  sondern 
eine  gans  neue,   bisher  unbekannte,  Schrift  mittbeilt, 
welche  die  Beschreibung   des  Feldzugs   enthftlt,    den 
Francisco  Vazquez  Coronado,  yon  Culiacan  ans,   im 
Jahr  1540   zu  gleichem   Zwecke  gemacht   hat.    Der 
Verf.  derselben  nennt   sich   Pedro   Castaneda  de  Na* 
gera,  und  war,  wie  es  scheint,  Soldat  in  dem  kleinen 
Heere  jenes  Anfährers.    Seine  Erzählung  stimmt  im 
Wesentlichen  mit  dem  Amtsbericht , von  Coronado  zu- 
sammen, enthält  aber  viele  sehr  wesentliche  Details, 
wdche  dieser  übersehen,  oder  für  seinen  Bericht  nicht 
passend  gefanden   haben  mag,  insbesondere  über  die 
Städte  Cibola  und  Quivira.    Durch  diese  Schrift  und 
die  im  Anhang  aus  Ramusio  übersetzten  Stücke  wer« 
den  die  widersprechenden  Nachrichten   über  die  gro* 
Tsen  und  reichen  Städte,  die  man  in  dem  Innern  von 
Amerika  vermuthet  hat,  so  ziemlich  ins  Klare  gesetzt 
werden.    Man  mufs  aber  noch  den  Bericht  hinzufiigen, 
welchen  Nunc  von  Guzmann  am  6.  Juli  1530  an  Kai« 
ser  Carl  V.  erstattet  hat,  und  der  gleichfalls  in  Ramu- 
sio's  Sammlung  steht.     Diese  Schrift  von  Castaneda 
stammt  nach  Hrn.  Temaux  Angabe  aus  der  Samm- 
lung von  Uguina.     Es  wäre  wünschen&werth  gewesen, 
wenn  er  über  diese  etwas  Näheres  hätte  sagen  wollen. 
Fast  möchte  man  vermuthen,  dafs  sie  die  Papiere  ent- 
halten,   welche  Munoz  für    sein  wichtiges   Werk  aus 
den  Archiven  zusammen  gebracht  hat. 

Die  Beschränktheit  des  Raums  gestattet  nicht,  den 
Werth  der  Uebersetzungen  näher  zu  untersuchen.  In- 
defq  ergibt  ein  flüchtiger  Blick  auf  dieselben,  dafs  «ie 
mit  genügender  Kenntnifs  der  Sprache  der  Originale 
nnd  des  Gegenstands  gearbeitet  sind ,  und  nach  dem 
Mafstab,  welchen  man  in  Frankreich  an  solche  Arbei- 
tei^  zo  legen  pflegt,  nichts  zu  wünschen  übrig  lassen. 

Zum  Schlüsse  dieser  Anzeige  wird  es  nicht  über- 
flüssig sein,  den  Preis  der  bisher  erschienenen  Bände 
anzugeben.  Er  beträgt  nicht  weniger,  als  102  Franken. 
D^er  Druck  ist  allerdings  mit  einem  gewissen  Luxus  be- 
wirkt, der  Preis  jedoch  immer  noch  in  unbilligem  Ver- 
iiältuifs.  Der  erste  bibliographische  Band,  welcher  nicht 
nehr  als  12  Bogen  enthält,  kostet  allein  10  fr.  50  Cent. 

V.  Rehfues. 


J750 

XLIX. 
Füche  aus  Kaschmir,  gesammelt  und  herausge^ 
geben  ron  Carl  Freiherrn  ron  Hügel y  Äe- 
schrieben  von  Joh.  Jacob  Hechel,  Inspector 
am  K.  K.  Hof -Naturalien- Kabinetj  Mitglied 
mehrerer  gelehrten  Gesellschaften,  Mit  zwölf 
Kupfertafelnj  nebst  einem  Anhange  j  diß  Be- 
Schreibung  und  Abbildung  zweier  Instrumetrie 
zur  mathematischen  Bestimmung  der  Fisch* 
Profile  enthaltend.  tVien,  1838.  gedruckt  bei 
den  P.  P.  Mechitaristen.  (X  u.  112  Seiten 
in  Qiiartformat  y  jedoch  die  Druchkolumnen 
hlofs  in  grofs  OctarJ. 

Unter  den  reichen  Vorräthen  naturhistorfscher  Ge- 
genstände, welche  der,  besonders  als  Botaniker  und 
Gartenfreund  rühmlichst  bekannte  österreichische  Rei- 
sende, Freiherr  von  Hügel,  mit  rastlosem  Eifer  in  drei 
Welttheilen  gesammelt  hat,  befinden  sich  auch  eine 
Anzahl  in  Spiritus-  aufbewahrter  Süd  wasserfische  aus . 
dem  Flusse  Tschilum  und  den  mit  ihm  in  Verbindung 
stehenden  Landseen.  Ihre  Bekanntmachung  ist,  we- 
nigstens der  Ausdehnung  nach^  der  Hauptgegenstand, 
wenn  auch  sonst  nicht  der  wissenschaftlich  bedeutend- 
ste Theil  des  hier  anzuzeigenden  Werkchens,  des- 
sen Einleitung  zum  Theile  schon  als  Beitrag  zur  Kennt- 
nifs  von  der  geographischen  Verbreitung  der  Fische, 
ganz  besonders  aber  wegen  der  wichtigen,  von  Hrn. 
Heckel  ausgehenden  Umgestaltung  der  Beschreibungs- 
weise von  Thieren  dieser  Klasse,  mit  Recht  einen  Platz 
in  dieser  Anzeige  verdient.  Wir  geben  sie  daher  hier 
vollständig,  gröfstentheils  mit  den  Worten  des  Verfis. 
selbst. 

Der  Flufs  Tschilum,  derHjdaspes  der  Alten,  ent* 
springt  an  dem  südlichen  Abfalle  des  Himalaja  und  an 
dem  nördlicheu  Abhänge  des  Pir  Panjahl,  und  durch-' 
zieht  ruhig  das,  nahe  an  6000  Fufs  über  der  Meeres- 
fläche  gelegene,  von  europäischen  Naturforschem  noch 
wenig  besuchte  Thal  von  Kaschmir.  Zwischen  Ber- 
gen eingeengt,  stürzt  er  sich  dann,  brausend  und  schäu- 
mend, über  30  Meilen  weit  durch  Felden  hinab,  und 
ergiefst  sich  endlich  in  der  Ebene  des  Panjabs  in  den 
Indus«  Den  Ichthyologen  sowohl  älterer,  als  neuerer 
Zeit  blieben  tlie  beschuppten  Bewohner  jenes  Flusses 
vollkommen  unbekannt.    Dr.  Hamilton,  welcher  die  Fi- 


751  V.   HUgel^  Fücke 

8che  des  Gaoges  beschrieb,  deren  grSrsere  Anzahl  sich 
ohne  Zweifel  auch  im  Indus  wiederfinden  mag,  ter* 
mntfaete  schon,  dafs  gegen  den  Ursprung  dieses  Flus- 
ses und  seiner  Seitengewässer  auf  den  Alpenhdhen  an- 
dere Arten  wohnen  möchten.  Diese  Vermutliung  wird 
in  der  Thai  durch  die  Fische  des  Tschüttm  bestätigt^ 
welche  sftmmtlich  ausgexeichnete   neue  Formen   dar- 

.  bfeten. 

Die  Gewässer  unserer  mitteleuropfiischen  mäfsi- 
gen  und  gröfsten  Höhen  bewohnen  Forellen:  Forellen 
wohnen  auch  im   ganzen   Norden  von  Europa,  Asien 

.«und  Amerika;  allein  am  Fufse  der  höchsten  Gebirge 
der  Welt,  in  einem  Lande  wie  Kaschmir,  dessen  ganze 
Thierwelt  sonst  so  viel  Uebereinstimniendes  mit  der 
unsrigen  hat,  wohnen  ke^ne  Foreilen.  Cyprrnen  sind 
es,  welche  hier  ihre  Stelle  vertreten,  und,  sonderbar 
genug,  theUwcise  auch  ihren  Habitus  annehmen.  Un- 
streitig schliefst  diese  Familie  sich  hinsichts  ihres 
Wohnorts  an  die  Forellen  an.  So  begleiten  z.  B.  un- 
ser'Phoxiuus  und  Gobio  die  Foreilen  noch  auf  be- 
trächtlichen Höhen;  viele  Arten  der  letzteren  bewoh- 
nen die  Flüsse  und  Landseeu  des  Nordens,  gesellig 
mit  Cyprinen;  der  Nil  besitzt  nur  wenige  Cjprinen, 
die  Flüsse  Surinams  und  Brasiliens  gar  keine.  Aber 
in  den. Flüssen  Indiens,  wo  sie  die  Stelle  der  Forel- 
len vertreten,  wird  die  Anzahl  ihrer  Arten  so  beträcht- 
lich, dafs  sie  allein  die  Hälfte  aller  bereits  bekannten 
ausmacht. 

„Nach  Aussage  der  Fischer  von  Kaschmir  leben 
„in  den  verschiedenen  Gewässern  dieses  Hochlandes 
„17  verschiedene  Arten  von  Fischen,  deren  einzelne 
„bisweilen  ein  Gewicht  von  24  Pfd.  erreichen:  und 
„obschon  (nach  der  Ansicht  des  Hrn.  Heckel,  der  sich 
bekanntlich  auf  die  Seite  einiger  Vervielfältiger  der 
Species  hinneigt)  „die  Untcrscheidungs-Merkmule  vieler 
„Arten  äufserst  fein  und  nur  von  dem  gröfsten  Ken- 
„nerauge  zu  entdecken  sind ;  so  trennen  doch  die  Eiur 
„gebornen  diese  Arten  genau  von  einander,  und  bele- 
))gen  eine  jede  mit  einem  bezeichnenden  Proviuzialna- 
„men."  Nach  des  Referenten  Ucberzcugung  darf 
man,  wenn  es  sich  um  die  Selbstständigkeit  der  Arten 
handelt,  hierauf  darum  nicht  allzu  viel  Gewicht  legen, 
weil  bekanntlich  in  fast  allen  Gegenden  der  Welt  sehr 


«itfff  KoMckmirm  752 

häufig  selbst  ettscbiedeiie  Altera-  oder  sonstige  Ab* 
änderungen  einer  und  derselben  Art  von  voraogsveite 
nutzbaren  Tbiereo,  namentlich  aber  die  Varietäten 
der  Fische  bei  Fischern  von  Profession,  verscbicdene 
Namen  zu  führen  pflegen*    ' 

S^chszehn  Arten,  also  nur  Eine  weniger,  als  d^ 
ren.nach  obiger  Angabe   überhaupt  in  Kaschmir  To^ 
kommen  sollen^  hatte  der  Verf.  in  gröfstentheils  sehr 
gut    erhaltenen   und  einzelne  zugleich   in  mehrfacbei 
Exemplaren  vor  Augen ;  die  meisten  auch  mit  genaoer 
Angabe  lies  Provinzjalnamons  und  xles  Gewichtes,  wel- 
ches sie  erreichen  können.     Von  diesen  sechszehn  A^ 
ten  gehört  nur  eine  den  Welsen  (Silnroidei)  an;  alle 
übrigen  sind  aus  der  grofseu  natürlichen  Familie  «ler 
Cyprinen,  und  zwar,  aus  den  Gattungen  Cobitis  Agass., 
Barbns  Cuv.,  Varieorbintfs  ( ! ! )  Rüpp.  und  Labeobar« 
bus  Rüpp.  *)    Die  Gattung  Cobitis  erhält  dadurch  ei- 
nen Zuwachs  von  einer  Art;  die  übrigen  zehn  Arten, 
obschon  durch  die  Mehrzahl  ihrer  Charaktere  mit  Bar* 
bus  Cuv.  verwandt,    verdienen  dennoch  wegen  eiuei 
gemeinschaftlichen,   höchst  eigenthümlichen  Merkinali, 
nämlich  wegen  einer  Spalte  ihres  Scfauppenpanzfers  am 
Bauche,  ein  neues  Genus  zu  bilden,  welches  Hr.  Heckel 
nach  diesem  gemeinschaftlichen  Merkmale  Schizotbo- 
rax nennt.  **)    Es  verdient  als  eine  interessante  Er» 
Bcheinung  i^  Betreff  der  geographischen  Verbreituag 
betnerkt  zu  werden:   dafs  bisher  aus  anderen  Gewäi* 
Bern  noch  kein  Cyprinöid  bekannt  ist,  welcher  in  Fel- 
ge des  erwähnten  Charakters  zu  dem  neuen,  vom  Hrn. 
U.  aufgestellten  Genus  gezählt  werden  könnte. 


*)  Neuer  Nachtrag  Ton  Beachrcibungen  und  Abbildtti^es  newr 
Fische,  im  Nil  entdeckt  Yon  Dr.  Bd-  Kuppel,,  mit  drei 
Steindrucktafeln.  Enthalten  in  dem  Uten  Bande  de«  Mu- 
seum Senkenbergianum.    Frankfurt  a.  M.   1835. 

*^)  „Von  cxiQia,  spalten  und  »aqa^,  Panzer."  Da  sich  jeie 
Art  Ton  Spalt  in  dem  Schuppenpanzer  dieser  Fische  w 
Bauche  befindet  und  ^m^oI  nur  den  Brusthamiaeh,  so  aii 
die  Brust  selbst  bedeutet;  so  hätte  Hr.  H.  lieber  die  Be- 
nennung SchJzogaster  oder  noch  besser  Schistogaster  sli 
die  richtigere  wählen  sollen.  Denn  nur  letzteres  hat  su- 
schliefslich  den  hier  allein  richtigen  passiven  Sinn:  Tentit 
fisso ;  ersteres  kann  auch  ventrem  findens  und  Schizotlio- 
rax  gar  pectus  findens  bedeuten. 


(Der  Beachlnfi   folgt.) 


J  ä  h  r  b  fi  c  h  €i  r 


h 


für 


wissenschaftliche    Kritik. 


November  1839. 


Füche  aus  KascAmtry  gesammelt  und  Aerausge^ 
geben  ron  Carl  Freiherm  von  Hiigeh 

(Schlufs.) 

Wollte  tnao,  so  meint  er,  recht  scmpblds  zu  Werke 
gehen,  so  könnte  man  sein  eben  aufgestelltes  Genus  ohne 
Tiele  Mühe  in  drei  Gattungen  spalten:  wenn  man  näin« 
lieh  auf  die  Verschiedenheit  Rücksicht  nähme,  welche 
sowohl  die  Bildung,  als  die  Stellung  des  Mundes  bei 
rerschiedenen  Arten  darbietet.  *)  Diese  Trennung 
konnte  auch  noch  manche  anderweitige  Abweichungen 
für  sich  haben.  Herr  H.  hat  sie  jedoch  der  Zukunft 
öberla&sen,  die  bei  dem  immer  steigenden  Interesse 
für  die  Naturwissenschaften  auch  die  genauere  Kennt- 
Difs  der  Süfs wasserfische  fördern  und  ihre  Zahl  durch 
fernere  Entdeckungen  vermehren  wird. 

Bevor  der  Verf.  dann  zur  eigentlichen  Beschrei- 
bung der  Arten  übergeht,  erläutert  er  seine  dabei  be- 
folgte Verfahrungsweise,  und  die  eigenthümlichen  von 
ihm  zu  diesem  Behufs  in  Anwendung  gebrachten  me^ 
cbanisohen  Werkzeuge,  deren  Nachahmung  und  Ver<- 
breitung  allerdings  so  vortheilhaft  und  wÜQScbcnswerth 
erscheint,  dafs,  nach  des  Ref.  Ueberzeugung,  eigent- 
lich auf  ibuMi  das  hauptsächliche,  aller  Anerkennung 
würdige  Verdienst  der  Schrift  beruht. 

Bei  der  gröfseren  Anzahl  von  Fischen  (nämlich 
bei  allen  jenen,  deren  Gestalt  als  eine  zusammenge- 
drückte ergeheint,  und  deren  Rückenfirste  unmittelbar 
auf  den  Apophysen  der  Wirbelsäule  oder  auf  ihren 
Zwischeudornen  (ossa  interspinosa)  ruht,  d.  h.  mit  ei- 
nem Worte  bei  den  sogenannten  regelmäfsigen),  giebt 


*)  Bemerkenswerth  findet  Hr.  H.  unter  Anderem  die  eigen- 
thümliche,  an  sehr  vielen  Cyprinen  Indiens  vorkommende 
Mundbildung,  mit  knorj^eltchten  Flächen,  am  Rande  zuge- 
flchürften  Lippen,  die  man  nur  In  Europa  und  im  Nil,  bei 
der  durch  Agassiz  von  Leuciscu«  Cuv.  getrennten  Gattung 
Chondrostoma  Mieder  antrifft. 

Jakrb»  /.  tcu$en$ch,  Kritik.   J.  1839.   II.  Bd. 


ohne  Zweifel  der  Gesammtumrifs  oder  das  sogenannte 
Profil,  nebst  der '  Lage  einzelner  Theile,  z.  B.  des  Au- 
ges, des  Mundes  ü.  s.  v.,  eines  der  wichtigsten  Merk- 
male ab,  sowohl  1^UT  Unterscheidung  der  Arten  (Spe- 
cies)  als  auch  bisweilen  zur  Trennung  (?I  soll  wolJ 
heifsen  zur  Erkennung)  der  Geschlechter  (Sexus). 
Auch  ist  derselbe  als  ein  solches  von  jeher  von  den 
Ichthyologen  anerkannt  und  bei  der  Beschreibung  der 
Arten  angewandt  worden ;  nur  bleiben  die  Ausdrucke, 
deren  man  sich  bediente,  um,  die  Terschiedeneii  Ab- 
weichungen in  der  Erhöhung  der  Stirn,  h  dem  Auf- 
steigen der  Rückenfirste  oder  in  der  Luge  der  Augen 
u«  8.  w.  zu  bezeichnen,  stets  so  unbestimmt,  dafs  mau 
bald  auch  noch  ein  anderesj  nicht  minder  wichtiges 
Kennzeichen  in  der  Anzahl  der  Flossenstrahlen  auf« 
suchte^  um  hiernach  eine  vorliegende  Art  zu  charakte- 
risiren.  Allein  bei  dem  grofsen  Zuwachse  neu  ent- 
deckter Fische  zeigte  es  sich  sehr  bald,  dafs  nicht 
blofs  einzelne  bestimmt  verschiedene  Species  unter  ih- 
nen eine  gleiche  Strahleuanzahl  haben,  sondern  dafs 
sogar  ganze  Qen6ra  darin  übereinstimmen.  Hiernach 
sah  man  sich  denn  noch  mehr  als  zuvor  geuöthigt, 
seine  Zuflucht  zu  Angaben  von  der  Gestalt,  der  Lage 
und  dem  Verhültuisse  einzelner  Theile  zu  einander  zu 
nehmen,  deren  genügende  Beschreibung  stets  um  so 
schwieriger  wurde,  je  mehr  Arten  sich  danach  an  ein« 
ander  reihten.  Hierzu  gehört  gauz  vorzugsweise  die 
Charakteristik  der  Gestalt.  Keine  Terminologie  hatte 
bisher  Mittel  an  die  Hand  gegeben,  um  die  feineu  Ab- 
stuf ungcu  der  Formumrisse  uiit  mathematischer  Ge- 
nauigkeit anzugeben  oder  festzustellen.  Die  Begriffe 
und  Bestimmungen  derselben  blieben  rein  relativ.  Denn 
sie  wurden  aus  der  Vergleichung  einer  Reihe  von  nahe 
verwandten  Arten  unter  einander  entlehnt:  so,  dafs 
beim  Bestimmen  solcher  Arten,  die  sich  z.  B.  einzig 
und  allein  durch  eine  verschiedene  Höhe  des  Kopfes 
von  einander  unterscheiden,  es  häufig  selbst  dem  ge- 

95 


755  .  V.  HUgelj  Fiiche 

übtesten  Iphthjologcn  unmöglich  wurde,  über  eine  zu 
beatiinnieude  Art  (Species)  aus  der  blofscn  Beschrei- 
bung derselben  Gewifsheit  zu  erlangen,  wenn  ihm  nicht 
dieselbe  Reihe  von  Ai'ten  zu  Gebote  stand,  wie  sie 
der  Bescfareißer  beim  Entwerfen  seiner  Beschreib^ung 
yor  Augen  gehabt  hatte« 

Dafs  bei  sor  schwankenden  Angaben  über  so  wich-  ' 
tige  Merkmale  huch  das  Unterscheiden  dei*  Arten  sehr 
oft  schwankend  bleiben  und  diefs  einen  nachtheiligen 
EinflttfS'  auf  das  Portschreiten  der  Ichthyologie  ausü^* 
ben  mufste,  wird  vielleicht  Jedem,  der  isich  praktisch 
mit  diesem  Zweige  der  Zoologie  beschäftigt  hat,  eben 
80  gut  einleuchten,  wie  dem  Verf.  unserer  Schrift. 

Um  den  Nachtbcilen,  welche  aus  dieser  Mangel- 
baftfgkeit  der  Terminologie  entspringen,  so  viel  als 
möglich  zu  begegnen,  war  derselbe  bemüht,  bei  sei- 
ner Beschreibung  der  neuen  Cyprinen  die  Formomrisse 
mathematisch  zu  bestimmen.  Diefs  schien  ihm  gerade 
hier  um  so  nöthiger^  weil  eben  auch  mehrere  Arten 
seiner  Gattung  Schizothorax  sich  vorzüglich,  durch 
ihren  Umrifs  von  einander  unterscheiden.  Sein  Ver« 
fahren  dabei  war  folgendes: 

Er  zog  eine  Achse  durch  die  Länge  des  Fisches, 
nicht  in  denr  allgemeinen  Sinne  des  Wortes  mitten 
durch  den  Schwerpunkt  desselben,  der  bei  einem  und 
demselben  Individuum  zu  verschiedenen  Perioden  leicht 
an  ziemlich  verschiedene  Stellen  fallen  könnte;  son« 
dern  nur  durch  die  Mitte  des  Kopfes  und  Schwanzes, 
ohne  dabei  fürs  Erste  zu  berücksichtigen:  ob  der  grö^ 
fsere  Theil  des  Rumpfes  sich  über  oder  unter  dieser 
Achse  befinde.  Es  versteht  sich  indcfs  von  selbst, 
dals  der  Fisch  hierbei  in  seiner  gewol^nlicben  ruhen- 
den Lage  sein  mufs,  ohne  gewaltsam  ab-  oder  vor-^ 
w'ärts  gebogen  zu  sein.  Die  Mitte  des  Kopfes  nahm 
Hr.  H.  senkrecht  über  dem  unteren  Umfange  desselben, 
Dämlich  da,  wo  die  Kiemenstrahlen  beider  Deckel  auf- 
hören, sich  zu  berubren,  oder,  was  einerlei  ist,  da,  wo 
der  durch  den  Kiel  des  Zungenbeines  gebildete  Isth- 
mus mit  der  Symphyse  der  Schulterknochen  zusam- 
menhängt. Die  Mitte  des  Schwanzes  ist  stets  an  sei- 
nem Ende  zu  messen,  und  trifft  beinahe  immer  mit 
dem  Einfalle  der  Seitenlinien  daselbst  überein.  Die 
auf  solche  Weise  fixirte  Achse  benutzte  Hr.  H.*  zu- 
erst, um  die  Lage  derjenigen  Theile  zu  bestimmen, 
welche  sich  mit  ihr  auf  einerlei  Höhe  befinden,  oder 
durch  sie  berührt  werden    (z.  B.   die  der  Nase,    der  . 


msi  Ka$ehmir.  756 

Mundspaltie  des  Auges,  den  Winkel  des  Deckek  a.  s. 
w.);  dann  fällte  er  an  jenen  Stellen  des  Umrisses, 
deren  genaue  Angabe  nöthig  erschien,  senkrecht^  Li- 
nien auf  die  Achse  herab«  und  bezeichnete  ^ie  Entfer- 
uuDg,  in  welcher  jene  senkrechten  Linien  nach  den 
Anfange  der  Achse  auf  dieselbe  fielen,  durch  Angabco 
in  Bruchtheileu  der  Körperlänge.  Ferner  betrachtete 
er  alsdann  diese  Achse  als  Basis  des  über  und  unter 
ihr  befindlichen  Umrisses,  und  den  Anfang  derselben 
als  Radiationspunkt  oder  als  das  Centrum,  von  Wel- 
chem aus  er  nun  mittelst  gewöhnlicher  Graduiesanng 
(den  Zirkel  in  360"^  getheilt)  die  Erhöhung  der  besag- 
ten Stellen  des  Umrisses  (z.  B.  des  Hinterhauptes,  der 
Rückeofirste,  der  Rückenflosse  u.  s.  w.)  bestimmte^ 
deren  geuaue  Entfernung  von  demselben  Punkte  er 
früher  augegeben  hatte.  Zugleich  benutzte  er  auch 
wieder  die  bei  dieser  Gradmessung  gezogenen  Radien, 
z.  B.  den  nach  dem  ersten  Strahle  der  Rückenflosse, 
zuvörderst  als  Sehne  von  dem  darüber  stehenden 
Theile  des  Profilbogens,  um  den  Ort  seiner  gröfsten 
Erhebung  anzuzeigen,  dann  als  Tangente  einzelner  in 
ihrer  Richtung  liegender  Theile,  z.  B.  des  Auges,  der 
Kiemenspalte  u.  s.  w.,  indem  er  bemerkte:  ob  diese 
Theile  nur  von  ihr  berührt,  oder  ob  und  wie  sie  von 
ihr  durchschnitten  wurden. 

Auf  diese  Weise  glaubt  er.  Jede  bemerkbare  Ab- 
weichung des  Umrisses  sowohl,  wie  der  Lage  einzel- 
ner Theile  mit  einer  Genauigkeit  angegeben  zu  ha-- 
ben,  die  keinen  Zweifel  mehr  zuläfst.  Ja  er  hält  sieb 
überzeugt,  dafs  diese  Messungsweise  sich  nach  Bedarf 
und  Umständen  bis  auf  einen  Punkt,  ausdehnen  und 
vervielfältigen  lassen  würde,  wo  dann  selbst  der  Un- 
geübteste sich  ein  getreues  Bild  von  jeder  auf  diesa 
Weise  beschriebenen  Species  selbst  zu  schaffen  im 
Stande  sein  müfste.  Ferner  dürfte  les  durch  sie  jeden- 
falls dem  Beschreib^r,  welcher  nicht  in  der  Lage  ist^ 
gute  Abbildungen  anfertigen  lassen  zu  können,  wohl 
ziemlich  entbehrlich  werden,  seine  Entdeckungen  auf 
eine  so  kostbare  Weise  zu  veröifentliqhen.  Endlich 
kann  dieses  Verfahren  auch  den  mit  bildlichen  Dar- 
stellungen beauftragten  Künstlern,  die  bekanntlich  ge- 
wöhnlich keine  Naturforscher  sind^  die  Anfertigung 
zuverlässiger  Zeichnungen  wesentlich  erleichtem  helfen« 

Wegen  der  Wölb.ung  des  Körpers  kann  bei  Mes- 
sungen von  Thieren  der  Gebrauch  gewöhnlicher  Li- 
neale, Zirkel  und  Winkelmesser  (Transporteure)  u.  s. 


w.  in  dm  meisten  F&Ilen  nur  unaiebere  und  unzuver* 
läfsige  Resultate  geben.    Deshalb  war  Hr.  Heokel  auf 
die  AnfertiguDg  zweier,   diesem  Zwecke  entsprechen* 
der  Insfrainente  bedacht..   Das  erste  derselben  ist  ein 
besooders  construirter  Zirkel,  zur  richtigen  Best iminung 
der  Achse;  das  zweite  ein  Gonyoineter  zur  Messung 
des  Umrisses,  Terbnnden  mit  einer  Theilnngsscliiene, 
ttm  die  Achse,  sie  mag  länger   oder  kurzer  sein,  so* 
l^eioh  in  jede  erforderliche  gerade,  oder  ungerade  An* 
.  sahl  Ton  Bmchtheilen  zu  zerlegen.    Auf  diese  Weise 
wird  bei  richtigem  Gebrauche  der  Instrumente  nicht 
allein  bedentend  an  Zeit  erspart,  sondern  die  Uoter« 
lehiede  yerwandter  Arten  in  Betreff  ihrer  Gestalt  und 
die  Stellung  rfarer   einzelnen   Theile  zu  einander  wer- 
deo  auch  mit  mathematischer  Genauigkeit  festgestellt. 
Eine  eehr  ausfuhrlicbo  Beschreibung  und  deutliche  Ab- 
bildung beider  Instrumente,   zu  deren  weiterer  Schil* 
deniDg  hier  natürlich  der  Ort  nicht  ist,   nebst  Angabe 
nehrerer  mit  ihnen  an  einigen  einheimischen  Cjprinen 
Torgenommenen  Messungen^   folgen  in  dem,    eigeuds 
daTon  han.ielttden  Anhange  (S.  87—106).     Um  dessen- 
willea  mirfs   man  das  in  Rede  stehende  Werkchen  in 
des  Händen  recht  vieler  Naturforscher  ncd  namentlich 
io  denen  jedes  Ichthyologen  wünschen:  zumal,  da  sich 
TOD  den  mechanischen  Hnifsmitteln    auch  in  nicht  wc- 
^gen  anderen  Fächern  der  beschreibenden  Naturkunde 
eise  nötzliche  Anwendung  machen  lassen  dürfte.    Je- 
der geübte  Mechanikus  mufs  dieselben   nach  der,  in 
dem  Werkchen   gelieferten,   doppelten  Darstellung  zu 
Terfertigen  im  Stande  sein;   auch  kann  der  Preis  der- 
selben eben  nicht  sonderlich  hoch  kommen. 

Am  Schlüsse  der  Bemerkung  über  diese  neue  Me- 
thode kann  Ref.  den  Gedanken  zu  einem  naheliegenden 
vnd  leicht  ausführbaren  Vorschlage  nicht  unterdrücken, 
aof  welchen  er  so  eben  yerfallt,  und  yon  welchem  nur 
za  wünschen  wäre,  dafs  ihn  Hr.  Hechel  als  Urheber 
der  Methode  bereits  selbst  auszuführen  yersucht  ha- 
ben möchte :  da  die  Ausführung  desselben,  wenn  auch 
vielleicht  keine  Vervollkommnung  des  Ganzen  an  sich, 
doch  gewifs  eine  bedeutende  Abkürzung  für  den  Aus- 
druck der  jedesmaligen  Resultate  sein  würde.  Wenn 
man  nämlich  Ton  den,  bei  Messungen  dieser  Art  in 
Betracht  kommenden  Punkten  des  Fischkörpers  jeden 
eiuzeluen  ein  für  alle  Mal  mit  einem  gewissen  Buch-  , 
Stäben  bezeichnete,  auf  ähnliche  Weise  wie  diefs  mit 
den  Flossen  bei   der  Zählung  der  Strahlen  geschieht; 


aus 'ItascAmir.  75ä 

so  würde  z.  B.  die  Angabe  der  hier  TOrkommendea 
Winkel,  Linien,  Bogen  u.  s.  w.  und  ihrer. Verhältnissi^ 
zu  «einander  sich  in  ganz  kurze  nnd  leicht  übersehbare^ 
nach  mathematischen  Regeln  bestimmte  Ausdrücke  fas^ 
sen  lassen,  die  eben  so  verstündlich  sein' würden,  wie 
z.  B.  die  Bezeichnung'  B.  12,  A.  17  u.  s.  w.,  die  sich 
Jeder  dahin  deutet:  dafs  jede  ßauchflosse  12,  die  Af- 
terflosse 17  Strahlen  habe  u.  s.  w.  Allerdings  wird  eä 
für  diesen  Zweck  überhaupt  einer  viel  umfassenderen 
nnd  complicirteren  Terminologie  bedürfen,  als  in  Be« 
zng  auf  die  Zahl  der  Flosseustrahlen  $  fadefs  dürfte  es 
trotzdem  wohl  keinem  Zweifel  unterliegen,  dafs  mad 
sich  bei  guter  Wahl  derselben  nnd  nach  gehöriger  Qe* 
Wohnung  daran  mit  eben  so  viel  Leichtigkeit  und 
Sicherheit,  als  Kürzq  in  derselben  werde  bewegen 
können.  — 

Die  Beschreibungen  des  Hrn.  Heckel,  denen  stets 
lateinische  (sprachlich  leider  sehr  mangelhafte)  Gut- 
tnngs-  und  Artskennzeiohen  yoransgehn,  reichen  von 
S.  1 — 8Cr.  Sie  sind  sehr  ausführlich  nnd  genau;  zu- 
gleich sind  alle  Species  abgebildet.  Die  Bilder,  nett 
in  Kupfer  gestochen,  haben  noch  ihre  besonderen  Er- 
läuterungen (S.  107  —  112).  Sic  sind  zwar  nicht  colo- 
rirt,  und  überhaupt  eigentlich  nur  saubere,  halb  aus- 
geführte Skizzen,  lassen  aber  gerade  deshalb  alle  Cin- 
zelnheiten  sehr  deutlich  hervortreten.  Daher  genügen 
sie  zu  ihrem  Zwecke  auch  so  schon  hinlänglich;  um 
80  mehr,  weil  die  Mehrzahl  der  Arten  keine  eigentlich 
bunte  Zeichnung  besitzt  und  mehrere  nur  eine  ganz 
einfache  Färbung  haben.  Bei  den  beiden  Cobitis- Ar- 
ten, wo  die  Zeichnung  mannigfacher  ist,  sind  die  Dar- 
stellungen etwas  weiter  ausgeführt.  In  allen  Füllen 
stellen  sie  aufser  dem  Körperdurchschnitte  auch  noch 
mehrere  wichtigere  einzelne  Theile  sehr  gut  dar:  z.  B. 
den  Kopf  der  Unterseite,  den  Mund  nnd  besondere  Kie- 
fertheile,  oder  Schlundknochen  u.  dgl.  mit  Zähnen; 
femer  stets  mehrere  einzelne  Schuppeu  von  yersphie- 
denen  Theilen  des  Körpers  in  vergrörsertem  Maafs- 
stabe  und  weiter  ausgezeichnet :  darunter  beider  neuen 
Gattung  Scbizothorax  die  Afterflosse  mit  der  spaltcn- 
ühnlichen,  unbeschuppten,  aber  von  gröfseren  Schuppen 
umgebenen  Stelle  und  mit  den  abweichend  gebildeten 
Schuppen  zunächst  um  sie  her.  Die  Arten  derselben 
werden  nach  der  BeschaiFenheit  ihrer  Lippen  in  drei 
Abtbeilungen  gebracht.  Hr.  H.  nennt  sie  Seh.  plagio^ 
stomus,  Seh.  sinuafuS)  Seh.  curvifrons.  Seh.  longipin* 


75§ 

nis,  Seh.  niger,  Soh*  nasus,  Scb.  Högelii,  an  welchem 
sich  der  Charakter  der  Gattung,  i^ie  er  durch  den  Na- 
men Schizothorax  ausgedrückt  werden  aoll^  am  schärf- 
sten ausgepritgt  zeigt;  Seh.  micropogon,  Seh.  plani- 
frons  und  Seh.  esocinns..  Letzterer  ist  von  ziemlich 
bechtartiger  oder  noch  mehr  der  gemeinen  Barbe  ähn- 
lichen Gestalt,  und  mit  eben  so  langen  Bartfaden,  wie 
diese  Tersehen.  Die  Arten  von  andern  Gattungen  sind : 
Barbus  diplochilus,  mit  eigenthümlicber  Muudbildung 
und  blos  wenig  bemerkbaren  Bartfaden •  Spuren,  La* 
beobarbus  macrolepis,  Varicorhinus  (1)  diplostomns, 
ein  mehrfach  interessanter  Fisch  **),  Cobitis  marmo- 
rata  und  C.  vittata;  endlich  Siluras  Lamghur,  ein  klei- 
ner Wels,  leider  nur  nach  einem  Exemplare  mit  man- 
gelhaften stark  verletzten  Flossen,  bekannt  und  von 
dem  einheimischen  Welse  als  Typus  der  Gattung  in 
mehreren  Punkten  so  abweichend,  dafs  er  wohl  gene- 
risch  getrennt  zu  werden  verdienen  dürfte. 

Die  Schreibart  des  Verfs.  könnte  allerdings  häufig 
etwas  sorgfältiger  uod  gewählter  sein;  sie  würde  hier- 
durch auch  noch  an  Klarheit  gewinnen.  Die  Ausstat- 
tung des  Werkes,  vorzüglich  des  Textes,  ist  ausge- 
zeichnet hübsch;  namentlich  ist  das  Papier  dazu  so 
blendend  weifs,  dafs  die  Kupfer  dagegen  schon  etwas 
^u  ihrem  Nachtbeile  abstechen. 

Gloger. 

L. 
Des  Propheten  Jesaia  Weissagungen.     Chrono- 
logisch geordnet^  übersetzt  und  erklärt  von  L. 
Z.  Hendewerh.    Erster  Theil,    Königsbergs 
1838.  bei  Bornträger.    P.  CXXXI.  731. 

m 

Allen  denen,  welche  von  der  Philosophie  nichts 
weiter  zu  sagen  wissen,  als  dafs  sie  dem  Theologen 
schädlich    sei   und    dafs   sie    die   sogenannten  sittlich- 


ffefulewerJky  des  Propieten  Jesaia  fFeissagungen* 


*)  Isi  es  nicht  schon  schlimm  grenu^,  dafs  Engländer  und  Fran- 
zosen, denen  man  bei  ihrer  so  häufig  mangelhaften  Keont- 
Djfs  der  griechischen  und  lateinischen  Wort -Bildung  einen 
falsch  gebildeten  Namen  noch  eher  nachsehen  kann,  uns 
Deutsche  immerfort  zum  Hufmeistern  und  Nachbessern  zwin- 
gen? MUssen  auch  noch  Deutsche  selbst  recht  muthyvillig 
in  dieseibeli  argen,  schon  so  häufig  gerügten  Fehler  rerfal- 
len,  wie  Ur.  Rüppell  mit- dem  Bastard- Worte  Varicorhinus, 
an  dessen  Statt  z.  B.  die  rein  griechischen  Namen  Phaco- 
rhiuus  oder  Adenorhlnos  so  nahe  gelegen  hätten?  — 

(Die  Fortsetzung  folgt.) 


760 

religiösen    Ideen    oder   Principien   oder  wie  man  das 
sonst  nennt,  iras  den  Inhalt   der  heiligen  Schrift'  bil- 
det, yerdrehe,  mülste  vorliegender  Commentar  eigept- 
lieh  ein  wahres  Labsal  sein,   eine  Oase  in  den  Sand- 
steppen,   die  man  sich  gewöhnlich  als  die  Wohnstätte 
des  Begriffs  denkt.     Der  Verf.  dieses  Commentars  be- 
kennt sich    zwar    auch  zu  einer  Philosophie,    zu  der 
Herbart's,  und  er  will  ausdrücklich  die  Richtigkeit  der 
Sätze  derselben  ,,8treng  exegetisch  in  der  Bibel  nach- 
weisen.'*   Aber   wie   zahm  und   unschädlich  ist  diese 
Philosophie.     Welcher  brave  theologische  Leser,  d(9 
pflichtgemäfs    bei   jenem    [philosophischen  Anlauf  dei 
Verfs.  stutzig  wird  und  zurückprallt,  sollte  nicht  wie» 
der  Muth  bekommen  und  wenigstens   mit  einiger  gut- 
müthigen  Vertraulichkeit  wieder  näher  treten,  wenn  er 
den  Verf.  versichern  hört,  dafs   er  seinen  Commentar 
um   seiner   „ethischen  Tendenz**   willen    vorzugsweise 
jungen  also   noch  nicht  stichfesten  Theologen  und  so- 
gar praktischen   Geistlichen  empfehle,    dafs  er  „den 
sittlichen  Begriffen,   wie  sie  nun  eben  (!)  in  der  Bibel 
vorkommen,  eine  ganz  besondere  Aufmerksamkeit  ge* 
schenkt  habe."    AVer  die  praktische  Tendenz  der  Bi- 
belerklärung liebt,  wird  sich  freuen,  dafs  der  Verf.  die 
praktischen  Ideen  in  der  Bibel  nachweisen  will,   wird 
darüber  hinwegsehen  ^  dafs  der  Verf.  die  praktiscbeo 
Ideen  von  Herbart  entlehnt,  uud    dafs  er  noch  uebeo- 
bei  gleichsam  als    Zugabe  aus   der  Schrjft   den  Her- 
bartschen  Satz,  dafs,  die  sittlichen  Begriffe  ästhetische 
sind,  begründen  will  (p.  XV).    Ja  was  das  Eigenthüin- 
liehe   an   dieser   Richtung  des   Verfs.   auf  die  prakti- 
schen Ideen  ist,   dafs  er  sich  nur  selten  dieser  Lieb- 
lingsneigung hingiebt,  nur  hier  und  da  von  den  Ideen 
spricht  und  dauu  ganz  kurz  nur  darauf  aufmerksam 
macht,  wie  also  schou  der  Hebräer  Herbart's  Anskht 
gehabt  habe,  sonst  aber  im   gewöhnlichen   Curialstjl 
der  Commentare  stehen  bleibt,  diese  Genügsamkeit  der 
Philosophie  mufs  bestehen.     Und   welche   Bescbeiden- 
heit,  andere  Pbilosopliieen  sind  bei  den  Theologen  yer^ 
hafst,  weil  sie  nach  ihren  Vorstellungen  über  die  Gel- 
tung biblischer  Vorstellungen  entscheiden  wollen:  bier 
kommt  eiue  Philosophie,  welche  die  Richtigkeit- ihres 
Satzes,   dafs  die  sittlichen   Begriffe  ästhetische  sind, 
in  der  Bibel  nachweisen,  also  die  Bibel   zum  Beweis 
für  ihre  Wahrheit  macheu  will.    Rara  avis! 


wissen 


•^96. 

Jahrbücher 

für 

Schaft  liehe 


November  1839. 


Kritik. 


JDe«  Propheten  Jeeoim  fPeüeagungen,  Chrono^ 
iogück  geordnet  j  übersetzt  und  erklärt  vom 
Ih  lu  Hendewerh. 

(ForUetZDDg.) 

Aber  dennoch  steht  zu  befurohten,  dafs  dieser 
Commentar^  trotz  aller  philosophischen  Bescheidenheit 
und  Einschränkung)  auch,  bei  den  willfahrrgsten  Theo- 
logen nicht  den  rechten  Eindruck  machen  wird.  Er 
ist  nämlich  zu  genügsam«  Ein  wenig  philosophirt  ja 
jeder  Theologe  wäre  es  auch  nur,  dafs  er  manchmal 
schlierst,  beweist,  Tom  Wesen,  von  Möglichkeit  u.  s.  w* 
spricht.  Soll  er  aber  ein  Buch  als  ein  philosophisches 
anerkennen,  so  verlangt  er  doch  mehr,  so  ist  es  ihm 
nicht  genug,  dafs  hie  und  da  einci  philosophische  Eti- 
kette einem  biblischen  Spruche  angehängt  werde;  er 
wird  sonst  argwöhnisch  und  befiirchtet  bei  seiner  Vor^ 
aossetzung  von  der  Schädlichkeit  der  Philosophie«  dafs 
eme  so  sparsame  Verbindung  des  Philosophischen  und 
Biblischen  doch  nur  eine  falsche  sei,  dafs  im  Hinter- 
gmnd  die  gefährlichsten  Truppen  des  Feindes  noch 
versteckt  sind. 

Leicht  bat  es  der  Hr.  Verf.  den  theologischen  Le- 
sern gemacht,  wenn  er  BegrifFsbestimmungen  giebtj 
aber  auch  das  wieder  zu  leicht,  zu  bequem,  als  dafs 
er  sich  bei  ihnen  einen  Erfolg  versprechen  könnte,  zu 
kinderleicht,  um  bei  ihnen  zu  gewinnen.  Schwer  ma- 
chen es  sich  zwar  die  Theologen  gewöhnlich  auch 
nicht,  mit  Voraussetzungen,  die  sie  für  einen  Satz 
brauchen,  nehmen  sie  es  nicht  besonders  streng;  aber 
sehen  sie  diese  Bequemlichkeit  an  eidem  Gegner,  und 
der  ist  für  sie  bekanntlich  der  Philosoph,  so  möchte 
sie  ihnen  schon  mehr  auffallen,  mag  es  ihnen  non  als 
ein  Raub  ihrer  Prärogative  erscheinen  oder  das  Ge- 
setz wirken,  dafs  Gleiches  sich  nicht  immer  vi  Glei* 
chem  gesellt,  sondern  sich  auch  oft  von  einander  ab- 
JMkrb.  /.  wuuüHh.  Krkik.  J.  1830.    II.  Bd. 


gestofeen  fühlt.  So  will  der  Verf.  in  der  Einleitung 
den  Begriff  eines  Propheten  construiren.  Zuerst,  sagt 
ety  gehört  dazu  das  Moment  des  Sittlichen.  Dazu 
kommt  dann  noch  eine  andere  Ingredienz,  dekm  (p. 
^11)  „das  sittliche  Moment  steht,  wie  schon  erwähnt 
ist,  in  der  innigsten  Beziehung  und  Verbindung  mit' 
dem  religiösen."  Und  in  der  That  ist  das  p.  XIX  mit 
denselben  Worten  bereits  erwähnt.  Glückliche  Zeit 
des  Friedens,  wo  man  etwas  nur  zu  erwähuen  braucht, 
um  der  allgemeinen  Zustimmung  geirifs  zu  sein.  Der 
Verf.  ist  sich  zwar  in  der  inhaltsvollen  und  in  wenige 
Zeilen  zusammengedrängten  Entwicklung  dieses  Ge- 
genstandes nicht  recht  klar ;  bei  aller  Verbindung  sagt 
er,  hätten  die  biblischen'  Schriftsteller  die  sittlichen 
Ideen  von  der  Idee  Gottes  sehr  wobl  zu  unterscheiden' 
gewufst  und  nur  als  Volkslehrer  hätten  sie  beides  auf 
das  Innigste  verbinden  müssen.  Allein  dann  hätte, 
wenn  die  Momente  verschieden  sind,  ihre  Verbindung 
statt  eine  innige  nur  eine  äufserliche  sein  können. 
Aber  der  Hr.  Verf.  hat  wahrscheinlich  auch  in  diesem 
Punkte  in  der  allgemeinen  Meinung  dieselbe  Unklar- 
heit vorausgesetzt  und  Worte,  wie  Verschiedenheit, 
Beziehung,  innigste  Verbindung  u.  s.  w..  Worte  sein 
lassen.  Zuletzt  brauchte  es  der  glückliche  Autor  auch 
nur  zu  erwähnen,  „dafs  das  Sittliche  mit  dem  Staat- 
lichen in  der  innigsten  Verbindung  steht**  und  ein  drit- 
tes Ingredienz  für  den  Begriff  eines  Propheten  war 
gewonnen  (p.  XXVIII).  Nun  noch  einige  divinatori- 
sehe  Kraft,  wie  »ie  der  Verf.  in  einer  Menge  von 
Männern  findet,  die  z.  B.  die  französische  Re^^olution 
vorausgesetzt  haben  (p.  LXllI)  und  der  Begriff  eines 
Propheten  ist  fertig. 

Lassen  wir  aber  den  Einklang  -  des  Verfs.  mit  der 
gewöhnlichen  theologischen  Unbestimmtheit,  welche  in 
der  Annahme  von  der  ranigen  Verbindung  des  Sittli- 
chen und  Religiösen  liegt.    Bemerken   wir  auch  nur 

96    ^ 


763 


B^ndewerk^  des  Prof^heten  Je%aia  Weissagungen. 


76f 


beiläofij^,  veil  ea  schon  oft  genug  yom  philosophi- 
schen Standpunkt  aus  gesagt  ist,  dafs  eine  geistige 
Erscheinung  nicht  aus  allgemeinen  Bemerkungen,  dafe 
dies  und  jenes  in  innigster  Verbindung  stehe,  zu  con- 
struireo,  sondern  nur  ans  ihrem  eignep  Prinoip  xu  be- 
greifen und  "wenn  sie  als  bestimmte  Erscheinung  im 
Verhältnifs  zur  atlgemeineu  Idee  gefafst  wird,  eben 
als  diese  Bestimmtheit  der  Idee,  nicht  als  blofses 
Exemplar  eines  yagen  GattungsbegriiFs  zu  fassen  ist. 
Sehen  wir  statt  dessen,  wie  der  Herr  Verfasser  mit 
philosophischen  Principien  seinen  Commentar  durch- 
zogen bat;  wir  können  kurz  sein,  da  der  Heirr  Ver- 
fasser in  dieser  Beziehung  auch  sehr  karg  gewe- 
%fSiiL   ist. 

Alles  läfst  sich  auf  zwei  Entdeckungen  zurück^ 
führen,  erstlich,  dafs  dem  Hebräer  die  sittlicben  Be- 
griffe zugleich  ästhetische  seien.  War  aber  irgend 
etwas  dem  Hebräer  fremd,  so  war  es  diese  Beziehung 
des  Sittlichen  auf  das  Gefühl  und  die  Empfindung. 
Schon  das  ist  Unrecht,  dafs  der  Vorf.  dem  Hebräer 
sittliche  Bestimmungen  zuschrieb,  da  es  für  dieseh 
doch  nur  Rechtsbestimmungen  gab;  Und  allerdings 
eben  weil  diese  Besthnmungea  die  Substanz  waren,  in 
der  der  Hebräer  ganz  und  gar  lebte,  so  war  Ton 
*ihnen  auch  sein  gesammtes  Gefühl  afficirt.  Von  jeder 
gesetzlichen  Bestimmung  als  göttlichem  Gebote  iiihlte 
sich  der  Hebräer  sa  ergriffen,  ilafs  er  in  ihr  unmittel- 
bar sich  seinem  ganzen  Wesen  nach  affirmirt  und  er- 
halten und  im  Gegentheil  sich  persönlich  negirt  em- 
pfand. 'Aber  dies  Gefühl  ist  kein  ästhetisches,  hat 
mit  dem  theoretischen  Interesse  am  Schönen  nicht  das 
Geringste  zu.  thun,  ist  im  Gegentheil  die  praktische 
Selbstbeziehung  des  Ich  auf  sich,  ist  die  Selbstempfin- 
dung des  Ich,  welches  in  seiner 'rechtlichen  Substanz 
sich  selbst  und  seine  wesentliche  Erhaltung  erreicht. 
Wenn  Jesaias  5,  20.  die,  welche  Gutes  in  Böses  und 
Eöses  in  Gutes  rerkehren  d.  h.  die  rechtlichen  Grund- 
btstimmungen  verkehren ,  vergleichungsweise  solche 
nennt,  die  das  Bittre  in  Süfses  verkehren,  so  ist  das 
natürlich  bildlich  gesprochen  und  der  Prophet  wollte 
damit  nicht  das  Gute  und  das  Böse  nach  ihrem  ästhe- 
tischen Charakter  bezeichnen.  Das  ist  die  erste  phi- 
losophische Nummer.  Nun  Nr.  2. !  Wir  haben  bereits 
gesehen,  wie  der  Verf.  erwähnte,  dafs  das  Sittliche 
und  Religiöse  in  der  innigsten  Verbindung  stehe.   Doch 


dabei  weife  der  V^rf.  noch,  dafs  die  sittlichen  Ueea 
von  der  Idee  Gottes  zu  unterscheiden  seien,  auch  die 
Propheten  hätten  diesen  Unterschied  recht  wohl  ge- 
kannt und  nur  als  Volkslehrer  dies  bessere  Bewufst- 
sein  zurückdrängen  müssen  (p.  XXII).  Der  Verf.  iit 
auch  so  glücklich,  im  Commentar  selbst  p.  144  zeigen 
-zu  können,  wie  im  Propheten  auf  einmal  sein  bessem 
Bewufstsein  hervorbricht.  Jesaias  sagt  c.  5,  1$:  (an 
seinem  Gerichtstage)  ist  erhaben  Jehova  im  Geriobt 
und  heiligt  sich  der  heilige  Gott  in  Gerechtigkeit 
„Hier,  sagt  der  Verf.,  sieht  man  deutlich,  wie  bei 
Jesaias  die  sittlicben  GrundbegriiFe  als  das  Hdokite 
galten,  von  dem  die  eigentliche  Wurde,  jedes  WUleu, 
des  göttlichen  wie  des  menschlichen  bestimmt  wird." 
Diese  Behauptung  wird  zunächst  durch  die  einfoche 
Betrachtung  des  prophetischen  Ausspruchs  .sich  a- 
rückweisen  lassen:  wenn  Jehova  im  Gericht  i\nd  ifi 
Gerechtigkeit  sich  als  erhaben  und  heilig  oiFenbart,  lo 
wird  er  nicht  von  „Grundbegriffen"  bestiuimt,  die  als 
das  „Höchste"  für  ihn  eine  äufserliehe  Macht  sinil, 
sondern  das  Gericht-  ist  hier  nichts  weiter  als  seine 
That,  welche  die  inneren  Selbstbestimmungen  seines 
Willens  in  der  Geschichte  ausführt,  und  die  Gerech- 
tigkeit ist  das  Resultat  des  Gerichts,  das  ausgefilhite 
Gericht,  die  Erscheinung  des  göttlichen  Willens  is 
der  wirklichen  Geschichte,  und  es  bleibt  dabei,  dafs 
dem  Hebräer  der  göttliche  Wille  und  dessen  Selbstbe" 
Stimmungen  das  Gesetz  und  der  einzige  Grund  aller 
rechtlichen  Bestimmungen  ist.  Wo  ist  im  Pentafcuch, 
im  Gesetzescodex  auch  nur  die  leiseste  Andeutung  ds> 
von,  dafs  Jehova  seinen  Willen  durch  eine  ihm  ftii- 
fserliche  Idee  bestimmen  lasset  Er,  das  substanzielle 
Subjekt,  der  als  solches  Nichts  aufser  ihm  bat,  wo- 
durch er  bestimmt  werden  könnte,  soHte  den  Grood 
der  wesentlichsten  Bestimmungen  aufser  ihm  habenl 
Davon  weifs  das  A.  T.  Nichts.  Die  Rechtsbestimmoa- 
geh  gelten  dem  Hebräer,  weil  Jehova  will,  ja  we9 
3ehova  der  Herr  ist  und  in  dem  einfachen  Gedanken 
seines  ewigen  Seins  auch  der  Gedanke  der  ewigen 
Gesetze  cuthalten  ist.  Darum  ist  es  für  den  Hebiüer 
genug,  dafs  Jehova  sagt,  denn  ich  bin,  ich  bin  Jehors 
oder  höchstens  denn  ich  bin  heilige  ttm  dadurch  das 
Gesetz  als  ein  i^othwendiges,  als  ein  solches,  das  sidi 
von  selbst  versteht  und  als  ein  bewiesenes  zu  wiaseo. 
Es  hat  eben   seinen  Grund   und  Beweis   darin,.  da& 


7i5 


Hemkmtttikj  des  PHtphet^n  JeMoia  9Vei99agUHgetK 


766 


Jebofa  das  tabttaDsielle,  ewig  sich  selbst  uad  das 
Eadlicke  bestiindieade  Subjekt  sei. 

Die  philoBopbisobe  Klippe  des  CominDotars  kättea 
vir  also  uoisobifft,  obne  besonderen  Schaden  zn  exlei<* 
.  den,  und  vir  können  uns  nun  sicherer  dem  Werke, 
wo  es  dem 'gewdhnUeben  Strome  folgt,  anvertrauen« 
Im  ▼ofUegenden  Tbeile  sind  die  protojesaianiscben  Wjßis* 
aagangeo  erklärt,  d.  lu  diejenigen,  die  der  Hr.  Verf. 
nocb  den  Resultaten  der  neueren  Kritik  als  ficht  be- 
traehtet,  die  deut^rojesaiaoischen  sollen  erst  in  einem 
folgenden  Theile  erklärt  werden  mid  hier  sind  auch 
0fst  die  Grande  zu  erwarten,  die  den  späteren  Ursprung 
derselbea  beweisea  sollen.    Elinen  Grund  aber  für  die 

« 

Uneofallieit  dieser  Weissagungen  hat  der  Hr.  Verf. 
aeboo  aus  der  Ueberscbrift  der  gansen  Sammlung  sn 
aiehen  gewufst:  durch  die  Formel:  was  Jesaias  ge- 
nehauit  hat  über  Juda  und  Jerusalem  würden  alle  deu- 
tsrojesaianischen  Weissagungen  ausgeschlossen ,  da 
aieh  diese  auf  Juda  besieheo,  als  es  nicht  mehr  insol- 
aher  Einheit  mit*  Jerusalem  stand,  wie  sie  jene 
Ueberschrift  yoraossetzt  (p.  9).  Als  ob  der  Hebräer 
im  wirklichen  Erleben  des  Exils  oder  in  der  idealen 
Anschauung  desselben  jemals  die  Einheit  und  Zusam- 
mengehörigkeit von  Juda  und  Jerusalem  hätte  verläug- 
nen  kdnnen«  Man  h5re  nur,  wie  c.  40,  9.  im  Heil 
der  Erlösung  Jerusalem  nnd  ganz  Juda  als  Einheit 
eraoheinen. 

Die  protojesaianiscben  Weissagungen  ordnet  der 
Hr..  Yerf.  chronologisch  und  erklärt  sie  auch  in  ihrer 
lieatimmten  Zeitfolge.  Der  Gedanke  ist  glücklich,  se- 
ken  wir  seine  Ausführung.  Das  fiiufte  Capitel,  in  wel- 
diem  die  Bestrafung  des  Staats  durch  ein  fremdes 
Volk  gedroht  wird,  betrachtet  der  Hr.  Verf.  als  ein 
ttnselbstständiges  Stück,  welches  nothwendtg  .  eine  Er^ 
giazung  haben  müsse.  Denn  während  sonst  immer 
di»  Strafe  und^  Begnadigung  erat  in  ihrer  inneren  Ein- 
heit das  Ganze  auch  in  einzelnen  prophetischen  Aus- 
.  Sprüchen  bilden,  mufs  es  in  jenem  Stück  mit  Recht 
auffallen,  dafa  allein  die  Strafe  gedroht  wird.  Aber 
wfthrend  Hitzig  dieses  Capitel  noch  als  Ergänzung 
nämlich  als  nähere  Bestimmung  der  Strafe. zur  Gruppe 
der  Capitel  2 — 4.  zieht,  fugt  es  der  Hr.  Verf.  zu  dem 
Folgenden  und  läfst  er  es  seine  messianische  Ergän- 
zung in  -o,  7,  7—9«  und  c.  17.  finden.  In  diesen  Aus- 
Sprüchen  werde  nämlich  der  Untergang  der  c.  5.  ge* 


soUlderten  Feinde  rerheifsen..  Glficklicäi  können  wir 
aber  diese  Hypothese  nicht  nennen;  denn  e.  7,  7r-9. 
und  Q*  17.  wird  der  Sturz  ^ganz  bestinunter  Feinde  vei^ 
heirsen,  nämlieh  der  Untergang  der  yerbündeteu 'Syrer 
und  Ephraimiten,  die  in  Juda  eingefallen  waren.  War» 
um  sind  diese  bestimmten  Feinde  c,  5«  anch  nicht  mit 
dem  geringsten  Zeichen  angedeutet!  Eine  unbestimmte 
Strafdrobung  und  die  Verheirsung  einer  ganz  bestimm- 
ten Befreiung  können  doch  gewifs  nimmermehr  zusam* 
mengehören*  Das  lockere  Verhäitnifs  von  c«  5.  >und 
0.  7  und  17.  mufs  aber  der  Hr.  Vf.  selbst  zogestehen, 
wenn  er  sagt,  c.  5.  sei  defshalb  ohne  Schlufs,  d.  h. 
ohne  Aussicht  auf  den  Untergang  der  Feinde  geblie- 
ben, weil  der  Prophet  durch  den  Einfall  der  Syrer  und 
Ephraimiten  verhindert  ^urde,  die  Weissagnüg-  kunst- 
gemäfs  zu  vollenden  (p.  159).  Das  müfste  aber  niclit . 
eine  unbequeme  Verhinderung  genannt  werden,  son- 
dern ein  will{Lomtnener  Zufall.  Denn. hat  der  t^rophet 
o.  5.,  als  er  dem  Volke  mit  einer  fremden  Macht 
drohte,  nicht  gewufst,  welche  Macht  das  Volk  deinu- 
thigen  werde,  so  bieten  sich  ihm  nun  anf  einmal  die 
Syrer  und  Ephraimiten  nicht  nur  dazu^  dar,  dafs  auf 
ihr  Haupt  der  noch  fehlende  Theil  der  Weissagung^ 
mit  der .  sich  gerade  der  Prophet  beschäftigt  hatte, 
nämlich  der  Fluch  des  Untergangs,  der  das  fremde 
Strafwerkzeitg  treffen  sollte,  gelegt  würde,  sondern 
sie  dienen  auch  dazu,  dafs  der  Prophet  seine  unbe- 
stimmte Drohung  cap.  5,  dars  Feinde  über  das  Volk 
herfallen  sollen,  auf  einmal  in  der  gröfsten  Bestimmt- 
heit erfüllt  sieht.  Allein  wer  sieht  hier  nicht  den  Wi- 
derspruch zwischen  der  Anschauung  in  cap.  5.  einer» 
seits  und  dann  b  c.  7.  und  17?  Wenn  c.  5.  die  Feinde 
ganz  unbestimmt  geschildert  werden  und  kein  Mensch^ 
weifs,  woher  sie  kommen  werden,  dagegen  c.  7.  und 
17.  plötzlich  ganz  bestimmte  Feinde  dastehen,  da  seit 
c.  5.  nur  zufällig  durch  den  Einfall  der  Israeliten  und 
Syrer  ohne  Schlafs  geblieben  sein?  Müfste  picht  der 
Prophet,  wenn  der  Einfall  der  Verbündeten  so  unmit- 
telbar auf  die  Vollendung  von  e.  5.  folgte,  schon  vor- 
her von  den  Absichten  der  Feinde  gehört  haben  und 
konnte  er  denn  nicht  seiner  Schilderung  der  Feinde 
in  c.  5.  die  gehörige  Bestimmtheit  geben?  Oder  wenn 
der  Einfall  der  Feinde  nicht  so  schnell  auf  die  Abfas- 
sung von  c.  5.  folgte,  wenn  er  noch  so  weit  hinauslag, 
dafs  der  Prophet  mit  der  Drohung' in  c.  5.  beschäftigt. 


761 


Hendewerk^  des  PropAettn  Jesaia  lVei§9ag9mgen* 


idoht  eintnal  Ton  ihren  Plänen  etwas  erfahren  kennte^ 
ao  war  ea  ihm  anoh  ganz  bequem  noch  mdgliob,  die 
trVstende  Erg&nznng  zu  e.  5,  wenn  sie  nicht  im  Ver» 
hei^ehenden  liegt,  hinzusufügen.  So  viel  ijit  also  ge- 
wifs,  daffl  o.  5.  aeine  nachträgliche  Ergänzung  in  c  7. 
und.  17.  nicht  haben  Icdnne. 

Nach  o.  7,  8.  9,  wo  der  Untergang  der*  verbfinde- 
ten  Syrer  und  Ephratmiten  Terheil^en  wird,  filgt  der 
Hr.  Vf.  c.  17.  ein,  wo  dieser  Untergang  für  die  An* 
achaunng  bestimmter  gestaltet  wJrd,  und  mit  c.  7,  10« 
läfst  er  ein  anderes  Oraicel  beginnen,  das  erst  nach 
einem  längeren  Zwischenraum  gesprochen  sei  (p.  192). 
Welche  Gewaltsamkeit!  In  c.  7.  sind  die  Weissagnn* 
gen  und  die  Erzählung  des  Umstandes ,  wie  der  Pro- 
phet zu  Ahas  ging  und  mit  ihm  sprach,  eingewebt,  da- 
gegen c.  17.  ist  eine  selbständige,  frei  für  sich  ausge- 
bildete Anschauung  und  diese  soll  nun  zwischen  c.  7^ 
0.  und  V»  10.  eingeklemmt,^  die  widersprechendsten  For- 
men sollen  in  einander  gewirrt  seint  Der  Inhalt  \h  c. 
7^  7-— 9.  u*  o.  17.  ist  derselbe,  aber  er  ist  auch  der- 
selbe mit  c.  7, 10  flgd.  und  die  Form  in  c.  17.  ist  ebenso 
tom  ganzen  c.  ?•  verschieden,  wie  die  getrennten  Theile 
von  c  7.  der  Form  nach  mit  einander  zusammenhän- 
gen« C«  17.  ist  aus  demselben  Anlafs  hervorgegangen^ 
wie  Ok  7,  aber  es  ist  das  vollendete  Resultat  der  da- 
maligen Collistonen,  die  ruhige  Uebersichi  derselben, 
nachdem  die  erste  Aufregung,  welche  sie  mit  sich  fühfw 
ten^  c.  7.  geschildert  ist«  Ohnehin  ist  der  Zusammen* 
bang  von  o.  7,  9.  und  V.  10  flgd.  so  eng,  djafs  hier 
keine  Trennung  stattfinden  kann.  Sprach  der  Prophet 
c;  .7,  7—9.  vom  Untergang  Syriens  und  Samaria's,  so 
spricht  auch  noch  V.  16.  von  der  Verödung  des  Lan«- 
des,  vor  de^en  beiden  Königen  es  Ahas  graute. 

Auf  seinen  Elntdeckungsreisen  auf  diesem  Gebiete 
hat  daher  der  Verf.  nicht  Land  gesehen :  was  er  sdi, 
Bind  nur  Einbildungen,  und  nach  diesen  beiden  Proben, 
die  wir  gegeben  haben,  wird  man  uns  erlassen,  nach- 
EU weise»)  mit  welchem  Unrecht  er  die  Weissagungen 
a  9,  7 — 10,  4,  die  sich  allein  mit  Israel  beschäftigt, 
nnd  c.  10,  5-^12,  6,  die  sich  allein  mit  der  CoÜision 
zwischen  Assur  und  Jnda  beschäftigt,  als  Eine  Weis- 


sagung betrachtet.  Versuchen  wir  es  mit  einer  an<le- 
ren  Seite  seines  Commentars,  nänliqh  mit  der,  die  tiöh 
mit  den  geistigen  Anschauungen  des  Propheten  beicbäf« 
tigt.  Yom  Sprors  Jebovas  (o.  4,  2.)  sagt  der  Verf^ 
er  müsse  collective  Bedeutung  haben  (p.  120)$  baU 
darauf  (p.  121)  kostet  es  ihm  keine  Mühe  zu  behaojk 
ten,  der  Exeget  m&sse  in  jenem  Sprofs  den  Nesiiit 
(also  nicht  ein  Collectivum,  sondern  eine  ausschlie> 
fsende  Persönlichkeit)  finden.  Den  Davididen  c  IL 
nennt  der  Verf.  bald  den  Messias,  dann  wieder  tagt 
er,  der  Prophet  habe  in  der  Scbildemng  dieser  Pe^ 
sönlichkeit  den  Hiskias  im  Auge,  das  heifst  doch  wohi^ 
er  habe  seine  Anschauung  nur  auf  den  Hiskias 
tet,  dann  wieder,  der  Prophet  halte  dem 
Musterbild  vor,  das  heifst  doch  wohl  nichts  aadereS) 
als  der  Prophet  unterscheide  die  geschilderte  Peraiifr 
lichkeit  als  Ideal  von  der  empirischen  Persöaliobkdt 
des  Hiskias  und  von  Allem,  was  er  nach  mensehiiober 
Berechnung  von  diesem  erwarten  konnte*  Aber  dieser 
Unterschied  wird  wieder  aufgehoben  und  das  Gerne 
auf  den  Hiskias  reducirt,  wenn  dier  Verf.  sagt,  wie  an 
diesem  die  Weissagung  erfüllt  wurde ,  ja  auffalieod 
erfüllt  wurde ;  denn  dafs  die  Völker  nach  dem  grofiea 
Davididen  fragen  worden,  das  sei  wirklich  geschebeO) 
als  Merodach  Baladan  sich  nach  der  Gesundheit  des 
Hiskias  erkundigte  (p.  333-^^7).  Alles  Uefaerschweng* 
liehe,  was  der  Prophet  in  die  Schilderung  Jenes  Davi- 
diden flicht  und  an  Hiskias  nicht  so  auffallend  erfilllt 
wurde,  mufs  er  dann  entweder  bildKch  gemeiat  oder 
sich  selbst  nicht  klar  gedacht  haben.  Wenn  Jeeaisi 
sagt,  dafs  unter  der  Herrschaft  des  Davididen  aach  in 
der  Natur  der  Gegensatz  aushoben  werden  soUe^  wie 
in  der  Geschichte,  dafs  die  Feindschaft  auch  der  Thiere 
aufhören  wfirde,  so  sei  das  BHd  vom  Aufhören  derFetod- 
Schaft  unter  den  Menschen.  Als  ob  nicht  derHebrfter 
einen  wirklichen  Parallelismus  des  Geistigen  und  Ns- 
türlichen  annahm,  so*  dafs  der  Unfriede  und  Kampf  der 
Geschichte  auch  den  Unfrieilen  der  Natur  zur  notlh 
wendigen  Folge  und  die  Beruhigung  der  gescbichtfi- 
chen  Kämpfe  ihr  wirklich  erscheineDdes  Abbild  u  der 
Natur  habe. 


(Der  Beechlafe  folgt.) 


Ji  97. 

d:  a  K  r  b  fi  c  h  e  r 

für 

wisse  nschaftl  iche 


Kritik. 


November  1839. 


De^  Propheten  Jesata  TVeüsagungen.  Chrono^ 
logüch  geordnet  y  übersetzt  und  erklärt  roft 
£•  Z.  Hendewert* 

(Scblufs.) 

Wenn  der  Prophet  in  den  Tagen  des  Heils  unter 
der  Herrschaft  jenes  Davidiäen  die  Versprengten  Israels 
c.  11,  11.  ans  mehreren  Ländern  von  Jeho?a  zurück- 
geführt werden  läfst,  so  soll  er  sich  schwerlich  genau 
g^efragt  hahen,  wie  sie  nach  diesen  L&Ddem  gekommen 
seien  (p.  360).  Ist  denn  aber  nicht  die  ideale  Voraus- 
Setzung  für  die  höchste  Vollendung  der  gesetzlichen 
Gemeinde  bei  den  vorexilischen  Propheten  das  äufser- 
ste  Leiden  des  Staats,  sein  Untergang  und  die  Weg- 
fuhrung  ,  seiner  Bürger  in  das  Land  der  Heiden  t  Da 
wird  der  Prophet  wohl  gewufst  haben,  wie  die  Ver. 
Sprengten  Israels  in  jene  Länder  gekommen  sind. 

Wir  haben  sd  eben  gesehen,  wie  der  Hr.  Vf.  einem 
prophetischen  Ausspruch  die  Bedeutung  einer  Weissa- 
gung nimmt  und  doch  wieder  zuschreibt,  wenn  er  ihn 
80  auffallend  erfüllt  werden  läfst.  Da  kann  uns  das 
Wunderbarste  nicht  mehr  wundem,  da  ist  es  vielmehr 
in  der  Ordnung  (p.  262),  dafs  Hiskias  auch  in  der 
„Messiasverkündigung"  o.  9,  6.  „gemeint  sei;"  der 
Prophet  habe  denselben,  sagt  der  Hr.  Verf.,  schon  vor 
seiner  nahe  bevorstehenden  Geburt  als  den  Heiland 
Israels  bezeichnet.  Man  mufs  gestehen,  der  Prophet 
hatte  einen  glücklichen  Treffer. 

Läfst  uns  der  Hr.  Vf.  hier  ganz  im  Stich,  wenn 
wir  uns  nicht  die  unwahrscheinlichsten  Dinge  aufheften 
lassen  wollen,  so  steht  es  uns  noch  frei,  in  grammar 
tischen  Dingen  bei  'Am  unser  Heil  zu  versuchen.  Mit 
nicht  geringen  Erwartungen  sollten  wir,  uns  eigentlich 
seiner  Belehrung  anvjertrauen,  da  er  sowohl  in  diesem 
Coumientar  als  auch  früher  in  seinem  Buch  über  den 
Obadja  seine  Unzufriedenheit  mit  dem  gegenwärtigen 
Jahrb.  /.  wüientcK  Kritik,   /.  1830.   II.  Bd. 


Stand  der  hebräischen  Grammatik  ausgesprochen  hat. 
Untersueheu  wir  nun  an  einigen  Beispielen,  ob  er  we- 
nigstens jenes  der  Exegese  nächtheiligste  Vorurtheil 
abgelegt  hat,  jenes  Vorurtheil,  dafs  Worte  aufser  ihrer 
ursprunglicheii  Bedeutung  alles  Andere,,  auch  wohl 
das  Gegentheil,  bedeuten  können.  3  heifst  bekanntlich 
„wie,*'  es  vergleicht  und  setzt  das  Verglichene  als  ähn- 
lich. Oft  aber  behauptet  man,  es  setze  nicht  «nur  die 
Aehnlichkeit ,  sondern  auch  die  vollkommene  Gleich- 
heit, die  reine  Ucbereinstimmung,  es  sei  dann  das 
Caph  veritatjs.  So  auch  unser  Exeget  zu  Jes.  1,  7. 
Der  Prophet  beschreibt  hier,  wrie  zur  Strafe  für  die 
äufserste  Verderbtheit  des  Volks  Fremde  in  das  Land 
fallen,  es  verwüsten  und  verderben.  Euer  Land,  sagt 
er,  ist  wie  eine  Zerstörung  durch  Fremde*  (nSOnOS). 
Hier  drücke  also  das  3  das  vollkommen  Gleiche  aus* 
Allein  wie  kann  ein  Wort,  das  die  Aehnlichkeit  aus- 
drückt, die  vollkommene  Gleichheit  bezeichnen,  die 
Aehnlichkeit  enthält  in  sich  selbst  nicht  nur  die  Gleich« 
neit,  sondern  auch  nothwendig  die  Ungleichheit,  und 
diese  logische  Bestimmung  wird  auch  die  Sprache  als 
der  angemessenste  Ausdruck  des  Denkens  nicht  ver- 
letzen können.  Das  „wie''  wird  immer  entweder  durch 
den  Zusammenhang  an  sich  seine  Beschränkung  ha- 
ben oder  sie  durch  einen  ausdrücklichen  Zusatz  des 
Redenden  erhalten.  So  auch  hier  Tl^SnO,  der  termi- 
nus  technicus  von  der  Zerstörung  Sodom*s  und  Gomor-' 
rha's  bezeichnet  die  völlige  Zerstörung,  die  nichts  unver- 
sehrt läfst.  Das  3  in  der  prophetischen  Stelle  be* 
schränkt  nun  die  Uebereinstimmung  des  Looses  von 
Juda  mit  dem  Schicksal  einer  solchen  völligen  Zer- 
störung, es  setzt  zugleich  eine  Ungleichheit  und  diese 
Beschränkung  giebt  der  Prophet  auch  sogleich  V.  8. 
an,  wenn  er  sagt,  dafs  Zion  übrig  bleiben  würde,  und 
um  keinen  Zweifel  über  seinen  Sinn  zu  lassen,  sagt  er 
sogar  V.  9,  dem   Schicksal  Sodom's  und  Gomorrha's 

97 


1 


771 


Hsndewerkj  de§  Prapiei^m  J^umia  ff^eÜHigumgsn. 


772 


wfirde  das  Geschick  des  Volkes  gleicbeO)  wenn  nidit 
Jehova  einen  Rest  übrig  liefse. 

Viele  Qaaal  hat  anch  den  Exegeten  die  Partikel 
^P   gemacht,  auch  der  Verf.  bat  sie  nicht  mit  heiler 

Hiint  davon  kommen  lassen,  er  hat  wenigstens  gewalt* 
sam  mit  ihr  verfahren  müssen.  Von  einem  Worte, 
das  „denn'*  heifst,  also  etwas  als  Wirkung  mit  seiner 
Ursache  zusammenschliefst,  sagt  er  öfter,  es  gebe  den 
Gegensatz  an.  So  <•  B.  Jos.  2,  6.  Es  bleibt  hier  bei 
der  Erklärung  Hitzig's:  Haus  Jakob's,  Du  hast  Dein 
Volk,  ni&mlich  Dein  Volkswesen,  Deine  Nationalität 
aufgegeben.  Denn,  fährt  der  Prophet  fort,  alles  ist 
angefüllt  mit  morgenländisoher  Zauberei.  Hier  geben 
die  Worte:  „Denn,  Hans  Jakob's,  Du  hast  Dein  Volk 
verstofsen'*  den  Grund  dazu  an,  wie  der  Prophet  dar- 
auf komme,  das  Volk  dazu  aufzufordern,  es  solle  im 
Licht  Jehovas  wandeln.  Es  thne  Noth ,  es  bedürfe 
dieser  Aufforderung,  denn  es  habe  die  Würde  seines 
Volkswesens  preisgegeben  und  mit  ausländischem  Göt- 
zendienst vertauscht.  „Doch"  fibersetzt  der  Verf. 
9^3  Jes.  5,  7.    Aber  auch    hier  ist   es  „denn."    Die 

Parabel  vom  Weinberg,  der  dem  Herrn  trotz  aller 
Pflege  nicht  seine  Früchte  brachte,  geht  vorher.  Erst 
sprach  der  Prophet  so,  wie  er  in  der  ParabeF  mufste, 
als  ob  der  Herr  des  Weinberges  irgend  Jemand  sei, 
der  das  Volk  nichts  angehe^  Aber  diese  Maske  fiillt 
V.  6,  Jehova  tritt  selbst  sprechend  ein,  er  sagt :  ich 
will  zur  Strafe  vom  unnützen  Weinberg  den  Regen  ab- 
halten  und  nun  erklärt  der  Prophet  V.  7.  mit  '^D,  wie 
Jehova  auf  einmal  zu  diesen  Worten  komme,  denn  er 
sei  jener  Besitzer  und  das  Volk  sein  Weinberg. 

„Einen  Gegensatz"  soll  "^3  auch  e.  7,  16.   ange- 
ben.    Der  Prophet  hatte  aber  V.  15.  am  Ge;schick  des 
Sohnes  der  Jungfrau,   dessen  Geburt   für   seine  An- 
schauung unmittelbar  gegenwärtig  ist,  das  Schicksal 
des  Volks  bestimmt.     Ungefähr  drei  Jahre  würde  das 
Land  verödet  sein   und  würde,  man  keine  FeldfrQchte 
geniefsen  können.    Warum  so  lange  1  ist  hier  die  Frage. 
Auf  dies  Warum  antwortet  der  Prophet:  „denn  nicht 
früher  und  nicht  später  werden  die  feindlichen  Könige 
gedemiithigt  sein'*  und  nicht  früher   und  nicht  später 
wird  man' das  Land  wiäder  ruhig  bebauen  können,  so 
dafs  man  erst  in  drei  Jahren  wieder  den  Ertrag  des 
.Landes  wird  geniefsen   können.     Also  auch  hier  he« 
gründet  O. 


Noch  einen  grammatiseben  StofsseiifiMr!  Der  Hr* 
Verf.  nennt  die  neuere  Einsicht  in  die  Natur  des  iwsi* 
ten  Modus  des  hebräischen  Vcrbam,  dafs  er  oft;  das 
darchgehende,  bleibende  und  aus  dem  Wesen  des  Sub- 
jekts folgende  Verhalten  bezeichnet,  eben  Irrtham. 
Wenn  zum  Beispiel  Jes.  11,  6.  6.  Jehova  Assnr  dea 
Stab  seines  Grimmes  nennt  und  diesen  Dienst  Assar^ 
näher  angiebt,  dafs  er  ihn  gegen  das  Volk  seines  Un« 
willens  sendet,  so  ist  doch  diese  Sendung,  der  Assot. 
dient,  das  an  ihm  Wesentliche  und  mit  seiner  weltgsi 
schichtlichdn  Stellung,  dafa  er  der  Stab  des  Grimin'i 
Jehova*8  ist,  nothwendig  Verbundene.  Indem  der  Pi^ 
phet  Assur  sagt,  reflektirt  er  auch  nicht  darauf,  oli 
die  göttliche  Sendung  durch  einen  König  oder  mehrei« 
erfüllt  wurde,  sondern  Assur  als  dieses  Reich  ist  ihm 
ein  Subjekt,  das  sich  als  Eines  anch  in  der  Folge  der 
Könige  erhält.  Und  da  ist  doch  um  so  mehr  der  Dieii4 
Assurs  etwas  Dauerndes  nicht  nur,  sondern  ein  notb* 
wendiger,  sich  beständig  gleichbleibender  Ausflofs  von 
der  geschichtlichen  Stellung  des  Weltreiches.  Falsch 
ist  es  daher,  wenn  der  Hr.  Verf.  V.  6.  übersetzt  uod 
erklärt :  ich  will  ihn  senden,  statt  ich  sende  Assur,  da 
er  nämlich  mein  Stab,  mein  Mittel  zur  Ausfuhnmg 
meines  Rathschlnsses  ist.  Ebenso  bezeichnet  V.  7.  der 
zweite  Modus  die  bleibende,  durchgehende  Gesinnaog, 
welche  Assur  beständig  in  seiner  weltgeschicbtlichea 
Stellung  habe. 

Endlich  bemerkt  Ref.  noch,  dafs  vorliegender  Com- 
mentar  auch  aicht  im  entferntesten  den  Anspruches 
genug  thue,  die  man  an  die  Gescbicbtsanschanung  ei- 
nes Erklärers  von  der  Zeit,  in  welche  der  Gegenstand 
seiner  Erklärung  fällt,  gegenwärtig  stellen  mufs«  Die 
Erläuterung  eines  schriftstellerischen  Werkes  soll  zwar 
die  Zeit,  der  es  angehört,  selbst  erst  aufzubellen  die- 
nen, aber  zu  ihrer  nothwendigen  Voraussetzung  mufs 
sie  eine  allgemeine  Uebersicht  und  Anschauung  der 
betreffenden  Zeitverhältnisse  haben.  Die  Propheten 
wurden  durch  die  äufserste  Collision  des  gesetzlichen 
Bewufstseins  und  des  Naturdienstes  hervorgerufen  oiid 
ihre  Anschauungen  können  nur  durch  die  Einsicht  in 
jene  Collision  verstanden  werden.  So  lange  man  aber, 
wie  der  Hr.  Verf.  z.  B.  p.  65,  voraussetzt,  dafs  der 
Götzendienst  -neben  dem  Jehovadienst  bestanden  habe, 
so  lange  man  nicht  die  Gefahr  erkennt,  in  welche  das 
hebräische  Princip  gerieth,  da  es  nicht  nur  neben  dem 
Götzendienst  bestand,  sondern  mit  der  natfirKchen  An* 


DirtMmy  mmmaU  ImtimUMs  fmtimm  Jurü  cü/iiü  rwumorum. 


778 

sdiaiinBg  hnig  svMrmmeMWQobs»  so  laoge  witd  man 
weder  die  allgemeiDe  Stellung  der  Propheten  noch  die 
Tolle  BedeafuDg  ihrer  einzelnen  Aassprüche  verstehen 
lernen.  Wie  wenig  der  Hr.  Verf.  sieb  ttberhanpt  um 
die  neuere  Bewegung,  in  welche  die  Gesohichtsan- 
nebauung  versetst  ist,  bekümmert  bat,  beweist  die  An> 
Bierkung  p.  48,  in  der  er  die  drei  Hauptfeste  der  He- 
bräer erklärt,,  wie  man  es  früher  in  Büchern  für  £le> 
nMutarsebuloQ  finden  konnte.  Als  erwache  er  aus  ei- 
nem Traume,  nicht  anders  bemerkt  er  am  Schlafs 
seines  Buches,  dafs  über  dergleichen  Dinge  -doch  auch 
andere  Ansichten  vorhanden  seien,  und  erinnert  er  den 
Leser  im  Yerseichnifs  der  Druckfehler  und  Zusütse, 
eine  neuere  kritische  Schrift  über  die  Jüdischen  Feste 
xn  vergleichen.  Es  ist  ähnlich,  als  wenn  ein  Leser 
am  Ende  zu  Calvin's  Conunentar  in  den  Evangelien 
-die  Bemerkung  hinschreiben  wollte:  doch  vergleiche 
das  Leben  Jesu  Ton  Straufs,  oder  es  ist  nicht  einmal 
ftbniicb,  da  sich  doch  Calvin  schon  genug  mit  den  Wi- 
dersprüchen der  Evangelien  beschäftigt  bat. 

Summa:  dieser  Commentar  hat  nicht  die  gering- 
ste Bedeutung  für  unsere  Zeit..  Seine  philosophische 
Dürftigkeit  wollen  wir  nicht  der  Herbartschen  Pbiloso* 
pbie  anrechnen,  wir  wollen  es  nicht  so  wie  jene  ma- 
chen, die  von  einer  mifsrathenen  theologischen  Schrift 
auf  die  Nicbtijgkeit  oder  Schädlichkeit  der  Philosophie, 
die  ihren  Hintergrund  bildet,  scbliefsen,  obwohl  in  der 
That  der  Herbartschen  Philosophie  auf  religionsphilo- 
sophischem Gebiete  schwerlich  Loi^beeren  wachsen 
möchten.  Aber  selbst  nach  der  Philosophie,  zu  der 
er  sich  bekennt,  hätte  man  von  dem  Hrn.  Verf.  wenig- 
stens feine  psychologische  Erörterungen  erwarten  kön- 
nen. Doch  auch  hierin  hat  er  so  wenig  geleistet  wie 
in  allen  anderen  Punkten,  die  bei  der  Erklärung  eines 
Propheten  wie  Jesaias  in  Betracht  kamen.  Der  Prä- 
tension aber,  mit  der  der  Verf.  sein  Werk  einfuhrt 
und  mit  der  er  überhaupt  in  den  einzelnen  Erklärun- 
gen verfährt,  gebührte  es,  dafs  seine  Leistung  in  ihrer 
ganzen  Oberflächlichkeit,  Unklarheit  und  Nichtigkeit 
hingestellt  wird. 

B.  Bauer,  Lio. 


774 


LI. 


Manuale  latinitatü  fontium  *iurü  civilis  rqmano^ 
rum.  Thesauri  latinitaiis  epitomej  in  usutn 
tironumj  Auetore  Henrico  Eduarde  Dirk^ 

>  seny  Jurisconsulto.  Beroltm,  impensis  Dun- 
cieri  et  Humblotii.    1837—1839.   4. 

So  lange  die  Anzahl  alphabetisch  geordneter  Hülfs- 
werke  zur  Terminologie  des  römischen  Rechts  geringe, 
nnd  von  einer  Auswahl  für  die  Mehrzahl  der  Käufer 
gar  nicht  die  Rede  war,  mufste  auch  bei  dem  wirk- 
lich Vorhandenen  weit  öfter  das  Bedürfnifs  der  Voll* 
ständigkeit,  als  das  der  Pianmäfsigkeit  und  Conse- 
quenz  fiihlbar ,  werden ;  und  wer  sich  durch  Neigung 
oder  inneren  Beruf  getrieben  fand^  an  den  Arbeiten 
eines  Vorgängers  nachzuhelfen,  dem  konnte  dieses 
Geschäft  des  Ergänzens  sogar  um  so  leichter  erschei- 
nen, je  weniger  •  er  dabei  des  ursprünglichen  Planes 
gedachte  oder  bewufst  ward.  So  mufste  denn  allmäh« 
lig  der  ächte  Stamm  mit  so  mannichfacbem  Auswuchs 
nnd  fremdartigem  Ansatz  überdeckt  werden,  dafs  emer 
wirklich  planmäfsigen  Fortbildung  vor  Allem  die  wenig 
lohnende  und  selten  gehörig  anerkannte  Mühe  des 
Säuberns  und  Ausscheidens  würde  vorhergehen  müs- 
sen. '  Wer  aber  unter  solchen  Umständen  sich  dordi 
Kraft  und  ernsten  Willen  berufen  fühlt,  vielmehr  ein 
neues  Werk  von  Grund  aus  aufzuführen,  der  kann 
fiir  die  Selbstständigkeit  seiner  Arbeit  keine  andere 
Bürgschaft  geben,  als  durch  strengbegrenztes  Festhal- 
ten an  dem  eigenen,  wohlbedachten  Plane* 

Dies  ist  im  Wesentlichen  das  Verhältnifs  des  vor^ 
liegenden  Werkes  zu  seinem  Hauptvorgänger,  dem 
bekannten  Buche  des  Brissomus  de  Verborum  Signi« 
ficatione.  Denn  nur  an  dieses  haben  wir  hier  zunächst 
zu  denken,  da  die  älteren  Arbeiten  des  Alexander  a6 
Alexandre  und  des  Alciaius  als  unvollständige  Vor-/ 
suche,  die  des  Albericus  de  Hosate^  des  At^tonius 
Neirissensssj  Jacob  Spiegel  und  Johann  Oldendorp 
aber  wegen  ihrer  vorherrschenden  dogmatischen  Rich- 
tung weniger  in  Betracht  kommen.  Nur  in  Hetoman^s 
Commentarius  de  .verbis  iuris,  welcher  zuerst  (1558) 
nur  um  ein  Jahr  früher,  in  der  zweiten  Ausgabe  (1559) 
aber  gleichzeitig  mit  der  ersten  des  Brissonius  er- 
schienen ist,  hatte  dieser  einen  würdigen,  hin  und  wie- 
der sogar  einen  überlegenen  Rivalen,  dem  es  aber 
doch  auch  an^  gehöriger  Sonderung  des  Terminologi- 


775 


Diriieti^  mantude  tatinitatü  /bntmm  juris 


ronumomm* 


77(5 


8oheo  von  einem  Real-  und  Aotiquitätenregister  inan- 
geltey    uod^  dem  jedeDfalls  die  Gunst   deB  Publikams 
viel  weniger  zu  Statten  gekommen  ist,  als  dem  Werke 
des  Brissonius.     Denn  während  von  Jenem  xwar  an- 
fangs öftere,  dann  aber  bereits  im  Jahr  1599  der  letzte 
Abdruck  erschienen  ist,  wurde  dieses  schon  nach  der 
ersten  Ausgabe  1587  in  Frankfurt  nachgedruckt,  und 
der  zweiten   Original -Ausgabe  Tom  J.   1596    folgten 
theiis  neue  Nachdrücke  (zu  Genf  1657,  zu  Frankfurt 
1657),  theiis  vermehrte   Ausgaben  von   Tabor^  liter 
und  Heineeeiu9  (1683  und  1697   zu  Frankfurt,   1721 
und   1743  zu  Leipzig),    denen   sich   auch   neuerdings 
noch    die   Nachträge    von   Wunderlich    (1778)    und 
Cramer  (1813)  ausdrücklich  als  Zugaben  angeschlos- 
sen haben.    Auch  lUchter'^s  tractatus  de  signilicatione 
adverbiomm  in  iure  (1662)  Und  Strauches  lexicou  p.ar- 
ticqlarum  iuris  (1671,  1684,  1719)  lassen  sich  als  sol- 
che Zugaben  betrachten.  Dafs  aber  Pratejus^  Sehardy 
CalvinuM  und  Ftcat  durch  ihre  neueren  Compilationen 
und  Auszüge  dem  Ausehen  des  Brissonius  keinen  Ab- 
brach thnn  konnten,   ist  lediglich  ihrer  eigenen  Nach- 
lässigkeit zuzuschreiben.    Nur  Gothofireds  glossarium 
nomicum    zum   tbeodosischen   Codex    bildet   eine    an 
Tüchtigkeit  und  Selbstständigkeit   gleich    bedeutende 
Ausnahme,  die  zwar  ihres  specielleren  Gegenstandes 
wegen  kein  allgemeines  juristisches  Lexikon  ersetzen 
konnte,  aber  doch  auch  bei  dieser  Gelegenheit  auf  die 
vollste  Anerkennung  Anspruch  machen  darf. 

Wie  nun  das  Werk  des  Brittonius^  und  die  neue- 
ren Arbeiten  des  Hrn.  G.  J.  R.  'DirJksen  sich  zu  ein- 
ander verhalten,  darüber  verdanken  wir  diesem  Letz- 
teren  .selber  die  besten  Aufschlüsse.  Denn  nachdem 
er  schon  im  J.  1828  eine  literarische  Uebersicht  seiner 
Hauptvorgänger  und  ihrer  Schriften  (im  zweiten  Baude 
des  Rheinischen  Museums  für  Jurisprudenz)  gegeben, 
hfit  er  im  Jahre  1834  in  einer  besonderen  Schrift: 

System  der  juristischen  Leacicographie^ 
theiis  diese  uebersicht  erweitert, *)  theiis  seine  eigenen 


*)  Diese  Erweitemngen  betreffen  hauptsSchlich  die  ersten, 
meist  ungedruckten  Anfänge  der  juristischen  Lexicographie 
und  deir  in  Kiel  bfelindlichen  lexicographischen  Nachlafs  ron 
Cramer,  Zu  den  ersteren  gehört  u.  A.  ein  durch  ScJirader 
bekannt  gewordener  Libellus  de  verbii  legalibui  in  einer 
Uandschrift  zu  Turin,  zu  dessen  Verständnifs  der  gelegent- 
liche Beitrag  hier  gestattet  sei,  dafs  die  S.  21,  22  erwfibn- 


Grundsätze  den  Juristm  und  Philologea  zur  Torlftsfi. 
gen  Prüfung  vorgelegt.-  Wir  wollen  daher  versacben, 
aus  dem  kurzgedrängten  Inhalt  dieses  Büchleins  ti- 
nige  dfer  entscheidendsten  Ansichten  hervorzuheben. 

„Die  scharfe  Abgrenzung  des  von  Brissonias  col- 
tivirten  Gebietes,  bemerkt  unser  Verf.   (S.  42  ff.  die- 
ser Schrift),    bildet  die  Lichtseite  seiner  höchst  ve^ 
dienstlichen  Arbeit;  und  die  nicht  zu  verheimlichende 
Schattenseite  derselben  ist  zum  grofsen  Theil  daher 
zu  erklären,  dafs  er  seinen  Plan  nicht  überall  mit  der 
erforderlichen  Consequeuz  durchgeführt  hat.  Er  wollte 
nur  für  die  Ergründung  der  Terminologie  wirken,  nicht 
aber  fiir  ein   vergleichendes  Sprachstudium   zunächst 
thätig  sein.    Das  Dogniatische,  so  wie  das  Aotiquaii- 
scbe,  in  sofern  es  jenem  Zweck  nicht  unbedingt  dienst« 
bar  war,  sollte  mit  allen  seinen  Anhängen  ansgeschles- 
sen  bleiben.     Er  hatte  ja  dem  AntiquarischeL  in  dein 
gleichzeitig  edirten  Seleetae  AntiyuitateSy  der  Paläo- 
graphie  und  Orthographie  aber  in  dem  seiner  Schrift  jD< 
K  S.   angehängten  Liter  singularis  I^arergwn  Gt- 
nüge  zu  thun  gesucht,  und  mochte  hinsichtlich  der  ro- 
mischen Formelkunde   schon   damals   mit  dem  spater 
(1583)  bekanut  gemachten  Werke   De  Formulis  um- 
gehen.    Diese  Begrenzung   seines   Unternehmens   be- 
wahrte ihn  vor  manchen  Verirrungen  des  Hotommim^ 
und  gab  seiiv^m  Werke  eine  intensive  Tüchtigkeit  and 
Vollständigkeit,  die  ungeachtet  aller  Mängel  der  Aus- 
führung nie  genug  gerühmt  werden  kann.     Mit  richti- 
gem  Tact  ging  er  darauf  aus,    den   SprachgebrauGii 
der  römischen  Juristen,   so   wie   dieser    in  Justinianf 
PandectelQ   vorliegt,    nach   allen  Seiten  bin  zu  erfo^ 
sehen}  die  übrigen  jurislischen  Quellen,   der  früheren 
so  wie  der  späteren  Zeit,   sind  zwar  nicht  unberück- 
sichtigt geblieben,  doch  hätte   in  deren  Benutzung  un- 
gleich  mehr   geleistet   werden   können.     Die  Auswahl 
der  aufgenommenen  Eigennamen  verdient   am   wenig- 
sten Beistimmung;  denn  man  weifs  bei  vielen  dcrseU 
ben  nicht,  aus  welchem  Grunde  sie  berücksichtigt  und^ 
dagegen  andere  übergangen  sind.    Auch  in  der  Kritik 
des  Textes  der  Quellen  und  in  der  Benutzung  der  Li« 
teratur  läfst  Brissonius  Manches  zu  wünschen  übrig. 

ten  Worte  ,yditronnaeio''  für  „euictio"  und  „oriinationi''  für 
„über  qui  fit  ab  aliquo  antequam  moriatur,"  offeDbar  in  dii' 
ralionaiio  (Tgl.  Ducange  s.  v.  4iraUonariJ  und  in  oriiM' 


iione  umzuwandeln  sind. 
(Die  Fortsetzung  folgt) 


w  1  8  s  e  n 


Jahrbücher 

für 

Schaft  liehe 


N,ovember  1839. 


Kritik. 


ihnmale  latimtaüi  fantmm  iuris  civilis  romanO" 
rum.  ^Thesauri  latinitatis  epiiome^  in  usum 
tffonum,  Auctore  Benrico  Eduardo  Dirksen. 

(Fortsetsung.). 

Demi  obgleich  eioer  streitigeD  Lesart  bisweilen  ge- 
isebt,  }9^  wohl .  gar  ein  eigner  Yersucb  xu  deren  Be- 
tiohtig'/ng.  gemacbt  wird^  so  ist  doch  Beides  auch  bei 
lehr  dringenden  Veranlassungen  unterblieben^  gleicb* 
>  wie  eine  Bezogaahuie  auf  die  reicbe  Literatur  der  da* 
maligen  Zeit  fast  absichtlich  umgangen  zn  sein  scheint.*' 

Diesem  auf  manche  specielle  Belege  gestützten  Ur- 
theil  hat  unser  Verf.  etwa  Folgendes  über  seinen  eige- 
nen Plan  gegenübergestellt: 

Die  Lexikographie  des  classischen  Alterthoms 
bisse  sich  überhaupt  in  eine  onafytüeAe  und  eine  syn- 

m 

ihetiscAe  Methode  zerlegen.  Jene  fasse  eine  jede 
Quelle  zBDlicbst  vereinzelt  auf,  um  aus  der  Vcrglei- 
chaog  ihrer  Elemente  zu  den  Resultaten  aufzusteigen, 
sie  sei  gewrissermarsen  die  prioritivs  Form  jeder  quel- 
lenmäfsigen  terminologischen  Forschung.  Diese  hin- 
gegen, die  synthetische  Methode,  schalte  mit  dem  be- 
reits durch  Kritik  uud  Exegese  gewonnenen  Material, 
osd  benutze  dasselbe  rückwärts  zur  Berichtigung  uud 
Erläuterung  jedes  einzelnen  Autors.  Demohngeachtet 
aber  bilde  die^  analytische  Methode  keinesweges  blos 
eine  Vorarbeit  für  die  synthetische  $  sie  gewähre  ihren 
eigenthümlichen  selbstständigen  Vortheil,  während  an- 
'  dererseits  die  synthetische  Methode  ohne  gehörige  Vor- 
siebt keine  sicheren  Resultate  verbürgen  könne.  Der 
Sjnthetiker,  sagt  unser  Verf.,  rückt  die  Beweiskraft 
der  Quellen -Texte  in  den  Hintergrund,  während  der 
Analytiker  uns,  aufser  dem  Resultate  selbst,  auch  das 
gesamnite  Rüstzeug  der  Forschung  in  Kauf  giebt.  Je- 
ner ist,  seinem  Glaubensbekenntnifs  zufolge,  mehr 
Dogmatiker  und  Systctnatiker  als  Kritiker.  Er  ver- 
trauet einer  feststehenden  Auslegung  des  Quellentcx- 
Jahrb,  /.  triffeiifcA.  Kritik.  /.  1830.  II.  Bd. 


tes,  und  ist  biosichtlich  der  Wort-Kritik  selten  skep- 
tisch, oft  sogar  indiiferent«  Die  Nachwirkung  verjähr- 
ter terminologischer  Fehlschlüsse  aber  dürfte  zu  allen 
Zeiten  anhaltender  gewesen  sein,  als  die  Fortpian- 
zungsrähigkeit  dogmatischer  Fehlgeburten.  IHe  analy- 
tische Methode  hingegen  nimmt  zwar  keinesweges 
eine  Untrüglichkeit  ihrer  Resultate  in  Ansprodi,  ihr 
wesentlicher  Vorzug  besteht  aber  darin,  dafs  die  Form 
der  Begründung  ihrer  Schlüsse  gleichzeitig  das  Cor- 
rectiv  für  ihre  möglichen  Jrrthümor  darbietet« 

Da  nun  bei  jedem  bedeutenden  Autor -eine  gewisse 
Eigenthömlichkeit  des  Ausdruckes  sich  beinahe  von 
selbst  versteht,  so  hätte  namentlich  denen,  deren  ter» 
minologische  Studien  sich  auf  die  Scbriftea  eines  ein* 
zelnen  classischen  Autors  beschränkten,  die  analyti- 
sche Methode  weniger  fremd  bleiben  sollen.  Aileia 
die  Unternehmungen  dieser  Gattung  berühren  nur  auf 
der  Oberfläche  das  Gebiet  der  Lexicographie,  indem 
sie  sich  vorzugsweise  als  blofse  Promtuarien  geltend 
machen.  (Verkennen  wir  indessen  nicht  die  musterhaf- 
ten Ausnahmen,  die  doch  von  manchen  Philologen,  %. 
B.  von  Ernesti  im  index  latioitatis  seiner  clavis  Ci- 
ceroniana,  aufgestellt  worden  sind.)  Sobald  aber  über- 
dies neben  dem  allgemeinen  classischen  Sprachschatz 
das  Vorhandensein  eines  mehrfachen  Cyklus  von  Kuosf- 
auminickeu  für  besonders  abgegrenzte  doctrioaire  Ge- 
biete nachgewiesen  werden  könne,  erscheine  es  unzu- 
reichend, diese  technische  Terminologie  ausscbliefs- 
lieh  als  eine  willkürliche  Varietät  der  allgemeinen  Le- 
xicographie jener  Spruche  gelten  zu  lassen »  uud  die- 
ser Fall  sei  vor  Allem  bei  dem  Formelwesen  der  r5« 
mischen  Rechtskunde  vorhanden. 

Wenn  nun  die  analytische  Methode  bemuhet  sei, 
die  äufseren  Kriterien  jeder  einzelnen  Vt^ortbedeutung 
entschieden  hervortreten  zu  lassen,  so  habe  sie  dabei 
durchweg  auf  drei  Kriterien  zu  sehen:  auf  die  Syn^ 
nymetij  auf  die  Gegensätze  und  auf  die  eigentbümli« 

98 


779 


iiirkseny  manuale  latiniiaUs /bnfium  jurü  oMlis  roman^rmn. 


780 


oheo  Formen  der  Redeverbindung. ^  Diese  Elemente 
seien  es,  welche  überhaupt  das  Gerüste  für  den  ge- 
sauimten,  überreich  gegliederten  Bau  des  römischen 
jucistischen  Sprach-Schatses  trügen. 

Von  den  Synonymen  ynd  den  Gegensätzen  verde 
in  den  Quellen  ein  ungleich  bedeutenderer  Vorrath 
dargeboten,  als  mau  nach  der  bisherigen  Nichtbeach- 
tung dieses  Hülfsmittels  vermuthen  sollte.  Denn  zu 
den  Synonymen  seien  auch  die  fUMchreibcfiden  Re- 
deformen (also  namentlich  auch  die  eigentliohim  Defi' 
nüianen\  die  Ausdrucksweisen  vene/Uedener  Zeital- 
ter^ so  wie  die  CoUectiV'  oder  indirekten  Bezeichnun- 
gen zu  rechnen;  wogegen  freilich  unter  den  Qeget^ 
eätxsn  nur  die  directen^  nicht  aber  die  indirecten  Ge- 
gensätze aufzuführen  seien,  indem  letztere  vielmehr  in 
das  Gebiet  der  Redeverbindungen  gehörten.  Indirecte 
Gegensätze  aber  seien  theils  solche,  „welche  einander 
im  Allgemeinen  nicht  nothwendig  ausschliefsen,  ja  die 
sogar  auf  demselben  Grundbegriff  beruhen  können, 
und  nur  in  der  Anwendung  auf  einen  besonderen  Fall 
sich  nach  entgegengesetzten  Richtungen  zertheilen"  (al- 
so wohl  relative  Gegensätze),  theils  die  Zusammen- 
stellungen Verachiedener  Begriffe,  denen  eine  Und  die^ 
selbe  juristische  Wirkung  beigelegt  werde  —  (also 
hauptsächlich  wohl  solche  Fälle,  in  welchen  verschie- 
dene Begriffe  durch  die  Partikeln  aut^  veiy  eive  u.  s« 
w.  verbunden  erscheinen). 

Minder  unmittelbar  beweisend  für  einzelne  Wort- 
bedeutungen seien  die,  dem  Lexikographen  sogar  durch 
ihre  Fülle  oft  peinlich  werdenden  Hedeverbindunget^ — 
das  einzige  Hülfsmittel,  dessen  die  früheren  Lexiko- 
graphen sich  bedient,  dabei  aber  öfter,  theils  durch 
verfehlte  Anwendung  allgemeiner  grammatischer  Ge- 
sichtspunkte, theils  durch  unpassende  Einmischung 
dogmatischer  Resultate  geirrt  hätten.  Alles  sei  hier 
an  der  richtigen  Auswahl  gelegen,  denn  eine  Vollständig, 
keit  an  Wortformen  von  minder  unmittelbaretn  Interesse 
würde  trostlos  bleiben.  Und  unerreichbar  —  setzen 
wir  hinzu,  so  sehr  wir  übrigens  auch  die  gröfetmögli- 
che  Vollständigkeit  in  den  Registern  zu  einzelnen  Au- 
toren (wie  in  dem  Promtuacium  von  Elvers  zum  Ga- 
jus)  oder  zu  kleineren  Rechtssammlungen,  als  zweck- 
mäfsig  und  verdienstlich  anerkennen  müssen. 

Nicht  zur  Verkleinerung  des  dem  Verf.  gebühren- 
den Verdienstes  einer  grundsätzlichen  Sonderung  die- 
ser drei  Elemente,   sondern  nur  zur  Entschuldigung 


seiner  Vorgänger,  möge  übrigens  hiebe!  noch  der  Ein- 
wand gestattet  solo,  dafs  doch  diese  Letzteren  des 
Vorwurf,  die  Berücksichtigung  der  Synonymen  and  der 
Gegensätze  durchaus  versäumt  zu  haben,  niöbt  bo 
schlechthin  verdienen  dürften,  da  ihnen  vielmehr  alle 
drei  Hülfsmittel  schon  unter  dem  gemeinsamen  Begriff 
der  Redeverbindungen  vereinigt  erscheinen  konnten. 
Denn  so  wie  der  Verf.  selber  anerkennen  mufs,  dafg 
die  indirecten  Gegensätze,  ihrer  möglichen  uneodlichen 
Modificationen  wegen,  nur  so  den  Redeverbindnnges 
zu  stellen  sind,  eben  so  kann  auch  in  sehr  vieien,  viel- 
leicht  in  den  meisten- PäHeo,  ftr  die  s.g.  directen  Ge* 
geusätze  und  für  die  synonymen  Wortbedeutungen 
der  rechte  umfang  und  die  nöthige  Schärfe  erst  aua 
dem  Zusammenhange  des  Satzes  oder  der  Sätze,  wor- 
in sie  ausgesprochen  sind,  hervorgehen.  Beides,  Sjn«^ 
nyma  und  directe  Gegensätze,  sind  also  im  Grunde 
nur  besonders  erhebliche  Fälle  der  RedeverbindungeO) 
ZU  denen  alle  übrige  Fälle  sich  als  eine  dritte  meb^ 
verworrene  Classe  verhalten«  So  ist  denn  anoh  diese 
dritte  Classe  die  einzige,  die  bei  keinem  lexikaliscben 
Artikel  unserem  Verf.  fehlt  und  fehlen  konnte,  während 
das  Vorkommen  der  ersten  oder  zweiten  Classe  überaO 
etwas  Unregelmäfsiges  bleibt,  alle  drei  neben  einath 
der  aber  in  der  That  nur  ausuahmweise  zu  fio* 
den  sind. 

Uebrigens  verdient  es  noch  eine  ganz  besondere 
Anerkennung,  dafs  der  Verf.  die  grofsen  Scbwierigkei» 
teu  jeder  Auswahl  aus  solchen  Redeverbindungen  nicbt 
blos  umfänglich  erwogen,  sondern  ihnen  auch  durch 
Aufstellung  allgemeiner*  Grundsätze  zum  Voraus  zu 
begegnen  gesucht  hat.  Denn  so  grofs  auch  die  Ve^ 
suchung  zu  sein  sdieint,  sich  hierbei  hauptsächlicli 
durch  die  besonderen  Umstände  jedes  einzelnen  Falles 
leiten  zu  lassen,  so  wenig  würden  doch  auf  diesem 
Wege  die  handgreiflichsten  Inconsequenzen  zu  veruiei* 
den  gewesen  sein. 

Nach  diesen  einleitenden  Erörterungen  werden  in 
dem  ersten  Capitel  der  obgcdacLten  Schrift  die  Oren* 
xen  und  die  Quellen  der  cimlietieehen  Lexikogro* 
phie  genauer  ermittelt.  Vor  Allem  öei  dieselbe  in  die 
der  lateinischen  und  die  der  griecAiscAen  Spraclie  ta 
zerlegen.  Letztere  blos  gelegentlichNZU  behandeln,  e^ 
scheine  bedenklich,  da  die  griechisch  verzeichneten 
Quellen  des  römischen  Recbts  bedeutend  genug  seien, 
um   ein   umfassendes   sprachliches  Studium   derselben 


781 


Birlhmy  mamaai^'  IkeAtdMiü /bniäum  jffm»  ^MVt  rMmnortsm, 


782 


gkidi  iriDMbeiiswvrA  Md  Mobnend  [t]  erMheiDen 
ta  lassen;  wogegen  frsüicb  die  ErforsoboDg  der  Lati- 
niMI  der  rdmiseheii  Reebtsqvellen  noch  keiiieewegeB 
snr  Aaescbliefenag  aller  hier  sieb  findenden  Wörter 
liellenisehen  oder  barbarischen  Ursprunges  nöthige 
(S.  5».  00> 

Die  juMiinianueiken  und  ^ie  Ueberreste  der  vor- 
fU9timanuek0n  Recbtsbflcber  seien  aber  der   Mittel- 
panct  dieses  lateiniscben  Qaellengelrietes ;  alles  Uebrige 
.lasse  sich  unter  den  Begriff  Ton  Jn(/Srquellen  zusam- 
menfassen.   Weder  die  Constitutionen  der  christlichen 
Kaiser,  nodi  die  Ueberreste  älterer  Gesetze  oder  son* 
atiginr  Juristischer  Urkunden  seien  unbeachtet  zu  laa- 
aea^    ietsteren  aber  ihr  Platz  in   einem   besonderen 
Mterariscben  Apparat  aofzubewabren.    Eben  dahm,  und 
das  auch  wohl  mit  gr6fserem  Rechte,  würde  nach  des 
Verfs.  Plane  die  antiquarische  Ausbeute  ans  den  top- 
sogsweioe  s*  g.  Classikem,   den  Grammatikern,   dea 
Schriften  des  Festf$*j  Cato^  Varto  zu  Torweiaen  sein. 
In  orthographischen  Dingen  will  unser  Verf.   — 
ttkl  warlcdnnte  ihm  darin  widersprechen?  —  die  SchreilK 
weise  der  Juristen,  und  nicht  die  der  nichtjnrisfisehen 
Ciassiker,  festgehalten  wissen)  selbst  da,  wo  erstere 
nar  ans  der  Majorität  Terscbiedener  handschriftlicher 
Zeugnisse  zu  ermitteln  wäre«    Dafs  aber  zugleich  die 
Folge  der>  Wörter  bei  zusammengesetzten  juristischen 
Konstausdrucken  als    höchst   unerheblich    bezeichnef, 
und  deren  Berücksichtigung  beinahe  mehr  CDtschuldi» 
fS%t  als  ftr  wesentlich  erklärt  wird  (S.  64),  das  wür- 
den wir  einem  Autor,  der  sich  doch  auch  die  Berück* 
sicbtigong  der  Wartvsrbindungen  grundsätzlich  ztir 
Angabe  gemacht  hat,  als   eine  Inconsequenz  Tdrzu« 
rlleken  Torsucht  sein,  wenn  uns  jene  Aeufsemng  recht 
ernstUch  gemeint  oder  etwa  anf  einer  Verkennung  der 
bedeutenden  Verdienste  Bugo^s  um  diesen  Zweig  der 
jnristischen  Sprachkunde  zu  beruhen  schiene. 

Nachdem  am  Schlüsse  des  ersten  Capitels  auch 
noch  für  die  Auswahl  der  lexikalischen  Artikel^  na- 
mentlich in  Beziehung  auf  Partikeln  und  auf  Eigcnna^ 
meO)  die  leitenden  Grundsätze  kurz  angedeutet  wor- 
dca,  bat  der  Verf.  in  einem  xweitef^  Gapitel  di6  innere 
Oeeonomie  der  einzelnen  Artikel,  als  den  eigentlichen 
Mittelpnnct  und  den  Prüfstein  ftir  sämmtliche  Leistun- 
gen'der  Lexikographie,  umständlich  erörtert.  Die 
SonderuDg  der  Vulgären  und  der  technischen  Bedeii- 
tuBgen  der  Wörter  sei  hierbei  unstatthaft,  und  keiner 


consequenten  Durch Abrung  fÜAg\  es  komme  Tielmehr 
darauf  an,  bei  Jedem  einzelnen  Ausdruck  die  wirkfich 
selbständigen  furiitieehen  Bedeutungen  scharf  zu  son* 
dern,  und  in  angemessener  — ^  nicht  et^ca,  wie  melsl 
bei  BriseonüiSj  in  alphabetischer —  Folge,  sn  ordnen. 
Wie  aber  bei  Weitem  die  Mehrzahl  der  selbständigen 
Wortbedeutungen  nur  durch  indirepte  Quelienzeugniss^ 
Erhärtet  werde,  und  wie  erst  durch  umsichtige  Somjo- 
Tnng  dieser  Tersohiedenen  Bedeutungen  auch  die  Syn^ 
njmen  und  directen  Gegensätze  eine  ontrugliche  Be- 
weiskraft erhielten, .  das  zu  zeigen,  sei ,  eben  die  Auf- 
gabe der  analytischen  Lexikographie. 

Das  Gewebe  Aeser  speciellen  Erörterungen  ist 
aber  so  fein,  dafs  wir  es  zerreifsen  mürsten,  wollten 
wir  einzelne  Fäden  desselben  hier  aus  dem  Zusam- 
menhange berrorzubeben  yersuchen.  Es  bleibt  daher 
«ur  noch  des  dritten  Capiteh  zu  gedenken,  worin  der 
Verf.  sich  schlierslich  aber  die  Auswahl  der  Beweie* 
•etellen^  und  über  den,  in  die  Noten  unter  den  Text 
«n 'Tcrweisenden  Apparat  erklärt  hat.  An  jene  Aus- 
wahl —  denn  absolute  Vollständigkeit  würde  auch  hier- 
bei nur  den  Herausgebern  einzelner  Autoren  oder 
Rechtsqnellen  zu  überlassen  sein  —  knüpft  der  Verf. 
zugleich  die  Frage  über  die  Ferm  der  Citate,  wobei 
natürlich  jede  Raumersparung,  die  ohne  Einbufse  an 
Deutlichkeit  und  Bestimmtheit  möglich  bleibt,  durch 
sich  selbst  empfohlen  ist.  Nur  darin  können  wir  dem 
Verf.  nicht  beistimmen,  dafs  er  die  namentUche  Erwäh- 
nung jedes  einzelnen  Juristen  oder  Kaisers,  Ton  denen 
eine  in  den  Rechtssammlungen  enthaltene  Stelle  ange- 
führt wird,  für  entbehrlich  und  selbst  für  bedenklich 
hält.  Mag  es  sein,  dafs  mitunter  eine  solche  Angabe 
irreleiten  könnte,  weil  etwa  der  erwähnte  Ausdruck 
Ton  dem  angeblichen  Autor  nicht  unmittelbar  gebraucht, 
sondern  nur  aus  älteren  Quellen  referirt  wäre,  oder 
weil  derselbe  blos  auf  einer  Interpretation  Tribonian's 
beruhen  möchte ;  immer  bleiben  dies  doch  nur  Ausnah- 
men, welche  sich  sogar  durch  Fragezeichen  oder  dergl. 
andeuten  lassen,  während  in  der  Regel  der  Name  des 
Autors  einem  sorgsamen  Interpreten  wünscbenswerth, 
oft  selbst  unentbehrlich  bleiben  mufs.  *-  Den  Appa' 
rat  endlich  theilt  unser  Verf.  in  den  kritischen  und 
literarischen  \  Tielleicht  hätte  sich  noch  der  antifua^ 
riechcj  den  der  Verf.  als  zum  literarischen  gehörig 
betrachtet,  besonders  nennen  lassen,  so  weit  derselbe 
überhaupt  im  Texte  entbehrlich  wäre  $  allein  anf  eine 


783 


D^Jitettf  manuaU  latittiMü  ftntiitmJurU  oMü*  tvmmPi'Wk- 


m 


^etflUltrte  .Cla8i|ificiruDg  der  Notep  kunn  09  ja  über- 
haupt oioht  we^CDtlioh  ankomineD.  Die  Hauptsache 
bleibt,  dar«  der  gesammte  Apparat  boehst  zweckmäfai- 
ger  \yei8e  dea  fortlaufendea  Notea  unter  dem  Text 
eiaverleibt  werden  soll. 

So  Tiel  über  das  lexikographische  System  unsres 
Verfassers.  Um  aber  dasselbe  durch  einen  genauen 
Maafsstab  noch  anschaulicher  zu  maoheU)  hatte  er  zu 
gleicher  Zeit  auch  schon  einige  Proben  4e6  uaternom«* 
imnen  Hauptwerks, unter  dem  Titel: 

Thesauri  latinitatis  fontium  iuris  ciTilis  romanorum 
specimen, 
herausgegeben  9  worin  an  mehreren  Artikeln  der  Ter- 
achiedensten  Art  die  Durchführung  jenes  Systems  mit 
unverkennbarer  Consequenz  bewährt  worden  ist.  Wer 
es  bei  diesen  Artikeln  darauf  anlegen  wollte,  das  Ma> 
terial  durch  Nachschaltung  einzelner  Redeverhindun^ 
gen  oder  Quelleucitate  zu  vennebrcn,  würde  zwar  ei- 
.  mgf,  aber  schwerlich  za|ilrciche  Nachtrüge  liefern  koür 
nen^  allein  in  beiden  Beziehuugen  liegt,  wie  schon 
bemerkt,  aSsolute  Vollständigkeit  gar  nicht  im  Plane 
des  Verfs.,  und  nur  das,  was  nach  seinem  eigenen 
Plane  nicht  fehlen  durfte,  würde  ihm  als  ein  Mangel 
vorzurücken  ^sein.  Einen  solchen  habe  ich  nur  etwa 
bei  -dem  besonders  schwierigen  Probeartikol  esse  fiu- 
den  können, .  in  welchem  zum  ^.  5,,,  wo  dieses  Wort 
in  der  Bedeutung  von  competere  erläutert  wird,  auch 
die,  b^d^n  Ausdrücken  eigenthümliche,  Bedeutung 
Ton  actio  est^  actio  cotnpetit  (d.  h.  man  kann  von 
Rechtswegen  klagen)^  im  Gegensatz  des:  ac^o  datur 
(man  kann  durch  Vergünstigung  des  Prfttors  klagen) 
wohl  auf  Erwähnung  hätte  Anspruch  machen  kön« 
neu.  S.  Gaius  IV,  219.  fr.  6.  de  Rescindenda  Vendi- 
tiene  (18,  5.). 

Mit  diesem,  erst  im  Druck  zu  erwartenden  The-^ 
süurus  —  denn  ausgearbeitet  ist  auch  davon  wohl 
schon  das  Meiste  —  ist  aber  der  eigentliche  Gegen- 
stand dieser  Anzeige:  das  Manuale  fontium  iuris  civi- 
lis romanorum,  nicht  zu  verwechseln ;  vielmehr  bildet 
letzteres,  wie  schon  der  fernere  Titel  besagt,  nur 
eine  Epitome  des  Thesaurus.  Auch  hat  dabei  nicht 
blos  eine  bedeutende  Kürzung  des  Textes   Statt  ge* 


fanden,  sondern  es  sinl  diti»cbireg  die  Kote»  «efigo- 
blieben,    indem   von   dem   kritischen  und  literarischeii 
Apparat  das  Nothwendigote  gleich  io  den  Text  aii(^ 
sobaltet  worden  ist.    Dennoch  tritt  aber  auch  in  die- 
sem Werke  der  ursprüngliobe  PJbn  des  Verfs.  ia.fs 
scharfen, Linien  und  mit  solcher  Klarheit  hervor,  daff 
selbst  denen,  die  mit  diesem  Plane  an  sich  niobt  völ- 
lig einverstanden  .wären,  doch  die  Sicherheit  Über  den 
Umfang  dessen,  was  sie  zu  erwarten  haben,  nnsohält 
bar  bleiben  müfste.    Und  dieser  Uu^taud  ist  es  den» 
auch,  welcher  bei  der  g^onwärtigen  .Anzeige  des  Ma- 
nuale es  nnerläfslich  machte,  vor  Allem  von  dem  Syr 
Stern  der  Hexikographie,  wie  der  Verf.  solches  aufge- 
stellt hatte,   zu  reden.    Wenn   nun    auch  durch  da« 
Manuale  vorzüglich  nur  für  den  Anfänger  im  Studittm 
des  CivUrecht«  gesorgt  weiden  sollte ,   $0  bleibt  doeii 
dasselbe  auch  für  die  ti<|fere  Forschung  höehiBt  fMe^ 
iioh  und,  bis  zum  Erscheinen  des  Thesaurus,  iweal- 
behrlicb,  da  uns  jedenfalls  auch  hier  schon,  viel  niel» 
gegeben  wird,  als  im  Brissonius.    Dem  üufsereu  Uoi- 
fange  n^ch  umfaCst  freilich  das  Mamiale  nur  ttugefahr 
drei  Viertel    von  der  jüngsten  Ausgabe   des  Brisso- 
uius  *);  allein  wenn  man  die  sehr  häufig 'vorkommen- 
den leeren  Zwischenräume,  und  die  weitläufiligen,  oft 
ganz  ungehörigen  Zusätze  d^s  Heimeecisss  in  dieser 
Auj^abe  in  Abzug  bringt,  so  ist  schon  jene  äufaere 
Ungleichheit  der  Massen  nicht  sehr  erheblich.    Dage- 
gen  hat  uns  Brissonius  nur  ein  Wörterbuch  sor  E^ 
lauterung  des  Corpus  Juris,  Dirkse»  aber  ein  Hu)£i> 
mittel  zum  Verstäudoir^   auch   der  verjustiaianischeD 
Rechtsbüchcr  und  Constitutionensammluogen  dargebe- 
ten, in  welchem  zwar  die  Berücksichtigung  grieohisdi 
geschriebener    Rechtsquellen    streng   zorückgewieseS) 
wohl  aber  selbst  die  vou  Jnlian^s  Novelleuüberaet^ojig 
noch  nicht  ausgeschlossen^  worden  ist. 


*)  BU  zum  ^'orte  ioUiciuUor  (weiter  hinaus  reichte  das  Ma- 
terial zur  Vergleichung  bisjetzt  nicht)  hat  das  Manuale  S9^ 
die  letzte  Ausgabe  des  Brissonius  125S  Seiten.  Da  pdeS' 
sei)  dort  gegen  '2S67,  hier  aber  nur  etwa  277:2  Buchstaben 
auf  die  Spalte  oder  halbe  Seite  gehen,  so  rennindert  sich 
jene  Differenz  wieder  in  so  weit,  dafs  sie  dem  Verhällaib 
TOD  Drei  zu  Vier  »ehr  nahe  kommt 


(Der  Beschluit  folgt.) 


■«•«■^ 


J^  99. 

Jahrbücher 

für 

wissenschaftliche    Kritik. 


Noyjember  1839* 


Manuale  laltnitaiis  fontium  iuris  civilis  romano^ 

,  rum.     Thesauri  latinitatis  epitome^    in  usum 

tironum,  Auetore  Henrico  Eduarde  Dirisen. 

(Schluft.) 

Selbst  im  Veif^luiob  zu  den  Probeärtikeln  des 
Tfaesanrüs  stellen  sich  bei  dein  Manuale  einige  Vor- 
tage beraas,  welche  tbeils  auf  nachträgliche  Ueberar- 
beifoagen  des  Stoffes,  tbeils  auf  Modificationcn  des 
urtprüngliehen  Planes  hindeuten,  uns  aber  durchweg 
•ehr  dankenswerth  erscheinen«  80  finden  sich  z.  B, 
bei  dem  Wort  aeeedere  im  Specimen  des  Thesaurus 
onr  sechs,  im  Manuale  aber  sieben  yerschiedene  Haupt- 
bedeutdngen;  und  durchweg  sind  in  diesem  Manuale 
die  unentbehrlichen  Abbreviaturen,  auch  noch  aufser 
den  Quell^icitaten,  sehr  xweckmursig  gekürzt  worden. 
Namentlich  sind  an  die  Stelle  des  L.  (lex)  bei  den 
€itatch.ans  den  Pandekten  und  dem  Codex  die  Zei- 
oben  y^#  lind  r.  getreten,  wodurch  die  fernere  Untcp- 
tsbeidnng' dieser  beiden  Sammlungen  durch  die  Buch- 
staben D.  (Digestonim)  und  C.  (Codicis)  als  entbehr- 
lich gans  weggeworfen  werden  konnte;  und  wir  be- 
dauern nur  die  Ueibehaltuog  dieses  C.  bei  dem  weit 
öfter  citirten  tAeodosiscAen  Codex  (denn  wo  dieser 
mit  dem  justinianischen  übereinstimmt,  ist  die  Anfüh- 
ruDg  des  letxteren  ganz  unterblieben),  da  schon  das 
Torangehende  TA.  eine  genügende  Bezeichnung  für 
diese  Constitntionensammlung  enthält.  Andererseits 
hat  die  blofse  Verweisung  auf  eine  unmittelbar  vorher 
dtirte  Sammlung  durch  16.  (ibidem)  wenigstens  dann 
manches  Bedenkliche,  wenp  beide  Citate  nicht  zu  dem- 
selben lexikalischen  Artikel  gehören  (wie  z.  B.  bei 
d<^m  Worte  Ar$mces)\  t%  könnten  biedurch  künftig, 
IUI  Falle  etwaniger  Einschaltungen  in  späteren  Aus- 
gaben, manche  Verwirrungen  verschuldet  werden. 

Gewifs  war  es  nicht  überflüssig,  bei  einem  Werken 
ia  welchem    die  Citate  eines  der  wesentlichsten  El»* 
JaAr6.  /.  wuhmcK.  KriHk.   J.  1839.    IL  Bd« 


mente  bilden,  auch  diese  scheinbaren  Kleinlicljkeiten 
näher  zu  besprechen  ;  doch  müssen  wir  ein  viel  grö- 
fseres  Gewicht  auf  folgenden,  in  dem  Mannale  hervor- 
tretenden Umstand  zu  dessen  Gunsten  legen.  Nach 
dem  im  System  der  Lexikographie  (8.  61)  dargelegten 
Plane  hutton,  wie  schon  oben  bemerkt  worden,  gerade 
die  ältesten  juristischen  Sprachdenkmäler  von  dem 
Texte  des  Thesaurus  ausgeschlossen,  und  in  die  No- 
ten, als  Tbeil  des  literarischen  Apparats,  verwiesen 
werden  sollen:  ein  Plan,  gegen  den,  abgesehen  von 
anderen  Bedenken,  vor  Allem  wohl  der  Einwand  zu 
machen  war,  dafs  dadurch  Alles  dem  zufölligen  Um- 
stände Preis  gegeben  blieb,  ob  auch  gerade  der  T6xt 
zur  Erwähimg  eines  solchen  älteren  Ausdrucks  in  den 
Noten  eine  schickliche  Gelegenheit  darbiete.  Zu  un- 
serer grofsen  Beruhigung  finden  wir  nun  aber  in  dem 
Manuale  nicht  nur  solche  Quellen^cuguisse  aus  den 
frühesten  Zeiten  dem  Texte  einverleibt  (wie  s.  B.  bei 
dem  Worte  Agnus)^  sondern  es  sind  auch  wenigstens 
einige  der  älteren  Ausdrücke  (z.  B.  Siremps)  mit  in 
die  Reihe  der  Artikel  selbst  aufgenommen  worden. 
Möchte  es  doch  dem  Verf.  gefallen,  diesen  Punkt  auch 
für  seinen  Thesaurus  noch  einmal  ernstlich  zu  erwä- 
gen; denn  gewifs  ist  die  Anzahl  derer,  die  ihm  in  je- 
nem Plane  nicht  beistimmen,  und  die  vielmehr  kein 
einziges  altlateinisches  Rechtswort  und  kein  erhebli- 
ches älteres  Qoellenzeugnifs  im  Texte  des  Thesaurus 
zu  vermissen  wünschen,  viel  gröfser,  als  er  erwartet 
zu  haben  scheint.  Wird  einmal  "der  Plan  des  Brisso- 
nius,  nur  ein  Lexikon  über  das  Corpus  Juris  zu  lie- 
fern, verworfen,  so  darf  man  hierin  nicht  auf  halbem 
Wege  stehen  bleiben.  *  Mit  den  eigenen  Worten  nicht- 
juristischer  Autoren,  die  ja  nicht  erläutert,  sondern 
nur  zur  Erläuterung  benutzt  werden  sollen,  hat  >e8  hier- 
in eine  ganz  andere  Bewandnifs:  sie  mögen  immerhin 
dem  Notenapparat  im  Thesaurus  verbleiben. 

Noch  Eins,  was  zwar  an  sich  einer  Inconsequenz 

99 


787 


Dirksen^  manuale  latinüati$ /bntium  juris  civilis  romanorum* 


788 


nahe  kommt,  aber  doch  durch  besondere  Umstände 
hinreichend  entschuldigt  und  selbst  geboten  wird,  hät- 
ten wir  sowohl  in  dem  Manuale,  als  künftig  im  The- 
saurus, gewünspht :  die  vollständige  Aufnahme  der 
einzelnen  griechischen  Wörter  (nicht  gerade  ganzer 
Sätze),  welche  in  dem  Context  lateioischerRechtsqueU 
len  sich  finden.  Der  Verf.  hat  bei  der  Ton  ihm  beob- 
achteten Einschränkung  sich  danach  richten  wollen, 
ob  solche  Wörter  das  Bürgerrecht  in  der  lateinischen 
Sprache  gewonnen  haben  oder  nicht;  allein  theils  ist 
es  schwor,  über  diesen  Umstand  mit  Sicherheit  zu 
entscheiden,  da  dasselbe  Wort  bald  mit  griechischen, 
bald  mit  lateinischen  Buchstaben  geschrieben,  auch 
bald  griechisch,  bald  lateinisch  dedinirt  wird;  theils 
hühgen  mit  den  Verstummelungen  solcher  Worte  öf- 
ter auch  irrige  Lesarten  des  lateinischen  Textes,  zu- 
mal in  der  Vulgata,  zusammen,  die  also  mit  jenen  zu- 
gleich die  Hülfe  der  Kritik  in  Anspruch  nehmen.  Uo- 
brigens  würde  ja  die  vollständige  Aufzählung  aller  je- 
ner Wiorte,  wenn  auch  nur  in  einem  Anhange,  weder 
sehr  schwierig  noch  irgend  umf&nglicb.  werden  kön- 
nen, während  andererseits  bei  eiuer  hoffentlich  nicht 
lange  ausbleibenden  selbstständigen  LexiSgraphie  der 
griechisch  geschriebenen  Quellen  und  Ueberarbeitun- 
gen  jdes  römischen  Rechts  gerade  an  jenen  wenigen 
Wörtern  kaum  etwas  gelegen  sein  könnte,  weil  die- 
selben meist  einer  früheren  Zeit  angehören,  als  die 
hauptsächlich  zu  erläuternden  griechischen  Verordnun- 
gen oströmischer  Kaiser  und  die  Arbeiten  byzantini- 
scher Juristen. 

Am  schwersten  erweiset  sich  die  Durchfuhrung  ei- 
nes festen  Systems  in  der  Wahl  der  Eigennamen,  zu- 
mal bei  den  Namen  von  Personen;  und  um  so  weni- 
ger wird  der  Leser,  wenn  er  im  Buche  einen  Namen 
aufsucht,  dieses  Systems  immer  gehörig  bewufst  blei- 
ben. Es  wird  z.  B.  Manchen  wundern,  das  Wort  uiu^ 
iusAin  Manuale  zu  vermissen,  wo  doch  Agerius  sich 
findet;  und  wiewohl  dies  allerdings  auf  guten  Gründen 
beruhen  kann,  wird  doch  das  Bedürfuifs  eines  oder 
mehrerer  besotiderer  Werke  über  sämmtliche  Eigen- 
namen, die  sich  in  einzelnen  Rcchtsquellen  finden,  auch 
neben  unserem  Manuale  immer  gleich  fühlbar  bleiben. 
Wie  viel  darin  namentlich  noch  zum  justinianischen 
Codex  geleistet  werden  könnte,  ist  aus  GotAofred^s 
l^rosopographia  zum  theodosischen  Codex  am  be^en 
zu  ersehen. 


Nicht  ganz  klar  ist  es  mir  geworden,  aus  wekhem 
Grunde  die  yerschiedenen  juristischen  Bedentnngea  ei- 
nes Wortes,  statt  wie  gewöhnlich  durch  fortlaufend 
numerirte  Paragraphen,  mitunter  durch  die  Bezeidi« 
nungen  A,  B,  C,  unter  Wiederholung  derselben  Par«^ 
graphenzahl,  gesondert  worden  sind.  .  Der  logische 
Standpunkt  kann  allerdings  solche  UnterabtheiluDges 
rechtfertigen;  aber  bei  einem  Werke  der  vorliegen* 
den  Art,  welches  ja  nicht  eigentlich  durchgelesen, 
sondern  nur  nachgeschlagen  wird,  ist  doch  auch  Alles 
zu  vermeiden,  was  in  der  leichteren  Uebersicht  des 
Ganzen  nur  aufhält.  Einem  gründlichen  und  verstän- 
digen Leser  wird  der  innere  Zusammenhang  verschie- 
dener Wortbedeutungen  schon  durch  ihre  conseqoente 
Heihefolge  leicht  verständlich  werden,  während  dem 
flüchtigen  auch  durch  äiifsere  Fingerzeige  jener  Art 
nicht  leicht  auf  die  rechte  Spur  zu  helfen  ist.  Eben 
dies  lüfst  sich  denn  einigermafscn  auch  zu  Gunsten 
des  von  Brissonius  bei  den  Mealeverbindungen  sehr 
häufig  befolgten  Princips  der  Aufzählung  in  a/pAaieii' 
scAer  Folge  geltend  machen:  ,es  kann  dies  das  Anf- 
auchen einzelner  Ausdrücke  sehr  erleichtern,  und  darf 
daher  als  sudsidiarisehes  Hülfsmittei  da  wohl  gednl* 
det  werden,  wo  die  innere  Verwandtschaft  dw  Red^ 
Verbindungen  nicht  mehr  sicher  genug  hervortritt,  am 
eine  andere  Reihefolge  zu  rechtfertigen. 

Ueber  einzelne  Artikel  dieses  reichhaltigen  We^ 
kes  dürfen  wir  uns  an  diesem  Orte  nicht  verbreiten; 
nur  sehr  Weniges  und  ganz  Gelegentliches  sei  uns  u 
bemerken  gestattet. 

Adfinis.  Auch  hier  im  §.  3,  nicht  blos  bei  dem 
nachfolgenden  a4finitas  hätte  die  Bezeichnuog  der 
Ehegatten  und  Verlobten  mit  diesen  Worten  erwähnt 
werden  können.  Fragm.  Vatic.  §.  302.  c.  5  de  Hered. 
Inst.  (6,  25). 

Adgnoscere,  Der  dem  Juristen  Cassisss  Langt- 
nus  zugeschriebene  Ausdruck :  „suum  qnisque  (possea- 
Bor)  modum  (agri)  agnosceret,'*  in  der  Agrimensoren- 
Schrift  des  Pseudo^Hygiuus  de  contro versus  jagrorom 
§.  3.  (Bd.  VII.  S.  157  des  Rhein.  Museums  für  Ju- 
risprudenz) scheint  mit  dem  gewöhnlicherem  bonoram 
possessionem  agnoscere,  verwandt,  jedenfalls  aber  einer 
besonderen  Erwähnung  werth  zu  sein. 

Competere.  Auch  hier,  wie  bei  dem  schon  oben 
erwähnten  esse^  wünschten  wir  .den  häufig  vorkommen- 
den  Gegensatz  von   dari^  permittij    mehr   in  seiner 


769 


iseny  manUals  latinitaHs  fontüun  Juri*  eivilü  romanomm. 


790 


Schärfe  hervorgciiobeii  zu  sehen,  (z.  B.  Gaius 
ly,  112.  fr.  26,  f.  3.  de  Pact.-  Dot.  fr.  &  de  Alimen- 
tis  leg.  fr.  29.  ile  M.  C.  Douat.  fr.  45.  Sol.  Matrim.) 
Dafs  Tribonian's  Interpolationen  diesen  Gegejkeatz 
mitunter  verwischt  haben^  geht  zwar  aus  der  c.  3.  de 
Don.  sub  modo  (8^  55),  yerglichen  mit  fr.  Vat.  §.  286, 
ganai  evident  hervor  $  allein  es  sind  der  Stellen  genug 
übrig  geblieben,  in  denen  er  sich  völlig  klar  erhal- 
len hat 

ßupandiuB.  Zur  Erläuterung  der,  zwar  den  Ju- 
.risten,  nicht  aber  den  Philologen  hinreichend  bekann- 
ten Stelle  im  §.2  der  Const.  Omnem  hätten 'die,  auch 
im  F^rceltmi  erst  neuerdings  nachgetragenen  Stellen 
ans  Trimalchio's  Gastmahl  o.  54.  78:  „dopondii  non 
iftcio  roatrem",  j^dupoudjarius  doipinus'*,  „dupondiorius 
homo"  mit  angeführt  werden  können.  Dafs  diese  Ci- 
tate  im  Thesauras  dem  Notenapparat  zufallen  würden^ 
achliefst  sie  Ja  vom  Manuale  noch  nicht  unbedingt  aus* 

JExtrinsecuM.  Der  wiederholte  Gebrauch  dieses 
Wortes  bei  ^  der  Bezeichnung  des  s.  g.  peculium  ad- 
ventitium  (bona  quae  extrinsecus  adveniunt,  perveniunt, 
adquiruntur,  s.  Theod.  VIII,  18.  c.  10.  und  c.  6.  pr. 
^  1.  c.  8.  pr.  de  Bonis  quae  liberis  6.  61)  ist  hier 
nicht  besonders  hervorgehoben  worden. 

SendtuM*  Dafs  auch  die  superfictea  eiumal  eine 
Servitut  genannt  wird  (fr.  86.  fiu.  de  legatis  1.)  und 
dafs  die  römischen  Juristen  auch  von  einer  vindicatio 
seruüuii»  reden  (fr.  9.  de  0.  N.  N.  39,  1.)  wäre  auch 
in  dem  Manuale  wohl  zu  bemerken  gewesen. 

Auch  ein  Druckfehler  ist  uns,  bei  dem  Artikel 
JUummeHiumy  angesucht  in  die  Hände  gelaufen.  Wä- 
ren ihrer  viele  in  dem  Buche,  so  hätte  dieser  Fall 
üfter  eintreten  müssen. 

Im  März  1837  hatte  der  Druck  des  Manuale  be- 
gonnen, und  jetzt,  im  Juni  1839,  ist  die  den  Schlufs 
bildende  nennte  Lieferung  bereits  erschienen,  üebri- 
^ens  gehört  auch  das  stattliche  Aeufsere  dieses,  ge- 
gen lOUO  Grofsquartseitcn  im  engsten  Drucke  füllen- 
den Werkes,  welches  wir  fortan  in  den  Häadeu  auch 
jedes  angehenden  Juristen  zu  sehen  wünschten,  zu 
dessen  vorzüglichen  Eigenschaften.  Dem  Verf.  aber 
Wird  Jeder  nunmehr  doppelte  Mufse  und  Aufmunterung 
TUT  letzten  Vollendung  seines  civilistischen  Thesaurus 
wänsohen  $  denn  ein  Unternehmen  dieser  Art  kann  nur 
Dem  gelingen,  der,  wie  der  Verf.,  Muth  und  Ausdauer 


genug    besitzt,    um    eine  eigentliche   Lebensaufgabe 

daraus  zu  machen. 

*     Blume* 


LIL 
Versuch  einer  Geschichte  der  Oeburtshülfey  von 
Ed.  Casp.  Jac.  von  Siebold j  der  Philos.^ 
Medicin  und  Chirurg.  Dr.j  Ritter  des  Kur- 
fürstL  Hess.  Ordens  v.  gold.  Löwen,  ordeMh 
Professor  der  Med.  und  Oeburish.  zu  Göttin- 
gen  u.  s.  w.  Erster  Band.  Berlin^  1839.  368  JS* 
und  XVI.    gr.  8. 

Mit  derjenigen  Gründlichkeit,  die  wir  an  den  Göt- 
tinger Autoren  gewohnt  und  wegen  ihrer  reichen  Bi; 
bliothek  von  ihnen  zu  fordern  berechtigt  sind,  (denn 
ein  Jeder  soll  nach  den  Mitteln  ^  die  ihm  zu  Gebote 
stehen,  beurtheilt  werden),  liefert  uns  Hr.  v.  Siebold 
in  der  vorliegenden  Schrift  eine  bis  zum  Ende  des^ 
15ten  Jahrhunderts  reichende  Geschichte  der  Geburts- 
hülfe,  welche  er  selbst  einen  Versuch  nennet,  während 
sie  von  der  Kritik  als  ein  gelungenes  Werk  bezeich- 
net werden  mufs.  Mit  Recht  sagt  der  Hr.  Verfasser 
(pag.  IV.),  es  scheine  ihm  ein  zeitgemäfaes  Unterneh- 
men zu  sein,  an  eine  neue  Bearbeitung  der  Geschichte 
einer  Wissenschaft  zu  gehen,  did  in  den  letztvörgan- 
gencu  Decennien  so  grofse  Fortschritte  gemacht  habe, 
dafs  der  neuere  Gescbichtscbrciber  von  einem  ganz  an- 
dern Standpunkte  dieses  Feld  überblicken  könne,  oIb 
es  bei  den  früheren  der  Fall  gewesen. 

Die  Geburtshülfe.  stehet  als  der  jüngste  Zweig 
der  Gesamuit- Heilkunde  da;  erst  in  der  neuesten  Zeit 
hat  sie  aus  ihrer  ursprünglichen  Barbarei  sich  heraus- 
gearbeitet. Trotz  diesem  langen  Zurückbleiben  ist  sie 
gegenwärtig  den  beiden  anderen  Zweigen  vorausgeeilt» 
und  nimmt  eine  so  hohe  wissenschaftliche  Stellung 
ein,  dafs  sie  füglich  als  Muster  für  die  übrige  Heil- 
kunde gelten  kann.  Denn  „nicht  nur  die  operative 
Seite  der  Kupst  hat  sich  unauflialtsam  ausgebildet,^* 
sondern  die  operativen  Entdeckungen  wie  das  thera- 
peutische Verfahren  überhaupt  haben  gleichen  Schritt 
mit  der  physiologischen  und  anthropologischen  Er- 
kenntnifs  gehalten.  Die  Geburtshülfe  hat  einerseits 
an  der  Physiologie  ihre  sichere  Norm  gefunden,  mit 
deren  Hülfe  sie  zu  eini^r  genauen  Feststellung  der  Gren- 


791 


V.  Sieboldj   Ge$chiekte  der  GeburUhülfe. 


m 


zen  swisehen  der  Natur  und  der  Kunst  gelangen  und 
somit  als  Pbjsiatrik  sich  constitniren  konnte;  ande» 
rerseits  bat  sie  die  tiefen  religio^  'anthropologüehe 
Eidsicht  von  dem  unendlichen  Werthe  des  Menschen  — 
nicht  minder  des  werdenden  als  des  entwickelten  Men- 
schen —  mehr  und  mehr  in  sich  aufgenommen  und 
verarbeitet.  Auf  diese  Weise  ist  sie  m  einer  Stel- 
lung gelaugt,  welche  ebeusoselftr  ihre  Wurzel  und  Be- 
festigung in  der  Sphäre  der  Religion  und  Sitte  hat, 
als  sie  %ur  Vollendung  empirischer  Kunstfertigkeit 
sich  erhebt.  Indem  die  Kunst  ,,die  grofseu  Kräfte 
kennen  lernte,  welche  die  Natur  bei  dem  wunderba- 
ren 'Hergange  der  Geburt  walten  läfst,"  erwarb  sie 
die  Fähigkeit,  der  christlich  sittlichen  Idee  von  dem 
Werthe  des  kindlichen  Lebens  eine  erfuhrungsgemäfse 
und  faktische  Bewährung  zu  geben. 

Wenn  nun  überhaupt  diese  religiöse  Weihe  und 
die  phjsiatrische  Feslslellung  der  Grenzen  zwischen 
der  Natur  und  der  Kunst  die  oberste  Aufgabe  und  das 
Ziel  aller  Heilkunde  ist,  so  niufs  es  nickt  blöfs  für 
den  Geburtshelfer  von  Fache,  sondern  für  jeden  Arzt 
von  lebendigem  Interesse  sein,  die  Wege  zu  betrach- 
ten, auf  denen  die  Geburtsbülfe  ihren  jetzigen  Höhe- 
punkt erreicht  hat. 

Es  erweckt  aber  sogleich  eine  günstige  Meinung 
für  die  vorliegende  Schrift,  wenn  der  Hr.  Verf.  in  der 
Einleitung  erklärt,  nicht  mit  einer  blofsen  Erzählung 
des  Geschehenen  sich  begnügen  zu  wollen;  die  Dar- 
stellung des  Geschehenen  müsse  vielmehr  zur  Philo- 
Mophie  der  Geechichie  erhoben  werden  (S.  2).  In  der 
That  zeigt  sich  die  Unerlafslichkeit  philosophischer  Be- 
trachtungsweise gerade  bei  der  Geschiebte  der  Geburts- 
hülfe  am  deutlichsten.  Denn  hier  haben  so  mannigfa- 
ohe  allgemeine  Umstände  concurrirt,  die  religiösen  Vor- 
stellungen der  Völker,  ihre  philosophische  Erkenntnifs, 
ihre  politischen  und  kirchlichen  Institutionen,  ihre 
Rechtsverhältnisse,  Gebräuche  und  Culturzustände  ha- 
ben einen  so  unmittelbaren  Einflufs  auf  die  Schicksale 
dieser  Kunst  geübt,  dafs  die  Geschichte  derselben  nur 
in  beständigem  Rückblicke  auf  den  Fortgang  der  welt- 
geschichtlichen Idee  aufgefafst  werden  kann. 

Die  Philosophie  der  Weltgeschichte  zeigt,  wie  der 
Mensch  zum  Bewufstsein  seiner  selbst,  zu  Freiheit  und 
Sitte  erzogen  worden  ist.  Mit  der  Eutwickelung,  wei- 
che der  Freiheitsbegriff  bei    den  verschiedenen  Völ-. 


(Der  Beschlnfi   folgt.) 


kern  erlangt  bat,  stehet  die  Entwickelnng  ihrer  Kfiih 
ste  und  Wissenschaften  im  engsten  Zusammenhange. 
Die  höhere  oder  niedere  Stufe  der  Heilkunst  einek 
Volkes  hängt  von  der  Bestimmung  des  Werthes  ab, 
welcher  dem  menschlichen  Leben  beigemessen  wird, 
und  wenn  Herad&t  sagt,  dafs  die  AegypUr  zuerst 
eine  Unsterblichkeit  der  Seele  angenommen  haben,  so 
ist  es  eben  dieses  den  Uebergang  vom  Orient  zum  Occi» 
dent  bildende  Volk,  bei  dem  wir  zuerst  eine  wirkliche 
Heilkunde  hervortreten  sehen«  Ihre  glänzendste  Ge* 
stalt  gewann  die  Kunst  bei  den  Griechen^  in  ^enea 
das  Bewufstsein  freier  menschlicher  Individualität  er- 
wacht war.  Aber  die  schöne  griechische  Freiheit  war 
an  das  Vorhandensein  von  Sciaven  gebunden  ^  nur  der 
entwickelte  und  vollendete  Mensch,  der,  den  Arbeitea 
für  die  niederen  Bedürfnisse  des  Lebens  entrückt,  io 
der  harmonischen  Ausbildung  seines  Körpers  und  Ga^ 
st  es  ein  plastisches  Kunstwerk  darstellte,  galt  ihuen 
als  frei  und  als  Abbild  des  Göttlichen.  Den  noch  uo- 
ausgebildeten  und  werdenden  Menschen,  das  Kind  und 
vollends  den  Foctus,  wufste  die  antike  Welt  nicht  u 
schätzen.  Das  kindliche  Leben  war  einer  anbeschränk* 
tenWillkühr  theils  der  Eltern,  theils  des  Staates  öbe^ 
lassen.  Die  Pflege  der  gesunden  und  die  Behandlung 
der  kranken  Kinder  hat  die  antike  Medizin  kaom  ei- 
ner Aufmerksamkeit  gewürdigt,  wie  denn  u.  A.  bei  Ari» 
stoteles  (bist.  an.  VII.  12.)  von  der  enormen  Sterblieb- 
keit  der  griechischen  Kinder  in  den  ersten  sieben  L& 
benstagen  berichtet  wird.  Die  Geburtsbülfe  der  Altes 
wird  durch  den  ungehieuersten  Leichtsinn  charakterisirt, 
„mit  dem  das  Kind  im  Mutterleibe  durch  Abortivmittei 
und  Zerstückolungsmetboden  bingcopfert ward.*'  lodern 
alten  (vorhippokratischen)  Eide  wird  zwar  dem  Artte 
die  Verpflichtung  auferlegt,  zur  Corruptiou  des  Foeta« 
nicht  beizutragen;  indessen  sehen  wir  schon  inder  hip- 
pokratischen  Zeit  —  in  der  Schrift  de  natura  pueri  — 
Rathschläge  zur  Abtreibung  der  Frucht  ertheilen  (rgL 
S.  80).  Wenn  wir  gewohnt  sind,  unsere  cbristlichefl 
Begrifl'e  von  Moralität  auf  den  Sokratee  zu  Übertrages, 
so  erstaunen  wir  über  die  Unbefangenheit,  mit  weleb« 
dieser  Tugend-Heros  des  Alterthumes  in  Plnto'sTbea» 
tet  davon  spricht,  dafs  die  legitimen  Hebeammen  die 
Kifust  besitzen,  den  Scbwergebärenden  zur  Gebüt  ta 
helfen,  oder  auch  das  Kind,  wenn  die  Mutter  heschlossea 
hat,  sich  dessen  zu  entledigen,  abzutreiben  (vgl.  S.  109> 


M  100. 

J  ahrbficlier 

für 

wissenschaftliche 


November  1839. 


Kritik 


Versuch  einer  Geschichte  der  Oeburtshüffe/  von 
Ed.  Casp.  Jac.  van  Sie  bald. 

(Schlafs.) 

Solclier  Rohheit  des   HeidenthnmeB  ist  dann  das 
ChristentbuDn  mit  seinem  Principe  eDtgcgeogetreten,  dafs  ' 
der  Mensch  als  solcher  zur  Freiheit  geschaffen  sei  und 
die  Bestimmung   der  Unendlichkeit  in   sich  trage,  — 
der  Mensch  überhaupt,  ohne  Unterschied  des  Standes, 
Geschlechtes  und  Alters,  selbst  der  ungeborene  Mensch 
Tom  ersten  Momente  der  Empfängnifs   an.    Im  Ange- 
sichte einer  altersgrauen  und  verzweifelten  Welt  wurde 
jetzt  auf  die  Unschuld  lind  Frische  des  kindlichen  Le- 
bens, ^als  auf  ein  Schattenbild  der  zu  erlangenden  Kind- 
schaft Gottes  Terwiesen,    Die  Emancipation  der  Hin" 
derwelt  ist  das  IVerk   des  Christenthumes»    In  die- 
ser Beziehung  hat  das  Wort  des  Erlösers:  Lasset  die 
Kindleio  zu  mir  kommen !  auch  für  die  Geschichte  der 
Heilkunde   seine  hohe  Bedeutung.     Die   Geburtshülfe, 
Irie  die  Diätetik,  Pathologie  und  Therapeutik  des  Kin- 
desalters,  konnten  erst  innerhalb  des  Cbristenthumes 
ihre  wissenschaftliche  Bearbeitung  und  Haltung  gewin- 
DCD,    wie  denn  auch  der  Aufschwung  des   kindlichen 
Lebens,  nach  pathologischer  Seite  hin,  durch  das  Auf- 
treten neuer,  insbesondere  die  Kinder  befallender  Krank- 
beitCD,  der  Pocken  und  Masern,  sich  zu  erkennen  giebt. 
Aber  mit  dem  Aufstellen  jenes  ethischen  Grund- 
satzes war  nicht  sofort  dessen  Verwirklichung  und  An- 
wendung'auf  die  Torhandenen  Weltvcrhältnisse  gege- 
ben*    Das  Christenthom,    bestimmt  das  ganze  Leben 
der  Völker  von  innen  heraus  umzugestalten,  hatte  zu- 
▼orderst  einen  harten  Kämpf  mit  der  Abgestumpftheit 
nnd  Versumpfung  der  alten,   und  mit  der  natürlichen 
Wildheit  neuer  Nationen  zn  bestehen.    Es  war  dann 
▼erzugsweise  die  abendländische  Kirche,    welche,   im 
Gegensatze  zu  der  theologischen  Speculation  der  orien- 
talischen den    praktisch- anthropologischen   Erörterun- 
Jalirh.  /.  wu§€iuch.  Kritik.   /.  1830.    11.  Bd.      . 


gen  sich  zuwendend,  jenis  neue  Moment,  die  Achtung 
vor  dem  kindlichen  Leben,  zu  vertreten  hatte*    So  se- 
hen wir  die  Weihnachtsfeier,   dieses  Fest  der-  Kinder, 
vom  Occident  seinen  Ausgang  nehmen.    Unter  den  Kir- 
chenvätern eriud  es  die  Lateiner  Lactantiut  und-  7Vr- 
tuUianus  (vgl.  S.  209),  die  mit  energischer  Gelehrsam- 
keit  die  heidnische,   hauptsächlich   von   den  Stoikern 
vertheidigte  Ansicht,   dafs  der  Foetus  ohne  Seele  sei, 
bekämpfen  und  dagegen  den  Satz  behaupten,  dafs  das 
Kind  im  Mutterleibe  durch   eine  divina  necessitas  ge-  ' 
bildet  werde,  und  nicht  erst  nach  der  Geburt,  sonde,rn 
unmittelbar   nach   der   Empfäugnirs   eine    menschliche 
Seele  und  menschliche ^  Würde  habe.    Es  bedurfte  fer- 
ner  der  wiederholten   Verordnungen   der  Kirchenver- 
sammlungen,  um  der  altrömischen  lex  regia  über  das 
Ausschneiden  der  Frucht  aus  dem  Leibe  Schwanger- 
verstorbener  Eingang  zu  verschaffen  (vgl.  S.  322).  -^ 
Erst   nach   funfzehnhundertj übrigem   Kampfe   war    es 
dem  christlichen  Principe  gelungen,  einen  entschiede- 
nen  Sieg  über  das  Heidenthum  zu  gewinnen.     Jetzt, 
im  Jahre  1500,   tritt   eine  geburtshülfliche   Operation 
hervor,  welche  den  Wendepunkt  zwischen  der  alten 
und  neuen  Geschichte,  eine  Umkehrung  dessen  bezeich-' 
net,  was  bis  dahin  gegolten  hatte:  der  KaiserschnitS 
an  lebenden  Schwangeren.     Wenn  bisher  das  Streben 
der  Kunst,  mit  leichtfertiger  Aufopferung  des  Kindes, 
vorzüglich  auf  Erhaltung  des  mütterlichen  Lebens  ge- 
richtet war,  so  ist  nun  das  kindliche  Leben  so  sehr  im 
Werthe  gestiegen,  dafs  zu  seinen  Gunsten  das  mütter- 
liche  der  höchsten  Gefahr  preisgegeben   wird.    Ja  es 
läfst  sich  nicht  verkennen,  dafs  in  der  nächstfolgenden 
Zeit    zum    entgegengesetzten    Extreme    fortgegangen 
wurde,  indem  man  sich  nicht  scheuete,  vermittelst  jener 
Operation  leichtfertig  das  Leben  der  Mutter  zu  opfern, 
um  das   des  Kindes  zu  retten. 

Eine  Ausgleichung  dieser  Extreme  zu  finden,  war 
die  Aufgabe  des  17ten  Jahrhunderts.    Um  dahin  zu  ge- 

100 


795 


V.  SieiöUj  €feseHi0JU0  der  Geh$rt9JMf9. 


7M 


langM,  DinMeeiii  nenes  Moment,  die  sorgflltige  Beo|^ 
achtiing  und  Keimtnifs  der  Natur  hinzotreten.  Ztt  die- 
■em  Bebofe  durfte  die  Geburtshlilfe  nicht  länger  in 
aueechliefalichtn  Besitae  der  Hebammen  und  Chirurgen 
bleiben ;  die  Wissenschaft  durfte  sich  nicht  länger  die> 
ses  Studiums  schämen.  Die  nächste  Folge  der  wis- 
senschaftlichen Richtung  war  die  Einftihrung  des  He- 
bels und  der  unschädlichen  6e6urtsxange  zu  Ende  des 
17ten  Jahrlu  Die  Entdeckung  dieses  Instrumentes,  wel- 
ches wir  in  der  That  ein  acht  humanes,  ja  heiliges 
nennen  mdgen,  gehdrt  dem  Geiste  protestantischer  Völ- 
ker an,  uud  wenn  es  räthselhaft  scheint,  dafs  ein  so 
einfacher  Mechanismus,  yon  welchem  bereits  in  der 
bippoki^at.  Schrift  „de  soperfoetatione"  eine  Andeutung 
gefunden  werden  könnte  (vgl.  S.  92),  Jahrtausende  lang 
habe  auf  sich  warten  lassen,  so  erklärt  sich  letzteres 
zum  Theil  daraus,  dafs  überhaupt  das  moralische  Be- 
dfirfnifs  nach  solchem  Instrumente  bis  dahin  nicht  ei- 
gentlich vorhanden  gewesen  war.  —  Mit  der  Erschei- 
nung der  Geburtszang-e  fällt  die  Errichtung  von  Ent- 
bindungslehranstalten zusammen.  Hierdurch  aber  war 
den  Aerzten  erst  die  Gelegenheit  gegeben,  durch  .prak- 
tische  Anschauung  eine  gründliche  physiologische  Kannt- 
nifs  von  dem  normalen  Hergange  der  Geburt  zu  erwer- 
ben, die  grofsen  Kräfte  und  die  Autokratie  der  Natur 
richtig  zu  würdigen  und  eine  bestimmte  Grenzlinie  zu 
ziehen,  wo  die  Natur  sich  selbst  zu  überlassen  und 
wo  durch  die  Kunst  einzugreifen  sei.  — 

Jene  beiden  Momente,  die  antbropologische  Wür* 
digUBg  des  kindlichen  Lebens  und  die  physiologische 
Beobachtung  der  regelmäfsigen  Geburt,  bilden  die  Haupt- 
gesichtspunkte, unter  denen  die  Geschichte  der  Geburts- 
hfilfe  aufgefafst  werden  mufs.  Beide  Seiten  hängen  auPs 
innigste  zusammen  und  vervollständigen  einander,  wäh- 
rend  sie  abgesondert,  jede  für  sich,  ohne  Wahrheit  sind. 
Die  religiöse  Achtung  vor  dem  kindlichen  Leben  hat 
es,  so  lange ^  sie  nicht  durch  Naturstudium  unterstützt 
war,  in  il^rem  Kampfe  gegen  Corruptiou  und  Zerstücke- 
lung des  Foetus  nur  bis  zum  Kaiserschuitte  an  Leben- 
den, also  selbst  nur  zu  einer  entgegengesetzt  extremen, 
blutigsten  Operation  bringen  können.  Andererseits  führt 
die  physiologische  Beobacbf ung,  wenn  sie  nicht  von  der 
sittlichen  Idee  getragen  wird,  zu  Vergötterung  der  Na- 
tur, zu  Geringschätzung  und  blutiger  Mifshandlung  des 
Foetus,.  im  besten  Falle  zu  Vernachlässigung  desselben 
aus  übertriebenem  Vertrauen  in  die  Autokratie  der  Na- 


tur. Deuis  diese  Autokratie,  so  sfark  und  mächtig  sie 
Ist  und  so  wunderbare  Hülfe  sie  auch  sn  schaiFeo 
weifs  —  wie  sich  in  höchster  Potens  an  dem  Akte  d« 
Scibstwendusg  zeigt:  —  so  hat  sie  doch  bei  dem  Ge- 
burtsgeschäfte  vorzugaweise  nur  die  ktegtität  des  wtm- 
terliektn  Organismus  und  die  Ansscbliefsung  der  Frucht 
ans  demselben  im  Auge;  die  Erhaltung  des  kindüobsä 
Lebens  ist  bei  ihr  eine  mehr  untergeordnete  Rucksiebt, 
ja  der  natürliche  Akt  ist  relativ  um  sa  stärker,  js 
schwächer  und   lebensärmer  das  Kind   sich   befindet 

0 

Hier  gilt  es  dann,  dafs  von  humaner  Seite  her  die 
Kunst  einschreite  und  dafs  das  Wort  der  h.  Schrift  in 
Erfilllung  gehe :  Nicht  die  Starken,  sondern  die  Sobwar 
eben  bedürfen  des  Arztes« 

Die  Geburtshülfe  unserer  Zeit  zeichnet  sich  datsk 
ihr  naturgemäfses  Verfahren  aus ;  sie  hat  sich  nur  d^ 
vor  zu  hüten,  dafs  sie  nicht  in  Vergötterung  der  N^ 
tur,  in  einen  heidnischen  Naturalismus  verfalle.  Des- 
halb  mufs  sie  immer  von  Neuem  daran  erinnert  werdesj 
dafs  die  Grundlage,  auf  der  sie  den  schönen  Bau  ihres 
Systemes  errichtet  hat,  eine  sittliche,  eine  christlioli 
humane  ist.  Wenn  es  möglich  wäre,  dafe  ihr  diese 
Basis  entrückt  würde,  dafs  sie  im  stolzen  Vertranes 
auf  ihre  physiologische  Entwickelung  ihrer  religiösen 
Wurzel  vergäfse,  so  müfste  sie  nothwcudig  in  die  gras» 
enbafte  Barbarei  eines  kaum  überwundenen  Pagaais» 
mus  wieder  zurücksinken.  Den  schlagenden  Beweis  di^ 
für  liefern  einzelne  Erscheinungen  in  der  neuesten  deut- 
schen, so  wie  im  Grofsen  der  eigenthümliche  Charak* 
ter  der  englischen  Geburtshülfe. 

Mit  eindringenden  Worten  erwähnt  der  Hr.  Verf. 
(S.  210)  der  traurigen  Vorliebe  für  die  Perforatios 
des  Foetus  und  des  beschränkten  Gehrauches  dei 
Kopfzange  bei  den  englischen  Aerzten.  Ao6.  CoUm$y 
Vorsteher  eines  grofsen  Hospitals  zu  Dublin,  perfoiiit 
bei  zurückgehaltenem  Kopfe  nach  Fufs  -  und  Steifsge- 
burten;  er  perforirt,  wo  die  Kppfknochen  ao  däns 
sind,  dafs  die  Zange  nicht  halten  wUl$  er  hat  perfo- 
rirt, oder  wie  Krüger  -  Hansen  sich  ausdrückt,  Hea- 
kersarbeit  verrichtet,  weil  ein  auf  dem  Dauune  stehea* 
der  Kopf  nicht  fortrückte,  nachdem  mit  dem  Hörrehn 
kein  Herzschlag  mehr  wahrgenommen  wurde;  ja  ei 
hat  sogar  ein  zweites  Zwillingskind  perforirt,  veil 
auch  hier  kein  Herzschlag  mehr  zu  veroehnnen  wart 
„Spurlos  sind  also  an  diesem  Manne,  fährt  Hr.  v.  S. 
fort,  die  Erfahrungen  so  vieler  Jahrhunderte  vor&be^ 


wt 


n.  8iet0U,  GewUekie  der  GeiurisAMlfs. 


798 


g6X(»geBl    Ibm  bat   iie  Getobiehto  der  Gebortriiftlfb 
Bicbts  gelelirf^  sonst  mfifate  er  schaodern  Tor  seiner 
eigenen  Praxis,  .wekhe  ikn  tief  anter  die  Männer  der 
längst   dnbin  geschwnndenen  Zeiten  stellt  ^    fie  aus 
Noth  und  in   Ermangelnng   besserer  Einsichten   and 
tiweekmäfsiger  Erfindungen  zu  soloben  traurigen  Ent* 
Uttduagsarten  sebrttten»  wofilr  sie  demnaoh  wohl  tot 
ebedi  billigen  Richter  Entschnldigang  finden  mfissen.*^ 
^  Worin  aber  der  Grund  eines  so  auffallenden  «Zn- 
rüelLUeibens  der  Engländer  gegen  die  Fortschritte  der 
Zät  an  suchen  sei,  gedenkt  der  Vf.  iin  weitern  Ver- 
folge der  Geschichte  nachzuweisen.     Hier  finde  Ton 
Seiten  des  Ref.  die  Bemerkung  Platx,  dafs  der  tiefere 
Grand  in  dem  Widerspruche  liegt,  der  sich  bei  dem 
brkiseben  Volke  (hireh  alle  Sphären  seiner  Nationali- 
tät, durch  Sprache  und  Sitte,  Staat  und  Kirche,  Wis- 
senschaften nnd  Känste  hindurchzieht   Der  Geist  die- 
ne» Volkes  ist  der  gennanisch-protestantisehe,  während 
die  Formen,  in  denen  es  sich  bewegt,  romanische  sind. 
D^m  cbristiicii^  Princip  ist  hier  zu  einer  dem  Inhalte 
entsprechenden  Form,  sonk  zu  wahrhafter  Realisation 
Hsid  Durchbildung   durch  die   weltKchen  Verhältnisse 
noch  nicht  gekommen.     So  geniefst  hier,  namentlich 
in  Bezog  auf  unsern  Gegenstand,  das  kindliche  Leben 
noch  nicht  die  ihm  gebührende  Achtung,   wie  die  em« 
pi^rende   Mifshandhing  der  Kinder  in  den   englischen 
Fabriken  lehrt.    Dieser  unaufgelöste  Widerspruch  im 
Voikscbarakter  giebt  sich  in  der  englischen  Heilkunde 
ab    entschiedenster  Gegensatz  zwischen  einer  aufge^ 
klärten,   jedoch    extremen,   physiologischen    Theorie, 
und  der  finstersten  therapeutischen  Praxis  kund.  Wenn 
wir  aber  in  Betracht  ziehen,  dafs  gerade  ?on  England 
uns  die  naturgemä/se  Bearbeitung  der  Geburtshülfe 
sich  verbreitet  hat,  so  ist  leicht  zu  ersehen,  dafs  die 
physiologische   Beobachtung,    Kenntnifs   and  Nachali- 
mung    des  natürlichen  Geburtsherganges  für  sich  al- 
lein, und  abgelöst   von   der  sittlichen  Hochschätzung 
den  kindlichen  Lebens,  die  Geburtshülfe  vor  inhuma- 
nen Verftthrungsweisen,  wenigstens  vor  Unterlassungs« 
nünden  gegen  den  Foetus  nicht  schützen  kann. 

Erst  dem  gemütblichen,  eben  so  sehr  der  geistig- 
sktliehen  Welt  al^  der  empirischen  Naturbeobaehtong 
nugewandten  Sinne  der  deutschen  Aerzte  war  es  vor- 
behalten, der  geburtshülfiichen  Kunst  zu  Ende  des  vo- 
rigen Jahrhunderts  ihre  wahrhafte  Ausbildung  zu  ge- 
ben.   Schmeicheln  wir  uns  aber  nicht  mit  dem  Glau- 


hra,'  ah  ob  auf  diesem  ärztlichen  GeMele  der  Kampf 
der  christlichen  Wahrheit  gegen  das  widerstreitende 
Heidenthum  bereits  ein  verschollener  uAd  historisch 
abgemachter  sei.  Mit  grofser  persdniicher  Betrübnilki 
aber  nm  der  Sache  willen  ohne  weitere  Beschönigung^ 
mufs  hier  Ref.  der  Vertrmng  gedenken,  in  welche  ei* 
ner  seiner  verehrtesten  Lehrer,  ein  um  die.  Zurück- 
filhrang  der  Geburtshülfe  auf  f$aturgemS/ie  Grund» 
Sätze  hochverdienter  deutscher  Arzt  verfallen  ist,,  in* 
dem  derselbe  in  seiner  kürzlich  beransgegebeneu 
Schrift  „über  die  Zurechnungsfähigkeit  der  Scbwan» 
geren  und  Göbarenden**  aus  mtfsverstandetier  Bnmani* 
tat  die  alte  heidnische  Lüge,  dafs  der  Foetus  nicht 
ttls  Mensch  zu  würdigen  pei^  wiederum  vertheidigt,  das 
Verbrechen  des  vorsatzlichen  Abortus,  wo  nicht  recht* 
fertigt,  doch  entschnldtgt,  und  zu  Consequenzen  ge* 
langt,  die  vor  dem  Richterstuhle  einer  christlichen 
Sitte  keine  Gnade  erwarten  dürfen.  Obschon  nun  sei« 
ehe  Ansiebten  bei  dem  demialigen  Stande  der  deut* 
sehen  Wissenschaft  keine  Aussicht  auf  Erfolg  haben, 
so  machen  sfie  doch  auf  die  Gefahr  aufmerksam,  wel« 
che  der  Geburtshülfe  bevorsteht,  wenn  dieselbe  nicht 
fortwfthrend  das  klare  Bewafstsein  ihrer  sittlichen 
Stellung  und  die  geschichtlich  begründete  Ueberzeu« 
gnog  festhält,  dafs  sie  ihre  grofsen  Resultate,  theik 
direkt,  theils  indirekt,  dem  religiösen,  auf  gewissen- 
hafte Achtung  des  kindlichen  Lebens  dringenden  Prhi- 
eipe  verdankt,  unter  dessen  Leitung  sie  sich  entwickelt 
hat  und  von  dessen  immer  tieferer  Aneignung  ihre  wei« 
teren  Fortsehritte  gegenwärtig  am  meisten  bedingt  sind« 
In  der  verliegenden  Schrift  ist  als  hauptsächlicb- 
ster  Gesichtspunkt  für  die  geschichtliehe  Darstellung, 
wie  S.  189  aaph  ausdrücklich  erklärt  wird,  die  phj- 
siolögische  Beobachtung  der  regelmäfsigen  Geburts- 
verrichtung hervorgehoben.  Hierdurch  ist  zunächst 
so  viel  gewonnen,  dafs  überhaupt  eine  wissenschaftli« 
che  Ansieht,  ein  leitender  Gedanke  für  die  Behandlung 
eines  MMeriales  aufgestellt  ist,  walches  bisher,  seiner 
eigentbümliehen  Natur  nach,,  am  wenigsten  daftir  eni- 
pftknglich  und  lediglich  einer  empirischen,  zusammen- 
hangslosen I>arstellung  anheimgefallen  zu  sein  schien; 
Dem  Hm.  Verf.  kommt  das  Verdienst  zu,  ftlr  die  Ge^ 
schichte  der  Geburtshülfe  jenen  Gesieht^unkt  aufge- 
funden zu  haben,  dessen  Bedeutung  jedoch  erst  bei 
Besprechung  der  neueren  Zeit  vollständig  sich  ei^e» 
ben  kann. 


799  cf-  SieioUj 

Weiterbin  aber  war  es  Sacbe  des  Ref.,  auf  ^ie 
Mangelhaftigkeit  dieses  pbysiologiscben  Principes  und 
die  notbwendige  Ergänzung  desselben  durch  das  rcli- 
giös- anthropologische  auftnerksain  zu  machen.    Aller- 
dings ist  dem  Urn*  Verf.  die  Bedeutung  des  letzteren 
nicht  überall  entgangen;   er   spricht  gelegentlich  (S. 
80)  von  dem   heilsamen  Einflüsse^  den  das  Christen- 
thum  geltend  gemacht,   und  ivie   die   antike   Ansicht 
vom  kindlichen  Leben   aus  leicht  begreiflichen    Grün- 
den im  christlichen  Zeitalter  sich  verändert  habe  (S* 
141).    Indessen  sind  dies  nur  sehr  beiläufige  Bemer- 
kungen, und  der  Hr.  Verf.  ist  nicht  dazu  gelangt,  den 
ganzen  Umfang  dieses  Einflusses  und  den  entivickelten 
Gang   dieser  Veränderungen   genügend   zu  verfolgen. 
So  zeigt  sich  sogleich  (S.  17)  an  der  Periodencintbci- 
long,  deren  er  sich  bedient,   das  Unzureichende  seines 
historischen   Standpunktes.     Diesem  gemäfB    läfst  er 
nl^mlich  die  mittlere  Geschichte  der  Geburtshülfe  nicht 
bis  zum  Anfange  des  16ten,  sondern  bis  zum  Ende  des 
17ten  Jahrb.  reichen»  wo  die  Zange  erfunden,  und  zu- 
erst in  den  Schriften  van  Devent^^e  eine  auf  Beob- 
achtung der  normalen  Entbindung  sich  stützende  wis- 
senschaftliche Bearbeitung   des  Faches  gegeben  wor- 
den ist.    Aber  eine^  so  weite  Ausdehnung  der  mittelal- 
terlichen   Periode    widerspricht    aller    sonstigen    Ge- 
schichtseintbeilung,  und  es   würde  als  ein  schlimmes 
Omen  für  die  Wissenschaftlichkeit  eines  Faches  gel- 
ten müssen,    wenn   dasselbe  so  sehr  aus  den  Fugen 
der.  Geschichte  herausgetreten  wäre,    dafs  es  in   der 
Reformationszeit,  wo  allen  übrigen  Zweigen  geistiger 
Tfaätigkcit   eine  wesentliche   Umgestaltung  widerfuhr, 
von  der  Bewegung  nicht  sollte  ergriffen  worden  sein. 
Wirklich  aber  ist  die  Geburtshülfe  von  dem   Geiste 
des  16ten  Jahrb.  sehr  mächtig  berührt  worden,  und  es 
bat  sich  damals  in  ihr  die  Umkehruog  des  bisherigen 
sittlichen    und   künstlerischen   Bewufstseins,    wie   wir 
oben  sahen,  au   einer  grofsartigen  und  neuen  Opera- 
tion, dem  Kai^ertdiuitte^    so   wie   fernerhin   an  der 
Wiederherstellung  einer   abbänden   gekommenen,    der 
Wendung  auf  die  Füfse^  docuinentirt.    Insbesondere 
bildet   der  Kaiserschnitt   an  Lebenden  die   natürliche 
Gränze  zwischen  alter  und  neuer  Zeit,  indem  er  einer- 
seits den  Gipfelpunkt  und  Schlufs  der  mechanisch  chi- 
rurgischen Geburtshülfe  der  Arabisten,   zugleich  aber 
auch  um  des  Gedankens  willen,  der  ihm  inwohnet,  den 


d^r  GebürteMfe.  800 

Anfang  einer  nenen  rationellen  Epoche  bezeichDet  l^er 
Kaiserschnitt  ist  vor  allen^  anderen  Verfabrungsartea 
am  weitesten  von  dem  Akte  der  Natur  entfernt,  er 
stützt  sich  am  wenigsten  anf  Beobachtung  mid  Nach- 
ahmung der  regelmäfsigen  Geburt;  er  ist. eine  durclw  ' 
aus  magistreUe  Methode,  womit  die  Kunst  ihre  Mei- 
sterschaft über  die  kranke  und  verbildete  Natur  aus- 
sprach, in  der  jugendlich  kräftigen  und  nbermüthigen 
Weise,  wie  es  charakteristisch  für  die  Heilkunde  io 
der  ersten  Hälfte  des  löten  Jahrb.  war.  Eben  des-  , 
halb  ist  aber  Hr.  v.  S.  seinem  historischen  GesicLts- 
punkte  ganz  cousequeut  geblieben,  wenn  er  jeue  Ope- 
ration keinen  wesentlichen  Abschnitt  in  der  Geschichte) 
ja  nicht  einmal  eine  Unterabtbeilung  bilden  lafst,  ?iel- 
mebr  zu  diesem  Behufe  das  Erscheinen  des  ersten  s^ 
druckten  Buchee  über  Uebammenkunst  im  J.  1531 
hervorhebt. 

Letzteres  führt  den  Hef.  auf  einen  Pnnkt,  den  er 
schliefslich  zu  berühren  sich  erlaubL  Indem  eine  kri- 
tiklose Abschrcibcrei  bisher  in  der  Geschichte  der  Ge- 
burtshülfe an  der  Tagesordnung  war,  so  mufste  es  dem 
Hrn.  Vf.  darauf  ankommen,  überall  und  bis  in's  klein- 
ste Detail  hi^rab  auf  die  ersten  Quellen  sowohl  für 
sich  selbst  zurückzugehen,  als  den  Leser  zu  verwei- 
sen. So  mag  es  geschehen  sein,  dafs  Hr.  v.  S.  sei- 
nem Werke,  mehr  als  vielleicht  seine  eigentliche  Ab- 
sicht gewesen  war,  einen  literarhistorischen  Charakter 
gegeben  hat.  Kef.  verkennt  die  Vortheile  nicht,  die 
eine  solche  Bearbeitung  darbietet;  indessen  erbellt 
leicbt,  wie  sehr  hierdurch  die  chronologische  Folge  und 
Entwickelung  der  Thatsachen  zerrissen  wird,  haupt- 
sächlich wenn  es  —  wie  bei  einem  grofsen  Theile  der 
älteren  Acrzte  —  der  Fall  ist,  dafs  nicht  deren  ur- 
sprüngliche Schriften,  sondern  nur  Auszüge  Anderer 
vorhanden  sind.  Am  auffälligsten  tritt  dieser  Uebel- 
stand  bei  den  Geburtshelfern  des  Isten  und  2ten  Jahrb. 
n.  C,  namentlich  bei  dem  höchst  bedeutenden  Metho- 
diker Phüumenoe  hervor,  welcher  erst  bei  Besprechung 
der  Schrift  des  A'^tiu$  im  6ten  Jahrhundert  vorge- 
führt wird. 

Ref.  hat  geglaubt,  seinen  Dank  für  die  vielfache 
Belehrung,  die  er  in  Hrn.  v.  S.'s  Werke  gefunden, 
nicht  besser  als  durch  offene  Darlegung  seiner  Ansicht 
ausdrücken  zu  können.  Er  hofft,  dafs  seine  Bemerkun- 
gen bei  dem  Hrn.  Verf.  Gehör  und  Anklang  finden  we^ 
den,  und  glaubte  um  so  weniger  damit  zurückhalten  m 
dürfen,  als  die  vorliegende  Schrift  durch  den  gefälli- 
gen Styl  und  die  üebcrsichtlicbkeit,  womit  die  Resul- 
tate umfassend  gelehrter  Forschungen  vorgetragen  we^ 
den,  bestimmt  zu  sein  scheint ,  auf  längere  Zeit  das 
Hauptwerk  über  gehurt shülfliche  Geschichte  zu  werden. 
Der  Unterzeichnete  hat  nur  den  Wunsch  hinzuzufügen, 
dafs  der  sehr  verdiente  Hr.  Verf.  recht  bald  die  Mofse 
zur  Vollendung  seines  die  Wissenschaft  bereicherndeB 
Werkes  finden  möge. 

Dr.  Uieronymus  Fränkel,  in  Sandersleben. 


M  101. 

Jahrbücher 

für 

wissenschaftliche 


Deceiuber  1839- 


K  r  i  t  i  k 


LIIL 
O.  IPI  F.  HegeV s  TVerhe^  neunter  Band;  Vor- 
legungen  über  die  Philosophie  der  Geschichte^ 
herausgegeben  von   D.  Eduard  Gans.    Ber- 
lin, 1837.  XXII  u.  446  iS. 

Die  Hegel'sche«  Philosophie  der  Gesehicbte,    ob- 
wohl in  ihrer  vorliegenden  Gestalt  die  jüngste  der  von 
dem   Meister  besonders  bearbeiteten  Witsensobaften, 
ist   doch  bereits   die  populärste   und   wirksamste  von 
uüetk  geworden,  so  dafs  eine  blofse  Relation  von  dein 
Inhalte   dieses   Buchs   eine  überflüssige    Sache    wäre. 
Mit  Begeistemng  ist   sie  von  der  frischen  Jugend  er- 
fpriffen  worden,  aber  anch  reifere,  in  der  Mitte  und  auf 
der    Höhe   der  Lebensbewegnngen    stehende    Männer 
haben  (iir  ihre  gebildete  Erfahrung   das  absolute  Yer- 
stindnifs  des  Gedankens  in  ihr  gefunden,   sie  ist  sel- 
ber bereits  zur  geschichtlichen  Macht  geworden«     Es 
leitet  sich  dieses  nicht  sow,obI  von  der  minder  stren- 
gen Form  her,  welche  diese  Vorlesungen  haben,  oder 
TOD  dem   allgemeinen  Bekanntsein   des  StoflV^s,  des- 
sen Wahrheit   sie  ezpliciren,   als  vielmehr  mit  diesem 
Bekanntsein  von  der  concrcfen  Geistigkeit  des  Gegen- 
standes und  der  unmittelbaren  practischen  Betheiligung 
der  Gegenwart  an  demselben.    Wie  nämlich  die  Rechts- 
philosophie vornehmlich  dazu  gedient  bat,  die  jetzige 
politische   Wirklichkeit  als  die  vernünftige  zu   erwei- 
sen^ so  ist  die  Philosophie  der  Geschichte  recht  eigent- 
lich zu  der  „Eule  der  Minerva''  geworden,  deren  Flug 
Terkündigt,  dafs  über  die  früheren  Weltgestaltea  nicht 
bloa  die  Dämmerung,  sondern  „die  Nacht,  da  sie  ver- 
ratfaen  sind,''  hereingebrochen  ist.    Ja,  die  intelligente 
Jetztwelt  verdankt  es  diesen  Vorlesungen,  und  wird 
es  ihrem  Geiste  immer  mehr  verdanken,  dafs  sie  über 
ihre  Stellung  zu  der  Vergangenheit  in  die  rechte  Klar- 
heit gesetzt  ist,  und  eben  weil  solche  vollkommen  ab- 
gelegte Rechenschaft   zugleich  zum  frischen  Ergreifen 
Jahrb.  /.  tpitiemch.  Kriiik.  J.  1839.'  II.  Bd. 


der  Zukunft  berechtigt,   haben  diese  Vorlesungen  bei 
allen  Lebendigen  so  offenen  Eingang  gefunden. 

Aliein   wenn  so  die  Hegel'sche  Philosophie,   nnÜ 
zwar   in  'ihrem  allgemeinen  Character   und  nicht  Mos 
wegen  ihrer  Leistungen   in   diesem  Buche   geschichtli- 
che Philosophie  heifsen  darf,   weichen  Namen  ihr  der 
philosophische  Antigonus  Dosen   unserer  Tage    nicht 
mehr  streitig  machen  wird,  so  entsteht  nun  allerdings 
die  Frage  nach  dem  Ort,  welchen  dio  Philosophie  der 
Geschichte  in  dem  ganzen   Systeme  einzunehmen  hat, 
eine  Frage,  welche  Ref.  hier  mit  Ausschlnfs  des  Uebri- 
^en,  was  über  die  Form,   die  Vollatäudigkeit,  die  Re- 
daction   dieser    Vorlesungen  u.   s.  w.    gesagt    werden 
könnte,    defswegen    namentlich    zu   beleuchten  unter- 
nimmt, weil  über  ihre  Beantwortung  noch  nicht  völlige 
Sicherheit  zu  herrschen  scheint.     Hr.  Professor  Micbe- 
let  nämlich   hat  in  seiner  „Einleitung  zu  Hegel's  phi- 
losophischen Abhandlungen"  S..iXVL  die  Ansicht  geäu- 
fsert,    da   die  Philosophie    der  Geschichte   nicht    blos 
Darstellung  des  Rechts  und  Staats  in  universalhistori- 
scher Beziehung  sei,  sondern  die  geschichtliche  Ent- 
wicklung der   besondern   Volksgeister  abhandle,    und 
zwar,  wie  skch  deren  Principe  in  der  ganzen  Breite  der 
Wirklichkeit  als  Recht,  Sitten,  Staat,  Kunst,  Religion 
und  Wissenschaft   auseinanderlegen  und  im  Verhält- 
nisse zu  einander  stehen,  so   sei  die  Philosophie  der 
Geschichte  die  Resumtion  jles  ganzen  Systems  in  sich 
und  somit  das  letzte  Glied  des  philosophischen  Orga* 
nismus.     Für  diese  Ansicht  kann  unstreitig  Inhalt  und 
Gestalt  der  vorliegenden  Vorlesungen  durchaus  ange- 
führt werden,  indem  Hegel  überall,   wo  er  vollständig 
zu  Werke  geht,  wie  namentlich  in  den  ersten  Tbeilen 
des  Werks,  die  Völker  in  allen  Beziehungen  ihres  na- 
türlichen und  geistigen  Daseins  auffafst;  und  wenn  ein- 
mal von  Philosophie  der  Universalgeschichte  die  Rede 
sein  soll,   so  müssen  freilich   alle  besondere  Totalitär 
ten  der  Wirklichkeit  in  der  Entwicklung  der  Idee  be- 

101 


803 


m 

Heget^  Phüoiopkie  der  GescAicAte^ 


m 


reita  herTorgetreten  und  bekannt  gemacht  sein;    Allein 
durch  die  Annahme   dieses  Micbelet'schen  Vorschlags 
i¥ürde  die  Stellung,  welche  Hegel  selber  der  Philoso- 
phie der  Geschichte  hinter  der  Lehre  vom  Staate  an- 
gewiesen hat,  wesentlich  alterirt,  und  defswegen  hat 
Hr.  Prof.  Rosenkranx  in  den  Halle'schen  Jahrbüchern 
1838  S.  152  ff.  für  jene  ursprüngliche  Stellung  Partei 
genommen,   im  Ganzen  aber  über  die  Sache,   wenig- 
stens für  den  Ref.,  sich  nicht   völlig  deutlich  und  be- 
friedigend erklärt.    Denn  wenn  aurserdem,  dafs  Hegel 
selber  in  der  Einleitung  vorzugsweise  mit  dem  Begriffe 
des  Staats  als  mit  derjenigen  Form  des  Geistes,  wel- 
che für  die  Erfassung  seiner  Geschichte  ^ie  höchste 
Präcision  habe,   sich  beschäftige,  vornehmlich  darauf 
sich  berufen  «wird,  dafs,  der  Begriff  der  Geschichte- zuin 
ersten  Male  aus  dem  Begriffe  des  Staates  hervortrete, 
und  die  besondern  Momente  im  Begriffe  des  absoluten 
Geistes  zugleich  wesentlich   eine  geschichtliche  Seite 
haben:  so  wird  daraus  wohl  die  Folge  gezogen  wer- 
den sollen,  dafs  also  auch  die  Geschichte  dieser  Mo- 
mente schon  in  der  Geschichte  des  Staates  äbxuhau- 
dclp^  sei,  wiewohl  Hr.  Rosenkranz  auch  sogleich  wieder 
von  der  e^-igen  Gegenwart  redet,   welche  selbst  dein 
Geschichtlichen  dieser  Sphären  zukomme.    Allein  eine 
Wissenschaft  liehe  Nothwendigkeit  zu  solchem  Anticipi- 
ren  der  Geschichte   des  absoluten  Geistes  in  der  Re- 
gion des  endlichen  ergibt  sich  hieraus  noch  keineswegs, 
und   wenn  Hegel  selber  (Encjkl.  §.  380.  2te  Ausg.) 
gewissermafsen  über  die  Schwierigkeit  klagt,  bei  den 
niedrigeren  Stufen  des  Geistes  schon  an  seine  höheren 
und  tieferen  Gestaltungen  erinnern  zu  müssen:  so  ist 
dieser  Schwierigkeit  eben  nicht  zuviel  nachzugeben,  in-  , 
dem  jedes  Vorwegnehmen  zugleich  ein  Verkürzen  und 
Verdunkeln  ist;  und  es  bleibt  nach  der  obigen  Miche- 
let'schen  Behauptung  dabei,  dafs  jede  besondere  Mani- 
festation des  Geistes  zuvor  in  ihrer  cigenthümlichen, 
ewigen  und  geschichtlichen  Sphäre  behandelt  sein  mufs, 
ehe  von  ihr  in  der  Philosophie  der  Universalgeschichte 
die  Rede  sein  kann.    In  der  Tbat  aber  kann  Ref.  auch 
der  Michelet'scben  Ordnung  der  Philosophie  der  Ge* 
schichte  nicht  zustimmen:  denn  was  sollte  eine  solche 
„Resumtion  des  ganzen  Systems,"  das,  in  allen   sei- 
nen Theilen  bereits  bewiesen,  keinen  noch  schlagende- 
ren Beweis   seiner  Wahrheit  nöthig  und  für  eine  blos 
formelle  VoUenduog  bereits  in  seiner  encyklopädischcn 
Darstellung  Alles   geleistet  hätte!    wo  sollte  für  die 


Philosophie  der  Girachichte  noch  ein  besonderes  Mate- 
rial hergeholt  werden,  nachdem  Alles  schon  früher 
seine  specielle  Erledigung  gefunden!  und  wie  schwer 
würde,  iVenn  ilas  System  mit  der  ganfcen  Masse  der 
Geschichte  «u  seinem  Schlüsse  käme,  seine  Rückeis* 
mündung  ip  seinen  Anfang  werden,  welche  jetzt  dnrdi 
die  vollständige  Entwicklung  der  Geschichte  der  Phi- 
losophie, woraus  eben  die  Nothwendigkeit  der  gegen- 
wärtigen Gestaltung  derselben  sich  ergibt,  und  wie  vir 
unten  sehen  werden,  durch  das  ezplicirte  historische 
Bewufstsein  über  jene  Entwicklung  auf  die  reinste^ 
adäquateste  Weise  sich  vollzieht  1 

Die  ganze  Schwierigkeit  rührt,  wie  Ref.  zu  sebeq 
sich  getraut,  daher,  dafs  bei  Hegel  selber  der  IniaÜ 
unserer   Wissenschaften   nicht    am   gehörigen   Platze 
steht,   sondern  an  einen  andern  hingehört,  zu  welcher 
Correction  übrigens  Hegel  selber  alle  Anleitung  gibt. 
Wie   nämlich  jede  geistige  Sphüre  ihre  nothwendigc, 
geschichtliche  Entwicklung  hat,  in  welcher  ihr  Begriif 
nnclx  und  nach  seine  Momente  xur  Existenz  bringt,  so 
hat  auch  der  Begriff  des  Staates  eine  solche  Bewe- 
gung gehabt,  deren  Exposition '  aber  nicht  hinter  die 
Darstellung  des  modchien  Staates,  d.  b.  nicht  an  des 
Schlufs  der  Rechtsphilosophie  gehört,  sondern  ab  Phä- 
nomenologie des  Staates  auf  dieselbe  immanent  dia« 
lectische  Weise  in  die  Staafslehre  selbst  verarbeitet 
werden  mufs,  wie  z.  B.  in  der  Religionsphilosophie  die 
besonderen   Religionsformen    als  Manifestationen  deir 
religiösen  Idee   erscheinen.  •  Insbesondere   würden  die 
abstracten,  aber  höchst  vortrefflichen  Sätze  der  Rechts- 
philosophie über  die  Stiftung,  BInthe  und  Untergasg 
der  Staaten,    sowie  das,    was  die  populäre  Einleitnog 
zu  unsern  Vorlesungen   hiezu  Erläuterndes  und  sonst 
Eigentbümliches  darbietet,  mit  Ausnahme  der  Cbdrak- 
teristik  der   Geschichtschreibung,  in  die   Entwicklung 
des  allgemeinen  oder  abstracten  Begriffs  des  Staates 
zu  stehen  kommen ,    der  wisseusciiaftliche  Abrifs  des 
modernen  Staates  aber  als  des  Resultates  der  geschieht^ 
liehen  Bewegung  seines  Begriffs  bildete  erst  den  drit- 
ten  Theil  der  gesammten   Staf^tslebre.     Hiefoei    mag 
noch  die  gelegentliche  Bemerkung  Statt  finden,  dafs 
selbst  dieser  dritte  Theil,  da   er  doch  wiederum  osr 
den    allgemeinen  Gedanken    des  jetzigen  Staats  eot^ 
wickelt,  der  in  keinem  der  wirklichen  Staatsindividoea 
vollkommen  realisirt  ist,  um  nicht  anch  noch  den  Vo^ 
Wurf  der  Abstraction  zu  erfahren,  sich  mit  einer  Da^ 


Hegely  PAil940pkie  dm^  GeMchiehte. 


806 


•Mlaog  dieser  letsteren  ia  ihrer  oonereten 
iichkeit,  gleichsam  einer  philosophischen  Statistik,  sn 
ergftnsen  bat,  woxn  bereits  überall  die  geistrollsten 
Materialien  Torhanden  sind.  Hiedurch  würde  aber  aller- 
dioga  der  bisherigen  Philosophie  d^r  Geschichte  der 


Staate  haben,  betrachtet  werden  müssen^:  so  kann 
Ref.,  obwohl  es  sich  also  auch  dann  unr  um  die,  und 
zwar  einseitige  Erscheinung  des  absoluten  Geistes  im 
Gebiete  d^es  objectiren  handelte,  diesen  Vorbehalt  nicht 
fär  methodisch  halten,  indem  wiederum   von   der  Er- 


f^fste  Theil  ihres  Inhalts  entzogen  und  an  einem  an-     scheiouug  einer  Sache,  ehe  sie  in  ihrem  Begriffe  er* 


dem  Orte  verwendet,  während  auch  das  noch  Uebrige 
IB  die  Geschichte  der  andern  geistigen  Sphären  je 
Bach  seiner  Zugehörigkeit  zu  vertheilen  käme,  so  dafa 
die  Philosophie  der  Universalgeschichte  so,  wie  sie 
jetzt  vorliegt,  als  besonderes  Glied  des  wissenschäft- 
lidien  Organismus  aufzuhdren  und  nur  je  die  philoso* 
pbiacbe  Geschichte  einer  bestimmten  geistigen  Tota- 
lität einen  Anspruch  auf  eine  Stelle  im  Sj'steme  hätte. 

Aber  man  besinne  sich  nur,  wie  man  bei  der  bis«, 
herigeo  Stellung,  wenn  mali  nämlich  die  Philosophie 
der  Geschichte  in  extenso  oder  nur  in  dem  Umfange, 
wie  ihn  die  Rechtsphilosophie  darbietet,  vor  sich  hätte, 
ans  der  alle  Momente  des  geistigen  Lebens,  Religion, 
Ksnst  nnd  Wissenschaft  umfassenden  Darstellung  der 
niodemen  Welt  erst  den  dialektischen  Uebergang  in 
dUe  einfachen  Anfänge  der  absoluten  Sphäre  machen 
wollte,  oder  wer  möchte  in  ausgeführter  Encjklopädie 
Bodb  Aesthetik  und  Religionsphilosophie  lesen,  wenn 
er  deren  Bestes  bereits  in  der  Philosophie  der  Ge» 
schichte  vorweggenommen  hätte  f  Auch  rückwärts 
ergicbt  sich  dieselbe  Unbequemlichkeit :  denn  wenn  doch 
die  Philosophie  der  Geschichte  mit  dem  Wissenschaft- 
licheB  Abrifs  der  jetzigen  Welt,  insbesondere  des  ge> 
geawärtigen  Staates  endigt,  so  ist  ja  dieser  Abrifs  in 
der  Rechtsphilosophie  schon  gegeben  worden  und  er- 
fahre in  der  Geschichte  nur  eine  unmethodische  Wie- 
derholung. Die  Behauptung  aber,  es  werde  ein  Staat 
nur  aus  der  vollständigen  Darlegung  aller,  auch  der 
absoluten  Momente  seiner  Wirklichkeit  wahrhaft  be- 
griffen, weswegen  in  der  Geschichte  des  Staats  auch 
diese  Momente  schon  vorkommen  müssen,  wäre  nur 
dann  consequent,  wenn  auch  in  der  Politik  dieselben 
schon  hätten  abgehandelt  werden  können  $  charakteri- 
atischer  Wsise  aber  hat  Hegel  selbst  dort  f.  270.  von 
ihnen  und  der  Anwendung  des  Rechts  des  Staates  auf 
sie  nur  „beiläufig"  sprechen  zu  können  erklärt,  und 
wenn  er  es  einer  vollständig  concreten  Abhandlung 
Tom  Staate  vorbehält,  daps  in  ihr  ,Jeoe  Sphären,  so 
wie  die  Kunst,  die  natürlichen  Verhältnisse  u. .  s.  w. 
gleichfalls  in  der  Beziehung  und  Stellung,  die  sie  im 


kannt  ist,  nur  unbefriedigend  geredet  werden  kann, 
der  Begriff  der  Kunst,  der  Religion  u.  s.  w.  aber  voq 
selbst  auf  ihre  Erscheinung  im  Staate  führt,  daher  dann 
das  äufsere  Kirchenrecht  u.  s.  w»,  nicht  das  Staats- 
recht der  Ort  für  jene  Besprechung  ist.  Es  mnfs 
durchaus  möglich  sein,  die  Geschichte  des  Staats  auch 
ohne  Herbeiziehung  jener  höheren  Sphären  des  Völ- 
kerbewufstseins  in  der  reiuen  dialektischen  Aufeioaur 
derfolge  der  politischen  Principion  darzustellen:  denn 
jedes  concreto  Stoatsprincip  erzeugt  siph  als  sich  selbst 
immanente  Entelechio  nnd  nicht  Mos  als  Aocidens  afi 
der  künstlerischen  oder  religiösen  Substanz,  und  eben 
so  gebt  es  auch  durch  seineu  eigenen  Widerspruch  zu 
Grunde  und  aber  ihm  die  Form  des  politischen  Be- 
wurstseins,  die  es  nicht  zu  ertragen  vermochte,  in  aller 
Frische  der  Natürlichkeit  hervor.  So  ist  die  griechi- 
sche Demokratie  nichts  Anderes,  als  der  allgemein 
realisirte  Gedanke  der  nach  der  Anschauung  des  Ori« 
ents  nur  im  Despoten  vorhandenen  unmittelbaren  Be- 
rechtigung des  Individuums  zur  Staatsmacht,  ohne 
dafs  zur  Erklärung  dieser  Erscheinung  schon  auf  die 
griechische  Religion  rekurrirt  werden  müfste,  die  ab- 
stracto römische  Persönlichkeit  ist  die  Energie  des' 
Grundes,  in  den  die  griechische  Sittlichkeit  durch  dea 
Widerspruch  ihrer  unmittelbaren  Bestimmtheiten  zur 
ruckgegangen  ist,  die  germanische  Treue  wiederum 
die  Entäufserung  dieser  abstracteu  Persönlichkeit  an 
die  in  dem  Ueerfiirsten  objective  Stautseinheit  und 
eben  der  Lehensataat  ein  so  reines  Product  dieses 
Princips,  dafs  die  altgermaniscbe  Religion  hiergegen 
nur  wie  ein  kaum  gestalteter  Nebel  des  Bewufstseins 
zurücktritt,'  das  Christcnthum  aber  den  Lehensstaat 
beinahe  vollendet  antrifft.  Zuletzt  ist  auch  der  jetzige 
constitutionelle  Staat  durch  das  Auseinandertreten  und 
die  höhere  negative  Wiedervereinigung  der  in  dem' 
Lehenwesen  nur  erst  auf  natürliche  Weise  verbundjo- 
nen  Momente  der  Allgemeiuheit  und  Besonderheit  oder 
der  Einheit  und  Freiheit  gebildet  worden,  dafs  auch 
hier  die.  Religion  nicht  unmittelbar  betheiligt  ist.  WUl 
man  all  dieser  Bemerkungen  ungeachtet  auf  einer  Ge- 


607 


Begely  Philosophie  der  Oe*chiehte. 


806 


sebichtsphilosophie  in  dem  Dmfange,  me  sie  vorliegt, 
besteheD,  so  mag  dies  bei  dem  Umstände,  dafs  Uui- 
Tersalhistorie  als  solche  fortiväbfend  eine  akademische 
Disciplin  bilden  wird,  unbedenklich  eingeräumt,  nur 
iiird  dagegen  das  Zugeständnifs  erwartet  werden  dür- 
fen, dars  mab  damit  nicht  eine  besondere  philosophi- 
sche Wissenschaft,  sondern  eben  nur.  eine  geordnete 
Sammlung  des  Geschichtlichen  aus  den  andern  zu  ge- 
ben meine. 

Demungeachtet  ist  die  tiefsinnige  Conception,  in 
welcher  Hegel  die  Philosophie  der  Geschichte  au  das 
Ende  der  Lehre  Tom  Staate  gestellt  hat,  nicht  ohne 
Weiteres  zu  verlassen,  sondern  kann  in  anderer  Wen- 
dung zu  fruchtbaren  Resultaten  führen.  Hegel  erreicht 
nämlich  durch  jene  Stellung  eine  neue  Gestalt  deft 
Begriffs,  indem  durch  die  Dialektik  der  besonderen 
Völkergeister,  welche  die  Begebenheiten,  der  Weltge- 
schichte als  des  Weltgerichts  darstellen,  „der  Geist 
sich  zum  Bewufstsein  und  damit  zur  Offenbarung  sei- 
nes au  und  für  sich  seienden  W^esens  bringe  und  sich 
damit  zum  allgemeinen,  zum  Weltgeist''  werde.  Das- 
selbe Resultat  erlangen  indessen  auch  wir,  wenn  wir 
dem  gemachten  Vorschlage  gemäfs  die  Politik  nach 
der  oben  sogenannten  philosophischen  Statistik  mit 
dem  äufsern  Staatsrecht  sich  schliefsen  lassen:  denn 
schon  die  unmittelbare  Beschränkung,  welche  die  veiv 
Bchiedenen  Nationen  von  einander  erfahren,  die  Diffe- 
renzen in  Sitten,  Gesetzen  u.  s.  w.,  welche  sich  da 
aufthun,  erwecken  in  jedem  Volke  das  Bewufstsein 
'seiner  Besonderheit  und  seiner  Bedeutung  als  blofses 
Moment  in  dem  allgemeinen  Geiste,  wozu  dann  noch 
die  geschichtliche  Erfahrung  kommt,  welche  jedes  Volk 
von  seiner  Veränderlichkeit  gemacht  hat.  Es  kommt 
aber  hier  im  Zusammenhange  mit  dem  Vorigen  die 
unleugbare  Amphibolie  in  Betracht,  welche  bei  Hegel 
in  den  betreffenden  §§  der  Encjklopädie  und  der 
Rechtsphilosophie  im  Gebrauche  der  beiden  Ausdrücke: 
„Weltgeist"  und  „absoluter  Geist"  herrscht,'  indem 
beide  so  wenig  genau  von  einander  unterschieden  wer- 
den, dafs  vielmehr  ihre  Identität  deutlich  behauptet 
^wird.  Demi  nicht  nur  wird  häufig  von  dem  „höchsten 
und  '  absoluten  Rechte"  gesprochen,   welches   der  all- 


gemeine oder  Weltgeist  über  die  besonderen  Vdlker- 
individucn  übe,  sondern  er  heifst  auch  ausdrücklich 
R.  Ph.  §.  352.  „die  absolute  Allgemeinheit^,'  und  seine 
Thätigkeit  soll  sein,  „sich  absolut  zu  wissen",  woraus 
unmittelbar  folgte,  dafs  die  Staaten  als  solche  die^  ba- 
sonderen  Concrete  des  absoluten  Geistes  wären,  und 
die  vorhin  getadelte  Vermischung  der  Geschichte  des 
absoluten  Geistes  mit  der  des  sittlichen  und  politischen 
sich  erklärt.  So  ist  denn  für  Hegel  der  Ort  und  die 
Gestalt,  in  welcher  der  Weltgeist  sich  zum  Bewufst- 
sein kommt,  nur  die  Sphäre  des  absoluten  Geistes,  die 
Religion,  öder  wenn  wir  auch  von  der  gedachten  Iden- 
tification  abstrahiren,  so  ist  es  nach  seiner  DarstelLang 
doch  nur  der  Philosoph,  in  welchem  der  Weltgeist 
das  Wissen  von  sich  als  dem  allgemeinen  Geiste  er- 
reicht. Um  diese  Bemerkung  nicht  ungegründet  .so 
finden,  sehe  man  nur  zu,  wie  Uegel  sowohl  in  der 
Rechtsphilosophie  als  in  der  Encyklopädie  (auf  unsere 
Vorlesungen  werden  wir  sogleich  kommen)  bei  der 
weiteren  Ausführung  durchaus  nur  auf  den  Stoff  der 
Weltgeschichte  Rücksicht  nimmt,  d«  h.  nur  das  Aa- 
sich  der  Suche  oder  das,  was  für  uns  geschieht,  daraa 
explicirt.  Allein  hier  ist  das  Verfahren  unvollständig; 
der  Weltgeist  kommt  als  solcher  in  dem  eigentlichsteo 
Sinne  des  Worts,  als  ä^xcov  toZ  xoa^i;  roitov^  sich 
solber  zum  Bewufstseiq,  und  nur  so,  dafs  er  sick  io 
seiner  Allgemeinheit  durch  das  Mittel  der  Besonderheit 
zur  Einzeluheit  wird,  ist  er  ih  seinem  Begriffe  voUea- 
det.  Was  nämlich  die  Völker  als  sittliche  und  politi- 
sche Gemeinwesen  gegen  das  Gefühl  der  Endlichkeit, 
sofern  sich  ihnen  dieses  an  sich  aus  der  Erinnerung 
aufdringt,  die  sie  selbst  von  ihren)  zeitlichen  Gewor- 
densein besitzen,  zunächst  aufbieten,  das  ist  nicht  die 
Religion,  sondern  ihr  gegenwärtiges  JLebensgeföhli 
die  Appellation  an  ihre  fortuna  publica,  worin  si^  Ton 
der  ewigen  Dauer  Roms,  Alt- Englands  u.  s.  w.  weis- 
sagen. Dieses  Nationalgefühl  wird  sofort  im  gegen- 
wärtigen Gegensatze  zu  den  andern  Nationen  factisch 
zum  Krieg,  der  ihnen  aber  niemals  eine  wirkliche  Uni- 
versalität verschafft,  ideell  zum  NationaUtolxy  der 
seinen  besonderen  Genius  als  allgemeinen  sich  einbildet 


(Die  Fortsetzung  folget.) 


*  • 


Jlf  102. 

J  a  h  r  b  fi  c  h  e  r 


für 


wissenschaftliche    Kritik. 


December  1839* 


G.fV.F.  HegePsJVerhe,  neunter  Band;  Vor- 
lemngen  über  die  Philosophie  der  Geschichte^ 
herausgegeben  von  D.  Eduard  Gans. 

"  (Fortsetzong.) 
Dieser  Natiooalstplz   ist  nicht  dasselbe,  was  der 
Patriotismus,   welcher   das   unbefangen^,   unmittelbar 
in  sich  befriedigte  Selbst bewufstsein  des  Volksgeistes 
und  Yorherrschend  practischer  Natur  ist,  während  je- 
ner eben  durch  die  Vergleichong  mit   dem  Auslande 
betlingt  und  theoretisch  ist.    Ja  auch  dieser  National- 
stolx  gicbt  in  dem  gebildeten  Völkerverkjehre  sich  noch 
auf  und  wird  zum  KoMmopoliti^muSy   der  den  Titel: 
Mensch  für  den  höchsten  ansieht,    wie  dier«  in  Rom 
zur  Zeit  seiner,  den  eigenthümlichen  römischen  Volksi 
geist   mehr    und    mehr  Terwischenden  Weltherrschaft 
geschah  und  noch  heut  zu  Tage  in  Deutschland  Mode 
18t,  ohne  dafs  damit   die  Sphäre  des  endlichen  oder 
TVeltgeistes  überschritten  wäre :  denn  das  homo  sum 
etc.    fofst  eben  nur  die  menschlichen   Besonderheiten 
io  eine  abstracto  Allgemeinheit  zusammen,  und    ver- 
langt eben  so  für  das  Particnlare^  der  unmittelbaren 
SulijectiTitikt  die  allgemeine  Anerkennung.  Bier  kommt 
das  eigentliche  Wesen  des  Weltgeistes  vollends  zum 
Vorschein,  und  zwar  entsprechend  der  religiösen  Vor- 
stellung,   welche  ihm  die  Bedeutung  zuschreibt,  dafs 
er  zwar  die  Reiche  dieser  Welt  ihrer  vergänglichen 
Bestimmung  gemäfs  einzurichten,    dagegen«  über  das 
Bewurstseio  der  Endlichkeit  aller  seiner  Produkte  den 
Menschen   nur  mit    leerer  Einbildung,    einem  blofsen 
Spiegelbilde  des  Unendlichen  zu  trösten  wisse:  denn 
was   nun   der  Volksjgeist    in  jener   Apotheose   seiner 
selber,   in  jenem  unmittelbaren  HinaufsQhrauben  seiner 
Besonderheit  zu    allgemeiner    Dignitat    als   National- 
stolz,  und  ohnehin  was  der  noch  abstractere  Kosmopo- 
litismus zu  erzeugen  weifs,   das   ist   keine  neue,   sub- 
stantielle Weltgestalt  mehr,   sondern  ein  blos  formel- 

Jahri.f.  wiisentch.  Kritik.   J.  1839.    II.  Bd. 


les  Schildern  und  Besprechen  des  Vorhandenen,  in 
Beziehung  auf  die  eigene  und  fremde  Vergangenheit 
aber  —  die  Geschichtsekreibung. 

Hegel  bat  dieser,   dem  historischen  Wissen  über- 
haupt,   keinen  Ort  im   Systeme  angewiesen,  sondern 
nur  iii  der  Einleitung  zu  unsern  Vorlesungen  mehr  re- 
fiectirend,  als  beweisend  von  den  verschiedenen  Arten 
der  Geschicbtschreibung  geredet^  und  auch  das,  was 
er  in  der  Aesthctik  Tbl.  3  S.  256  ff.  über  den  Unter- 
schied derselben  von  der  poetischen  Darstellung  sagt,  . 
ist  nur  gelegentlich  zur  Briäuterung  der  letzteren  bei- 
gebracht, obwohl  es,  wie  unsere  Einleitung,  die  wahr-  -, 
haftesten  Gesichtspuncte  zu  einer  Kritik  der  gesumm- 
ten Historiographie  darbietet.    Es  findet  aber  über  Be- 
griff und   Zweck    der  Geschicbtschreibung  überhaupt 
so  lange  kein  sicheres  Verständnifs  statte  als  die  rein 
formale,  ideelle  Natur  derselben  nicht  erkannt  wird. 
Um  ihren  Leistungen  und  dem  loteresse  an  ihnen  eine 
reale,  productive  Bedeutung  zu  vindiciren,  ist  bekannt- 
lich viel  von  dem  Nutzen  der  Geschichte  die  Rede  gewe- 
sen, worüber  Hegel  jedoch  die  nüchterne  Einsicht  aus- 
spricht, dafs  Völker  und  Regierungen  niemals  etwas 
aus  der  Geschichte  gelernt  und  nat^h  Lehren,  die  aus. 
derselben  zu  ziehen  gewesen,  gehandelt  haben.  ^)  Auch 
wenn  der  Satz  feiner  und  ansprechender  dahin  bestimmt 
wird,  die  richtige  Behandlung  der  Gegenwart  sei  durch 
die  Erkenntnifs  der  Vergangenheit  bedingt,   ist  er  nur 
halb  wahr:  denn  nur,  wie  die  jetzige  Zeit  geworden,    - 
ist  auf  diesem  Wege  zu  erheben,  ihre  Weiterbildung^ 
aber  bat  sie  aus  ihrer  eigenen  Intelligenz  und  sittlichen 
Fähigkeit  zu  schöpfen.   Eben  so  vergeblich  wird  durch 

Lob  und  Tadel  die  gewesene  Welt  noch  zu  verän- 

—^ — ' 

•)  Es  gilt  diefs  indessen  nar  von  der  unmittelbaren  Anwen- 
dung geschichtlich  erhobener  Sätze  in  derselben  Sphäre, 
ans^  der  sie  genommen  sind ;  von  einer  höheren,  idealeren 
Verwendung  der  geschichtlichen  Bilder  wird  noch  die  Rede 


sein. 


102 


811  Hei^l,  PkiUtnpk 

derp  und  in  den  Kampf  der  Ge^ifenirart  bereincnziehen 
yenacht:  denn  in  dem  Hades  Geschichte  y^hören  die 
Gottlosen  auf  mit  Toben,  daselbst  ruhen^  die  Tiefe 
Mühe  gehabt  haben,  da  haben  mit  einander  Frieden 
die  Gefangenen  und  hi^ren.  nicht  die  Stimme  des  Dr&n- 
gers,  da  sind  beide,  Grofs  und  Klein,  Knecht  und  der 
Ton  seiliem  Herrn  freigelassen  ist."  Nachdem  der 
Weltgeist  sich  selbst  in  seinen  Gestalten  aufgegeben, 
verlangt  er  Frieden  für  sein  Grab  und  als  einfaches 
Denkmal  die  verständige  Erinnerung.  Das  ist  der  un- 
sterbHcbe  Ruhm,  „die  formelle  Allgemeinheit  snbjec- 
tiver  Vorstellung,'*  welche  Hegel  den  einzigen  Lohn 
der  welthistorischen  Individuen  (und  Völker)  sein  läfst, 
oder  wie  er  es  sehr  schön  S.  4  unserer  Schrift  aus- 
drückt: „was  flüchtig  in  der  Erinnerung  aufbewahrt 
ist,  componirt  der  Schriftsteller  zu  einem  Ganzen, 
stellt  es  in  dem  Tempel  der  Mnemosyne  auf  und  giebt 
ihm  somit  unsterbliche  Dauer.**  So  sagt  der  Vater 
der  Geschichte  gfmz  einfach  in  dem  {Eingänge  seiner 
„Musen":  „Hier  giebt  Herodot,von  Hälikaraafs  eine* 
Denkschrift  seiner  gesammelten  Kunde,  damit  nicht 
die  Handlungen  der  Menschen  durch  die  Zeit  verloren 
gingen,  noch  grofse  und  wunderbare  Werke,  wie  sie 
Hellenen  sowohl  als  Barbaren  ausgeführt,  des  Ruhms 
verlustig  würden,'*  und  Thucjdides  will  sein  Werk 
„mebl*  zum  Besitzthum  fiir  alle  Zeiten,  als  zum  Rede- 
prunkstück für  den  Augenblick"  zusammengestellt  ha- 
ben. Hegel  rechnet  beide  zu  den  von  ihm  mit  beson- 
derer Vorliebe  angesehenen,  sog.  „ursprünglichen  Ge- 
scbicbtschreibem,  deren  Geist  mit  dem  der  Handlun- 
gen, von  welchen  sie  erzählen,  einer  und  derselbe  ist," 
und  die  er  vornämlich  unter  den  hochgestellten  Staats- 
männern  und  Heerfahrern,  die  selbst  an  den  Begeben- 
heiten Theil  genommen,  oder  unter  solchen  sucht,  die 
viel  gesehen  haben.  Etliche  der  hiebei  genannten  Na- 
men, wie  eben  der  des  Tbucydides,  haben  indessen 
gemacht,  dafs  man  ihm  seine  grofsartige  Anschauung 
dieser  Art  von  Geschichtschreibung  und  namentlich 
den  Unterschied  derselben  von  der  sog.  refiectirten 
nicht  gelten  lassen  woUte:  denn,  konnte  man  mit 
scheinbarem  Verständnisse  sagen,  jede  historische 
Darstellung  ist  Resultat  eines  Processes,  in  welchem 
das  Factum  sich  in  die  Subjectivität  des  Erzählers 
reflectirt  und  von  dieser  eine  unvermeidliche  Alterna- 
tive  erfährt.  Allein  die  Einsicht  in  das  Factische  die- 
ses Verhältnisses  hat  Niemand  besser  besessen,  als 


ie  4er  Oesekiehte*  812 

;ebeB  Hegel  selbst,  dem  sie  sogar  die  ZwiscbeDrediie 
zum  Theil  verdanken  mögen,  wiewohl  es  inunerhrn 
räthlich  sein  mag,  der  daraus  sich  ergebenden  Unm£g« 

lichkeit  vollkommener  historischer  Wahrheit  eingedenk 
zu  bleiben.  „Ursprüngliche  Geschichte"  ist  also  be- 
reits die  erste  Erscheinung  der  Begebenheiten  io  dem 
gebildeten  Bewufstsein  des  dabei  betheiligten  Histori- 
kers und  die  Darstellung  derselben  aus  diesem  he^ 
aus,  oder  das,  was  man  sonst  historische  Quellen- 
schriften in  dem  gesunden  Sinne,  dafs  die  Quelle  wah- 
rer Historie  nicht  das  unmittelbar  Reale,  sondern  das- 
selbe bereits  in  ideeller  Gonception  ist,  aber  auch  mit 
dem  begründeten,  kritischen  Vorbehalte  nennt,  anch 
deren  Glaubwürdigkeit  noch  zu  untersuchen.  Will 
man  also  nach  dieser  Erklärung  nicht  um  Worte  strei- 
ten, so  wird  der  Hegeische  Unterschied  zwischen  lf^ 
sprünglicher  und  reflectirter  Geschichte  wohl  bleiben 
dürfen,  wornach  letztere  sofort  diejenige  ist,  „deren 
Darstellung  nicht  (sowohl)  in  Beziehung  auf  die  Zeit, 
sondern  (als)  rücksichtlich  des  Geistes  über  die  Gegen- 
wart hinaus  ist,''  mit  andern  Worten,  sie  ist  dasjenige 
Bild,'  welches  ein  Volk  von  dem  gegenwärtigen  Stand> 
puncto  seiner  sittlichen  Bildung  aus  theils  von  seiner 
Vorzelt,  theils  von  der  Geschiclite  anderer  Völker 
entwirft.  Hier  kommt  jene .  unglückselige  Rednefei 
herein,  jenes  politisch^moralische  Raisonnireu  und  Kao> 
nengiefsen,  welches,  nichtig  in  sich,  gleichwohl  die 
Möglichkeit  seiner  Bethätigung  in  der  Weichheit  und 
Idealität  des  Elementes  hat,  worin  es  sich  bewegt, 
und  den  Reiz  dazu  in  der  Sucht,  die  gegenwärtige 
Bildungsform  als  die  allgemeine  zu  prociamiren.  Fflr 
die  wissenschaftliche  Betrachtung  aber  haben  die  on- 
eudlich  vielen  Standpuncte,  welche  hier  sich  aufthao, 
um  ihrer  Zufälligkeit  willen  keinen  Werth,  sie  kann 
die  reflectirte  Historie  nur  in  den  Hauptstadien  ver- 
folgen, wo  ein  ganzes  Volk  ein  bestimmtes  Bewofst« 
sein  über  sich  und  die  andern  sich  gegeben  hat.  Auch 
Hegel  macht  nur  wenige  Arten  dieser  refiectirten  Ge- 
schichte namhaft,  welche  vornümlich  der  modernen 
deutschen  Historiographie  angehören,  die,  nachdem 
das  Mittelalter  in  seinen  Chroniken  nur  ursprüngliche 
Geschichte  geschrieben,  die  Reformation  aber  zunächst 
eine  Richtung  blos  auf  die  kirchliche  Vergangenheit 
hervorgerufen  hat,  erst  im  Gefolge  des  neuerwachten 
politischen  Lebens  mit  dem  Zeitalter  der  Aufklärung 
sich   erhob  9   und  so  vornehmlich   eine  moralisnreode^ 


813 

•der  wie  «ie  ndi  selber  gerne  nasiite,  eine  der  Hamaaität 
"dieneiide   wvrde«     Man   kann   diese  Form  wobi  noch 
von    der  „pragmatiecbeo**    Gescbichte  notemohoiden, 
vie  ein    dein  Ref.   su  Gebote    stebendee   M aanscript 
der  Heget'schen  Vorlesungen  tbot,  wäbrend  in  nnserm 
Bnobe   beide  als  Eine  Species    bebandelt  sind;  Jene 
ttftmliGh  .geht    von   practisoben   Voraussetzungen  ans 
und  bearbeitet  die  Gesebiebte  mebr  nur  als  Beispiel- 
sammlnng  für  tbre  Satze,  aus  deren  Voilmaoht  sie  ibr 
Urtbeil    mit  grofser  Bmpbase  abgibt,  diese  dagegen 
bat  Wenigstens  eine  Ahnung  von  den  Widerspröoben, 
in  welehe   sieb  jene  Terwiei^elt,   und  indem  sie  sieb 
delswegen  des  moraliscben  Urtbeils  mdgliobst  entb&lt, 
snoht  sie  tbeoretisohe   Interessen  su  befriedigen  und 
mit  empiriscber  Payoboiogie  die  Reibe  der  Vermittlun- 
-  gen,  die  zwischen  den  bistoriseben  Erscheinungen  Statt 
linden,  anfznseigen.    Indem  aber  dieser  Pragmatismus, 
notbwendig   der   schlechten    Unendltdikeit    verfallend, 
nnr   die  unwahren  Existenzen  des  Geistigen,  Leiden- 
schaften u.  s.  w.   zu  besprechen  wufste,   für  das  Sub« 
stansielle  der  Volksgeister  aber  kein  Organ  hatte,  so 
erweckte  er  durch  das  Geschwätz,  womit  er  jenen  Man- 
gel sa  ersetzen  suchte,  den  Entscblurs,  nur  erst  die 
reine  Thatsache  aus  dem  unnützen  Betwerke  wieder- 
herzustellen, und  rief  damit  die  „kritische**  Geschichte 
hervor.    Auf  diese  ist  bekanntlich  Hegel  nicht  gut  za 
sprechen  (den  Ausfall  auf  Niebuhr,  der  hier  wohl  vor- 
zakommen  pflegte,  hat  der  Herausgeber  weggelassen), 
sie  steht  aber  und  fällt  mii  ihrer  nicht  blos  Namens-, 
sondern  Geistesverwandten,  der  kritischen  Philosophie : 
denn  wie  diese  die  Erfahrung  überhaupt  nur  ein  W^erk 
der  in  ihren  apriorisclien  Anscbauungsformen  und  Ver- 
standesbegriffen   thätigen  Subjectivität  sein   läfst:   so 
ist  ffir  den  kritischen  Geschicbtschreiber  das  bistori- 
Bofae  Material  ursprünglich  blos   eine  rudis  iodigesta- 
qoe  moles,  die  erst  durch  sein  Sichten  und  Prüfen  zu 
Verstand  und  Ordnung  kommt.     Gleichwie  aber  Kant 
die  Kritik   der  theoretischen  Vernunft  nur  dazu  unter- 
Bommen  hat,  um  auf  ihren  Resultaten  das  wirkliche 
System    der  Philosophie  aufzuführen  und  ^le  er  für 
dieses  das  Gröfste  durch  seine  geniale  Entdeckung  ei- 
nes intuitiven  Verstandes  geleistet  hat,  so  besitzt  auch 
alle  Kritik  in  der  Geschichte  von  sich  das  Bewufst- 
sein,  nur  vorarbeitend  für  die  Darstellung  der  gesobicht- 
liohen  Welt  zu  sein,  und  gewifs  sind  unsere  gröfsten 
ELritiker,  wie  eben  Niebuhr,  am  wenigsten  von  einem 


£f#g#/,   PhihMptu  der  OtsckwAte. 


814 


Intuitiven  Verstände  verlassen  gewesen.  Dieser  nun 
bat  sich  in  unseren  Tagen  vornehmliob  als  gesunde» 
eindringende  Anschauung  der  verschiedenen  Völkerin- 
dividualitäten, als  acht  politischen  Sinn  erwiesen,  dar, 
wie  er  zu  seiner  Belebung  wesentlich  der  nninittelb'a- 
ren  Betheiligung  des  Autors  an  einem  frischen,  regen 
Volksleben  bedarf,  so  insbesondere  in  Preufoen  eine 
tuc&tige  Geschicbtschreibnng  wiederum  hervorgeru- 
fen hat. 

So  erbaut  sich  fiir  uns  die  Theorie  der  politiscbsn 
Geschichtscbreibuog  in  ihrem  allgemeinen  Begriffe  wo* 
sentlicb  ans  dem  §.  348.  der  Recbtsphilos.  oder  §«  551. 
der  Encjkl.,  die  Besonderuog  ihrer  Arten  aber  als 
ursprünglicher,  reflectirter  und  durch  Aufhebung  der 
Reflexion  zur  Ursprünglich keit  zurückgekehrter  Ge- 
schichte nehmen  wir  aus  der  Einleitung  zu  unseren 
Vorlesungen,  worauf  sodann  die  geschichtliche  Nach- 
weisung'zu  folgen  hätte,  wie  nun  in  jedem  Volke  tbeils 
seine  eigene  unmittelbare  Erintierung  von  sich,  tbeils 
seine  historische  Auffassung  anderer  V6lker  sich  ge- 
staltete, und  mit  der  bestimmten  Erörterung  der  Er- 
fahrung, welche  der  Weltgeist  in  diesem  Geschäfte 
über  sich  selber  macht,  geschlossen  würde.  Diese  Er^ 
fahrung  ist  nun  aber  eben  diese,  dafs  der  Weltgeist 
als  Volksgeist  aus  aller  Ehre,  die  er  sich  selber  in 
seiner  Geschichtscbreibuog  erweist,  nur  eine  formelle, 
subjective  Befriedigung,  in  Wahrheit  nur  das  Bild  sei- 
ner Vergänglichkeit  zurückerhält,  ein  Schmerz,  der  ihm 
durch  die  Besinnung  auf  seine  beschränkte  Gegenwart 
nnr  verstärkt  werden  kann.  .  Abstrahirt  er  aber  von 
seinen  Besonderheiten  in  den  verschiedenen  Völkeria? 
dividualitäten,  so  bleibt  er  sich  nur  als  sittliches  We- 
sen überhaupt,  als  Geist  der  Welt  zurück,  der  aber 
nirgends,  als  eben  in  jenen  Particularitäten  existirt. 
Es  ist  darum  nicht,  wie  Hegel  EncykL  §.  552.  sagt, 
„die  lebendige  Sittlichkeit  selbst,  in  deren  objectivem 
Wissen  die  Acurserlichkeiten  des  Weltgeist^s  und  die 
Gegensätze  der  E^ndlicbkeit,  die  er  enthält,  so  ucb 
abstreifen  und  aufheben,  dafs  diefs  Wissen  sich  in 
sieh  zum  Wissen  des  absoluten  Geistes,  als  der  ewig 
wirklichen  Wahrheit  erhebt,"  wobei  Hegel  noch  in  der 
Anmerkung  die  Negation,  durch  welche  diese  Erhebung 
geschehe,  auf  die  „in  der  sittlichen  Welt  wirklich  voll- 
brachte* Reinigung  des  Wissens  von  der  snbjectiven 
Meipung  und  Befreiung  des  Willens  von  der  Selbst- 
sucht der  Begierde*'  beschränkt.    Durch  diese  Nega- 


815 


JlegeJy  Philosophie   der   Oetchichte* 


tion  wird  die  sittliofae  Welt  erat  eneugt,  und  so  gewifs 
dieselbe  die  Voraassetzung  der  Religion  ist,  so  gewifs 
ist  es  eine  andere  höhere  Negation,   durch 'weiche  sie 
nm  ihrer  natürlichen   Bestimmtbcit  willen  als  justitia 
oivilis  tum  blos  endliehen  Momente  im  Selbstbewufst" 
sein  des   absoluten    Geistes    herabgesetzt   wird.    Und 
Ewar'ist  dieses  absolute  Selbstbewufstsein ,    das   aus 
der  Dialektik  des   sittlichen  Geistes    hervorgeht,   nr- 
spriinglicb   das  ganz  unbestimmte,  inhaltsleere,  „das 
schlechthinnige  Abhängigkeitsgenibl ,"  die  Völker  ha- 
ben als  sittliche  Geister  nur  ein  Bewufstsein  ihres  noth- 
wendigen  Gesetztseins,  oder  emes  zufälligen  Sichset 
bersetzens ;  oder  die  Historie  darf,  wie  Schelling  mit 
Recht  sagt,  „die  Identität  der  Freiheit  und  Nothwen- 
digkeit  nur  in  dem  Sinne  darstellen,  wie  sie  vom  Ge- 
siohtspuncto  der  Wirklichkeit  aus  erscheint,  nämlich 
nur  als  unbegriffene  und  ganz  objective  Identität  oder 
als  Schicksal.^    Es  ist  sogar  dieses  schon  eine  Lehre 
der  Philosophie,   welche  Schelling  dem  Historiker  er- 
theilt,  eine  Lehre,   die  in  seiner  weiteren  Erklärung, 
der  Geschichtscbreiber    solle   „das  Schicksal  nicht  im 
Munde  führen,   sondern  durch  die  Objectivität  seiner 
Darstellung  von  selbst  und  ohne  sein  Zuthun  ersobei- 
nen  lassen,"  vielmehr  zur  Analyse  des  Bewufstseins 
wird,  jvirelches  in  dem  Geschichtscbreiber  selbst  als  Re- 
sultat seiner  Arbeit  aufsteigt.    Nicht  minder  aber  wäre 
es   eine   philosophische  Anticipation,   wenn   behauptet 
werden  wollte,  das  unbegriffene  Wesen  des  Schicksals 
werde   dem  Historiker    eben   in    der  Anschauung   dei: 
geschichtlichen  Gestalten,    die  es  hervorgerofen ,    be- 
greiflich, sie  seien  für  ihn  die  immanenten  Bestimmun- 
gen,  die  wesentlichen  Momente  der  allmächtigen  Pe- 
promene   selber;    bis  zu   diesem  Gedanken  einer  sich 
nur  mit  sich  vermittelnden  Negativität  dringt  er  auf  sei- 
nem eigenen  We^e  nicht  vor,  sondern  Schicksulsmacht 
und  Völkerleben  sind  ihm  äufserlicbe  gegen  einander, 
Wie  die  tragische  AYehuiuth  grofser  Historiker  und  der 
Umstand    hinreichend    beweist,   dafs  die   Darstellung, 
bei  dem  Ende  der  GeschicLte  eines  Volkes  angekom- 
men, den  AuftWtt  eines  neuen  nur  als  gegeben  binneh- 
meri,  nicht  aber  als  durch  den  Begriff  nothwendig  er- 
weisen kann.     VTollte  mnn  aber  auch   diesen  Gedan- 
ken  einer  organischen  Zusammengehörigkeit  der  ver- 
schiedenen Völkerindividualitäten  in   dem  Bewufstsein 


816 

des  Historikers  als  soldien  zugeben,  so  käme  man 
nur  auf  das  Vorige  hinaus :  denn  der  Begriff,  die  leben« 
dige  Seele  dieses  Organismus  wäre  nur  wieder  der 
sittliche  Weltgeist  überhaupt,  dieser  aber  kommt  sich 
gegen  den  absoluten  Geist  unmittelbar  nur  als  negativ 
bestimmt,  oder  der  absolute  Geist  kommt  ihm.usmit- 
telbar  nur  als  Schicksal  zum  Bewufstsein. 

Allein,   wird  jetzt  behauptet,   wenn  nun  der  abso- 
lute Geist   in  seiner    eigenen  Sphäre    das   Reich  der 
Schönheit,  des  Glaubens  und  VV'issens  auferbaut  hat» 
so  greift  er  in  die  Sphäre  des   endlichen  Geistes  xa- 
rück,  und  bringt  desäen  Geschichte,  indem   er  sie  in 
sein  (absolutes)  Licht  stellt,  erst  zu  ihrer  Wahrheit: 
neben '  einer  Philosophie  der  Geschichte  ist  darum  io 
neuerer  Zeit  besonders  viel  von   einer  religi5«,eD  Be- 
trachtung die  Rede  gewesen.    Schelling  hat  eine  a8(h^ 
tische  Behandlung-  empfohlen:    denn,   sagt   er,  „die 
w^bre  Historie  beruht  auf  einer  Synthesis  des  Gege- 
benen mit  dem  Idealen,  aber  nicht  durch  Philosophie^ 
da  diese  vielmehr  die  Wirklichkeit  aufliebt  und  gani 
ideal  ist^    Historie  aber  ganz  in  jener  und  doch  n- 
gleich  ideal  sein  soll.    Dieses  ist  nirgends,  als  in  der 
Kubst  möglich,  —  und  die  ersten  Urbilder  des  histori- 
schen Stjls   sind   das  Epos  m    seiner  ursprünglicka 
Gestalt  und  die^  Tragödie  \  denn  wenn  die  universelle 
Geschichte    die  epische    Form    and  Fülle   lieht,  «ill 
die  besondere   dagegen  mehr   concentrisch  um  eisen 
Mittelpunct  gebildet  sein,    davon  zu  schweigen,  daft 
für  den  Historiker  die  Tragödie  die  wahre  Quelle  gre- 
fser  Ideen  und  der  erhabenen  Denkart  ist,  zu  weicher 
er  gebildet  sein  mufs.**    Aber  wenn  es  sich  um  grofis 
d.  i.  wahre  Gedanken  handelt,  so  sieht  man  nicht  ei% 
warum  solche  aus  der  Dichtkunst  und  nicitt  noch  bei* 
ser  aus   der  Philosophie   geholt  werden  sollen;  vM 
aber  jene  Syntbesis  des   Wirklichen  und  Idealen 
trifft,  welche  die  Historie  von  der  Kunst  lernen  si 
so    hat  Hegel   in    dem    obengenannten  Abschnitt  d 
Aesthetik  mit  triftigen  Gründen  auf  deq  Unterscbj< 
der  historiscben  von   der  poetischen  Darstellung  auf 
merksam  gemacht,  indem  er  jener  das  Recht  von  di 
mit  dem  Stoffe  völlig  frei  zu  schalten,  nicht  zugestek 
sondern  sie    an    die  gegebene  Wirklichkeit  in 
ganzen  prosaischen  Bestimmtheit  gebunden  wissen 
worüber  Ref.  auf  die  nähere  Ausführung  K  c.  verwei 


(Der  Besclilufs  folgt.) 


J  ahrbfich  er 

für 

wissenschaftliche 


Kritik* 


December  1839. 


BB 


SB 


G.  tV.  F.  HegeVn  Werke^  neunter  Band;  Vor- 
lesungen über  die  Philosophie  der  Oeschichte^ 
herausgegeben  ton  D.  Eduard  OanSi 

(Sehlafs.) 

HegeFg  Bemerkungen  treffen  aber  auob  die  sog« 
rdigidse  Barateliung  der  Staate-  oder  Weltgesobicbte 
(deno  Ton  diesem  Objecto  bandelt  es  sieb  gegenwärtig 
Bocb  dnrobaus  für  uns)  in  mebr  als  Einer  Hinsicht: 
demi  erstlich  so  lange  diese  Auffassung  sieb  nur  ^^als 
den  abstraoteiiy  unbestimmten  Glauben  seigt,  der  nur 
»1  dem  Allgemeinen,   dafs  es  eine  Vorsehung  gebe^ 
fortgeben  will,  aber  nicht  an  bestimmteren  Thaten  der- 
aeUmi'*  S.  17,  d.  b.  so  lange  sie  die  Weltgeschichte 
■nr  in  rein  affirmati?er  Weise  bebandelt,  ist  sie  Ton 
der  weltlichen  Historiographie,  oder  ist  ihm  Vorsehung 
TOD  dein  Weltgeiste  nur  dem  Namen  nach  Terschieden. 
Richtet  sich  aber  ein  religiös  gestimmtes  Sul^ect  mit 
dem  bestimmten,  ihm  zustehenden  Bewufstsoin  von  dem 
ionem  Widerspruche  des  Staatslebens^  also  negatiir  auf 
die  Geschichte  des  letzteren,  so  kann  es  dennoch  seine 
Darstellung  von  der  Einmischung  dieser  Erkenntnifs 
frei  erbalten  und  nach  der  obigen  Scbelling'schen  Lehre 
Qtk  Aosbbong  des  Schicksalsbegriffs)  verfahrend  jenen 
Widerspruch  sich    aus  sich  selbst    entwickeln  lassen 
d«  b.  es  leistet  factiscb   nichts  Anderes,  als  was  auch 
die  sittliche   Geschichtschreibung  in  ihrem  Geschäfte 
x«  Stande  bringt.    Verschmäht  es  aber  diese  Abstinenz 
und   sagt  es  heraus,  dafs  die  Staaten  ibr>  Schicksal 
ereilt,  weil  sie  nicht  die  wahre  religiöse  Gemeinschaft 
sind,  so  bat  es  damit  zwar  Recht,  aber  am  unrechten 
Orte,    indem    derlei  Sätze   ohne  Notb   der    religiösen 
£thik,  wohin  sie  gehören,  entlehnt  oder  entrissen  sind, 
und 'wenn  man   dieser  falschen  Stellung  durch  öftere 
^Wiederholung    derselben    Reflexionen    aufhelfen   will, 
nur  jenes  nützliche,   erbauliche,   in  Wahrheit  aber  un- 
und   unerbauliche  Reden  herauskommt,  welches 
J«*r6.  /.  wiMuntch.  KrUik.   J.  1830.   II.  Bd. 


Ref.  bereits  oben  und  kürzlich  an  einem  berfibmtgewor* 
denen  Producte  dieser  Gattung  von  Historiographie  in 
diesen  Jahrbb.  notirt  bat.  Wahrhaft  religiöse  Geschichts- 
betrachtung aber,  die  jedoch  erst  bei  ausgebildeter  Theo- 
logie und  namentlich  bei  entwickeltem  Kirchenrechte 
bervortritt,  sieht  die  poKtischen  Gemeinwesen  weder 
von  jenem  rein  affirmativen  Standpuncte  der  Vorsehung, 
noch  von  diesem  rein  negativen  des  Gerichts,  sondern 
in  ihrer  wesentlichen  Beziehung  auf  die  Geschichte  des 
religiösen  Selbstbewufstseins  an,  wie  diefs  z*  B.  in  der 
Kirchengeschichte  geschehen  mufs;   so  aber  kann  sie 
eben  nur  das  für  sie  Wesentliche  aus  der  Staatenge- 
schiqhte^  die  politischen  Prihcipien   mit  den  Haupt  Sta- 
dien ihrer  Bildung  festhalten,  die  ganze  Masse  des  Bei- 
läufigen und  Zufälligen  aber  mufs  sie  dem  Weitgeist 
als  seine  Provinz  überlassen,  worauf  dieser  aber  auch 
sein  Höchstes  d.  b.  überhaupt  die  Darstellung  seiner 
Geschichte  für  sich  in  Anspruch  nimmt*    Dasselbe  gilt 
endlich  auch  von  der  Philosophie  der  Geschichte,  wel- 
che „die  Vernunft  als  die  Substanz  und  die  unendliche 
Macht,  als  Stoff  und  Form   der  Weltgeschichte"  auf- 
zeigen will ;  auch  sie  darf  nicht  zur  Kleinkrämerei  mit 
dem  Aeufserlichen  und  Anekdotenhaften  werden,   son- 
dern mufs  die  Erinnerung  daran,  das  heitere  oderweh- 
müthige  Spiel  damit  dem  endlichen  Geiste  zugestehen, 
selber  aber  nur  die  grofsen,  allgemeinen  Formen  zeich- 
nen; oder  es   gibt  wohl  eine  wahre,   aber  keine  voll- 
ständige  Geschichte,  keine  eigentliche  Historiographie 
(der  politischen  Welt)    im  Elemente  der  Philosophie. 

Die  Wahrheit  aber,  in  welche  allerdings  in  der  Re- 
gion des  absoluten  Geistes  der  politische  erhoben  wird,^ 
ist  die,  dafs  er  in  seiner  Wirklichkeit  und  Geschichte 
als  wesentliches  Substrat  für  die  Manifestation  von  je- 
nem erkannt  wird;  Religion,  Kunst  und  Wissenschaft 
haben  den  Staat  zu  ihrer  Voraussetzung,  aber  so,  dafs 
9,das  Spätere  vielmehr  die  Bedeutung  hat,  das  abso- 
lute Prius,  die  Wahrheit  dessen  zu  sein,  durch  das  es 

103 


819 


Hdgel^    GeMckicAte  der  Philosophie. 


820 


Terihittelt  erscheint/'  wie  sich  auch  geschichUich  z.  B. 
darin  bewährt,  dafs   die  Religiosität  eines  Volkes  am 
lebendigsten  dann  ist,  wann  es  um  seine  Existenz  ringt, 
also  in  den  Anfangen  seiner  Geschichte,  in  Zeiten  der 
Noth  und  wenn  es  sich  zum  Untergange  neigt,  wo  auch 
die  Philosophie  „ihr  Grau  in  Grau  malt,"  während  es 
auf  der  Höhe  seines  welthistorischen  Ruhmes  sich  vor- 
zugsweise politisch  thätig  erweist,  oder  wenn  auch  hier 
in  den  höheren  Gebieten  des  Geistes  arbeitend,   hiezu 
nur  in  Folge  gewaltiger,  bedeutender  Gefahr  begegnen* 
der  Anstrengungen  nach  Aufsen  kommt,  wie  z«  B.  die 
Bliithe  der  athenischen  Kunst  auf  die  Perserkriege,  die 
mittelalterliche    Herrlichkeit  auf  die   Kreuzzüge,    die 
jetzige  Lebendigkeit  der  höheren  Geistesfnnctionen  in 
Deutschland  auf'die  Freiheitskämpfe  gefolgt  ist.    In 
dieser  seiner  Haltung  und  Verwendung  durch  die  Mächte 
des  absoluten  Seibstbewufstseins  kommt  also  erst  der 
politische  Geist  zu  seiner  Ruhe  und  wird  das  tragische 
Pathos,  in   welchem  er  für  sich  endigen  würde,   von 
ihm  genommen  \  in    dieser  Idealität  ist  es  aber  nicht 
blos  sein  gegenwärtiges,  sondern  auch  sein  yergange- 
ncs  Leben,  welchem  diese  Rechtfertigung  und  dieser 
Werth  crtheilt  wird.    Kann  ^r  seine  Erinnerungen  für 
seine  eigenen  unmittelbaren  Zwecke  nicht  mehr  benut- 
zen, so  dienen  sie  um  so  reichlicher  als  geschmeidiges 
Material  für  die  Kunst,    als  Exemplificationen  für  die 
religiöso  W^ahrheit  und  als  ehrenvolles  Object  für  den 
philosophischen  Gedanken,  ohne   dafs  defswegen  sein 
Recht,   sein  Laben  für  sich   zu  haben   und  in  seinem 
eigenen  demente  darzustellen,  ihm  geschmälert  würde. 
Ja  es  liegt  eben  im  Interesse  des  absdluten  Seibstbe- 
wufstseins, dafs  der  sittliche  Geist  in  der  Historie  zu 
Tollkommener  Erkenntnifs  seiner  selber  komme,  nicht 
nur  damit  er  abstracter  Weise  seiner  Endlichkeit  inne 
werde,   sondern    Tornehmlich  in  dieser  negativen   Be- 
schäftigung mit   seiner  Vergangenheit  für  die  positive 
Betrachtung  der  an  und   für  sich  seienden  Idee   sich 
bilde.    Das  Gedachtnifs  ist  die  Vorschule  des  Gedan- 
kens, die  Jugend  erhält  in  der  Geschichte  ihre  haupt- 
sächlichste formale  Vorbereitung  für  das  Ergreifen  der 
ewigen,  substantiellen  Wahrheit,  und  was  ist  die  ganze 
herrliche  Lust,   die  uns  bei  der  Beschäftigung  mit  der 
Vergangenheit  der  Völker  durchdringt,   als  ein  unend- 
liches Freiheitsgefühl,  das  zwar  noch  abstract,  aber  die 
Basis  für  jedes  höhere  Sellistbewurstscin   der  Wahr- 
heit ist? 


Ist  es  uns  auf  diese  Weise  gelungen,  der  politi- 
schen Geschichte  sowohl  nach  ihrem  objectiven  Inhalt, 
als   nach  ihrer  subjectiven  Form  die  rechten   Oerter 
im  Systeme  anzuweisen,    and  namentlich  tlie  letztere 
aus  der  ungeeigneten  Stellung  in   der   blofsen  Einlei« 
tung  zu  befreien:  so  verlohnt  es   sich   vielleicht  der 
Mühe,    noch  einen  Augenblick  zuzusehen,  wie  es  sich 
in  derselben  Hinsicht  mit   der  Geschichte  des  absohi- 
ten  Seibstbewufstseins  verhalte.     Was  hier   die  Rdi- 
gionsphilosophie  betrifft,  um  an  dieser  und  namentlich 
an  der  theologischen  Euoyklopädie  als  an  einem  Glie- 
de  von  jener  die  Sache  näher  anzudeuten,  so  kann  so 
wenig,    als   oben    die  Trennung   der   Geschithte  des 
Staats  von  der  wissenschaftlichen  Darstellung  dessel- 
ben,   die  gewöhnliche   Abscheiduug   der   historisebea 
Theologie  von  der  systematischen  als  völlig  coordillt^ 
ter  Disciplinen   zugegeben   werden,   sondern  als  Wis- 
senschaft giebt  es  nur  Eine,   die  systematische  Tkes- 
logie,   und  die  historische  ist  als  Phänomenologie  des 
christlichen  Geistes  ein  blofses  Moment  von  jener,  so 
zwar,  dafs  nachdem  im  Verlaufe  der  Religionsphiloso- 
phie die  Stelle,  wo  die  christliche  Form  des  absolutes 
Selbstbewufstseius  erreicht   ist,  zuerst  der  allgemeioe 
Begriff  der  christlichen  Religion  mit  seinen  besondijiii 
Seiten  als  Dogma,  Sitte,  Cultus  und  Recht   anzuge- 
ben, hierauf  sogleich  theils  im  Ganzen,  theils  von  j^ 
der   dor^  besondern  theologischen  Disciplinen  der  ge- 
schichtliche Proccfs,    in    weichem  jeuer  Begriff   sich 
realisirte,  aufzunehmen  und  zuletzt  das  gegenwärtige 
religiöse  Selbstbewufstseiu    wissenschaftlich   darzustel- 
len ist.     Diese  IMethode  ist  in  sofern  bereits   als  die 
richtige  anerkannt,  als  jede  der  besonderen   theologi- 
scheu  Disciplinen  exegetische  und  historische  Elemente 
bald  in  gröfserer,    bald   in  geringerer  Menge  in  sich 
aufnimmt,  wodurch  der  Anspruch  der  historischen  Theo- 
logie   auf  gesonderte  Existenz    im   wissenscbaftlicheo 
Organismus  ein  durchaus  prekärer  wird,  oder  es  eot- 
spricht  auch  unser  Schema  gewissermafsen  der  sonsti- 
gen Eintheilung  der  Theologie  in  exegetische,  histori. 
sehe  und  systematische.    An  sich  nun  hat  das   succes- 
sive   Hervortreten   der  verschiedenen   Kirchenparteiea 
und  ihrer  dogmatischen  und  ethischen  Systeme,  so  wie 
die  jetzige  mannichfaltige  Gestaltung  der  Cbristeabeit 
die  wahre  Bedeutung  der  Verwirklichung  der  im  Be- 
griffe der  christlichen  Religion-  ursprünglich  gesetzten 
Momente.   Allein  es  fragt  sich:  wie  erscheint  dem  re- 


821 


Begel^   6eseAie/ite  der  Philosophie. 


822 


ligiösen  Subjecte  Jielbst,  wenn  es   bdd  auf  die  ganze 
Gesdiichto  des  Geistos,  in  dem  es  lebt,  und  auf  seine 
eigeoe  Stellung  in  der  Wirklichkeit  desselben  zurück- 
blickt) nde  ersctieint  sogar  dem  Theologen,  wenn  er 
sowohl  von  der  Betrachtung  dessen,   was  Andere  vor 
ihm  geleistet,  als  nach  Vollendung  seiner  eigenen  Ar- 
beit Yon  derselben  zurücktritt,  clieser  durch  Jahrhun- 
derte sich  dehoendo  Verlauf  und  seine  eigene  Gegen- 
wart?   Die  christliche  Frömmigkeit   steht   hier   nicht 
Bit  dem  Bekenntnisse  an,   wie  ihr  allerdings  die  gött- 
liche Wahrheit,  indem  sie  dem  geschichtlichen  Procefs 
•ich  überlieferte,  neben  dem,   dufs  sie  sich   darin  be- 
währte, auch  vielfach  von  ^ich  ab-  uad  in  die  Endlich- 
keit, das  Aufscr-  und  Nebeneinandersein,  sogar  in  Irr- 
tknm  und   Verderbnifs  gefallen  erscheine,  wie  dieses 
der  meoschlicheu  Natur  nach  nicht   anders  habe  sein 
kSonenj   aber'dais  „stat  sna  cuique  dies'^  wird  auch 
der  Theologe,  wie  stark  auch  sonst  sein  Bewurstseiu 
von  sieb  selber  sein  möge,  nicht  ganz  aus  demselben 
verdrängen  können.    Für  das  Vergangene  und  Vergäng- 
liche aber  ist  die  einzige  'Weise,  in  welcher   es   fort- 
ezistfreu  kann,   die  Erinnerung,  und   so  ist  auch  hier 
der  Ort,  den  Ursprung  und  die  Bethätigung  des  bisto- 
riscben  Interesses   und  Wissens  zu   betrachten,   wel- 
ches zuerst  unbefangen  als  „ursprüngliche  Geschichte" 
auftritt,  im   Gegensatze   der  Parteien   unter  einander 
aber  zur  „reflectirten*'  wird,  wobei  überdiefs,  weil  die 
Erscheinung  des  religiösen    Geistes   in  den  endlichen 
ßllt,  auch  das  nicht  ebenbürtige,  blos  moralisch,  poli- 
tisch u.  s.  w.  gebildete  Bewufstsein  sich  derselben  be- 
mächtigt und  sie  auf  seine  unwahren  Kanones  zieht. 
Eine   mehr  als  formelle   und   subjective   Befriedigung 
kommt  auch  bei.  dieser  Beschäftiguug  mit  der  religiö- 
sen Geschichte  nicht  heraus.     Deun  wie  oft  z.  B.  ein 
Coov^rtit   behauptet  haben  mag,  durch  geschichtliche 
Anschauungen  zu  seiner  richtigeren  Einsicht  gebracht 
worden  zu  sein,   so  ist  dieses  doch  nur  einer  Selbst» 
täaschung  zuzprechnen,   indem  er  vielmehr  in  seinem 
bisherigen   religiösen  BewuCstsciu  durch  die  Dialektik 
präsenter  Mächte  erschüttert  worden  ist  und  erst  bin- 
tennach  in  den  Zeuguissen  der  Geschichte  sich  umge- 
sehen  hat.  (instar   omninni:   Luther).      Die    Bistorie 
weist  daher  das  nach  Wahrheit  suchende  Subject  auch 
hier  von  ihrem  Gebiete  auf  sich  selbst,  zunächst  also 
auf  seine  Coufession  zurück,  in  welcher  es  aber  wie- 
der nnr  etwas  erst  Gewordenes  und  in  der  Gegenwart 


Beschränktes,  nicht  die  absolute  Allgemeinheit  erblickt, 
sondern  wobei  ^chleiennacher  Recht  hat,  wenn  er  die 
Do^matik  (über  auch  die  übrigen^  theologischen  Disoi- 
piinen)   als    historische  Wissenschaft   bezeichnet.     Al- 
lein von  diesem  Gefühle  der  Endlichkeit  befreit   sich 
der  christlich   religiöse  Geist  selbst,    nicht  indem  er 
nnr,  wie  der  sittliche,  in  den  Gedanken  des  all  walten- 
den Schicksals  oder  in  das  pure  Abhängigkeitsgefühl 
sich  versenkt,  sondern  zunächst  versuchsweise,  wie  der 
Staat  factisch  im  Kriege,   so  wissenschaftlich   in  der 
Polemik,  die  aber,  indem  sie  in  allen  christlichen  Con- 
fessionen,  so  wie  typisch  und  prophetisch  selbst  in  den 
vorchristlichen  Religionen  den  Einen  Glauben  an  die 
ewige  Menschtierdung  und   Offenbarung   Gottes,   und 
somit  die  wahre  Religion  findet,  zur  allseitigen  Sym- 
bolik oder  Statistik    oder  zur  Historie  im   absoluten 
Sinne  wird,  für  welche  alle  geschichtlicheti  Gestalten 
des  religiösen  Geistes  die  nothweodigen  Medien  seiner 
Erscheinung  bilden.  —  Historie  bedeutet  uns  also  auch 
bin   und  wieder  nur  die  Geschichte   im   Medium   des 
Selbstbewufstseins,  so  dafs  nicht  der  Inhalt  der  Kir- 
chengescbichte  an  sich,  dem  wir  vielmehr  als  solchem 
seinen  Platz  bereits  angewiesen  haben,  sondern  er  nur 
in  seiner  subjectiven  Form,  und  zwar  Wesen  und  Ge- 
schichte dieser  Form,  hier  unser  Gegenstand  ist   Da* 
mit  glauben*  wir  denn  wiederum  zweierlei  erreicht,  näm« 
lieh  theils  die  Genesis  des  historischen  Wissens  auch 
auf  diesem  Gebiete  aufgezeigt,  theils,  wie  es  den  Ue- 
bergaog  in  die  höhere  Sphäre  der  Philosophie  vermit- 
telt, nachgewiesen  zu  haben:  denn  nur,  wenn  nicht juns 
allein,  sondern  dem  religiösen  Geiste  selber  seine  Pro- 
ductionen  in  einem  Gesammt überblick  vorliegen,  ist  er 
in  seiner  Aligemeinheit  sich  selbst  zur  Einzelnheit  ge- 
worden und  nunmehr  reif  dazu,  das  Unreife  der  Form, 
in  welcher  er  die  Wahrheit  getragen,  'einzusehen  und 
der  Wissenschaft,  welche  die  absolute  Form  des  ab* 
soluten  Inhalts  besitzt,    die  Ehre  zu  geben*     Aufser- 
dem  ergiebt   sich  hier,  wie  bei  der  politischen  Histo- 
riographie, dafs  wenn  die  Philosophie  in  ihrem  eigeneil 
Gedankengange  zu  der  SteHe  gelangt,  wo  des  religiö- 
sen Geistes  Recht  erscheint,  seinen  ganzen  geschicht- 
lich erworbenen  Reicht h  um   in   aller  Mannichfaltigkeit 
und  Fülle  auszubreiten,  auch  ihr  Recht  dabei  offenbar 
wird,  liach  welchem  sie  schon  vorher  nur  die  Haupt- 
momente aus  seiner  Geschichte  sich  angeeignet,  das 
Uebrige  aber  ihm  selber  zu  behandeln  überlassen  hat; 


823  Begely  Ge^ehiehU 

oder  es  ergiebt  sich  wieder^  vie  die  Pkilosophie  swar 
das  Werden  der  Geschiobtschreibang  begreifen,  selbst 
aber  nicht  blofse  Historiographie  sein  kann. 

Dafs  nun  schon  früher  auch  die  Aesthetik  in  dem- 
selben geschichtlichen  Bewurstsein^  wie  hier  die  Reli« 
gionspbilo8o)>hie,  sich  zu  vollenden  habe,  und  nur  von 
diesem  aus  dex  kiiustlerische  Geist  sich  willig  werde 
in  die  reinere  Sphäre  -der  Religion  tiberfiihren  lassen^ 
glaubt  Ref.  nicht  weiter  auseinandersetzen  zu  müssen, 
wohl  aber  noch  mit  weoigen  Worten  die  Behandlung 
der  Geschichte  der  Philosophie  erwähnen  zu  dürfen. 
Ni^cb  der  Art,  wie  bei  Hegel  die  Encjklopädie  schliefst, 
könnte  man  zunächst  meinen,  es  falle  ihm  die  Ge- 
schichte der  Philosophie  aufserbalb  des  Systems,  wie 
er  überhaupt  das  geschichtliche  Material  der  einzelnen 
Wissenschaften  nirgends  in  die  Encjklopädie  aufge- 
nommen hat.  Allein  diese  will  auch  nur  die  gegen- 
wärtige Welt  in  ihrer  substanziellen  Wahrheit  wissen- 
schaftlich exponiren  und  hat  daher  mit  jener  Aus- 
scbliefsung  ebenso  Recht,  als  andererseits  behauptet 
werden  kann,  die  Vergangenhert  als  Moment  der  Ge- 
genwart sei  gleichfalls  ein  Gegenstand  des  philosophi- 
schen Gedankens.  Dieser  letzteren  Nothwendigkeit  bat 
Hegel  in  den  Vorlesungen  über  die  einzelnen  Discipli- 
Ben  genug  gethan,  so  dafs  sich  daraus  ergibt,  wie  er 
für  das  vollständig  ausgeführte  Sjstem  alteVdings  auch 
die  Geschichte  des  Stoffs  derselben  fordert  und  also 
die  der  Philosophie  da  eintreten  mufs,  wo  sich  der  Be- 
griff der  freien,  absoluten  Wissenschaft  aus  der  Dia« 
lektik  des  künstlerischen  ^und  religiösen  Geistes  ergibt, 
lieber  die  Behandlung  der  Geschichte  der  Philosophie 
aber  hat  sich  Hegel  wieder  nur  eioleitungsweise  aus- 
gesprochen (Enc.  f.  13,  Gesch.  der  Ph.  S.  11  —  64), 
was  indessen  auch  lyer,  wie  sonst,  das  Mifsliche  hat, 
dafs  wesentliche  philosophische  Sätze  nicht  in  wissen- 
schaftlichem Zusammenhange  erörtert  werden  und  da- 
her nur  in  dem  Werthe  von  Versicherungen  erschei- 
nen. Man  kann  zwar  behaupten,  der  Hauptgedanke 
dabei,  dafs  die  Geschichte  der  Philosophie  nur  die  Eine 
Philosophie  auf  verschiedenen  Ausbildungsstufen  zeige, 
sei  da,  wo  diese  Geschichte  beginne,  insofern  bereits 
bewiesen,  als  es  in  dem  Begriffe  der  sich  selber  den- 
kenden Idee  liege,  sich  successiv  nach  den  verschiede- 
nen Momenten  ihtes  Inhalts  zu  entfalten.    Allein  au- 


der  PAiloiophie* 


824 


fserdem,  dafs  dieser  Satz  selber  wieder  erst  als  Resni« 
tat  der  Geschichte  der  Philosophie  seine  volle  Bewäh» 
rung  findet  und  daher  am  Schlüsse  derselben  von  Neuem 
vorkommen  mufs,  so  ist  für  seine  Rechtfertigung  gegen 
die  einseitigen  Weisen,  jene  Geschichte  zu  behandeln, 
der  Ort  nicht  da,  wo  diese  erst  im  Beginne  ist,  soiti 
dem  bei  dem  Rückblicke  auf  die  ganze  \Vclt  von  Ge- 
danken,  welche  die   philosophische   Idee   aus  sich  er- 
zeugt hat.    Hiezu  kommt,  dafs  das  Sjstem  zwar  nicht 
während  seiuer^Selbstentwicklung,  wohl  aber  nach  osd 
aufserbalb   derselben   das    Bewufstsein   über  sich  an»* 
spricht,  dafs  sein  Urheber,  auch  nur  „ein  Sohn  seiner 
Zeit,*''  es  selbst  „nur  diese  Zeit  im  Gedanken  erfafst" 
sei,  und  es  sich  also  fragt,  was   wir  mit  solchen  Un* 
ruhe  erregenden,    forttreibenden   Geständnissen,   was 
mit  dem  „heitern  Bewufstsein,''  welches,   wie  man  ans 
sonst  versichert,  Ilegcl  selbst  über  9ie  Unvollkommen- 
hcit  seiner  Lehre  gehabt  und  kundgegeben  haben  soll, 
zu  begiunen,  was  dem  gesunden  und  wbhiberechtigtco 
Urtheile,  dafs  auch  auf  dem  Felde  der  Philosophie 

„Einst  wird  kommen  der  Tag^  wo  die  heilige  Uioi  hin$inki^ 
Friamoi  Belbsl  und  da%    Volk  des,  lanzenkundigen  Königt,'* 

ZU  erwiedcm  haben.  Soll  etwa  auch  die  Erkenntnifs 
der  ewigen  Wahrheit  nur  mit  der  formellen  Allgemein* 
beit  des  Ruhms,  oder  mit  dem  „Humor  davou"  eniii* 
geul  Dieser  Schritt  des  Systems  über  sich  selbst  bio- 
aus  ist  nur  so  in  einen  Schritt  innerhalb  seiuer  umzu- 
biegen, dafs  dieses-  historische  Bewufstsein  von  sich, 
wie  es  nun  nicht  nur  der  jetzigen  Wissensdiaft,  son« 
dern  allen  früheren  Darstellungen  derselben  eignet,  sel- 
ber wieder  zum  Gegenstaude  der  Betrachtung  gemacht, 
und  das  System  also  da,  wo  es  nach  vollbrachter  ScbiU 
deruug  seiner  Vorgänger  von  seiner  Arbeit  ruhen  moch* 
te,  im  Angesichte  von  diesen  noch  einmal  zpr  Selbst- 
besinnung aufgerufen  wird,  welches  Schicksal  nun  aa 
ihm  selber,  wie  bereits  au  jenen,  sich  vollziehen  verde. 
Die  Antwort  darauf  wird  dann  eine  eigene  Disciptio 
von  der  Btshandlung  der  Geschichte  der  Philosophie  da- 
hin geben,  dafs  allerdings  das  erste  Loos  jedes  philo- 
sophischen Systems  nur  dieses  sei,  iu  dem  formellen 
Gedächtnisse  seiner  Jünger  fortzuleben  (die  Ursprung- 
liehe  Gesoh.);  dafs  sodann  die  kommenden  Phileso- 
pbengeschlechter  es  sich  je  nach  ihrer  Bildung  zurecht- 
und  auslegen  werden  (die  reflectirte  Geschichte) ;  drit- 
tens aber  der  ewige  Geist  der  Philosophie  dafür  sort^t, 
dafs  jedes  eigenthümliche  System  neben  der  ihm  an- 
haftenden zeitlichen  Beschränktheit  als  sein  ürgau  usd 
als  Vermittler  der  Wahrheit  für  alle  Nachwelt  erkannt 
wird  (die  absolute  Geschichte).  So  kommt  beides  zu 
seinem  Rechte,  der  Schmerz  des  blofsen  Geschichtlicb- 
seins  und  das  seelige  Bewufstsein  von  der  Wahrheit 
der  erkannten  Idee  j  diese  aber  als  di^s  ewig  Allgemeine 
resultirt  ebenso  am  Schlüsse  des  Systems,  wie  sie  sein 
Anfang  und  seine  Mitte  gewesen  ist. 

Binder. 


w^  104. 

J  a  h  r  b  fi  c  h  e  r 

für 

wissenschaftliche 


Kritik 


December  1839. 


UV. 

Bedenken  der  theologischen  Fakultäten  der  Lan^ 
desunirersität  Jena  und  der  Universitäten  zu 
Berlin,  Göttingen  und  Heidelberg y  über  das 
Hescript  des  Herzoglichen  Consistoriums  zu 
Altenburg  vom  13.  Nov.  1838.  (den  kirchlichen 
Separatismus  in  der  Ephorie  Ronneburg  be- 
treffend)  und  über  zwei  verwandte  Fragen. 
('Nebst  einleitender  geschichtlicher  Darstellung 
und  Actenstucken).  Altenburgy  1839.  in  Com^ 
mission  der  Schnnphase* sehen  Buchhandlung. 
IV.  174  S.    gr.  8.     ' 

Refonnatorische  Zeiten  sud  immer  den  Zeiten  der 
CrrundoDg  der  Kirche  in  der  Welt  verwandt.    Wie  hier 
UBchristliGhe  Elemente^  weiche  mit  den  ersten  Beken- 
nem  des  ETangeliums  in  die  Kirche  eingegangen  wa- 
ren,    einseitige  Auffassungen   desselben  yeranlafsten, 
«US  welchen   einseitige  nnd  verkehrte  Richtungen  des 
cbriatliehen  Lebens  und  der  theologischen  Forschung 
hervoi^ingen ;  eben  so  ist  die  Kirche  nach  Lehre,  Dis- 
ciptiD  nnd  Verfassung  späterhin  durch  fremdartige  Lehr« 
eleinente,   Grundsätze  und  Lieb^ensrichtungen  entstellt 
worden,  deren  Ansscheidunji;  von  Deujenigen  versucht 
wurde,  welche  die  Idee  der  wahren  Kirche  im  Bewufst« 
sein  bewahrt  oder  durch  redliches  Forschen  in  den  Ur« 
koadeo  göttlicher  Offenbarung  oder  durch  die  geheime 
uod  laute  Sprache  des  nie  ganz  schweigenden  kirchli- 
chen Gewissens  gewonnen  halten  und  bemüht  waren, 
sie  KU  realisiren.    Johann  von  Oochy  einer  der  jüng- 
sten Vorläufer  der  Reformatoren  des  16.  Jahrhunderts, 
glaubte  namentlich  uod  besonders  4  Irrthümer,   durch 
welche  das  Christentbum  von  jeher  entstellt  worden 
sei,  bekämpfen  zu  müssen  (de  quatuor  erroribus  circa 
legem  evaugelicam  exortis):  ein  beschränktes  judaisi- 
rendes    Wesen,   einen   Glauben    ohne   entsprechende 

Jahrb.  /.  Mfuunuch.  KriÜk.  J.  1830.  II.  Bd. 


Früchte,    das  Selbstvertranen   auf  eigene  Kraft  nnd 
That»  ohne  gottliche  Gnade,  und  den  Wahn  durch  bin- 
dende Gelübde   zur  evangelischen  Vollkommenheit  zu 
gelangen.    Und  wir  werden,  wenn  auch  nicht  alle  Irrun- 
gen sich  auf  diese  4  Arten  mochten  zurttckf&hren  las- 
sen, doch  gewifs  dieselben  in  jeder  Zeit,  auch  in  der 
nnsrigen  wahrnehmen:  den  Beisatz  einer  falschen  Ge- 
setzlichkeit, Rechtgl&ubigkeit  ohne  christliche  Tngend, 
unchristliche  Ueberschätzung  der  Kraft  des  freien  Wil- 
lens,   wie    unevangelische    Beschränkung    desselben« 
Dafs  aber  unsere  Zeit  zu  den  reformatorischen,   die 
immer  zugleich  Zeiten   des  Fortschritts  sind,  gehöre, 
ist  eben  so  unverkennbar,  als    von  Vielen  anerkannt, 
wenn  wir  auch  bei  der  noch  stattfindenden  grofsen  Mi- 
schung und  verhältnifsmäfsigen  Macht  der  kämpfenden 
Elemente  werden  zugeben  müssen,   dafs  wir  zur  wirk- 
lichen Ausführung  dessen,   was   die  Kirebe  erstrebt, 
ungelähr  in  demselben  Verliältnifs  stehen  mögen,  wie 
Johann  von  Ooeh^    Johann  iVessel  und  ihre  ver^ 
wandten  Zeitgenossen  zum  J.  1517.    Wir  finden  die 
Kirche  im  Kampfe  mit  den  uralten  nnd  immer  wieder 
neu  hervorgetretenen  Gegensätzen  \  Theil  nehmen  nicht 
blos  die  Scbultheologen,  sondern  Christen  aller  Stände 
und  Bekenntnisse,  an  ihrer  Spitze  die  edelsten  Fürsten« 
Nach    langer,   weit  verbreiteter,  fast  unbeschränkter 
Herrschaft,  welche  ein  von  fem  her  eingedrungener 
Deismus  in  verschiedenen,  mehr  und  weniger  christli- 
chen, Formen   und  unter  verschiedenen  Namen  ausge- 
übt hatte,  trat  das  kirchliche  Bewufstsein  des  Ursprungs 
des  Cbristenthums  aus  göttlicher  Offenbarung  mit  fri- 
scher Lebenskraft    in   verhängnifsvoller  Zeit    hervor, 
obwohl  CS  sich  nach   dem    Maafse  des  Yerstäudiiisses 
des  göttlichen  Wortes  sehr  verschieden  aussprach,  in- 
dem  die  christliche  Erkenntnifs  fast  alle  Stadien  der 
Entwickeluug   i\ieder   durchlaufen  mufste,   auf  denen 
wir'  den    menschlichen  Geist   unter    dem   Binflufs  dof 
göttlichen    Wahrheit   seit   den  Anfängen    der    Kirche 

104 


827                                                      Bedenken  tke^hgüeher  FäJbuliSten.  828 

fioden,  Tom  christlichen.  Ebionitisinos  an  bis  zur  rol-  Torgetretsn  war.     Wer  irgend  seiche  Zustftnde,  die 

lendeten  Entwickelung  der  Theologie  für  die  aposto-  nur  Aeufserungen  der  Krankheit,  zugleich   aber  auch 

lisch -katholische  Kirche  durch  die  grofsen  Lehrer  des  des  vorgeschrittenen  Ueilungsprooesses  der  Kirche  sn- 

4.  «nd  5.  Jahrhunderts,  m  deren  dkumefiüchen  ReaoU  serer  Zeit  sind,  genauer  kennt,  inufs  die  Weisheit  und 

taten  die  Reformatoren  des  16.  Jahrb.   die  Grundlage  ^' Milde  des  Consistoriums  bei  seinen  MaafsnehmttDgeu 

ihres   Bekenntnisses  und  die   Grundsätze  für   die  Er-  anerkennen:  die  Weisheit,  welche  nicht  blos  die  xeit- 


neuerung  der  Kirche  fanden.  .  Wie  ehedem  das  Hei- 
denthum  und  Judcnthum  in  und  aufser  der  Krrche  durch 
die  Macht  der  göttlichen  Wahrheit  im  Umfange  des 
tdmischen  Weltreichs  nach  und  nach  überwunden  wurde, 
so  sehen  wnr  auch  jetzt,  wie  allmähiig  die  fremdarti- 
gen Eliemente,  welche  sieb  m  der  Kirche  geltend  ge- 
diacbt  haben,  obwohl  sie  die  geralreichsten  Vertreter 
gefunden,  von  dem  Geiste  der  göttlichen  Wahrheit 
mittelst 'der  Waffen  der  christlichen,  in  den  verschie- 
densten Formen  hervortretenden ,  Wissenschaft  über- 
wunden werden  und  die  evangelische  Kirche  nach  ihrer 
Lehre  je  länger  je  mehr  ihrem  Begriff  wieder  ent- 
spreche und  so,  wenigstens  zunächst  nach  ihrer  theo* 
retiscben  Seite  hin,  ihrer  ursprünglichen  Gestalt  immer 
nieder  ähnlicher  werde  und  ihrem  wahren  Ziele  näher 
trete«  Solche  Umgestaltung  ist  freilieh,  wie  jeder  Hei- 
lungsprocefs,  niemals  ohne  mancherlei  Wehe  erfolgt; 
auch  die  Reorganisation  der  Kirche  in  unseren  Zeiten 
konnte  und  kann  ohne  dasselbe  nicht  erfolgen,  so  mild 
auch  die  Mittel  sein  mögen,  welche  angewendet  wer- 
den. Schon  die  Erinnerung  der  Zeitgenossen  an  die 
Irrung,  in  der  sie  vom  ursprünglichen  Ziel  und  dem 
rechten  Wege  sich  ent'fei^nt  haben,  thut  wehe,  weil-  sie 
kaum  anders,  als  in  der  Form  der  Mahnung,  wenn 
auch  nicht  des  Vorwurfs  und  der  Anklage,  gegeben 
werden  kann.  Und  wie  naturlieh  ist  die  Regung  des 
Argwohns,  wenn  von  Rückkehr  zum  Alten  die  Rede 
ist,  weil  so  leicht  die  Besorgpifs  entsteht,  als  solle  auch 
das  Fehlerhafte  der  Vorzeit,  nicht  blos  das  nnvergänglich 
Gute,  das  sie  in  sich  trug  —  die  verkannte  Wahrheit, 
Ordnung  und  Sitte,  -r-  nicht  blos  das  ewige  Wesen 
des  Christentbums ,  sondern  auch  die  veralteten  For- 
men zurückgerufen  werden,  in  welchen  es,  den  Be- 
dürfnissen und  dem  Bilduugsstande  früherer  Zeit  ange- 
messen, erschienen  war. 

Ein  recht  sprechendes  Zeugnifs  fiir  die  Wahrheit 
dieser  Bemerkungen  gibt  das  Verhalten  und  die  Erfah- 
rung des  Herzoglich  Slichsi^chen  Consistoriums  zn  AI- 
fenburg,  nachdem  im  vorigen  Jahre  der  lutherische 
Separatismus  in  mehreren  Ephorien   des  Landes  her- 


liche Erscheinung,  sondern  den  Grund  des  hervorge- 
tretenen Uebels  heben  wollte,  und  die  Milde,  weicbe 
sich  in  den)  beka^mten,  auch  in  vorliegender  Schrift, 
nach  der  einleitenden  geschichtlichen  Darstellung,  & 
23—27  wieder  abgedmokten  Rescript  v.  13.  Nov.  v.J., 
80  wie  in  anderen  hier  mitgetheiiten  Erlassen  (aas- 
spricht,  eine  Milde,  deren  Quelle  wahrscheinlich  die 
wohlbegründete  Ueberzeugung  ist,  dafs  die  kircblicbea 
Uebel  der  Zeit  nicht  den  Einzelnen,  selbst  wenn  sie 
Interpreten  der  öffentlichen  Meinung  sind,  iasbeson« 
dere  aufzubürden,  sondern  Erzeugnisse  des  Geistes  der 
Zeit  seien,  unter  dessen  Einflufs  viele  auch  der 
edelsten  Glieder  der  Kirche,  selbst  ttubewafst,  stdies. 
Aber  ungeachtet  dieser  weisen  MHde  haben  mehrere 
Geistliche,  jedoch,  wie  es  scheint,  viel  weniger,  als 
man  anfangs  annehmen  konnte,  sich  durch  jenes  Re- 
script verletzt  gefühlt,  als  ihre  Gewissens-  und  Leh^ 
freiheit  bedrohend,  wie  ihre  Ehre  kränkend,  —  eise 
Gereiztheit,  die  freilich  zum  Theil  verursacht  -wurde 
durch  unzeitige,  unbedachte  Anzeigen  in  kirchlichen 
und   politischen  Zeitschriften. 

Behufs  der  folgenden  beurtheilenden  Darstellaog 
theilen  wir  zunächst  Einiges  über  die  Ausbildung  des 
kirchlichen  Separatismus  im  Herzogthum  ubd  über  die 
von  der  kirchlichen  Behörde  dagegen  ergriffenen  Maafs- 
regeln  meist  aus  der  in  vorliegender  Schrift  enthalte- 
nen geschichtlichen  Einleitung  (S.  1—22)  mit  Die 
durch  den  bekannten  Pastor  Stephan  in  Dresden  ve^ 
anlafste  kirchliche  Bewegung,  welche  leider !  den  Frie- 
den vieler  Familien  im  Königr.  Saebsen  'gesfdrt  bat 
und  zunächst  in  eine  Auswanderung  einer  nicht  uabe» 
deutenden  Zahl  zum  Theil  anerkannt  achtbar»  Meo* 
sehen  nach  Nordamerika  ausgegangen  ist,  ergriff  aneh 
mehrere  Familien  und  Individuen  im  Herzogt hnm  Altea- 
burg,  so  dafs,  wie  gemeldet  worden,  aus  der  Ephorie 
Rpnneburg  35,  aus  der  Ephorie  Kabia  28  wbA  aus  der 
Ephorie  Altenburg  46  Personen  ausgewandert  sind. 
Auch  zwei  seit  längerer  Zeit  dem  Pastor  St.  naher  be* 
freundete  Geistliche,  die  Pfarrer  Ldier  za  Blseahng 
im  Amte  Kahia  und  Gruber  zu  Reust  im  Amte  Roih 


Ä#^^^^W^W^^^^w        WwW^^ß9^^^mW^^^w9^^^      ^L  ^^^w^^99^^W^^^w 


830 


neborg,  Mitm  im  Soaii»er  Torigen  Jabrs  deo  Eat- 
MshIitlS)  an  der  beabsiebtigfea  AnswanderuDg  Theil  tu 
aehmeo,  iind  kamen  deshalb  bei  dem  Hersoglieben  Con» 
sietorinm  am  ihre  Enf iaaaung  ein.  ^^Beide  .  Üotten,** 
Bach  dem  eigeuen  ürtbeil  des  Conaietorioms,  y,der  eine 
in  14jibriger,  der  andere  in  ISjabriger  Amttfiibning, 
nick  durch  die  Sebriftmftfsigiceit  und  Erbaulichkeit  ihrer 
SffcntKchen  Vortrüge,  se  wie  durch  Gewiasenbaftigkeit 
nnd  Pflichttreue,  neben  einem  musterhaften  Lebenswan« 
del  durchaus  als  wackere  Geistliche  erwiesen;*'  nur 
dafs  sie  in  Ihrem  Eifer  sich  auweilen  gegen  Andersden* 
kende  etwas  nndnidsam  geieigt,  auch  der  Pfarrer  Gm- 
her  seine  Wirksamkeit  unbefogterweise  auf  eine  an* 
dere  Paroobie  ausgedehnt  und  Pfarrer  Ldber  in  einem 
Nachbarstaate  eine  ihm  nicht  tou  der  austäodigen  Be- 
hörde gestattete  Anitshaudlang  Terricbtet  hatte,  was« 
halb  das  CoDsistorium  einmal  genothigt  gewesen  war, 
Beiden  seine-  Unnufriedenheit  zu  bezeugen  (S.  37  vgl. 
3.),  wcgagen  ihnen  auch  noch  bis  in  die  letzte  Zeit 
Beweise  der  Anerkennung  ihrer  pflicktmftfsigen  Wirk- 
aamkeit  zu  Theil  geworden  waren.  Die  das  Consisto- 
räni  sehr  ehrenden  Versuche,  sie  durch  liebreiche  Vor- 
atelluttgen  von  der  Ausführung  ihres  Entschlusses  zu- 
rdckzuhalten,  hatten  bei  L/Öier  nicht  den  gewfinsehten 
Erfolg;  „er  opferte  seinem  Vorhaben  die  Trennung  von 
swei  geliebten  Brüdern,  ron  einer  ihm  äurserst  ergebe- 
nen Gemeinde,  den  Verzicht  auf  eine  Pension  für  seine 
Hinterlassenen,  und  rertrauete  einen  swttchlicben  Kör- 
per einer  mfiberollen  unsichern  Zukunft  an.  Seine  Ab* 
reise  nach  Amerika  erfolgte  in  den  ersten  Tagen  des 
October  1838''  (S.  3  u.  8).  Der  Pfarrer  GruSer  hatte 
nichkorz  Tor  der  Abreise  seines  Freundes  Ldber  über 
seine  Absiebt,  im  Amte  zu  bleiben,  schwankend  erklärt. 
Die  mit  ihm  gepflogeneik  Veriiandlungen  des  von  dem 
Consistorium  damit  beauftragten  Hrn.  Consistorialrath 
nnd  General -Superintendenten  Ue9tkiel  und  des  Hrn. 
Ephorierikar  ReinuehfUMel  in  Ronneburg  hatten  den 
Erfolg)  dafs  Gruber  sein  Entlassungsgesuch  an  das 
Consistorium  zurQcknabm  und,  so  lange  er  durch  sein 
Gewissen  nicht  gehindert  wOrde,  der  Kircbe  seines  Va« 
teriandes  femer  zu  dienen  versprach,  ohne  irgendwie, 
direct  oder  indirekt  zur  Auswanderung  aufzureizen, 
was  er  versicherte,  auch  bis  dahin  noch  nie  gethan, 
vielmehr  Jeden',  der  ihm  in  dieser  Beziehung  seine  Ab- 
sicht mitgetbeilt,  zu  gewiaseuhafter  Ueberleguog  des 


Schrittes  aufgefordert  au  haben,  wie  denn  aneb  in  der 
von  allen  Ausgewanderten  nnterscfariebenen  „Answao- 
demngsordnnng"  ein  besentkrer  Paragraph  enthalten 
sei,  der  die  freiwillige  ßntschltefsnng  derselben  betza- 
treten,  bezenge.  — •  Jedoch  hat  derselbe  später  durch 
seine  donatistiaohen  Ansichten  von  der  heillosen  Ver- 
derbnifs  der  allgemeinen  Kirdie,  viellaioht  auch  durch 
Vorwärfe  von  Seiten  der  Gleichgesinnten,  beuarubigt) 
seinen  Bntsehlufs  nochmals,  geändert  und  im  Frühjahr 
d.  J.  um  seine  Dienstentlassung  gebeten,  um  zu  An« 
fang  des  August  niU  einer  zahlreichen  Familie  sein 
früheres  Vorhaben  zu  verwirklichen  (S.  8  f.  vgl.  53  ff.),' 
wenn  ihm  nicht  etwa  die  in  öffentlichen  Blattern  uns 
zugekommenen,  mittlerweile 'von  den  getftusebten  An« 
hängem  Stephans  erstatteten,  Berichte  über  die  end- 
liche Enthüllung  seines  Cliarakters  und  die  emgetrete* 
neu  Mifsverhältnisse  der  Golonie  die  Augen  geöffnet 
haben.  —  Die  Auswandenmg  der  Gemeindeglieder  er- 
folgte nicht  ohne  Zevreifsnng  der  heiligsten  Familien- 
baude$  Gatten,  die  in  der  glücklichsten  Ehe  gelebt 
hatten,  denen  die  Behörden  datf  Zeugnifs  eines  mn* 
sterhaften  Verhaltens  gaben,  meldeten  sich  bei  dem 
Consistorium  mit  dem  Antrag  auf  Scheidung,  weil  der 
eine  Theil  nicht  mitziehen  wollte;  und  obwohl  das 
Consistorium  Alles  versuchte^  um  dureh  ernste  Vorstel- 
lungen die  Bittenden  zum  Bleiben  im  Lande  au  bewe- 
gen, so  mnfstc  doch  auf  Grund  der  Bbeordnung  dem 
Antrage  gewillfahrt  werdea  So  wanderte  unter  Ande- 
ren .  auch  eine  Ehefrau  aus  der  Diöcese  Ronneburg  aus, 
deren  Ehemann  und  Kinder  zurückblieben ;  s^das  jüng- 
ste derselben,  liefe  sie  sich  noch  in  Ronneburg  auf  dem 
Marktplatz  von  ihrem  neben  dem  Auswanderungswa- 
gen,  wo  sie  safs,  stehenden  Mann  auf  den  Wagen 
geben,  reichte  ihm  noch  einmal  die  Mutterbrust  uud^ 
fuhr  davon.  Auch  diese  Eheleute  hattep  bis  dahin 
glücklich  gelebt.»  (S.  3  f.) 

Diese  höchst  auffallenden  Erscheinungen  ereigne^ 
ten  sich  in  einem  Lande,  dessen  milder,  frommer  Re« 
gent  die  Vollendung  seines  eigenen  Glücks  nur  in  dem 
Glücke  seiner  Untertbanen  findet,  bei  uuverkümmerter 
Gewissensfreiheit,  bei  unberührter  Kircbenverfassung-; 
die  Geistlichen  des  Horzogthums  Altenl^urg  überneh- 
men, wie  vordem,  noch  beute  bei  ihrer  Anstellung  die 
Verpflichtung,  „die  Lebren  der  göttlichen  Wahrheit, 
wie  sie  in  der  heil.  Schrift  enthalten  sind,  den  Bekeiint- 


831 


Bedenk09h  theol0gi9cher  FaknliSten.  ' 


niftfbficbem  der  eraDgelisoh* lutherischen  Kirche  gemäf«, 
treU)  fleifsig  uod  nach  ihrer  besten  Einsicht  vorzutra- 
gen." (S.  1  f.)  Es  kann  demnach  nicht  behauptet  ver« 
den,  dafs  die  Kirche  und  ihre  Gemeinden  der  subjecti- 
Ten  Willkühr  der  einzelnen  Geistlichen  preis  gegeben 
seien,  auch  liegt  andrerseits  kein  Beweis  vor,  dafs  ein 
Geistlicher  um  seiqes  eyangelisch»  kirchlichen  Bekennt- 
nisses willen  Ton  den  Behörden  sei  bedrückt,  gekränkt 
oder  zurückgesetzt  worden;  nur  unbefugtes  Uebergrei- 
fen  in  fremde  Wirkungskreise  scheint  getadelt  und  den 
bestehenden  Gesetzen  gemäfs  beschränkt  worden  zu 
sein.  Die  Ursachen  des  Dranges,  der  jene  Familien 
und  Individuen  aus  einem  gesegneten  Lande  in  eine 
ungekannte  Freipde  trieb,  konnten  daher,  da  sie  in  der 
kirchlich -rechtlichen  Verfassung  nioht  lagen,  nur  in 
den  faktischen  kirchlich-socialen  Verhältnissen  und  in 
der  durch  -sie  bedingten  Verstimmung  der  Gemüther 
liegen,  die  sich  leider!  deutlich  und  grell  genug 
im  gewöhnlichen  Verkehr,  wie  in  der  gemeinen  Lite- 
ratur ausspricht,  in  dem  fortgehenden  Hader  der 
streitenden  Ansichten  und  Grundsätze,  wie  er  aber 
allen  Uebergangsperioden  gemein  ist,  wo  das  werdende 
Neue  mit  dem  herrschenden  Alten  kämpft  und  nicht 
ohne  unangenehme  Zerwürfnisse  zur .  Auseinanderset- 
zung kommt.  Wer  in  solchen  Zeiten,  wenn  die  Ver- 
stimmung und  das  Zerwürfnifs  einen  religiösen,  kirch- 
lichen Charakter  hat,  verlangt,  dafs  die  Behörden  das 
Wahre  und  Gute  nicht  blos  in  Schutz  nehmen  und  der 
gesetzlich  bestehenden  Ordnung  gemäfs  fördern,  son- 
dern plötzlich  zur  öffentlichen,  allgemeinen  Anerken- 
nung und  Geltung  bringen  sollen,  yerlangt  etwas  Un- 
mögliches und  hat  die  eigenen  Aussprüche  und  Weis- 
sagungen des  Herrn  der  Kirche  (Matth.  13.  vgl.  ^Joh. 
17,  14  ff.  u.  a.)  nicht  genug  erwogen,  hat  aucb  nicht 
bedacht,  dafs  gewaltsame  Eingriffe  in  das  Gebiet  des 
Glaubens  wieder  ohne  Ungerechtigkeit  gegen  die  Un- 
mündigen und  in'  so  fern  Schuldlosen  in  allen  Ständen, 
noch  ohne  grofse  Gefahr  für  die  Kirche  selbst  getban 
werden  können,  deren  Leben  nur  wirklich  gedeihen, 
Gott  wohlgefällig  und  für  die  Welt  wahrhaft  heilbrin- 
gend sein  kann,  wo  der  Glaube  frei  und  unverstellt  ist 
Wer  aber  darum,  weil  meqschliche  Behörden  nicht  so- 
fort entfernen  können,   was  Gott    selbst  nach   seiner 


832 

Weisheit  trägt,  die  Mutterklrcbe  verläfst,  welche  auch 
diejenigen  ihrer  Kinder  und  Diener,  die  ihre  ansgespr«* 
ebenen,  nie  zurückgenommenen  Grundsätze  nicht  gan 
befolgen,  nicht  verstöfst,  sondern  so  lange  noch  die 
Hoffnung  der  Besserung  genährt  werden  darf,  sie  daroh 
ernste  und  milde  Mahnung  zu  gewinnen  sucht :  der  ban- 
delt gegen  den  ausdrücklichen  Willen  seines  Ucrrn, 
greift  in  dessen  Regiment  ein  und  verkennt  die  Auf- 
gabe der  Kirche,  die  sie  bis  zum  Tage  der  Entscbd- 
düng  im  fortgehenden  Kampfe  lösen  soll,  und  deren 
Prädikate  der  Einheit,  Heiligkeit  und  Allgemeinheit, 
eben  weil  sie  dem  Begriff  der  Kirche  in  ihrer  Vollen* 
duog  entsprechen,  jederzeit  nur  an  ihre  Bestimmung 
erinnerp   sollen. 

Das  Altenbui^er  Consistorium  hat  seine  Stelinng 
und  Aufgabe  nicht  verkannt.  Jene  Ereignisse  trafen 
ziemlich  zusammen  mit  der  Generalvisitaiion  der  Epho- 
rie  Ronueburg,  mit  welcher  Hr.  D.  UesekM  v^on  de« 
Consistorium  beauftragt  wurde.  Eben  so  begreiflich 
als  seiner  Pflicht  gemäfs  war  es,  dafs  er  bei  der  über- 
raschenden Erscheinung  >  der  aus  religiösen  Gründen 
geschehenen  Auswanderung  auf  «^iese  seine  besondere 
Aufmerksamkeit  richtete,  um  ihre  Ursachen  zu  erfor- 
schen, zumal  in  der  Ephorie  Ronueburg  die  Gegen- 
sätze theologischer  Auffassungs-  und  Verkundigungs- 
weise  stärker  wie  irgendwo  hervortraten  (S.  7  t\ 
Vor  anderen  kamen  in  jener  Beziehung  drei  Parochiea 
in  Betracht:  Paitzdorf,  Misch witz  und  Reust,  in  wel-^ 
eben  die  Visitation  am  18.,  23.  und  25.  Ootober  v.  i% 
stattfand,  nachdem  die  Auswanderer  bereits  das  Land 
verlassen  hatten.  Aus  Heust  selbst,  wo  Gruber  stand, 
war  Niemand  fortgezogen,  sondern  aus  den  naiie  Yi^ 
genden  Orten,  namentlich  aus  den  beiden  mitgenaon- 
tcn  Parochien,  aus  welchen  viele  Gemeindeglicder  sich 
zu  dem  Pf.  Gruber  hingezogen  gefühlt  und  daher  die 
Kirche  zu  Reust  häufig  besucht  hatten.  Die  Predigt- 
weise der  Pfarrer  an  beiden  Orten  schien  dem  Com- 
missarius,  theils  nach  dem  Inhalte  der  Vorträge,  Iheils 
nach  ihrer  Form,  eben  so  wie  ihre  seelsorgeriscbe 
Stellung  zu  ihren  Gemeinden  geeignet  zu  sein,  jene 
Erscheinung  zu  erklären  (S.  9  f.,  63  f^),  und  sein  L'r- 
theil  ist  auch  von  den  befragten  vier  theologischen 
Fakultäten  bestätigt  worden  (S.  79,  105  ff.,  148,  170). 


(Die  Fortsetzung  folgt.) 


^    JW  106. 

Jahrbücher 

für 

wis  senschaftliche 


Kritik. 


December  1839. 


Beäenken  der  theologischen  Fakultäten  der  Lan- 
desunfrersitäf  Jena  und  der  Universitäten  zu 
Berlin^  Göttingen  und  Heidelberg,  über  das 
Hescript  des  Herzoglichen  Consistoriums  zu 
Altenburg  rom  13,  Nov.  1838.  u.  s,  w. 

(ForteetzDDg.) 

„Nach  der  Analogie  gleichartiger  Brscheinungcfn  in 
«Bderen  Gegenden  zu  iirtbeilen/*  heirst  es  in  dein  Gut« 
achten  der  Heidelberger  Fakultät  (S.  169  f.),  9,80 
«ekeiot  die  Answanderoug  der  Separatisten  wenigstens 
tkeUw&ise  in  einem  causalen  Znsammenhange'  mit  dem 
kirchlichen  Zustande  des  Landes  zu  stehen;-  denn 
schwerlich  würden  die  Altenburgischen  Auswanderer 
jemals  in  eine  nähere  Verbindung  mit'  Personen  von 
der  Stephanistischeu  Richtung,  geschweige  in  eine  so 
totale  geistige  Ahhängij^keit  von  ihuen  gerathen  sein^ 
wenn  sie  bei  ihren  eigenen  Pfarrern  yon  vornherein 
eine  ToHständigere  Befriedigung  für  ihr  religiöses  Be- 
dürfbifs  gefunden  hätten.  Von  yornherein  kann  die 
Sdiuld  auch  nicht  auf  die  verkehrte  Richtung  gescho- 
ben werden,  welche  dieses  bei  ihnen  genommen ;  son- 
dern aller  Erfahrung  gemäfs  mufs  voransgesctzt  wer- 
den, dafs  dasselbe  erst  durch  Andere,  die  es  mifs- 
braucbten,  diese  verkehrte  Richtung  erhalten  hat,  un* 
ter  der  Leitung  erleuchteter  und  sorgsamer  Seelsor- 
ger aber  eine  gesunde,  lebenskröftige  Frömmigkeit 
hervorgebracht  haben  würde.  Die  Akten  thun  nur  zu 
augenscheinlich  dar,  wie  sehr  manche  Pfarrer  die  Ver- 
irrten sich  selbst  fiberlassen  haben.  Diese  U^abrneh- 
maag  mulate,  aber  das  Consistoriuin  zu  den  ernstesten 
Betrachtungen  veranlassen,  die  der  seiner  Leitung  un- 
tergeordneten Landesgeistliehkeit  mitzutheilen  für  das- 
selbe eben  so  sehr  eine  unzweifelhafte  Pflicht,  als  ein 
Datö^Uches  Herzensbedürfuifs  war. '  Nimmt  man  dazu, 
diifs  es,  auch  abgesehen  von  der  Auswaoderuogssacbe, 
Evfabruagen  machte,  wie  sie  in  der  uns  mitgetheilten 

Jakrh,  /.  triiienicA.  KrUik,   J.  1830.    II.  Bd. 


Predigt  des  Pfarrers  K.  zu  N.  vorliegen,  Erfahrungen, 
dafs  manche  Geistliche  das  Evangelium  in  einer  völ- 
lig licht-  und  salzlosen  Weise  predigten,  an  der  sick 
Niemand  (welcherlei  theologischen  Bekenntnisses  er 
auch  sein  möge)  erbauen  kann:  so  sieht  man,  wie  sich 
ihm  die  Pflicht  immer  unabweislichcr  aufdrängt,  die 
Landesgeistliehkeit  darauf  hinzuweisen,  dafs  zur  wirk- 
samen Führung  des  evangelischen  Prcdigfamts  ein  an- 
drer Geist  erfordert  werde  —  und  unter  den  seh  wie* 
rigen  Verhältnissen  der  Gegenwart  doppelt  dringend  — 
als  der,  welcher  sich  aus  der  amtlichen  Thätigkeit 
mancher  ihrer  Glieder  kund  gebe.  Das  sehr  rübmens- 
werthe  Institut  der  Generaivisitation  erhält  seine  volle 
Bedeutung  gerade  erst  dadurch,  dafs  die  kirchliche 
Oberbehörde  auf  den  sich  bei  der  Visitation  ergeben- 
den Befund  des  kirchlichen  Zustandes  hin  sich  gegen 
die  Landesgeistlichkeit  über  Das,  was  jedesmal  der 
Kirche  vorzugsweise  Noth  thtfe,  ofl^en  und  vcrtranlich 
aussprechen  kann."  —  Zu  solchen  Erfahrungen  kamen 
noch  Seitens  einiger  Geii\eindeglicder,  wdlehe  der  Com- 
missarius  vernahm,  Andeutungen,  dafs  sie  in  den  Vor- 
trägen ihrer  Geistlichen  „den  rechten  Grund**  vermifst 
hätten,  und  in  der  ,, Auswanderungsordnung*'  (S.  69  f.) 
heifst  es  §.  2:  „Nach  ruhigster  und  reiflichster  Ue- 
berlegung  sehen  sie  (die  unterzeichneten  Emigranten) 
die  menschliche  Unmöglichkeit  vor  sich,  in  ihrer  jetzi- 
gen Heimath  diesen  Glauben  (den  reinen  lutherischen)  . 
nnverfälscht  zu  behalten,  zu  bekennen'  und  auf  ihre 
Nachkommen  fortzupflanzen.  Sie  sind  daher  von  ih- 
rem Gewissen  gedrängt,  auszuwandern'*  (vgl.  auch  S. 
12).  Es  konnte  unter  diesen  Umständen  von  einem 
evangelischen  Consistorium  pflichtmärsig  nichts  ande- 
res geschehen,  als  in  möglichst  schonender  Weise  die 
betreffenden  Geistlichen  daran  zu  erinnern,  wnxn  sie 
sieh  bei  der  Uebernahme  ihrer  Aemfer  selbst  foier^^ 
lieh  verpflichtet  hatten^  weil  doch  nur  dann,  wenn  die 
lebendigen    Glieder    der    evangelischen    Kirche    den 

105 


835 


I 

Bedenkend  the^tögüeAer  FakuUäien. 


m 


GrQitdsätzeii  und  Lobreo  derselben  |;einäis  uoterridi- 
tet  und  gepflegt  iverden^  sie  in  derselben  sich  heimiBcb 
fühlen  können  und  xu  hoffen  steht,  dafs  das  Uebel 
dds  Separatismus  in  aeiiier  letsteii  Quelle  und  zum 
Heil  der  Kirehe  selbst  werde  gehoben  werden,  wie 
denn  die  Kirchentrennuog  gewifs  nicht  erfolgt  sein 
wü/de,  wenn  die  römische  Kirche  die  Mahnungen  der 
Reformatoren  und  ihrer  Vorläufer,  den  von  ihnen  fest- 
gebalteaeR  dcumeniseben  Grundsätzen  gemäfs  Lehre 
und  Verfassung  der  Kirehe  zu  besseHi,  beachtet  und 
nicht  auf  den  unkatholiischen,  seit  dem  6»  Jahrhundert 
erst  canonisch  festgestellten  und  allmählig  herrschend 
gewordenen,  zum  Theil  auch  zwischen  der  römischen 
und  griechischen  Kirche  streitigen,  Dogmen,  Sitten 
nnd  Anstalten  beharrlich  bestanden  und  so  Diejenigen 
sich  entfremdet  und  endlich  verstofsen  hätte,  welche 
sich  zu  dem  Lchrbegriff  der  apostolisch -katholischen 
Kirche  einuiüthig  und  feierlich  bekannten.  —  Man 
mufs  aber  die  in  vorliegender  Schrift  enthaltenen  Ak« 
tenstück^  die  Schreiben  des  Commissarius,  des  her* 
zogUchen  Consistoriums  und  die  Darstellang  des  Ge« 
beimen  Staats -Ministeriums  {S.  3^  7  f.,  12  f.,  14  f., 
40  f.,  44>  45,  56  f.,  58,  61  ff.,  66  f.,  74)  selbst  lesen, 
um  sich  zu  überzengen,  wie  mild  und  gerecht  das  Ur* 
theil  über  die  Anhänger  und  Gegner  des  Separatis- 
mus, wie  pflichfuiäfsig  ernst  nnd  liebevoll  zugleich, 
wib  kirchlich  weise  im  Allgemeinen  das  Verfahren  der 
Behörden  gewesen  sei.  Das  derVisitationsordnuag  ge- 
mäfs an  den  einen  der  betbeiligten  Pfarrer  von  dem 
Commissarius  unter  dem  30.  October  erlassene,  S.  62  f. 
mitgetbeilte  Schreiben  lautet:  „An  den  Herrn  Pfarrer 
M.  Hochehrw.  zu  P.  Bei  der  am  18.  October  in  P« 
statfgefundenen  Generalvisitation  predigten  Sie  über 
Job.  12,  20 — 26,  und  Ihr  Vortrag  enthielt  manches 
Gute  über  das  thätige  Qnd  praktische  Christentbom, 
auch  in  guter  Anordnuog;  altein  es  fehlte  an  Brschö* 
pfuog  de»  herrlichen  Textes,,  und  in  Absicht  auf  die 
Declamation  haben  Sie  manche  entstellende,  der  Wir- 
kung Ihrer  Lehrvorbr&ge  nachtheilige  Angewohnheit 
ernstlich«!  bekämpfen.  Da  gerade  in  Ihrer  Gemeinde 
der   Keim    zu*  dem   bedauerUchen  .Separatismus   dei 

r 

neuesten  Zeit  aui  verderblichsten  gewuchert  hat,  und 
vietleicbti  noch  nicht  gaos  erstickt  ist,  so  werden  Sie 
gewifs  Ihrerseits  alles  Mögliche  tbun,  um  in  Ihren  öf- 
fentlicben  Reden  sowohl  als  in  der  eigentlichen  Seelen- 
pftvge  der  Gemeinde  und  den  heikbegierigen  HersBen 


den  gannen  Christus  in  seiner  reichen  Gnadenf&Ile  zn 
predigen,  damit  sie  nicht  durch  das  Vermissen  positi- 
ver Wahrheiten  des  Glaubens  veranlafst  werden,  ihre 
Erbauung  anderswo  va  suchen,  und  dann  in  die  trau* 
rigen  Siünpfe  des  Wahnes  und  Aberglaubens  geratheii. 
Hierzu  erflehe  ich  Ihnen  mit  umtsbrüderlicher'  Liebe 
den  Segen  unsers  Herrn."  -—  Ein  anderes  Schreiben 
vom  31.  October  an  den  Geistlichen,  über  dessen  Pre- 
d^-oben  das  ganz  abfällige  Urtheil  einer  theologischea 
Fakultät  mitgetheilt  werden  ist,  beweist,  wie  bemtiit 
der  Herr  Commissarius  gewesen  ist,  die  v&terliehen 
Ermahnungen,  die  er  tu  geben  hatte,  durch  Hervorsn* 
eben  des  Guten,  das  sich  noch  auffinden  Uefs,  zu  mit 
dern.  Es  ist  (nach  S.  66  f.)  folgendes:  „An  den  Hrn. 
Pfarrer  K.  Hochebrw.  zu  N.  Obwohl  in  Ihrer  bei  der 
Generalvisitation  zu  N«  am  23.  October  gebaltenea 
Predigt  einzelne  zweckmftfsige  Erombnungen  und  Leb* 
ren  für  Eltern  vorkamen  und  sich  in  den  Gebetsst^ 
len  eignes  väterliches  GeiÜhl  aussprach,  so  lag  doch 
der  ganze- Vortrag  zu  fem  ab  von  dem  unvei^IetcUkA 
schönen  Texten  als  dafs  er  der  Bestimmung  des  Taget 
hätte  geafigen  können.  Im  ersten  Theile  kansen  dam 
nicht-vorsichtige  Ausdrucke  über  die  Hauptlebre  des 
Evangeliums  „von  dem  seligmachenden  Glauben  an 
Christus'*  und  der  zweite  Theil  zog  den  Zuhörer  all* 
zn  sehr  in  das  Triviale  herab  \  auch  hatte  der  äjifsere 
Vortrag  etwas  Eintöniges  und  Schleppendes.  Bei  des 
in  Ihrer  Gemeinde  vorgekommenen  religiösen  Bewe- 
gungen, denen.  Sie  nicht  zeitig  durch  seelsorgKche 
Tliätigkeit  eutgegcogetrelen  sind^  haben  Sie  g^ir  be- 
sonders darauf  zu  achten,  dafs  in  Ihren  Lehrvertra* 
gen  das  eiapentlicb  christliche  Lehrelement  nicht  zurück* 
gestellt  werde  und  eben  so  oft  vom  Glauben  als  von 
der  Tugend,  eben  so  oft  ven  Christo  dem  Versöhner 
als  voa  Cbristo  dem  Lehrer  und  Vorbilde  die  Rede 
ist;  damit  der  Zuhörer  nicht  bei  Ihnen  vevmisse,  was 
ibtn  anderwärts  mit  begeisterten»  Monde  ans  der  Fftlie 
des  Evangeliums  dargeboten  wird,  oder  gar  auf  des 
Abweg  der  Schwärmerei  nml  des.Aberglanbens  gero- 
f he,  indem  er  falschen  Propheten  folgt.  —  Mit  cllrist* 
lieber  Fürbitte  . . "  An  den  Pfarrer  Gruter  zn  Reust, 
dessen  Kirche  der  CoaunisGarioa  von  ZoMrera  aas 
der  Gemeinde  und  den  umliegenden  Ortschaften,  aneh 
aus  Ronnebnrg,  aufserordenriich  vett  und  dessen  Pm* 
digt  er  textgemäis  und  durchaus  christKdb  geAindea 
hatte  (S.  67  f.),   schrieb   er  unter  demselbe»  Oatmi» 


r 


887 


B9d$nken  iA^lagi§eAer  FaJbuüäUmi 


8S8 


(8.  €8  t)t   ),Die  TOB  IbneB  bei  der  G^nenil Visit atton 
an  2(^.  d.  M«  gebaltencr  Ptedigt  hat  mir  die  Ueberxeu^ 
gneg   gegebeD)   daft   Sie    das    EvaDgoliuui    in    seiner 
Reinheit    nnd  Würde,   ohne  Streitsueht  nnd  Terdatn- 
raeade  Urtheile    verküadigfea,   ond   ich  kann  Sie   nnr 
freandfieh  ermnern^  aof  diesem  Wege  onter  dem  Wahl- 
Sfraoh:    Wahrheit  in  Liebe  I  ferner  fortzugehen,  nie* 
mals   über  dem    Festhalten  an   den    Bachstaben   der 
Lehre  den  Geist  derselben  zii  vergessen,  alle  Abson« 
deraag,  welebe  Feindseligkeit,  gegen  Andersdenkende 
?err&th,  an  vermeiden,  und  insonderheit  den  in  Ihrer 
M&be  entstandenen/religiösen  Bewegungen  therls  selbst 
fem  zu  bleiben,  theils  denselben  nicht  Nahrung  zu  ge« 
beo.    Je  mehr  Sie  Ihrer  ganzen  Gemeinde   sich  als 
Seelsorger  hingeben,  desto  segensreicher  wird  Ihr  Wir* 
kea  sein,    das  ja  ein^  öffentliches  ist  nnd  sein  soll* 
M#gea  Sie  komer  mehr  die  Gnade  des  Herrn  erken» 
aeB)  welche  Sie  in  dem  letzten  Jahr  wunderbar  ge* 
filirt  und  Sie   aus  einem  schweren  Irrtbam,   in  dem 
Sie  gefangen  waren,  errettet  hati    Von  ganzem  Her* 
zea  wönsehe  ich  Ihnen   den  Frieden ,   der  von  -  oben 
kommt,  und  emenerte  Kraft  nnd  Gesundheit  zur  Ar* 
bell  in  dem  Weinberge  des  Herrn,  dessen  Gnade  mit 
Ihaen  sei  allezeit.'^  <—  Nach  dem  Bericht  über  die  in 
Reast  abgehaltene  Visitation  an  das  Consistorium'  t« 
25.   Octobev  hatte  sieh   der   Commissarius   mit  dem 
Pfarrer  Gruber  nach  dem   Gottesdienste   auf  dessen 
Studierstabe  noch  TertrauKcb  über  steine  Verhältnisse 
unterredet  und  Hin  an  die  Pflicht  erinnert,  den  Confir* 
mandeaanterricht,  den  er  in  dem  letzten  Jahre,  „wahr* 
seheinlich  von  seinen  Answanderungaplanen  zerstreut," 
etwas  versäumt  hatte,  vorschriftsmäftig  za  ertheilen, 
was  derselbe  auch  versprochen.     Diesen  Memorialen 
an  die  einzelnen  Geistliehen  entspricht  auch  der  all- 
gemebe  Bericht  des  Hrn.  D.  HeM^kiet  vom  2.  Novbr. 
über  den  Befund  des  kirchlichen  Zastaodes  der  Epho- 
rie  Ronneburg  (S.  71 — 74).     Wie  er  früher  in  seinea 
GeneralvisitatioBsberiehträ    über   die   Ephorie  Eüeu' 
ierg^  KaUa  und  Rödm  den  GeistKchen  in  ihrer  über- 
wiegenden Mshvzalil  hnMichtlicb  ihrer  biblischen  und 
erhaalichen  Predigtweise  nnd  ihres  Amtseifers,  nach 
der  gesehichtlieken   DarsteUung  des  Geh.  Staatsmini- 
ateviums  (S.  6),  ein  sehr  günstiges  Zeugnifs  gegeben 
faatte;.  so  bat  er  auch  in  gedachtem  Conmiissionsbe* 
xidbX  aeine  Zufriedenbeit  mit  der  Mehrzahl  der  Geist- 
lichen auf  das  Bestimmteste  ausgesprochen.    „Die  von 


mir  den  Pfarrern  aufgegebenen  Texte,**  h^mt  es  (S. 
71),  „waren  sümmtlidi  dem  EvaogeKo  des  Johannes 
entnommen  mid  sO'  gewühlt,  dafs  in  den  dariiber  ge- 
haltenen Predigten  webl  ein  Zeugnifs  von  Christo  ab- 
gelegt werden  konnte.  Von  den  meisten  Pfarrern  ist 
diefs  in  genügender,  von  einigefl  in  hervorsteelieader 
Weise  geschehen.  Man  darf  auch  wohl  den  sümmtii- 
chen  Vorträgen  den  biblischen  Charakter  zugestehen, 
und  von  ihnen  rühmen,  dafs  sie  erbaulieben  Inhalts  wa» 
reu ;  nur  sind  die  Kanzelgaben  freilieh  sehr  verschieden, 
nnd  nicht  üb^i^rall  trat  das  Wesentliche  des  Glaubens  an 
Christns'mit  gleicher 'Lebendigkeit  nnd  Stärke  hervor." 
Da  bei  der  Visifation  seine  Aufmerksamkeit  durch 
die  separatistischen  Bewegungen  besonders  in  Anspruch 
genommen  worden  war,  so  aufsert  er  sich  in  dem  Ver- 
laufe seines  Schreibens  über  diese  Erscheinung,  ihre 
Ursachen  und  die  geeignetsten  Gegenmittel ,  wie  es 
auch  die  Wichtigkeit  des  Gegenstandes  erforderte,  am 
ausfuhrlichsten,  und  gewifs  sehr  angemessen.  Gegen 
den  Schinfs  des  Berichts  (S.  74)  spricht  er  nantent- 
lich  den  Wunsch  aus,  „dars  von  allen  Seiten  AHes 
geschehe,  was  weise  Vorsicht  und  Christenpflicht  ge- 
bieten, um  das  fiir  den  AogenWick  beschworene .  Uebel 
nicht  von  Neuem  hervorzurnfen.  In  diesem  Sinne," 
setzt  er-  hinzu,  „müssen  die  noch  vorbandenen  separa- 
tistischen Keime  sorgiUltig  beobachtet,  Emissaire  des 
Auslandes  so  viel  als  möglich  fem  gehalten  werden. 
Die  Pfarrer  in  den  netroffencn  Gemeinden  müafäen:  mit 
begeisterter  Entschiedenheit  das  ganze  Evangelium  Ver- 
kündigen und  in  besonderen  Unterredungen)  di^, Irren- 
den sanft  nnd  nachsichtsvoll  führen ;  die  übrigen  Ge- 
meindegKeder  müssen  nicht  aufhören,  diesefben  als 
Bruder  zu  betrachten,  und  sich  hüten,  dafs  sie  nicht 
durch  Unglauben  nnd  Leichtsinn  ihnen  Adstofs  geben. 
Von  dem  Pfarrer  Gruber  ist  -zu  erwarten,  dafs  er,  nach 
seiner  dem  Herzogl.  Consistorio  vorgelegten  Erklüp* 
mng,  Alles  rermeiden.  werde,  was  neue  ßpaltung  be- 
wirken könnte,  namentlich  dafs  er,  seiner  ganzen  Ge- 
meinde seine  Thätigkeit  zuwendend,  an  andere  Geist- 
Kchen sich  anscbliefsen  werde,  um  die  Einseitigkeit  und 
Schärfe  aus  seiner  Glaubens-  und  Lebensansicbt  zu 
verbannen.**  -^  Ans  diesem  Bericht  des  Commissarius 
und  dessen  Beilagen  wurden  nun  dem  Geschäftsgänge 
gemäfs  (S.  61)  die  zur  Berathung  im  Consistorium 
geeigneten  Punkte  durch  den  Präsidenten  ausgezeich- 
aet,  und  das  Resultat  der  darüber  von  dem  Collegitym 


Bedenken  the^logucher  FakuliMen* 


839 

gepflogenen  BerathBQgeii  waren,  biasiobtlich  des  frag- 
liehen  Gegenstandes,  zunächst  3  Special -Rescripte 
an  die  Epborie  Ronneburg,  betreffend  die  Pfarrer  in 
Paitzdorf,'  Nischwitz  und  Reust,  und  dann  eine  allge- 
meine, die  persönlichen  Leistungen  der  Eiuzelnen  nicht 
berührende,  Verfügung  in  dem  bekannten  Circular-Re- 
script  y.  13.  Nov.,  worin  die  Geistlichen  und  Lehrer, 
nach  ausdrücklicher  Bezeici;ung  der  Zufriedenheit  mit 
den  Leistungen  „mehrerer  Pfarrer"  und  „eines  grofsen 
Theil?  der  Sohullehrer,''  ermahnt  werden,  neben  den 
allgemeinen  religiösen  Wahrheiten  von  den  Eigenschaf- 
ten Gottes,  von  der  Vorsehung,  von  dem  Beispiel  Jesu 
Christi ,  von  der  Unsterblichkeit  der  Seele  und  dem 
Wiedersehen  nach  dem  Tode,  oder  von  den  einzelnen 
Pilichtgeboten  €nic/i  die  -^  dem  Christentbum  cigen- 
tbüinlichen  Grund-  und  Kernlehren  —  von  Vater,  Sohn 
und  Geist,  von  dem  sündlichen  Verderben  des  Men- 
schen, von  der  freien  Gnade  Gottes  in  Christo  Jesu, 
von  Jesu  göttlicher  .Natur  und  Wirksamkeit,  von  sei- 
uem  Mittler-  und  Versöhnungstode,  von  der  Gerechtig- 
keit, die  aus  dem  Glaubten  kommt,  von  der  Unzuläng- 
lichkeit unserer  Werke  zur  Seligkeit,  von  der  Aufer- 
stehung und  dem  jüngsten  Gericht,  von  Himmel  und 
Hölle  nicht  minder  mit  Nachdruck  zu  lehren  und  ans 
Herz  zu  legen,  damit  die  im  kirchlichen  Glauben  erzo- 
genen und  nach  den  eigentlichen  evungelisqhen  Er- 
weckungen  und  Tröstungen,  wie  sie  dieselben  in  dem 
Katechismusunterricht  ihrer  Jugend  kennen  gelernt  und 
in  den  altern  Liedern  des  Gesadgsbuchs  ausgesprochen 
finden,  verlangenden  Gemeindeglieder  nicht  veranlafst 
werden  möchten,  sich  an  fremde  Geistliche  zu  wenden, 
wenti  sie  die  ihnen  theuren  Grundlehrcn  des  Christen- 
thums'in  den  öffentlichen  Vortrügen  und  im  Beicht- 
stuhl bei  ihren  Predigern  vermifsteu.  Das  hie  und  da 
bemerkte  Vage,  -  Unbestiqimte,  Zerflicrsende  in  dem 
Ausdruck  der  letztgenannten  Hauptlehren,  eine  unver- 
kennbare Frucht  der  im  vorigen  Jahrhundert  vorzugs- 
weise begünstigten,  in  ihrer  Wohlthätigk^it  von  dem 
Consistorium  gar  nicht  verkannten,  aber  im  Uebermafs 
leicht  zur  Unkirchlichkeit  führenden  Verstandesbildung, 
müsse  auf  allen  Kanzeln  und  Lehrstühlen  wieder  ei- 
nem festern  Glauben,  einer  bewufstvolteren  Entschie- 
denheit, einer  freudigem  Begeisterung  Raum  geben, 
wenn  nicht  ähnliebe  Erscheinungen,  als  die  bemerkten, 
sich  zeigen  und   die  Kirche  zerrütten  sollten.    Dieser 


^0 


Glaube  aber  dürfe  die  Liebe  jiioht  verleiigneB,  X\^w^ 
Entschiedenheit  nicht  zur  Trennung  npd  .Absonderung 
führen,  diese  Begeisterung  nicht  in  Schwärmerei  aus- 
arten,  und  werde  es  nicht,  wenn  eben  keinerlei  mensch« 
liehe  Rücksicht  obwalte  und  Cbrii^tas  der  Herr  Allen 
Alles  sei.'^  —   Zur  Verhütung  einer  Mifsdentung. die- 
ser väterlich    ernsten  ErniahDung  und   zur  Milderung  . 
derselben  wird  noch  ausdrücklich  bemerkt:  „Wir  wol- 
len Uns  hiebei  nicht  auf  eine  Untersuchung  einlassen, 
inwiefern  in  dieser  Hinsicht  von  einzelnen  Pfarrern  (md 
Schullehrern  des  Herzogthums  gefehlt  worden  ist,  abef 
Wir  müssen  ea  Allen   nach  den  statt  gehabten  Vo^ 
gangen  für  die   Zukunft  zur  eigentlichen   Gewissens^ 
pflicht  machen,  in  ihren  amtlichen  Vorträgen,  ungebun- 
den durch  irgend  einen  Geist  der.  Zeit  und  uubeherrsobt 
durch  irgend  ein  Anschn  der  Person,  das  gqnxe^  un- 
getheilte  Evangelium    zu   predigen.    Es   bändelt  sich 
hier 'gar  nicht  darum,   dafs  im  populären  Vortrag  der 
Bucbstabe  irgend  einer  menschlichen  Dogmatik  oder 
jene  dialektische  Schärfe,  mit  welcher  manche  theolo- 
gische Bestimmungen  und  Begriffe  in  den  Bekeniatnir«- 
Schriften    unserer  Kirche  entwickelt    werden«   hervor- 
trete."  •—  Zunächst  durch  die  Visitation  der  Ephorie 
Ronaeburg  veranlafst,  wurde  das  Rescript  auch,  wie 
es  bei  allgemeinen  Erlassen  der  weltliehen  und  geistli*- 
oben   Behörden    sehr   gewöhnlich    und    an   sich  ganz 
zweckmäfsig  ist,  zunächst  an  diese  gerichtet;  da  aber 
der  Inhalt  für  die  Geistlichkeit  des  ganzen  Landes-- 
und  wir  dürfen  wohl  sagen,  nicht  blos  des  Herzogthums 
Altenburg  —  beherzigenswerth  schien ,    so    wurde  es 
zugleich  in  einer  hinreichenden  Zahl  gedruckter  Exem- 
plare den  übrigen  Epborien  zugefertigt,  damit,  wie  es 
die  Bestimmung  solcher  durch  specielle  Wahrnehmun- 
gen veranlafsten  Generalien  nur  sein  kann^  ein  jeder 
das  Heilsanie  für  sich  daraus  entnehmen  möchte.    Be- 
sorgen durfte  die  obere  Kjrcbenbehörde  nicht,  mit  ei- 
nem  durch  ernste  Ereignisse  veranlafsten  Memeriale 
dem   Gewissen  der  Geistlichen  und  ScbuUehrer  oder 
ihrer  Ehre  zu  uah^e  zu  treten,  besonders  da  sie  auch  aiebt 
voraussetzen  konnte^   dafs  von  diesem  Rescripte  sieb 
Fiele  getroffen  fühlen  würden,  weil,  wie  in  dem  Schrei- 
ben des  Geheimen  Staats-Ministerinms  ausdrücklich  be- 
merkt ist,   „die  meisten  sehr  günstige  und  belobende 
Memorialien  von  allen  drei  Commissarien  des  Consislo- 
riums  bekommen  hatten''  (S.  131.). 


(Die  Fortsetzung,  folgt.) 


•    > 


Jff  106. 

J  ahrbfich 


e  r 


für 


wis^ienschaftliche    Kritik. 


Deceniber  1839. 


Bedenken  der  theologiechen  Fakultäten  der  Lanr 
desMweereität  Jena  und  der  Unwereitäten  zu 
Berlin  j  Oöttingen  und  Heidelberg  y  über  das 
Rescript  des  Herzoglichen  Conmtoriums  zu 
Altenburg  rom  13.  Nov.  183S.  u.  8.  tv. 

(ForftetzuDg.) 

Gewifs  ist  diefs  auch  nicht  der  Fall  gewesen,  wie 
aus  mebrseiHgen  Erklärungen  hervorgeht,  zuletzt  noch 
aas  den  ^^Gedanken  einet  alten  Pfarrers  über  die 
Kampfe  wider  das  Herzoglich  Saehsen-Altenburgi- 
sehe  Censisterial  ^  Rescript.^*  Altenburg,  1839.  8. 
Man  darf  Yielteicbt  annehmen,  dafs  das  Resoript  mit 
einem  sdncr  Bestimmung  ganz  eotsprechonden«  Sinne 
Ton  der  Mehrzahl  der  Empfänger,  die  ja  ans  Erfah- 
rung witeen  mufsten,  wessen 'sie  sich  von  ihrer  Ober- 
behdrde  zu  yersehen  hatten,  werde  aufgenommen  wor- 
den sein,  wie  es  denn  auch  jedenfalls  bei  allen  Wohl- 
denkenden nach  reiflicher  Erwägung  der  Verhältnisse 
seinem  Zwecke  entsprechen  wird.  Aufser  Wenigen, 
die  sich  in  ihrem  Gewissen  getrofl^en  fühlen  mochten, 
konnten  sieb»  bei  etwaiger  Unbekanntschaft  mit  der 
Lage  der  Dinge,  nur  dann  erst  die  Geistlichen  des  Uer- 
sogthoms  verletzt  fühlen,  als  das  fiir  das  Publikum 
gar  nicht  bestimmte  Rescript  durch  Unberufene  in  po- 
litischen und  kirchlichen  Zeitungen  nicht  blos  bekannt 
gemacht,  sondern  mit  Bemerkungen  begleitet  wurde, 
nach  denen  es  als  öffentlicher  Tadel  der  bisherigen 
Predigtweise  der  ganzen  Geistlichkeit  dargestellt  und 
wodurch  der  Wahn  erzeugt  wurde,  „als  würde  etjiras 
ganz  Neues,  verlangt"  (S.  14)  und  die  gesetzliehe  Glau- 
bens« und  Lebrfreiheit  bedrohet,  welche  wir  der  evan- 
gelisehen  Reformation  verdanken. 

Jetzt  erhoben  sich  in^  öffentlichen  Blättern  und 
Flngschrifiten  laute  Klagen  über  das  kränkende  und 
rerletzende  Rescript,  über  die  Gefahren  für  Gewissens- 
und Lebrfreiheit  u.  dgl.    Besondere  Aufmerksamkeit 

Jahrh,  f.  vpuuMch.  Kritik. ,  /.  1839/  H.  Bd. 


fand  die  zwar  in  gi^reizter  Stimmung,  aber  doch  in 
mildem  Sinne  abgefafste  Schrift  des  Archidiak.  Klöt»* 
ner  in  Altenburg:  Beitrag  zur  Ehrenrettung  einer 
verunglimpftsn  ehrisil.  Glaubens*  und  Predigtweise. 
Eine  offene  Erklärung,  veraulafst  durch  einen  Artikel 
in  der  (Rheinwald'schen)  Berliner  allg.  Kirchenz.  über 
ein  hohes  Rescr.  des  Herzogl.  Consist.  zu  Altenb.  be- 
treffend die  kirchl.  Zustände  des  Herzogth.,  von  einem 
Prediger  Altenburg^s^  im  Auftrage  Mehrerer  und  im 
Sinne  Vieler  seinem  Amtsbrüder.  Leipz.  1838.  60  S. 
8.  —  und  dann  der  Brief  eines  berühmten  Veteranen, 
worin  unbegreiflicher  Weise  das  Rescripf  des  Landes- 
Consistoriums  als  Erlafs  des  Commissarius  angegriffen 
wird:  „Au  den  Hrn«  Consistorialrath  und  Generalsu- 
perintendenten  Dr.  ffesekiel  ih  Altenburg  der  Dr.  Ja^ 
näthan  Sehuderoffxxi  Ronneburg  über /das  an  die  ge- 
sammte  Prediger-  und  Schullehrerschnft  des  Uorzog- 
thums  AKenburg  erlassene  Consistorial-Resbript  vom  13. 
Nov.  1838."  Leipz.  1839.  44  S.  8.  ^  Dazu  kamen 
einige  namenlose  BroBcbüren:  ^^Sendschreiben  und 
Trostbritf  au  die  Geistlichkeit  der  Ephorie  Ronne- 
burg.'* —  Zürich  1839.  32  S.  8.  (angeblich  von  einem 
Nachbar)  und  „  Ueber  Altes  und  Neues  in  der  luthe- 
risch-protestantischen Kirche  u.  s.w.  von  einem  Säch- 
sischen Geistlichen."  Altenburg,  1839.  8.  Schon  wie 
von  der  zuerst  genannten  Schrift  ab,  die  rücksichtlich 
des  Cottsistoriums  durch  ihren  Ton  fast  durchgängig 
sich  rühmlich  auszeichnet,  so  wurde  in  den  übrigen, 
wie  in  zahllosen  Zeitungsartikeln,  von  Glaubenszvang 
gesprochen,  als  Tendenz  des  Rescripts  bezeichnet,  „ein 
längst  verschollenes  Glaubens-  und  Lehrsystem  wie- 
der geltend  machen  zu  wollen,''  und  die  Bekenner  des 
kirchlichen  Glaubens  wurden  genannt :  „Pietisten,  Gläu- 
bige, Heilige,  Frömmler,  Lanimsbrüder"  u.  dgl«  —  Wollte 
man  von  diesen  Apologeten  der  Altenburgschen  Geist- 
lichkeit auf  den  kirchlichen  Charakter  der  von  ihnen 
vertbeidigten  Amtsbrüder  scbliefsen,  so  würde  nichts 

166 


843 


Bedenken  iheelogieeker  FahtltSUn. 


natörlicber  erscheinen^  als  die  Entfreniflung  und  Abse»* 
deniug  einselner  Individuen  und  Familien  von  ihiien) 
ihre  Vereinigung  xu  Privaterbaüungen  aus  solchen  Bfl- 
ehern,  in  ^enen  sie  Stärkung  ihres  Glaubens,  Trost 
and  Erhebang  fanden  9  ihr  Suchen  und  Fragen  nach 
solchen  Geistlichen,  die  im  Glauben  der  >  evangelischen 
Kirche  ihr  Amt  verwalten,  und  wenn  sie  solche  gefun- 
den, ihr  Anschliersen  an  sie  und  ihre  Geneigtheit,  ihnen 
selbst  in  eine  ferne  Fremde  zu  folgen,  wenn  diese  nach 
ihren  Schilderungen .  volle  Befriedigung  der  beiligsten 
und  tiefsten  Bedürfnisse  verbiefs.  Wer  läfst  sich  denn 
gern  von  denen,  die  den  Beruf  haben  zu  erbauen,  um 
seines  Glaubens  willen,  Frötoimler,  Pietist  u.  s.  w.  schmft- 
ben?  Nach  der  Darstellung  jener  Apologeten,  auch  des 
Archidiak.  Klbtxner  (8.  3  ff.  11  f.  14.  u.  ö.)  und  Dr. 
Schuder^jgr  (S.  41  f.  vgl.  15  f.  u.  34  f.),  sollen  aber 
sogar  die  Geistlichen  des  Herzbgthums  insgesammt, 
mit  sehr  wenigen  Ansoabmen^  auf  demeetten  theologi- 
eeben  Standpunkte  stehen  I 

Das  Consistorium  und  sein  Commissarius  hatten 
jedoch  in  ihren  Erlassen  die  Mehrzahl  von  „einigen 
Predigern"  ausgenommen,  und  auch  in  den  Leistnn- 
gen  dieser  das  Lobenswerthe  hervorgehoben  und  nur 
daran  ertanert,  was  vermifst  worden  war  oder  anders 
werden  sollte,  und  hatten  diefs  in  einem  so  milden 
Tone  getban,  wie  nur  immer  Oberbehörden  es  thun 
kllnnen.  Dafs  ^iese  Behörde  gegen  die  öffentlichen 
Angriffe,  -  die'  deshalb  auf  dieselbe  .  bald  in  mehreren 
rielgelesenen  Blättern  gemacht  wurden,  namentlich 
jene  Beschuldigung,  die  Grenzen  ihrer  Befugnifs  über* 
schritten  zu  haben  und  eine  unevangelische  Repristi« 
nation  zu  erzielen,  schwieg,  das  forderte  eben  so  ihre 
Würde,  wie  sie  die  Kraft  dazu  in  dem  BewuTstsein 
ihres  guten  Rechts  finden  mufste;  nur  dafs  die  Ein- 
sendung eines  Artikels  in  Nr.  1.  der,  Berliner  Allg. 
Kirchenzeitung  d.  J.,  dessen  Verf.  die  Miene  annahm^ 
als  stehe  er  im  Vertrauen  des  Consistoriums,  weder 
von  diesem,  noch  von  einem  einzelnen  Mitgliede  des- 
selben veranlafst  worden  sei,  wurde  vom  Redakteur 
(Dr.  Rbeinwald)  in. einer  spätem  Nummer  seiner  Zei- 
tung bezeugt,  und  noch  später  wurde  durch  neue  Mit- 
theilungen in  Nr.  35.  und  36.  derselben  Zeitung  eine 
iPerhorrescenz- Erklärung  vom  13.  Mai  Seitens  des 
Herrn  Consistorial -Präsidenten  veranlafst. 

Da  in  mehreren  politischen  Zeitungen  der  C&a* 
rakter  dee  CemUtoriumi  ieliet  angegriffen  werden 


844 

war;  so  wäUte  das  Herzog!.  Sachs.  Geheime  Btsats* 
Ministerium,  mit  höchster  landesherrlicher  Ermäohtt> 
gung,  sehr  weise  einen  Weg,  der  zu  einem  völlig  un* 
part  heiischen  Urtheil  fuhren  möchte,  indem  es  die  vier 
aaf  dem  Titel  der  vorliegenden  Schrift  genannten 
theologischen  Fakultäten  um  pflichtmäfsige  Bedenkea 
ersuchte  und  ihnen  namentlich  drei  Fragen  vorlegte 
(S.  21): 

1)  Trifft  das  Consistorialrescript  vom  13.  November 

1838  mit  Recht  der  Tadel,   dafs  setne  Ferderong 

dem  Gewissen  der  Landesgeiatlicbkeit  au  mihe  trete! 

i\  Ist  die  Tendenz  des  Consistoriums,  wie  sie  aoi 

den  Beilagen  dieses  Aufsatzes  (der  geschichtliehea 

Darstellung)  hervorgeht,    eine   dem  Pflichtenkreise 

und   der   Stellung   dieses  CoUegiums   angemesfieoe 

oder  nicht! 

3)  Ist  der  vom  Herrn  Arobidiak.  Kl6tzner  eiageschlap 

gene  Weg  zar  vermemtlich  notbwoBdigen  Abwehr 

vorausgesetzter  Angriffe  gegen  die  Geistlichkeit  as 

sich  und  unter  den  angegebenen    obwaltenden  be» 

sondern  Umständen  f&r  angemessen  zu  aebtelif  aii4 

was  ist  von  der  Schrift  desselben  nach  lobalt  oad 

Form  zu  ürtheilenl 

Die  erete  dieser  Fragen   wird  von  allen  Fakaltätea 

entschieden   yerneint   und  ausdrücklich   erklärt,  dafi 

von  «ner  Verletzung  des  Gewissens  der  Geistlichkeit 

nicht  die  Rede  sein  kdnne.  -^    Nur  die  Heidetberget 

Fakultät  wirft  (S.  167)  die  Frage  auf,   wie  —  uoge* 

achtet  „der  unzweideutigsten  Sinnes-  und  Ausdrucks^ 

weise''  des  Rescripts  in  „der  wichtigsten  Stelle"  de» 

selben,  wo  yon  den  Grund«-  und  Kemlebren  des  Cbri- 

stentbums  die  Rede  ist  (S.  164)  — -  doch   aueh  „bei 

ehrenwerthen  Männern   das  Rescript  anfänglich   des 

Eindruck  habe  machen  kdnnen,  dafs  es  die  Freiheit 

der  Gewissen  bedrohe,''  und  findet  die  Antwort  sa- 

nächst  in  der  Schwierigkeit,  welche  das  Consistorinm 

bei  der  Losung  seiher  Antgabe  hatte*    „Wie  es  anek 

immer  sehie  Worte  mit  Vorbedacht  abwägrä  inodite^ 

sobald  es  doch  deutlich  sagen  wollte,   wdMi  es  Pflieiit 

und  Gewissen  drängten,  so  konnte  immer  der  Sebeia 

entstehen,  als  wollte  es  sich  der  WiedereiafSiirttng  e^ 

nes  symbolischen  Lehrzwangea  wenigstens  nahem  and 

jede  mit  den  Bekenntnifsschriftea  der  evangeliseh-lo- 

therischen  Kirche  dissonirende  Auffassung  der  oiuisl* 

liehen  Lehre  von  den  Kanzeln  proscribircn.    Es  hrt 

durch  die  Wahl  sdiner  Auadrficke  siohtlieh  jeder  96V 


846 


Bedenken  iheehgimfher  Fakuliiten* 


846 


ehea  Dentmig  ronvbragea  gestrebt  ^  eo  soi^f&hig, 
dafli  ee  sich  dadardi  tod  einer  andern  Seite  her  den 
Vorwurf  der  Unentsohiedenbeit  in  seinem  ebristliehen 
Bekenntnirs  wird  sngezo§;en  baben ;  allein  die  Möglieb» 
keit  stt  Betorgttiesen  blieb  fiir  die  Aengstlichen  jeden- 
fldla  immer  noeb  übrig.'*  Dann  wird  an  die  unbedaobte 
Weise  erinnert,  in  weleber  das  für  das  Publikum  gar 
niebt  bestimmte  Reseript  gleicb  anfangs  durcb  einen 
ttnbemfenen  Zeihrngsrefereaten  in  ein  verkehrtes  Licht 
gestelk  worden  ist,  und  zuletst*  (S.  169)  noch  der 
Wunsch  ausgesprochen,  „dafs  dem  Terehrlichen  Re»> 
•eripte  eine  weniger  der  Mifsdeotung  ausgesetzte  Fas- 
sung möchte  gegeben  worden  sein:  eine  solche  nftm- 
lieh,  nach  der  das  helle  Licht  der  freien  Grundgesin- 
nnng  des  bochwnrdigen  Collegiums  nach  allen  Seiten 
hin  erleuchtend  und  verständigend  sich  rerbreitet  hätte. 
Dadurch  würde  von  vorn  herein  der  verderblichen  Wir- 
kung des  falschen  Interpreten  in  der  Berliner  Kirchen- 
fteitung  vorgebeugt  worden  sein/*  Wir  fürchten  sehr, 
ob  unter  den  obwaltenden,  sehr  richtig  bezeichneten, 
schwierigen  Verhältnissen  irgend  eine  Fassung  würde 
haben  ausfindig  gemacht  werden  können,  nm  solche 
Mifsdeotnog  zu  verhüten,  und  stimmen  hier  gans  mit 
den  übrigen  Fakultäten,  zumal,  woran  namentlich  in 
dem  Berliner  Gutachten  erinnert  wird,  die  Behörde  nicht 
im  Mindesten  etwas  Neues  von  der  Geistlichkeit  ver- 
langt hat,  sondern  nur  da$^  %üO%u  eich  alle  Oeietii^ 
eJksH  des  Landes  bei  der  Uebernabme  ihrer  Aemter 
Jreiwillig  uud  auf  das  Bestimmteste  verpflichtet  ha* 
§en^  während,  wie  Hr.  Klötzner  selbst  in  seiner  Sehr« 
(S.  21)  zugesteht,  die  Behörde  ^^nur  leue  andeutet, 
dafs  sie  mit  dem  Verhalten  einzelner  Oeistfiehen  in 
dieser  Angelegenheit  nicht  ganz  zufrieden  war.** 

Damit  ist  denn  nun  aber  auch  schon  die  zweite 
Ton  dem  H.  Geheimen  Staats- Ministerium  vorgelegte 
Frage  beantwortet.  Auch  wird  diese  Frage,  wie  sich 
erwarten  liefe,  was  das  Wesentliche  betrilTt,  von  allen 
4  Fakultäten  bejahet  und  von  den  Berliner  Theologen 
wird  nach  einer  das  Urtbeil  gründlich  motivirenden, 
trelFlichen  Darlegung  (S.  103  —  114)  ditfs  Verhalten 
des  Consistoriums  und  seines  Commissarius  in  mehr- 
facher Beziehung  als  mutterhaft  bezeichnet.  Die  übri- 
gen 3  Fakultäten,  welche  gegen  die  Form  des  Ver- 
fahrens überhaupt  oder  des  fraglichen  Rescripts  insbe« 
sondere  Einiges  ezdpiren,  erklären  gleichfalls  einmü- 
thigy  „dafs  das  Herzogliche  Consistorium  seinen  Pflich- 


tenkreis nicht  nur  nicht  überschritten,  sondern  eine 
l^en^ens  kund  gegeben  hai>e,  die  von  seiner  Stellung 
recht  eigentlich  geboten  war.**  —  Worte  des  Heidel- 
berger Gutachtens  (S.  169).  —  Die  Jenaer  Fakultät 
sagt  (S.  80):  „DeberhjEiupt  machen  die  vorliegende 
Verhandlungen  des  Consistoriums  und  seiner  einzelnen 
Mitglieder  den  wohlthuenden  Eindruck,  daCs  selbige 
Behörde,  an  die  höhere  Richtung  unsere  Zeitalters 
angeschlossen,  im  tbeilweisen  Gegensatze  der  blos  ver^ 
ständigen,  von  der  Vorzeit  und  von  der  Kirehe  abge- 
wandten Auffassung  des  Christentbums,  es  sich  ange- 
legen sein  läfat,  auch  der  Fülle  des  christlichen  Ge^ 
filUs,  der  Pietät  für  den  Glauben  unserer  Väter  und 
dem  kirchlichen  Gemeinsinne  wieder  zu  ihrem  Rechte 
zu  verhelfen,  und  zwar  durch  die  allein  zuständigen 
Mittel  der  Lichre  und  Ermahnung^  ohne  die  theuer 
erkauften  Rechte  der  Geiste^freiheü  und  Wueete- 
echaft  zu  verkennen.  Was  sodann  das  Consisterial- 
Reseript  vom  13.  Nov.  betrifft,  eo  stellt  ee  eich  dar 
ale  aus  demselben  Geiste  hervorgegangen^  und  seine 
Tendenz  verdient  die  Achtung  oller  ernsthaft  Christ^ 
lieh  Gesinnten.''  —  Die  Göttinger  Fakultät  antwor^ 
tet  (S.  154  f.):  „Die  Thätigkeit,  welche ^as  Consisto- 
rium  und  dessen  Commissarius  in  Beziehung  auf  den 
hervorgetretenen  Separatismus  entwickelten,  ist,  soweit 
sie  sich  aus  den  uns  mitgetbeilten  Aktenstüeken  erken- 
nen läfst,  dem  P/Uehtenkreise  und  der  Stellung  die- 
ses  Collegii  als  völlig  angemessen  zu  achten,  -*-  — > 
Auch  die  Erlassimg  einer  Instruction  an  die  Prediger, 
des  Landes,  wie  das  Reseript  vom  13.  Nov.  eine  sol- 
che sein  soll,  war  durch  die  Verbältnisse  allerdings 
räthlicb  gemacht  und  dem  Consistorio  zuständig:  und 
wenn  diesem  Rescripte  insbesondere  in  den  laut  gewor- 
denen Klagen  die  Tendenz  beigelegt  wird,  eine  beson* 
dere  theologische  Richtung  aussohliefslicb  zu  begünstig 
gen;  so  ist  diese  Tendenz  nicht  aus  den  directen 
Erklärungen  des  Bescripts  zu  entnehmen^  sondern 
wird  nur  durch  Cembinationen  erschlossen  ^  deren 
Richtigkeit  för  erwiesen  xu  halten^  und  darauf  hin 
ein  achtbares  Collegmm  zu  beschuldigen^  wit  keine 
Veranlassung  finden.^  — 

Was  nun  die  Erinnerungen  dieser  3  Fakultäten 
gegen  die  Form  und  Ausführung  der  speeiellen  Erlasse 
oder  des  Circular-Rescripts  betrifft,  so  müssen  wir  auf 
die  einzelnen  Gutachten  in  vorliegender  Schrift  selbst 
verweisen,  weil  der  Raum  eme  ausführliche,  prüfende 


847 


Bedenken  theologiecher  Fakultäten. 


848 


Darlegung  nicht  gestattet.  Der  unterzeichnete,  nfiit 
der  Beortheilung  dieser  höchst  interessanten  Erschei- 
nang  beauftragte  Rec,  der  an  der  Fonn  des  fraglichen 
^  Circulare  und  dem  durch  die  Umstände  sehr  natürlich 
yeranlafsten )  wie  durch  den  Usus  dargebotenen  uad 
empfohlenen  Modus  procedendi  —  dafs  nämlich  ein 
zunächst  an  Eine  Ephorie  erlassenes  Rescript  auch 
allen  übrigen  mitgetheilt  worden  ist,  wodurch  es  den 
Charakter  eines  Generale  erhalten  hat  —  mit  einigen 
Fakultäten  nichts  Wesentliches  auszusetzen  findet, 
würde  doch  mit  der  Oöttinger  ¥9Lk\j\Vki  (S.  155  f.)  es 
auch  für  rathsam  erachtet  haben,  an  die  Geistlichen 
und  Schullehrer  nicht  ein  und  dieselbe  y  sondern  be- 
soiidere  Rescripte  zu  erlassen,  so  wünschenswerth  es 
auch  ist  —  was  wahrscheinlich  das  Herzogliche  Con- 
sistorium  auch  intendirt  —  dafs  die  Lehrer  in  Kirchen 
und  Schulen  wieder  mehr  in  Einem  Geiste  arbeiten, 
als  es  in  neuerer  Zeit  yieler  Orten  sich  zeigt.  Wer 
aber  den  Drang  der  Umstände  aus  Erfahrung  kennt, 
in  denen  solche  Erlasse  abgefafst  uäd  entscheidende 
Mafsregeln  ergriffen  werden  müssen,  wird  die  Pflicht 
der  Billigkeit,  im  Urtheil  fühlen  und  wohl  auch  sich 
selbst  fragen,  ob  er  in  ähnlicher  Lage  es  würde  bes- 
ser gemacht  haben,  auch  bedenken,  dafs  eine  nähere 
Kenntnifs  der  örtliphen  Verhältnisse,  wie  der  Perso- 
nen, auf  die  Fassung  der  Rescripte  und  den  Gang  der 
Geschäfte  natürlich  und  nothwendig  einen  bestimmen- 
den Einflufs  übto  So  findet  Rec.  bei  seiner  Unbekannt- 
schaft mit  den  indiTiiiuellen  Verhältnissen  das  Rescript 
T^  2.  Octob.  (Beil.  Vlll.  S.  52  f.),  betreffend  das  form- 
lose Schreiben  (Beil.  VIL)  und  ordnungswidrige  Ver- 
halten des  Pfarrer  K.,  etwas  hart,  in  Berücksichtigung 
der  Unbekanntschaft  vieler,  namentlich  jüngerer,  evan- 
gelischer Geistlichen  mit  solcheo  Verhandlungen,  zum 
Tbeil  in  Folge  des  gänzlichen  Mangels  an  aller  Unter- 
weisung und  Vorübung  der  studirenden  Theologen  für 
das  geistliche  Geschäftsleben,  so.  dafs  sie  erst  im  Amte 
selbst  durch  Studium  der  Akten,  die  sie  oft  genug 
uicht  in  Torbildlicher  Fassung  vorfinden,  oder  durch 
eigene  Praxis,  und  dann  natürlich  nicht  ohne  allerlei 
Mifsgriffe,  einigermafsen  damit  bekannt  werden  müs- 
sen. Eine  kurze  Anweisung  für  das  geistliche  Ge- 
schäftsleben in  Verbindung  mit  einigen  Uebuogen,  wel- 
che mit  den  academischen  Vorträgen  über  die  prakti- 
schen theologischen  Disciplinen  verbunden,  oder  in  den 

(Der  BeschlafB   folgt.) 


praktischen  Seminarien  gegeben  werden  könnte,  dürifte 
wohl  unsern  künftigen  Geistlichen  seblr  nützlich  wer- 
den, wie  sie  auch  den  katholischen  Studirenden  auf 
mehreren  Universitäten  längst  ertheilt  wird.  —  VVas 
Rec.  hervorgehoben  hat,  ist  aber  auch  Alles,  was'  er 
in  dem  preiswürdigen  Verfahren  des  Herzog!.  Consisto* 
riums,  für  welchea  die  vorliegenden  Aktenstücke  spriv 
chende  Zeugnisse  sind,  seiner  subjectiven  Ansicht  und 
seinem  Gefühl  nicht  ganz  entsprechend  gefunden  hat.«  — 
Auch  die  Jenaer  Fakultät,  deren  allgemeines,  aner- 
kennendes Urtheil  wir  bereits  mitgetheilt  haben,  wel- 
che aber  1)  eine  „Aufzählung  der  einzelnen  Grund* 
und  Kernlehren,  die  mit  nicht  minderm  Nachdruck  als 
andere  gleichfalls  aufgezählte  getrieben  werden  sollen^ 
nicht  durchaus  billigt*'  (S.  80  f.);  2)  einen,  von  den 
Berliner  Theologen  picht  wahrgenommenen,  ^ySchein 
von  Partheilichkeit"  gegen  die  eine  der  einander  bekäm- 
pfenden religiösen,  Richtniigen  bemerklich  za  machen 
sucht  (S.  81  f.  vgl.  auch  S.  156.  157  f.  u.  172  in  den 
Bedenken  der  Göttiuger  und  Heidelberger  Fak.),  und 
3)  den  Wunsch  äufsert,  es  möchte  das  Rescripjt  nicht 
an  die  Ephorie  Ronneburg  erlassen,  zugleich  aber  auch 
au  sämmtliche  Pfarrer  und  SchuUehrcr  des  Herzog- 
thums  in  gedruckter  Abschrift  versandt,  sondern  so- 
gleich als  eine  allgemeine  Betrachtung  und  Mahnung, 
wo  möglich  in  Form  eines  Hirtenbriefs;  an  die  ge- 
sammte  Landesgeistlichkeit  ergangen  sein  (S.  89 — 91. 
vgl.  auch  das  Göttinger  Gutachten  S.  155  und  das  Hei- 
delberger S.  171,  dagegen  aber  das  Berliner  S.  113),  — 
auch  jene  Fakultät  der  Landesuniversität  schliefst  ihr 
Gutachten  in  Bezug  auf  die  zweite  Frage  (S.  92); 
„Konnten  wir  hiernach  nicht' umhin,  gegen  ein  geehr- 
tes und  hefreundetes  Collegium  auch  cmige  Bedenken 
auszusprechen,  sb  ist  doch  nicht  zu  übersehen,  dafs 
jene  Uebelstände  erst  durch  die  Mifsdeutung  iihd  den 
Mifsbrauch  in  den  bekannten  Zeitungsartikeln  zu  Tage 
gekommen  sind,  während  eine  Behörde,  welche  an  eine 
väterliche  Verwaltung  gewöhnt  ist,  gerade  in  der  Un- 
befangenlieit  ihres  guten  Willens  leicht  einmal  gewiEiße 
vorsichtige  Formen  übersieht,  deren  Wichtigkeit  sich 
dann  erst  ^urch  zufällig  hinzugetretene  Umstände  für 
die  spätere  .Betrachtung  herausstellt."  Und  ähnlich 
urtheilt  die  GoUinger  (S.  158)  und  die  Heidelberger 
Fakultät  (S.  172  f. 


Jl?  167. 

Jahrbuch 


e  r 


für 


VIT  i  s  8  e  n  s  c  ha  ftliche    Kritik 


December  1839» 


Bedenken  der,  theohgigchen  Fakultäten  der  Lan^ 
desumverjüät  Jena  und  der  Unteenitäten  zu 
Berlin  j  Oöttingen  und  Heidelbergs  über  das 
JRescripi  des  Herzoglichen  Consistoriumi  zu 
Altenburg  vom  13.  Nov.  1838.  u.  s.  w. 

(Schloff.) 
,,Wir  dürfen  übrigens  nicht  unterlassen/'  beifst  es 
in  dem  letzten  Gutachten ,  ^deni  Berichte  des  Herrn 
Generalsup.  Dr.  Heseiiiel  über  den  kirchlichen  Zustand 
der  Ephorie  Ronneburg,  der  durch  seine  ruhige  HaU 
tnDg  und  carte  Berücksichtigung  der  obwaltenden  Ver- 
baltnisse sich  auszeichnet,  ein  rühmliches  Zeugnifs  aus» 
stt^tellen,  wie  denn  überhaupt  genannter  Herr  Commis- 
aarias  seine  theilweise  Unzufriedenheit  über  vorgefun- 
deae  mangelhafte  Predigtweise  und  sonstige  Mifsstände 
der  Kirche,  nach  den  uns  mitgetheilten  Aktenstücken, 
aeioem  CoUegium  mit  Schonung  und  Milde  vorgetra^ 
gen.    Nach   allem  Diesem  fühlen  wir  uns  gedrungen, 
noch  einmal  auf  das  Bestimmteste  hervorzuheben,  dafs 
das  hoohwürdige  Consistorium  die  uubezweifelbare  Be- 
fagnifs  und  natürliche  Pflicht  gehabt,  die  Geistlichkeit 
und  die  Schnllehrerschaft  des  Landes  dringend  auf  die 
N^^thwendigkeit  hinzuweisen,  mit  Ernst,  Nachdruck  und 
treuem  Eifer  Christum  in  wahrhaft  evangelischem  Sinne 
in  Kirchen  und  Schulen  zu  verkündigen.** 

Die  dritte  Frage  betrifft  zwar  nicht  das  Verbal- 

•  # 

ten  des  Consistoriums ,  sondern  das  Verfahren  mehre- 
rer  Geistlichen  des  Landes  in  der  Person  des  Hrn» 
Archidiak.  Klötxner^  den  sie  mit  ihrer  Yertbeidigung 
beauftragt  haben,  ist  aber  nicht  minder  wichtig,  weil 
sie  an  die  für  alle  socialen,  insbesondere  auch  die  kirch- 
lichen Verhältnisse  nothweüdige  Pflicht  der  Selbstbe- 
schr&nkung  erinnert,  insofern  dadurch  das  Ansebn  und 
der  Einflnfs  der  rechtmäfsig  bestehenden  und  pflicht- 
mäfsig  wirkenden  Bebürden  bedingt  ist.  — -  Darüber 
^  nun  ist  kein  Streit  unter  allen  Stimmenden  und  kann 

Jahrb.  f.  wiuenick.  Kritik.  J.  1830.  II.  Bd. 


keiner  sein,  dafs  Hr.  Klötzner,  wie  jeder  andere  Geist- 
liche des  Landes,  berechtigt  war,  sich  und  seine  Amts- 
brüder, in  so  fern  sie  sieh  eines  Bessern  be^rufst  wa- 
ren, gegen  den  beleidigenden  Artikel  in  Nr.  1.  der  Ber- 
liner Allg.  K.  Z.  zu  vertheidigen;  auch  würden  wir  es, 
mit  der  Jenaer  Fakultät  zu  reden  (S.  94  f.),  ,^vor  dem 
Geiste  des  Protestantismus  nicht  verantworjten  können, 
den  Grundsatz  im  Allgemeinen  au&ustellen,  dafs  ei- 
nem Geistlichen  in  keinem  Falle  erlaubt  sei,  eine  Mafs« 
regel  seiner  kirchlichen  Behörde  in  offener  Druckschrift 
einer  Kritik  zu  unterwerfen,"  wenn  jene  Mafsregel 
wirklidi  entweder  mit  den  anerkannten  Grundsätzen 
der  Kirche,  oder  mit  der  gesetzlich  bestehenden  Ord- 
nung, oder  mit  den  allgemeinen  Gesetzen  der  Gerech- 
tigkeit und  Billigkeit  unvereinbar  wäre.  —  Aber  als 
Hr.  Klötzeer  schrieb^  konnte  es  nicht  mehr  zweifelhaft 
sein,  dafs  weder  das  Consistorium  noch  ein  Mitglied 
desselben  jenen  Artikel  abgefafst  oder  veranlarst  habe  — 
Hr.  Klötzner  selbst  beweist,  es  S.  8  S.  seiner  Schrift; 
durch  das  fragliche  Hescript  war,  wie  atigönfällig  ist| 
wenn  man  ruhig  liest,  weder  die  Geistlichkeit  des  gan- 
zen Landes  getadelt,  noch  ihr  etwas  Neues,  wozu  sie 
sich  nicht  selbst  von  Anfang  an  verpflichtet  hätte,  za 
thun  zugemuthet,  sondern  es  war,  wie  Hr.  Kl.  selbst 
(S.  21  sr.  Sehr.  vgl.  24.),  zugesteht,  von  der  Behördi 
mit  ^zarter  Schonun^^  y^nur  leise  angedeutet^*  wor- 
den, „dafs  sie  mit  dem  Verhulten  einzelner  Geistlü 
ehcn  nicht  ganz  zufrieden  war.?'  Es  mufs  sich  jeder 
Unbefangene  wohl  sagen,  dafs  wenn  einer  Oberbehörde 
auch  ein  solches  Verfahren  nicht  mehr  gestattet  sein 
sollte,  es  an  der  Zeit  wäre,  das  Schiff  der  Kirche  dem 
Winde  der  Zeit  ganz  preis  zu  geben.  Wenn  nun  aber 
Hr.  Klötzner  und  seine  Committenten  gegen  ihre  vor- 
gesetzte Behörde  so  gesinnt  waren,  wie  in  dem  „Bei? 
trage  zur  Ehrenrettung"  so  oft  versicbei't  wird,  so  wa- 
ren sie  wohl  auch  verpflichtet,  sich  mit  ihren  Beden- 
ken, wenn  solche  nach  Erlassung  des  Rescripts  und 

107 


851  Bedenken  thMlogiseher  Fakultäten.  852 

dessen  unbefugter  Publikation  in  Zeitschriften  in  ihnen   .  der  Altenburgischcn  Geistlichkeit  sich  bestimmeD  liefs." 


sich  regten,  an  das  Consistorium  selbst  zu  wenden^ 
i^ie  es  auch  einige  ihrer  Amtsbrüder  gethan  haben; 
und  die  Behörde  würde  sicherlich  nicht  gesäumt  ha- 
Jben,  durch  angemessene  Erklärung  alle  Besorgnisse  zu 
zerstreuen*  Nach  den  eigenen  Erklärungen  des  Herrn 
Klötzner  über  sein  und  seiner  Amtsbrüder  Vertrauen 
zu  dem  Consistorio  ist  ihre  sorgliche  Vermuthung  nicht 
irohl  begreiflich,  ,,als  wolle  man  einer  netien  Schule 
bei  ihnen  Eingang  zu  verschaffen  suchen,  mit  welcher 
sie  sich  nicht  befreunden  könnten."  Das  Qonsistorium 
erinnerte  ja  ,,nur  leise"  und  mit  „zarter  Schonung^ 
Bn  die  freiwillig  übernommene  Pflicht,  das  ganze  Evan- 
gelium der  heil.  Schrift  gemäfs  nach  den  Grundsätzen 
der  evangeliachen  Kirche^  also  nicht  einseitig,  nach 
den  Ansichten  einer  Sc/iitle  zu  verkündigen,   mit  der 


(S.  173)  —  Doch  spricht  dieselbe  Fakultät  (S.  174) 
„entschieden  ihre  Mifsbilligung  über  solche  Aearsemn- 
gen  desselben  aus,  wie  sie  S.  16  seiner  Schrift  zu  le- 
sen, weil  dieselben  einer  anzüglichen  und  verletzende»» 
Deutung  ausgesetzt  seien."  -—  Stärker  noch  ist  der  — 
wie  CS  uns  scheint,  wohl  begründete  —  Tadel  in  dem 
sonst  verwandten  Gutachten  ier  Göttinger  (S.  158f.), 
am  entschiedensten  in  dem  der  Berliner  Fakühät  (S. 
114 — 136),  obwohl  beide  auch  den  Wunsch  des  Hm. 
Klötzner  natürlich  und  dos  Streben,  an  sich  achtbar 
finden,  die  Ehre  des  unschuldigen  Theils  der  Altenbur- 
gischen  Geistlichkeit  zu  retten,  den  aber  das  mahnende 
Rescript  des  Cbnsistoriums  nicht  verletzt  hatte.  Rec. 
hat  hiermit  sein  eigenes  Urtbeil  ausgesprocbeii  und 
bedauert  nur,   nicht  auch  aus  dem  über  diesen  Punkt 


ausdrücklichen  Erklärung,   „es  handle  sich  gar  nicht     sehr   ausführlichen   Gutachten    der   Berliner   Fakultät 


•     N 


i}arum,  dufs  im  populären  Vortrage  der  Buchstabe 
irgend  einer  menscAlicAen  Dogmatil  oder  jene  dic^ 
lektische  Schärfe  hervortrete,  mit  welcher  manche 
theologische  Bestimmungen  und  Begriffe  in  den  Be- 
kenntnifsschriften  unserer  Kirche  entwickelt  werden."  — 
Die  Vertheidigung  des  Hrn.  Kl.  ist  auch  unleugbar, 
wenn  gleich  zunächst  durch  jenen  Zeitungsartikel  ver- 
anlafst,  doch  nicht  blos  gegen  ihn,  sondern  gegen  das 
Consistorial-Rescript  mit  gerichtet,  wie  schon  die  oben 
mitgetheilten  Stellen  nicht  zweifeln  lassen. 

Unter  den  vorliegenden  Gutachten  findet  sich  blos 
in  dem  der  Jenaischen  Fakultät  ein  wohlwollender 
Versuch,  das  Verfahren  des  Hrn.  Klötzber,  obwohl  es 
durchgängig  nicht  gelobt  wird,  doch  ganz  zu  entschul- 
digen. Die  Heidelberger  Theologen  leiten  die  Ver- 
anlassung zur  Veröffentlichung  seiner  Schrift  ab  aus 
der  natürlichen  Reizbarkeit  auch  der  edelsten  Gemü- 
tber,  wenn  sie  der  freien  Entwickclung  des  religiösen 
.Lebens  nur  von  weitester  Ferne  Gewalt  angetUan  mei- 
nen, und  erkennen  „insofern  eine  Berechtigung"  an, 
„als  sich    der  Verf.   mit  einem  grofsen  Theile  seiner 

Collegeu dem,  die  besonderen   kirchlichen  Ver- 

h.älfnisse  Altenburgs  nicht  hinlänglich  kennenden,  Aus- 
lande gegenüber  in  ein  falsches  Licht  gestellt  glanbte, 
und  von  diesem  wohlerklärbaren  Gefühle  der  Krän- 
kung, und  vielleicht  auch  einer  Besorgnifs,  das  Rescript 
könnte  doch  vielleicht  nur  ein  Vorbote  späterer,  die 
Gewissen  wirklich  bedrohender  Schritte  sein,  vorherr- 
sehend  erfüllt,  zur  öffentlichen  Ehrenrettung  eines  Theils 


einige  Mittheilungen  machen  zu  können;  er  mürste  aber 
fast  Alles  mittheilen,  so  sehr  ist  es  Ausdruck  des  ei- 
genen Urtheils,  wie  es  beim  Lesen  der  diesen  Gegen«  < 
stand  betreffenden   Literatur  sich  ihm  gebildet  hatt^ 
noch  ehe  er  eins  der  Gutachten  kannte. 

Rein  unbefangener  Leser,  der  an  den  ErscheinoB- 
gcn  auf  dem  kirchlichen  Gebiete  Antheil  nimmt,  wird 
übrigens  die  vorliegende  officieile  Schrift  ohne  Befrie- 
digung lesen.    Abgesehen  von  den  höchst  lehrreichen 
Gutachten    der  vier  Fakultäten ,    die ,    so  verschfeden 
motivirt  sie  auch  sind,  doch  darin  übereinstimmen,  dafa 
das  Herzogliche  Consistorium  die   Grenzen  seiner  Be- 
fugnisse und  Pflichten  nicht  überschritten  und  mit  dem 
Rescript  vom  13*  Nov.  1838.   dem  Gewissen  der  Lan- 
desgeistlichkeit keineswegs  zu  nahe  getreten  sei,  las- 
sen  die  dem  mit   musterhafter  Unpartheilichkeit  und 
wahrhaft  christlicher  Milde  abgefafsten  Schreiben  des 
Herzogl.  Geh.  Staatsministeriums  beigegebenen  Akten- 
stücke einen  Blick   in  die  Berufsthätigkeit  eines  JCon- 
sistorinms  thun,  das  den  Charakter  und  die  Forderung 
unserer  Zeit  und  somit  die  Aufgabe  kirchlicher  Beh^^ 
den  kennt  und  redlich  beflissen  ist,  mit  evangelischer 
Milde  sie  zu  lösen.    Jetzt  gilt  es  Entschiedenheit  im 
Festhalten  des  Wesens  des  evangelischen  Bekenntnis« 
ses,  wenn  die  Kirche  sich  nicht  auflösen  und  ihre  edel- 
sten  Glieder  sich  entfremden  soll,  dabei  aber  auch  zarte 
Schonung  beim  Streben,  den  schriftgemäfsen  Glauben 
der  evangelischen  Kirche  geltend  zu' machen,   in  Be- 
rücksichtigung der  wohl  im  Geiste  der  Zeit,  nicht  ud- 


A 


85S 


Bedef^en  tAeologtMeker'  Fakultäteni 


854 


mer  aber  im  inilividiielleii  BewvlBtseiti  liegenden  Unia* 
oben  der  Yertfcbfedenbeit  der  kämpfenden  Glaubeni^ 
uieiaangen,  so  wie  der  Sebwierigkeit  odervieknebr  Dn- 
mdglicbkeit,  auf  einem  an<lern  Wege,   als  dem  gründ- 
licher Belebrang  und  Ueberzengnng  auf  dem  Gebiete 
des  Glaubens  wabren  Segen  zu  stiften.    Dafs  die  Kir- 
che  SU  einem   neuen  Loben  erwacht  sei  und  in  der 
Entwicklung  desselben  nach  allen  ihren  Tbeilen  rasch 
Torscbreite^  dafür  spricht  eben  so  der  Kampf  der  theo« 
logiseben  Partheien,   der,   w^nn   er  mit  wissenschaftli« 
ehern  Ernst  geführt  wird,  nur  segensreich  werden  kann, 
als  die  Bewegung,  welche  wir  in  der  Kirche  der  mei« 
sten  Länder  und  zwar  in  allen  Ständen  wahrnehmen, 
die  Theilnabme  an  Allem,   was  sie  betrifft,^  und  das 
dringende  Verlangen  nacb  Erbauung,  das  sich  jetzt -r* 
wenn  wir   etwa  von  den  Zeiten  der  Waldenser  und 
Albigenser  und  der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrb.  und 
den  nächsten  Jahrzehnten  abseben  —  mehr  als  je  iu 
der  Bildung  besonderer  Vereine  ausspricht.'  Diese  Er- 
scheinung,  weiche  in    Torliegender  Schrift  nur  einige 
Mal  beröhrt  wird,  ist  für  unsere  Zeit  besonders  bedeut- 
sam.    Solche  Vereinigongein  ebne  Weiteres  verbieten, 
aus  Besorgnifs,''  dafs    sie    zu  Absonderungen  fähren 
möchten,    würde,    nach   dem  Zeugoifs  der  Geschichte 
und  Erfahrung,  gerade  das  herbeiführen,  was  man  ver- 
hüten wollte;  es  würde  natürlich  und  nothwendig  Ver- 
dacht gegen  den  christlichen  Sinn  derer  wecken,  wel- 
che verhinderten  oder  erschwerten,  was  weder  an  sich 
betrachtet,  noch  nach  der  Lehre  der  Schrift  verwerf- 
lich ist,  sich  gegenseitig  zu  erbauen.    Alle  lebendige 
Frömmigkeit  findet  ihre  Befriedigung  nur  in  der  Aeu- 
fseruog,  und  zwar  in  Beziehung  auf  Gott  im  Gottes- 
dienst,   in  Beziehung  auf  den  Menschen  in  thätiger, 
gegenseitiger  Liebe.    Gewährt  die  ailgemeine  Kirche 
diese  Befriedigung  nicht,  so  wird   sie  in  einer  Aeson" 
deren  gesucht,   kann  jene  sich  in  ihren  Dienern  nicht 
specialisiren  und  individualistren ,  so  dafs  sie  im  apo- 
stoliscben  Sinne  Allen  Alles  werde:   so  trennen  sich 
die  Glieder  ab,    denen  sie  sich  entzieht,   und  geleitet 
von  dem  Alien  inwobnenden  Triebe  nach  Gemeinsam- 
keit bilden  sie  besondere  Vereine,   die  vielleicht  erst 
nacii  Jahrhunderten  dem  grorsen   Körper  sich  wieder 
einverleiben.^    Wollte  oder  könnte  daher  die  Kirche, 
insbesondere  die  Geistlichkeit  unserer  Tage  nicht  selbst 
die  Leitung  und  Pflege  solcher  Vereine  übernehmen, 
die  meist,  wenigstens  oft,  ohne  ihr  Zuthun  eich  bilden; 


SO'  würde  die  uhausbkiblicfae  Folge  eine  sehr  grofse 
Zersplitterung  und  Zerfallen  heit  sein,  und  Erscheinun- 
gen der  Art,  wie  wir  sie  schon  gesehen  haben  und  wie 
sie  in  vorliegender  Schrift  behandelt  werden,  dürften 
sich  wohl  noch  oft  erneuern.  Eine  väterliche,  christ- 
lich weise  Leitung  solcher  Vereinigungen  Seitens  der 
Kirche  ist  um  so  mehr  Bedürfnifs,  als  Viele  von  Denen, 
welche  nach  besonderer  Erbauung  und  somit  nacb  Theil- 
nabme an  aufserkirchlichcn  Zusammenkünften  verlan- 
gen. Solchen  gleichen,  die  aus  tiefem  Schlafe  erwa- 
chen und  weder  das  Licht  des  jungen  Tages,  der 
ihnen  im  Glauben  aufgegangen  ist,  recht  ertragen, 
noch  der  neuen  Lebenskraft,  die  sie  mit  ihm  empfan- 
gen haben,  sich  ermächtigen  können,  daher  sie  leicht 
von  Partheigängern  ergriffen  und  verleitet  werden,  die 
geschickt  genug  sind,  ihnen  darzureichen,  was  sie  su- 
chen. ^,  Alles  andere,**  sagt  einer  unserer  geachtetsten 
Theologen  in, seinem  Entwurf  der  practi^chen  Theolor 
gie,  „kann  der  Mensch  eher  in  sich  verschlieCBen  und 
für  sich  behalten,  als  seine  Religion ;  je  mehr  sie  fttr 
ihn  das  Beste  und  Edelste,  das  Höchste  und  Heiligste 
in  sich  schliefst  und  ein  Gegenstand  seiner  Liebe  ist, 
um  so  mehr  drängt  sie  ihn  auch  zur  Mittheilung.  Es 
ist  die  Natur  des  cbristl.  Glaubens,  sich  nur  in  seiner 
allgemeinsten  Verbreitung  -  zu  genügen ,  weil  er  die 
Vtrabrbeit  ist,  der  es  widerstrebt,  nur  Privateigentbum 
zu  sein;  sd  ist  es  auch  die  Natur  der  Liebe,  ihr  Da- 
sein zu  erweitern  und  sich  jeden  Genufs  durch  Mitthei- 
lung und  Gemeinsamkeit  zu  erhöhen.** 

Dr.  Aug.  Hahn. 


LV. 

Platonische  Studien  ron  Dr.  Eduard  Zell  er. 
Tübingen,  1839.  bei  a  F.  Oslander.  S.  VIII 
^nd^W. 

Der  Hr.  Verf.  begreift  unter  diesen  Titel  drei  Ab- 
handlungen, die  zwar  unter  einander  keinen  directeu 
Zusammenhang  haben,  insofern  aber  doch  ein  Ganzes 
bilden,  als  die  mittlere  „Ueber  die  Composition  des 
Parmenides  und  seine  Stellung  in  der  Reihe  der  Plato- 
nischen Dialogen"  in  den  innersten  Kern  und  Mittel- 
punkt der  Platonischen  Philosophie  fuhrt:  die  erste 
„Ueber  den  Ursprung  der  Schrift  von  den  Gesetzen" 
an  die  Ausgicitung  der  Platonischen  Denkweise  in. das 
Treiben  der  ältesten  Akademiker  erinnert:   die  letzte 


855  '    Z  eUer,    P  l  at  ^n 

«ndlich  „Die  Darstellung  der  Platraischea  PhilosopUe 
bei  Aristoteles*'  uns  die  Erhebttng  des  Platoniscben 
Standpunkts  auf  eine  gereiftere  Stufe  deis  pfailosophi« 
sehen  Wissens  erblicken  Iftfiit. 

la  der  ersten  Abhandlung  (S.  1  —  156)  kommt 
der  Hr.  Verf.  auf  den  etwas  kühnen  Versuch  zurück^ 
den^  ^#^  zuerst  gemacht  hat,  die  „Gesetze*'  als  ein 
dem  Plato  nicht  gehöriges  Werk  zu  ITehaupteU)  wie» 
wohl  ThierMch^  SoeAer  und  DUthey  sich  sogleich 
gegen  eine  solche  Kritik  erhoben  hatten,  welcher  be- 
sonders das  Zeugnifs  des  Aristoteles  entgegensteht, 
indem  dieser  das  Werk  beständig  dem  Plato  zuschreibt. 
Auf  die  betreffenden  Stellen  des  Aristoteles  wird  Re« 
ferent  später  zurückkommen.  Indessen  auch  für  des 
Hrn.  Vcrfs.  Hypothese  spricht  ein  directes  Zeugnifs 
des  Alterthuma,  welches,  von  Diogenes  Laertius  ange- 
fahrt (III,  ^  37«)9  doch  gewifs  altern  Quellen  entnom- 
men ist :  tfioi  q>aaif  ou  <Z>Ai7nroc  6  ^Onovmag  rovq  v6itovg 
flrvTou'  fthtfyQcnfn»  ovraq  h  xiif^.  Dies  scheint  nämlich 
nicht  zu  bedeuten,  dafs  dieser  Schüler  des  Plato  eine 
blofse  Copie  der  Platonischen  Gesetze  gemacht  habe, 
indem  er  sie  aus  den  Wachstafeln  des  Plato  auf  ein 
'  anderes  Material  übertrug  (dazu  gab  es  Schreiber  und 
Sklayen) :  sondern  futay^Juptiv  kann  auch  auf  eine  Um- 
änderung, üeberarbettung,  Redäction  und  Eatwicke^ 
lung  eines  Platoniscben  Conceptes  oder  Grundrisses 
gehen;  und  was  dem  zweiten  Sinn  hier  den  Vorzug 
nnbedenklich  verschaffen  mufs,  ist  die  Betrachtung, 
dafs,  —  wenn  es  aneh  an  sich  moglrch  und  iiblieh  ge- 
wesen ist,  was  der  Hr.  Verf.  jedoch  bestreitet  (S.  130), 
längere  Werke  auf  Wachs  zu  schreiben,  nicht  blos 
etwa  Notizbücher  und  dergleichen  aus  diesem  Stoffe 
zu  fertigen,  —  dennoch  immer  das  Vorhandensein  der 
Platonischen  Gesetze  auf  Wachstafeln  aufs^  Zweifel 
setzt,  dafs  sie  bei  Plato*s  Tode  nur  im  Unreinen,  im 
Entwürfe,  oder  wie  man  es  sich  denken  mag,  noch  nicht 
als  edirtes  Werk  existirten.  Sobald  dies  aber  zuge- 
geben wird,  ist  nie  die  Grenze  zu  finden^  wieviel  Phi- 
lipp .von  Opus,  selbst  Philosoph  und  Schriftsteller,  vom 
Seinigen  binzngelhan  habe.  Diese  Notiz  aus  dem  Alter- 
thnm  stiipmt  also  unserem  Hrn.  Verf.  wenigstens  inso- 
fern bei,  als  sie  manches  Uoplatonische  in  den  Geset* 


i9  e  ke    S  t  uäie 


856 


zea  erklären  würde;  «ad  tefii  gar  nichts  PlatonisoUs 
darin  sei,  will  er  Ja  auch  nicht  bebanpten. .  Nur  wird  dar 
Werth  dieser  Nachricht  dadnreh  wieder  sehr  ge* 
schwächt,  dafs  Diogenes  Laertius  sie  nicht  als  eis 
allgemein  atigenommenes  Pactum^  sondern  nur  di  i\% 
Erzäklnng  Einiger  angibt. 

Während  also  die  äufseren  Grttade  ihr  Gevicht 
grofsentheils  gegen  den  Hrn.  Verf.  in  die  Wagschsils 
legen,  so  bleiben  ihm  meist  nur  iimere  übrig,  die  fret 
lieh  die  wichtigsten  sind.  Za  diesen  mfissen  wir  um 
nun  wenden;  und  eine  ki^rze  Aufzählung  derselbes 
wird  uns  durch  die  luoide  Darstellung  des  Hnk.  Verfs. 
sehr  erleichtert  werden. 

In  dem  Abschnitt  „Resultat  der  bisherigen  Uote^ 
suchunjK^  letzte  Entscheidung''  (S.  U7  —  144)  fafst  et 
die  Bauptargumente  gegen  die  Aechtlieit  der  toetis 
unter  sieben  Numn>ern  zusaimmea. 

Erstens  sagt  der  Hr.  Verf. :  „Der  Groadgedaato 
und  Zweck  unserer  Schrift  ist  theils  an  sich  im  Wi- 
derspruch mit  dem  Geiste  der  Platonischen  Fbiloss*. 
phie,  tbeils  beruht  er  auf  einer  unrichtigen  Ansicht  von 
der  Republik,  theils  ist  er  nicht  mit  vdUiger  £!at6cbie> 
denheit  festgehalten.*'  Der  Hr.  Verf.  flihrt  in  dieser 
Riicksicht  Felgendes  an  (S.  16—23) :  Die  Gesetze  be» 
haupten ,  dafs  das  in  der  Republik  entwickelte  Ideal 
des  Staats  unausführbar  sei,  sie  also  aum  Zweck  bat« 
ten,  einen  praktisch  ausfiihrbaren,  dem  Ideal  so  nah 
als  möglich  kommenden  Staat  zu  beschreiben,  welcher 
der  zweite  Staat  sei  zu  jenem  ersten.  Aber  auch  die* 
ser  zweite  Staat  sei  nicht  ausfilhrbar,  weil  nie  gescbc^ 
hen  werde^  daCs  alle  Bedingungei^  welche  in  der  Reds 
gefordert  werden,  sich  auch  in  der  WirkUchkeit  ta* 
sammenfinden  \  der  einzige  mö^iche  Staat  sei  also  der 
dritte  Staat,  das  mdglicfast  ähnliche  Abbild  der  Ge- 
setze,  die  selber  ein  Abbild  jenes  ersten  Idealatuats 
seien.  Die  Republik  läuft  nun,  nach  dem  Hrn.  Ver£, 
einer  solchen  Auffassung  schnurstracks  entgegen:  Der 
Staat  der  Republik  stehe  ganz  auf  dem  Boden  der  G^ 
genwart,  sei  durchaus  hellenisch.  Das  fünfte,  sechste 
und  siebente  Buch  habe  gar  keinen  andern  Zweck,  ab 
die  Mittel  zur  Verwirklichung  jenes  idealen  Staates 
anzugeben. 


(Die  Fortsetzung  folgt) 


9  • 


W  1  8  8 


J  a  h  r  b  ü  c  h  e  r 

für 

en8c  haftliche 


December  1839. 


Kritik. 


Platonische  Studien  von  Dr.  Eduard  Zell  er. 

(F«Etiets«»gO 

Zwar  gestehe  die   Republik  aacb,  dafs  der  Toll- 
kommene   Staat,   wie   sie  ihn    darstelle,    noch  nicht 
ezistire ;  aber  sie  sei  so  weit  entfernt,  an  der  M5glicb- 
keit  seiner  ftealisirung  za  zweifeln,  dafs  Sokrates  die- 
selbe Tielmehr  in  Aussieht  stelle,  indem  er  sage,  die 
Menschen  würden  nicht  eher  Ruhe  Ton  ihren  Leiden 
haben,  als  bis  entweder  die  Könige  philcsophirten  odei* 
die  Philosophen  regierten,  weit  nämlich  erst  alsdann 
ein  Staat,  wie  der  geschildei^te,  realisirt  werden  könnte. 
Hiernach  cbarakterisirt   der  Hr.  Verf.  den  Gegensats& 
der  Republik  xu  den  Gesetzen  folgendennafsen :  „Wenü 
daher  die  gewöhnliche   Meinung  ist,    Plato  habe  die 
Repahlik  mit  dem  Bewnfstsein  geschrieben,    dafs  sie 
da  onausf&hrbares  Ideal  sei,  in  den  Gesetzen  dagegen 
zeigen  wollen,  wieviel  you  diesem  Ideale  sich  ausfüh- 
ren lasse,  so  utellt  sich  die  Sache  vielmehr  umgekehrt 
se,^  dah  'zirar  Plato,  als  er  die  Republik   schrieb,   an 
der  Ausfiihrbarkeit  seines  Ideals  nicht  zweifelte,   der 
Verf.  der  Gesetze  dagegen  in  die  des  seinigen  kein 
rechtes  Vertrauen  setzt,  und  ihm  vor  der  Republik  nur 
darum  dea  Vorzug  gibt,  weil  ihm  jene  mit  ihren  For- 
derungen das,  was  der  menschlichea  Natur  Oberhaupt 
möglich  tat,  zu  übersteigen  scheint,   während  er  von 
den  seinigen  glaubt,  sie  würden  von  Menschen  erflillt 
werden  könneii,  wenn,  freilich  ein  unwahrscheinlicher 
Fall,  die  empirischen  Bedingungen  zu  ihrer  Realisirung 
zusammenträfen/*    Auch  fügt  der  Hr.  Verf.  sehr  rieh- 
üg  hinzu:   „Ueberhaupt  aber  ist  zu  sagen,    dafs  die 
jlCssicht   von   der  praktischen  Unausfuhrbarkeit   eines 
Ideals,  sobatd  darunter  wirklich,  wie  beim  Platonischen 
Staat,  eine  durch  die  Idee  bestimmte  Darstellung  ver- 
standen wird,  in  einer  Philosophie  keine  Stelle  finden 
konnte,  welche  aufser  der  Idee  gar  nichts  Reales  an- 
erkennt.^   Weil  die  Erscheinung  im  Gegensatze  zur 
Jahfrb.  f.  wu$€MeK  KtiOk.  J.  1839.    11.  Bd. 


Idee  für  Plato  gar  keine  Berechtigung  hätte,  so  konnte 
er  auch  nicht  von  einem  zweiten  und  dritten  Staate 
sprechen,  obgleich  er  allerdings  einmal  in  der  Repu- . 
blik  (V,  p.  260  ed.  Bekk.)  hinwirft,  es  fiege  in  der 
Natur  der  Sache,  dafs  durch  die  Praxis  die  Wahrheit 
nicht  so  genau  getroffen  werden  könne,  als  dqrch  die' 
theoretische  Rede;  woraus  eben  diese  mifsverstandene 
Trilogie  von  Staaten  hervorgegangen  zu  sein  scheint« 
Denn  Plato  selber  kennt  nur  Einen  Staat,  die  Idee  de« 
Staats,  d.  h,  das  wahrhaft  Wirkliche  ittv  allen  erschei- 
nenden Staaten,  sollten  auch  einige  Bestimmungen  dee- 
selben  no6h  nicht  in  die  Existenz  getreten  sein.  Ari* 
atoteles  aber,  der  eben  der  Erscheinung  einen  gN^fsern 
Werth  -zuschrieb,  indem  er  sie  als  den  wesentlichen 
Tr&ger  und  die  einzig^  Verwirklichung  der  Idee  an» 
sah,  konnte  somit  wohl  (Polit  IV,  I.)  von  drei  Arten 
des  Staats  sprechen;  und  ans  ähnlicher  Reflexion  mag 
auch  in  der~  Akademischen  Schule  diese  Annahme  'an£- 
gekommen  sein.^  Man  könnte  freilich  sagen,  Plate 
habe  im  Alter,  die  Unhaltbarkeit  seiner  Ideenlehre  er- 
kennend, der  Erscheinung  die  Wichtigkeit  zugestan- 
den, einen  menscheninöglicben  Staat  in  ihr,  im  Gegen» 
satz  zur  göttlichen  Idee  des  Staats,  zu  constrairen; 
über  eine  solche  Sinnesänderung  Plato's  fehlt  uns.  in- 
dessen jede  historische  Spur,  wenn  wir  sie  nteht  eben 
in  dem  Vorhandensiein  der  Gesetze  finden  wollen.  Je- 
denfalls aber  ist  die  Dreibeit  von  Staatsverfassungen^ 
welche  in  den  Gesetzen  vorkommt,  von  der  Aristotell-, 
sehen  ganz  verschieden;  und  die  Vergleichnng  Beider 
möchte  uns  auch  einen  Wink  über  die  vorliegende 
Frage  zu  geben  im  Stande  isein.  Während  nach  der 
Akademischen  Fassung  die  zwei  ersten  Staaten  unans» 
führbare  Ideale  sind,  und  nnr  der  dritte  Staat,  der 
schlechteste,  ein  wirklicher  ist,  was  doch  ein  ganz  un- 
platonisches Resultat  wäre ;  so  ehrt  Aristoteles  die 
Wirklichkeit  genug ,  nm  auch  die  vernünftigste,  d.  h* 
die  beste  Staats verGassung  in  ihr  anzutreffen:  nolXoii 

108 


859  Z  e  1 1  er.    P  l  a  t  on 

yätQ  rljq  ^fiaxtjq  xvpXv  lawq  d8uv<noy,  wörans  hervorgeht, 

M 

dafs  der  beste  Staat  doch  manchmal  zur  Wirkircbkeit 
Icouiiut,  wovon  Aristoteles  namentlich  in  der  Monarchie 
AlQxanders  ei^  Beispiel  erblickte.  Die  Berechtiguag 
^  aber,  auch  die  beiden  aadern  Qt^aten  zu<  betrachten, 
fand  er  darin,  dßfs  der  Poh'tiker  sich  um  die  Verfas- 
sung aller  Staaten  bekümmern  müsse.  Und  wAs  nqn 
den  Charakter  dieser  beiden  aüdern  betrifft,  so  ist  er 

* 

viel  tiefer  angegeben,  ale  Ji|  den  Oesetzen.  Neben  die 
erste  Verfassung,  als  die  itQariaxfj  anXmf  setzt  Aristp- 
teles  nämlich  die  |»  tmv  imoxuidvmv  dQiGtfj^  und  als 
dritte  die  IS  vno&dai<og.  Je  nach  dem  Lande,  der  Zeit^ 
.den  Personen  und  Verhältnissen  ist  ein  Staat  besser, 
als  der  andere«  Ist  nun  alles  dieses  aufs  Beste  ein« 
gerichtet,  so  haben  vir  den  ßchledithin  Besten  Staat. 
Ist  dagegen  dad  Material  minder  gutj  so  kann  auch  die- 
«em  zufolge  (ex  %Sy  vnomtfidvcDv)  der  Staat  nicht  jene 
erste  YoUkoimnenheft  erreichen^  z.  B.  unter  Barbaren  $ 
der  Staat  kann  aber  immer  noch  der  beste  sein,  der 
sich  aus  diesem  Material  fertigen  «läfst.  Der  dritte 
,  Staat  endlich  ist  der,  welcher  ungeachtet  dieser  Be- 
dingungen nicht  das  ist,  was  er  durch  sie  hätte  wer- 
den können^  das  ist  irgend  ein  vorausgeseta^ter  (Ig  vno^ 
j^iatmg)j  oder,  wie  Aristot^es  sogleich  erläutert,  irgend 
ein  gegebener  ^taat(ri7y  do&iXaav),,  Das  ist  eine  ganz 
andere  Rangordnung,  als  die  absurde  Stufenfolge  ci;- 
aes  Staats  in  der  Idee,  eines  zweiten  in  der  Rede  und 
eines  dritten  in  der  Wirklichkeit.  Wenn  dann  in  den 
Gesetzen  behauptet  wird,  dafs  de|r  vollkommene  Staat 
•nur  für  Götter  oder  Göttersöhne  realisirbar  sei,  so 
-konnte  es  scheinen,  dafs  dies  durchaus  mit  dem  Kri- 
tias- übereinstimme,  worin  ein  solcher  Heroenstaat  an 
die  Spitze  der  Geschichte  gestellt  wird.  Die  Gesetze 
aber  schneiden  vielmehr  das  Dasein  eines  solchen 
Staats  gänzlich  ab,  während  die  Republik  anf  die  Rea- 
lisirung  dieses  Götterstaats  unter  Menschen,  als  auf 
das  letzte  Ziel  der  Weltgeschichte  hinweist,  welches^ 
obgleich  nur  der  Idee  oder  der  Würde  nach  das  Er- 
Bte,.der  Kritias  zu  einer  empirischen. Yoraussetzung 
macht:  so  dafs,  wenn  auch  auf  umgekehrte  Weisen 
4er  Kritias  und  die  Republik  jDi|t  den.  Gesetzen  in  di- 
recte^tem  Wi<Jer^pruch. stehen.    _ 

:i>a«  zweite  Argument  gegen  die  Aechtheit  der  Ge- 
setze drückt  der.IJr.  Verf.  also  aus:  „Ihre  Methode 
ist  nicht  die  Dialektik,  ^er  es  nur  um  Auffiudung  und 
fintwickf iung  i)er  Idee  zu  thun  ist,  sondern  ein  i^i  dep 


is  c  A  e    Sttu  d$  e  n.  \  860 

Wipirischen  Stoff  «ich  verwickelndes  Reflectiren.^  In 
dieser  Hinsicilt  bemerkt  der  Hr.  Verf.  sehr  gut,  Fla*' 
to's  Philosophie  stehe  in  der  Mitte  zwischen  Sokrati* 
,  scher  Mäeutik  und  Aristotelischer  Systematik*  Das 
.Dritte,  bei  Pluto ^  was  eben  diese  Iffifte  bilde,  sei  die 
Anschauung  der  Ideen  an  sich«  Eine  Abweichung  von 
F lato  sei ,  entweder  entwickeltere  systematische  Au»- 
fdbrung,  oder  eine  mehr  blos  empirische  Auffassung' 
des  Gegenstandes.  Diese  letztere  walte  denn  nun  aaoh 
in  unserer  Schrift  vor,  ohne  dafs,  wie  im  Timäus,  das 
Empirische  aufs  Ganze  bezogen  werde ,  ^  und  für  die 
Darstellung  der  Idee  förderlich  scheine,  da  im  Gegen- 
theil  die  Einziclnheiten  in  den  Gesetzen  gar  nicht  die 
Idee  des  Staats  ausführen,  sondern  wie  ^e  positive 
Gesetzgebung  aussehen^  die  hereinkomme»  und  beson;^ 
ders  in  den  Einleitungen  zu  den  einzelnen  Gesetzen 
ganz  den  Charakter  äufserlicher  Reflexionen  trage  (S. 
23-24,  26,  28—30).  Diesen  letzten  Punkt»  der  Moti- 
viruug  der  Gesetze,  lobt  Cousin  gerade  {Oetwres  de 
PlatQH^  T,  Vlly  p.  h-^LII)  als  einen  der  tiefsten 
Blicke  Plato's»  der  erst  in  unsern  Staaten  nach  2000 
jfahren  praktisch  geworden  sei..  Freilich  ist  Verstau- 
dcs-Reflexion^  nicht  Speculation,  für  den  specielleo  In- 
halt  der  Gesetze  an  der  Stelle ;  jiur  ist  dieser  in  einer 
philosophischen  Staatslehre  nicht  am  rechten  Orte. 

Ein  dritter  Grund  ist  folgender:  „Der  labalt  der 
Gesetze  widerspricht  dem,  was  wir  aus  Flato's  übri- 
gen Schriften  als  seine  Ansicht  kennen^  nicht  nur  ia 
manchen  Einzelnhciten,  sondern  auch  iq  deu  Lehreii) 
welche  die  Grundlage  der  Ethik  und  Politik,  ja  der 
ganzen  Philosophie,  ausmachen.''  Was  jene  Eiuzelo- 
heiten  betrifft,  so  wird  vom  Hrn.  Verf.  unter  Anderen) 
angeführt,  dafs  die  Besonnenheit  (paigp^^oavy^)  zur  all- 
gemeinen Tugend  geworden  sei,  w;ährend  in  der  Re- 
publik die  Gerechtigkeit  diese  Stelle  einnehme  (S..34>. 
Wogegen  Ref.  zu  erinnern  bat,  dafs  auch  in  der  Re- 
publik die  Besonnenheit  schon  sich  zu  diesem  Charak- 
ter  der  Allgemeinheit  hinneigt.  Bedeutender  ist  die 
Abweichung  Von  Plato^  wenn'  der  Hr.  Verf.  aus  dj^Q 
.Gesetzen  anführt^  die  Tapferkeit  entstehe  ohne  £ia? 
sjcht  und  von  Natur:  „eine  Behauptung,  welche  nicht 
jxvx  Plato's  bestimmtesten  Erkiärimge%  sondern  seibat 
der  Lehre  des  Sokrates  wi(lerstr.eitet"  (S.  35).  Auch 
wird  in  den  Gesetzen  die  Besonnenheit^  ganz  im  Sinne 
der  Aristoteh'schen  fsmc^qoQvpi^  nur  voji  einer  Märsi*» 
gun§  jn  Lust  und  Schmerz  veratajadeu^  woraus  aber^ 


♦      .  V 


1^  «Hf  einen  .4^09  AplfiM^^  »l^r  sti^b^q^d^n  Plui 
tfniker  gescblos^^a  necdeii  Jiöo|itey  «der  die  üjBOkA  bei 
d9r  Abfa^ei^ff  4er  jGS^ejtze  im  Spiele  gefaübt  h^^ 
ArätoteM«  aber^  Indeui  er  eo  eine  fiir  platpuitch  a!i9r 
(pgpbene  Sebrift  »ich.  entg^eokeminea.  s^b,  mochte 
yai  «o  weniger  eip  Argea  gegen  #ie  gebebt  beben, 
|ieeb  ihre  Antbentici.tät,aD2U)feob^en  Teraniafat  worden 
eein.  Ein  .da|rehgreife^|ierer  ÜBterachied  ist  es,  w^nii 
der  Hr.  Verf.  angiebt, :  dafs  d>e  Triohotomie  der  See- 
lenkräfie,  welche  doch  di^  gftnze  Grundlage  -der  Ethik 
pei,  gänzlich  fehle»  und  eben. damit  im  Politischen  die 
Tricbotomie  der  drei  Stände  sich  andern  als  in  der 
Kepnblik  gestalte»  indem  in  den  Gesetzen  die  Beuerp 
Sklaven,  die  Handwerker  aber  Fremde  sein,  und  auch 
die  Ilegierenden  eben  nicht  sehr  durch,  philosophische 
Bildung  charakterisirt  .wiirden  (S.  36 — 37).  Die  wich- 
tigste Verschiedenheit  des  Inhalts'  bleibt  aber  diese, 
dafs  in  den  Gesetzen  die  Ideenlebre  scheiot  »,absicbt- 
lieh  ignorirt"  worden  zu  sein,  obgleich  doch  j.eder  grö- 
bere Dialog  daran  anknüpft  oder  sie  vorbereitet  (S* 
42).  Ja,  widerspricht  nicht  die  Annahi^e  einer  gut^ 
und  einer  bösen  Weltseele,  die  einander  bekämpfen, 
direct  der  Platonischen  Ideenlehre,  nach  welcher  nur 
das  Gute  das  Seiende,  das  Böse  das  NicbtseieiMl«  iat, 
jKogiegßn  in  einer  bösen  Weltseele  das  Böse  substae- 
tiirt  worden?  CS.  43.)  Läfst  sich  in  der  That  etwas 
UDpbtoniscberes  denken,  als  eine  Idee  des  Bösen  I 
jUnd*  eine  solche  müfste  doch  nothwendig  die-  böse 
Weltseele  sein.  Sonst  kann  man  das  Ausfallen  der  Ideeur 
jehre  wohl  aus  dem  Zweck  der  Gesetze^  einep  ideeu* 
losen  Staat  darzustellen,  sattsam  erklären^  wenn  nur 
dieser  Zweck  sel|)st  etwas  Platonischer  .wäre. .  An 
die  Stelle  der  Ideeulehre  tritt  in  den  Gesetzen,  mich 
dem  äru.  Verf.,,  ein  populär  religiöses  ^ilement  (S.  44 
-r45)<  Seilte  Plato  wirklich  in  seinem  hohen  Alter 
ans  seinem  Idealismus  in  eine  Popular-Pbilosopbie.  her- 
abgefallen  sein!  Unmöglich  ist  die  Sacbe,  ungeach*' 
tet  des  Schweigens  d^r  Alton,  durchaus  nicht.  Der 
Standpunkt  jugendliche^  Begeii^terivig,  wi^  d^ch  der 
der  Ideenlebre  ein  solcher  ist,  konnte  Plato  eben  so 
gut  zu  Wasser  werden,  als  wir  in  unsern  Tagen  sa- 
hen, wie  Schilling,  dem  modernen  Plato,  de  absolute 
Vernunft  erkennt  nifs  durch  inteliectuelle  Ansohaiaimg  . 
mit  zunehmenden  Jahren  abhanden  gekommen  ist. 
Wenn  endlich  der  Hr.  Verf.  einen  neuen  Beneis  für 
die  Unächtheit  der  Gesfitze  darin  sieht,   dafs  in  ihnen 


i  f  0A^    S  4ß^.d)i4  H,  862 

1^  die  %a{ileöfehvri  ein  gci^i^ee  'Oewiöht  gi)legt 
If0r4e,  als  In  den  übrigen  Sehriften  Plato'fe»  i(S.  47-^ 
4$)«,eio.igt  es  wahr,  ^afadie  ältere  Akademie,  namentr 
ll^h.Speusipp,  den  Platänismns  in  eine  -  pyfbagor^ai- 
rei^e  Weise  hinübergezogen.  Doch  ist  nicht  zu  läog^ 
nei,  dafs  Plato  bereits  selber  in .  seinen  mündlichen 
Vorträgen,  (awovotat  äygaqoi)  nt^i  rdpxOoUf  die  v.oH 
aoiaen.ihm  tr^ugebliebenen  SebiHern  später  verzeich- 
net, von  Aristoteles  allein  kritisirt  wurden  (sl  die  Be«^ 
lege  der  Aken  in  meiner  Preisschcift :  Examen  cri' 
iiffue  de  la  MSiaphyßigue  d^Arütote  p.  56 -«57),  in 
diese  Manier  gerathen  ist.  Dehn  weon  Aristoteles 
auch  in  sciuer  Metaphysik  diese  akademische  Zahlen» 
lehre  nicht  iinmer  unter  Plato's  eigenem  Namen  an- 
gi::eift,  so.  bezieht  er  sich  doch  nicht  selten  so  bestimmt 
auf.  den  Meister  selber,  dafs.  unbedenklich  schon  auf 
diesen  jene' VerbilduBg  der. reiben  Ideenlehre  durch  die 
^alilenlebre,  wenigstens  theilweise,  mufs  zucüokgeful^rl 
Urerden.  Diese  Instanz  könnte  Ref«  also  dem  Hm.  VC 
vielinehr  als  einen  Grund  fttr  die  Aechtheit  der  Gen 
setze  retorquiren.  '  .  - 

Der  fierte  Punkt  ist:  „Die  dialogiache  Form  der 
.Gesetze  entbehrt  eip^r  historischen  Grundlage  und  ei- 
ner lebendigen  Mimik,  der  fliefsenden  Entwickelung, 
und  des  anmuthigen  Tons,  den  wir  an  Plato  gewohnt 
sind.  Die  Darstellung  leidet  an  Ungeschmeidigkeit, 
freite,  Kün3telei  und  übertriebener  Feierlichkeit."  Es 
ist  allerdings  bemerkenswerth,  dafs  man  gefunden  hat, 
die  meisten  Platonischen  Dialoge  haben  eine  in  der 
{Zeitgeschichte  begründete  Veranlassung,  'ulle^  seien  in 
Athen  gehalten,  Sokrated  komme  in  allen  vor,  sei 
meist  der  Hauptsprecher,  und  auch  die  übrigen  Mit* 
Unterredner  gröfstentbeilB  historische  Personen  (S.  50 
— 51).  Von  allem  dem  findet  sich  in  den  Gesetzen 
nichts.  Da  nun  hier  der  Leiter  des  Gesprächs,  näm- 
lieb  der  Athenische  Fremdling,  Plato  zu  sein  scbeind, 
indem  auf  «ein  Alter,  seine  Person  u.  s.  f.  ausdrück- 
lich angespielt  werde :  so  denkt  sich  der  Hn  Verf. 
die  Sadie  so,  dafs  ein  Schüler  des  Plato  ihn,  wie 
dieser  den  Sokrates,  redend  eingefiibrt  habe,  den  Na«^ 
men  aber, deshalb  unterdrückte^  weil  die  Schrift  ihm 
selber  beigelegt  werdeu  sollte  (S.  53  —  54).  Die  wei- 
tere Begründung  dieses  vierten  Punktes  möge  dei:  Le- 
ser bei  dem  Hrn.  Verf.  selber  nachschlagen  (8.  57 — 
84).  Geben  wir  aber  auch  alle  diese  Einzelnheiten 
zu,  und  Vieles  scheint  Ref.  ubabwelslich :   so  ist  doch 


869  JB  0ller,    P  l  mfn 

oiebt'su  fibertelieD«  dafs  scbon  b  manoheB  &oht  Pia- 
toiiitohen  Dialoges  die  Form  vernacbläsoigt  eraoboint 
und  dar  Dialog  acUeppend  wird,  wie  Sohleiermaelier 
(Plato'a  Werke,  Tk.  IL  Bd.  3,  S.  IST)  dies  a,  B« 
Tom  PiiilebHa  nacbgewieseii  hat ;  was  Refer.  fröbev  in 
dieaetr  Blättern  (Recension  ¥on  Sefaleiemiaohera  Ue- 
beraetaung  der  Republik,  182»,  October,  No,  62,  S. 
489)  als  eine  Folge  der  eigenen  Eiasioht  Piato's  in 
die  UnToUkommenheit  der  dialogiseken  Form  erklären 
au  können  glaabte.  Kann  im  Alter  nicht,  wie  die 
Energie  der  Begeisterung,  so  anch  der  Wohllaut,  die 
Elegana  nnd  Kräftigkeit  d^s  Styls  abgestumpft  wor- 
den sein! 

Fünftens :  „]>ie  Sprache  ist  in  Vergleichung  mit 
der  der  übrigen  Platonischen  Dialoge  anffallend  rbeto- 
rtsirend  nnd  schwerfällig,  und  enthält  anch  im  Euiael* 
nen  Mandkes,  was  Plato  sonst  fremd  ist/'  Der  Herr 
Verf.  führt  hier  freilich  merkwürdige  Ausdrücke,  Wort- 
bildnngen  und  dergleichen  an,  die  nicht  sonst  bei  Plato 
vorkommen,  wie  diXodijfiiig^  äntviaurtiingj  ^faavl^pimf  fic- 
^aXipoia  u.  s.  f.  (S*  85),  naidm  InavdTffq  OMQiß^  a^Qiff 
um  ^f^w  statt  naXSki^  Ixctvol  ä^^tvig  nal  ^J^JUia«  n.  s.  w« 
(S.  93).  Wenn  aber,  der  Hr.  Verf.  (8.  88)  in  der  zu 
häufigen  Wiederholung  der  ionischen  Endformen  des 
Dativ  Plural  auf  at  au  grofse  Absicbtiicbkeit  im  Stre- 
ben nach  Arcaismen  siebt,  so  widerlegt  er  sich  selbst, 
indem  er  hinzusetzt,  der  Verfasser  der  Gesetze  hab^ 
wie  Cicero  in  seinem  VTerke'  gleiches  Namens,  diese 
alten  Formen  gebraucht,  um  die  Sprache  der  wirkli^ 
oben  Gesetze  nachzuahmen ;  was  dann  auch  manchmal 
in  den  Dialog  eiDgeschlichen  ist.  Warum  aber  eine 
solche  Absicbtiicbkeit  mehr  an  Plato,  wie  der  Herr 
Verf.  memt,  befremden  müfste,  als  an  Cicero,  sieht 
man  nicht  ein.  Uebrigens  will  Ref.  nicht  unberührt 
lassen,  dafs  selbst  Cousin  {Oeuvres  de  Ptatoth  T. 
rily  p.  CXXIIJ^CXXIX),  obgleich  er  sonst  die 
Ast'sohe  Hjpothese  von  der  Unächtheit  der  Gesetze 
bekämpft,  doch  nicht  umhin  kann,  den  von  den  übri- 
gen Dialogen  unterschiedenen  Charakter  der  Gesetze, 
hinsichtUch  der  beiden  letzt^i  Argumente  unseres 
Hm.  Verfs.;  anzuerkennen:    Je^convieM  done  fue  la 


i  $  e  k  0    S  tu  d  ien.  m 

moins  /brie  ^ue  dans  les  auires  dimhgu&s  de  Phh 
i§n.  Le  etyle  pru  en  dSimt  et^  done  im  dicHen  fr^ 
prement  dUe  e^t  UHk  de  rappeUr  timjotirt  t/l^gmh 
ee^  Im  dSHcmteseey  thmrmouiey  hßni  e€  ee  je  ne  «oA 
fuoi  dfheureHx  et  de  euave  qtien  ^eepire  dam  bi 
mUree  düdoguee.  Düene  lez  Im  dieiwn  dee  hk 
mtmnfue  eouvent  de  tharme^'  de  eolerie  et  m^me,  i$ 
netteti*  Cousin  erklärt  dies  nun"  auf  die  ganz  rioht^ 
Weiset  dafs  Plato  nicht  die  letzte  Hand  an  dieie 
Schrift  gelegt  habe,  da  sie  erst  nach  seinem  Tode 
aus  dessen  Papieren  (ovtccg  h  ufj^  von  Philipp  roi 
Opus  herausgegeben  worden  sei,  der  sie  auch,  oadi 
Suidas,  erst  Jn  zwdif  Bücher  gefheilt  habe. 

Sechstens:  „Wir  bemerken  in  unserer  Schrift 
eine  sehr  beträchtliche  Zahl  Ton  grofsentheils  mifi- 
lungenen  Nachahmungen,  und  selbst  einige  Mlfcve^ 
atändnisse  Platonischer  Stellen.''  Die  erste  Hälfte  des 
Arguments  schwächt  der  Hr.  Verf.  dadurch,  dafs  er 
selber  eingesteht ,  Plato's  Wiederholungen  ^  seien  bei 
der  dialogischen  Form  das  einzige  Mittel,  einen  frü- 
hem Dialog  in  einem  spätem  zu  citiren  (S.  100^161). 
Von  Mifsverständnissen  wird  aber  eigentlich  nur  emei 
gerügt,  dafs  nämlich  die  Behauptung  des  Meno,  die 
Tugend  sei  durch  Mq  f^oi^cf  erzengt,  von  dem  VeifaS" 
ser  der  Gesetze  so  verstanden  werde,  als  ob  sie 
durch  gättlicbe  Schickung  gegeben  sei,  wogegen*  der 
wahre  Sinn  des  Meno  vielmehr  sein  soll,  „dafs  die  ge- 
wöhnliche Tugend  etwas  Mos  Zufälliges  sei,  weil  Vat 
Gute  in  ihr  ohne  klares  Bewufstsein  und  feste  Grund- 
sätze vollbracht  wird**  (S.  109).  Die  BereditiguDg  ca 
dieser  Erklärung  sieht  der  Hr.  Verf.  in  dem  Zusätze 
des  Meno:  &iiq  ^l(}t^  nagaytfvofAivti  Sfiv  fov  (p,389 
ed.  Bekk.).  Diese  beiden  iftestimmungen  kdnnten  steh 
zu  widersprechen  scheinen;  denn  was  durch  göttBche 
Schickung  geschieht,  ist  vernünftig.  So  k5nnte  mui 
also  verleitet  werden,  mit  dem  Hm.  Verf.  &iia  fuSga 
und  fovg  als  Zufall  und  Vernunft  ehiander  entgegen- 
zusetzen, wie  Aristoteles  in  der  Metaphysik  (Kl,  S) 
tvxn  und  vov^  als  entgegengesetzte  Ursache^  dei^  Welt 
ausspricht. 


(Die  Fortsetzmig  folgt) 


Jahrbücher 

'  ,  f  Ü  I- 


w  i  s  s  e  n  sc  h  a  f  1 1  i  c  h  e    Kritik. 


December  1839. 


4^ 


Platonische  ßtudien  von  Dr.  Eduard  Zeller^ 

(Fortsetzuiig.) 

Die  Ejutheta  ^(/qi  fiot^qe  und  ävw  vov  entspre- 
chen aber  genan  denen  in  den  Gesetxeii  ävtv  avi/-- 
n9}g,  avToq^vä^f  dXii&äg  »ai  ovri  nKaotS^-  Die  Tugend^ 
vfli  Plato  an  beiden  Stellen  sagen,  ist  nicht  ein  durch 
ftuGsere  Nothwendigkeit  ond  Einwirkung  Anderer  auf 
den  Verstand  Mitgetheiltes  (cbfiv  dvayxfjgf  avtv  v6v)y  sie 
ist  nicht  etwas  Angelerntes  unid  Gemachtes  (oihri  nla* 
#rcitf):  sondern  ein  wahrhaft  aus  innerer  ursprünglicher 
Natur  Hervorgehendes  (avro^uofg,  akri^(Bq\ui\WÄik  ein  gött- 
liches Geschenk  {fiii<^  C^'^^)*  So  versteht  es  auch 
Aristoteles,  der  (JSM.  Nieom.  /,  9,  §•  1)  gerade  zu 
mxiA  Ufa  i^tiap  fwt^w  dem  dta  xi%>iv  naifayiyvetai  ent* 
gegensetzt.  Solche  Argumente  können  also  wohl  die 
Aeohtheit  der  Gesetze  nicht  anfechten;  und  Referent 
fa&tte  gewünscht,  dafs  der  Hr.  Verf*  sich  ihrer  enthal- 
ten  h^ttC)  um  nicht  den  starkem,  die  er  hat,  Eintrag 
zu  thun« 

Siebentens :  9,Die  Einreihung  derselben  unter  die ' 
Platonischen  Dialoge  hat  hinsichtlich  der  Abfassungs- 
zeit sehr  bedeutende  Schwierigkeiten.'.'  Hier  wird  be- 
sonders vom  Hrn.  Verf.  urgirt,  dar»  die  Gesetze  in  die 
Üetralogie  der  Republik,  des  Timaus,  des  Kritjas  und 
des  unausgeführten  Hermokrates  nicht  hineinpassen, 
und  doch  zugleich  nothwendig  als  eine  Fortsetzung 
der  Republik  auftreten,  mit  der  sie  den  Anfaug  einer 
Trilogie  ausmachen,  in  welcher  wieder  der  dritte 
Staat,  von  dem  wir  oben  sprachen,  unausgeführt  ge- 
blieben ist  (S.  112  —  113).  Es. wäre  allerdings  auffal- 
lend, wenn  Plato  so  zwei.einander  sich  durchkreuzende 
Cyeli  von  Dialogen  geschrieben  hätte.  Auf  jeden 
Fab  stellt  der  Hr.  V^rf.  die  Gesetze  nach  dein  Tir 
mäns,  ja  selbst  dem  Kritias,  weil  in  diesen  auf  die 
Gesetze  keine.  Rücksicht  genommen  werde,  und  macht 
da9u  die  Bemerkung;   „Dabei  hätte  mau  den  Vortheil, 

Jahrb.  f.  viiiftäck.  Kritik.   J.  1839.    H.  Bd. 


die  Verschiedenheit  der  philosophischen  Ansichten  in, 
den  Gesetzen  nnd  der  Republik  durch  eine  in  dem 
Verfasser  selbst  vorg^angene  Veränderung  begrün- 
den zu  können.  Und  wer  weifs,  ob  es  nicht  irgend 
ein  Scharfsinniger '  noch  unternimmt,  von  hieraus  auch 
die'  fragmentarische  Beschaffenheit  des  Kritias  zu  er- 
klären.^ Plato,  80  müfste  dann  gesagt  werden,  hatte 
im  Sinne,  der  Darstellung  der  Republik  im  Kritias , 
und  Hermokrates  die  Krone  aufzusetzen ;  während  die*- 
ser  Arbeit  aber  ham  er  bei  zunehmendem  Alter  und 
vielleicht  durch  irgend  welche  Cmstände  veranlafst? 
(etwa  durch  seine  mifsglückten  Versuche  bei  Diony- 
siuB  oder  sonst  Vd),  „zur  Erkenntnifs  über  das  Un- 
fruchtbare seines  Idealisirens,  und  beeilte  sich  in  deü 
Gesetzen  die  Verirruogen  der  Republik  zu  verbessern. 
Den  Zeitpunkt,  mit  welchem  die  Zweifel  <  gegen  iaelne 
frühere  Ansicht  bei  ihm  anfangen,  würde  dann  eben 
das  Abbrechen  des  Kritias  bezeichnen"  (S.  114—115). 
In  der  That,  da  die  Republik  zu  Plato's  Zeiten  nicht' 
gänzlich  verwirklicht  war,  so  mufste  er  zur  Erhärtung 
der  VTirkliohkeit  der  Idee  einen  frübern  vollkommenen 
Zustand  annejimen,  um  daraus  auch  die  Möglichkeit 
seiner  dereinstigen  Wiederherstellung  als  Ziel  der  Ge- 
schichte zu  beweisen ;  und  diese  Hoffnung  ist  es,  die 
allerdings  in  Plato's  Geiste,  falls  die  Gesetze  von  ihm 
sind,  untergegangen  sein  und  ihm  so  die  Fortsetzung  des 
Kritias  verleidet  haben  mufste.  Auch  scheiot  die  Klage 
der  Gesetze,,  dafs  der  Staat  der  Republik  nur  für  Göt- 
ter und  Heroen  passe,  eine  ausdrückliche  Hinweisung 
auf  den  Kritias  zu  enthalten.  Jener  zukünftige  Scharf-, 
sinnige  des  Hrn.  Verfs.  möchte  also  so  ganz  Unrecht 
nicht  haben. 

Das  Endresultat,^  das  der  Hr.  Verf.  nun  aus  sei- 
ner Untersuchung  zieht,  ist  dieses:  „dafs  die  Bücher 
von  den  Gesetzen  aller  Wahrscheinlichkeit  naöh  von 
einem  Schüler  Plato's  in  den  nächsten  Jahren  nach  des- 
sen Tode,  und  unter  dem  Vorgebet,  sie  haben  sich  in 

109 


867  Zell0rjPl0t6n 

Beioer  Hinterlassenschaft  gefunden^  ante/  das  Pnblicnin 
gebracht  wurden"  (S.  134).  Da  nun  Philipp  der  Oputt- 
tier^  nach  Diogenes  Laertius,  der  Verf.  der  Epmomis 
sei,  so  müsse,  -wegen  der  Ungleichheit  ihrer  Schreib- 
art mit  der  der  Oesetse,  der  Urheber  dei^  letztem  noch 
ein  Anderer  sein  (S.  135  — 136) :  jedenfalls  aber  ein 
,, unmittelbarer  Schüler  Platos,"  welcher  ,,durch  dies 
Werk  ein  Zeugnifs  der  in  der  ältesten  Akademie  hens 
.  sehenden  Richtung"  geliefert  habe  (S.  143). 

Diesen  letzten  Punkt  brauchen  wir  nicht  in  Abrede 
SU  stellen ;  ja  oben  ist  schon  Manches  yorgekommen, 
was  diesen  Charakter  der  Gesetze  bestätigt«  Aber 
warum  kann  Plato  in  dem  letzten  Stadium  seiner  Ent- 
Wickelung  nicht  selbst  diesen  Uebergang  zu  seiner 
Schule  angebahnt  haben  1  Aristoteles'  Zeugnifs  für  die 
Platonische.  Autorschaft  ist  doch  gar  zu  Schlagend» 
Man  könnte  zwar  sagen ,  wenn  Aristoteles  von  Plato 
ans  den  Gesetzen  etwas  anführt^  z»  B.  Polü.  Ilj  9, 
BO  meint  er  gar  nicht  den  Plato  selbst,  sondern  Ter» 
stebt^  unter  diesem  Namen  den  Hauptunterredner  des 
Dialogs,  der  eben  Plato  sein  soll,  wie  er  Ja  auch  So* 
krates  zuschreibt,  was  Plate  in  seinen  Dialogen  die» 
sem  nur  in  den  Mund  legt.  Nicht  einmal  die  Worte 
Jlldvmy  di  tovg  v6novq  r^dq>m¥  {Polit*  Ify  7.)  heifsen  noth- 
wendig^  dafs  Plato  den  Dialog  verfafs't  habe,  sondern 
können  sich  auf  die  gesetzgebende  Thätigkeit  des  Spre- 
ehers beziehen;  denn  vaptov  ypaqttiw  beifst  legem  ferr^* 
Aber  diese  Interpretation  scheint  da  kaum  aaszareichen, 
Ifro  Aristoteles  {Polit.  11^  5  et  6)  die  Republik  mit 
dep  Gesetzen  vergleicht,  und  bemerkt,  dafs  der  Verf« 
in  den  Gesetzen  nur  Einiges  anders  als  in  der  Repu- 
blik gemacht  habe.  Hier  werden  beide  Dialoge  auf 
Einen  Urheber  zurückgeführt,  und  die  Gesetze  durch 
flen  Ausdruck  %ov^  wiikqov  yQatpiytag  bezeichnet.  Da 
dies  indessen  wie  vorhin  verstanden  werden  kann,  und 
der  beiden  Dialogen  gemeinschaftliche  Urheber  Sokra^ 
tes  genannt  wird,  so  wäre  eigentlich  wiederum  nichts 
für  die  Autorschaft  des  Plato  ausgemacht:,  sondern  un» 
ter  Sokrates  in  den  Gesetzen  nur  der  athenisclie  Kremd- 
'ling  gemeint,  wenn  dieser  auch  an  einer  andern 
Stelle  der  Politik  Plato  genannt  würde«.  Gezwun«* 
gen  bleibt  diese  Erklärung  immer,  besonders  wenn 
es  wahr  ist,  Was  Diogenes  von  Laerte  (V,  §.  22.)  Be- 
richtet, dafs  Aristoteles  drei  Bücher  r^t;  in  xmv  vofim^ 
JlUtavog  schrieb.  Unser  Hr.  Verf*  will  daher  über  die 
Autorität  des  Aristoteles  auf  die  Weise  hinwegkom^ 


ieehe    Studien.  8IB 

raeui  dafs  er  ihm  swar  eine  scharfe  dogniatiscbe  Kii» 
tik  (doch  auch  diese  bekämpft  er,  wie  wir  sehen  wö^ 
deui  in  der  dritten  Abhandlung),  aber  keine  histeris^ 
zugesteht:  die  Frage  über  die  Autorschaft  einer  Schrift 
habe  er  sich  nitht  aufgeworfen,  und  in  Bezug  auf  lot- 
che  historische  Kritik  sei  sein  Zeitalter  weit  hinter 
dem  unsrigen  zurück  (S.  131).  In  der  That,  dafs  es 
dem  Aristoteles  nur  auf  die  Sache,  nicht  auf  den  Na* 
men  ankam ,  beweist  er  am  Besten  dadurch ,  dafs  er 
seinen  Gegqer  bald  Plato  bald  Sokrates  nennt, 

Liefse  sich  nun  hiernach  nicht  folgender  Aasweg 
treffen  t  Da  die  Platonischen  Gesetze  auf  Wachsta» 
fein  geschrieben  waren,  so  waren  üie  gewifs  bei  Piato's 
Tode  nicht  nur  nicht  ins  Publicum  gekommen,  soa* 
dem  nicht  einmal  fertig  noch  überall  ausgeftihrt.  Pbi» 
lipp  von  Opus  hat  also,  ehe  er  die  Epinemne  schrie^ 
jene  Bruchstücke  Piatonischer  Nachlasseoschaft  Yei^ 
bunden,  redigirt,  stjlisirt,  und  so  viel  Zusätze  gemaeht^ 
dafs  sich  alles  UnpTatoniscbe  daraus  erkiftreo,  ebenso 
ihr  Platonisches  aber  sich  nicht  wegläugaen  l&fst.  Die 
Gewissenhaftigkeit  modemer  Schüler  bei  der  Henuts* 
gäbe  der  Vorträge  ihres  Lehrers,  nichts  vom  Ihriges 
hinzoznthun,  hatte  im  Alterthum  noch  keinen  Werth  sod 
keine  Bedeutung,,  wie  denn  bis  zur  Erfindung  derBuok 
druckerkuüst  die  Vervielfältigung  einer  Schrift  oft, 
wenn  ,ein  Gelehrter  sie  sich  abschrieb  oder  als  ColIe> 
gienheft  aus  d^m  mündlichen  Vortrags  {än^  fcoy^c)  nseh* 
bildete)  eme  Entwickelung  und  Umgestaltung  des  0» 
ginals  war,  wie  wir  es  von  der  Budemischen  und  Gro* 
fsen  Ethik  des  Aristoteles  an,  durch  die  Commentato- 
ren  desselben  hindurch,  bis  tief  ins  MittelaUer  ii 
den  Schriften  der  Scholastiker  finden  können.  In  ähih 
lieber  Weise  mochte  Philipp  der  Opuntier,  indem  er 
vielleicht  theilweise  aus  der  Erinnerung  des  mündiioben 
Vortrags  die  vorgefundenen  AnfzeichnuDgen  PIsto's 
ergänzte,  dabei  seine  Denkungsweise  und  einen  popa« 
laren  Charakter  des  Pfailosophirens  unvermerkt  hMii* 
gebracht  haben,  vollends  die  Platonische  SchrMbsrt 
nur  unvollkommen  haben  nachahmen  und  dorchfäbreo 
können.  Was  also  von  mehrern  Schriften  des  Aristo- 
teles gilt,  das  ist  Einer  Platonischen  auch  begegnet, 
und  vielleicbt  noch  in  grOfserem  Mafse,  doch  inmito 
nicht  so,  dafs  Aristoteles  nicht  in  seinem  Rechte  wäre^ 
wenn  er  die  Schrift  auf  die  Urhebersebaft  des  Plato 
bezieht,  besonders  ftlr  die  Pnnkte,  die  er>  seiner  Kritik 
unterwirft.    Wenn  .der  Hr.   Verf.  uns  asf  diese  v« 


Z  4  t  l  e  r^    P  I  0  t  o\ 

Ilwi  Torberg^Mbone  Hyp^aso  eioweadet,^  dars  der  Bot« 
wvrf  de0  Meistert  dann  so  eebr  bätte  -verändert  wer* 
den  intiMeii  (S.  184):-  ao  akitworton  vir,  einmal  dar« 
slob  gar  aiobt  bestimmen  lafst,  wieviel  Preibeit  Philipp 
von  Opus  sich  genommen  habe,  and  dann  andererseits, 
dafo  die  AbireicbuDgeii  vom  urspr&nglicben  Piatoni- 
sohen  Standpunkt  eben  niebt  so  ungeheuer  sind,  fih 
der  Hr.  Verf.  es  darstellt.  Hatte  Plato  vollends  schon 
selber, den  strengen  Idealismus  der  Republik  verlas^ 
•en,  so  konnte  sem  Schüler  mit  desto  mehr.  Dreistig- 
keit weiter  geben,  überhaupt  aber  auch  bewufstlös  Un- 
platoaisehes  in  die  Gesetze  hineinbringen  durch  das 
w^  früh  eingerissene  Mifeverstäadnifs  der  Republik,  als 
sei  sie  ein  unerreichbares  Ideal,  da  denn  die  von  Plato 
auf  Wachs  verzeichneten,  anfanglich  auch  vielleicht 
gar  nicht  der  Republik  widersprechenden  Gesetze  eud« 
Uob  zu  einem  zweiten,  minder  idealistischen  Staate  um- 
gebildet wurden.  Einen  solchen  ursprünglichen  Plan 
des  Platö  (vielleicht  als  Entwurf  zum  Gesetzbuche  ei- 
DOS  wirklieben  Staats)  scheint  auch  Cicero  herausge- 
ffifalt  zu  haben ;  wenigstens  will  er  gar  nicht,  dafs*  seine 
"Clesetze  nicht  zu  seiner  Republik  passen  sollten :  Quo* 
ftiam  icriptun^  eit  a  te  de  optima  Reipublicae  statUy 
eonse^fieno  esse  vtdetuty  tit  eeriSae  tu  idem  de  legi- 
6tf#;  eie  enim/ecisse  video  Platonem  {De  Leg,  ly 
5).  —  Quoniam  igiiur  ejus  Teipublieae^  quam  opti-' 
nusm  esse  doeuit  in  iliis  sex  libris  Scipio^  tenen» 
due  est  nobis  et  servandus  statusj  omnesque  leges 
oeeommodondae  adillud ctviiatis genus  etc.  (c.  6.) 

In  einem  jinAange  zur  ersten  Abhandlung  spricht 
der  Hr.  Verf.  noch  mit  wenigen  Worten  von  der  Aecht-^ 
heit  oder  Unächtheit  des  Menexenus  und  kleinern  Hip- 
pias,  und  entscheidet  sich  Über  beide  Gespräche  für 
die  Negative. 

Wenn  aber  den  Menexenus  der  Hr.  Vf.  (S.  146) 
darmn  verwirft,  weil  in  demselben  keine  Andeutung 
vorhanden  sei,  dafs  es  mit  der  Prunkrede,  die  seinen 
Inhalt  ausmacht,  nicht  ernstlich  gemeint  sei:  so  ist 
vielmehr  zu  entgegnen,  dafs  überall  sich  die  Spuren 
davon  zeigen,  dafs  hier  Plato  die  Pronkrede  nur  4iabe 
irottisiren  wollen.  Denn  aufser«  dem  nai^nv  (p.  381 
Bekk.),  was  der  Hr.  Verf.  unbegreiflicher  Weise  nicht 
(ilr  einen  -Beweis  gelten  lassen  will,  weil  der  Ausdruck 
auch  einmal  in  der  Republik  vorkomme,  so  möchte 
Referent  wohl  wissen,  «wie  folgender  Stelle  eine  andere 
Deutung  gegeben  werden  könne:  ati  ah  n^oanaiCtti,  '^ 


tiseke    Studien.  870 

£Jtnf(ti%%9f  Ysd;  ^^ro^ag  (p.  379);  wozu  auch"  noch  die 
Worte  auf  p.  381  zu  rechnen  sind,  dafs  Aspasia  eini- 
ges von  der  Standrede  des  Perikles  übrig  Gelassene 
für  die  jetzige  Leichenrede  %usammengeleimi%  habe 
(av/xo)Ucoaa).  Vl^arum  sollte  sich  Plato  nicht  zu  einem 
soIc)ien  Seherze  heruntergelassen  haben?  Aristoteles 
wenigstens  dtirt  den  Menexenus  zweimal  {Rhet.  /,  9; 
///,  14),  aber  freilich  nur  als  die  Rede  des  Solirates ; 
was  indessen  so  viel  fiir  die  Aechtheit  des  Gesprächs 
condudirt,  als  vorhin  für  die  der  Gesetze  die  Stellen 
aus  der  Politik. 

Was  aber  den  kleineren  Hippias  betrifft,  so  kann 
weder  unser  Hr.  Verf.,  noch  sein  Vormann  im  Bezwei- 
feb,  Soblsiermacher,  dem  Gesprädi  Dnplatoniscbes 
nachsagen.  Im  Gegentheil.  Beide  müssen  gestehen^ 
dafs  acht  Platonische  Sätze  darin  ausgeführt  werden« 
Allein  Schleiermacher  stellt  die  Unächtheit  theils  auf 
Einzeinfaeiten^  theils  darauf,  dafs  der  Dialog  nicht  recht 
zum  Protagoras  passe  (Plato's  Werke,  ,Th;  I,  Bd.  I, 
S.  295,  293),  da  es  doch  nicht  nöthig  ist,  dafs  er  sich 
einer  erst  von  Schieiermachcr  gemachten  Einreihung 
einfägen  lasse.  Der  Hr.  Verf.  aber  meint  (S.  153—155), 
dafs,  wenn  der  Zweck  des  Gesprächs .  eine  persönliche 
Verspottung  des  Sophisten  sei,  diese  ihm  dürftig,  ver- 
fehlt und  trocken  scheine.  Wir  wollen  uns  auch  hier 
bei  der  Autorität  des  Aristoteles  beruhigen,  der  (Met. ' 
Vy  29)  das  Gespräch  citirt,  und  zwar,  nach  Schleier- 
macher's  Bemerkung  j(S.  296),  so  wie  er  oft  seinen 
Lehrer  anführt .  durch  blorse  Nennung  des  Gespräebs. 
Hätte  es  Aristoteles  nicht  für  Platonisch  gehalten,  so 
hätte  er  den  Namen  des  Autors  hinzufugen  müssen, 
besonders  da  Plato  zwei  Dialoge  unter  diesem  Titel 
geschrieben  hat,  die  Worte  h  rm^lnnlq  also,  wenn 
nur  das  grörsere  Gespräch  Platonisch  wäre,  auf  die^ 
ses  sich  beziehen  müfsten. 

Am  beifallswürdigsten  ist  die  zuleite  Abhandlung 
unseres  Hrn.  Ve^fs.  über  den  Platonischen  Parmenides 
(S.  157-^196)  \  weshalb  wir  darüber  kürzer  sein  können. 

Alle  Hypothesen  über  dieses  Gespräch,  über  das, 
Verbältnifs  der  zwei  gröfsern  Theile,  in  die  es  zer- 
fällt, über  sein  blos  negatives  Resultat  und  seinen 
etwa  verloren  gegangenen  Schiufs  schlägt  der.  Hr.  Vf. 
siegreich  nieder  durch  eine  Auffassung,  die,  wenn  auch 
der  Hauptsache  nach  nicht  neu,  doch  durch  die  Klar- 
heit der  Exposition  und  die  Schlurfe  der  Begründung 
jeden  Zweifel  und  jede  Unbestimmtheit  über  den  ei- 


871 


Z  e  1 1  0  r^    Platonische    Studien. 


872 


(ipgDtliehen  Zireck  und  Gegenstand  des  Pdrmenides  be- 
seitigt. Der  positive  Inhalt  dieses  Dialogs  ist  nämlich 
nach  dem  Hrp.  Verf.  die  Ideenlehre,  i^ie  die  alte  Ue- 
berscbrift  und  der  erste  Theil  desselben  es  auch  ge^ 
Vadezu  behaupte  (S.  163).  Und  damit  ^ist  auch  sogleich 
iler  Zweck  des  zweiten  Theils,  der  vom  Einen  und 
Vielen  bandelt,  angegebeu.  Sind  Eins  und  Vieles, 
Sein  und  Nichtsein,  Identität  und  Unterschied  u.  s.  f. 
nicht  die  ursprünglichsten  Ideen?  Der  „Sophisf  we- 
nigstens stellt  dies  ausdrücklich  auf.  Näher  begrün- 
det  der  Hf.  Verf.  aber  dann  sehr  gut,  warum  Einheit 
und  Vielheit  hier  vorzugsweise  vor  allen  andern  Ideen 
betrachtet  werden:  Der  Zweck  des  Parmenidcs  sei 
dialektische  Begründung  der  Ideenlehre  durch  Beseitig 
gung  von  Mifsverstflndnissen.  Die  Erörterung  des  Be- 
griffs dei'  Einheit  und  Vielheit  im  zweiten  Theile  sei 
nur  eine  Erläuterung  der  Ideenlehre  im  ersten  Theile  ^ 
denn  alle  Idee  sei  nur  eine  ideale  Einheit  in  der  ma- 
teriellen Vielheit«  Das  Eins,  als  die  Idee  im  Allge- 
meinen, werde  aber  im  Parmenides  apagogisch  bewie- 
"^en.  Der  erste  Theil  betrachte  nämlich  die  Schwie- 
rigkeiten in  der  Ideenlchre,  um  daraus  das  Resultat 
zu  ziehen,  dafs  die  Ideen  Einheiten  im  Mannigfaltigen 
sind,  das  Mannigfaltige  aber  nur  die  Idee  selbst  in 
Form  des  Nichtseins.  Die  alleinige  Wirklichkeit  der 
Ideen  habe  mm  im  zweiten  Theile  daran  ihrdn  ab- 
stracten  logfschen  Ausdruck,  dufs  gezeigt  werde,  wie 
das  Viele  (dem  übrigens  im  Sophisten  das  oyteoV,  im 
Timäus  das  ^axi^ov,  und  im  Philebos  das  änuQOv  ent- 
sprechen) phne  das  Eins  nicht  gedacht  werden  könne, 
andererseits  das  Eins  ein  solches  sein  müsse, -welches 
die  Mannigfaltigkeit  in  sich  fasse.  Möge  man  also 
den  Begri^  (die  Idee)  als  seiend  oder  als  niehtseiend 
setzen,  so  viertle  das  Denken  gleich  sehr  in  Wider- 
sprüche verwickelt  (S.  182,  167-168,180-181).  Hier- 
zu macht  der  Hr.  Vf.  nun  die  Bemerkung,  dufs  die  bei-, 
den  parallel  laufenden  Beweisführungen,  in  welche  der 
zweite  Theil  zerfallt,  eine  ganz  verschiedene  Kraft 
haben :  ,^Während  in  den  zwei  letzten  XJnterabtheilun- 
gen  des  zweiten  Theils  die  Unmöglichkeit,  sich  die 
Idee  als  niehtseiend  zu  denken,  schlechthin  bewiesen 
ist,  .wird  in  den  zwei  ersten  die  Unmöglichkeit,  sich 
dieselbe  als  seiend  zu  denken,  nicht  ebenso  in  allge- 
mein gültiger  Weise  dargethan,  sondern  als  undenk- 
bar, nur  .ein  äufsorlich  unmittelbares  Dasein   und  ab- 


fltiaotes  Fürsiebsein  der  Idee  naoligewiegen.    Liefsd 
sich  dagegen  noch  eine  andere  Weise  des  Seins  uiil 
eine  Beschaffenheit  des  Eins  denken,  bei  der  ea  di§ 
Vielheit  nicht  von  sich  ausschlösse,  so  würde  die  Idee, 
so  uufgefufst,  von  jenen  Widerspriiehen  nicht  hiBtiof. 
feu.     Dieser   Umstand,   dafs  die  zwei  ersten  Abüdo» 
mien.für  das  Sein  des  Eins,. d.  b.  der  Idee,  Booh  eines 
Ausweg  offen  lassen,  kann  schon  an  sieh  nicht  flir  zu« 
fällig  gehalten  werden  \  nimmt  man   aber  hinzu,  dab 
ohne  einen  solchen  Ausweg  sich  die  ganze  Untern^ 
chung  in  den  Widerspruch   eines  Tollkommen  skeptt 
sehen  Resultats  verlaufen  und  zur  Aufhebung  der  Ideell 
lehre  selbst  führen  würde,  so  mofs  eben  di^  als  der 
eigentliche  Zweck  derselben  erscheinen,  durch  2Lersto- 
rung  der  falschen  Ansichten  über  die  Ideen  die  riolk 
tige  iudirect   zu   begründen.     Diese    richtige  Ansioht 
aber  kann  nur  diejenige  sein^  welche  zwar  die  Wiri^« 
lichkeit  der  Ideen  anerkennt,  aber  ihnen  weder  ein  ven 
der  Erscheinung  (dem  Vielen)   schloobtliin  getreimtes, 
noch   ein   äufserlich    beschränktes  Dasein   zssclireibt) 
sondern   sie  als  dasjenige  erkennt,  was,  ohne  selbst 
auf  sinnliche  Weise  zu  existiren,  doch  das  Wirkliche 
in  allen  Erscheinungen  ausmacht :  logisch  ausgedrückt) 
die  Ansicht^  dafs  die  Einheit  des  Begriffs  in  der  Viel« 
heit  der  Erscheinungen  ist,  ohne  doch  ^selbst  eise  Viel- 
heit zu   werden.    Nun  ist    auch-  allen  sonstigen  Da^ 
Stellungen   zufolge  das    Eigentbümlicbe   der  Platoni- 
schen Ideenlehre,^  wpdurch  sie' sich   Ton  den  analogen 
Principieu  Früherer,    von   dem '  Eleatischeu  Eins  und 
dem  vovi  des  Anaxugoras,   unterscheidet,   und,  wenn 
auch  selbst  noch  mit  einer  Abstraclion  behaftet,  T^ 
sentlich  über  diese   hinau^ischreitet,  eben  dieses,  doff 
in  ihr  das  .Geistige   nicht   mehr  in  der  Fi^rm  natürii* 
eher  Existenz,  sondern  als  schlechthin  befreit  vob  al- 
ler zeitlichen  und  räumlichen  Beschränktheit,,  und  dafs 
es  «icht  unbestimmt   als    das  Eins  oder  das  Denken 
überhaupt,  sondern  als   bestimmtes,  in  sich  geglieder- 
tes Denken,   als  Einheit  in  der  Mannigfahigkeit  aaf* 
gefafst  ist''  (S.  178—179).     Auch  erklärt  der  Hr.  Vf. 
hieraus  geschickt  die  scheinbaren  Sophismen^  die  man 
in  den  zwei  ersten  Antinomien  £nden  könnte,*  wenn  das 
Eins  als  sinnlich  Existirendes  genoinmea  wird;  denn 
nur  die  Voraussetzung  des  Eins  als  eines  sionüch  £xi- 
stirendjen,  nicht  des   Gedanken^ Eins   soll.  aU  in  u<^ 
widersprechend  datgestellt  wer4en  (S.  174). 


(Die  Fortsetzung  folgt.) 


w  i  SS  e  n 


Jl^  110. 

J  a  h  r  b  ji  c  h  e  r 

für 

schaftllche 


Dccember  1839. 


Kritik. 


Platonische,  Studien  pon  Dr.  Eduard  Zell  er. 

(Fortsetzang.) 

Gegen  diese  AuffassnogBweise  wäre  mir  die«  u 
eriiinerD^  dafs  solches  Uiiterscbeiden  in  der  Beband- 
Inng  der  Antinomien  gar  nicht  in  Plato's  BewufstseJn 
gelegen  bat,  und  für  ihn  sowohl  das  Eios.  als  das  Viele, 
sei  es  als  sinnliche  Existenz,  sei  es  als  Gedanke, 
4nrch  die  Dialektik  zu  Grunde  geht.  Flato  bezweckte 
«Iso  ein  durchaus  negatives  Resultat,  wie  auch  der 
Tbefttet  in  Bezug  auf  die  Lehre  Tom  Erkennen  mit  einem 
solchen  schliefst«  Das  positive  Facit  solcher  negativen 
Dialektik  wird  dann  in  andern  Dialogen,  für  den  Par- 
menides  im  Sophisten,  gezogen.  Flato  wäre  in  der 
That  einseitig,  wenn  er  dem  Eins  mehr  Sein,  als  dem 
Vielen  zuschriebe.  Jenes  ist  nicht  das  Gebiet  der 
Ideen,  dieses  das  der  Erscheinung.  Sondern  alles 
wahrhaft  Seiende  ist  nur  durch  das  ineinander  des 
Eins  und  Vielen;  und  dies  drückt  der  Sophist  so  ans, 
dafs  das  wahrhaft  Seiende  die  Einheit  des  Seins  und 
des  Nichtseins  sei,  wodurch  allein  Leben  und  Thätig- 
keit,  die  ohne  Negatives  nicht  möglich  sind,  ins  Uni- 
versum kommen.  Nicht  das  Eins  ist  also  die  Idee^ 
sondern  die  Identität  des  Einen  und  Vielen,  deren  je- 
des, weil  sie  im  Parmenides  nur  auseinander  gehalten 
werden,  durch  dieses  Ausschliefsen  des  Andern  eben 
untergebt.  Erst  nmfs  es  in  der  Dialektik  zu  diesem 
negativen  Resultate  gekommen  sein,  bevor  die -.positive 
Harmonie  der  Gegensätze  kann  ausgesprochen  werden. 
Wer  dieselbe  inno  hat,  kann  dann  auch  im,  negativen 
Resultate  schon  die  positive  Wahrheit  durchscheinen 
sehen,  wie  dies  für  den  Parmenides  die  Neuplatoniker 
und  unser  Hr.  Verf.  gcthan  haben ;  nach  der  Meinung 
des  Pinto  aber  endet  für  den  Leser  der  Parmenides 
allerdings  mit  einem  Skepticismus,  der  erst  ander- 
wärts aufgelöst  wird. 

Was  die  Stellung  des  Parmenides-  iirf  Kreise  der 

Jahrh*  f,  Witten tch,  Kritik,   J,  1839«  H.  Bd. 


Platonischen  Dialoge  betrilft,  so .  hat  der  Herr  Verf« 
(S.  183  — 185)  sehr  Rechte  gegen  Schleiermacfaer  zu 
behaupten,  dafs  er  nicht  zu  den  einleitenden  und  ivoc- 
bereitenden  Dialogen  geh$re^  sondern  zu  den  spätero, 
wo  die  besoudern  Wissenschaften  sich  trennen  und  der 
Vortrag  mehr  didaktisch  und  dogmatisch  wird.^  Denn 
zu  Republik  und  Timäus,  als  Naturphilosophie  und 
Philosopljie  des  Qeistes,  gehört  nothwendig  als  erstes 
Glied  Platonischer  Wissenschaft  die  Dialektik,  wel- 
che, wie  Hegel  schon  richtig  bemerkte  (Geschichte  der 
Philosophie,  Tb.  II,  S.  230),  im  Parmenides,  Sophi- 
sten und  Philebus  erschöpft  ist,  im  letztern  aber  schon 
den  üebergang  in  die  Ethik  macht.  Warum  ni^i  der 
Hr.  Vf.  den  Sophisten  vor  den  Pariponides  stellt,  ist 
nicht  abviseben,  da  jener  eine  weitere  Ausführung 
und  jedenfalls  eine  directe,  nicht  mehr  indirecte  Be- 
weisführung der  Identität  entgegengesetzter  Bestim- 
mungen ist.  Die  Stelle  im  Sophisten,  wo  ausdrücklich 
auf  ein  früheres  Zusammentreffen  des  Sokrates  mit 
Parmenides  sich  bezogen  wird,  kanu  unser  Hr.  VCrf. 
(S.  .191)  nur  sehr  gezwungen  erklären.  Wäre  aber 
auch  der  Sophist  der  Zeit  nach  früher,  als  der  Par- 
menides geschrieben,  so  folgt  daraas  noch  nicht,  dafs 
er  auch  in  der  Rangordnung  der  Platonischen  Dialoge 
(und  um  diese  allein  handelt  es  sich  hier  für  den  Re- 
ferenten) früher  gestellt  werden  müsse  ^  denn  wir  kön- 
nen uns  recht  gut  denken,  dafs  eine  spätere  Schrift 
einer  frühern  Inhaltsstufc  angehöre,  wiewohl  wir  diese 
Discordanz  nie  ohne^  die  gewichtigsten  historischen 
Zeugnisse,  die  dem  Hrn.  Vf-  hier  aber  gänzlich  abge- 
ben, Btatuireu  dürfen. 

Wenn  endlich  der  Herr  Verf.  an  die  Stelle  der 
Schleicrmaclierschen  Hypothese,  —  dafs,  zum  Politi- 
cus  und  Sophisten,  das  Gustmal  und  der  Phädo,  als 
Darstellung  des  Philosophen  sowohl  im  Leben  als  im 
Tode,  das  dritte  Glied  jener  Trilogie  bilden  sollen, 
die  im  Eingang  des  Sophisten  angedeutet  wird,  —  die 

110 


875  Z  e  l  l  er^    Platin 

Vermuthang  setzt,  .dafs  d^r  Pamenided  dies^a  dr&le 
Glied  sei :  so  sind  alle  solche  BehauptuDgen  zu  künst- 
lich, ond  man  kann  dieses  noch  auf  hundert  mehr  oder 
milder  geifitreiche  Wehe«  arran^ireq^  ohne  Air  eine 
einzige  apodiktische  Gewifsheit  erreichen  za  können. 
Der  Philosoph  sollte  wohl  gar  nicht  in  einem  besoo^ 
dorn  Dialoge  dargestellt  werden,  und  kommt  eigent- 
lich in  allen  zur  Darstellung:  wie  denn  die  einzige 
auf  den  luhalt  gegründete  Trilogie  bei  IMato  wohl  die 
der  Republik,  des  Timäus  und  des  Kritias  ist. 

In  dem  dritten  Aufsatzei.  9,Die  Darstellung  der 
Platonischen  Philosophie  bei  Aristoteles'*  (S.  197—300) 
ist  der  Hr.  Yerf.  nicht  frei  von  der  Scfaleiermacher- 
schen  Ansicht  geblieben,  dafs  Aristoteles  den  Plato 
nicht  yerstaoden,  oder  doch  schief  und  ungenau  aufge- 
fafst  habe.  Wir  wollen  im  Allgemeinen  zugeben,  dafs 
der  unter  die  Schere  der  Aristotelischen  Kritik  gera- 
thene  Plato  etwas  anders  aussieht,  als  der  in  seinen 
Dialogen  lebt.  Aber  erstens  ist  es  ausgemacht,  dafs 
Aristoteles  auch  auf  die  in  den  Dialogen  nicht  berühr- 
ten a/Qaq>if  do/fiara  des  Plato  Rücksicht  nimmt,  wie 
wir  oben  bereits  andeuteten;  und  dann  besteht  eben 
die  ächte  Kritik  darin,  durch  Herauskehrurig  der  Man- 
gelhaftigkeit des  zu  Beurtheilenden  es  nicht  in  seiner 
unmittelbaren  Gestalt  zu  lassen,  sondern  den  böhern 
Forderungen  zu  unterwerfen  und  daran  tu  messen,  um 
es  umzubiegen  und  zu  ihnen  heraufzuziehen.  Dafs 
nun  Aristoteles  diese  ächte  Kritik,  ohne  unhistorisch 
zu  werden,  an  Plato  geübt  hat,  sollen 'die  folgenden 
Worte  des  Referenten  zeigen.  Hauptsächlich  sind  es 
aber  zwei  Punkte,  für  welche  der  Hr.  Verf.  d^m  Ari- 
stoteles ein  Mifsverständnifs  des  Plato  vorwirft,  die 
Auffassung  der  Platonischen  Mythen  und  die  Kritik 
seiner  Idecnlehre.  Ueber  beide  haben  wir  uns  also 
auszuspr<5chen.  Doch  müssen  wir,  um  den  richtigen 
Gesichtspunkt  nicht  zu  verfehlen,  vorher  noch  die  all- 
gemeine Bemerkung  macheu,  dafs  Aristoteles'  Kritik 
einer  frühern  Ansicht  immer  ein  dogmatisches  Tnteresse 
hat:  nie  betrachtet  er  seinen  Yorgänger  um  desselben 
willen,  sondern  lediglich  um  durch'dialektische  Erör- 
terung ein  Resultat  für  die  wahrbafte  Ansicht  daraus 
%u  ziehen  und  diese  somit  im  Entstehen  zu  erhaschen. 

Was  die  Platonischen^Mjthen  betrifft,  so  beschul- 
digt der  Hr.  Verf.  (S.  207)  den  Aristoteles,  er  habe 
unter  der  mythischen  Form,  den  acht  speculativen  Sinn 
nicht  herauszufinden  vermocht,  und  gegen  diese  Form 


i$eke    Studien.  '      876 

» 

polwnisirt)  als  sei  sie  die  eigentliche  Lebre  des  Plato. 
Als  auffallendstes  Beispiel  hiervon  citirt  der  Hr.  Yeril 
die  Polemik  des  Aristoteles  in  der  Meteorobgie  (H,2) 
gegen  den  im  Phädo  angegebenen  Lauf  der  «nterirdi* 
sehen  Ströme  i  tb  d^  bß  x^  Oaüton  ytyQafifUvom  nt^  t% 
%wv  noxafiSv  aud  t^$  ^akixTfi^  ddiforov  iaxt».  Bei  Gele* 
heit  einer  £ntwickelung  der  Theorie  des  Meers  und 
der  Flüsse  berührt  Aristoteles  auch  die  Vorstellun- 
gen des  Phädo,  um  aus  deren  Beseitigung  die  richtige 
Ansicht  herauszuziehen.  In  diesem  dogmatisohen  In- 
teresse ist  es  für  Aristoteles  vollkommen  gleichgültige 
ob  Plato  hier  mythisch  spricht  oder  nicht.  Aristoteles 
sagt  auch  gar  nicht,  ob  Plato  dergleichen  wirklieh 
meine  oder  nur  poetisch  hinstelle.  Dafe  es  aber  im 
Phädo  geschrieben  steht  {h  xf  €>äi9ton  ytyqamuvof)^ 
wird  doch  Niemand  leugnen  wollen;  Aristoteles  scheint 
so  durch  den  Absdruck  selbst,  den  er  gebraucht^  dem 
Einwände  des  Hrn.  Vcrfs,  zu  begegnen.  Auch  ein  Ta» 
del  des  Mythus  kann,  wenn  ipan  will,  in  Aristoteles' 
Worten  liegen ;  denn  selbst  fein  Mythus  müfs  nicht  eine 
innere  Unmöglichkeit  in  sich  schliefsen.  Dieselbe  Recht<> 
fertigung  müssen  wir  einer  andern  Stelle  des  Aristote- 
les (JDe  Coelo  ITI^  2.)  angedeihen  lassen,  #o  der  Hr. 
Yerf.  (S.  210)  meint,  Aristoteles  habe  die  unordeutK« 
che  Bewegung  der  Elemente  in  Pläto^s  Timäus  t^o  ver- 
standen, als  sei  sie  der  Zeit  nach  der  jetzigen  Ord* 
nung  der  Welt  vorhergegangen.  Aristoteles  widerlegt 
aber  an  dieser  Stelle  die  zubillige  und  chaotische  Be- 
wegung der  Atome  im  System  Leucipps  und  Demo- 
krits,  indem  er  die  Widersprüche  aufzeigt,  in  'die  eine 
solche  Annahme  verfallen  würde;  und  nun  setzt  er 
hinzu:  xh  avxh  de  xovxo  avjjißamiv  dvayxaZov,  %£v  A^ 
xa^aniQ  ly,  xS  Ttfiaico  yiyqanxai^  nglf  yevia^ai  xhr  xo- 
ofioy,  intvtlxo  xa  oxot^hZa  ixaxxxo^.  Nicht  ohne  Absicht 
bedient  sich  Aristoteles  wieder  desselben  Ausdrucks 
(/iyQanxat)y  als  wolle  er  gleichsam  nur  den  Worten^ 
nicht  dem  bessern  Sinne  des  Plato  entgegentreten. 
Andere  vom  Hrn.  Verf  citirte  Stellen  sind  ebensowenig 
schlagend.  Doch  scheint  eine  es  um  sb  mehr  zu  sein, 
nämlich  die,  wo  Aristoteles  (^PhjfM.  VIII^  \.)  dem 
Plato  geradezu  den  Vorwurf  macht,  dafs  er  die  Zeit 
entstehen  lasse :  HXixtov  de  aixhv  ytvv^  (lovog.  Hier 
wäre  nun  zunächst  die  Antwort  der  Neuplatoniker  an-« 
zufuhren.  Simplicius  zu  diesem  Orte  {Brandts:  SckoL 
in  Aristotelem^  p.  426,  b,)  sagt  in  dieser  Rücksicht, 
ytvi]x6v  habe  einen  doppelten  Sinn,   indem  es   sowohl 


877  Eeti&r^     Flaton 

dem  sttkmDnte,  was  in  •tefer  VerandeFMg  «ei,  ato  denn 
irelcbes  in  tiiwt  fttihem  Zeit  Dioht  imr.    Nar  io  dt»* 
tem  zweiten  Binne  widerapreebe  noo   Acistoieles  der 
Entstehung  des  Univerenrns^  nimlieh  dafe   es  einmal 
entstanden  sei,  nieht  aber,  dafs  es  stets  entstehe*    Und 
da  auch  Plato  Entstehen  in  dieser  letzten  Bedentang 
genommen  habe,    so  widerlege  Aristoteles  eigentlich' 
nicht  Pinto,  sondern  die,  welohe  ihn  felsch  rerstebeik 
Diese  Wendung  ist  bei  den  Neuplatonilieni  gans  ültge- 
msin,  nnd  sehen  Ammonins  Sakicas   in  seinem  Leben 
des  Aristoteles  hat  «ich  ihrer  bedient:  ovj  atiXStq  avxi^ 
.  %i/ii  xZ  TlXctvmn,  äiXot  tov<;  ft^  roi/aaeri  tu  toS  TlXatafOQ 
(Jrut9t.  Oper.  ed.  BuAle,  T.  /,  p.  45).    In  der  That, 
Plato  hat  nicht  eine  ewige  Materie  und  ein  Chaos,  eine 
seitliche  Schöpfung  n.  s.  v.  als  philosophisches  Dogma 
aufgestellt.    Indem   es  aber   doch  wörtlich    in  seinen 
W^ri^en  geschrieben  steht  {yfyQanTai)^  so  mufs  es  Ari- 
stoteles  widerlegen,  besonders  da  die  Verflaefaong  der 
Piatonischen  Philosophie,  wo  deren  Hjthen  im  eigent- 
lichen Sinne  genommen  wurden,  schnell  eintrat.    Da- 
her bedient  sich  Aristoteles  auch  hinfig,*wemi  er  Pla- 
tonische Sätze  wiflerlegen  will,  des  Plural,  ja  als  von 
B^ttschfilem  sprechend  sogar  der  ersten  Person  (z.  B; 
Uetaph.  /,  9i  Iv  de  r^  fPaiSan  Xsyoiav)^  zum  Beweise^ 
dafs  er  nicht   sowohl  gegen  Plato,   als  gegen   seine 
Schule  kämpft»    Nur   wollen  wir  damit  freilich   nicht 
behaupten,  dafs  Aristoteles  den  tiefern  Sinn  des  Plato 
immer  schon,  wie   die  Neuplatoniker,  als  den  Platoni^ 
sehen  anerkannt  habe ;  aber  auch  hierin  ist  Aristoteles 
historischer  und  genauer,   als  die  Neuplatoniker:  und 
unser  Hr.  Verf.  gesteht  selber  (S.  207),  dafs  die  ei- 
gentliche Meinung  Plato's  ihrem  Urheber  selbst  nicht 
ganz  deutlich  bewufst  gewesen  sei. 

Dafs  Aristoteles  aber  andererseits  die  Platonischen 
Mytden  darum  doch  mtht  forPIato*s  eigentliche  Ueber- 
zeugung  hielt,  ergibt  sich  sogar  aus  seinen  eigenen 
Worten,  die  auch  unser  Hr.  Verf.  (S.  210)  kennt,  und 
woraus  herrorgebt,  dafs  schon  Plato  und  selbst  emige 
seiner  .Schüler,  wie  der  abermalige  Gebrauch  des  Plu- 
ral beweist,  das  blos  Bildliche  ihrer  Darstellung  erkann- 
ten: „Wie  die,  welolie  geometrische  Figuren  zeichnen, 
so  haben  auch  m  über  die  Entstehung  d^r  Vi^elt  nicht 
in  dem  Sinne  gesprochen,  als  ob  sie  je  entstanden  sei, 
sondern  nur  um  den  Lernenden  die  Sache,  wie  bei 
Zeichnung  einer  geometrischen  Figur,  anschaulich  zu 
machen''  {De.  jCoelo  /,  10).    Gegen  diese  Bildlichkeit  . 


iecAe    Studien.  SflH 

Ut  es  aber  eben,  dafe  Arislotdes  sieh  wttideti  indem 
er  das  Uqstatthafte  derselben  darlogt  $  und  hier  ist  die 
eig^utliehe  Lösung  des  Knotens  zu  finden^  den  der  Hr^ 
Verf.  dazu  braucht,  ein  Mifsve^stdien  des  Plato  bei 
Aristoteles  anzunehmen.  Die  Ausrede  der  Neuplatoaio 
kev  hi4ft  nur,  wo  Aristoteles  gegen  die  falache  Auffna* 
snngsweise  der  Schule  petemisiit;  wo  er  aber  Plato  ia 
eigener  Person  angreift,  da  will  er  eben  an  dem  Wi- 
derspruch, den  der  Mythns  darbietet,  diese  Form  ab 
eine  uuphilosopbische,  nnd  damit  die  ]Rangelhalt|gkeit 
dieses  philosophischen  Standpunkts  selbst  nadiweisen* 
Das  Mythische  hat  Plato  freilich  nicht  Im  buchstäbli- 
chen Sinne  genommen ;  sonst  würde  er  selbst  nicht  so 
oft  sagen  (z.  B.  Pkaedrue^  p.  39  Bekk.)^  er  wolle 
nur  menschlich  und  biMlicb^  nicht  auf  gl>ttliche  Weis» 
sprechen.  Warum  bedient  Pinto  sieh  aber  dieser  tra- 
ben und  nebulosen  Ausdrucksweise,  Ton  der  Aristoteh 
les  einmal  sagt,  dafs  sie  nichts  werth  sei  {Metaph.  III^ 
4.),  nnd  ein  ander  Mal,  dafs  sie  nur  der  Anfang  der 
Philosophie  sei  (Metaph.  /,  2.),  als  weil  Plato  eben 
noch  kein  volles  BewnlMseiii  ftber  den  specnlativeu  Ge^ 
halt  des  Kerns  hatte,  den  er  \inter  der  mythischen 
Hülle  bewahrte.  Hütte  er  dies  ToUkommen  klare  Be* 
wufstsein  gehabt,  so  würde  er  es  nicht  mehr  für  ndthig 
erachtet  haben,  sich  mit  dem  Mythus  zu  schleppen^ 
den  er  nur,  wegen  der  für  ihn  ilu  grofsen  Schwierig* 
keit  jener  göttlichen  Untersuchung  {yMx^  iivirf\<s9mi)y 
noch  nicht  entbehren  konnte.  Mit  solchem  Helldlinkel 
aber  der  Platonischen  Anschauung,  was  sollte  ein  so 
klarer  und  bestimmter  Geist^  wie  Aristoteles,  anfangen  t 
Seine  eigene  Philosophie  ist  es,  welche,  die  mythische 
Schale  Plato's  durchbrechend,  den  innersten  Kork  der« 
selben  zu  Tage  gefördert  hat,  wenn  Aristoteles  gleich 
selbst  sich  nicht  bewufst  war,  dieses  Esoterische  Pia« 
to's  enthüllt  zu  haben.  Gegen  dieses  Innei^e  konnte 
seine  Kritik  am  wenigsten  sich  richten,  da  er  dasselbe 
mit  Plato  gemein  hatte,  sondern  lediglich^  gegen  des* 
sen  bildliche  Form  der  Darstdlnng;  und  das  ist  die 
tiefere  Bedeutung  des  Neuplatotrtschen  Satzes,  dafi. 
Aristoteles,  selbst  wenn  er '  Plato  widerspricht,  noch 
mit  ihm  übereinstimme  (cl  bl  xal  aivm  ti^  nlamvt  dv^ 
riXe/ii^  ovdif  ärcmöv  *  xat  ir  xoiTot^  yaf  rot  rou  TlXatto* 
vog  g^ont),  obwohl  Ammonins  selber  mit  diesen  Wor* 
ten,  wie  die  Folge  zeigt,  was  Trivialeres  hat  sagen 
wollen.  Wer  darf  es  hiernach  dem  Aristoteles  verar- 
gen, Plato   gewissermafsen  beim  Worte  zu  nehmen, 


679  Z  e  H  er^    P  l  at  o,n 

undl  dieses  geeehriebene  Wort  an  ihm  ficlbelr  dialek- 
tisch in  widerlegen,  da  Plato  selbst  yon  diesem  Kler 
ben  am  Worte  noch  hicht  gans  frei  gesprochen  vei^ 
den  .konnte,  da  Aristoteles  ferner  an  dieser  Dialektik 
selbst  erst  seinen  böhern  Standpunkt  erklommen  hatte, 
und  da  endlich  dieses  Wort  in  der  Akademischen  Schule 
dem  Geiste  Bnt>8tituirt  worden, war^  den  Aristoteles 
eben  wieder  erweckte,-  nm  Tcrmittelst  desselben  gegen 
den  Bncbstabeii  zn  Felde  in  liehen* 

Ein  Beispiel  wird  genügen,  aufser  Zweifel  zu  set- . 
sen,  dafs  dies  die  richtige  Auffassung  des  Verhältnis* 
ses  beider  M&riner  sei.  Der  Hr.  Yf.  wundert  sich  (S. 
215),  dafs  Aristoteles  behaupte  {^B/ietßph.  /,  6),  Plato 
babo  die  wirkende  Ursache  zu  betrachten  unterlassen, 
da  doch  im  Timäos  ein  Langes  und  Breites  darüber 
^  verhandelt  worden,  wer  die  Welt  geschaiFen  habe. 
Hier  ist  nnn  aber  die  Kritik  des  Aristoteles  eben  wun- 
derbar scharf,  und  durchaus  nicht  von  der  Art,  im 
Bilde  das  eigentliche  Dogma  des  Plato  finden  zu  wol- 
len. Sondern  im  ,Gegentbeil  weil  ihm  der  bildliche 
Ausdruck  doch  gar  zu.  sehr  naoh  eioero  blofsen  Pro- 
ducte  der  Phantasie  schmeckte,  so  vermifsto  er  eben 
auch  bei  Plato  gänzlich  eine  philosophische  Begrün- 
dung der  wirkenden  Ursache:  „Dafs  aus  den  Ideen 
die  andern  Dinge  bewirkt  werden,  ist  bei  Plato  auf 
keine  irgend  ^ie  yerständliche  Weise  angegeben. 
Denn  zu  sagen,  sie  seien  jlie  Urbilder  und  alle  Dinge 
haben  an  ihnen  Tbeil,  ist  ein  leeres  Gerede,  das  uns 
mit  poetischen  Metaphern  abspeisen  will.  Denn  was 
ist  die  wirkend^  Ursache,  welche,  auf  die  Ideen  schau- 
end, die  Dinge  ihnen  geinäfs  macht.?  '*  {Aletaph.  /,  9.) 
Nun  kommt  allerdings  im  Timüus  der  Otoi  ö/j^iovQyog^ 
ein  weifzimmernder  Gott^  vor,  der,  vermittelst  seines 
Scbauens  und  des  Schauens  seiner  dienstbaren  Unter- 
götter nach  den  Ideen,  die  einzelnen  Dinge  diesen  ge- 
mäfs  werden  lüfst.  Das  sind  aber  eben  solche  mythi- 
sche Gestalten,  die  Aristoteles  iiicbt,  wie  der  Hr.  Vf. 
will,  für  baare ,  Münze  nimmt,  sondern  lieber  eine 
Lücke  in  der  Platonischen  Philosophie  vori^ussetzt,  die 
erst  von  ihm  selber  durch  sciue  Lehre  von  der  Imma- 
nenz ,der  Formen  ausgefüllt  worden  ist,  nach  welcher 
die  Idee,  als -an  sich  seiende  im  Samen  einer  Pflanze 
z.  B.  sich  erhaltende  Form,  die  wirkende  Ursache  sei. 


t>s  c  h,0    S  t.u  dien/  88Q 

»  ■ 

die  von  innen  herana  eine  natürliche  Gestalt  zqr^Wirk- 
liebkeit  bringe,  ^tis  dem  mythischen  Oemiurg  d<» 
Plato  ist  also  bei  Aristoteles  ein  Reich  der  Fonnes 
(roTfos  Htwv)  geworden,  welches  nicht  äofserltch  die 
Welt  am  Finger  laufen  läfst,  sondern  deren  inwohneads 
Substanz  ist. 

Dies  fährt  uns  auf  den  andern  von  Aristoteles  bs- 
strittenen   Punkt   der   Piatonisehen   Philosophie,'   die 
Ideenlohre,  die  so  sehr  die  Zielscheibe  AristoteliBolier 
Polemik  ist^  dafs  Aristoteles  keine  Gelegenheit  luibe- 
nutzt   vorübergehen   läfst,   sie  anzugreifen,  und  seine 
ganze  Kritik   eigentlich  auf  diesen   Mittelpunkt  sick 
ooncentrirt,    wiewohl   die  Folge  davon  ^  nur  war,  dsfi 
Ai^istoteles,  in   seiner  Lehre  von  der  Immanenz  der 
Form  als  des  Denkens,   welches  Denken  des  Denkens 
ist,  sich  eben  den  esoterischen  Sinn  dieser  Platonisclieo 
Ideenlehre  recht  angeeignet  bat.     Seine  Polemik  gebt 
also  auch  hier  nicht  gegen  den  Geist  der  Platonisohen  I 
Ansicht,   sondern  einerseits  wieder  gegen  die  schiefe 
Anffas/sung  der  Platonischen  Ideenlehre  in  der  Akade- 
mischen Schule,    die  Plato    aber,   wenn  er  sie  auob 
nicht  theilte,  doch  imu^er  durch  seine  mythische  Dar-  • 
Stellung  wenigsteus   verschuldete:    andererseits  gegen 
die  pylbagQreisireude  Verknüpfoug  der  Ideen  mit. der 
Zableulehre,  —  eine  Verknüpfung,  die  Plato*  ausdriick; 
lieh  schon  begonnen  hatte  und,Speuaipp  weiter  führte. 
Was  Aristoteles  aber  an  der  Ideenlehre  huuptsächlick 
auszusetzen  fand,  war  dies,  dafs  Plato,  was  unser  Hr. 
Verf.   gerade    für   das  Vortrefflichste  hielt,  die  Idee 
oder  das  Allgemeine  dergestalt  substantürtc,   dafs  es 
als  die  alleinige  Wirklichkeit  erschien.    Die  Abstrao- 
tion  dieses  Idealismus  sah  Aj»istoteles  ein,  und  er  Te^ 
theidigte   die  Hechte  der  imlividuellen  Existenzen  ge- 
gen   diesen    Despotismus    der  Ideenwelt.     Die  Frage 
nämlich  nach  dem  Verhältnifs.des  Einzelnen  zum  Al(* 
gemeinen   mufste    sich   unahweislich   der  Platouischeu 
Ansicht  aufdrängen,   wenn  sie  auch  das  Einzelne  ab 
ein  Nichtseieudes  behauptete,  das  dann  aber  doch  iitt- 
mer  den  Werth  einer  ErscheinuugstKelt  behielt.  Wenn 
also  die  Ideen  existiren,    schliefst  Aristoteles,  so  mü^ 
seu   sie   im   Einzelnen    existiren;   denn    die  VenvirUi- 
chung    ist  die  Vereinzelung  und  Spaltung  des  AllgO- 
meinen  {Metaph.  VII^  13 :   ^  ßriiXiiua  x<oQiLn). 


(Der  BeschloTi    forgt.) 


J^  111. 
Jahrbucher 

für 

wis  sensc  ha  f 1 1  i  c  h  e 


Kritik 


December  1639. 


iFle  iSoclet&t  fttr  -wissenscbaftllche  Kritllc  liat  nnter  den  neuerdings  eln«e> 
tretenen  Vmgt&nden  bescblossen»  Ihre  JTalurbfleber  aucb  fernerhin  erischel« 
neni  aea  lassen»  and  glanbt  dieselbe  bei  dieser  Cfelegrenhelt  hinsichtlich  der 
▼on  Ihr  ZV  liefernden  Benrthelloni^jen»  eine  grossere  ToUständln^elt  der 
anenzeifirenden  lü^erhe»  so  iirle  eine  Tlelseltlgere  ITertretang  der  yerschle« 

denen  irlssenschaflllchen  Rlchtangen^  irerhelssen  zn  Icönnen» 

-    ^        -  _ 

Als  Verleger  dieser  Zeitschrift  haben  ^wir  nur  hinzuzufügen,  dafs  von  derselben  wie  bisher 
jährlich,  ausschliefslich  der  Anzeigeblätter,  120  Druckbogen  in  gn  Quart  herauskommen,  und  nach 
Vwlangen  der  Abonnenten  denselben  in  wöchentlichen  oder  monatlichen  Lieferungen  zugesendet 
werden.  Der  Preis  des  Jahrgangs  bleibt  wie  bisher  12  Thaler.  —  Alle  Buchhandlungen  und  Post- 
ämter nehmen  Bestellungen  an. 

Berlia,  den  6ten  December  1839.  üiuicker  vii4  Humblot«  - 


Platonische  Studien  von  Dr.  Eduard  Zeller. 

(SchlnfB.) 

Aristoteles  sagt  daher:  Die  Ideen  existiren  nicht  für 
sich  als  allgemeine,  sondern  nar  im  Einzelnen  und  als  ein- 
lelne;  die  Individuen  seM9  die  ersten  Substanzen,  die 
Gattungen  nur  die  zweiten  Substanzen;  und  wenn  wir. 
eine  einzelne  Farbe  sehen,  so  sehen  wir  beziehungs- 
weise auch  die  allgemeine  Farbe:  in  allen  Einzelnbei- 
ten  reprpducire  sich  also  das  Allgemeine,  welches 
Princip  des  Einzelnen  ist,  ohne  eine  vom  Einzelnen.^  ge- 
trennte Substanz  zu  bilden  (Categ.  /,  5;  Metaph. 
Xllly  10).  Dafs  nun  Aristoteles  die  Platonische  Idee, 
wenn  er  sie  bekämpft,  als  fürsichfteiende  Substanz  und 
numerische  Einheit  aufgefafst  habe,  giebt  der  Hr. 
Verf.  als  richtiges  Fassen  des  Piatonischen  Sinns  zu; 
,ydagegen,"  bemerkt  er  weiter,  „scheint  Aristoteles 
seinem , Lehrer  eine  grofsere  Lostrennung  41er  Idee  von 
der  Erscheinungswelt  beizulegen,  als  wirklich  in  des« 
ädirh.  /.  wuienuK  KrUik.  J.  1830.    II.  Bd. 


sen  System  liegt"  (S.  257).  Wie  kann  aber,  was  nu- 
merisch Eins  ist,  anders  als  g&nzlich  getrennt  und  für 
sich  seiend  gedacht  werden!  Aristoteles,  diese  Pla- 
tonische Bestimmung  tadelnd,  sagt  eben  an  der  zuletzt 
X  citirten  Stelle:  das  Allgemeine,  die  Gattung  oder  Form, 
sei  nicht  ein  numerisches  Eins  {dgid^iuo  eV),  sondern 
der  Art  nach  Eins  (ii9a  eV),  indem  es,  in  unendlichen 
Einzelnheiten  sich  reproducirend ,  Eins  bleibe  (vcrgL 
Metaph.  ///,  6.).  Nur  so  aber  ist  das  Allgemeine  und 
Einzelne  nicht  getrennt;  nach  der  Platonischen  Auffas- 
sung, wenn  man  ihr  auf  den  Grund  geht,  mufs  man 
sie  trennen.  Eben  weil  bei  Plato  die  Erscheinungswelt 
nur  im  Gegeüsatz  zu  den  Ideen  alsvdas  Negative  steht,  , 
so  haben  diese  ein  äufserliches  Verhältnifs  zu  ihr. 
Auch  widerlegt  Aristoteles  nicht  blos  die  Ansicht^  wo- 
nach die  Ideen  aufser  den  Dingen  sein  sollen,  sondern 
auch  die,  welche  sie  in  den  Dingen  setzt;  so  dafs, 
wenn  jenes  nicht  die  Auffassung  Plato's,  sondern  nur 
die  seiner  Schule  gewesen  ist,  Aristoteles  jedenfalls 

111 


883  Zelle  Ty    Piaton 

iin  zweiten  Punkt  die  Meinung  des  Plato  selber  ge- 
troffen hätte.  Gegen  diese  argumentirt  nun  Aristoteles, 
dafs,  wenn  die  Ideen  nicht  aulserh^ilh  der  Einzeluheiten 
wären  und  doch  zugleich  selbstständige  Substanzen 
blieben,  nothweudig  zwei  Substanzen  in  Einem  sein 
miifstcn,  nämlich  die  allgemeine  und  die  einzelne;  was 
noch  widersprechender  wäre,  als  jene  erste  Hypothese 
Ton  der  Jenseitigkeit  der  Ideen  (^Metaph.  ill^  2ßn.). 
Freilich  Plato  gab  nicht  die  Substantialität  der  einzel- 
aen  Dinge  zu ;  das  ist  aber  eben  die  Einseitigkeit  und 
zugleich  Inconsequenz  seines  Staudpunkts,  da  diesel- 
ben doch,  als  die  Ideen  zur  Erscheinung  bringend,  sel- 
ber substantiell  werden  müssen.  Diese  Schwierigkeit 
entschied  nun  Aristoteles  so,  dafs  er  sagte,  die  Idee 
ist  qIs  Substanz  nicht  für  6ich,  sondern  die  Substanz 
dps  Individuunrs  ist  eben  die  allgemeine  Form  oder  die 
Idee  (rd  tlöoq)  selbst.  Das  hat  Plato  nie  einsehen  kön- 
nen, und  daher  das  Unbestimmte,  Mythische,  wodurch 
er  die  Aristotelische  Polemik  wohlverdienter  Weise 
sich  zugezogen  hat« 

Das  |}este  ist,  dafs  unser  Hr.  Verf.  sich  dann  hin- 
terher selbst  widerlegt,  und  der  Auffassungsweise  des 
Referenten  Recht  zu  geben  gezwungen  ist.  Denn  zu- 
nächst sagt  er  zwar:  „Die  Weltseele  oder  die  mathe- 
matischen Dinge  also  sind  nichts  Anderes,  als  die 
Ideenwelt  selbst  in  ihrer  Beziehung  auf  das  Nichtsei- 
endc,  oder, 'was  dasselbe  besagt,  die  Ideen  als  Gesetze 
der  Sinnenwelt.  Von  allem  diesem  wird  jedoch  bei 
Aristoteles  gar  keine  Notiz  genommen,  sondern  der 
Idee  die  Erscheinung  mit  gleichen  Ansprüchen  auf 
Wirklichkeit  der  Existenz  gegenübergestellt,  uud  nun 
allerdings  mit  gutein  Grunde  die  Unmöglichkeit,  Beide 
zu  vereinigen,  dargefhan"  (S.  259).  Wogegen  zu  be- 
merken, dafs  bei  Aristoteles  nur  die  mit  der  immanen- 
ten Form  erfüllte  Erscheinung  die  eiuzige  und  wahre 
Wirklichkeit  ist,  derselben  entblöi'st  aber  für  eine  leere 
Möglichkeit  gilt,  wie  auch  die  abstracto  Form  in  ihrer 
Trennung  von  der  Materie,  für  nichts  Besseres  von 
jhm  gehalten  wird.  Was  dann  aber  beim  Hrn.  Verf. 
folgt,  acceptireu  wir  gern  in  Aristoteles^  Namen :  „An- 
dererseits läfst  sich  nun  freilich  auch  sagen,  dafs 
Aristoteles  darin  im  Grunde  Hecht  habe.  Denn 
wenn  die  Erscheinung  für  sich  das  reine  Nichtseiende 
wäre,  und  alle  ihre  Wirklichkeit  von  dem  Uereinschei- 
nen  der  Idee  borgen  müfste,  so  könnte  auch  nicht  eine 
Trübung  uud  Zersplitterung  der  Idee  in  ihr  Statt  lin- 


i  $  e  h  e    Studien. 


884 


den.  Aber  Aristoteles  sagt  nirgends,  dafs  die  Selbst- 
ständigkeit, welche  er  bei  der  Erscheinung,  der  Idee 
gegenüber,  voraussetzt,  eine  von  Plato  selbst  nicht 
gezogene  Consequenz  sei,  sondern  er  verfahrt  ganz 
als  ob  er  hierbei  e  concettie  argumentirte,  womit  Plate 
ein  unverkennbares,  wenn  auch  vom  Standpunkt  sei- 
nes Beurtheilers  aus  sehr  leicht  erklärliches  Unrecht 
angethan  wird/^  Wie  kann  der  Hr.  Verf.  aber  dies 
behaupten,  da  er  selbst  dem  Aristoteles  das  Recht  ein* 
räumt,  diese  Consequenz  zu  ziehen,  und  die  immanente 
Widerlegung  eines  Gegners  eben  nur  darin  bestehen 
kann,  dafs  aufgezeigt  werde,  wie  durch  innere  Ent' 
Wickelung  seines  Standpunkts  dessen  Consequenzeii 
sich  in  sich  widersprechen!  Hätte  Plato  sich  also  u&< 
her  einlassen  wollen  auf  die  Angabe  des  Verfaullniases 
der  Ideen  zur  Erscheinnngswelt,  so  hätte  er  müsseo 
auf  diese  Co^isequenzen  stofsen,  die  ihn  dem  Urtheil 
des  Aristoteles  biosstellten.  Um  dieses  Labyrinth,  aas 
dem  Pluto  keinen  Ausgang  sab,  zu  vermeiden,  blieb 
er  im  Nebel  seiner  mythischen  Hülle,  aus  dem  ihn  Ari« 
stoteles  in  das  Feld  der  Wirklichkeit  herauslocken 
mufste,  um  ihn  widerlegen  zu  können.  Aristoteles' Po« 
lemik  gegen  die  Idceulehre  hat  also  das  ganz  positive 
Resultat,  die  Idee  als  die  energirende  Form  der  ein- 
zelnen Dinge  aufzufassen,  und  darin  besteht,  beiläufig 
gesagt,  der  ganze  Fortschritt,  den  Aristoteles  gegen 
Plato  gemacht  hat.  Die  Immanenz  der  Ideen  in  der 
Erscheinungswelt  ist  nie  bei  Plato  deutlich  ausgespro- 
chen, eben  weil  er  die  Erscheinung  verachtete  und  ver- 
warf; und  nur  gegen  diese  Nicht -Immanenz  oder  Trans- 
s:cendenz  kämpft  Aristoteles,  so  wie  auch  aus  diesem 
Gesichtspunkt  seine  ganze  Polemik  allein  richtig  ver- 
ständen werden  kann. 

Dieser  Abfall  des  Aristoteles  von  Plato  scheint 
schon  bei  Lebzeiten  des  Meisters  eingetreten  zu  sein; 
wenigstens  sehen  wir  diesen  in  der  letzten  Zeit  seines 
Lebens,  wohl  durch  diese  Polemik  gedrängt,  eine  Umge* 
staltung  mit  seiner  Lehre  vornehmen,  die  zwar  nicht 
mehr  in  seinen  Dialogen,  die  bereits  publicirt  waren, 
wohl  aber  in  seinen  mündlichen  Vorträgen  h^qI  xiya^ 
fov  zum  Vorschein  kam  und  auch  in  den  nachgelas« 
senen  Gesetzen  nicht  ohne  sichtbare  Spuren  geblieben 
ist  Einsehend  nämlich,  dafs  die  Jenseitigkeit  der  Ideen 
unhaltbar  sei,  wie  sollte  er  ihnen  nun  eine  Realität  in 
dieser  Welt  verschaffen  ?  Hier  bot  sich  nichts  Anderes, 
als  die  mathematischen  Wesenheiten  des  Pytbagoras 


885 


ArüMelü  Poetiea.    Edidit  Müter. 


88S 


dar,  wie  Plato  diese  denn  aaeh  als  den  mediu9  temd- 
nus  zwiseheo  Idee  und  Sianlichkeit  Ton  jeher  aasab. 
'Aaf  di^se  Weise  fafst  es  aueh  unser  Hr.  Verl'.:  ^»Pla* 
to's  Ideen  sind  noch  ein  Jenseitiges.''  (Hat  Aristotelee 
nieht  also  Recht,  sie  dann  als  losgetreFnut  zu  nehmen?) 
,)lhiien  einen  rein  begrifflicbea  Inhalt  za  geben,  war  er 
durch  die  abstraete  Fassung  der  Ideen  als  eines  Jen» 
seitigen  verhindert.  Indem  Plato  in  den  matheniati^ 
sehen  Gesetzen,  und  der  Zahl,  als  deren  allgemein 
gttltigem  Ausdruck,  den  Vereinigungspunkt  des  Idealen 
und  Sinnliohen  erkannte:  konnte  er  einestbeils  das 
unrerllnderliehe  Wesen  alleii  Seienden  in  der  Zahl 
auszusprechen  glaubeii,  andererseits  die  Zahlen  selbst 
für  Ideen,  und  die  höchste  Idee  für  identisch  mit  der 
UrzabI,  dem  Eins,  erklären"  (S.  296-.298).  Dies  un- 
ternahm  er  nun  eben  Tornebuilich  in  jenen  do/fiaaiv 
dyißä<f.oi^,  welche  XenokrateS,  Aristoteles  und  Andere 
aufzeichneten,  während  der  pythagoreisirende  Timäus, 
der  letzte  seiner  vollständigen  Dialogen,  schon  stark 
dahin  sich  neigte.  Kann  man  aber  besser,  als  Aristo- 
teles es  im  13.  und  14.  Buch  der  Metaphysik  thut, 
widerlegen,  dal's  die  Zahlen  nicht  die  Principien  sein 
können,  weil  Zahlen  blofse  Relationen  und  keine  Sub- 
stanzen seien,  die  Ideen  aber  dock  vor  Allem  substan- 
ziell.  sein  müssen,  und  was  für  andere  Argqmente  er 
Doeh  angibtl  Auch  hier  mufs  man  also  dafür  halten, 
dafs  die  Kritik  des  Aristoteles  aus  der  tiefsten  Ein- 
stellt in  den  Geist  der  Platonischen  Lehre  und  in  die 
Natur  der  Zahlen  hervorgegangen  ist. 

Das  Endurtheil,  welches  wir  über  die  Bestrebun- 
gen des  Hrn.  Verfs.  fäUen,  ist  hiernach  dieses,  dars, 
wenn  uns  auch  die  Behauptungen  der  dritten  Abhand- 
lang unhaltbar  scheinen,  wir  doch  mit  der  zweiten  fast 
^nzlich  übereinstimmen  konnten,  und  in  Bezug  auf 
die  erste  dem  Hrn.  Verf.  nur  entgegenzuhalten  brau- 
chen, dafs  er  in  seiner  kritischen  Verwerfung  der  Ge- 
setze zu  weit  gegangen  sei,  wiewohl  was  er  über  den 
lofaalt  und  die  Stellung  dieses  Gesprächs  zur  ältesten 
Akademie  sagt,  wenn  es  auch  grofsentheils  noch  von 
Plato  selbst  verfafst  worden,  seine  vollkommene  Gül- 
tigkeit  bebalten  kann.  Indem  dann  Referent  auf  die 
Worte  des  Hrn.  Verßi.,  dafs  ihm  der  Tadel,  wenn  er 
begründet  ist,  nicht  minder  lieb  sein  wird,  als  das 
Lob  (S.  IV),  sich  beruft,  schliefst  er  mit  der  Hoff- 
nung, dafs  dieses  freimüthige  Aussprechen  von  Beidem 


das  freundschaftliche  Verhültnifs,   in  welchem  er  mi( 
dem  Um.  Verf.  stobt,  unt  noch  fester  begründen  werde. 

Michelet. 


LVL 

Ariatotelis  Poetica.  Ad  Codices  antiquos  recogni" 
iam  Latine  contersam  commentario  tilustra- 
tarn  edidit  Franciscus  Ritter.  Colomae^  1839. 
XXX  und  300  S.    8. 

Ein  eigcntliümliches  Schicksal  hat  den  Ruhm  und 
Einflufs  des  Aristoteles  in  Zeiten,  die  seiner  Philo- 
sophie entfremdet  und  unempfänglich  waren,  an  ein 
kleines,  zertrümmertes,  räthselhafles  Buch  geknüpft. 
Nachdem  die  beginnende  Bildung  des  sechszehnten 
Jahrhunderts  sich  von  den  Fesseln  der  Scholastik  los- 
gesagt und  deren  angeblichen  Vertreter  Aristoteles  ge- 
ächtet hatte,  blieb  die  Lesung  seiner  Schriften  dem 
Zufall  tiberlassen:  tlle  Schule  nutzte  seine  Formeln 
und  folgte  seinem  logischen  Schematismus  $  die  Ge- 
lehrten zogen  ein  und  das  andere  Werk,  ani  meisten 
durch  den.Reichthum  an  historischem  Stoff,  zuweilen 
auch  durch  den  grdfseren  Anschein  der  Lesbarkeit  ge- 
lockt, aus  der  Vergessenheit,  und  doch  mochte  nie- 
mand, wiewohl  einige  durch  treffliche  Lateinische  üeber- 
setznugen  und  fleifsige  Kommentare  sich  verdient  mach- 
ten, hier  wie  auf  so  vielen  ärmlichen  Feldern  mit  einem 
Schaustück  philologischer  Kunst  hervortreten;  zu  den 
Männern  aber,  welche  ohne  zünftiges  Interesse  sich 
frei  in  ästhetischer  Theorie  oder  in  moderner  Littera- 
tur  beuegten,  sprach  nur  die  Poetik.  Wer  nun  die 
Macht  bewundert,  welche  die  Lehren  der  Aristoteli- 
schen Poetik  in  den  Ansichten  vom  Epos,  besonders 
von  der  Oekonomie  des  Griechischen,  und  noch  durch- 
greifender in  der  modernen  Tragödie,  zumal  in  der 
Technik  der  Franzosen,  -.ausgeübt  haben,  mufs  wol 
darüber  etwas  mehr  erstaunen,  dal^  die  meisten  dieser 
Prinzipien,  wodurch  der  grofse  Philosoph  ein  Gesefz- 
geber  und  im  gebildeten  Publikum  ein  hochgefeierter 
Namen  geworden  war,  aus  Mifsverständnifs  hervorgin- 
gen, und  dafs  ein  Verständnifs,  eine  unbefangene  Wür- 
digung des  Büchleins  völlig  mangelte.  '  Selbst  fjcs* 
Single  heller  Sinn,  der  zuerst  in  die  Tiefen  der  Poetik 
einführte  und    ihren  Geist  zu   deuten   begann,   wurde 


887 


ArütoteltM  Pwtiea.    Edidit  Ritter* 


Ton  der  Gewalt  des  Aberglaubens  geblendet :  ,,ioh  stehe  ^ 
nicht  an  cn  bekennen**  ILufsert  er  einmal,  sogar  auf  die 
Gefahr  darüber  ausgelacht  zu  werden,   «^dafs  ich  sie 
fiir  ein    ebenso  unfehlbares  .Werk  hatte    als  die  Ele- 
mente  des  Euklides  pur  immer  sind."    Nun  sind  die 
Gründe   dieser  seltsamen  Erscheinung   nicht  fern    zu 
suchen ;  denn  sie  liegen  sowohl  im  Zxistande  der  Poe- 
tik als  in  ihren  mehr  oder  minder  einseitigen  und  plan- 
losen Bearbeitungen.    Es   kann  paradox  scheinen  und 
ist  doch  nur  zu  sicher,  dafs  bis  zur  neuesten  Zeit  die 
Verfassung  der  Schrift  und  der  dichterische  Standpunkt 
des  Aristoteles  verkannt  oder  vielmehr  übersehen  wa- 
ren $  die  Anstrengung  forner,  die  man  auf  den  T^xt  zu 
wenden  pflegte,   hielt   sich  immer   innerhalb  mäfsiger 
Grenzen ;  und  der  Mangel  einer  Ausgabe,  ^welche  nächst 
den  positiven  Thatsachen  den  vollen  Gehalt  der  dunk- 
len oder  vieldeutigen  philosophischen  Begriffe  scharf 
entwickelt  und  in  systematischen  Zusammenbang  ver- 
schmolzen hätte,  liefs  der  Willkür  der  Leser  und  na- 
mentlich der  Dilettanten  einen  weiten  Spielraum.    Dafs 
es  nicht  anders  sich  verhalte  lehrt  ein  Ueberblick  der 
bieher   gehörigen  Litterargeschichte.     Nachdem    eine 
Reihe  von  Kommentaren  ,den  Anfang  gemacht  hatte, 
deren  Ursprung  auf  Vorlesungen  an  Italienischen  Uni- 
versitäten zurückgeht,  erwarben  sich  M(ulms  und  Vtcto^ 
riusy  vermöge  besserer   Hnlfsmittel   und  vorsichtiger 
Emendation,  ein  Verdienst  um  den  Text.    Auf  sie  folgt 
ßan*  HeintifM^  dessen  Verfahren  zwar  grillenhaft  und 
in  vielen  Fällen  unglücklich  war,   indessen  als  der  er- 
ste Versuch  mit  einer  zerstückelten  und  verworrenen 
Darstellung  sich  abzufinden  ip  Betracht  kommen  darf« 
Eine  bedeutende   Folge  von  Kompilationen   und   Ab- 
drücken blieb  bei  der  Ueberlieferung  stehen.    Demnach 
ist  Tyrwhitt  der  erste,  welcher  mit  gewohntem  Scharf* 
blick   die   Kritik   regelte    und    die    rein -philologische 
Interpretation  mit  mehr  als   gewöhnlicher  Gelehrsam- 
keit  unternahm:  ihm  verdankt  man  die  Grundlagen  und 
die  Sicherheit  jeder  späteren  Leistung,  die  auf  Belb- 
ständigkeit  und  fruchtbare  Resultate  Anspruch  macht. 
In   seinem  Sinne  schritt  nicht  sowohl  Rei%  fort,  der 
wie  in  einem   hinlänglich  fixirten  Buche  des  Aristote- 
läs  zu  feilen  und  für  Eleganz  der  Form  zu  sorgen  dachte, 
als  der  ausgezeichnetste  Schüler  desselben  Hermann^ 
dessen  Ausgabe  noch  ganz   der  älteren  Periode  des 
berühmten  Kritikers  angehört.    Einerseits  hat  ihm'  am 


Wenigsten  eine  Menge  versteokter  Fehler  und  Schief- 
faeitea.im  logischen  Ausdruck  entgehen  können,  ohne 
sogleich  mittelst  energispher  Kor  «ir,  Ordnung  und, 
soweit  die  Mittel  reichten,  zur  Gesundheit  gebracht  zu 
werden  \  und  was  zerrissen  und  an  entlegiene  Plätis 
verschlagen  war,  sollte  sich  zur  leidlichen  Symmetrie 
zusammenfügen,  was  nicht  anders  als  durch  Umstel- 
lungen zum  Theil  gewaltsamer  Art  sieh  bewirken  liefs. 
Die  Erklärung  dagegen  trat  gegen  diese  vorwiegenden 
Bemühungen  um  den  Text  zurück,  und  auch  die  aus- 
führlicheren Noten,  besonders  die  auf  Griechische  Tra- 
gödie bezüglichen,  waren  hauptsächlich  nach  Bedarf« 
nissen.der  Männer  vom  Fach  berechnet;  während  die 
angehängten  Abhandlungen  zur  Aesthetik  des  Epos  qimI 
Drama,  abgesehen  von  ihrem  subjektiven  Standpunkte, 
nur  allgemein  an  Aristoteles  anknüpften,  mehr  der 
poetischen  als  historischen  Würdigung  jener  Gattun- 
gen dienten«  Was  nachher  geschah  und  in  leicbtg^ 
bauten  oder  schwerfälligen  Sammlerwerken  zu  Tage 
kam,  bildete  keinen  Fortschritt,  sondern  eher  in  anf- 
.  gefrischten  Autoritäten  und  Räsonnenients  auf  der  be- 
liebton Mittelstrafse  eine  Rückkehr  zum  bequemen  He^ 
kommen. 

In  unseren  Tagen  ist  das  Studium  des  Aristote- 
les aus  langem  Schlummer  erwachl  und  mit  gesteiger- 
tem Ernst  nach  alleu  Seiten  hin  erneuert  worden«  Die 
spekulative  Richtung  der  letzten  zwanzig  Jahre,  der 
man  jenen  Umschwung  verdankt,  hat  gewisserroarsen 
mit  dem  grofsen  Sjstematiker  eineu  Bund  geschlos- 
sen und  seinen  tiefsinnigen  Gehalt  als  ein  würdiges 
Objekt  des  sich  selbst  genügenden  methodischen  Den- 
kens anerkannt;  auch  mufste  er  für  Plato,  dem  die 
bildungslustige  Zeit  schon  früher  und  mit  Leidenschaft 
zu  huldigen  anfing,  aU  ein  unentbehrliches  Gegenge- 
wicht und  Korrektiv  erscheinen.  So  haben  wir,  nächst 
vielen  förderlichen  Beiträgen,  eine  Gesammtausgabe 
erworben,  welche  trotz  ihrer  kritischen  Einseitigkeit 
dem  dringendsten  Bedürfnifs  entspricht  und  auf  eines 
sicheren  Grund  zu  bauen  verstattet.  Nur  die  Poetik 
ist  gegen  andere,,  nahrhaftere  oder  tiefere  Aufgaben 
der  Aristotelischen  Litteratur  im  Nachtheil  geblieben, 
aber  auch  ihrerseits,  wenngleich  die  Forschungeo  m 
sehr  sich  vereinzelten,  in  BetreiF  erheblicher  Schwie- 
rigkeiten aufgehellt  und  von  neuen  Seiten  her  betrach- 
tet worden. 


(Die  Fortsetzaog  folgt.) 


J^  112. 

Jahrbücher 

für. 

wissen  sc  haftliche    Kritik 


Deccmber  1839. 


Arütotelü  Poetica.  Ad  Codices  antiquos  recogni- 
tatn  Laune  conversam  commeniario  tUustra^ 
tarn  edidit  Francfscus  Ritter. 

(FortaetzttDg.) 

Die  meist en  siod  auf  der  Bahn  .  des  Castelve* 
tro  und  Twiningy  deren  Meditationen  jetzt  wider 
Gebühr  in  Vergessenheit  geratben,  weiter  gegangen, 
and  die  Zergliederung  von  interessanten  Kapiteln^  von 
Theoremen  und  wesentlichen  KunstbegriflTen,  mit  be- 
sonderem Bezug  auf  moderne  Dramaturgie,  hat  zu  kla- 
ren Resultaten  geleitet:  es  genügt  hier  an  die  sorgfäl- 
tige Abhandlung  von  Fr,  v,  Haumery  an  die  Kritiken 
beider  Sc/ifegel  und  (wenn  wir  die  chronologische  Folge 
verlassen)  an  den  Anfheil  zu  erinnern,  den  Goetke 
und  nicht  minder  lebhaft  Scbillcr  (im  dritten  Theile 
des  Briefwechsels)  solchen  Erörterungen  gewidmet  ha- 
ben. Einen  durchgreifenden  Eiuflufs  gewann  daneben 
nnd -gewinnt  fortwährend  die  Untersuchung  über  Ho- 
mer, die  Kykliker  und  die  Oekonomie  der  Tragödie  3 
denn  insofern  die  Poetik  vorzugsweise  das  Epos  und 
die  tragische  Kunst  verhandelt,  und  darin  ihr  eigentli- 
cher Wcrth  liegt,  so  mufsten  die  litterar-  urtd  kuost- 
geschicbtlicheu  Einsichten  der  Gegenwart  auch  den 
Standpunkt  ermitteln,  auf  welchem  die  Empirie  und 
die  Lehren  des  Aristoteles  stehen.  Man  ist  auf  die- 
sen Wegen  endlich  zur  unbefangenen  Schätzung  sei- 
ner Autorität  vorgerückt,  und  immer  sicherer  zur 
Deberzeugung  gekommen,  dafs  ihm  nur  in  eingescbräuk- 
ten  Feldern  eine  bindende  Gewalt  angehöre:  dafs  er 
das  Epos  nicht  in  seinem  Werden  und  seinen-  nutürli- 
oben  Zuständen,  sondern  in  seiner  fertigen  lesbaren 
Abfassung  zu  würdigen  vermag  oder  den  Willen  hat, 
uod  dafs  seine  Dramaturgie,  weit  entfernt  umfassend 
und  idealisfisch  zu  sein,  innerhalb  der  Bühne  des  Euri- 
pides  sich   bebnuptct. 

Am  seltensten'  aber,  wiewohl  die  angedeuteten  Stu- 

Jahrb.  f»  wittentch.  Kritik.    J,  1839.    H.  Bd. 


dien   dahin  zu    drangen  scheinen,    sind  die  Versuche 
gewesen,   das  Büchlein  -  in  seine  Stoffe  zu  scheided, 
Ursprüngliches  und  spätere  Elemente  zu  anaijsiren  und 
den  muthmafslicben  Zweck  oder  Plan   zu  ergründ^. 
Wir  können  nur  die  mit  kritischer  Genauigkeit  ange- 
stellte Forschung  von  Spengel  in  den  Abhandlungen 
der  Münchener  Akademie  J.  1837.  nennen ;  woran  sich 
die  Leistung  der  vprliegenden  Arbeit  reihen,   und  zu- 
gleich der  Bericht  von  letzterer  anknüpfen  läfst.    Doch 
würde  dies  nicht  schicklich  geschehen,  ohne  gleichsam 
als   Abschlufs    dieser  vorläufigen  Bemerkungen   aucb 
das  Resultat   zu  erwähnen,   welches  die  Summe  der 
bisherigen  Kunstkritiken  enthält ;  um  so  mehr  als  un- 
ser  Herausgeber   keine  Notiz  davon   genommen   hat« 
Aber  dem  Leser  einer  so  dornenvollen  Schrift,  dessen 
Urtheil  durch  die  heterogensten,    ohnehin  zerstreuten 
Hülfsmittel  eher  gehemmt  als  geleitet  wird,  kann  es 
nicht  gleichgültig  sein  im  voraus  zu  erfuhren,   was  er 
von  der  roetik  zu   erwarten  habe,   wie  er  jetzt  nach 
dem  Mafse  heutiger  Bildung  ihr  gegenüber  stehe,  und 
wieweit  hier  die  hergebrachte  Verehrung  des  Aristote- 
les im  Rechte  sei.     Manchen  wird  nun  dieses  Resultat 
überraschen,   welches  einer  bisher  unbedingten  Autbri- 
'  tat  das  volle  Vertrauen  entzieht  und  ihre  Worte  nicht 
durchweg  als  goldene  anerkennt.     Immerhin  möge  man 
ihm  ein  tiefes  Gefühl  für  das  was  in  der  Kunst  rieh- 
tig,  schicklich  und  fein  ist,    kurz   für  das  BegrifFlicbe, 
die  logische  Zurüstung  nnd  technische  Zweckmäfsig- 
keit  derselben  zugestehen  \  man  müsse  die  Liberalität 
und  Schärfe  seines  Geistes   in  Ehren  halfen,   dem  es 
mehr  auf  das  Wesen  als  auf  irgend   äufsere  Formen 
ankommt;  man   solle  gleichwohl  sieh  nicht  verhehlen, 
dafs    ihm    das   Geheimnifs    der  Poesie,   ihre    innerste 
Einheit   und  ihre  von  jedem   untergeordneten  Zwecke 
unabhängige  Dichtung  des  Schönen,   dis  anschauende 
Begeisterung  und  die  freie  Phantasie,  schon  weil  dort 
der  kritische  Sinn  überwog,  verschlossen  waren.   Nur  die 

112 


891 


ArutoUlü  Pü0iica.    Edidii  Ritter. 


892 


Arohitektonik  der  Gedicbtarteii  sei  das  eigeitliobe  Feld 
des  Aristoteles ;  ihm  gelinge  das  Abstrahirea  der  widh- 
tigsten  Merkmale^  die  er  in  die  Gesetze  der  Nothwen- 
digkeit  iiad  des  Zusattmenhanges  a«fzul6sea  wisse; 
der  trennende  Yerstana  erscheine  niemals  glänzender, 
das  beifst  einseitiger,  als  wo  er  der  Tragödie,  ^  welche 
dem  spekulativen  Denker  die  reichste  Nahrung  und 
eine  Fülle  vpn  Befriedigung  gewährt,  den  Vorzug  vor 
dem  blofs  pragmatisch  gefafsten  Epos  ertfaeile;  dafe 
-aber  bei  dem  allen  sein  Urtheil  so*  sicher  und  taktfest 
bestrebe,  verdanke  er  dem  gliickKchea  Uinstonde,  der 
ihn  ächte,  in  der  Idee  Vollendete  oder  indtvidoel(-ge- 
^gene  Kunstwerke  vorfinden  liefe  und  anf  die  brei- 
-teste  «Basis  der  Erfahrung  stellte.  Dieses  Räsfenniren 
aus  den  Mustern  nud  Zerlegen  in  ihre  diarakteristi- 
flehen  Momente,  vomehmlieh -mit  dem  Blick  auf  das 
was  Interessen  einsobliefst  und  der  Reflexion  zu  thua 
gibt  (weher  der /Vorrang  des  Buripides  trotz  oft  ge- 
tilgter Mängel),  bestimme  den  Werth  der  Poetik; 
melnr  dürfe  man  nicht  begehren,  da  die  philosophisehe 
Theorie  der  Litteratur  und  schönen  Kunst  bei  den 
Alten  als  besondere  Wissenschaft,  vollends  als  organi- 
fiebes  Gebäude  wenig  ausgebildet  war.  Dies  mag  un^ 
gefähr  als  Summe  der  neuesten  und,  wie  man  bei  nä- 
tier^r  Prüfung  einräumen  wird,  auch  der  reifsten  Be^ 
nrthetlnngen  gelten;  eine  Sichtung  und  Zergiiedemng 
derselben  liegt  uns  fern;  doch  kann  es  niemandem  ent^ 
gehen,  wieviel  das  Studium  und  die  freisinnige  Schät- 
zung des  Buchs  gewinnen  müfste,  wenn  eben  die  empi«- 
Tiscbe  Stärke  desselben  in  einem  Kommentar  (den  wiir 
erst  hoffen)  zu  Tage  käme. 

Indessen  konnte  man  fragen  t  sind  summarische 
Kritiken  der  Art  nicht  voreih'g  und  unberechtigt,  so 
lange  der  wabre  Zustand  und  die  Integrität  der  Poe- 
tik ein  Problem  Meibtl  Dieses  Bedenken  führt  uns  zu 
der  oben  augedeuteten  Untersuchung  zurück,  mit  wel- 
ober  der  Herausgeber  seine  Vorrede  eröffnet ;  obschon 
er  ohne  Rücksicht  auf  die  Vorgänger  nur  mit  seiner 
Egonen  Ansicht  sich  beschäftigt.  Ueberhaupt  sind  bis- 
her drei  Meinungen  vorgetragen  "worden;  jede  dersel- 
ben ruht  auf  'begründeten  Thatsacben ;  und  wer  ohne 
Vorurtheil  den  Eindruck  erwägt,  den  eine  wiederholte 
Lesung  znrückläfst,  kann  nicht  füglich  an  einem  ein- 
zelen  Gesichtspunkt  verweilen,  ebne  sich  auch  von 
Motiven  der  übrigen  Hypothesen  beröhrt  zu  fühlen^ 
Den.  ersten  Herausgebern  konnte  nicht  entgehen,   was 


sowohl  eib  allgemeiner  UeberUick  als  die  Verweisoa- 
gen  des  Aristoteles  selber  lehren,  daf^  die  Poetik  ig 
lirem  heutigen  Umfang  ein  Fragment  sei.  Sie  sollte 
aufser  Epos  und  Tragödie  noch  die  lyrische  und  komi» 
sehe  Dichtung  verhandeln  $  im  Absobnitt  von. der  &• 
niödie  mufsten  die  Formen  und  Spielarten  des  Läche^ 
lieben  {tiSri  yfXofMv\  die  nach  seiner  zweimaligen  Ver- 
sicherung (^RAetor.  I,  11.  III,  18.  mit  der  Citation  h 
xotq  m()(  Uof^/rix^^)  ebendaselbst  bestimmt  wurden,  ihren 
Platz  g^mden  haben;  femeir  versichert  sein  Konuneiir 
tator  SimpliemM ,  dafs.  dort  von  den  Synonymes  die 
Rede  sei,  und  nach  ihm  las  Philopomis  in  ihr  gemse 
Erläuterungen  des  teleologischen  Prinzips;  sogar  b 
den  sonst  ausführlichen  Kapiteln  der  Dramaturgie  feUt 
die  uncntbehrlicbe  Definition  der  xcr^^ai^,  die  man 
hier  schon  wegen*  der  ^usdrückUcfaen  HinweisMig  ii 
der  Politik  VIII,  7.  (Jtqovfinv  caq^ian^v)  erwarten  datfie. 
VVas  man  übrigens  anfserdem  an  alten  .Citationeo  b» 
aitzt,  taugt  zu  keiner  Entscheidung :  TAmnüimu  ain* 
lieh  fuhrt  allerdings  einiges  an,  das  in  der  GesebidMe 
der  Tragödie  stehen  konnte,  der  Veirf»  p.  I|5.  tetfaeik 
4iber  richtig,  dafs  jene  Notiz  auf  oberflächliehes  Biib- 
neruDgen  beruht ;  die  Worte  des  Alea^ander  von  Jfir^' 
düias  dagegen  {SehoL  Aristot.  p.  299  extr.)  sind  so 
verworren,  dafs  sie  nicht  einmal  das  an  sich  glaiUi- 
tdie  Resultat  (praef.  p.  XV.)  bestätigen,  nftnüch  difi 
im  3.  Jahrh.  n.  Chr.  nur  ein  verstümmelter  Text  der 
Poetik  bestand.  Im  Hinblick  also  «af  diese  staikei 
Defekte  nahmen  die  (rnheren  Herduageber  an,  flaft 
.  letztere  blofs  das  erst«  Buch  von  zweien  sei,  die  dsM 
Diogenes  Laertius  zufolge  unter  demselben  Titd  k^ 
standen.  Aber  Diogenes^  dessen  Verzeicbnifs  Aneli^ 
telischer  Schriften  unsicher  und  tumultAarisck  ist,  bi^ 
tet  keinen  Anhalt  dar:  die  Bücher  n^a/nariku  tigm; 
notritiX9Jg  'd  ff.  noifjTütd  d;  mitten  unter  rhetorifiehe 
Werke  gestellt,  und  obeneiu  durch  den  Zusatz  tepnn 
verdächtig,  lassen  zweifeln,  hi  welehem  Verhältnifs  sie 
zu  unserer  Poetik  zu  denken  seien.  Emigen  Ersati 
gibt  indessen  die  Schrift  ntgl  noifjtäv  m  drei  Buchen^ 
Insweilen  fehlerhaft  (ehemals  bei  Ihog.  II,  46.  mid 
Anonym,  de  Vita  Uom.  3.)  m^i  irof^rtK^^*  betitelt. 
Soweit  nnn  vier  Bruchstücke  (denen  vielleicht  StkA* 
de.  p.  Arch.  X,  3.  und  möglicherweise  einiges  bei 
fVelcker  episch.  Cjcl.  p.  157.  anzureihen  wäre)  ^ 
Urtheil  verstatten,  mögen  dort  die  persönlichen  Noti- 
zen über  Dichter  in  beträchtlichem  Detail  erzählt  wo^ 


898 


JrutttSis  Foftiem,    EdüN*  BUttr. 


«94 


den  MW.  Dagegea  bewegten  eiöh  in  der  änfseren  <S^ 
"tohielite  des  Dramas  I^mai  ^lorvatuwai  und  Xpd^^  vür- 
4etk  vir  sagen)  die  JkdavwtkXmn  s.  Meineke  Fragm* 
€m».  L  p.  ö  sq«  Diese  iScbriftea  go^en  einander  ge- 
lialten^  führen  mis  snr  unverkenuliaren  Aadkigie  su- 
tiek,  weiehe  die  gesellschaftUchen  Besöge  ^  nMhrer«r 
Arbeiten  des  Aristoteles  aossprecfaen :  Kategerieen  snr 
Analytik,  Polytieen  sar  Politik,  die  anatomischen  For- 
scbongen  und  kleinen  tfatnrbidtorisolien  Bäolier  nur 
Tbiergeschiehte,  und,  was  wol  am  nächsten  liegt,  2i;9- 
^ymyfl  t*x^^  **^^  Rhetorik.  Wie  er  gewohnt  war, 
Theorie  aud  Pram  im  Oleicbgewächt  xn  erbaiten,  und 
INTopAdentisoh  in  den  inneren  Baa  der  Spekulation  zu 
Jeiten:  so  bestintimte  er  die  Peettk  sum  wissensobaft- 
lioben  Abrife  der  Glnindbegtvffe,  Formen  und  Analysen, 
mittelst  deren  man  in  die'  Poesie  und  ihren  Betrieb 
eindringen  könne.  Nicht  unähnlich  yermutbete  mit  an- 
deren IVyUmAaeh  {tCp,  >ad  HeusJ.  p.  48.),  sie  sei 
eine  Art  von  Entwinf,  der  bernoch  in  d«n  Werke  Ton' 
^n  Diobtem  ansgefnbrt  worden.  Fragen  wir  endlich 
nach  dem  Platz,  welchen  Aristoteles  den  an  sich  fremd- 
artigen, philologischen  und  ästhetischen  Erörterungen 
über  Poesie  in  seinem  System  einräumen  mochte,  so 
deutet  Um  auch  bter  der  Gegensatz  zu  Plato  an,  wor- 
«rf  Speugel  p.  229.  mit  Recht  aofmerlcsam  macfat. 
Wer  sollte  üiebt  sogleich  des  Krieges  sich  erinneni, 
weldien  der  Stifter  des  Ideenstaates  der  Dichtung  und 
den  Dichtemj'  um  ihrer  unpbilosopbiscben  Natur  und 
ihrer  mit  gesunder  Pädagogik  unvereinbaren  Mythen 
willen,  erklärt  und  bis  zur  Ausscbliefsung  derselben 
verfolgt  batt  Aristoteles  also  fand  in  diesem  Wider- 
spruch^ der  die  Kreise  det*  Politik  berührte,  hinreichen- 
den Anlafs  um  die  Elemente  der  Poesie  einer  neuen 
Prüfung  zu  unterwerfen,  und  durch  die  berühmten  An- 
richten über  den  Quell  dichterischer  Produktion,  die 
füfi^i«,  über  den  Mythos  nnd  besonders  die  Wirkung 
der  Tragödie  das  angefochtene  Gebiet  in  eine  sichere 
Stelhmg  zu  bringen.  Soweit  dürfen  wir  uns  der  Exi- 
stenz und  Nothwendigkeit  einer  Poetik,  wenn  wir  litte* 
Tarischen  Merkmalen  trauen,  versichert  halten,  nnd 
cngleieh  im  voraus  gewisse  Forderungen  an  den  Geist 
nnd  die  Methodik  einer  solchen  Darstellung  entneh- 
uen:  die  früheren  Herausgeber  (von  ihnen  ging  diese 
Digression  aus)  begnügten  sich  mit  der  äufserlichen 
Tbataache,  th/M  die  Poetik  nicht  mehr  in  der  ur- 
V^üngücAen  Auedeknung  vorhanden  sei. 


Hieranf  folgte  die  Ansiefat ,  weiche  darch  die 
Trockenheit  und  Ungleiehheit  maDchor  Kapitel  veraa- 
lafst  wart  man  könne  im  Ganzen  nur  einen  jiusxug 
erblicken.  Wenn  biegegcn  auf  einzele  Paitieen  hinge- 
wiesen wird,  die  recht  ausführlich  sind,  so  liegt  doch 
im  Hintergvnnde  das  stillschweigende  Geständnifs,^  dafs 
die  Poetik  eine  Misdinng  aus  verarbeiteten  und  dür- 
ren gerippartigen  Stücken  bilde;  wenn  ein  anderer 
Einwand  (Speagel  p.  220)  auf  die  Bündigkeit  und 
Kürze  des  ^ Ausdrucks  zurückgebt,  die  wol  eher  das 
Verlangen  nach  £rläutemngen  und  entwickelnden  Zu- 
sätzen als  eine  Verkürzung  hervorrufen  mochte,  so  darf 
man  nicht  fibersehen,  dafs  ohne  Rücksicht  auf  die 
Form,  gleichviel  ob  sie  dem  Verständnifs  nahe  lag 
oder  mühsame  Znrüstungen  erforderte,  ein  grofser 
Tbeil  von  Aristoteles  Schriften  das  ScUdLsal  erfahren 
hat,  durch  Zerstörung  der  ordnungsmärsigen  Folge,, 
«darch  Auszüge  und  Interpolationen  getrübt  zu  werden. 
Indessen  beweiat  und  ifterzeagt  jene  Hypothese  nocb 
lange  nicht,  dafs  wir  hier  das  biefse  Machwerk  eines ^ 
Epitomators  finden-  boUten;  weshalb  der  Gedanke  von 
Caetelvetro^  den  iBer$nan9^  als  wahr  betraditet,  weit 
mehr  Anhänger  sich  erworben  hat.  Demgemäfs  ist  die 
Poetik  nur  ein  unvollendeter  Entwurf,  den  der  Verf. 
zu  wiederholten  Malen  am  Rande  oder  auf  beigeßigiten^ 
Zetteln  (wie  wenn  es  tftch  um  den  Buchmacher  nnd 
das  Schreibmaterial  neuerer  Zeiten  bandelte)  mit  Zu- 
9ützen  bereicherte;  daher  das  Mangeln  dessen,  was 
cum  Anfange  verbeifsen  wird,  daher  die  Verschie- 
bung und  Verwirrung  in  den  losen,  fast  mönhte  man 
sagen  weichen  Massen,  daher  auch  die  skizzenhafte^ 
weniges  vollendende  Sprache.  Diese  Fassung  des 
Problems  macht  all^dings  die  Ungleichheiten,  die  frag- 
mentarischen Abschnitte,  die  lockere  Komposition  des 
Ganzen  begreiflich  \  sie  gewährt  dem  Kritiker  eine  (nur 
zu  willküi4ich  benutzte)  Freiheit  einzugreifen  nnd  eish 
zurenken,  wiewobl  ohne-  Zuversicht  auf  einen  glaub- 
haften Erfolg^'  der  uns  das  Autographum  entfernt  her- 
stellen könnte  \  sie  setzt  aber  eine  Thatsache,  die  man 
umsonst  zu  färben  sich  bemüht,  dafs  der  rohe  unvott- 
endete  Entwurf  oder  die  Adversarien  eines  angesehe- 
nen Autors  aus  dem  Alterthum  überliefert  sei:  ^ne 
nach  allen  Seiten  verzweifelte  Auskunft,  wovon  einige 
mit  gleich  geringem  Glück  an  den  Vitae  decem  Ora^ 
torum  Gebrouob  machen.  Dessenungeachtet  besitzt 
sie  keinen  schwachen  Rückhalt  an  der  Sprache,  nicht 


I  I 


895  Arittoteli»  Poetiea 

blofs  weil  der  Ausdruck  mehr  als  gewöhnlich  trocken 
und  abgebrochen  ist,  sondern  auch  weil  häufig  die 
dürre  Notis  und  der  Schattcurifs. eines  Gedankens  ohne 
Fleisch  und  Nerv  statt  des  ausgeführten  und  motivi- 
rendeu  Wortes  genügen  sollen.  Zwar  widerspricht 
Spengeli  die  Darstellung  (meint  er)  sei  hier  so  ganz 
im  Geiste  des  Verfassers  als  irgend  in  seinen  andern 
Schriften,  und  vergebens  suche  man  stilistische  Diffe- 
renzen zinriscben  ihnen  «und  der  Poetik  auf,  sondern 
karg  in  Worten,  die  sie  nur  als  unentbehrliches  Mittel 
verwende,  wähle  sie  die  kürzesten  und  besten  Wege« 
Referent  besorgt  aber  sehr,  dafs  in  dieser  beinah  ver- 
jährten Ansicht,  welche  dem  grofsen  Philosophen  noch 
'  das  wenige  von  formalem  Ruf  entziehen  und  ihn  zur 
untersten  Stufe  der  abstrakten  Spracbkunst  herabdruk- 
ken  mufs,  eine  Täuschung  ruhe,  freilich  eine  kaum  zu 
yermeidende,  wenn  man,  wie  üblich,  nicht,  den  Kern 
der  spekulativen  und  naturhistorischen  Bücher  zum 
Grunde  legt.  Aristoteles  ist  keineswegs  der  summari- 
sche wortkarge  Sprecher,  den*  man  sich  vorzustellen 
liebt,  mit  aphoristischen  Winken,  mit  peinlich  abge- 
zehrten Surrogaten  des  voll  entwickelten  Vortrags; 
wenn  er  vielleicht  auf  schönen  und  harmonischen  Stil 
verzichtet,  so  wird  man  doch  schwerlich  einen  Grund 
entdecken,  der  ihn  zu  solcher  Verbissenheit  und  ein- 
sjlbigen  Sprödigkcit  getrieben,  der  ihn  sogar  den  ver- 
trautesten Schülern  zum  Geheimnifs  gemacht  hätte ;  im 
Gegentbeil  müfste  sein  zwischen  Dogmatismus  und  Po- 
Icüijk  getheilter  Standpunkt  ihn  bestimmen,  dafs  er^ 
um  zu  erschöpfen,  zu  widerlegen  und  planmäfsig  zu 
gliedern,  seine  Gedanken  in  weiten  und  weiteren  Krei* 
sen  beschrieb.  In  der  Tfaat'  wird  den  unbefangenen 
Lesern  seiner  tiefsinnigsten  Schriften  nicht  entgehen, 
dafs  Aristoteles  darin  eher  zu  viel  als  zu  wenig  tbat: 
diese  Sätze,  die  sich  in  langen  Bogen  und  Ellipsen 
herumziehen,  sind  immer  woblberecbnete  Momente  des 
schlichten  Begriffs^  der  syllogistiscben  Reihe,  die  er 
bemüht  ist,  in  ihrer  ganzen  Schärfe  zu  erläutern^  zi; 
folgern,  zu  vertheiiligen,  an  Früheres  und  Späteres 
anzuknüpfen,  kurz  nach  allen  Seiten  aufzurollen  \  diese 
so  mühsam  um. das  Centrum  gelegten  Gruppen,  dieser 
Kampf  um'  die  Fassungskraft  und  Erhebung  der  phi- 
losophirenden  verwickeln  ihn  in  Weitläufigkeit,  in  Ver- 


.    Edidit  ȟier.  886 

handlang  von  Bedenken  (ano^läi\  in.  unnötbige'  Bei« 
werke  und  Dunkelheit,  woran  das  knappe  Mafs  der 
Worte  zum  wenigsten  schuld  ist.  Hiernach  prüfe  man 
die  Sprache  der  Poetik:  ob  sie  mindestens  in  den 
Hauptstüoken  jenen  Reichthum  und  Ueberblick  des  re* 
iBektirenden  Geistes  verräth,  ob  ihr  Gedankengang 
gleich  bedingt  und  gleich  umfassend  auf  der  Höhe  der 
Definition  über  Erklärungen,  Beweismittel,  erhobene 
oder  mögliche  Zweifel  und  die  Einzelheiten  des  StoiFs 
vor-  und  rückwärts  schaut;  ob  niobt  meiatentbeUs  die 
Darstellung,  ohne  jedesmal  Begriffe  und  Motive  aufs 
reine  zu  bringen,  in  den  Grundlinien  und  nöthigstea 
Lehren  stehen  bleibt  (denn  selbst  die  lichtvollsten  Kap 
pitel  20  —  22.  geben  nur  ein  empirisches  Summarium), 
und  dem  Forscher  es  fiberläfst,  die  Lücken  des  inne- 
ren und  äufseren  Zusammenbanges  nach  Gutdönkea 
auszufüllen.  An  Belegen  könnte  kein  Mangel  sein, 
wenn  für  eine  solche  Beispielsammlung  hier  der  Raum 
wäre;  man  erinnere  sich  besonders  der  Mühseligkei? 
ten,  mit  denen  die  Interpretation  unaufhörlich  zo  rin» 
gen  hat,  um  den  halben,  gezwungenen^  skizzirteu  Aus* 
druck  in  Flufs  zu  versetzen;  und  diesen  Austreugun* 
gen  fehlt  doch  der  rechte  Erfolg,  daf^  die  Er^enntnifs 
von  der  Symmetrie  des  Ganzen  und  vom  planmäfsigmi 
Fortschreiten  im  Einzelnen  gewonnen  werde.  Die  Uq* 
Ordnung  hat  keinen  Tbeil  verschont;  den  im  Verbält- 
uifs  gröfsten  Platz  nimmt  die  Theorie  der  Tragödie 
ein,  zwar  nicht  in  der  besten  Verknüpfung  (wie  dies 
z.  B.  beim  Abschnitt  von  der  dvayvwQiOii  und  bei  c. 
15.  von  den  ijOri  der  Fall,  welchem  letzteren,  nach 
SpengeN  einleuchtender  Demonstration,  die  Stellung 
vor  c,  19.  gebührt),  gleichwohl  aber  •  in  einiger  Fülle 
des  Materials ;  in  einen  Winkel  dagegen  ist  das  Epos, 
von  dem  beiläufig  im  Parallelismus  mit  der  Trag^ie 
einiges  vorkam,  .während  hier  in  kurzen  Strichen  blofs 
die  Homerische  Praxis  beleuchtet  wird,  zum  Besdilub 
der  Schrift  gewichen,  und  diese  drei  Kapitel  von  wit- 
telmäfsigem  Werthe  sind  von  der  dramaturgischen  Ab- 
theiluug  durch  ein  ziemlich  unerwartetes  Episodiuin 
von  der  poetischen  Form  und  ihren  Mitteln  geschie- 
den, sogar  die  Lehren  vom  Epos  durch  Miscellen  von 
JDubia  vexata  (kvQkn^  und  7TQoßh]fAara)  in  sich  unter- 
brochen. 


(Die  Fortsetzung  folgt.) 


wissen 


J^  113. 

Jahrbücher 

u  r 

schaftliche 


December  1839. 


I. 


Kritik. 


Afüt^elü  Poetica.  Ad  €od$ce$  antiquos  recogni- 
tarn  Latine  conversam  commentario  $tlu8tr€h 
tarn  edidit  Franciscus  Rptter. 

(Fortsetzung.) 

Nicht  einmal  die  AokflDdigaiig  des  Objekts,  vo; 
Bit  das  Bueh  aohebt,  ist  so  prftcis  uad  ddz weiden- 
tig  als  Aristoteles  sie  sa  geben  pPegt:  von  der  Dich- 
tung nnd  ihren  Gattungen  verhelfst  es  zu  handeln, 
dann  von  den  Mythen  derselben  und  der  Oekono'mie» 
von  ihren  Tbeilen,  endlich  auch  von  allem  übrigen, 
was  sn  dieser  Forschung  gehört,  n^^«  xm  äUoty  '609 
tfi^  apTijq  ioTi  lA^odov,  das  heifst,  von  nichts  geringe- 
ren! als  erstlich  der  Charakteristik  und  dem  poeti« 
iebeOf  mehr  oder  minder  idealen  Standpunkt  (^'^7)9 
dann  von  c(er  Komposition.  Statt  alles  weiteren  wird 
endlich  die  behutsame  Analyse  hinreichen,  ipit  welcher 
der  oft  erwähnte  Mfinchener  Forscher  (p.  224  ff.)  die 
Schrift  «erlegt:  wer  ihm  aufmerksam  folgt,  und. die 
nachgewiesenen  LUcken,  die  aerworfenen  Partieen,  die 
sttfiUligen  und  halb  gedeuteten  Einschiebsel,  die  Un- 
gewifsbeit  über  den  inneren  Verband,  über  die  Stel- 
long  vieler  irre  laufender  Sätze  -  und  den  alten  Bestand 
snmmirt,  mufs  wohl  mit  der  Ueberzeugnng  scheiden, 
dafs  uns  lose  Blätter  unter  erlauchter  Autorität,  nicht 
ein  hl  ungestörter  Tradition  gesichertes  Denkmal  des 
Aristoteles  vorliege. 

Yen  ähnlichen  Bedenken  geleitet  hat  unser  Her- 
ausgeber zur  Hypothese  sich  gewandt,  dafs  die  Poe* 
tik  ein  Aggregat  von  Aristoteles  und  Nicht  «-Aristote* 
les-  sei  pnd  von  dem.  voUständijgen  W^rke  kaum  ein 
Drittel  oder  Viertel  enthalte,  wenngleich  noch  aus  die« ' 
ser  Verwüstung  ihr  noschätabar^r  Werth  hervorleuchte, 
Pft  $ie  mn^4i$  twyMus  i$tü  lucimU  vere  imreum 
upparH  0i  elar$s$imum  mmmi  mg^mi  d^eumemium* 
Sendet.  Um  das  unäcbte  Gut  aussusobeiden,  ist  er 
mit  besonderer  Sorgfalt  auf  die  hin  und  wieder  ver- 

iakrh.  f.  wiMBtntek.  KriÜk.  J.  1830.  IL  Bd. 


streuten  Interpolationen  (p.  XVIII  sqq.)  eingegangen, 
woraus    sich  gar   nicht  zweifelhafte  Resultate  bildeh 
lassen;  und  diese  Ergebnisse  würden  noch  reiner  aus* 
l^efallen  sein,  wenn  die  Methode  strenger  wäre.    Denn 
die   blofse  Wahrnehmung,    dafs    gewisse   Einschieb* 
sei  die  Rede  im  geradesten  Lauf  unterbrechen ,  dafs 
sie  mangelhaft  9n  Gebalt  und  fehlerhaft  imStile  sind, 
fährt  bei  der  Zerrüttuug  dieses  Handbuehs  und  dem 
Zweifel  über  seineu  Ursprung  nicht  ohne  weiteres  zur 
Sehinfsfolge,    dafs  dem  Aristoteles'  gar  kein  Antheil 
daran  zukomme,  dafs  sie  mit  der  ältesten  Verfassung 
des  Werks,  in   kemem  Vernriiroen  standen.    Um  so*  « 
gleich  mit  den  grammätbohen  Interpolationen  zu   be* 
ginnen  c  so  drängt  sich  sehr  zur  Unzäit,  wo  die  poeti* 
sdie  Aede   verhandelt  werden  soll,   o.  20.  ein,    mit 
Nachweisung  der  Elemente  jedes  Vortrags,  vom  ato^ 
%(tXot  bis  zum  ii^oyoq^  welche  Demonstration  besser  f&r 
einen    Grammatisten  als  für  den  tiefen  Philosophen  zn 
passen  scheint.    Hr.   R.  macht  gegen  die  Authentie 
geltend,  dafs  anderweitig  von  Aristoteles  berichtet  ibt, 
er  habe  drei  partes  arationie  aufgestellt  (aber   die 
hier  besprochenen  Grundstoffe  der  Rede  betreffen  ih# 
reu  Mechanismus,  die  Klassifikation  nach  Redetheilen 
dagegen  ihre^  Organismus,   wofür  ein  verwandter  Be* 
leg  bei  Farro  L.  L.  VUI,  11.)$   femer  die  Ansetztmg 
des  aQ&Qov,  das  von  den  Stoikern  einen  eigenen  Platz 
bekam  (offenbar  ist  das  Wort  aQ&^ovy  .wie  es  im  Fol- 
genden erläutert  wird,  in  eigenthümlicher  und  ganz 
verschiedener  Bedeutung  gefafst,  ähnlich  wie  n%mii)i 
wenn  nächstdem  in  Bezug  auf  Diffelrenz  der   Laute 
nach  Organen  und  auf  andere  Punkte  der  sprachlichen 
Physiologie  eine  Verweisung  an  die  Metriker  stattfin- 
det, nt^  äf  nad''  Snaatov  h  Tofe  fuxQtnoiQ   (wo   h   zu 
streichen)  n^oq^xti   ^te^QtVv,    so  lautet  das  Uriheil  der 
Verdammnifs,  j^predere  haee  videntur  grammatieum 
Alexandrinum :  sAristeielie    mevo  doctrina  metrie» 
0  grmnmaiica  nondmm  eeimneia  et  nonduwi  imn^fuem 

113 


899      '  Arütotelü  Pö^iea.    Edidit  Ritter. 

propria  et  peeuliaria  düciplma  oomtituta  videtur 
/uüse  etc.'*  Das  ist  eine  starke  Uebereiluog:  in  ähn- 
licher Forschung  merlct  Aristoteles  selber  de-  partt. 
anün.  II)  16.  eztr.  an,  —  it%  nvY&Apiaüa^  naqa  %£p  fUr- 
jQutw^  fiberdiefs  beschäftigte  sich  Tor  den  Alexandri- 
nern mit  solchen  Fragen  Arütoxenusy  den  l)ionj8iu8 
deshalb  citirt ;  und  weisen  nicht  die  Scherze,  die  Plato 
CratyL  p.  426  sqq.  sich  erlaubt,  auf  Vorgänger  hin, 
die  wir  unter  den  Pythagoräern  wegen  Terentian. 
Maur.  250:  sqq.  annehmen  durfenl  Dennoch  ist  vie- 
ks  in  diesem  Kaf^itel  schlecht,  so  dafs  die  Spur  des 
Aristbteles  oftmals  terloren  geht  \  ungefähr  wie  dt^  ia 
c.  22,  8.  eingeschaltete  Notiz  von  einem  Ariphrades 
nüfsfällt,   der  fiber  mancherlei  Licenzen  der  Dichter? 


900 


terläuft,  wie  c  14,  7.   di6niQ   ovdilq  not^  —  6'  Al^v^ 

c:  24,  10.  äXXa  (AoUara  idv ilq  r^r  Mvaicnf^^nwp^  ysN 

muthlich  auch  c.  23.  extr.  einiges  im  Katalog  der  aot 
dem. Epos  gesogenen  Tragödien  (vgl,  ScAöll  Att.  Te- 
tralog, p.  176  fg.),  gewifs  c.  18,  6.  «W^  *u4yd^v  Uyn' 
ditiq  yäf  ylvia&cu  noiXot  nai  na^ot  t6  <ije<S$,  nach  dtt 
Beobachtung  von  Gruppe  Ariadne  p.  554.  Dahin  ge- 
hört auch  c.  17,  1.  das  Abel  angebrachte  ttal  x^  IJ^u 
avvQtmQyätita^ai.  Wenn  solcher  Embleme  noch  weit 
mehr  zu  Tage  kämen  als  bereits  gesammelt  si9d,.io 
lehrten  sie  nur,  was  die  Erfahrung  an  anderen  Scfarif' 
ten  des  Alterthums  fiberall  bestätigt,  dars  unzeitiger 
Fleifs  und  Mifsverstundnifs  den  Te^t  angetastet  nnd 
fremdiirtig  verziert  haben.     Weiter  zu  gehen  'sind  wir 


rede  spöttelte,  nur  ist  die  Frage  ^^^uid  atUnebat  ob-  ^  schwerlich  befugt,  und  des  Herausgebers  Kritik  schlägt 

eeuriseimi  hominü  ineptisMimam  repreheMionmn  ex  öfter  in  die  leidenschaftlichen  Angriffe  der  Hyperkritik 

eeereto  seeessu   exeitareV^   noch  etwas    anderes   als  um.    Er  verdammt  ganze  Kapitel,  die  jetzt  verscbleu« 

eine  Widerlegung  und  Achterklärung;   hingegen  stim*  dert  sind  und  im  Inneren  Risse  haben,   wie  c.  16*  von 

men  wir  bei,  dafs  c.  21, 12«  die  Observatiou  über  das  den  avayvcnQiOHq  und  c.  25.  die  Miseellen  fiber  Probleme 

genus  nominum  nach  Maßgabe  der  Endungen  auszu-  'im  poetischen  Ausdruck    und  in  der  Oekonomie;  er 

fitofsen  und  unserem  Autor  abzusprechen  sei,  wäre  nur  verwirft  wichtige    historische  und    konstgeschichtlidie 


die  Poleouk  in  ihren  einzelen  Angriffen  immer  triftig 
und  behutsam.  Indessen  liegt  die  Mehrzahl  der  an- 
stöfsigen  Punkte  auf  Seiten  der  Aesthetik;  evidenter 
Trug  mischt  sich  mit  Zweifelhaftem ;  um  so  weniger 
aber  läfst  sich  alles,  wie  der  Verf.  möchte,  unter  eitlen 
Ctesichtskreis  befassen  und  mit  solcher  Leidenschaft 
verfolgen.  Er  setzt  den  Stil  herab  {stiliü  in  hu  ioeis 
ubiqtie  mmmam  infantiam  prodit)^  weil  er  häufig  ab« 
gerissen  uud  strukturlos  in  der  Luft  schwebe:  nicht 
-mit  Unrecht,  da  der  Grundton  des  Buches  hier  merk- 
licher gefärbt  wird,  allein  was  schroff,  ohne  den  nö< 
thigen  Zusammenhang  und  in  halben  Worten  erscheint, 
verräth  schon  darum  nicht  die  Hand  des  Interpoiators 
(der  nach  gemeiäer ,  Erfahrung  sein  Wissen  populär 
vorgetragen  und  mit  einiger  Eitelkeit  zur  Ausfüllung 
oder  Verzierung  seines  Textes  verwandt  hätte),  weil 
es  beim  Leser  eine  nicht  oberflächliche  .Kenntnifs  der 
Sachen  voraussetzt  (p.  XX.  „ —  tanyiütm  eadem  /#- 
gentibus  aegue  ae  Mi  nota  etsent^  ideogue  saepe 
obscura  et^  quan  oraeula  etoquitur^\  und  vermöge 
der  räthselhaften  Kürze  selber  einen  Kommefitar  ver- 
langt Die  Bemühung  dieses  Anonymus  ist  auf^kür- 
Ecre  Ifachhülfen  gerichtet,  um  entweder  die  Theorie 
SU  Termitteln  oder  durch  Beispielsammlung  das  Allge- 
meine Bäher  zu  bringen ;  wobei  manches  Versehen  un- 


Notizen, wie  c.  3,  3.  die  bisher  für  klassisch  gehaltenl 
Stelle  von  den  Ursprüngen  der  Komödie,  hauptsädi* 
lieh  weil  ihm  Suidas  ein  besseirer  Gewährsmann  zu  seift 
dünkt  (wir  werden  also  künftig  annehmen,  dafs  Cbio> 
nides  und  Magnes,  angebliche  Zeitgenossen  des  Bpi- 
cbarmus,  ubter  der  strengen  Demokratie  mit  Komö- 
dien auftraten),  ferner  die  Bemerkungen  c.  6,  15— Ift 
fiber  die  Bestandtheile  der  Tragödie^  c.  12.  über  die 
Gesangweisen  desselben,  c.  18,1—3.  über  die  Spielfui- 
ten  uud  Kompositionen  der  Tragiker,  worin  man  ehcü 
Ordnung  und  passende  Kombination  als  sichere  Grund* 
lagen  verniisscu  kann.  Er  bäuft  auf  ihn  Vorwurfe  wie^ 
idem  sua  inventa  adeo  amaty  t4t  eadem  bii  vel  t&r 
ingerat  \  nou  via  et  rotiohe  iustae  doetrinae  loe09 
persequitur\  genuinae  dispuiationii  ordinem  turbef 
vit\  er  schilt  ihii  wegen  ungerechtta  Tadels  des  Aescbj*' 
lus  und  Sophokles,  als  ob  dieser  Tadler  einerlei  fe^ 
sou  wäre  mit  dem  vermeinten  Trugkünstler  der  übii* 
gen  Partieen  \  er  erhitzt '  sich  gegen  ihn  in  dem  MaCee) 
dafs  er  jenem  als  Verbrechen  deutet,  was  noch  keil 
Kritiker  ins  schwarze  Register  setzte,  aueiores  iiU 
üttidat  et  multee  et  in  hie  viroe  perobeeureM  (eift 
Autorenverzeichnifs  aus  Aristoteles '  mag  darauf  Ant> 
wort  geben) ;  und  er  lüfst  sich  sogar  das  •  Heft  der 
Kritik  entfallen,   indem  er  c.  3.  wo  der  seltne  Nooe 


SOI 


Arüt9€el$ß  P%eti&a.    Edidü  JRiiier. 


902 


CbtonideB  in  den  Sebreibfdileni  XiopiSov  oder  Xmpidov 

iieh  rerbirgt,   eben  bieraue  <^in  Argament  eobniiedet, 

p0stremo  mierpolaior  ne  namen  piidem 

teete  teri60re  potuü!  Und  die  Zeit  dieees 

delten   ,)Tir  pusiliui"   rüolct  er  unter  Aristareb,  weil 

e.  24,  9.  ein  Stack  ans  dem  19«  Buobe  der  Odjsaee 

'  ifbnifa  citirt  wird :  mögen  andere  p.  260  zuseben,  wel* 
ehe  Bewandnifs  es  mit  der  subtilen  Beweisfiibrung  babe. 
*  Hr.  üfV/^r- ertheilt  endlich  seinem  Falsaritia  einen 
Lan^fs,  der  ihn  in  aller  Welt  ^kenntlich  machen 
miifste:  ^^h^mmem  sterili  ingenio^  iudieio  inepto^  va- 
ria  9ed  ineondüa  leetione^  docirina  vuc  mediocri^ 
fa%tu  n&n  madieOy  stiii  et  orationü  ignarumC*  im 
weiteren  beifst  er  ihm  seAolae  Per^atetieae  alumnu§ 
fuidam  ingenü  doitius  parum  omaius^  in  Mierü 
müftum  9ed  prave  v^rtatus^  grammaticü  tdx  imbu" 
tus.    Dieser  Halbwrisser  sei  über  die  yollständige  Poe- 

'   tik  gcratben,  babe   sie  für  den  praktischen  Gebrauch 
bald  SU  weitschweifig  bald  wenig  ausreichend  befun« 

'  den^  und  solchen  Mängeln  in  einem  Kompendium  ab« 
helfen  wollen:  das  reichhaltige  Ganze  mufste  daher  in 
die  Schranken  einer  Epitome  sich  fügen,  und  nadi. 
Yerlust  seines  Ueberschusses  gemodelt  und  Terwässert 
die  jetzige  Gestalt  annehmen«  Wenn  es  sich  hiermit 
wirklieb  so  yerhielt/  dann  ist  derTerf»  in  seinen  iäster- 
liehen  Prädikaten  offenbar  noch  zu  mäfsig  gewesenir 
Wir  besitzen  nicht  wenige  Auszüge  Ton  alten  Prosai- 
kern, und  die  Epitome  nahm  in  den  klassischen  Zei* 
ten,  wie  die  Beispiele  des  Historikers  Theopompus  und 
des  Aristoteles  selber  zeigen,  einen  ehrsamen  Rang  in 
Griechischer  Schriftstellerci  ein;  wer  kennt  aber  den 
Beleg  für  eifien  Auszug,  der  vom  Original  ganze 
Stücke  ans  Anfang,  Mitte  und  Schlofs  (sogleich  den 
Überlangen  Anfang,  „ex  Tori  auctoris  opere  primum 
in  libellum  suum  recepi^  c*  1 — 5.^)  unversehrt  herüber* 
nahmt  und  wer  kennt  einen  dermafsen  uDgescbickten 
Eypitomator,  der  so  durchaus  übel  nud  schülerhaft  wirtb- 
scjiaftete,  dafs  er  über  der  äafsersten  Unmethode  des 
Streichens,  Einscbaltens  und  Ueberarbeitens  die  kla- 
ren Erfordernisse  des  Auszugs,  Ordnung,  Plan  und 
Lesbarkeit,  yergafs  oder  Tcrfehlte?  Was  hier  zu  lei- 
sten war,  beweist  unter  anderem  das  von  Theophrast 
in  lichte  zusammenhängende  Aphorismen  gebrachte 
Bach,  die  Aristotelischen  Oeeonemica.  Bei  dieser  Hy- 
pothese scheint  der  Verf.  auch  ein  früheres  Bedenken 
▼ergessen  zu  haben,  worüber  er  nicht  wenig  sich  ver- 


wunderte, (p.  Vin.  oü  primum  mirari  äime  sufieat^ 
qu9d  mltum  e$t  de  hoe  AristoieliM  opere  fuamvie 
graviä$ÜM  et  ex  parte  puleherrime  apud  veteree 
scriptwre^  plura  per  eaecula  eUentium^te*  Wie  sol- 
len wir  also  erklären,  däfs  weder  Dionjs  noch  Quinti«»* 
lian  oder  sonst  gelehrte  Kunstrichter  die  Poetik  ge- 
brauphten,  wählend  neben  dem  Auszüge,  der  doch  in 
jenen  Zeiten  noch  nicht  zum  Uebergewicht  gelangt 
war,  das  vollständige  Werk  des  Meisters  bestehen 
mnfstef  Hier  treffen  wir  offenbar  auf  Dinge  ohne  Schein 
und  Möglichkeit.  ■  Vielmehr  bestimmt  uns  alles,  waa 
auf  dem  bisherigen  Wege  der  Forschnng  als  direktes 
und  indirektes  Resultat  ermittelt  worden,  zu  der  nicht 
zweifelhanen  Ueberzeugung, '  dafs  Aristoteles  die  Poe- 
tik  niemals  herausgab  oder  bis  z^r  Herausgabe  vol* 
lendete  \  sondern  sein  Nacblafs  blieb  in  tumnltuarisch^m 
Znstande  liegen,  Jetzt  dem  Abschlurs  nahe>  dort  ia 
vorläufigen,  nur  dem  Urheber  verständlichen  Bemer- 
kungen enthalten,  und  mehr  der  iSnfall  als  die  redigi- 
rende,  vielleicht  bewnfst  interpolirende  Hand  der  Schü- 
ler .hat  über  den  chaotischen  Text  entschieden  *)• 
Dafs  im  Laufe  der  Zeiten  ein  so  wenig  beachtetes 
Werk  noch  ein  paar  lose  Blätter  verlor,  ist  wol  mög- 
lich; sehen  wir  ja '  docli  einiges  eingenfiischt  (wie  die 
gegenwärtig  freistehenden  Adversarien  zur  Geschidite 
der  Komödie  c.  3.  und  5.),  dem  man  in  den  unterge- 
gangenen Abschnitten  seinen  Platz  zuweist ;  aber  auch 
•dieses  leuchtet  ein,  dafs  wir  weder  den  individuell  ver- 
arbeiteten Stil  des  Aristoteles^  erwarten,  noch  auf  or- 
ganischen Zusammenhang  Anspruch  machen  dürfen, 
dafs  im  Gegentheil  bei  der  Erklärung  und  Beurthei* 
lung  es  rathsam  ist  die  Notixen  oder  Theoreme  auf* 
xutdsän  und  vereinzelt  zu  fyeien* '  Im  kleinen  zeigt 
also  dieses  Problem  was  im  gröfseren  Ganzen  die  halb- 
fertigen Metaphyeicai  und  überhaupt  wird  eine  fort- 
gesetzte Zergliederung  der  Aristotelischen  Litteratur 
nur  zu  sehr  bestätigen,  was  über  ihre  Schicksale  Strabo, 
in  jener  von  Neueren  hart  angefochtenen  Stelle  be- 
richtet. 


«)  Mit  mehreren  der  obigen  AnsichteA  trifft  zusammen  Slahr 
in  den  Hallischen  Jahrb.  d.  J.  n.  207—310.  nur  dafs  er  die 
Poetilc  als  ein  Heft  betrachtet,  das  nach  Vorträgen  des 
Aristoteles  zusammengeschrieben  worden.  Wie  die  jetzt 
tief  eingewurzelte  Verworrenheit  mit  der  simplen  Anlage 
des  Heftes  sich  rereine»  fiir  welche  die  dreifache  Ethik  ei- 
nen Mafsstab  darbietet,  ist  tod  ihm  nicht  erörtert- 


909 


JrütPtelü  F^eUem.    E4idif  JUü^r. 


Wi 


IfaoMeni  irir  so  mfibsam  eioen  festen  Standpuakt 
tuf  die  Poetik  ermDgen  baben^  läfst  sich  über  die  Lei> 
•toDgen  des  neaesteo  Herausgebers  um  ßQ  kitraer  Aus« 
kauft  geben.  Pie  äufsere  EinriobtuDg  betreffend^  so 
geben  Text,  darunter  die  Lateiüisohe  Uebersefzungy 
swiscben  beiden  kritiscbe  Angaben  in  einer  Aus^sahl 
voran;  hierauf  ein  ansfiibrligher  Kpunmentar,  mebr  als 
200  Seitta  begreifend*  Ob  eipe  IxUeinüche  Ueber* 
getiungf  in  bucbstäblicber  Treue  ausgeführt  (Laiina 
Graeeis  suäüda^  juae  verbum  de  verbo  earpressum 
0Xtuli)y  flir  ein  solches  Buch  Eweckdienlich  sei^  darf 
man  bezweifeln.  Dem  unkundigen  Leser,  dem  sie  vor- 
Sttgsweise  bestimmt  sein  mag,  wiederholt  sie  die  ganze 
Verworrenheit,  die  in  grdrseren  und  geringeren  Mas- 
sen ausgestreuten  Schwierigkeiten  uüd  die  schroffe 
Dunkelheit,  woran  das  Griechische  leidet;  aufserdem 
aber  drü9kt  sie  der  eigenthümliche  Uebelstand,  dafs  in 
ihr  das  Begriffliche  sammt  den  feineren  Bezügen  des 
Gedankens  halb  oder  zweideutig  erschemt,  und,  wenn 
nicht  ein  Blick  in  die  Ursprache  zu  Hülfe  kommt,  so- 
gar Mifsi^erständoissf  nähren  mufs«  Nun  verdient  zwar 
die  Rittersche  (wie  des  Verfs.  Latinität  ttberhaupt| 
wenn  man  von  offenbaren  Schreibfehlern,  wie  p«  168b 
addendu9  est  definitintj  und  von  unnützer  Affektation 
nach  Art  des  Ipkigeniß  Taurieeneü  absieht)  das  Lob 
der  Klarheit  und  Korrekthdt;  wenngleiiDh  Hermamie 
Ueberiragupg  die  Römische  Färbung  voraus' hat;  aber 
in  einet*  Menge  von  FfiUen  vermag  sie  bei  der  gemes- 
sensten Bündigkeit  weder  zu  erschöpfen  und  den  Kern 
bervorzuhebon  noch  eine  lichte  Vorstellung  zu  erwecken. 
C,  4,  4.  fiav^dmv  oi  j^ovov  folg  q^iXoa6(poig  tjdtaxov^dXkä 
Kai  roHg  HiXotg  o^oitti«-  oXV  inl  ßQaxif  uoivanfova^v  cnirovi 
'  „discere  neu  solum  philosophis  iucundissimum  sed  item 
oeteris,  mü$  ^fuod  breve^eiue  commercium  contü 
nuantf^  letzteres  klingt  steif  und  ISfst  wegen  des  Sub* 
jekts  im  Zweifel,  der  bei  Berniann*s  ceterie  eodem 
modo^  Med  ad  breve  tempus  attendentibus  nicht  auf- 
kommen mag;  es  wav  blofs  das  Kolon  zu  tilgen  und 
aU'  restriktiv  zu  fassen,  j^auch  allen  anderen  in  ähn- 
lichem Mafse,  sollten  sie  noch  so  flüchtigen  Antheil 
daran  bab^i.''  In  der  berühmten  Definition  der  Tra- 
gödie  c.  6.  fjdvafjiira  X6y(öj  xatgig  inäorov  täv  sidwf  iw 
rolg  ^  fAOgioig :  condito  Sermone^  haud  coniunctie  ^i- 


kuifue  fm^mie  ia  partüue^  wo  erstlich  armai^  sm^ 
WMne  sich  besser  schickte)  da  ifiiny^iotxa  die  fofpialea 
Zuthaten  der  Rede  mittelst  Metrum,  Meles,  Rhythmos 
sind,  dann  unter  Voraussetzung  einer  unmöglioben 
Struktur  der  rätbselhafte  Sinn,  fiir  den  nur  der  Kens* 
nyentar  einen  Aufscbinfs  gibt  und  den  iv  xolg  fio^ioi« 
wenig  empfiehlt,  angedeutet  wird,  „in  der  Tragödie 
sind  nicht  beisammen  metrisober  Vortrag,  Melos  und 
«-  Qrchesis."  Der  Verf.  verwechselt  unter  anderem 
tSin  des  Drama  (davon  s.  o.  18.  und  von  wiii\  überhaupt 
Hheier.  I,  2«  f.)  mit  dessen  iUQfi :  sonst  hätte  er  das 
Komma  Vor  %ci>i^ig  gestrichen  uqd  iSdii  von  den  Arten 
der  Komposition  (da  des  Sophokles  Darstellung  von 
der  des  Euripides  abweicht)  verstanden.  C.  16, 4.  olbir 
^OgÜTtlQ  Iv  rjf  *Jq,iytriiq  dp%yvmQiaip  Sri  ^O^iari^q*  bt^ivii 
ffir  yo^  diä  rijg  inunoXTjg^  bttZwo^  de  aixhg  XiyH  a  ßavlt' 
ro«  6  noitjtncs  aiX*  ovx  i  /iS^o^:  so  lautet  der  band- 
achriftiiche  Text,  gereinigt  von  neueren  Interpolatie- 
neUi  i^ber  immer  noch  räthselhaft  genug,  selbst  wenn 
man  gutmüthig  die  Belehrung  hinnfthme,  j^eeAneetm 
noßter  dviyvdQtokv  Su  'O^Anriq  nove  dixit  pro  mani^ 
/eMlumfecit  seeese  Oreetem^^^  und  bei  &£6^>7  fi^',,&tfr* 
bum  dvtyviOQiat  novo  eignificatu  praedilum  ex  priori- 
^kf#  aeeumendumy^^  und  Vas  wird  endlich  aus  dem  kon* 
fusen  h^vog  di  avvb^  Uyu  a  ß.t  Ist  vollends  ans  die- 
ser Tortur  eine  klarere  richtig  zu  konstrnirende  Ueber- 
setzung  hervorgegangen  1  ,  sie  Orestes  in  Ipkigema 
notum/ecit  se  esse  Orestem:  illa  enim  per  episto- 
iamy  nie  autem  ipse  didt  quae  vult  poeta  ete*  Hr. 
R.  hat'freiiich,  wie  sein  Kommentar  zeigt,  dem  Verf. 
von  o.  16.  jeden  Unsinn  zugfmutbet.  Offenbar  muft 
hier  die  Kritik  einen  Weg  zur  Verständlichkeit  bah- 
nen: dvtyvt^Qia&i]  rieth  Spengel^  welches  Tempus  doch 
in  diesen  Zusammenhang  nicht  pafst  liod  keine  zweck- 
mäfsige  Verbindung  mit  dem  nächsten  herstellt ;  bes* 
ser  entfernt  man  dvtyvmgiaiif  Mit  ^Q^iGj^^q  als  loterli- 
nearglosse,  die  sich  aus  dem  folgenden  heraufschob, 
auch  erregt  imivTi  (19  ^ev  yctg  mit  Ergänzung  des  oben 
gesetzten  dviyvmQia^fj  sollte  man  erwarten)  ein  Bedeir 
ken,  wiewohl  der  Sinn  nunmehr  leidlich  von  statten 
geht.  „Ein  Fall  der  Art  ist  Orestes  in  der  Iphigenie: 
sie  wird  durch  den  Brief  erkannt,  Worauf  er  seinerseits 
lauter  äurserliches  nach  Willkür  des  Dichters  erwähnt/* 


(Der  Bescblafs  folgt.) 


w  1  j»  8  e  n 


'JW  114: 

Jahrbttche 

für 

8  c  h  a  f  t  1  i  c  h 


e    Kritik. 


December  1839. 


team 


AriHotelü  Poetica.  Ad  Codices  awüqtiog  recogmir 
tarn  Lattne  contersam  commentario  illustra'- 
tarn  edidit  Franctscus  Ritter* 

(Scklaft.) 

In  der  Terminologie  bleibt  der  Uebereetser  oft  m- 
rflelc  t  wenn  x.  B*  o.  9, 3.  «j^iXoaotjpoJrc^or  uml  anovioioti^ov 
fiod/^ytff  lerüQittg  iariv  „die  Poesie  hat  mehr  als  ^ie  G^ 
tohiehtsohreibung  philosophisöben  Charakter  und  sittli- 
ohen  Meftlismus"  blofs  gegeben  wird,  magis  pkiloto» 
pkieum  (/)  et  graeiue  e$t  p0en$  ^fuam  htMtoria. .  Kttn- 
eteleien  wie  I,  7*  Ou^yitonoioi^  —  inonaoh^  eleg^eee  — 
0p(fiee9  sind  nicht  gnt  angebracht.  Kam  es  daher  auf 
«ee  Lateinische  Version  an,  die  dem  Texte  getreumr 
Seite  sil&nde,  so  war  wol  das  rathsamste  Hermann*s 
Arbeit,  mit  den  hier  und  dort  erforderlichen  Aendemn- 
gen,  sun  Grande  za  legen.  Aber  ein  ungleich  gröfse- 
res  Verdienst  hätte  sich  der  Verf.  durch  eine  freie 
Paraphrase  nnd  Comtiination  der  xersplitterten  Massen 
•erworben,  worin  statt  weitläufiger  Kommentare  nicht 
anr  die  irolle  Bedeutung  der  Gedanken  und  Begriffe, 
sondern  auch  der  organische  Geist,  der  diesen  Tränv- 
■lerhanfen  einst  beseelte  oder  beseelen  wollte,  in  einer 
sobjektiyen  Restanration  sich  anschauen,  liefs. 

Auch  die  Notis  des  kritiecken  Theiles  erfüllt  nicht 
alles,  was  hier  au  leisten  und  ohne  im  grofse  Mühe  sn 
leisten  War.  Unser  diplomatischer  Apparat  zur  Poetik 
ist  sehen  äufserliob,  wenn  man  seine  Zahlen  beträch- 
tet, eb  mittelmäfsiger,  sein  innerer  Werth  aber  völlig 
uater  der  Erwartung.  Man  hoffe  keine  Diskrepanz 
oder  Variante  an  findte,  woraus  irgend  ein  Sehlufs  auf 
die  ursprüngliche  Gestalt  des  Bncbes  und  seioe  Schick- 
sale gesogen  w&rde;  sondern  alles  läuft  dort  ohne 
durehgreifenäes  Schwanken  ^weder  auf  plumpe  Ver- 
unstaltung odor  auf  kleine,  sum  Theil. unbequeme  Ver- 
ftilderoDgen  der,  Lesart  hinaus:  woraus  freilich  die 
anderweitig    begrfindete  Tbatsache,   dafs  die   Poetik 

2akth.  /.  wU$€n$ch.  Kritik.  J.  1830.    II.  Bd. 


stets  bei  $eite  gelegt  war,  eine  neue  Bestätigung  g^ 
winnt.  Nun  reicht  das  Material  dieser  in  sämmtlichen 
Schäden  zusammentreffenden  Codices  (selbst  Bekker 
gibt  aus  den  paar  die  er  durcbrergUoh  nur  selten  et- 
was eigenthämliches)  keineswegs  bin,  um  darauf  einen 
ertrikglich«^ lesbaren  Text  zu  bauen;  die  Konjektur  tbat 
ako  häufig  noth,  und  AUub  hat  bereits  in  der  f>ru^ 
eeps  (davon  mehrek^s  p.  XXIV  sq.)  nicht  ohne  Glück 
und  Scharfsinn  (z.  B.  c.  10,  2.  16,  &  oder  in  der  zu- 
letzt angetasteten  Stelle  6,  9.),  wenn  gleich  mit  gro- 
faer  Kühnheit  nachgebessert.  Er  ist  der  Gründer  der 
Vulgate,  welche  sich  in  den  wesentlichen  Stücken,  nur 
mit  noch  mehr  Vermuthungen  der  neueren  Kritiker  ge- 
mischt, erhielt,  ungeachtet  der  später  gesammelten  Va- 
rianten und  der  gemäfisigten  Revision  von  Tyrwhitt. 
Der  letzte  Herausgeber  Bekker  bat  bei  solcher  Dürf- 
tigkeit der  Mittel  ebenso  wenig  geglaubt,  von  jener 
Autorität  abweichen  zu  müssen,  und  indem  er  von  den 
Versuchen  der  jüngeren  Konjekturalkritik  völlig  ab- 
sieht, und   die  Lesarten  seiner  MSS.  blofs  diinn  auf- 

.  zählt,  wenn  sie  mit  der  UeberlieferuDg  nicht  stimmen^ 
so  genügt  er  vielleicht  darin  weniger,  dafs  er  die  Quel- 
len des  modifizirten  Textes  im  Dunkel  läfst,  nicht  aber 
wegen  der  Methode,  weil  er  die  gewöhnliche  diploma- 
tische Rücksicht  geringer  anschlägt  ^yQliguotiee  Aldi 
Ittdorumgue  interpoiationes  senswn  tarnen  alifuem 
pruebente$  quam  codieum   euorum  Mcripturat^  mani' 

feste  eorruptuM  aut  ad  inierpretandum  difficileM  ex^ 
hibere  maluiC^  p.  XXV.  Welchen  Gang  schlägt  aber 
Hr.  Ritter  eini  Erstlich  ftlhrt  er  unter  dem  Text  eine 
Anzahl  Varianten  und  Emendationen  seit  Aldus  an, 
worin  offenbar  die  wichtigsten  kritischen  Aendcrungen 
gleichsam  als  historia  critica  des  Aristotelischen  Bu- 
ches sich  darstellen  sollen;  bei  schwierigen  Punkten 
wird  man  auf  den  Kommentar  verwiesen.  Hierbei  durfte 
der  Herausgeber  nicht  stehen  bleiben,  Iw'enn  anders  er 
vollständig  unterrichten  wollte:  es  war  längst  zu  wün- 

114 


907 


JrUt0t«Ut  Ptetiea.    BditUt  MUtter. 


908 


aobi^D  und  nach  den  Vorarbeiten  von  BuJUe  .leiobtdr 
XU  bewirken,  dafs  die  handacbriftlioben,  in  den  älteren 
Ausgaben  serstrenten  Lesarten  in  ein  Ganxes  vereinigt 
wurden  (hier  fehlen  namentlich  viele  Bekkersohe  Va- 
rianteiO)  dafs  ^hia  Auswahl  der  aohtungswertbesten 
Konjekturen  hinzu  kam;  und  dieses  kritische  Summa- 
rium,  das  in  geringem  Zusammenhang  mit  der  Erklfc- 
rung  steht,  verdiente  nebst  den  gehörigen  Nachweisen 
und  Entscheidungen .  einen  abgesonderten  Plats,  auf 
?dem  man  allen  Apparat  rasch  fiberblioken  konnte.  Nicht 
einmal  die  Wiederholung  von  Tjrwhitt'a  Noten  y  4i® 
>  stets  ihren  Werth  behaupten,  hfttten  wir  für  fiberflOfsig 
gebalten«  Zweitens  irersicbort  Hr.  R*  dem  Aldus  da 
gefolgt  SU  sem,  wo  er  nnyerkennbare  Fehler  gelind 
Terbessere,  nicht  aber  in  wilikfirliohen  und  gewaltsam 
men  Aenderangen.  ]>ennoch  vermissen  wir  hierin  die 
KonsequeuE;  aufserdem  sollte  die  Vulgate,  die  nun 
alamal  in  den  gangbarsten  Ausgaben  besteht,  regelmüp 
Iktg  erwähnt  sein  \  auch  konnte  er  neue  Konjektureäi 
Qieht  umgehen,  und  selbst  darin  ist  tur  Berichtiguag 
nocb  nicht  genug  geschehen.  Ref.  mufs  sich  auf  einige 
Beispiele  beschränken.  C.  1, 4.  map  ü  ung,  ^i^ai  xvyp^ 
fthtoüiv  oia€U  totaZtcu.  rqv  Sivafuvi  toiovTm  wiewohl 
von  Aldus  eingeschoben  ist  beibehalten,  Aristoteles 
reicht  aber  mit  dem  blofsen  Acensativ  aus  {de  fHirtt 
tmim.  II,  7.  ian  da  na9  fwanlw  aür^  ti^  «pvcrir), 
„und  was  es  sonst  für  Künste  dieser  Klasse  gtbt$^* 
auch  ist  unerwähnt  geblieben,  dafs  sein  Gebrauch  rv/" 
lafouwp  fordere,  was  Iteüi  gesetst  hat.  -  Beim  näch- 


nQo^roQiuviov^.  Ariif totales  meinf,  wer  in  H^caipietem 
schreibt  ist  darum  noch  .kein  Dichter,  ebenso  wenig 
wer  als  Extrem  gleich  Chäremon  einen  Gento  von  Vers- 
mafsen  abfafst:  Aldus  sah  filso  richtig,  dafs  eine  Ne* 
gatton  gefordert  werde )  ab^r  sein  o6u  ^9tj  *al  nouit^. 
7tQ.  hat  keine  Gewähr,  nai  nouftifp  nQ*  dagegen,  schon 
eine  kahle  Wendung,  mufs  trotz  der  Kombination  p. 
86.  widersprechen,  da  wenn  derjenige,  welcher  nichts 
als  Hexameter  prodnzht  als  solcher  keinen  Anspnmh 
auf  den  Dichterniimen  besittt,  noch  wreniger  ein  Dich* 
ter  heifsen  wird,  wer  nichts  weiter  als  verschiedene 
Metra  aufweist,  da  folglich  die  äufsere  Form  unter, 
keinerlei  Gestalt  den  Dichter  macht.  Wir  halten  tui 
noiijt^  n^.  für  ein  übel  versonnenes  Glossem  r  nnge* 
fSUir  wie  sogleidi  c.  2.  in  der  merkwürdig  abgerisseoen 
Rede  nach  Totovtovs  Aldus  ein  dwiyu9i  fUfuS^^m  ein* 
schob,  wie  femer  c«  4, 9«  oSro»  xai  ovtog  nfog  tag  imfifH 
iiag  mit  Recht  die  beste  Handschrift  fibergebt,  b 
diesem  zweiten  Kapitel^i  wo  die  Darstellangsweiiien  ins 
Ideale,  in  alltäglicher  Wahrheit  und  in  Karikatur  mit 
Beispielen  belegt  werden,  ist  die  Verwirrung  nicbt 
klein»  zuerst  von  der  Malerei,  dann  ein  allgemeiner 
Satz  {iijXov  d$  Su  nai  rar  Iuji/^hoAp  ixaatti  lu^i/^tmv  s|a 
xwkotq  %itq  dtaffofäg  KfL)j  hierauf  wieder  von  Künsiten 
und  Poesie  auf  einer  Linie,  Hai  yig  h^d(fxiaH  mi  eair 
j^an  nai  m^aqiaH  ior«  y&ia^€u  tautag  To^  apo^iAti/t^ 
nai  rngi  tovQ  koyovg  di  tnti  %^  xpiXofttTQiav,  Maüa  kmut^ 
unter  Voraussetzung  dafs  ip  und  m^fl  füglich  varüren, 
die  Schreibart  aller  MSS.   mi  w  m^i  fwt  uuerheblicfc 


sten  avt^  da  tto  ^^^m  fufAouvraet  x^^  OQ^AOPiaq  ol  %ä¥  ^nehmen  $  wer  aber  den  Zusammeabaag  mit  dem  ahg^ 
iQ%f]<jt»¥  ist  die  Ergänzung  ^v&ftol  kein  geringerer 
Zwang  als  die  ältereli  Vorschläge  (der  von  Hennann 
hat  wie  öfter  nicht  einmal  in  den  Noten  Platz  gefun- 
den); sehen  wir  auf  den  Sinn,  so  mag  oM^oi  oder  eiA 
äbnliohei:  Begri£F  ausgefallen  sein,  zur  Beteicbnung  des 
Telestes  und  verwandter  Meiiter.  Auch  in  f.  7.  soll 
bleiben  ov%  co$  %ohq  %m%m  fäftffmp  n<H9itäq  — *  n^oquyoQiA'^ 
omg,  und  mittelst  der  Erklärung  ovx  tig.rovg  maxit  filfiti^ 
Ottf  noifitagj  noifixw;  n^.  fadtem  structuram  bilden  | 
nimmt  man  andere  Edd.  zu  Hülfe,  so  lesen  die  besten 
MS8.  wi  xfjy  und  zwei  lassen  xohg  weg,  deuten  also 
die  Unsicherheit  des  Artikels  an,  der  eben  so  sehr  die 
Form  als  den  logischen  Gedanken  verdirbt.  Femer 
ist  in  f.  9.  zu  viel  auf  die  Codices  gegeben,  iftoiteq  de 
xiSp  ii  xig  änarxa  ti  (UxQm  fuyriwp  nokoXxo  x)jp  (UfifjaiP^ 
9(et&&nfQ   XatQifiA09P    inoi^jirt   KipxcwQOP  —  ^   nal   notffxiip 


rissenen,  gleiebsam  punktirenden  Stile  der  Poetik  ab- 
schätzt, überzeugt  sich  bald,  dafs  mit  gedachten  Won- 
teu  ein  neuer  Satz  anhob,  und  inp  früheren  die  Or&> 
nung  der  Glieder  etwa  so  gestaltet  war:  xoi  h.ofpi- 
au  —  xäg  a/poiAOuSvffxag^  dqXop  da  £ti  . .  •  xjag  äuftpo^ä^f 
Mui  i'axcu  ixiqa  t$  ext^a  fufula^ai.xdinwr  xbp.r^6nÖ9^  Ist 
hier  die  Tradition  der  Uaadsohriflen  nicht  beachtet^ 
80  finden  wir  umgekehrt  §.  4.  dieselbe  zur  Unadt  h» 
hauptet :  denn  dafs  ip  avt^  da  xi^  dtaqto^  hiit  dem  ff^^^ 
atreitet  und  entweder  mit  Victorius,  was  jetst  äbeiali 
•steht,  h  %^  wixy  Sa  dia^.  oder  mit  Casaubonus  ^  %wkf 
di  x^  diaq>Q,  zu  bessern  ist,  hätten  die  Leser  wol  aiw 
-fahren  sollen.  Kurz  vorher  klammert  Hr.  R.  (wie  er 
mit  vielen  kleineren,  schwierigen  Bemerkungen  ffcot^ 
selbst  mit  unschädlichen,  z.  B.  c  3,  ügnt^  "Ofui^og 
Mcnv)  die  Worte  «09  Hd^ag  xai  KüAmutg  T^dOtog  nai 


At^üi^tOiM  Boetiem.    Ediik  BÜier. 


910 


(»a«|cröt  ein,    llAffai  «tinnMO  wir  ihm  bei,   daft  die 
KoDJelitvr  Ton  Tynrhitt  ägntp  "J^yS^  (Som^  y^gMSS.) 
verfeblt  sei,  weil  Argae  sohlecbthin  als  elender  Dich- 
ter geetbildert  wird;  in  ttbrigcD  Ist  alles geeuadi  wenn 
laaa  KUkta/na  setzt :  des  Tidiotbeos  Perser  warea  ideal 
gebahen,  ein  Gegenstück  aber  der  bürp:erlicb  staflTirte 
Kjklops  des  Pbiloxenns.  ^  C,  3^  1.  ist  die  ndtbige  Be- 
riebtigaiig  jy  it^^w  tma  (gebilligt  ancli  Ton  Welcker 
Rhein.   Mns.   V.  494»)    in  Stillscbweigen  Bbergangen; 
e.  4,  1.  gleicbfalls  die- Lesart  der  besten  Handsobrift 
i»  TtaiSwWy  nvl  xoZro  (s.  Ueuul*  in  TheaeU  90.)  fta- 
f4poiioi;  ib«  5.  nimmt  Hr«  R.  in  den  abgerissenen  Wor- 
ten o^i  Pft^^o^  itOiinOH  %ifß  ijdovfjv  aXkA  diic  xtjv  dntQya" 
alaw  eto,    uunötbig   eine    (nicbt  einmal  folgericbtig  p. 
105.  gedeutete)  Lücke  an,  während  der  erforderliobe 
Sinn   berauskonunt,   wenn  man    wie   billig   ovx    äXld 
{Piai.  EutAyd.  p.  277.  A.  Rep.  III.  405.  D.)  znsam- 
jnenfafst:   wenn  das  Objekt  einer  künstlerischen  Dar- 
•tellnng  unliekannt  ist,  so   fällt  ihr.  geistiger  Reiz  (d. 
b.    die   Vcrgleicbung   des  Objekts   mit  der   knnstleri- 
adien  Tbat)   weg,   und  man.  halt  sich  an  das  Kunst- 
m€fk  ala  splcbes^  das  nicht  weiter  erfreuen  kann  als 
dnreh  seine  Technik  und    sonstige  Bedingungen  des 
Btndium.     Im  folgenden  werden  die  weit  schwierige- 
ren Worte  nati  q/vaiv  di  —  iymfiQa¥  keineswegs  durch 
£rkIiLningen  gefördert  wie  i{  »^f^n  nfq>v»6ti^  Aemines 
putlam  ^i  int^  primoM  mortales  Juere*^  wäre  dies 
auch  mit  der  Gräcität    und   mit   der  Verbindung  utal 
ufodyor%%g  %u  reimen ,    so  widerstrebte  doch  der  G^ 
danke,  dafs  uralte  Zeiten  aus  rohen  Yersuchen  eine 
Poesie  gestaltet  hätten.    Kaum  läfst  sich  an  mqfvxo^ 
sog  zweifeln:  ^da  nun  der  Trieb  nachzubilden  ein  na- 
tttrlicber  ist,  da  Harmonie  und  Rhythmus  mit  dem  un- 
tergeordneten Metrum  zu  unseren  ursprünglichen  An- 
lagen gehört,   so  schuf  man  vorzüglich  diesen  Normen 
nachgebend  (xat  avta  wohl  xa%*  ayvä  zu  lesen  und  mit 
•pt.  uatoifiiK^^  zu  tilgen)  eine  künstlerische  Dichtung.** 
Leicbter  war  es  in  §.  9.  o  yag  MaQyixtn  avoAjoyov  ^c», 
wo  die  MSS.  tö  yoQ  geben,  das   richtige  to  yitq  dra- 
iaycvMa^yir^  ijfjti  anfzuüuden.    Allein  die  Grenzen  un- 
seres Berichts  yerstatten  nicht  des  Heransgebers  Kri- 
tik Kapitelweise  zu  mustern  $  um   so  weniger  als  die 
mühsamste  Sammlung    nur   das    allgemeine    Resultat 
bestätigen  würde,   dafs  wir  noch  keine  kritische  Bear- 
beitung der  Poetik  besitzen,   wie  sie  den  heutigen  In- 
teressen der  -Wissenschaft  entspräche.    Nicht  blofs  be- 


warf man  emer  TollstilndigeQ  Krantnifa  dessen  9   was- 
Ueberlieferung  der  Handschriften,  was  gesunde  BaMN»- 
dation  und  Konjektur  bemerkenswertbes  anpreisen,  jetzt 
aber  in  allen  Winkeln  nnd  oft  in  seltnen  Büchern  sieb 
verbirgt  $    wozu   noch    die   unverholene  Anzeige    von , 
Schwierigkeiten    des  Textes   und    von   Spuren  tiefer 
Verderbnifs  oder  Lücken  kommen  mufs«    Soweit  würde 
man  wenigstois  erkennen,  was  lesbar  und  zusammen- 
hängend,  was  andernf heils   verdächtig  und  ohne  Vem  ^ 
lafs  sei ;   doch  nach  allen  diesen  Stufen  wünscht  man 
in  einem  rein  kritischen  Kommentar,   der  mit  objekti- 
ver Strenge  und   ohne  Soperstition   nicht  mit^  skepti- 
scheb  Pemonstrationen  verfährt,   endlich  die  Gewtfih 
beit  zu  haben,  .ob  jedesmal  die  Schrift,  wabrscheiil- 
lieb  oder  selbst  nur  leidlich  und  mdglicb,   einen  Aus- 
druck des  Aristotelischen  Denkens  und  Wissens  gebe, 
ob  dieses  verzettelt  und  aus   seiner  Ordnung    geris-. 
sen,  fenes  fälschlich  oder  durch  Betrug  eingeschoben 
worden. 

Zum  Bescfalufs  einige  Worte  über  den  Kommst»' 
tar.  Nichts  ist  natürlicher  als  mit  hohen  Ansprücheii 
an  den  Ausleger  der  Poetik  zu  treten :  ein  so  dunkles 
Buch,  in  welchem  die  wenigsten  Leser  mit  Sicherheit 
vorrücken ,  dessen  Fugen  ^  gelöst  und  dessen  Farben 
verblafst  sind,  das  einmal  oberste  Autorität  in  Diu- 
geh  der  ästhetischen  Kritik  besafs  und  in  die  Theo- 
rieen  der  modernen  Dichtung  innig  verflochten  war,^ 
ein  Buch  von  solcher  Gedankenschwere,  die  sich  müh- 
sam  aus  geheimnifsvoUen  Aphorismen  enträthseln  läfst, 
seheint  vor  vielen  einen  Mjstagogen  zu  fordern;  man 
will  belehrt,  befriedigt  und  angeregt  sein,  man  ver- 
langt nicbt  minder  nach  Aufschlüssen  über  den  yolleh 
Gehalt  des  Griechischen  Wortes  als  nach  historischem 
Bericht  über  die  Anwendungen,  die  man  demselben 
sogar  wider  Willen  auf  neuere  Litteratur  gegeben 
bat,  und  zwischen  diesen  Blicken  auf  Antikes  und 
Modernes  soll  vermittelt  werden,  was  noch  jetzt  die 
Poetik  uns  gelten  und  wirken  dürfe.  Wünschen  und 
Fragen  der  Art  wird  kein  Kommentator  entgehen  (ihm 
sind  sie  ja  selber  als  denkendem  Leser  vorgeschwebt 
und  oft  zur  Pein  geworden) ;  aber  einer  kann  so  ver- 
schiedenen Momenten  der  Bildung  kaum  genügen:  es 
mag  hinreichen,  wenn  der  Erklärer  sich  dieser  Forde- 
rungen immer  bewufst  bleibt.  Bisher  ist  das  meiste 
für  den  gelehrten  Stoff  oder  die  litterarischen  That- 
sachen,  freilich  einen  untergeordneten  Theil>  geleistet 

\ 


<  » 


911 


JrüiöiOii  PoeÜea.    EdäUi  Riit^. 


91S 


vatden;  viewobl  eine  gute  Zahl  Probleme  auf  L5- 
«nag.  wartet;   fiir  die  Erörterungen  der  Kunetphiloso-* 

Shie  dageffeo  ist  nur  auf  vereinzelten  Puniiten,  die 
em  praktischen  Interesse  näher  standen,  und  inehr 
in  rftsonnirenden  Artikeln  erhebliches  geschehen,  so 
itafs  der  Zusammenhang  der  Aristotelischen  Theorie 
und  ihre  vielfache  Gliederung  gewissern^afsen  über 
deu  Gesichtskreis  der  Koinmenlare  hinaus  zu  liegen 
scheint.  Noch  fehlt  es  ganz  an  der  sprachlichen  In- 
terpretation, die  sich  auf  jeden  Theil  der  Form,  auf 
die  hftufigeu,  selbst  bedenklichen  Einzelheiten  des  Aus- 
drucks und  auf  das  Begriflliche,  erstreckte.  Unser 
Ücrausgeher  nun  üufscrt  zwar  über  den  Standpunkt 
seiner  Arbeit  nichts,  sowie  er  auch  von  der  higen- 
thümlichkeit  und,  htstorisohen  Bedeutung  der  Poetik 
schweigt.    Aber  man  erkennt  bald,  dai's  er  einen  en- 

f^ren  philologischeu  Zweck  und  nicht  ein  allgemeines 
ubiikum  vor  Augen  hatte.  Ohnehin  laufen  die  Be- 
standtbeile  des  Kommentars,  welche  doch  verschie- 
deae  Grade  des  Werths  und  der  Wichtigkeit  bilden, 
ungesohieden  zusammen;  auch  die  kritischen  Fragen 
und  Lesarten  nehmen  dort  ihren  Platz  ein,  von  Kici- 
nigkeiten  wie  ilnafitv  und  ilnofitv  bis  zu  den  melancho- 
lischen Angriffen  auf  den  vermehiten  Pseudo- Aristote- 
les herauf,  welche  gewürzt  mit  Invektiveu  (z.  B.  Aem 
acutum  Aomtnem/  mtro  acumine  et  futili  %edulitate\ 
nullius  iuMcii  sterilisque  ingenii  Script or\  nebst 
anderen  Püffen^  die  nur  Lateinisch  gut  klingen  und 
SBweilen  in  uiedere  Regionen  herabsteigen)  ebenso  wi- 
drig als  zum  gröfseren  Theiie  unfruchtbar  sind.  Auf 
Sprachliches  im  oben  angedeuteten  Siune^  ist  wenig 
und  vorübergehend  Bedacht  genommen;  eine* so  viel- 
verbreitete Phrase  wie  axijfuna  nai  yQuofiuta  (s.  p.  78  fg., 
um  sogleich  zu  nehmen,  was  zuerst  in  die  Augen 
fällt)  finden  wir  trotz  mancher  Stellen  nicht  aufs  Reine 
gebracht.  Der  Herausgeber  zeigt  sich  hier  indifferent 
genug,  um  die  härtesten  Schreibarten  der  Codices  zu 
vertragen,  während  niemand  ihm  verargt  hätte,  wenn 
er  die  Schwierigkeiten  angab  und  ihre  Lösung  auf  bes- 
sere Zeiten  verschob;  aber  bei  manchen  offenbaren 
Fehlem  befremdet  das  völlige  Stillschweigen.  Z.  B. 
beim  Barbarismus  o«  17,  1.  ijxiara  oy  hxy^^arotto  (Xor- 
^avoi),  bei  deu  Solöcismen  ib.  3.  toJtovq  Xoyovg^  oder 
19,  3.  tI  7<iro  äv  tifi  xov  Xi/ovTog  ig/ov,  d  q^avolro  rjSia 
nai  lAt]  diä  tbv  Xöyov;  wo  die  Erwägung  des  falschen 
ifarolto  auf  die  Berichtigung  ti  tvip^alvot  %ä  ^dta  lei- 
ten konnte;  c.  7,  4.  5.  und  9,  IL  wären  besser  inter- 
pungirt  und  aufgelöst,  wenn  die  Beobachtung,  dafs 
Aristoteles  öfter  eine  lange  Kette  von  Satzgliedern 
mit  iml  beginnt  und  durch  anakoluthischen  Nachsatz 
mit  ä^te  bescbliefst,  zu  Hülfe  kam;  vielleicht  das 
ärgste  Monstrum  aber  ist  bei  c.  21.  wo  sich  als  Be- 
leff  von  composita  und  decomposita  die  korrupten 
Worte  finden,   olov  ra;  noXXd  rm  fnyaXtajtwv,  ^E^iiona'C- 


NoSay^o^,  die  ins  bhme  genaaUa  Konjektur  tXow  xä 
^pUMTtXofuydXmnogy  ^Eq^i.^  statt  in  diesen  Proben  der 
-  komischen  Diktion  erstlich  das  dem  Trimeter  gerechte 
^E^^oy^aino^av^lag  (Aristophanes  ^ HqaiiiXtio\aYO%a(i)y  dann 
nach  den  Spured  iles  besten  MS.  t6  ^AnolXoyaXHotfih 
herzustellen.  Doch  die  Stärke  des  Kommentars  rubt 
in  der  sachlichen  Erklärung.  JMan  wird  überall  den, 
Fleifs  des  Verfassers  anerkennen,  der  aus  neueren 
Hülfsmitteln  die  ,  bisherige  Notiz,  wie  sie  bei  früheren 
Interpreten  bestand,  su  ergänzen  strebt  und  von  eitler 
Kompilation  sich  frei  erhält; •  wäre  nur  diese  Betni^ 
huug  stets  lieber  auf  die  Tiefe  als  die  Breite  gerich- 
tet, um  auch  neue  umfassende  Resultate  zu  fördern, 
und  voti  geringerer  Zuversieht  begleitet,  um  nicht  un- 
billige Ansprüche  herauszufordern.  Als  Belege  mögen 
dienen  die  Noten  über  parodus  und  stasünum  p.  168  tl,^ 
über  deu  JUargites  p.  107  fF.  (wo  die  Worte  xa*  ja 
Toiavra  iv  olg  aal  rö  dt^fiorrov  lafißttov  ^X&i  fihgov,  zu 
den  überraschenden  Konsequenzen  benutj&t  sind  ,,iV«- 
frtitf .  p9st  Uwnerum  versiis  iamdicos  prodisse  Arisi0* 
teles  existimavit :  inde  conseguitur  iambos  illosy  gui 
herois  versiöus  immixti  erant^  ab  Aristotele  in  suö 
ßfargitae  exeniplari  out  nöu  intfentos  aut  pro  i$^ 
terpolatis  habitos  e$ss*^)y  über  Protagoras,  der  den 
Imperativ  äiidi  bei  Homer  zum  Scherz  oder  aus  Flun- 
kerei tadelte,  wie  später  Zotlus^y  p.  221.  Mifsverstan- 
den  ist  unter  anderem  inXoiv  fivtyov  c.  13,  4.  (wober 
der  Fehlgriff  ib.  l.^xa&amp  17  'OivQatta  zu  verurthek 
len)  15,  7.  iä  h  t<S  Oldinoii  (gemeint  war  Oed.  R« 
112  sqq.),  die  episodische  Natur  des  Epos  p.2(^.,. be- 
sonders aber  vieles  die  alte  Komodio  betreifende,  wie 
0.  5,  3.  Kgdirjg  n^ätog  ^qI^^v  ^^  noi^Xv  X6yovg  xvt  iav^- 
^ovg  diesen  fabelhaften  Auficblufs  erhält  „fuarum 
alias  ex  mythorum  cyclo  (jAv^ovgj  FabelfA)j  alias  ex 
vita  communi  vel  ex  liAris  rahf  Xo/onouor  {Xoyovgf  £r» 
xählungen)  petivit^''  ferner  Cv  9,  5.  wo  das  Verfahren 
der  Komiker,  Charaktere  symbolisch  und  generell  ohne 
individuelle,  oder  historische  Wahrheit  zu  staffirenf 
ganz  unglaublich  auf  die  mittlere  Komödie  bezogen 
wird;  welcher  Irrtbum  unter  anderer  Gestalt  p.  177. 
wiederkehrt.  Endlich  was  den  ^philosophischen  Tbrii 
betrifft,  so  bat  ihn  der  Herausgeber  nicht  berübrt  $  und 
über  die  Begriffe  oder  Gebiete,  die  hier  überall  in  den 
Wegtreten,  z.  B.  die  der  fiifArjaig  oder  des  anovdalog^  Hie 
Differenzen  zwischen  philosophischer  und  historischef 
Darstelinng,  zwischen  Epos  und  Tragödie  u.  s.  w. 
mufs  man  anderwärts  die  Auskunft  suchen.  Was  bän* 
fig  deren  Platz  einnimmt,  Paraphrasen  des  Gedankens, 
die  in  ihrer  populären  Haltung  an  akademische  Dik« 
täte  erinnern  -(z.  B.  in  c.  6.),  das  ist  allein  auf  den  Ain 
fänger  berechnet.  Kurz,  Hr.  Ritter  hat  für  das  Sfu- 
iliuui  der  Aristotelischen  Poetik  einen  zwar  einseitigen 
aber  in  bediugtcm  Sinne  nützlichen  Beitrag  geliefert 

Bernbar'dj-. 


tF  a  h  r  b  ü  che  r 

für 

w  i  s  s  e  n  s  c  h  a  f  t  1  ich  e 


K  r  i  t  i  k. 


December  1839* 


mti 


9f 


LVU. 
Orandzng-e  der  Btstortk  ton  O,  O.  Oerrinus. 
Leipzigs  1837.      Verlag  von   Wilhelm  Engel- 
mann.   95  iS. 

WeoB  Hegel  in  sekien  VorlesoBgen  über  die  Pbi- 
loeopliie  der  GeBcbtcbte  ti^f^t:  ,,die  EogluDder  und 
FsaBSOBen  tfissen  im  Allgemdoeu^  wie  man  Gescbicbfe 
«duretbeD  miisse :  eie  stehen  mehr  anf  der  Stufe  allge» 
meiner  nnd  nationeller  Btldmig;  bei  uns  klügelt  eich 
Jeder  eine  EigenthQmliobkeit  ans,  und  statt  Geschichte 
m  schreiben,  bestreben  wir  uns  zu  suohen,  wie  Ge^ 
•ehidite  gescbrieken  werden  müsse;*'  und  Schiesser 
in  der  Vorrede  zu  seinem  neusten  Buche  in  ähnlicher 
Weise  bemerkt:  ^^Ueberkaupt  glaubt  der  Verf ,  dars 
man  in  Deutschland  wohl  tkun  würde»  sich  in  der  G^ 
schichte  weniger  über  Methode,  Manier,  Ansichten  zu 
streiten,  als  man  that«  Wenn  Jeder  das  ausbebt  und 
nach  seiner  Art  behaudelt,  was  ihm  anziehend  scheint, 
nkNlmanam  wenigsten  Fabrikarbeit  erhalten ;"  so  kern« 
flMn  beide,  der  Philosoph  und  der  Historiker  in  einem 
Vorwarf  überein,  der  hauptsächlich  den  Verf.  einer 
Historik  zn  treffen  scheint.  Der  Historiker  aber  macht 
diesen  Vorwurf^  weil  es  ihm  ?or  Allem  um  reelle  Go- 
ssbichtscbreibuog  zu  than  ist,  nicht  um  vieles  Räaon- 
äement  vor  und  anfserhalb  derselben;  der  Philosoph, 
doch  webl  nur  darum,  weil  er  deif;leicben  Untersuchung 
Bebw  glebh  auf  sein  eignes  Gebiet  herüberziehen 
mochte,  als  zuzuseheu,  wie  viel  Halbes,  Unkhires  und 
Vareum^ltes  darüber  ven  den  Historikern  selbst  vor- 
gebracht  wird.  Wenn  jedoch  solche  Uutersachnngen 
in  umfassender  und  abscbliefsender  Weise  durchgeführt 
und  zu  einer  eignen  Wissenschaft  erhoben  werden,  wie 
es  hier  mit  einer  Historik  .geschiebt,  so  werden  sie 
'^n  Geschichtsobreiber  nicht  mehr  in  der  Geschichte 
selbst  geniren  und  der  Philosoph  nwifs  sie  sogar  mit 
dem  höchsten  Interesse  aufnehmen.     Soll  aber  jener 

Jahrh.  f.  wuwiick.  JKritik.   J.  1839.   II.  Bd. 


Vorwurf  uns  Deutsche  insbesondre  treffen,  so  bebt  er 
sich  von  selbst  auf,  wemi  wir  ihn  auf  unsren  Charak- 
ter überhaupt  ausdehnend  allgemeiner  machen.  Wenn 
es  nämlich  wahr  ist,  dafs  wir  überall  durch  Kntik 
«id  Einsiebt  zu  unsrein  Thun  vorbereitet  nnd.  darin 
geleitet  sein  wollen,  so  beweisen  wir  nns  dadurch  ver- 
zugsweise als  philosophisches  Vo|k,  und  als  ein  sei»- 
ebes,  das  nach  umfassender  und  allgemeiner  Bildung 
strebt,  im  Gegensatz  zur  nationeilen  der  Engländer 
und  Franzosen.  Und  ist  es  femer  der  Fall,  dafs  was 
wir  Ausgezeichnetes  zu  Stande  gebracht  haben,  mr  mti 
diese  Weise  geworden  ist,  wie,  wir  denn  ebenso  erst 
lange  gefeagt  und  untersucht  habsn,  w»s  eigentlich 
Poesie,  was  Epos,  was  Drama  ti.  s.  f.  sei,  ehe  .wir 
sie  erhielten,  wie  ebenso  erst.,  durch  £ant's  Kritik 
des  menscblicben  Erkenntnirsvermögens,  Jer  Weg  zu 
den  folgenden  philosophischen  Systemen  gebahnt  wmw 
de^  so  dürfen  wir  auch  eine  gründliche  .Untersnchnng 
über  das  Wesen  und  die  Arten  der  Gescbiohtschrei- 
bung  als  die  Vorbereitung  und  das  Mittel  zu  einer 
ächten  Gescbicbtschreibung  betrachten« 

Gervinns  hat  durch  seine  bistoriscAien  Arbeiten, 
denen  Jedermann  Gründlichkeit  m  der  Untersuchung 
und  Geist  -in>  der  Bdiandlung  zngeste^n  wird,  eine 
angesehene  Stelle  unter  unsren  ersten  Historikern  er- 
worben. Mit  der  Historik  tritt  er  auf  das  pbilosophfr- 
scfae  Gebiet  über,  denn  diese  neue  Wisseneobaft,  wei- 
cherer begründet,  steht  der  Geschichtscbreibsiiig  ebenso 
gegoiüber,  wie  die  Poetik  der  Poesie.  Wir  finden 
ferner,  dafs  -«r  im  Verlauf  seines  Ueinon,  inhaltsvollen 
Werks  sich  entschieden  der  Philosophie  sH  nühem  «ind 
einer  philosophischen  Behandluog  der  Geschichte  das 
Woet  an  raden  scbcinft.  Bean  er  ^orlaagt  <veii  dem 
wahrhaften  Gescbiehtsohfeiber  ehenso>wohl  poc^isohe« 
als  philosophischen  €M#,  weichmr  in  dos  Gescbidit»- 
^eerk  in  gehörigem  Mnafse  mit  einfliefsen  solle,  und 
erkennt  den  w^abrhaften  Gesehiobtscbroiber  daran,  daft 

115 


915 


Gervittu*,  Grundxitge  der  BütoriJb. 


»16 


er  den  Ideen  in  der  Geschidite  nachgehe,  und  sie  zum 
Mittelpunkt  seioer  DarBtellqiig  sd^ist  mache;  aDdrer« 
seits  aber  geht  er  auf  eine  Kritilc  der  philosophischen 
Behandlung  der  Geschichte  ein,  welche  ihm  eine  Ne- 
•If^Dgattudg  zu  den  Hauptgattüngen  der  Geschichtsohrei- 
bung  ist^  und  tritt  so  auf  doppelte  Weise  in  ein  Yer- 
liältnifs  zur  Phiiosphie,  welches  näher  zu  besprechen 
und  zu  wördigen,  hier  des  Ref«  Absicht  ist. 

Es  ist  zuerst  eine  Ucbersicht  des  Inhalts  der  vor- 
liegenden Abhandlung,  worin  der  Verf.  paragraphen- 
weise die  Grundziige  der  Historik  für  seine  Vorlesun- 
gen darüber  zusammenfafst ,  zu  geben.  Dabei  sieht 
gich  Referent  in  der  Verlegenheit  den  Reichthuih  des 
Inhalte,  der  hier  in  möglichster  Kürze  zusammenge- 
drängt ist,  noch  kürzer  zusammenzufassen,  und 
kann  daher  nur  die  Hauptpunkte  bezeichnen,  indem  er 
die  Loser,  auf  das  interessante  Büchlein  selbst  verweiset« 

Es  ist  dem  Ve^f«  zunächst  um  die  Stellung  der 
Geschichte  zu  andern  Auffassungs-  und  Darstellungs- 
weisen des  menschlichen  Handelns  zu  thnn ;  es  werden 
ihr  also  Poesie  und  Philosophie  zur  Seite  gestellt,  und 
diese  drei  dann  unter  die  logischen  Kategorieen  der 
Mögliobkeit,  Wirklichkeit  und  Nothwendigkeit  gebracht« 
Diese  abstrakten  Kategorien  wollen  hier  nichts  weiter 
besagen,  als  dafs  sie  einen  vorläufigen  Schematismus 
Anfuhren ;  es  wird  auch  nichts  weiter  daraus  entwickelt 
oder  darauf  begründet,  sondern  der  Verf.  stellt  ihnen 
lieber  gleich  die  bedeutungsvolleren  Kategorien  mensch- 
licher Kräfte,  die  da  sind,  Einbildungskraft,  Verstand, 
Vernunft,  gegenüber«  Der  Einbildungskraft  wird  die 
Poesie,  dem  Verstand  die  Geschichte,  der  Vernunft  die 
Philosophie  zugewiesen;,  doch  so  zwar,  dafs  sie  in 
jeder  dieser  geistigen  Productioosweisen  gewisserma« 
fsen  nur  die  anführenden  Thätigkeiten  sein  sollen,  bei 
welchen  die  je  zwei  andern  als  untergeordnete  mitzu* 
:i^irken  haben»^  Sehr  richtig  wird  gesagt,  dafs  keine 
von  diesen  Kräften  trennbar  sei  in  der  Seele,  dafs 
daher  auch  keine  abgesondert  von  den  andern  thätig 
aein  könne.  Will  sich  aber  eine  ansscbliefslich  oder 
Mr  überwiegend  hervorthun,  so  kommen  Verkehrtheiten 
und  Ausartungen  a^m  Vorschein.  Es  kommt  also  auf 
die  richtige  lieber-  und  Unterordnung  ia  der  Ditrchdrin- 
gung  derselben  an ;  und  da  ee  hier  um  die  Geschieht* 
Schreibung  zu  thun  ist,  so  ist  su  bestimmen,  in  wie  weit 
das  Pcetische  und  Pbilosophisdie  in  die  ächte  Ge* 
•diicbtsehreibudg  mit  emgehn  müsse« 


Wenn  nun  der  Verf.  vom  rohsten  Anfang  der  Ge- 
schichte, welche  die  Genealogie  ist,  alle  Arten  dersel- 
ben durchgeht,  bis  er  zu  deijenigen  kommt,  wdche  er 
als  die  vollkommene  und  ächte* bezeichnet;  sp  ist  der 
Gang  der  Untersuchung  liier  nidit  in  solcher  Weise 
fortschreitend,  dafs  aus  dem  Einfachsten  und  Ersten 
durch  eine  allmälige  Stufenleiter  das  Vollkommenste 
entwickelt  würde ;  sondern  es  wird  von  dem  Gmndim» 
terschied  historischer  Auffassungsweben  ausgegangen, 
welcher  sich  in  dem  Gegensatz  der  Chronik  nnd  des 
Memoire  darstellt,  und  welchen  Ref.  sogleidi  mit  be> 
quemem,  philosophischem  Ausdruck  als  den  der  obgeo- 
tiven  und  subjectiven  Gechichtschreibung  bezeiehnen 
will.  Wie  Gcrvinus  oben  logische  und  psjchologisobe 
Kategorien  herbeizog  zur  Stellung  der  drei  Produdtioos* 
weisen  des  Geistes,  gegeneinander,  so  lehnt  er  aneh 
diese  Unterscheidung  an  die  Poetik  des  Aristoteles, 
denn  er  hat  gleich  anfangs  bemerkt,  dafs  die 
Gattungen,  welche  Aristoteles  in  der  Dichtkunst 
terscheidet,  in  ähnlicher  Weise  in  der  Gesehiohtsebni* 
bung  wieder  erwartet  werden  dürfen,  da  diese  mit  der 
Poesie  das  Darstellen  mensoUiober  Handlnngea  §s* 
mein  habe. 

Diese  Analogie  mit  den  poetiiscben  Gattungen  fohlt 
er  dann  weiter  durch,  indem  sie  ibm  gleich  die  tief- 
fendste  Vergleichung  der  Chronik  mit  dem  Epos  dei^ 
bietet.  Dioi  Chronik  in  ihrer  reinsten  Gestalt  sind  die 
Annalen.  Diese  vergleicht  der  Verf.  mit  den  Rbapso* 
dien;  sie  smd  die  Keime  einer  volksthümlicben  Ge- 
schichte. Daraus  bildet  sich  die  hdhere  Art  von  Ge* 
schichtschreibung  in  dieser  Gattung  der  Chronik  — 
nämlick  die  Nationalgeschichte,  wie  die  eines  Uvias, 
eines  Joh.  v.  Müller.  Sie  sind  Chronisten  imbökefen 
Sinn,  die  eich  wie  Ordner  der  epischen  VoJksgediebte 
zu  den  Rhapsoden  verhalten.  .  Der  Verf.  bemerkt  ge- 
gen sie,  dafs  sie  nur  patriotische  Zwecke  verfolgen, 
dafs  für  sie  Alles  wichtig  ibt,  insofern  es  vaterländislih 
ist,  dars  sie  nur  von  Theil  zu  Theil  fortschreiten, 
nicht  ans  dem  Ganzen  und  einer  totalen  Wettauieht 
heraus  darstellen  —  kurz,  dafs  ihnen  fehlt,  was  dce 
künstlerisch  darstellenden  und  was  den  denkenden  Hi« 
storiker  ausmacht,  oder  das  poetisohe  und  pbilesephi* 
sehe  Element« 

Des  Verf.>  Kritik  ist  so  vortrefflich  nnd  riehf%^ 
als  seine  Charakteristik  der  eMIselnen  Aken  der  CSe» 
schicbtsebreibnng.  —  Das  Mem^ire^  die  andre  Gr«nd> 


»17 


Genfinusy  Orundzüge  der  Historük* 


918 


ifatih  der  Ge^eiiichtei  ht  der  Ge|[eo8ats  xnr  Chronik« 
Es  ist  filr  die  Beörtbeiliiag  der  Dinge  so  wichtig)  wie 
die  Qironilc  fUr  das  Material;  die  Chroniken  geben 
Handlungen  ohne  Motive,  die  Memoiren  oft  nur  Mo- 

'  ttY0  n»  ■•  f*  Der  Pragmatiker  ist  ein  Memoirist  in 
grSfseren  Umfange»  Vortrefflich  oharakterisirt  G.  diese 
Galtung)  er  fafst  sie  sohftrfer  und  bestimmter ,  als 
irgendwo  bisher  geschebn  ist.  Weiter  vergleicht  er 
•ie  inil  dem  Drama*  Doch  darauf  ist  später  zurück- 
ankommen. 

Der  Pragmatiker  will  die  Einheit  des  Geschieht- 
werkesy-als  nur  ftiifsere  Einheit.  Dies  führt  auf  die 
Biographie,  welche  solche  Einheit  leicht  an  die  Hand 
bietet  —  wobei  der  Verf.  den  richtigen  Begriff  einer 
ftebten  lUbgraphie  aufstellt  — ^  dann  auf  die  Geschichte 
eiBes  eiaselnen  Factum,  Kriegs  ü.  s.  f.  Aeursere  Ein- 
iieit  hat  der  pragmatische  Geschichtschreiber,  aber  es 
feklt  ihm  die  ehibeitliche  Handlung  des  wahrhaften 
Epos,  (Be  innere  Einheit,  die,  welche  durch  die  zu 
Grunde  liegende  Idee,  von  welcher  der  Pragmatiker 
^bts  weifs  und  nichts  wissen  will ,  bestimmt  wird« 
Gewisse  Zeiten  aber  und  Verhältnisse  wollen  so  be- 
bandelt sein,  wie  der  Pragmatiker  die  Geschichte  an« 

'  «iebt  und  bebandelt  --*-  writlaufige  Verhältnisse ,  die 
•ioh  aus  mensehlicben  und  offenkundig  daliegenden 
Anläsaen  erklären  lassen,  so  die  Geschichte  des  Han- 
dein,  der  Scbifffahrt,  der  Colonien  u.  s.  f. 

Hat  G*  so  die  beiden  Hauptstämme  der  Historio- 
^gmphie  eharakterisirt  und  beurtheilt,  so  nimmt  er,  ehe 
w  die  ächte  Geschichtschreibung  schildert,  noch  einige 
Nebengattnngen  mit,  die  sich  zu  den  Hauptgattungen 
der  Geschichte  verhalten,  wie  die  Lyrik  und  die  di- 
iakfiscke  Poösie  als  Nebeogattongen  zoro  Epos  und 
Drama  —  nämlich  die  Sagengesc/ne/ite  und  die  pAi- 
t0S0pküeAe  GeseAieAtc.  Ich  bemerke  hier  gleich  vor- 
län6g,  dars  die  weitere  Analogie .  dieser  Nebengattun- 
gen  miteinander  von  selbst  Wegflillt,  denn  wenn  auch 
Hie  didaktische  Poisie  sich  sehr  gut  der  philosophi- 
gehen  Geschichte  zur  Seite  stellt,  so  hat  doch  die  Ly- 
rik mit  der  Sagengeschiohte  nichts  gemein. 

In  wenigen  Worten  wird  das  Wesen  und  der  Werth 
der  Sagengesehichto  sehr  gut  angegeben.  Man  könne 
dem  Gesehicb|/&r#ri^  nicht  veratgen,  wenn  er  den 
gutm  Crlaaben  fui  die  Sage  zerstöre:  der  Gescbickt- 
seAreUer  mfisse  sieh  davor  hfiten.  „Diese  Sagen, 
Abrt  der  Verf.  fort,  smd  nicht  selten  aus  df  r  wirkli- 


chen gesdiichtlichen  Erfahrung  znrückconstruirt^  sind 
ein  Complex  des  ganzen  geistigen  Gehalts  einer  Gie- 
schichte,'  eine  ganz  unmittelbar  poötische  Philosophie 
der  Nationalhistorie.'*  Und  ferner:  „Was  eine  solche 
volkssinnige  Nation  als  Geschichte  geglaubt,  verdient 
nicht  als  Geschichte  wieder  Glauben,  aber  als  Glau* 
ben,  einen  Platz  in  der  Geschichte.^''  Hiermit  ist  der 
einzig  richtige  Standpunkt  angegeben,  den  der  Histo- 
riker jeder  religiösen  Ueberlieferung  gegenüber  einzn^' 
nehmen  hat.  Es  folgt  dann  die  Kritik  einer  philoso« 
pbischen  Geschichte,  ober  welche  Ref.  unten  weitläufiger 
sprechen  will,  um  bier  in  derluhaltsanzeige  fortzufahren» 

Denn  nun  kommt  der  Verf..  zuletzt  auf  die  ächte 
Geschichtschreibung,  wie  er  sie  will.  Diese  stellt  er 
nicht  gerade  als  eine  dritte  Gattung  hin,  welche  die 
beiden  andren  aufnehme  und  in  sich  vereinige,  sondern 
er  bleibt  bei  den  zwei  Hauptformen  der  reinen  Ge* 
sckichtschreibung,  deren  einer  mehr  oder  weniger  jeder 
bedeutendste  Historiker  huldigen  mfisse.  In  der  Tbat 
aber  ist  diese  dritte  Gattung  dem  Wesen  nach  eine 
neue  und  höhere,  als  jene.  Ea  soll  nämlich  der  Hi- 
storiker „die  reine  Gestalt  des  Geschehenden  erken« 
neu  lernen,  um  aus  den  anhängenden  ZuftUigkei^ 
ten  das  wahrhaft  Wichtige  kühn  und  sicher  berauszu- 
beben.  JVicAiig  aber  üi  in  der  OeeeAiekie^  wae 
$4eA  einer  Aitiori$cAen  Idee  anecAliefet!^ 

Idee  ist  ein  verfängliches  Wort  für  einen  Histori- 
ker. Der  Verf.  braucht  es  ganz  unbefangen  und  gibt 
weiter  an,  was  er  unter  historischer  Idee  versteht.  Er 
sagt,  dafs  „für  den,  welcher  die  Plane  der  Vorsehung 
ahnen  lernt,  ohne  die  die  Weltgeschichte  nicht  Ter- 
standen  werden  kann,  sich  die  chaotische  Masse  in 
gewisse  Gruppen  mit  bestiuunten  Anfangs-  uud  End- 
punkten ordne,  die  von  historischen  Ideen  zusammen« 
gehalten  werden,  an  denen  sich  die  Vorsehung  gleich«, 
sam  offenbare."  (Warum  dieses  zaghafte  „Gleich- 
sam T)  Er  bezieht  sich  fär  diese  Behauptung  auf  W. 
T«  Humboldt  und  beschreibt  dann  weiter  jene  Ideen 
also*:  „diese  Ideen  begleiten  unsiclftbar  die  Begeben- 
heiten und  äufsercn  Erscheinungen,  durchdringen  und 
gestalten  innerlich  die  ganze  Geschichte  und.  welcher 
Geschichtschreiber  ihrem  Wesen  und  Wirken  nach- 
spürt, ihr  Hervorgehn  und  erstes  Erscheinen,  ihr  Be- 
atreben nach  Sieg  und  Herrschaft  und  ihr  Verschwin* 
den  und  Weichen  vor  andren  neuern«  die  an  ihre.Stelle 
treten^  uns  darstellt,  der  übt  sein  eigentliches  Geschäft 


91^ 


£WtWi»v#,  Grund%Mg4  der  BiUürUb* 


V» 


mit  Meistecliand.'^'  S^ebr  vahr  imd  tief  gegriffen  ist, 
was  GT  fertrer  über  das  Verfafiltnifb  dieser  Ideen  za 
den  lodiTiduen  nnd  zu  den  Zeitomstäaded  bemerkt* 
Dafs  er  aber  trotz  dieser  Ideen  Historiker  sei  und 
tilieibe,  gibt  er  damit  zu  irerstefan,  dafs  er  sagt  ,,da6 
Forsclicn  nach  ihrem  Herkommen  ist  för  uns  vergeb- 
lich/' ^jl^r  Gescbidhtsobreiber  hat  es  immer  nur  mit 
deih  zu  thun,  was  Bewegung,  Leben,  Fortgang  zeigte 
ihm  darf  es  scheinen,  als  solle  Anfang  und  Ende  den 
Menschen  verbergen  liegen/*  Ferner  faeifst  es:  ,,An 
solchen  Ideen  ist  dem  CSeschichtschrciber  die  scliönste 
fiinhcit  für  sein  Werk  gegeben."  „Er  trägt  .diese 
nicht  in  den  Stoff  hinein,  sondern,  indem  er  sich  un- 
befangen in  die  Natur  seines  Gegenstandes  yerKert, 
ihn  mit  rein  historischem  Sinn  betrachtet,  geht  sie  aus 
diesem  selbst  hervor  und  trügt  sich  in  seinen  befräch* 
tenden  Geist  «her.*' 

DeT  Ycrfasser  versucht  dann  eine  sehr  iiiferefi-» 
saute  Eintheilnng  der  Weltgeschichte  nach'  histori* 
sehen  Ideen.  Er  kommt  auf  den  Stoff,  den  der  Go- 
schichtscbreiber  zu  wählen  habe,  äufsert  sich  iibe> 
die  Schwierigkeit  der  Aufgabe  einer  Zeitgeschichte, 
einer  Weltgeschichte,  einer  Nationnigeschichte,  insbe- 
sondre ^r  Deutschen.  Das  führt  ihn  auf  die  Apologie 
der  Geschichte  iibcrhaupt,  von  welcher  er  durchaus  die 
bpchsten  unJ  würdigsten  Begriffe  hat,  die  er  mit  Wärme 
und  Beredsamkeit  vorträgt.  Er  schildert  die  intellec- 
tuelle  und  moraiisohe  Bildung,  welche  die  Geschichte 
dem  gebe,  der  sich  jnit  ihr  auf  wahrhafte  Weise  be-^ 
dcfaäfrige.  Von  der  moralischen  Bildung  sagt  er  vor* 
trefflich:  „Die  Geschichte  richtet  ihren  Jünger  auf  das 
GroCste,  daher  hat  er  leicht  ruhig  und  besonnen  eu 
sein;  er  kann  nicht  schnell  sein  zu  bewundern,  wei) 
ihm  in  jedem  Augenblicke  das  Beste,  was  die  Welt 
bat,  zu  Gebote  stebt ;  das  Ephemere  kann  den  nicht 
reizen,  der  in  ilen  Jahrhunderten  des  Yölkerlebens  lebt. 
Wer  aber  niebt  schnell  zum  Bewundern  ist,  der  ist 
auch  nicht  schnell  zum  Verwerfen.  Mit  dem  Werth 
und  Unwerth  des  Lebens  bekannt,  wird  er  leicfatsinni- 
gen  Lebensgenufs  nicht  theiicn,  %o  wenig  wie  den 
Üeberdrufs  am  Leben  und  die  Modemisanthrppie.  In 
niobts  wird  er  ^ich  mit  rauschendem  Eifer  stürzen, 
denn  eein  Feuer  kann  sich  nur  an  dem  Sebensten  und 
Höchsten  entzünden,  da  ihn  die  Lehrerin  Qberall  an 
grofsartige  Rlaafsstabe  gewöhnt/*     Daraus  folgt  von 


aelbsty  dafs  umgekehrt,  wer  in  sieb  selbst  noeb  nnfer* 
tig  ist,  wer  Leidenschaft  metbringt  an  dieGesdiiebte"-* 
dafs  der  niclitzu  ihrer  Darstellung  berufen  4Bein  kann.- 

So  macht  er  audi  an  den  Gescbicbtsebreiber  die 
böcbsteh  Forderungen:  „er  tirofs  ein  Meister  dea  Wi»^ 
Ben%  und  des  Lebens  'sein,^  und  die  einfacbsten :  „das 
Urbikl  des  Menschlichen  soll'  er  reia  ia  seinem  Bomb 
tragen,  und  er  kann  nur  die  schlichtere  Einfalt  iler 
Sitte  seinen  moralischen,  den  gesunden  MenscbeDver- 
stand  und  Mutterwitz  allein  seinen  intellectuellen  Stande 
punkt  neunen."  Es  thut  Notb,  dafs  man  diesen  einfa- 
ehen  Menschenverstand,  welcher  oiehta  anders  sagen 
will,  als  die  rein  menschliche  und  nnverkümmcrte  A»- 
sii^bt  der  Dinge,  wieder  zu  Ebreo  bringt,  nachdem  mu 
ihn  so  lange  gesehmuht  und  verachtet,  bis  man  Um 
endlich  fast  ausgetrieben  hat.  Man  ist  lieber  auf  die 
wunderlichste  Manier  genial  nnd  original,  als  auf  die 
einfachste  verständig,  und  bat  damit  die  Gescbicbte 
schmäblicb  mifshandelt. 

Der  Verf.  sehliefst  acia  reichhaltiges  BüobMa  da» 
mit,  dafs  er  die  widcrspreebendea  Forderungen,  weicbe 
man  mit  Hecht  an  den  Historiker  mnoht,  nebeneiaali^ 
der  stellt  nnd  so  die  ganze  Schwierigkeit  der  Ctescbiclit» 
schroihnng  dem^  der  eich  an  sie  wagen  tiill,  eolsegen» 
hält.  Möge  das  zur  Abschreokang  und  Warnung  gegen 
jegliche  Stümperei  in  der  Geschichte  dienen  I  — 

Ret  ist  dem  Gang  des  Verfs.  in  der  Hauplaacba 
gefolgt,  um  die  Grund ansiohtea  dessdben  beronazih 
stellen,  bemerkt  aber,  dars  in  demBüeblein  seibat,  wo 
jedes  Wort  seine  Stelle  und  jeder  Sats  seine  Bedeik 
tung  hat,  noch  eine  Menge  von  irrenden  Bemerkna> 
gen  und'  ürtbeilen  über  Geschichte  überhaupt  und  Hi- 
storiker eingestreut  sind ,  welche  die  lebrrcicbdtCB 
Winke  für  einen  angebenden  Historiker  abgeben  kön- 
nen. Es  ist  mit  nmsterbafier  Präcision  und  Klarbeit| 
und  wo  es  der  Gegenstand  zuliefe.,  mit  begeisterter 
Wärme  geschrieben  \  und  wenn  der  Vf,  verlangt^  dais 
in  einem  historischen  Werk  anch  ^e  pbiloaopbiaebe 
und  poetische  Gabe  mitwirken  solle,  so  kann  man  van 
diesen  Grundzugen  selber  sagen^  daCs  wenn  das  Didak^ 
tische  im  Alig^cmeinen  darin  vorberraobe,  ea  loineB  phi- 
losophischen Anfang  nehme,  eine  biatorisehe  Mitte 
habe  tmd  ein  poetisches  Ende.  Doch  in  der  Beband* 
lang  seiner  Materie  bleibt  der  Historiker  sieh  eeibet 
getreu,  denn  sie  ist  überall  bisUmach. 


(Die  Fonsetzung  fiHgt.) 


Jahrbücher 

./  für 

w  i  s  gl  e  n  s  c  h  a  f  1 1  i  c  h  e    Kritik. 


Dccember  1839. 


Qrundzüge  der  Historik  ton  G.  <?•  Oervinus. 

(Fortseitzapg.) 

•  *  • 

Zwar  scheint  er  Anfangi  ganz  ptulosophisch  von 
^  kigisch^a.  Kateg^rieo-  au8y§;ehen  «u  wollen,  doch,  wie 
benerkt)  wird  aus  ihnen  niohta  weiter  entwickelt;  sie 
und  selbst  nur  historisch  aufgienommeni  wie  auch  die 
dra  Tbätigkeiten  des  menschlichen  Geistes.  Die  Gat- 
tungen und  Arten  der  Geschichtschreibung  werden  ebenso 
ab  vorhandene  aufgeführt,  doch  der  Zusammenhang 
der  vollendeteren  Gestalt  mit  der  anfönglicben  nach- 
gewiesen. Der  Eintheiliingsgrund  derselben  wird  eben- 
falls nicht  aus  der  Natur  der  Geschichtschreibung  selbst 
abgeleitet,  sondern  lehnt  sich  an  die  Analogie  mit  der 
P^kätik,  und  in  dieser  bat  Aristoteles  schon  die  Eioi 
theilang  gegeben.  Der  l^ortsehritt  yon  einer  Art  der 
Geschichtschreibung  zur  andern  wird  allerdings  durch 
üt  Kritik  gemacht,  doch  ist  diese  nicht  dialektisch, 
so  daTs  die  Art  jielbst  ihre  Mängel  i|n  ihrem  Prinzip 
aufwiese,  sondern  der  Verf.  wird  bei  derselben  durch 
^  die  Forderungen  geleitet^  welche  er,  aus  seiner  schon 
gewoqiilenen  und  im  Allgemeinen  Torher  festgestellten 
Ansicht  von  der  ächten  Geschichtschreibung,  an  die 
untergeordneten  Arten  bringt  Kein  Siitz,  kerne  Be- 
haupttog  wird  au^estellt,  die  nicht  auf  einer  histori- 
sehmi  Anschauung  beruhte.  Der  Verf.  ist ,  durchaus 
Historiker  ^ncfa,  da,  wo  er  zu  phUosophiren  scheint  — 

Die  Bfaterie  aber,  die  er  behandelt,  ist  auch  schon 
foa  Philosophen  besprochen  worden ,  und  es  ist  za 
sehn,  wie  er  sich  zu  diesen  verhält,  um  so  mehr,  als 
er  selbst  keine  Rücksicht  aiif  sie  nimmt 

Seh0Umg  in  der  zehnlOB^  seiner  Vorlesungen  über 
das  akademische  Studium  untersckeidet  dreierlei  Stand- 
punkte^ fiir  die  Geschiebte.:  zuerst  den  empirischen,, 
welcbeo  er  angibt  als  die  reine  Aufnahme  und  Aus- 
mittluBg  des  Gescheheneii,  welche  die  Sache  des  Ge- 
schichtsforschers sei,  der  aber  von  dem  Historiker  als 
Jakrh.  /.  wiMmtch.  Kritik.  J.  1839.  II.  ßd. 


solchen  nur  eine  Seite  repräsentire  j  dann  den  prag- 
matischen, auf  welchem  der  empirische  Stoff  nach  ei- 
nei^  Verstandesidentitat  oder  nach  eipem  durch  das 
Subject  eptworfenen  Zweck,  der  insofern  didaktisch 
oder  politisch  ist,  angeordnet  werde  (Polybius,  Taci- 
tus);  endlich  den  dritten  und  absoluten,  welcher  der 
der  AütörücAen  Kunst  sei.  Denn  ,,die  Kunst  ist  es, 
wodurch  die  Historie,  indem  sie  Wissenschaft  des 
Wirklichen  als  solchen  ist,  zugleich  über  dasselbe  auf 
das  höhere  Gebiet  des  Idealen  erhoben  wird,  auf  dem 
die  Wissenschaft  steht."  „Erst  dann  erhält  die  Ge-' 
schichte  ihre  Vollendung  für  die  Vernunft,  wenn  die 
empirisdten  Ursachen,  indem  sie  den  Verstand  befrie- 
digen, als  Werkzeuge  und  Mittel  der  Erscheinung  ei- 
ner höhern  Nothwendigkeit  gebraucht  werden.  Iq  sol- 
cher Darstellung  kann  die  Geschichte  die  Wirkung  des 
gröfsten  und  erstaunenswürdigen  Drama  nicht  verfeh- 
len, das  nur  in  einem  unendlichen  Geist  gedichtet  sein 
kann.**  '  -  . 

Man  sieht,  in  diesem  höchsten  Standpunkt  kommt 
Gervinus  mit  Schelling  überein ;  nur  mit  etwas  andern 
Worten  sagt,  er  es  auch  so,  und  hat  dabei  den  Vor- 
zug, dafs  er  nicht  bei  diesem  Allgemeinsten  stehn  bleibt, 
sondern  seine  Ansicht  ausführlicher  entwickelt  und  be- 
gründet  Indessen  ist  Schellings  Eintheilung  nicht  nur 
sehr  allgemein,  sondern  auch  ungenügend,  denn  der 
erste  Standpunkt  für  die  Geschichte  ist  eigenflich  gar 
keiner  für  die  Geschichtschreibung,  denn  er  geht  ihr 
nur  vorher,  und  der  zweite  ist  nur  oberflächlich  cha- 
rakterlsirt. 

Von  diesem  Entwurf  hätte  Gervinus  nichts  brau- 
chen können,  als  nur  die  Vergleichung  der  höchsten 
Gattung  mit  dem  Drama,  welche  für  seine  Analogie 
mit  den  poötiscben  Gattungen  einen  bedeutenden  Wink 
abgeben  konnte. 

HegeN  Eintheilung  in  unmittelbare,  reflectirende 
und  philosophische  Gesobichtsbehandlung  (im  Anfang 

116 


923 


Gervinusy    Grufui»Ug0  der  Hütorik. 


924 


seiner  Vorle^suogen)  ist  durchaus  nur  «u  nebonen  als  ^ 
eine  Zusammenstellung  oder  Anordnung  der  yerscbied- 
nen  Arten  der  Gescbicbtschreibung  unter  einen  pbilo« 
sopbischen  Gesicbtspunkt  in  Bezi^bung  auf  die  Philo- 
sophie der  Geschichte.  Denn  sonst  wäre  gar  nicht  xu 
verstehn,  wie  Herodot  und  ,Thucydides  auf  die  etate 
Stufe  und  die  Chronisten  mit  den  Membirenschreibern 
eben  daselbst  zusammen  kommen.  Man  wird  aber 
finden,  dafs  bior  nur  das  Verbäituifs  des  Subjects  zum 
Gegenstand  als  Gesichtspunkt  gebraucht  ist,  nnd  zwar 
^ies  auch  nur  insofern,  als  das  Subject  entweder  eins 
ist  mit  seineni  Gegenstande  oder  aufserhalb  desselben 
steht  ^.  So  ist  denn  Memoirenschreiber,  wie  Chronist 
und  jeder  Zeitgeschichtsohreiber,  bis  zu  einem  Tht|cy- 
dides,  auf  derselben  und  ersten  Stufe,  obgleich  sie  auf 
sehr  verscbietlene  Weise  eins  sind   mit  ihrem  Gegen- 


gabe, der  Gescbicbtschreibung)  wie  sie  oben  im  Allge- 
meinen angegeben  ist,  selber  nachgekommen  sei;  und 
ob  er  aucb  das  gröfsere  Verdienst  babe^  diese  ächlea 
Prinzipien  nicht  nur  anerkannt ,  sondern  auch  in  Aji- 
Wendung  gebracht  zu  haben.  Ref.  Uätte  Lust  darauf 
zu  antworten,  wenn  es  hier  am  Orte  wäre,  und  zwar 
bauptsächUch  darum,  weil  er  nicht  gefunden,  dafs  Ger- 
vinus  irgendwo  dio  .Genugthuung  einer  Beurtheilung 
aus  jenen  Prinzipien  zu  Theil  geworden*.  Doch  ich 
bleibe  hier  bei  der  Historik. 

Wenn  Ref.  nun  auch  mit  dem  Ganzen  und  der 
Hauptsache  durchweg  einverstanden  ist,  und  nament- 
lich die  Anordnung  und  Charakteristik  der  Arten  der 
GeschicBtschrelbung  für  vortrelTlich  hält,  so  will  er 
doch  nicht  unterlassen,  im  Einzelnen  seine  abweichende 
Ansicht  geltend .  zu  machen.    Und  dies  wäre  zuerst  in 


stände,  denn  der  Memoirenschreiber   ist  dabei  ebenso'   Betreff  der  Analogie,   Welche  der  Verf.  mit  den  poSti^ 
subjectiv,  als  der  Chronist  objectiv  ist  Es  war  hier  nur     sehen  Gattungen    auGstellt. 


darum  zu  than,  in  der  Einleitung  der  Philosophie  der  Ge- 
schichte oder  der  philosophischen  Geschichte  eine  Stelle 
neben  den  andern  Geschichtsbehandlongen  anzuweisen, 
Gervinus  aber  hat  dieselben  nach  ihrem  Grundobarak- 
ter  unterschieden  und  benrtbeilt. 

In  einem  sehr  nahen  und  innigen  Venialtnifs  steht 
aber  der  Verf.  in  dieser  S^chrift  zu  fV.  v.  Humboidfs 
AbhandloDg:  Ucber  die  Aufgabe  des  Geschichtschrei- 
bers, auf  welcbe  er  selbst  zwei  Mal  hinweist;  und  man 
kann  wohl  sagen,  dafs  er  den  Kern  dessen,  was  er 
über  die  ächte  Gcschichtschreibung .  sagt,  aus  dieser 
meisterhaften,  ebenso  tief  gedachten,  als  klar  geschrie- 
benen Abhandlung  geschöpft  hat.  Sein  Verdienst  bleibt 
aber  noch,  die  herrlichen  Gedanken  über  die  Geschicht- 
schreiBung  daraus  sich  zu  eigen  und  aufs  Neue  vor  das 
Publikum  gebracht  zu  haben ;  und  darauf  bezieht  sich' 
wohl, 'was  er  in  der  Vorrede  sägt,  dafs,  wenn  etwa 
auch,  wks  er  über  die  künstlerische  Behandlung  der 
Geschrchte  sage^  nicht  neu  (erfunden  werden  möchte, 
es  doch  dem  jetzigen  Geschlechte  nicht  sehr  gegen- 
wärtig sein  müsse,  weil  in  der  Anwendung  wenig  davon 
siebtbar  werde.  —  Es  wäre  nun  die  Frage,  in  wie  weit 
Gervinus  da,  wo  er  als  Historiker  auftritt,  dieser  Auf- 


*)  Mit  dieser  Einschränkung  ist  die  allgemeine  Bezeichnung, 
reflectirende  Geschichte   für   die  zweite  Stufe,  zu  nehmen; 
denn  sunst  würde  das  Memoir  hierher  gehören,  während  es 
•doch  auf  die  erste  Stufe  gesetzt  ist. 


Er  äufsert  sich  nämlich  ^.  24.  dahin :  wie  es  in 
der  Poesie  (nach  Aristoteles)  eigentlich  nur  zwei  Gat^ 
tungen  gebe,  die  epische  und  dramatische,  die  eine 
mehr  volksthümlicb  und  objectiv,-  die  andre  mehr  künst- 
l'erisch  upd  subjectiv  ' —  so  auch  in  der  Gescbiobt« 
Schreibung  die  chronistische  und  die  vom  Memoir  ausge- 
bende^ „Doctt  gibt  es  in  derPoösie,  heifst  es  werter, 
noch  zwei  Nebengattungen,  ttbefr  die  man  sich  erklären 
mufs.  Dies  ist  die  Ijriscbe  und  didaktische  Poesie. 
In  der  lyrischen  Poesie  nun  mufs  Jeder,  der*  die  Ge- 
schichte der  Dichtung  kennt,  Rhapsodie  und  Romanze' 
als  die  historischen  Anfange  und  Wurzeln  von  Epos 
und  Drama  ausscheiden.  Dann  bleibt  nichts  Wesent- 
ficbes  übrig,  als  die  musikalische  Lyrik,  die  in  allett 
einfachen,  nngekünsteltea,  Zeiten .  mehr  der  Musik  zu- 
getbeilt  wird  als  der  Poesie,  weil  jene  die  Hauptsache 
darin  ist." 

'  Ich  will  mich  hier  auf  diese  gewagte  Behacptnng, 
die  der  Verf.  selbst  erst  w^eitläufiger  ausfuhren  mfifste 
gegen  die  Instanzen,  die  sich  aus  der  Geschiebte  msd 
Aestbetik  dagegen  aufdrängen,  nicht  weiter  einlassen^ 
um  nicht  auf  das  Gebiet  deir  Aestbetik  zu  geratben, 
will  also  nicht  darüber  streiten,  ob  die  Lyrik  Haupt- 
gattung sei  oder  Nebengattung,  sondern  hier  nnr  be^ 
merken,  dafs  der  gr&fsere  Schaden  für  den  Verf.  der 
ist,\  dafs  er  darüber  seinen  treffenden  Parall^smus, 
von  nun  an  zum  Tbeil  verfehlt,  zum  Theil  aufgeb« 


925 


OervintUf  OrutUbiäge  der  '-Hittnrik. 


92& 


mafs.    Denn  freilieb,  da  6r  die  Lyrik  zuriiekgestofsen 
haf) .  BO  bleibt  ihfai .  fdr  die  ganze   Richtnng  der  Ge- 
sobfobtBcbreibnDg,  die  im  Sfemoiro  wurzelt,  nur  das 
Drama  zur  Vergleichuog  fibrig.     Nun  bebt  zwar  der 
Terf.  mit  Oeschick  am  Drama  gerade  diejenigen  sab- 
jecfiven  Seiten  hcrans,  welche  sich  noch  vergleicfaen 
bissen;  diese  Seiten  sind  aber  gerade,  was  das  Drama 
Lyrisches  an  sich  hat,  und  nicht  die  wesentlichen  des 
Drama.    Man  müfs  aber  beim  Vergleich  anf  das  We- 
sen und  den   Grundcharakter  sehn.     Was  der  Verf. 
sagt:  „Seine  (des  Memoirenschreibers)  Darsteilnngsart, 
wie  die  des  Drama,    Tergegen>p^ärtigt ;    wie    auf  dem 
alten  Theater  liegt   die  epische  Handlung  hinter  der 
Scene,  die  Intrigue  und  die  psychologische  Katastrophe 
erscheint  auf  der    Bühne;  wie  ehemals  der  Theater- 
dichter, so  spieft  hier  der  Geschichtschreiber  mit,"  das 
pafst  Alles  viel  besser  mit  der  Lyrik ;  denn  diese  (man 
denke  an  Pindar)  vergegenwärtigt  des  Dichters  Empfin- 
dung und  Reflexionsweise  auf  eine  Weise,  di€t  uns  mit 
hineinreifst,  sie  setzt  ebenso  eine  Handlung  oder  Vor^ 
gang  yoraus,   welche  des  Dichters  Seele  in  Bewegung 
und   Schwung   rersetzt  hat,   und   der   Dichter   selbst 
macht    die  Hauptperson  im    lyriBcfaen-  Qedicht.     Das 
Memoire  mufs,  scheint  mir,  also  als  Mittelgattung  zwi- 
schen der  Chronik  und  einer  solchen  Geschichtschrei- 
bung,'welche  diese  beiden  in  einer  höheren  Art.verei* 
fligt,  mit  der  Lyrik  in  Parallele  gesetzt  werden.    Der 
Gmndzug  in  beiden  ist  das  Subjective.    Wie  nämlich 
im    Memoire  der  Verf.  die  Begebenheiten  immer  auf 
iich  bezieht,  sich  in  den  Yörgrnnd  stellt,  weniger  Pakta' 
als  die. Beurtheilung.  derselben  gibt,  voll  von  Leiden- 
achaft  und  Mitgef&hl  ist,   Parthei  nimmt  f&r  Personen 
und  Handlungen,  auf  die  Motive  und  die  verborgenen 
Quellen  der  menschlichen  Handlungen  zurückgeht,  den 
Neigungen,    Absichten   und  Leidenschaften   der    Men- 
«eben  auf  den  Grund  gebt;  so   spiegelt  der  Lyriker 
die  Welt  in  sieh  und  seiuem  Gemfith,   so  braucht  er 
Ges^^hichte  und  Mythologie  nur  um  seine  Empfindun- 
gen  darin  wiederzuspiegeln ,   seine  Gedanken  dadurch 
zu  beweisen,    so  rubt  er  weniger  in  der  Anschauung, 
als   in  der  Leidenschaft;   und  nur   so    viel  freier  die 
Pofisie  ist,  und  so  viel  gebundener  die  Geschichtschrei- 
boDg  an.  daß' Faktische,  so  viel  wird   in.dieseir  mehr 
das  Faktische  überwiegen  und  dem  Memoirenschreiber 
nnr   die  Veranlassung   geben,    sich    als  mitspielende, 
mitempfindende  Person  zu  zeigen,  und  so  viel  mehr 


wird  der  lyrische  Dichter  frei  mit  der  Wirklichkeit  odei^ 
Gelegenheit,  welche  ihn  zum  Gedicht  veraialafst  hat^ 
schalten,'  upd  sie  nur  brauchen,  um  seine  Empfindun- 
gen daran  anzuknüpfen. 

Nocb  iii  andrer  Weise  aber  rächt  sich  die  Lyrik 
„am  Terf.  für  ihre  Zurücksetzung,  denn  fär  die  äcbte 
Gescfaichtschreibnng  bleibt  ihm  nun  kein  Analogen  un- 
ter den  poStfscben  Gattungen,  weil  er  das  Drama  schon 
am  upgebdrigen  Ort  verbraucht  hat.,  Das  Drama  ver- 
einigt aber  das  Epische  und  Lyrische  zur  höheren  Gat- 
tung, gerade  wie  die  ächte  Geschichtschreibung  über 
der  blofsen  Chronik  und  dem  blofsen  Memoire  steht. 
Das  Drama  stellt  eine  Handlung  vor,  welche  selbst 
wieder  auf  einem  Comp.lex  von  Handlungen  und  Vor- 
gängigen Begebenheiten  ruht,  wie  der  Gescbichtschrel- 
her  deu  Theil,  welchen  er  behandelt,  als  Theil  im  Gan« 
zen  aufzufassen  hat.  Die  Handlung  des  Drama  mufs 
eine  bedeutende,  auf  dem  Wesen  der' Menschheit  be-. 
mfaende,  eine  Handlung  von  allgemeinem  Interesse  sein; 
wie  ^der  Stoff  der  Geschichtschreibung  ein  Inhalt,  an 
welchem  sich  das  Wesen  der  Menschheit  selbst  in  An- 
schauung bringt.  Das  Drama  stellt  eine  Coltiöion  von 
Mikohten  oder  Pflichten  dar;  wie  die  Geschichte  den 
Kampf  der  Ideen ,  ihr  Auftreten,  Mächtig  werden,  und 
Schwinden  vor  neuen  und  daruur  mächtigeren.  Wie 
im  Drama  die  Individuen  ihre  Berechtigung  nur  durcb 
die  Ideen,  welche  sie  durchdringen,  erhalten,  und  mit 
ihnen  siegen  oder  ftnieu ;  so  stehn  in  der  Geschichte 
die  Repräsentanten  der  Zeitideen  oben  an,  diejenigen, 
von  denen  W.  v.  Humboldt  sagt,  dafs  in  ihnen  die  hi- 
storische Ideeso  strahlend  hervorleuchte,  dafs  sie  dib 
Form  des  Individuums  nur  angenommen  zu  haben 
seheine,  um  in  ihr  sich  selbst  zu  offenbaren.  'Von  die- 
sem substanziellen  Inhalt  des  Drama  hat  der  Pragma- 
tismus uichts«  Es  ist  wahr,  dafs  im  Drama  die  auf- 
tretenden Personen  ihre  Empfindungen  und  Gedanken 
aussprecbeu,  und  daran  hat  sich  der  Verf.  wohl'  haupt- 
sächlich gebalten  bei  seioer  Vergleichung  mit  dem 
Pragmatism,  aber  erstens  ist  dies  gerade  die  lyrische 
Seite  am  Drama,  und  dann  ist  eben  das  Falsche  beim 
Pragmatiker,  dafs  er  seinen  Persoqen  oft  nur  seine 
eignen  Empfindungen  und  Beflexionen  unterschiebt, 
während  beim  guten  Dramatiker,  wie  beim  guten  Histo- 
riker die  Individuen  nur  aus  der  ihnen  zugetheilten 
Rolle  denken,  sprechen  oder  bandeln,  und  diese  Rollen 
belbst   nur   ihren    Werth   erhalten   in    den   allgemein 


«27 


Qrundnüge  «br  Hütarih% 


928 


inen^oblielieD  IdiBf»D^  v0lohe  die  Indi?idaeii  in  vertre- 
ten haben  \  da  hingegen  der  Pragmatiker  Iceine  höhere 
Macht  anerkennt^  welche  die  Individuen  .durchdringe 
und  beseele  •).  — 

Eb  ist  oben  der  Ort  angegeben  worden,  wo  der 
Verf.  auf  eine  Philosophie  der  Geschichte  als  Neben« 
gattüng  der  GeschichtschreibuDg  zu  sprechen  kommt. 
Seine  Kritik  derselben  ist  folgende:  die  Philoso« 
phi?^  sagt  er^  könne  die  Geschieht sclyreibuag  su  ihrem 
Gegenstande  u^hmen  und  eine  Historik  entwerfen,  fer- 
ner könne  sie  den. Staat,  die  Dichtung  und  Alles,  was 
die  Geschichte  in  seinen  Veränderungen  zeigt,  in  sei- 
nem ruhenden  Zustande  betrachten;  und  veiter  setzt 
er  hinzu:  „sobald  sie  aber  hiervon  abweicht,  würde 
^e  die  Form  der  Ge$ehichte  barßeuy  und  müfste  zur 
Geschichte  des  Staats  u.  s.  f.  werden.  Es  wäre  aber 
irrig  zu  sagen,  dafs  dies  dann  nicht  Werk  des  Histo« 
rikers  wäre/'  Man  sieht^  dafs  Geryinus  eine  philoso« 
phische  Behandlung  der  Geschichte  so  wenig  zurück« 
weist,  dafs  er  sie  vielmehr  dem  Historiker  selbst  zu 
eigen  machen  will.  Man  hat  alsc  hier  nicht  erst,  wie 
bei  vielen  Historikern,  sich's  fcur  Gunst  auszubitten, 
^berhaupt  philqsophiren  zu  dürfen  in  der  Geschichte, 
vielmehr  wird  ausdrücklich  vom  ächten  Historiker  er- 
wartet, dafs  er  Ideen  nachgehe*    Wenn  aber  der  Verf. 


der  Weltgeschichte  entfaltet»  lebt  in  der  Entwicklung : 
aurserhalb  des  Werdens  ist  er  nicht  zu  begreifen,  denn 
er  üt  nicht  aufser  demselben*  Die  Philosophie  nmfs 
sich  daher  auf  die-  Geschichte  einlassen,  sie  geb6rt 
mit  in  das  Bereich  ihrer  Qbjccte,  denn  in  ihr  entwick*elf; 
sich  der  Geist  reell.  —  Was  meint  aber  Gervinus  mit 
der.  Form,  die  die  Philosophie  von  der  Geschichte 
borge!  Die  Form  ^der  Gescbichtschreibung  Jst  die  Er^ 
Zählung  der  Thaten  und  Begebenheiten,  denen  sie  in 
der  Zeitfolge,  wie  sie  sich  ereigneten,  nachgeht.  Er- 
zählen darf  nun  die  Philosophie  der  Geschichte  freilicli 
nicht,  wenn  sie  sich  als  etwas  Eigenes  behaupten  ^dll| 
aber  nachgehn  mufs.  sie  doch  den  Ereig^issen|  denn 
die  Entwicklung  des  Geistes  geschieht  in  der  Zeit« 
Aber  sie  wird  sich  von  der  Geschicbtsohreibnng  so 
unterscheiden,  dafs  sie  die  Ereignisse,  nnr  andeutet, 
indem  sie  die  Bekanntschaft  mit  denselben  voranssetat. 
^^Denn  was  sie  zu  berichten  hat,  sagt  Hegel,  sind 
die  Thaten  des  Geistes  der  Völker.  Die  individuellea 
Gestaltungen,  welche  derselbe  auf  dem  äufserlicben 
Boden  der  Wirklichkeit  angezogen,  könnten  der  eigent'- 
U^Aen  Gescbichtschreibung  überlassen '  werden.**  Se 
trennt  sich  denn  von  dieser  die  Philosophie  der  Ge> 
schichte  als  eigene  Disciplin  ab,  zu  welcher  die  Phi- 
lesophie  durch   die  Erkenntnifs   des  Geistes    gel&hrt 


behauptet,  die  Philosophie   habe    die  Objecto  nnr  in  '  wird,    Sie  ist  und  bleibt  eine  philosophische  und  darf 


Ihrem  ruhenden  Zustande  zu  betrachten,  so  stiebt  er 
ihr  zu  enge  Grenzen.  Denn  wie?  wenn  es  Objecto 
"gibt^  die  ihrer  Natur  und  Wesen  nach  nur  in  Bewe- 
gung,  Veränderung  und  Entwickluiig  sind,  entzielien 
sie  sich  darum  der  philosophischen  Betrachtung?  Hat 
nicht  der  Philosoph  die  Gesetze  solcher  Veränderung^ 
zu  ergründen?  Der  Meoschengeist  aber,^  der  sich  in 


*)  Aristoteles  in  der  Poetik  bestimmt  den  Begriff  der  TrsgU- 
die  also:  oyxovy,  Snms  rti  9^  ^t/^iaatyrat,  n^Arroychy,  aXXa 
Ta  jjS-fj  cvftTKQikccfißdyovfft  cTmy  rctS  nga^tts '  t5<ni  rd  ngayfiara 
xid  6  iiAV&oQ  riXos  j^s  TQaytfidiag,  Dann :  oQj^ij  fiiy-  ovy  nul 
otoy  t/fvxi  6  fjivS'OS  T^  rgayt^dlai,  dtvngcy  ri  rd  $^.  Das 
ist  %ber  gerade  umgekehrt  beim  Pragmatiker,  •  bei  ihm  sind 
die  9^  das  Erste  uod  die  ngt^tf  oder  der  /aB^vs  das  Zweite. 
Von  den  Subjecten  uod  ihres  Leidesschnften  gehen  die  hi- 
storisohsn  Bewegungen  bei  ihm  aus. 


ihre  Stelle  nicht  in  der  Geschichtsohreibung  suchea 
vollen;  denn  wenn  diese  die  Richtung  nähme»  das 
Material  und  den  Stoff  so  fallen  su  lassen,  und  nur 
auf  den  Gedanken  und  Prinzipien  lossttstenem»  ao 
würde  sie  eine  Ausartung  werden  nnd  yon  achter 
Kunst  der  Gescbichtschreibung  so  wenig  übrig  behal- 
ten, als  die  didaktische  Poesie  von  der  ächten.  — 

Doch  es  scheint  nöthig,  das  Verhältnifs  des  Phi- 
losophen gegen  den  Historiker  noch  genauer  n  fixi- 
ren,  nm  jenen  vor  einer  unpassenden  Yermisobmig 
der  Philosophie  und  Geschichte,  diesen  yor  einer  fal- 
schen Kritik  gegen  die  ^philosophische  GescUcfate  sa 
bewahren,  und  so  will  ich  denn  noch  Einiges  über  den 
Standpunkt  und  Zweck  beider  bei  Behandlung  der  Ge- 
schichte sagen,  und  zeigen,  in  wiefern  sie  eins  und 
worin  sie  terschiedeii  sind. 


(Der  Beschlufs   folgt) 


JW  117. 

Jahrbücher 

für 

wis  8eii8chaftli€h  e 


. 


Kritik. 


December.1839* 


Orundzuge  der  Hütorik  ran  O.  O.  OerrinuB. 

(Schlaft.) 

Die  Pliiloflophie  der  Gescbiehte  hat  tod  den 
•toriken  den  Vorwarf  einer  Constraotion  a  priori  und 
der  Sjrteinniaclierei  su  erfahren.  Dieser  Vorwurf,  mag 
ihn  der  Philoaoph  anch  den  Historikern  wieder  zurfick 
gpeben  (s.  Hegels  Einleitung  zur  Philosophie  der  Gesch.), 
'wird  darum  nicht  gehoben.  In  der  That,  nehmen  wir 
die  eben  aogeffthrte  Einleitung  ror,  so  finden  wir,  dafs 
dei^  Philosoph  de^  Geschichte  mit  allgemeinen  Katego» 
lien  entgegentritt,  er  firagt  nach  ihrem  Endzweck,  nach 
den  Mitteln,  wodurch,  und  nach  dem  Material,  worin 
aioh  derselbe  verwirkliche,  und  stellt  dann  gradehin 
das  Postulat,  dafs  die  Vernunft  die  Welt  regiere i 
„Wenn  man  nicht  den  Gedanken^  die  Erkenntnifs  der 
Vernunft,  sagt  Hegel,  schon  mit  zur  Weltgeschichte 
bringt,  mnfs  .man  wenigstens  den  festen,  uottberwindli* 
eben  Glauben  mitbringen,  dafs  Vernunft  in  derselben 
ist,  nnd  wenigstens  den,  dafs  die  Welt  der  Intelligenz 
und  des  selhatbtwufsten  Wollene  nicht  dem  ZMßÜligen 
aalieinigegehen  sei»  sondern  in  dem  Lichte  der  sich 
wlasenden  Idee  sieh  zeigen  mfisse.**  Wer  wirä  sich 
aber  dieses  Glaubens  weigern  t  Der  denkende  Historie 
ker  doch  nicht?  Er  muft  ihn  vielmehr  haben;  denn^ 
ohne  ihn  würde  iiua  die  Weltgeschichte  immer  nur 
eine  verworrene  und  anfällige  «Masse  sein  nnd  bleiben, 
ohne  ihn  wurde  er  nicht  auf  Ideen  kommen ,  welche 
die  Weltgeschichte  im  Innern  susanrnienhatteü  und  die 

■ 

bewegende  Ursache  derselben  sbd.  So  sagt  denn  auch 
Gerfians,  dafs  an  ihnen  die  Vorsehung  sich  gleichsam 
offenbare,  und  W«  v.  Humboldt:  „die  Weltgeschichte 
ist  nicht  ohne  eine  Weltregierung  verständlich.'* 

Dea  Glauben  an  die  Vernunft  im  Allgemeinen  theilt 
also  der  denkende  Historiker  mit  dem  Philosophen. 
Dieser  aber  hat  dann  noch  einen  bestimmteren  Glau« 
beuy  und  dieser  freilich  ist  der  an  sein  System.    Sehen 

.   Jdkr6.  /  wttieiticA.  Kritik,  J.  1839.    IL  Bd. 


wir  aber,  was  näher  in  diesem  Glauben  enthalten  ist, 
so  werden  wir  finden,  dafs  der  Historiker  auch  diesen, 
80  weit  er  sich  auf  die  C^sohichte  bezieht,  in  den 
Hauptpunkten  theilt.  Hegel  behauptet  (p.  64)  i  um  die 
Prinzipien  der  Völker  und  den  GaiTg  der  JBntwicklong 
derselben  zu  erkennen,  werde  nicht  nur  eine  genbfe 
Abstractioii)  sondern  auch  schon  eine  vertraute  B^ 
kanntschaft  mit  den  Ideen  erfordert  $  *  geradeso,  wie 
Keppler,  um  die  Gesetze  des  Planetenlanfs  zu  finden, 
mit  den  mathematischen  Verhältnissen  der  Ellipsen  u« 
s.  f.  schon  a  priori  bekannt  sein  mnfste.  Was  ftlr 
Ideen  sind  aber  diese,  welche  der  Philosoph  mitbringt! 
Es  sind  die  Formen  des  BewuTtseins,  welche  er  in  der 
Entwicklung  des  Geistes  -nach  seinem  Wesen  findet. 
Der  Philosoph  nämlich  räsonnirt  also :  die  Geschichte 
ist  die  des  Menschen,  und  also  des  Geistes,  denn  die 
Natur  hat  wohl  Ordnungen  und  Gesetze  und  eineEnt* 
Wicklung  innerhalb  derselben,  aber  keine  Entwicklung 
dieser  Gesetze  selbst  -i-*  also  keine  Geschichte.  Der 
Geist  aber  ist  seinem  Vliesen  nach  Entwicklung  zu 
seiner  Bestimmung,  welche  die  Freiheit  ist.  Diese  Ent« 
Wicklung  geschieht  in  einem  Stufengang,  welohcn  der 
Philosoph  in  den  verschiBdenen  Formen  des  Bewurst>- 
seins,  die  der  Geist  annimmt,  oder  vielmehr,  zu  denen 
er  sich  bestimmt,  erkannt  hat.  Da  die  Geschichte  nun 
die  reals  Entwicklung  des  Geistes  ist,  so  müsseu'diese 
Formen  des  Bewufstseias,  wenn  anders  der  Philosoph 
das  Wesen  des  Geistes  wahrhaft  gefafst  hat,  inner* 
halb  derselben  in  dem  Bewufstsein  nnd  geistigen  Prin* 
zip  der  Völker  wiederkehren  und  nach  einander  aufr 
treten.  Der  Philosoph  will  seine  Erkenntnifs  vom  We« 
sen  des  Geistes  dadurch  nicht  sowohl  beweisen  als 
bestätigen,  er  will  das  Ideale  un  Realen  aufzeigen. 

Der  Historiker  dagegen,   nämlich  der  denkende, 

will  die  Geschichte  zu  Ideen  hinauiführen )  er  hat  sie 

.  aber  nicht  schon  im  Voraus,  sondern  er  witt  sie  linden. 

Er  stellt  sich  die  Aufgabe^  das  ganze  Material  der 

117 


, 


931 


Oertdnus^  GrundxUge  der  Hütorik. 


932 


Nationalgesohichten  und  der  Weltgeschichte  zu  ,durob- 
forschen   und,   auf  der  vollständigen  Kjennfnifs  dersel-» 
ben  begründet,  zu  denjenigen  Ideen  zu  gelangen,    wet-. 
che  die  ganze   Existenz  und  Thätigkeit  einer  Nation 
durchdringen  und  beherrschen.,   Dafs  ein  Historiker  dies 
vill,  ist  in  der  That  etwas  Ausgezeichnetes  und  von 
Seiten  der  Philosophen  hatte   dies    längst   anerkannt 
Verden  sollen.    Wenn   nun   aber  der  Historiker  sich 
dem  Philosophen  gegenüberstellt  und  ihm  sein  System 
zum  Vorwurf  macht,  so  ahnet  er  wohl  nicht,  wie  nahe 
er  demselben  steht.    Denn  wenn  der  dcjukende  Histo- 
riker sich  fragen  wollte,  wodurch  er  sich  von  den  blo- 
fsen  Sammlern,  von  den  kritischen  Gompilatoren  u.  s.  f. 
onterscbeidet,  so  ist  es  doch  nur  dadurch,  dafs  er  der 
Denkende  ist.     Das  Denken  ist  aber  nicht  blofs  etwas 
Foirmelles,  oder  nur  wie  die  Handhabe  am  Topfe,  son- 
Uern  enthält  bestimmte  Gedanken,  und  nur  durch  diese 
auch  kann  der  sich  „denkend"    nennende   Historiker 
vor  solchen,  denen  er  die  Ehre  dieses  Prädikats  nicht 
einräumt,  auszeichnen.    Also  t^ird  er  in  der  That  be- 
stimmte Gedanken  haben,  uud  vorher,  d.  h.  Gedanken, 
die  ihm   durch  seine   Bildung  geworden  sind.    Daher 
der  Verf.  auch  an  den  Histm*iker  den  Anspruch  macht, 
dafs  er  eine  Weltansicht  gewonnen  haben   solle  und 
eine  rein  menschliche  Bildung  besitzen   müsse.    Der 
Historiker  soll  sein  Auge  auf  das  rein  Menschliche  gei- 
.richtet  haben.    Was  ist  aber  dieses  rein  Menschliche, 
trenn  es  nicht  das  eigne  Wesen  des  Menschen  ist  oder 
das   Wesen  seines  Geistes  d.   i.  die  Freiheit?  Wenn 
also   auch  der  Historiker  die  fortschreitende  Ejntwick« 
lun^  der  Menschbeit   nicht   von  vorn  herein  zugeben 
würde,    so  kommt   er  doch   mit  dem  Philosophen  im 
Standpunkt  der  Beurtheilung,  welcher  zugleich  das  Ziel 
ist,  überetn,  und  in  dieser  Beziehung  würde  ich   den 
Unterschied   zwischen  beiden  nur   so  feststellen,   dafs 
der  Philosoph   seine  Gedanken   bestimmter  im  Inhalt 
und  abstracter  in  der  Form  gefafst  und  ein  ausdrück« 
Hohes  Bewttfstsein   darüber  hat  —  denn  sein  Wissen 
geht  auf  den  Gedanken   aus  --,   dafs  der  Historiker 
aber  nicht  so  sehr  seine  Gedanken  selbst  zum  Gegen* 
stand  der  Betrachtung  macht,   als  er  sie  vielmehr  im 
Hintergrunde  behält  und  im  Reichthum  der  Geschiebte, 
welche  er  darstellt,  für  das  Auge  des  Kenners  durch- 
scheinen läfst. 

Denn  tbeilen  auch  beidct  den  Standpunkt  der  Be- 
urtheilung  und  das  Ziel  im  Allgemeinen,  so  sind  sie 


doch  iu  d^r  Art  des  Urtheils,  wie  in  der  Darstellung 
und  dem  Zweck  derselben,  verschieden.  In  der  Art 
der  Beurtheilung:  denn  der  Philosoph  beurtheilt  die 
Thaten  und  Zustände  der  Nationen  nach  der  allgemei- 
nen Idee  der  Freiheit,  der  Historiker  nach  der  Yorttel- 
luog  und  Anschauung  des  rein  Menschlichen,  wofür  er 
einerseits  einen  gewissen  Takt  von  Natur  besitzen  und 
im  Leben  ausgebildet  haben  murs,  andrerseits  sich  auf 
gewisse  historische  Zustände,  als  normale,  wie  etwa 
die  griechischen,  begründet.  Der  Philosoph  nimmt  also 
die  Idee,  welche  den  Maafsstabdes  Urtheils  abgibt,  aus 
dem  Gedanken,  der  Historiker  hat  sie  selbst  als  eine 
historische,  und  vergleicht  nur  die  historischen  Gestal- 
tongen miteinander.  Kurz  der  Philosoph  nimmt  seinen 
Standpunkt  aufserhalb  der  Geschichte,  der  Historiker 
nimmt  ihn  in  ihr  selbst;  jener  führt  die  Geschlobte  auf 
die  Philosophie  zurück,  dieser  will  nur  sie  und  sie  um 
ihrer  selbst  willen. 

Nach  diesdm  verschiedenen  Geschäft  ergibt  sieh 
auch  in  der  Darstellung  der  Unterschied :  der  Philo- 
soph stellt  die  Prinzipien  der  Nationen  in. Form  von 
Gedanken  auf,  denn  er  hat  das  Wesen  des  Geistes  in 
der  Geschichte  nachzuweisen;  er  subtilisirt  die  coo- 
oreten  Gegenstände,  Anschauungen  und  Zustände  bis 
zu  den  Kategorien;  und  nicht  genug,  er  demonstrirt 
auch  ihre  Entwicklung,  den  Uebergang  von  der  ^inen 
ia  der  andern;  und  dies  bringt  die  Fonm  der  Noth- 
wendigkoit  bei  ihm  hervor.  Der  Historiker  spricht 
seine  Ideen  in  concreter  Weise*  aus,  und  das  Allge- 
meine, was  er  als  Resultat  aufstellt,  ist  selbst  ein  histo«» 
risches.  Der  Philosoph  nimmt  sich  den  Gedankoi.iiaokt 
heraus,  wie  eine  Essenz,  der  Geschichtschreiber  gibt 
ihn  im  Kleide  der  Wirklichkeit.  Dean  dieser  geht 
den  politischen  Gestaltungen ,  den  Beg;ebenheiten  nod 
Individuen,  den  geistigen  und  Kunst- Richtungen  nach 
bis'  auf  ihre  Anfange,  so  weit  sie  sichtbar  und  erkenn«» 
bar  werden,  sucht  ihr  Fortschreiten  zu  verstehn  and 
zu  erklären;  was  aber  diesen  sichtbaren  Anfängen  vor* 
ausgeht  oder  ihnen  zum  Grunde  liegt,  das  zu  erkeniiea 
überläfst  er  dem  Philosophen.  Kurz  er  will  dea^  Cha- 
rakter der  Nation  erfassen,  ihn  nach  allen  thatsäcfali*- 
eben  Richtungen  verfolgen  und^arstellen  und  will  diese 
Richtungen  wieder  in  den  Einen  Grundcharakter  iku« 
sammennehmen. 

Dies  ist  in  der  That  die  höchste  Aufgabe,  welche 
er  leisten  kann,   wenä  er  dazu  den  Geist,  den  hisIcHrt** 


SM 

«•heo  t»k%  'Ond  die  r«a  nwaMbiiehe  Bildaag  lwt.<  E» 
ist  fticht  nahfi  was  Maacbe,  die  sich  dadurch  ak  sehr 
atarke 'Pbttoaopben  beweiaan  wollen,  behaopten,  daf« 
dar  Historiker  aiob  iDsoferii  odi  die  PhiloBopbie  bekiiirt- 
Imero  müsse,  als  er  die  GedankeD  aus  ihr  zu  eDtaeh- 
men  habe.  Es  wäre  jäunmerlieb  um  iho  bestellt,  wenn 
er  niebt  durah  eignen  -  Geist  und  Forschung  au  den 
K^ahrhaft  historischen  Gedanken  küme,  und  um  seine 
Geschiobtschretbung,  wenn  sie  dergleichen  nicht  ent- 
hielte* Wohl  aber  bat  der  Philosoph  den  Historiker 
nothig,  mid  je  wahrhafter  der  Letztere  seine  Aufgabe 
begriffen  und  acht  historische  Werke*  bervorgebraoht 
bat,  desto  leichter  wird  ^a  dem  Philosophen  werden, 
die  Gedanken  aufzufinden,  denn  er  braucht  nur  die 
historischen  Ideen  in  die  abstraoten  Founen  der  Kate- 
jgorlen  zu  übersetzen»  Damm  sagt  Geryinus  richtig, 
dafs  für  die  philosophische  Coustruction  von  Geschichte 
und  Natur  das  Beste  erst  von  der  Geschicbtsohreibuog 
und  Naturwissenschaft  geschehen  müsse.  Wenn  er 
aber  nach  Herder*»  und  Kanfis  Leistungen  im  Gebiete 
der  Philosophie  der  Geschichte  wenig  Hoffnung  gefafst 
hat  %u  dem ,  was  die  philosophischen  Ansichten  der 
Geschichte  vorläufig  einbringen  möchten,  so  ist  zu  er- 
warten, dafs  diese  seine  Hoffnung,  seit  der  Heraus- 
gabe von  Hegel's  Vorlesungen,  wieder  einen  neuen 
Schwung  bekommen  habe. 

Der  Philosoph  setzt  den  Grund  und  Beweis  sei- 
nee  Glaubens  an  die  fortschreitende  Entwicklung  der 
Mensichheit  zur  Freiheit  in  die  philosophische  Erkennt- 
nifs  Ton  der  Natur  des  Geistes  und  die  i&ufsere  Be- 
trlkfarung  desselben  in  die  Geschichte*  Auf  jene  kann 
und  will  der  Historiker  sich  nicht  einlassen,  diese  aber 
iat  sein  eigeutlicbes  Gebiet.  Hier  also  kommt  es  dar- 
auf an,  in  wiefern  sie  übereinstimmen  und  sie  müssen 
übereinstimmen,  wenn  einerseits  wirklich  der  Philosoph, 
wie  er  erklärt,  die  Geschickte  treu  aufi'afst  und  durch 
das  System  nicht  verkehrt  —  den  Glanben  daran  wird 
ibin  der  Historiker  gern  lassen^  und  der  Historiker 
andrerseits  unbefangen,  doch  mit  Geist  -«  wenn  er  ihn 
bat,  wird  ihn  der  Philosoph-  ihm  auch  zugestehu  —  die 
Ideen  der  Geschichte  aufzufinden  sucht.  Nun  aber 
ontemimmt  es  Gerrinus  wirklich  (§•  29.)  mit  ein  paar 
Zügen  wenigstens  die  Weltgeschichte  nach  historischen 
Ideen  zu  skizaircn;  und  wer  mit  Hegel's  Philosophie 
der  Gcschicbte  vertcaat  ist  und  nicht  am  pbilosophi» 
sehen  Ausdruck  klebt,  der  wird  schon  an  dieser  Skizze 


Gervifmsy  Grundtüge  der  Hüt^rik. 


OäA 


eine  merkwürdige  Uebereinstimmung  zwischen  beiden 
in  den  Uauptzügen  erkennen.  Gervinus  verwirft  vou 
vom  herein  alle  äufserlicben  Abschnitte  und  von  aulseli 
angebrachten  Gesichtspunkte  bei  der  Bintheilung  der 
Weltgeschichte :  „wenn  wir  z.  B.,  sagt'er,  (fie  Scheide 
der  alten  und  neuen  Welt  bei  Christus  Geburt  oder 
bei  dem  Untergang  Roms  tnach^n,  so  ist  dies  vielleicht 
fromm  oder  bequem,  aber  nicht  streng  richtig  in 
sich.**  Dann  glebt  er  den  Unterschied  der  alten  und 
neuen  Welt  im  Prinzip  so  an:  „was  die  reiq  griechi- 
sche und  rein  römische  Zeit  ^  so  lange  sie  nicht  voa 
Fremdem  infizirt  ist,  von  der  neuen  Zeit  unterscheidet, 
ist  die  Aufklarung  der  innem  Welt  des  Gemüths  und 
Geistes  und  die  Aufdeckung  der  üuiüsern  Welträume  ^^ 
er  findet,  dafs  „dies  Aufgeben  der  Ideen  der  alten 
Welt  zum  ersten  Mal  sichtbarer  wurde  im  Sokratcs, 
der  die  Philesophie  auf  den  Innern  Menschen  bezog, 
in  Alexander,  der  die  Welt  öffnete  und  die  Ranghe« 
griffe  zwischen  Mensch  und  Mensch  zu  brechen  anfing, 
in  Aristoteles,  der  alle  Wissenschaft  begründete/* 
Von  da  au  bis  zur  Refonnationszeit  will  er  nur  Eine 
Uebergangsperiode  sehen  und  diese  als  Mittelalter  be- 
zeichnen. Ist  hier  nicht  in  Kurzem  dasselbe  Resultat 
ausgesprochen,  was  Hegel  in  seiner  Philosophie  der 
Geschichte  ausführt?  Auch  er  erkennt  das  Prinzip  der 
modernen  Welt,  «als  das  der  sich  wissenden  Freiheit, 
denn  die  alte  Welt  wufste  nur,  dafs  Einige  frei  seien, 
die  neue,  christlich -germanische,  dafs  Alle  d.  h.  der 
Mensch  frei  sei ;  auch  er  sieht  im  Sokratea  das  begin* 
nende  Prinzip  der  Subjectivität,  welche  nur  das  weifs^ 
wovon  sie  sich  .überzeugt,  welche,  was  uns  als  Glau- 
ben und  als  Sitte  überkommen  ist,  auch  zum  Wissen 
bringen  will,  auch  er  findet  darin,  wie  den  Anfang  des 
Neuen,  so  den  Untergang  des  Alten  \  auch  er  setzt 
die  Reformatiou  als  den  Hauptabschnitt  der  neuen 
Welt,  wo  die  sich  wissende  Freiheit  sich  erst  als  sol- 
che im  Geiste  constituirt  und  beginnt,  sich  nach  allen 
Richtungen  hin  im  Leben  auszuführen  und  zu  gestalten» 

Ich  finde  demnach,  was  Gervinus  hier  historisch 
skizzirt,  in  Hegel's  Vorlesungen  philosophisch  ausge- 
führt. Es  käme  nun  drauf  an,  ob  es  bei  dem  heuti- 
gen Stande  der  historischen  Wissenschaft  möglich 
wäre,  zu  einer  historischen  Durchführung  der  Weltge* 
schichte  in  der  Art,  wie  der  Verf.  den  Weg  dazu 
weist,  zu  gelangen  1  Oder  viehnehr,  wenn  es  möglich 
wäre,  oder  auch  damit  es  möglich  wäre^  käme  es  auf 


033 


Starke  mllgitmieins  PaiAohgie.    Zwei  Bände. 


'den  Mann  an,  der,  wie  Gervfaiua  tqbi  Ctoaohiobtschret 
ber  iagt,  mit  rasehem  Flqg  der  Weltordnung  nacli- 
forachond,  in  den  Jabrtanaenden  der  Welt  vebte  und  aich 
angleicb  mit  dem  ganzen  Ballast  schleppte,  den  Dich» 
ter  nnd  Philosophen  erleichternd  abwerfen,  nnd  der  mit 
den  geniabten  Combinationen  sugleich  'den  bedächtig* 
Step  Pleifs  verbände. 

Ob  ich  übrigens  dem  Verf.  einen  Dienftt  mit  der 
Nachweisung  d^s  Philosophischen  in  seiner  Arbeit  nnd 
in  sriner  Teudenz  erwiesen,  das  weifs  ich  nicht.  Es 
war  mir  aber  darum  zu  tbun,  überhaupt  zu  zeigen,  was 
eine  ächte  Geschiobtschreibung  Philosophisches  ent- 
halte, und  wie  sie  darum  doch  keine  Philosophie  der 
Geschichte  zu  sein  habe )  und  andrerseits  den  Verf.  zu 
fübmen,  dafs  er,  selbst  einer  der  ächten  Historiker, 
auch  gezeigt  habe,  dafs  er  Philosophie  genug  besitzt, 
om  an  wissen,  was  das  heifsen  will,  und  Talent  ge« 
nugy  um  es  vortrefRich  auseinanderzusetzen.  •— 

Carl  Hegel. 

LVIII. 

Aligemeine  Pathohgte  oder  allgemeine  Natur* 

lehre    der    Krankheit  von   Dr.    Karl  Wilh. 

[Stark,  Grofsherz. ,S.  W.  Oeheimenhofrathcy 

Ritter  der  Orojsh.  8.  Falkenordens ,  wirkt.  Leib- 

arzte,  o.  6.  Prof.  u.  s.  tr.  u.  $.  w.   2  Bde.    Leip^ 

zig,  1838.  bei  Breitkopf  u.  Hiirtel.  1406  S.  8. 

Der  Baum  der  medizinischen  VFissenscbaft  wächst 
wie  der  Organismus  des  Thier-  und  Pflanzenreichs  in 
periodischen  Absätzen,  die  durch  Ruhepunkte  geschie- 
den sind.  Damit  aber  kein  Stillstand  des  Ganzen  ein* 
trete,  wechseln,  hier  wie  dort,  die  einzelnen  organi^ 
sehen  Glieder  in  ihren  Perioden  tou  Ruhe  and  Bewe- 
gung unter  einander  ab,  nnd  man  siebt  bald  in  dieser 
bald  in  jener  Richtung  zu  verschiedenen  Zeitperioden 
die  Zweige  üppiger  hervorsprossen,  so  dafs  jeder  Zeit- 
aucb  eine  Wachsthnms-periode  eines  Zweiges  an  dem 
Organismus  der  Wissenschaft  entspricht.  Es  sind  nicht 
zugleich  alle  Glieder  des  grofsen  zusammengesetzten 
Ganzen  die  gleiehzeitig  zu  derselben  Hdhe  der  £ot- 
^ickelttog  iMiraufwachsen«  Den  Grund  hiervon  müssen 
wir  darin  suchen,  dafs  der  historische  Geist  als  der 
Boden  in  dem  die  Keime  des  Wissens  sich  entwickeln 
nnd  zur  Frucht  reifen,  ebenftills  der  Ruheperioden  W 


darf,  um  sieh  zu  ernenertar  Tnätigkeit  z«  eiliolen,  und 
^afs  er  dann  bald  nach  dieser  bald  nach  jener  Seite 
eine  gr8fsere  Empfänglichkeit  nur  Befraeirtung  dnreb 
die  verschiedenen  Glieder  des  Wissens  zeigt  Es  ist 
daher  der  Charakter  des  Zeit-  Geistes^  dafs  er  nickt 
alles,  was  ihm  .dargeboten  wird^  concipirt;  nnd  dafs  er 
nach .  der  Coneeptioa  ausschliefslich  nur  den  einen  Keim 
brütet,  den  er  aufgenommen  und  mit  diesem  seine 
Scbwanjgersobaftsperiode  durchlebt,  selbst  in  dem  Fall» 
dafs  dieser  Keim  von  Ursprung  an  so  b^schafFen  war^ 
dafs  er  sich  nicht  zu  vollendeter  Gestaltung  entwicke» 
len  konnte«  Wie  der  befruchtete  Organismus  nur  mit 
der  Entwickelung  seiner  Keime  beschäftigt  ist  und  alle 
seine  Kräfte  dieser  Lebensrichtung  aufopfert,  so  däfs  ea 
unmöglich  wäre,  ihm  gleichzeitig  eine  andere  Richtung 
tu  geben,  so  sieht  man,  dafs  trotz  aller  Freiheit,  trete 
aller  Erhebung  über  die  Natamothwendigkeit  der  Gieiat 
der  Zeiten  dennoch-  bis  auf  einen  gewissen  Punkt  an 
dieses  Generationsgesetz  gebunden  bleibt  und  dafs  er 
sich  ausschliefslich  oder  doch  überwiegend  nur  für  eine 
gewisse  Richtung  der  Wissenschaft  empfaDglich  und 
so  von  dieser  begeistert,  wie  der  Organismus  fär  eine 
Lebensrichtung  befruchtet  zeigt. 

Es  kann  hiernach  iticht  befremden,  wie  die  ent» 
scbiedene  Hinneigung  des  Zeitgeistes  nach  ctiaer  be- 
stimmten wissenschaftlichen  Richtung  nothweudig  eine 
einseitige  sein  mufs^  eben  weil  jeder  Zweig  der  VFia- 
senschaft  seine  Entwickelungsperiode  hat,  welche  nur 
ih^  Produktionen  zur  Reife  bringt«  Die  Einseitigkeit 
in  diesem  Sinne  ist  also  nothwendige  Folge  eines  i|U» 
gemeinen  Eutwickeluogsgesetzes,  und  es  ist  nur  mög* 
lieh,  innerhalb  dieser  Einseitigkeit  eine  fruchtbare 
Thätigkeit  grorsartig  zu  entwickeln.  Man  mufs  f&r 
diese  Einseitigkeit  begeistert  sein  und  bleiben,  und  io 
ihr  die  Entwickelungsperiode  durchmachen.  Furchtet 
man  sich'  hier  vor  dem  Tadel  der  Ebseitigkeit,  bo 
kann  das  Streben  nach  Vielseitigkeit  aus  der  Tiefe  der 
Begeisterung  zu  unfruchtbarer  Oberfläcblidikeit  führen» 
indem  der  geistige  Bildungstrieb  von  dem  einen  Punkt» 
dessen  Ausbildung  seine  ganze  Kraft  in  Ansprach 
nimmt,  nach  so-  vielen  Seiten  abfliefst,  dafs  seine  Strö* 
me  sänuntlicb  versiegen.  Dagegen  werden  sich  die 
begeisterten  Einseitigkeiten  aller  Jahrhunderte  ergiui- 
zen,  und  am  Ende  zu  einem  in  allen  GUedern  darch« 
gebildeten  Organismus  veremigen. 


(Die  Fortsetzsng  folgt) 


wissen 


J  a  h  r  b  tt  c  h 

für 

schaftlic 


Dcccmber  1839. 


e  r 


he    Kritik 


AUgem0me  PtOhologie  oder  allgemeine  Natur- 
lehre  der  Krankheit  von  Dr.  Carl  Wilh.  Stark. 

(Fortsetzang.) 

In  das  BewafstBeio  dieser  Verhältnisse  bistori- 
scher  Entwickelaog  der  Wissenschaft  müssen  wir  den 
gediegenen  Inhalt  des  obigen  Werkes  aufnehmen,  weil 
eine  bestimmte  Richtung  der  Wissenschaft  unserer 
Zeit  darin  durchgeführt  wird,  welche  das  allgemeine 
Interesse  in  hohem  Grade  in  Anspruch  nimmt;  so  dafs 
fast  ihr  allein  die  Aufmerksamkeit  zugewendet  wird: 
Der  Verf.- desselben  ist  längst  rühmlich  bekannt  durcl^ 
seine  Bemühungen,  die  Krankheit  als  eine  naturhisto- 
rische Erscheinung  aufzufassen,  und  hat  schon  in  sei- 
nen im  Jahr  1824  erschienenen  pathologischen  Frag- 
menten, nebst  Jahn,  vorzüglich  dazu  beigetragen,  die 
naturhistorische  Richtung  der  Pathologie,  wie  sie  zu- 
erst durch  Sydenham  begründet  worden,  auszubilden. 
In  Torli^endem  Werk  erscheint  nun  der  ganze  Kör- 
per der  pathologischen  Wissenschaft  in  diesvm  Geiste 
durchgearbeitet  Um  uns  eine  richtige  Vorstellung 
yon  der  Bedeutung  und  dem  Ziel  der  neueren  natur- 
bistorischen  Pathologie  z|i  verschaffen,  müssen  wir  die- 
selbe im  Gegensatz'  der  übrigen  Richtungen  dieser 
Wissenschaft .  betrachten.  Wir  haben  di^  Pathologie 
der  Alten  mit  dem.  Namen  der  „kosmischen"  am  ge- 
nauesten zu  bezeichnen  geglaubt,  weil  die  Krankheit 
hier  als  ebe  kosmische,  in  den  Körper  gedrungene 
Elementarqpalität  geschildert  wird,  wobei  die  vier  kos- 
mischen Elemente  als  Krankheitsursachen  mit  der 
Krankheit  selbst  identifizirt  werden,  und  die  ganze 
Pathologie  sich  eigentlich  auf '  Aetiologie  oder  Ge- 
schichte der  äufseren  Ursachen  reduzirt.  Im  Gegen- 
satz dieser  tritt  mit  der  Erkenntnifs  des  Untdrschiedes 
zwischen  Chemismus  und  Lebensprocefs  in  der  mo- 
dernen Medizin  der  allgemeine  Begriff  der  Krankheit 
als  einer   organischen   Lebenstbätigkeit   auf.    Dieser 

Jahrb.  f.  wüienick.  Kritik,   J.  1830.    II.  BcL 


Begriff  bildete  sich  aus  den  Anschauungen  der  begeistern- 
den^ magischen  Wirkungen  der  Zaubertränke  bei  den 
Arabern,  weil  solche  Wirkungen  mit  der  Qualitätenlehre 
der  Alten  nicht  wohl  in  Einklang  zu  bringen  waren. 
Von  hier  war  es  nur  ein  Schritt,  auch  den  Krankbeits- 
procefs  als  eine   organische   Entwickelung  und  Zeu- 

'  gung  darzustellen,  wie  es  vonParacehus  geschah,  und 
wenn  in  dieser  Darstellung  der  Procefs  personifizirt 
und  unter  dein  Bilde  von  Dämonen,  Archäus,  Beses- 
sensein zu  begreifen  versucht  wurde,  so  war  diese 
Richtung  nur  aus  der  geistigen  Auffassung  des  Lebens 
überhaupt  hervorgegangen.  Wir  wollen  dieses  im  gu-* 
ten  Sinne  die  mystische  Pathologie  nennen,  welche 
der  allgemeine  Keim  einer  weiteren  organischen  An- 
sicht der  Krankheit  überhaupt  wurde.  Die  Kenntnifs 
der  äufseren  Ursachen  ward  in  dieser  Pathologie  ver- 
nachlässigt, weil  alle  Krankheitszeugung  sich  von  In- 
nen heraus  entwickelen  sollte.  Dies  ist  die  Patholo« 
gie  in  dem  allgemeinen  Elemente  der  Physiologie.  ' 
'Von  ihr  aus  ging  der  Weg  zur  neueren  Humoralpch 
thologiey  in  welcher  anfangs  der  Krankheitsprocefs 
alchimistisch  unter  dem  Bilde  des  Gährungs*  oder  Zer< 
sctzungsprocesses  aufgefafst  wurde,  auch  im  Sinne 
des  organischen  Reifungsprocesses,  wobei  der  Quell 
des  Lebens  (wie  ja  noch  häufig  jetzt)  im  Chemismus 
selbst  gesucht  wurde.  Von  diesem  Gebiet  der  Alchy-  , 
mie  aus  entstand  dann  erst  die  rein  chemische  Humo- 
rallehre, welche  für  die  Wissenschaft  doch  den  Nutzen 
gehabt  hat,  die  chemischen- Veränderungen  beim  Uo- 
bergahge  des  Lebens  zum  Tode  nisht  zu  vergessen. 

.  Hierbei  war  freilich  nicht  zu  verkennen,  dafs  der  reine 
Chemismus  im  Körper  der  Tod  selbst  sei,  und  dafs 
die  Krankheit  doch  immer  noch  vom  Tode  unterschie- 
den  werden  müsse,  und  dieses  Bewufstseln  führte  wei- 
ter zur  SolidarpatHologie^  in  welcher  man  wieder  dar- 
in zu  der  mystischen  Ansicht  zurückkehrte,  dafs  die 
Krankheit   ein   organisches  Lebensphänomen  sei,  nur 

118 


909 


Stark  y  aUgmn0ii90  Paikohgie.     Zn^ei  Binde, 


940 


mit  der  fam  einzelnen  fortschreitenden  Brkenntntf«, 
dafs  das  Leben  auch  durch  die  Aufsenwelt  erregt 
werde.  In  dieser  Beauehnug  ist  nur  ein  unwesentlicher 
Unterschied  swischen  der  dynamischen  Solidarpath#lo- 
gie  und  der  sogeDannten  Erregongatlieorie,  da  beide 
die  Lebenserregun^  Ton  dem  Muskel-  und  Nerfeasy- 
stem  ausgehen  lassen,  nnd  nur  bald  mehr  auf  die  Iku« 
fseren  Reize,  bald  mehr  auf  die  inneren  Erregungs- 
zustande hinsehen,  um  die  Krank|ieiten  zu  erklären. 
Alle  diese  verschiedenen  Richtungen  der  Pathologie 
haben  die  Krankheit  vorzugsweise  als  einen  inneren 
physiologischen  Procefs  zum  Gegenstande  und  legen 
wenig  Gewicht  auf  die  Einheit  der  äufseren  Erschei- 
nungen. 

Hier  nun  tritt  die  Eigenthiimlichkeit  der  naturhi- 
storischen Pathologie  hervor,  welche  zwar  auch  im 
Geiäte  der  modernen  Medizin  überhaupt  die  Krankheit 
al^  organischen  Lebensprocefs  auffafst,,  aber  nicht  so- 
wohl im  Gebiete  der  Physiologie  als  vielmehr  im  Ge- 
biete der  Naturgeschichte,  indem  nämlich'  die  Krank- 
heit vorzugsweise  als  organische  Form  und  Gestaltung 
in  der  Einheit  ihrer  äufseren  Erscheinung  aufgefafst, 
und  wie  die  Species  der  organischen  Formen  des  Pflan- 
zen- und  Thierreicbs  beschrieben  werden  soll.  Zu  die- 
sem  bestimmten  Charakter  der  naturhistorischen  Pa- 
thologie  hat  Sydenham  das  grofse  Vorbild  gegeben. 
Obgleich  nun  die  naturhistorische  Pathologie  durchaus 
auf  dem  Gebiete  des  modernen  Begriffs  vom  Organis- 
mus sich  bewegt,  und  also  die  mystisch-organische  Pa- 
thologie des  Paracelsus  zu  ihrer  notbwendigen  Voraus- 
"setzunghat,  so  ist  sie  mit  dieser  doch  nicht  zu  identifizi- 
ren,  vielmehr  ist  die  mystische  Pathologie  die  Urge- 
stalt,  aus  welcher  alle  verschiedenen  Richtungen  der 
modernen  Pathologie:  die  Humorallchre,  die  Solidar- 
pathologie  mit  den  beiden  Modificationen  des  Dyna- 
mismus  und  der  Erregungstheorie,  und  endlich  die  na- 
turhistorische Pathologie  als  Seiten  und  Zweige  eines 
gröfseren  Ganzen  sich  hervo'rgebildet  haben. 

Indem  wir  nun  näher  darzustellen  versuchen,  was 
für  die  Pathologie  als  Naturlehre  der  Krankheit  in 
obiger  Schrift  geleistet  worden,  unterscheiden  Wir. vor- 
erst das  Material  von  dem  wissenschaftlichen  Princip. 
Das  Material  anlangend,  so  mufs  man  den  rühmlichen 
Fleifs  anerkennen,  mit  welchem  ein  grofser  Reichthum 
vonThatsachen  voadem  Vf.  zusammengestellt  ist,  wie  er 


ist  besonders  die  Literatur  retohlich  bedaoht,  nnd 
allen  Abschnitten  findet  man  die  umfassendsten  Hio- 
weisungen  auf  die  Quellen.  Der  erste  Band  enthält 
unter  der  Ueberschrift  „allgemeine  Natnrlehre  der 
Krankheit''  die  gesammte  Aetiologie,  Symptomatologie 
oad  Phänomenologie,  aufserdem  noch  ein  besondere« 
Kapitel  über  den  Tod  der  Krankheit  (Thanatologia 
morbi)  und  über  geographisohe  Verbreitung  derselben. 
Im  zweiten  Bande  ist'  unter  der  Ueberschrift  „Beson- 
dere Naturlehre  der  Krankheit"  von  den  einzelnen  Pnnk;- 
tionen  des  Krankheitsprooesaes  oder  dm  Gmndkrankhei- 
ten  (Anomalieendes  Bildungslebens,  Anomalieen  der  thie- 
riscbeniiewegung,  Anomalieen  der  Empfindung,  der  psy* 
chiscfaen  Verrichtungen  und  der  animaien  Lebenssphäre 
überhaupt),  danu  von  den  allgemeinen  Verschiedenheiten, 
den  Formen  der  Krankheiten  und  ihrer  Bintheilung  die  Re- 
de. Ueberall  finden  wir  hier  die  bekannten  und  neue  Erschei- 
nungen undThatsachen  mit  grofserBelesenheit,  Umsicht 
und  Urtheil  am  gehörigen  Orte  zusammengestellt  und 
finden  "zur  Bequemlichkeit  des  Aufsncfaens  am  Schlnfa 
ein  reichhaltiges  Sach-  und  Namenregister,  das  nicht 
'  leicht  einen  pathologischen  Gegenstand  vermissen  läfst, 
über  den  man  Auskunft  wünschen  konnte.  In  Betreff 
des  Materials  und  der  Literatur  also  wird  dieses  Werk 
sicher  den  bedeutendsten  Anforderuugen  Genüge  leistMi. 
Das  leitende  Princip  ist  nun  das  zeitgemäfse,'  na» 
turhistorische.  Ein  umfassendes  nach  gleichem  Prin- 
cip im  Allgemeinen  bearbeitetes  Werk  besitzen  wir  in 
dem  System  der  Pbysiatrik  von  Jahn;  aber  dasge* 
geuwärtige  ist  bis  in  die  kieinsteii  Einzelnheiten  durch- 
geführt, wobei  es  zugleich  Absicht  des  Herrn  Verfs. 
war,  besondere  Rücksicht  auf  den  Mutterorganismna^ 
worin  die  Krankheit  lebt,  zu  nehmen.  Bevor  wir  nun 
näher  in  dieses  naturbistorische  Princip  eingehen, '  er- 
lauben wir  uns  die  Bemerkung,  dafs  dieses  Princip 
selbst  noch. in  zwei  ganz  verschiedene  Modificationen 
sich  entwickelt  hat,  von  welcher  unser  gelehrte  Verf. 
nur  die  eine*  repräsentirt,  so  dafs  zuerst  noch  eine 
Darstellung  dieser  beiden  verschiedenen  Seiten  und 
Richtungen  der  natnrhistorischen  Pathologie  zu  geben 
ist.  Nach  der  einen  dieser  Modificationen,  welcher 
der  Verf.  besonders  zugethan  ist,  wird  die  Krankheit 
als  ein  .  individueller  Organismus  angesehen,  der  wi^ 
ein  Parasit  in  dem  kranken  Körper  als  einem 
fremden  Grund  und  Boden  wurzelt    und  aus   diesem 


nicht  leicht  in  diesem  Umfang  sich  vereinigt  findet.  Dabei     lebt.     Die   andere  Modification  der  natnrhistorischen 


Ml 

Pfttbologie  ist  durah  die  Ansteht  •  begründet,  dafs  die 
EfSDkheiten  als  BttokfäMe  des  menscbliehen  Lebens 
stlbst  auf  tiefere  normale  Lebesttstnfen  m  betrachten 
seien.  Beide  Ansiehton  kommen  darin  üb^rein.  die 
Krankheit  als  jiaturhtstorisefae  iadiridnelle  Lebensform 
sn  betrachten,  deren  Botwiekelungsgesofaichte  verglei- 
ehead  mit  den  Organisnien  des  Thier-  und  Pflanzei^ 
reicbs  darzustellen  und  überhaupt  die  Pathologie  we- 
sentlich auf  dem  Gebiet  der  Naturgeschichte  und  a|t 
gemeinen  Physiologie  sn  begründen.  Folgendes  sind 
aber  die  unterschiede  dieser  beiden  Ansichten. 

1;  Die  Ansicht,  dars  die  Krankheiten  Parasiten, 
gleich  dep  parasitischen  Thier«  und  Pflanzenformen 
seien,  ist  eigentlich  die  ursprünglich  Paracelsiscbe, 
vorauf  auch  Sydenbam  sein  naturhistorisches  System  be» 
gründete.  Die  Krankheit  und  der  kranke  Kdrper  sind 
hier  zwei  verschiedene  Dinge,  jedes  von  selbstständi- 
ger individueller  Natur,  die  einander  feindselig 'gegen- 
überstehen; es. ist  ein  Mikrokosmos  im  Mikrokosmus. 
Die  Krankheit  ist  hier  selbst  ein  Organismus  niederer 
Stufe,  der  die  sämmtltchen  Haapterscheinungen  des 
ittdividnellen  organischen  Lebens  darbietet.  Zuerst 
findet  sich  in  ihr  die  organische  Gestaltung,  die  Er- 
zeugung ans  einem  Keime,  die  neue  Keimbildung  und 
Fortpflanzung  durch  die  Keime  in  Form  der  Anstek- 
kang  durch  Contagien ;  dann  die  periodische  Entwicke- 
Ittttg,  die  Ausbildung  zur  Blütheu-  und  Fruchtzeuguug, 
endlich  ein  Absterben  und  der  Tod  der  Kraukheit. 
Dies  sind  die  Hauptbestimmungen  der  Krankheit.  Unser 
Vert  fugt  noch  hinzu,  dafs  die  Ejrankbeit'  nicht  blofs 
eine  Negation  der  Gesundheit,  sondern  weseotlich  ein 
positiver  Vorgang  sei)  der  nicht  etwa  der  Gesundheit 
entgegengesetzt,  sondern  «ein  der  Gesundheit  verwand- 
ter, ja  gleicher  Zustand  sei,  der  nur  in  zeitlicher  Hin- 
sicht oder  durch  Steigerung  bis  zum  Extrem  sich  als 
abnormer  darstelle.  Daher  sei  die  Krankheit  nicht 
widernatürlich,  sondern  gehorche  denselben  Lebensge- 
setzen wie  die  übrigen  organischen  Körper.  Deshalb 
habe  denn  auch  die  Krankheit  als  selbststündige  Le- 
bensform wieder  ihre  eigenen  Krankheiten,  wie  z.  E* 
die  Yerschwürnng  und  Entzündung  als  Krankheiten 
von  Skirrhen  gefunden  würden,  so  dafs  sie  damn  ster- 
ben können.  Jede  Krankheit  vcranlafst  zwar  eine  se- 
cundäre  Störung  in  dem  gesunden  Körper,  allein  diese 
gehört  nach  unserm  Verf.  nicht  zn  ihrer  Integrität, 
ist  für  die  Krankheit  nur  zufällig,  für  sich  selbst  nicht. 


Stergt,  MgemeiM  Puihalogie.    Zwei, Binde. 


94S 


Krankheit,  obgleich  sie  zur  Krankheit  werden  könne« 
Hiernach  wäre  also  der  leidende  Zustand  des  gesnu- 
den  Körpers  (das  Kranksein)  untergeordnet  Aci  Indi- 
vidualität der  Krankheit,  und  diese  bliebe  doch  das 
Hauptziel  der  Pathologie.  Daher  habe  denn  auch  die 
Kraukheit  ihren  Zweck  in  sich,  den  Zweck  der  Selbst- 
erhaltung; für  das  kranke  Indivkluum  sei  freilich  die 
Krankheit  nicht  zweckmäfsig,  könne  aber  doch  für 
dasselbe  zweckmäfsig  und  zum  Heilmittel  werden« 
Aber  auf  das  ganze  Naturleben  bezogen,  erscheine  die 
Krankheit  in  ihrer  höchsten  Zweckmäfsigkeit,  wie  die 
normalen  Parasiten/  und  fiir  die  gesummte  Natur  höre 
der  Unterschied  zwischen  gesundem  nnd  krankem  Lo- 
ben ganz  auf.  Auf  diese  Art  gelangt  der  Verf«  zu 
einem  ähnlichen  Resultat  der  allgemeinen  Harmonie 
alles  Lebens  in  der  Natur,  worin  kein  Tod  v<Mrbanden 
sei,  wie  die  Alten  nach  der  Lehre  von  den  Elementen 
sich  bildeten. 

2.  Die  andere  naturhistorische  Ansicht  der  Pathor 
logie  betrachtet  die  Krankheit  nicht  als  ein  von  dem 
kranken   Körper  verschiedenes  Wesen,    sondern    als 
einen  Zustand    und   eine   Veränderung   des  gesunden 
Lebens  selbst,  und  zwar  als  ein  Herabsinken  des  ge-^ 
Sunden  Lebens  zu  einer  iiiederea   normalen  Lebens- 
stufe des  organischen  Reichs.    Diese  Idee  wurde  zu- 
erst von  jyieckel  in  der  pathologischen  Anatomie  so 
geistreich  ,du^cfageführt,   indem   M.    zeigte,    dafs   die 
Mifsgeburteu  und  die  Fehler  der  ursprünglichen  Bil- 
düng  überhaupt  durch  ein  Stehenbleiben  der  Entwiche- 
lung  des  Embryo    auf  einer   niederen  nornialcn  Bit 
dungsstufe,  oder  durch  eine  Bildungshemmung  entstän* 
den.     Die   ältere   Ansicht   von  dem  Durchlaufen  der 
niederen    Tfaierstufen   in    den    Entwiokelungsperloden 
der  höheren  hat  sich  vergleichungsweise  hierdureh  be- 
festigt, und  der  <3esicht8punkt,   unter  denen  die  Ver- 
gleiche nur  geschehen  dürfen,    ist  genauer  bestimmt 
worden.    In  diesem  Sinne  sucht  nun  ein  neuerer  ta- 
lentvoller Schriftsteller  (Dr.  Karl  Richard  Hoffmann, 
Medizinalrath  der  K.  B.   Regierung  des  Unterdonaa- 
kreises  in  Passao,  vergleichende  Idealpathologie.    Ein 
Versuch,  die  Krankheiten  als  Rückfälle  der  Idee  des 
Lebens  auf  tiefere  normale   Lebensstufen  darzustel- 
len.   Stuttgart  1834.)  zu  zeigen,  dafs  die  Krankheits- 
processe  'auch    im    ausgebildeten    Körper    überhaupt 
nicht  sowohl  ein  Stehenbleiben  als^vielmehr  ein  Rück- 
fall des  schon  entwickelten  gesunden  Lebens  zu  einer  nie- 


943 


Starke  allgemeine  Pathologie*     Zwei  Bände. 


944 


deren  Lebensstufe  betrachtet  'Verden  nifissen.  Diese 
Aosicbt  ist  80  sehr  verwandt  und  doch  wieder  so  ganx 
TOrscbieden  tod  der  Idee  der  paraBÜiscben  Natur  der 
Krankheit,  dafs  wir  glanbeu,  es  werde  eine  Verglei- 
chungim  allgemeinen  Interesse  sein.  Nach  der  Ideai- 
pathologie  hat  jede  Krankheit  ihr  Vorbild,  ihren  Pro^ 
totyp  in  irgend  einem  Lebensyerhältnisse  der  Natur 
unter  dem  Menschen  and  das  Reich  der  Krankheiten 
Ist  ebenso  grofs  als  das  Reich  der  Natur.  Die  Krank- 
heiten ^  sind  Nachahmungen  anderer  Lebensformen, 
Nadischopfungen  oder  Afterschöpfungen,  und  die  hö- 
here vergleichende  Krankheitslehrb  mufs  für  eine  jede 
Krankheit  das  entsprechende  Naturwes^n  nachweisen, 
und  den  Parallelismus  zwischen  dein  Vorbilde  und  dem 
Abbilde  zeigen.  Höber  ist  dann  noch  die  Idealpatho- 
logie> '  welche  nachzuweisen  hat,  welches  die  gemein- 
same Idee  oder  der  Lebenstypus  sei,  der  sowohl  dem 
durch  die  Krankheit  nachgebildeten  Naturwesen,  als 
dem  Krankbeitsprocesse  zum  Grnndeliegt.  Der  Gang, 
den  Hr.  H.  bei  seinen  Darstellungen  nimmt,  ist  ein 
ganz  concreter  spezieller^  indem  derselbe  direkt  ein- 
zelne Krankheiten,  vornimmt  und  diese  auf  «eine  Weise 
vergleicht,  denn  es  gelten  hier  ni(ht  allgemeine  Ver- 
gleichungen  aller,  sondern  nnr  spezielle  Vergleiobnn- 
gen  einzelner  Krankheiten.  Die  Vergleichungen  sind 
nicht  iur  alle^  sondern  nur  für  einzelne  Krankheiten 
durchgeführt. 

Darnach  besteht  z.  B.  die  Scrophelkrankheit  darin^ 
dafs  sich'  dte  normale  Entwickelungsreihe  des  Men- 
schen ii|  diejenige  verwandelt,  welche  man  Metamol^ 
phose  bei  den  Insekten  nennt,  wobei  nicht  die  gleich- 
zeitige,- sqndern  eine  aufeinanderfolgende  Ausbildung 
des  Individuums  und  der  Geuerationsorgape  sich  fin- 
det,  so  dafs  die  geschlechtliche  Seite  der  Entwiche- 
lung  im  Scrophiilöseu  zurücktritt  und^aiif  die  Bildung 
von  Dotter  oder  Eistoff  reduzirt  wird,  welches  eben 
der  Scrophelstoif  ist.  Unterdessen  vergröfsert  sich 
durch  den  Ernäfarungsprocefs  das  Individuum,  wie  sich 
der  Fettkörper  in  der  Insektenmetamorphose  entwickelt 
findet.  Die  Naturheilung  der  Scropheln  geschieht  nun 
durch  die  Puberf&tsentwickelung,  indem  der  Larven- 
xustand  als  die  überwiegende  individuelle  Entwickeluug 


zurücktritt  oder  doch-  nhr  im  Gleidi^wicht'  mit  der 
Ent Wickelung  der  Generationsorgane  sich  hält.  Die- 
sen Naturheilprocefs  hat  man  bei  der  Behandlung  duroh 
die  Kunst  nachzuahmen,  indem  man  zuerst  den  indivi* 
duellen  Ernährungaprozefs  durch  Verminderung  der  ^ 
Nährnngsmasse  hemmt ,  und  anstatt  dessen  eine  Aet 
Entwickelung  des  Geschlecht^t^iiers  günstige  Lebens- 
art einfuhrt«  Denn  sind  auch  die  Arzneien  gegen  die 
Scrophelkrankheit  theils  die  Vegetation  beschränkend : 
Antimonialia,  Mercurialia,  theils  die  Irritabilität  stei- 
gernd: Auiara  u«  s.  w«  .  Hieran  erkennt  man  nun  die 
allgetneine  Idee,  welche  der  Darstellung  von  dem  Zu- 
rück^ken  der  Krankheiten  «uf  niedere.  LebensstnfeB 
zum  Grunde  liegt.  Beispielsweise  fähren  wir  nur  an» 
dafs  hiernach  die  Rhaobitis  als  eine  Hautskelettbildung 
und  Molluskennatur  $  die  Tuberkelkrankheit  als  eine 
der  Keim-  und  ^nollenbiidung  bei  Pflanzen  fihnliclu 
Metamorphose ;  die  Cholera  als  ein  Zustand  des  Wi^ 
terschlafs  betrachtet'  werden.  Man  könnte  diese  Aa- 
sieht  im,  allgemeinen  eine  Lebonsmetamorphose  de» 
Körpers  in  der  Krankheit  nennen. 

Vergleicht    man    nun    die    beiden    pathologische*" 
Theorien,  nämlich   die  Parasiten-  und   die  Metatnor- 
phosentheorie,    so   sieht  man,    däfs  ungeachtet  beide 
naturbistorische  Theorieen    sind,   sie  sich    doch  ganz 
und  gar   und  vorzüglich  in  ihren  Grundsätzen  bezv' 
lieh  auf  die  Therapie  von  einander  unterscheiden.  Na^ 
der  Parasiteutheorie  ist  die  Krankheit   ein  vom  krr^ 
ken  Menschen  verschiedenes,   diesem  nur  inwobnemf^ 
fremdes  Individuum;   der  kranke  Körper  ist  eigentlich 
nicht  selbst  krank,   sondern  Jbat  und  trägt  nur  eir" 
Krankheit^   diese -ist  selbst   eine  der  Gesundheit  pu- 
rallel  gehende  Lebensform^  welche  in  sich  ihre  Zwecke 
hat.    Demgemüfs  beruht  die  Heilung  darauf,  den  Krank- 
heitsparasiten   aus    dem  Körper   zu   entfernen,    oder 
ihn  zu    tödten,   zu   vergiften;    mit   anderen   Vl^qrteii 
ihn  lebendig    oder    todt   aus    dem    Leibe    zu    schaf- 
fen.    Die  ganze  Theorie  ist  weniger  gegen  den  kran- 
ken Körper,  als  gegen  seinen  lebendigen  Gast  gerieb- 
tet. .   Die  Arzneien  sind  wesentlich  nur  Gifte  der  Krank- 
heit, haben  keine  nothwendige  Beziehung  zum  kranken 
Menschen, 


(Der  Beschlofs  folgt.) 


JIP  119. 

Jahrbuch 

für 


e  r 


wissenschaftliche    K  r  i  t  i  k. 


December  1839« 


AUgememe^  Pathologie  oder  allgemeine  Natur' 
iekre  der  Krankheit  von  Dr.  Carl  Wilh.  Stark. 

(Schlafs.) 

Gi^iz  andere  ist  es  in  der  Metankorphostotheorie. 
Nach  dieser  ist  die  Krankheit  nicht  eine  dem  Körper 
fremde,  änfsere,  eingedrungene  oder  erst  erzeugte  In- 
^iridualität,  sondern  die  Krankheit  ist  eine  der  Ge- 
^amintidee .  des  Menschen  selbst  angehörige,  ihr  schon 
UKTolTirte,  die  statt,  dafs  sie  von  aufsen  hereindr&nge, 
vielmebr  von  Innen  sich   herausschliogt.    (Hoffmann 
Idealpath.  116.)    Hiernach  ist  also  die  Krankheit  nur 
fune  Verftndemng  des  erkrankten  Lebensprocessc^s  selbst, 
'  der  Kdrper  hat  nicht  eine  Krankheit,  sondern  ist  krank ; 
Krankheit  ist  eine  Veränderung  der  Gesundheit  selbst. 
Die  Therapie  mufs  hier  nach  ganx  anderen  Grundsätr 
sen  XU  Werke  geben,  nicht  etwas  Fremdes  aus  dem 
dU^rfef  entfernen,  sondern  die  Metamorphose  des  kran- 
icen  Lebens  selbst  auf  ihre  normale  Stufe  zurückfüh- 
ben,  nicht  eine  KKankheit  Tergiften,   sondern  das  ge- , 
«und0  Leben  selbüt  hemmen  oder  steigern.    Nach  der 
Parasitentheorie  kann  die  Gesundheit  neben  der  Krank- 
heit bestehen;  diefs  ist  nach  der  Metamorpbo^entheo» 
rie  unmöglich,  da  das  Leben  selbsti  durch  und  durch 
entweder  gesund  oder  krank  sein  mufs. 

Auf  diese  grofse  Verschiedenheit  beider  Theorien 
acbetttt  man  bisher  nicht  aufmerksam  geworden  zu  sein, 
und  Jahn,  ja  selbst  Stark  scboinen  sie  vielmehr  iden« 
tifizirt  zu  Jiaben ;  denn  Stark  selbst  hatte  schon  jn 
den  pathologischen  Fragmenten  früher  die  Scropheln 
mit  dem  Lebenszustand  der  Knorpelfische  verglichen 
und  auch  Jahn  vergleicht  die  Cholera  dem  Zustand 
der  Wintererstarrung  der  Thiere;  so  dafs  diese  Prin* 
sipien  der  Metamorphosentheorie  beinahe  zur  Unter- 
stützung der  Parasitentheorie  angedeutet  worden  sind. 
Allein  beide  Theorien  sind  vollkommen  unvert;räglich 
init   einander,    widersprechen   einander   gänzlich   und 

Jahrb.  /.  wuentcK  Kritik.  J,  1830.  II.  Bd. 


schlie&en  sich  geradezu  aus,  nicht  nur  inIBeziehung   - 
auf  Pathogenie,  sondern  vorzfiglicb  in  Ansehung  der 
Therapie.  ;  Es  mufs  uns  diefs  aufmerksam  machen,  in 
der  sogenannten  vergleichenden  naturhistorischen.Be* 
arbeitung  auch  natürlich  unterscheidend  zu  Werke  zo 
gehen,    damit  nicht  durch   eine  und  dieselbe  Behand- 
lungsart  die    entgegengesetztesten   Resultate   erlangt 
werden,  und  das  eine  Resultat  das  andere  zu  widerlt* 
gen  scheint.    Inzwischen  ist  es  jetzt  einmal  zeitmäfsig  ^ 
die  Pathologie  naturhistorisch  zu  behandeln  und  ange» 
achtet  aller  Widersprüche  in  den  Resultaten  ist  doch 
nicht  zu  verkennen,  dafs  die  Wissenschaft,  gegenüber 
den  Principien  der  Humoral-,  Solidar-  und  Erregungs- 
pathologie, manche  bessere  Anschauung  durch  sie  ge» 
Wonnen  hat;   doch   dürfen  wir  dabei  nicht  vergessen^ 
uns  die  Widersprüche  dieser  Methode. und  das  was  sie 
zu  wünschen  übrig  läfst,  deutlich  zum  Bewnfstsein  za 
bringen,  und  wir  glauben  unsere  Achtung  vor  dem  vor- 
liegenden yerdienstvolleni  Werk  nicht  besser  ausspre- 
chen zu  können,  als  indem  wir  die  Ilauptresultate  der 
naturhistorischeik  Behandlung  an  dem  Maafsstab  der 
Natur   der  Krankheit   selbst  praktisch  prüfen,    wobei 
'uns  jedoch  der  Raum  nur  gestattet,  vergleichungs weise 
zu  verfahren,  ohne  auf  weitere  positive  Entwickelun- 
gen  eingehen  zu  können,  die  wir  an  anderen  Orten  be- 
reits versucht  haben  und  npch  weiter  auszuführen  ver- 
suchen werden.     Wir  gehen  hierbei  von  der  naturhi- 
storischen Pathologie    überhaupt    aus,    unterscheiden 
dabei   aber   die    beiden  Richtungen   der   parasitlscheik 
und  der  Metamorphosentheorie  ganz  ihrer  Natur  gemäfs« 
'  Beide  Theorieen  haben  das  Gemeinsame,  dafs  sie 
uns  den  Tod  des  Organismus  entweder  überhaupt  un- 
begreiflich machen  oder  doch  Üas  Sterben  durch  die 
Krankheit  nicht  recht  erkennen  lassen.    Denn  nach  bei- 
den Theorieen  ist  die  Krankheit  selbst  ein  Lebenspro- 
cefs,  nur  in  dem  einen  Fall  individuell  selbstständig,  in 
dem  andern  eine  Metamorphose  in  einem  anderen  eben- 

119 


\    / 


947 


Starke  allgemeine: P^hoU^.    Zwei  Binde. 


948 


fall»  gesunden  Lebenssostand.  Obgleiob  dieie  LebeOi- 
zustände  in  beiden  Fällen  als*  tiefere  Stufen  organi- 
«eher  Entwickelung  betrachtet  werden,  so  ^  fuhrt  dock 
kein  Utber||;an0  ton  ibnes  zum  Tode,  -denn  beide  ha- 
ben ihre  Ltbenszwetke  in  sich,  usd  wie  tief  auch  die 
^ Lebensstufe  stehen  mag,  so  bleibt  von  ihr  aus  zuln 
Tode  immer  dieselbe  Kltift.  In  der  Parasitentheorie 
ist  zwar  vom  Tode  der  Krankheit  die  Rede,  dieser 
aber  führt  zur  Gesundheit  des  Kranken.  Wie  aber 
bei  immer  hdherer  Lefoefisentwiokelung  der  parasiti- 
•<^eQ  Krankheit  dadurch  der  Tod  des  Kranken  her- 
beigeführt  werden  könne,  bleibt  unerklärt.  Die  Theo- 
rie des  absoluten  Lebens  ist  hier  durchaus  unpraktisch, 
denn  es  haadelt  sich  in  der  Medizin  nicht  um  das  ab- 
solute 'Leben,  sondern  um  die  Erhaltung  des  organi- 
schen Lebens^  und  sein^  Rettung  vom  Tode.  Auch 
dringt,  sich  uns  unabwendbar  überall  der  Gang  der 
Krankheit  oder  des  kranken  Lebens  zum  Tode  auf, 
die  Möglichkeit  des  Sterbens  ist  der  erste  Gedankcy 
4er  den  Arzt  und  den  Kranken  ergreift,  und  dieser  bil- 
det den  Mittelpunkt,  um  den  sich  alle  unsere  erken- 
nenden und  bändelnden  Bestrebungen  drehen.  Eine 
pBthologische  Theorie  aber,  die  vom  Tode  nicht»  wis*     (Archäus)  herausbildeten.  ^  Allein  in  dieser 


Aranken  Ulid  des  gisnnden  Lebens  von  i^fo  hoher  prak* 
tischer  ^Wichtigkeit  ist.  ,  Man  siebt  das  Leiden  des  Kör- 
pers >nur  über  die  Schultern  des  Lebens  der  Krankheit 
an,  weil  eben  das  Leiden  aufserhalb  des  Begtiffs  deip 
Krankheit  liegt,  während  n^an  praiftisch  dat  Lebep 
der  Krankheit  lieber  aufserhalb  des  Leidens  der  Kran* 
ken  sehen  möchte.  Die  naturhistorische  Pathclogie  ist 
in  diesem  Betracht  eigentlich  gar  keine  Pathologie,  d, 
h.  keine  'Leidenilehre\  vielmehr  ist  sie  nur  eine  Bio^ 
logie  oder  Lebenslehre  und  zwar  vorzfiglioh  der  Lö« 
bensformen.  Gehen  wir  nun  näher  auf  die  beiden:  B|o- 
difikationen  der  naturhistorischen  Pathologie  ein,^  so 
findet  sich,  dafs  zunächst  die  Parasitentheorie  durch. 
die  Erscheinungen  der  parasitischen  Afterpvodaktio- 
nen,  in  denen  sich  ein  individneller  Procefs  verkör- 
pert hat,  unmittelbar  ansohaulich  wird.  Wie  diean 
.nun  eine  von  einem  Keim  ausgehende  in  mancbee* 
lei  Formen  sich  entwickelnde  Vegetation  oder  Zonplijü 
tenbildung  darstellen,  so  war  es  der  Gedanke  der  mnu 
bisch -paracelsischen  Medizin,  dafs  die  mannichfältigcn 
Symptome  aller  Krankheiten  sich  ab  ein  orgatSbchei 
System  von  Phänomenen  von  einem  inueren  Urkemi 

ward 


Ben  will,  wie  tief  sie  auch  durchgeführt  werden  mag, 
wird  uns  praktisch  nie  ganz  befriedigen.  Ob  neben« 
her  und  änfserlieh  neben  einer  solchen  Theorie  zu- 
gleich vom  Sterben  gesprochen  wird,  ist  im  Ganzen 
nicht  von  Belang,  denn  hier  kommt  es  auf  den  Zu- 
eammenhang  des  Todes  mit  dem  Begriff  der  Krank- 
heit an.  Mit  diesen  Verhältnissen  hängt  es  zusammen, 
dafs  man  die  ganze  chemische  Seite  der  Pathologie^ 


Vioch  kein  bestimmter  Unterschied  gemacht  zwiaoben 
einer  für  sich  bestehenden  Krankheit  und  den  nomiaim 
und  abnormen  Reaktionen 'des  Körpers  dagegen,  sen^ 
dorn  beide  vielmehr  als  ein  zu  einem  Ganzen  griifek 
ger  Verein  von  Wirkungen  der  Krankheit  betrachl6l|| 
wobei  das  Verhältnifs  def  Gesundheit  und  KrankJi«it 
nnr  ganz  allgemein  in  dunklen  Bildern  auf  mystiadie 
Weise  dargestellt  ^urde.    Die  bestimmte  Sonderang 


die  Stoffverändemngen  nnd  Zei^etzungen,  Fäulnifs  nnd*    der  Gesundbeitsreaktion  von  einer  Krankbeitslndividiia« 


Brand   in   der   naturhistorischen  Pathologie    nirgends 
recht  unterbringen  kann,  weji  kein  Zusammenhang  zwi- 
schen dem  Lebensprocefs   der  Krankheit  und  den  Er- 
scheinungen der  chemischen  Auflösung  vorhanden  ist. 
Die  naturhistorische  Behandlung  tafst  vorzfiglioh  nur 
die  Krankheit  als  Form  eines  Naturprodukts  auf;  die 
fbrmeUe^fMe  hat,  wie  in   der  Naturgeschichte  über* 
haupt  das  üebcrgewicht^  es  ist  höchstens  eine  verglei- 
chende Entwickelungsgeschichte  derErscheinungen  mög« 
lidh,  wpbei  der  wesentliche  innere  Zusammenhang  dar 
verglichenen  Phänomene  dahingestellt  bleiben  müfs.  Die 
Entwickelang  der  Krankheit  aus  ihrem  eigenen  FVocefs 
fehlt  entweder  oder  ist  untergeordnet,  und  wird  dann 
rein  phystologiscb,  während  uns  der  UnterscUed  des 


lität,  die  eine  in  sich  abgeschlossene  Totalität  bilde^ 
gehört  eirst  der  modernen  naturhistorischen  Pathologie 
an,  die  den  Procefs  mehr  in  seine  Binzelnheiten  ver- 
folgt hat.  In  jener  mystischen  Ununterschiedenheit  War 
es  nun  leicht  von  alleth  KTonkheitea  anzunehmen,  dafi 
sie  aus  einem  Keim  erzeugte  organische  Individaalitik^ 
ten  seien ;  allein  in  der  heutigen  bestimtoiten  Sonderung 
von  Krankheit  und  Reaktion  scheint  man  in  den  Ver^ 
gleichungen  zu  weit  zu  gehen,  wenn  man  allen  Krank* 
heiten  eine  organische  von  den  Reaktionen  selbststäiK 
dig  verschiedene  Individualität  unterlegt,  obgleich  sie 
bei  einigen  Krankheiten  nicht  zweifelhaft  zu, sein  seheint» 
Der  Begriff  von  Krankheit  mfifste  aufserordentlieh  be- 
schränkt werden,  wenn  man  dieses  Crindp  streng  durdi» 


SM 


SA0r4  mUf^meiM  F^akohgm.    Zw§i  ^»mk. 


«M 


Mireo  wdlta.  AHa  direkl  Awnk  ttnfsei»  SchKiUiehkei^ 
ten  hervorgerufenen  Krankheiten:  Erstickungen,  Ver« 
gifioBgeiiy  Djspnoe,  Husten  ans  anfseren  bejUAidern 
iMcbaoiacbeii  iiaiil  pbjsikaUachen  Urtachen  wären  gaiT 
heioa  Kninkheiteif  nach  diesen  Prineip.  Welche  The- 
rapie sollte  man  nach  denäselben  Prineip  dagegen  an- 
wenden t  Wir  haben  bereits  in  f)er Schrift:  die  homöo« 
Uslkobe  Mediaia  des  Paeacelsus  und  in  einem  Auf- 
satze über  die  natürlichen  Verwandtschaften  der  Krank- 
heiten in  diesem  Jahrgang  des  Hufelandschen  Journals 
aveftthrUcber  su  seigen  gebucht,  dafs  der  Begriff  der 
lÜMUiklieit  als  parasitische  IndiTidualität,  wenn  gleich  er 
ftr  einige  Krankheiten  anwendbar  ist,  doch  durchaus 
nidit  auf  alle  Krankheiten  (»afst,  nnd  dafs  es  Tiele 
(fankbeiten  giebt,  in  denen  sich  eine  parasitische  In^ 
iKvidnalitat  nicht  nachweisen  lafst,  die  aber  dennoQh 
wirklich  zu  den  Krankheiten  gerechnet  werden  müssen. 
Wir  haben  sie  mit  dem  allgemeinen  Namen  der  Hern* 
anogskrankheiten  belegt,  ohne  damit  andeuten  m  wol- 
len, dafs  sie  in  sich  natürlich  verwandte  Gruppen  bil- 
den« ^ijense,  dafs  selbst  in  denjenigen  Fällen,  wo  wirk- 
Uob  sich  eine  parasitische  Individualität  in  der  Krank- 
heit bildet,  doch  das  parasitische  Leben  dann  nur  einen 
Tbeii  der  Krankheitstotalität  in  ihrer  natürlichen  Ein- 
heit ausmacht^  so  dafs  abo  die  Kraukheitsindividualität 
tum  ailgemeinen  Prineip  der  Pathologie  kaum  möchte 
erhoben  werden  können.  Dabei  gestehen  wir  aber  gern 
XU,  dafs  durch  die  talentvolle  Entwickelong  dieser  Ver- 
hiltnisfle,  welche  die  Wissenschaft  wie  durch  den  Hm« 
Vetf.  überhaept,  so  besonders  in  dem  vorliegenden* 
Werke  erhalten  hat,  ein  grofses  Licht  über  die  or- 
ganischen Verbältnisse  der  Krankheit  überhaupt  ver- 
breitet worden  ist,  so  dafs  wir  auch  diese  Bemühungen 
als  dankenswerth' anerkennen. 

Die  andere  Seite  der  naturhistorischen  Patholo- 
gie,  welche  die '  Krankheiten  ds  Rücklalle  des  Lebens 
la  niederen  normalen  Bildungsstufen  betrachtet,  giebt 
die  individuelle  Seite  der  Krankheitsnatur  gäoslich  auf, 
und  hier  könnte  man  sogleich  sagen,  dafs  dies  in  Be- 
sag' auf  die  JkeimbiMenden,  sich  durch  Ansteckung 
fortpflanzenden  Krankheiten  und  andere  organisch -pa- 
rasitische Formen  eine  Lücke  in  der  Erkenntnifs  der- 
selben  lasse.  Dennoch  aber  ist  anzuerkennen  nnd 
iwar  besonders  wenn  man  von  den  Hemmuogsbildun- 
gen  der  ersten  Entwickelung  ausgeht,  dafs  eine  grofse 
Reihe  von  Erscheinungen  bei  vielen  Krankheiten,  wenn 


MO  sieh  anoh  nicht  gaaa  als  niedere  Entwickeluags^ 
stufen   darstellen,    doch   mancherlei  Charactere   dar^ 
bietet,    die   auf   ein  Stehenbleiben   und   einen  Rück* 
fchritt  za  niederen  Lebensformen  hindeuten,  worüber 
besonders  Hoffmann  Beispiele  gesammelt  und  oft  überv 
raschend  sinnreich  verglerchend  zusammengestellt  hat. 
So  reichhaltig  nnd  vielfach  aber  auch  diese  Vergleiche 
angestellt  werden  mögen,  so  werden  sie   doch  nich^ 
die  Totalität  aller  Bestimmungen  einer  Krankheit  nm- 
fassen,  und  ein  erschöpfendes,   vollständiges  Bild  a? 
1er  ihrer  Verbältnisse  geben  können,   weil  noch  maa- 
ches  andere  zur  Krankheit  gehöit,  was  aufser  dem 
Bereich  der  naturhistorischen  Vergleichung  liegt«  Eine 
Pathologie,  die  sich    allein  auf  diese  Vergleiche  be- 
schränkte, würde  eher  einem  Werke  über  Naturge- 
schichte als  über  Pathologie  ähnlich  sehen,  und  in  der 
Tbat  müssen  wir  darauf  bedacht  sein,  die  Pathologie 
nicht  ganz  euf  das  Gebiet   der  Naturgeschichte   hiur 
fiberzuziehen,  so  bedeutungsvoll  auch  einzelne  natura 
geschichtliche  Yergleiche  sind«    In  Betreff  dieser  Ter^ 
gleiche  möchten   wir  auch   noch   erinnern  ^  dafs   die 
Krankheitsznstände  nicht  überall  als  ein  Rücksehrei- 
ten   zu   niederer  Ausbildungsstufe,   sondern   zuweilen 
auch  als  ein  Vorschreiten  zu  einer  höheren  Entwicke- 
lung, die  sich  ids  excesöives  Hervortreten  bei  Thieren 
findet,    betrachtet  werden  müssen.     So  haben   wir  in 
der  Schrift:  „de  alimentorum  concoctione  experimenta 
nova"  ausfuhrlicher  zu  zeigen  uns  bemüht,  dafs  bei  Krank- 
heiten der  Blinddarmdigestion  der  menschliche  Blind* 
darm  sich  zu  einer  höheren  Stufe  der  Ausbildung  ent« 
wickeln  kann,  die  er  normal  nur  bei  pflanzenfireasen- 
den  Thieren  hat,   wie  umgekehrt  der  Mügen  häufig 
eine  ganz  camivore  Natur  beim  Menschen  annimmt. 
Aehnliche  Verhältnisse  zeigen'  sich  in  der  Entwicke- 
lungsgeschichte  der  Blutbläschen,  deren  vergleichende 
Darstellung  wir  zuerst  in  dem  System  der  Cirkolation 
mit   Rücksicht   auf  Pathologie   glauben    gegeben  zu 
haben. 

Eine  andere  Schwierigkeit  dieses  Princips  der  na- 
tnrhistorischen  Pathologie  scheint  uns  darin  zu  begeg« 
nen,  dafs  nach  demselben  der  Krankbeitszustand  alle  > 
Glieder  der  ganzen  Orgauisatioa  durchdringen  soll  und 
die  Totalität  des  ganzen  Körpers  und  aller  seiner  Or* 
gane  kratikhaft  affizirt  angesehen  wird,  weil  die  Idee 
der  niederen  Thierstufe  dem  ganzen  kranken  Leben 
seinen  eigenthümlichen  Typus  aufdrückt  oder  aufdrük- 


SUirk^  Mgememe  PM^hgis.    Zm»  Bäntk. 


951 

ken  seil.    Himiaoh  wfirda  keio  Theil  der  Geeundbeit 
im  kranken  Mensoben  übrig  bleiben  und   der  Begriff 
der  Heilkraft  d^r  Natur  als  Rcaktipn  und  Selbstbülfe 
der  im  kranken  Körper  noch  übrigen  Gesundheit,  wäre 
nicht  mddich.    Aocb  wurde  es  nur  allgemeine,  nicht 
drtliche  Krankb/ßiten  geben  k^nen,  während  doch  ^o 
viele  Erscheinungen  dafür  sprechen,  dafs  die  meisten 
Krankheiten  örtlich  oder  in  einzelnen  organischen  Sy- 
stemen  wenigstens    entspringen.     Nicbt  minder  kann 
man  auch  hier  die  Krankheit  nicht  als  einen  Leidens- 
sustand begreifen,  denn  die  niedere  normale  Lebens- 
^tufe,    welche   die   Krankheit  repräsentirt,    ist  immer 
eine  ihren  Zwecken  gemäfa  wirksame  Thiktigkeit,  wo- 
bei   eine   Kränkung   der   Gesundheit   wenigstens    gar 
nicht  nothwendig  ist  'Die  Krankheit  bleibt  hiernach 
immer  ein  rein  physiologischer  Procefs  oder  eine  nor- 
male naturhistoriscbe  Erscbeinuug,  und  man  sieht  nicht« 
wie   diese    niedere  Lebensstufe   zum   Tod  übergehen 
könnte,    denn   auch  das^niedere  Xeben  bleibt  immer 
ein  Leben.    Auf  der  anderen  Seite  lassen  sich  die  pa- 
rasitischen Wucherungen  und  Neubildungen  der  After- 
organisationen nicht  iliglich  als  blofse  Rückfälle   der 
Lebensthätigkeit  gesunder  Organe  selbst  betrachten; 
denn  man  sieht  hier  wirklich   neue  Produktionen  und 
nicht  JbJofse  Metamorphosen   der  schon  vorhandenen. . 
Fassen  wir  .also   die  Bedeutung   der  naturhistori- 
scben  Pathologie  im  Grofsen  und  G^an^en  auf,  so  müs- 
sen, wir  sagen,  dafs  sie  dem  jetzigen  Zeitgeist  ange- 
hört und  ducch  die'  vergleichende  Bearbeitung  der  Na- 
turwissenschaften überhaupt  herTorgerufen  oder  doch 
begünstigt  worden  ist;  es  ist  eine  allgemeine  wissen- 
schaftliche  Richtung,  ein   Typus,   der  sich  auch  der 
Pathologie  aufgedrückt  hat,  und  für  eine  Seite  dersel- 
ben ffute  Früchte  trSgt.    Pafs   diese  Richtung  nicht 
Ton  Innen  aus    der  Pathologie  heraus,   sondern  von 
aufsen  in  sie  hinein  gekommen  ist,  giebt  ^ibr  freilich 
im  Ganzen  ein  mehr  formelles  Gepräge,   und  ein  gro- 
fser Theil  patholo^scher  Phänomene  findet  sich  indem 
naturbistorischen   Rahmen   mehr   äui^erlich  eingefafst 
und   nicht    in   der    wünschenswerthen  inneren   Durch- 
dringung;   allein  man   sieht   doch,   i^as  die  Naturge- 
schichte für  die  Pathologie  leisten  kann  und  was  zu 
wünschen  übrig   bleibt.     Da  das  pathologische  Leben 
bis  zum  Tode  immer  noch  sich  im  Gebiete  der  orga- 
nischen Natur  bewegt,  so  ist  es  natürlich,   dafs  auch 
die  pathologische  Wissenschaft  in  mancherlei  Bezie- 
liung  von  der  Naturgeschichte  berührt  und  selbst  um- 
fafst  wird;    allein  em   freierer   Blick   zeigt  uns  bald, 
dafs   darum    nicht    alle    Formen   der  Naturgeschichte 
der  PatlK>logte  aufgedrückt  und  diese  selbst  «u  -einer 
Naturgeschichte  gemacht  werden,  oder  das  innere  Wo* 
sen  des 'kranken  Körpers  von  der  Naturgeschichte  aus 
verstanden  werden  kann.     Der  besondere  Nutzen,  wel- 
chen die  naturhistoriscbe  Bearbeitung  für  die  Patholo- 
gie überhaupt  gehabt  Jiat  und  noch  weiter  haben  kann, 
msofern  die  Richtung  des  Zeitgeistes  der  Medizin  da- 
bei  beharrt,    auf  diesem   Wege  fortzugehen^    besteht 


vonllglioli  in  4er  Bildung  natfirlteher  Groppea  nnd  Fa* 
milien  und  deren  geographische  und  klimatische  Ver* 
hältniss^  wie  sie  zuerst  von  Sydenham  erstrebt  wur- 
den.   Hierzu  fQhrt  das  AufTassen  des  Habitus  nnd  der 
ftufseren  Form  der  Krankheiten  im  Ganzen,  ^wie  anoli 
in  der  Naturgeschichte  der  Thiere  und.  Pflanzen  die 
Familienähnlichkeiten    durch  dieselben  typischen  Ver* 
bültnisse  bedingt   sind.     Das  innere  Wesen  und  den 
organischen    Procefs  der  Krankheit  zn   erfassen,    ist 
die  naturgeschichtliche  Behandlung  in  der  Richtung 
nnsrer  Zeit  weniger  geeignet,  denn  hierbei  kommt  es 
nicht  sowohl  ,auf  den  äufseren  Habitus  der  Erscheinun- 
gen, als  auf  den  inneren  Verlauf  der  Thätigkeiten  an, 
wodurch  die  ättfsereForm  4«r  Krankheit  erzengt  whd. 
Durch  tiefere  Rücksicht  auf  diese  Verhältnisse  wird 
man  nothwendig  wieder  pach  anderen  pathologischea 
Kichtungen  hingeführt,  und  so  wird  man  in  Darstellung 
der   Totalitüt    aller    Bestimmungen    der    Einheit    des 
Krankheitsprooesses  weder  die  grofsartiffe  Aetiologia 
der  kosmischen  Pathologie  der  Alten,  noch  die  ideelle^ 
mystische  Generationslehre  der  Araber  und  des  Para- 
celsus,  noch  den  brausenden  und   gährenden  Chemis- 
mus der  Humoral-,  noch   die  Physiologie  der  Solidar- 
pathologie  ganz  entbehren  können;  wie  denn  atfoh  diu 
wichtigeren  Resultate  aus  diesen  verschiedenen  Rich- 
tungen von  udserem  Verf.,   wenn  auch  nur  nach  sei- 
nem synkretistischen  Princip  sorgfaltig  aufgenommen 
worden  sind.    3ei  solcher  Verschiedenheit  der  pntho« 
logischen  Elemente  «empfindet  man  freilich  wieder  das 
Bedürfnifs,  die  Pathologie  zu  einer  Totalität  zu  brin- 
gen und  die  verschiedenen  Bestandtheile  sich  von  In- 
nen   heraus  zusammenhängend   entwickeln  zu   lassen* 
Wir  haben    schon  anderswo  unsere   Zweifel  darüber 
ausgedrückt,    dafs  eine  solche   orffanische  Herausbil- 
dung der   Wissenschaft    weder    elementar    kosmiscb, 
noch  physikalisch  oder  chemisch,  noch  rein,  physiolo- 
gisch  oder  naturhistorisch   wird   geseheben    können; 
.  sondern  dafa  nur   ein  selbstständiges  patAologü^Ae^ 
Princip  uns  das  gewünschte  Ziel  wird  erreichen  las- 
sen.   Wir    müssen   nicht   eine  chemische,   physiologi« 
scIie,   natnrhrstorische,   sondern  allein  eine  patßiologi^ 
ecke  Pathologie  erstreben.    Wie  der  Organisrons  ei* 
ner  solchen  \V  iss'enschaft  zu  bilden  sein  möchte,  dar- 
über würden  uns  hier  die  Verhandlungen  zu  weit  fuh- 
ren.   Winke  dazu  haben  wir  schon  in,  der  Homöobio- 
tik   und  dem  Aufsatz   über  natürliche'  Verwandschaft 
der  Krankheit  zu  geben  versucht;    aber   die  AusfiUi- 
rüng  wird  einer  andern  Zeit  vorbehalten  bleiben  müssen« 
Diese  Andeutungen  mögen   genügen,    um  zu    zei- 
gen, mit  welchem  lebhaften  Interesse  dip  Wissenschaft' 
liehe  Richtung  des  Hrn.  Verfs.  uns  angesprpchea  hat. 
Man  mufs  gestehen,   dafs  der  Verf.  mit  Begeisterung 
fiir  seine  Richtung  in  dieser  auch  Tüchtiges  geleistet 
hat.    Das  Werk  wird  daher  immer  Original  für  diese 
Richtung  der  Wissenschaft  bleiben. 

C.  H.  Schultz.  ' 


J^  120. 

J  a  h  r  b  fl  e  h  e  r 

f..         •  •       - 

u  r 

w  i  s  s  e  n  s  c  h  a  f  1 1  i  *c  h  e    Kr  i  t  i  k. 


December  1839* 


.       UX. 

OescUchie  lUüngter's  nach  den  Quellen  gearbei- 
tet von  Reinf*.  Aug. Erhard.  Munster y  1837. 
VL  und  637  8.    8. 

BekaDDtlich  bildet  die  Geschichte  der  geistlichea 
Stifte  in  Deatschland,  uod  zvar  nicht  blos  der  Erzstifte' 
und  der  BiBthlUnery  sondem  auch  vieler  AbteieO)  eia 
wichtiges  Moment  in  der  allgemeinen  politischen  G&- 
«qliißhte  wie  in  der  Geschichte  der  Kultur  ansejrs  deut- 
aghen  Vaterlandes.  Nichts  desto  weniger  hat  man  bis 
anf  die  neueate  Zeit  fast  aller  Bearbeitungen  dieses 
hiatorischen  Gebietes  entbehren  müssen,  und  der  Man- 
§fl  an  Werken  dieser  Art  ist  für  alle  Bearbeiter  der 
deotachea  Gesdiichte  immer  fühlbar  genug  gewesen. 
Crat  die  Tielfachen  Behandlungen  der  deutschen  Sp^ 
oialgeschichten  in  unserer  Zeit  scheinen  auch  darauf 
.Emflala  gehabt  au  haben,  dafs  man  dies  bisher  so  sehr 
TemaoUässigte  Gebiet  gleichfalls  berücksichtigte  und  die 
Tersehiedenen  Arbeiten,  welche  jetzt  über  mehrere 
lioohstifte  ans  Licht  getreten  sind,  zeigen  am  besten, 
wie  sehr  das  Verlangen  g^echtfertigt  ist,  wenigstens 
über  jedes  det  deutschen  ErzbiiBtbümer.und  Bisthümer 
eine  Bearbeitung  zu  besitzen,  welche  den  ForderuDgea 
der  heutigen  Wissenschaft  entspricht  und  ihrem  Um- 
lange nach  der  politischen'  Bedeutsamkeit  der  einzel« 
neu  Hochstifte  angemessen  ist.  Denn  an  eine  allge- 
joein^  Jdrchlicbe  Statistik  Deutschlands  im  Mittelalter 
mScbte,.  so  wichtig  diese  Sache  für  die  vaterländische 
Geachiohte  auch  ist,  doch  sobald  noch  nicht  zu  denken 
aein»  da  die  damit  zusammenbängepden  Arbeiten  in 
der  Ualoriscben  Geographie  Deutschlands  in  jener  Zeit 
noch  nicht  so  weit  gediehen  sind,  um  die  Erscheinung 
eines  solchen  \yerkes  hoffen  zu  lassen. 

Daa  Bisthum  Münster,  welohea  ilie  grofse  Kata- 
atrophe   der  Sekularisation  der  norddeutschen  geistli- 
chen Stifte  im  westphälischen  Frieden  noch  überlebt 
JMhrh.  /.  wiiMAtcA.  KriHk.  J.  1839.    11.  Bd. 


hat  und  erst  der  Umgestaltung  Europas  durch  die  fran- 
zösische Revolution  zum  Opfer  ward^  Yerdiente  gewifs 
in  ?ielfacher  Beziehung  eine  neuere  liistorische  Beasp 
beitung,  wie  sie  demselben  in  Folge  der  preiswürdigen 
Verfügung  der  preufsischen  Regierang,  die  Provinziat 
Archive  zum  Nutzen  der  Wissenschaft  durchforschen 
zu  lassen,  jiun  auch  zu  Theil  geworden  ist,  und  dem 
Verf.  mufs  man  auf  jeden  Fall  Dank  wissen,  dafs  er 
seine  Stellung  bei  dem  westphälischen  Provinzial-Ar- 
diiv  zu  Münster  sogleich  benutzte,  um  eine  wichtige 
Lücke  in  dem  Gebiet  der  Geschichte  auszufüllen. 
Schon  lange  war  für  denselbenji  wie  er  io  der  Vorrede 
bemerkt,  die  Geschichte  Westphalens  ein  Gegenstand 
von  gvofsem  Interesse  gewesen,  und  cla  ihn  seine  Be- 
schäftigung mit  den  Quellen  der  westphälischen  und 
insbesondre  der  münsterländischen  Geschichte  tiefer  in 
ihre  Kenntnifs  einführte,  zeigte  9ioh  ihm  zugleich  der 
Mangel  einer  zusammenhängenden  übersichtlichen  und 
dabei  lesbar  geschriebenen  Geschichte  dieses  Hochstif- 
t^  so  dafs  er  sich  berufen  fühlte,  diesem  Bedürfuifs 
abzuhelfen.  Zwar  sollte  anfangs  diese  Arbeit  nicht 
eine  ganz  neue  Forschung  aus  noch  unbenutzten  Quel- 
len geben,  sondern  nur  eine  übersichtliche  Zusammen- 
stellung des  nach  sorgfältiger  Prüfung  bereits  Erniit<^ 
telten,  um  dem  gebildeten  Freunde  der  Ttttertändischen 
Geschichte  ein  ansprechendes  Gemälde  und  dem  ei- 
gentlichen Kenner  einen  Torläufigen  Leitfaden  darzu- 
bieten, woran  sich  neue  Untersuchungen  ansohliefiBen 
könnten, .  aber  der  bisherige  Zustand  der  münsterschen 
Geschichte  nöthigte  den  Verf.  bald  sich  ein  weiteres 
Ziel  zu  stecken.  Er  mufste  hei  vielen  einzelnen  Ge- 
genständen eipe  ganz  tieue  Quellenforschung  anstellen 
und  erhielt  dfidnrch  auch  Veranlassung  manches  Neue 
zur  Erweiterung  dieser  Geschichte  aufzunehnii^n ,  so 
dafs  sich  diese  Arbeit  nicht  nur  durch  die  Zusammen^ 
Stellung  djos  Ganzen,  sondern  auch  durch  die  Mitthei- 
Jung  mancher  ^vorher  unbekannter  und  durch-  äie  Be- 

120 


956  E  r  h  a  r  d^    6  0  M  €  hi 

ricbtigmig  vieler  irrtliämlicfa  aDgeBommenen  Tbateacfceti 
vor  alleo  frühem  der  Gescbiohte  Alunsters  gewidmeten 
Schriften  vDrtheilhaft  anszeichnet.  Aach  ist  der  Verf.  * 
bei  jeder  hier  neu  aufgestellten  oder  von  frübeni  Schrift- 
stellern abweichend*  berichteten  Thatsache,  den  Origi- 
nal -  Urkunden  oder  andern  glaubwürdigen  bandscfarift- 
fichen  Nachrichten  gefolgt  und  hat  dies  immer  gehöri- 
gen Ortes  bemerkt. 

Ueberhaupt  empfiehlt  sich  dies  fleifsig  gearbeitete 
"Werk  durch  eidc  einfache,   ruhige^  klare  und  schöne 
Darstellungsweise   und  kann  in   dieser  Beziehung  bei 
dem  Zweck  des  Buches,  nicht  blos  den  Gelehrten,  son- 
dern auch  dem  gröfscm   gebildeten  Publikum  zu  die- 
nen, manchen  ähnlichen  Arbeiten  wohl  als  Muster  auf- 
gestellt  werden.    So  viel  wie  möglich  hat  der  Vf.  alle 
Riehtungen  des  Staats-  und  Volkslebens  verfolgt,  und 
hat  zugleich  durch  Berücksichtigung  der  bedeutendsten 
allgemeineren  Verhältnisse  den  organischen  Zusammen- 
hang der  örtlichen  mit  der  allgemeinen  Geschichte  an- 
schaulich zu  machen  gesucht.    Denn  bei  einer  solchen 
Arbeit  über  die  Geschichte  einea  geistlichen  Fursten- 
thumes  mufsten  auf  gleiche  Weise  die  kirchlichen  wie 
die  politischen'  Verhältnisse  bebandelt  werden,  und  es 
tnufste  dabei  nachgewiesen  werden,  wie  dieses  Glied 
des  gröfsem  politischen  Ganzen  von  Deutschland  sein 
ihm  eigcnthümlrches  Leben  entfaltet  habe,  und  wie  die- 
ses letztere  wiederum  durch   sein  Verhältnifs  zu  dem 
allgemeinen  öffentlichen  Leb^  bedingt  wonlen  sei.  Sehr 
gilt  bat  der  Verf.   dabei  eine  nuiL  zu  häufig  vorkom- 
mende Klippe  zu  vermeiden  gcwurst,  indem  er  bei  sei- 
nen Lesern  die  Kenntnifs  des  allgemeinen  kirchlichen 
nnd    politischen    Lebens    Deutsclilands    voraussetzend 
nicht  .unnützer  s  Weise  das  schon  längst  Bekannte  und 
va.  eine  Specialgeschichte  nicht  Hingehörige  aufgenom- 
men, sondern  nur  so  viel  in  seiner  Darstellung  davon 
berührt  hat,    als   zum  Verständnifs   der  jedesmaligen 
Zeitverhältnisse   oder  der  besondem  p^oliliscben   Ein- 
richtungen  nottmendig  war.    Auch  mufs  man  es  als 
einen  Vorzog  dieser  Arbeit  anerkennen,   dafs   auf  die 
neuem  Forschungen  über  mancherlei  Verhältnisse  jenes 
^Gebietes  immer  die  gebührende  Rücksicht  genommen 
worden  Jst,  wie  sich  dies  sogleich  in  der  Einleitung  zeigt» 

Die  gesammte  Geschichte  des'Hochstiftes  ist  in 
vierzehn  Kapiteln  behandelt,  von  denen  das  erste  die 
Vorgeschichte  des  Mtinsterlandes  vor  der  Begründung 
dfes  Bisthnms  berührt ,   die  sieben  folgenden  aber  die 


e  k  t  e    Münster  *  #• 


956 


Zeiten  des  Mittelalters  des  Bisthmns  und  Landes  Mün- 
ster von  Karl  deip  Gröfsen  bis  zur  Reformation  um- 
Aissen.  Indem  der  erste  Abschnitt'  den  ältesten  Za« 
stand  Westphalens  und  das  Leben  der  dortigen  dmt- 
sehen  Stämme  schildert,  aus  denen  zunächst  der  Yer^ 
ein  der  Franken  hervorging  und  etwas  später  der  Bund 
der  Sachsen  sich  gestaltete,  wird  hier  das  treffliche 
Buch  Ledebur's  über  die  Brukterer  zu  Grande  gelegt, 
durch  welches  in  der  That  die  historisch -ethnographi- 
schen Verhältnisse  jenes  Gebietes  zum  ersten  Male 
so  genau  und  sicher  begründet  'worden  sind,  dafs  man 
nur  ungern  ähnliche  Arbeiten  über  andere  Theile  Gerw 
maniens  vermifst.  Auch  bemerkt  der  Verf.  ansdrüok- 
Ijch,  dafs  er  aus  begründeter  Ueberzeugung'  den  dort 
gefundenen  Resultaten  habe  folgen  können.  Die  Zeit 
des  Mittelalters  ist  folgendermafsen  gruppirt.  Das 
zweite  Kapitel  schildert  Mimigardevord  als  bischöfli- 
chen Sitz  in  Westphalen  und  .den  Ludger  als  ersten 
Bischof  daselbst  durch  Karl  den  Grofsen.  Das  dritte 
behandelt  Ludgers  Nachfolger  in  Mimigardevord  bia 
cur  Entstehung  des  Klosters  Ueberwasser  gegen  die 
Mitte  des  eilften  Jahrhunderts.  Das  vierte  stellt  da« 
nun  schon  beginnende  Münster  dar  bis  zur  vöMigeii 
Ausbildung  der  Stadt  dieses  Namens  unter  Bischof  Heiv 
mann  II.  Das  fünfte  umfafst  die  letzten  Zeiten  der 
Hobenstaufen  im  dreizehnten  Jahrhundert.  Das  sech- 
ste begreift  das  Jahrhundert  von  dem  Antritt  des  Bi- 
schofs Eberhard  bis  zur  Errichtung  des  grofeen  weat- 
phälrschen  Landfrioilens  im  Jahre  1372,  woran  sieh  das 
siebente  Kapitel  anschliefst  al9  bis  zum  Tode  des  Bi- 
schofs Otto  IV.  in  der  ersten  Hälfte  des  funfzebnteli 
Jahrhunderts  reichend.  Das  achte  umfafst  sodann^die 
letzten  Zeiten  des  Mittelalters  bis  zum  Anfange  der 
Religionsunrubeii'in  Deutschland  im  Jahre  1522.' 

Einfach  und  klar  sehen  wir  hier  aasetttandergesetat^ 
iras  es  mit  dem  Doppelnamen  der  bischöflichen  Stadt 
eigentlich  für  eine  Bewandnifs  habe»  Denn  die  4>ok»' 
lität  des  heutigen  Münster  führte  ursprünglich  den  Na- 
men Mimigardevord^  welches  auf  dem  rechten  Ufer  der 
Aa,  eines  Zuflusses  zur  Ems^  liegend  wahrscheinlich  die 
Malstätte  von  dem  umherliegenden  grofsen  tfächsischen 
Drein  -  Gau -bildetcf,  und  eben  dort  fiand  auch  die  An- 
läge  des  bischöflichen  Sitzes  statt,  welcher  sich  da- 
selbst immer  erbalten  hat.  Damm  nannten  sieh'  auch 
die  Vorsteher  der  dortigen  Kirche  an  der  Fürth  .Um 
den  Flnfs  lange  Zeit  nur  Bischöfe  von  Mimigerdetord^ 


907  Erhan^dy    G  »  »  e  A 

bis  der  smieiifiieiida' Anbau  der  jenseit  desFlufset  lie^ 
"  ^nden  Oegeod  hieriii  eine  AeDdeteng  berrorbraolite. 
Die  EittstebuDg  zuaammeDbftDgeiider  fester  AoBiedlttn* 
^11  in  dein  «ogenaimten  Ueberwaeser  (frans  aquani)  und 
4iö  Erriobtang  einer  eigenen  Pfarrkirobe  f&r  die  dor<- 
tige  BeTdilcening  ddrcb  den  Bisebof  Hermann  L  gegen 
die  Mitte  des  eilften  Jabrbnnderts  ist  für  die  Ausbii- 
dnng  der  Stadt  Munster  und  färdie  bisterisch-topogra-^ 
pbisehe  Kenntnirs  derselben  ton  Entscbeidnng.  Denn 
das  mit  jener  Kircbe  zngleicb  gestiftete  Nonnenkloster 
oder  Münster  (monasterium)^  welebes  gleicbsaui  den 
Kern  der  neuen  Stadt  bildete,  gab  anch  Veranlassung 
za  einem  neuen  Namen -für  dieselbe.^  Man  nannte  sie 
die  Stadt  „bei  dem  Munster"  und  so  wurde  Münster 
allmählig  Eigenname  .der  Stadt.  Als  dann  später  auf 
dem  rechten  Ufer  der  Aa  sich  die  städtiscben  Ans'ied- 
Jungen  mehrten,  wurde  der  Name  Münster  auch  auf 
diese  übertragen  und  wenn  die  bischöfliche  Burg  auch 
noch  lange  Zeit  den  Namen  Mimigardevord  behielt,  so 
nahmen  doch  selbst  die  geistlichdn  Oberhirten  bald  ge- 
nug den  Namen  als  Bischöfe^Yon  Münster  .an,  der  seit 
dein  zwölften  Jahrhundert  die  ältere  Bezeichnung  gant 
Terdräugt  hkt.  Bei  der  topographischen  Geschichte  der 
^tadt  bat  der  Verf,  oft  Gelegenheit  gefunden,  die  An- 
^ben  in  dem- bekannton  Wetke  Ton  Wilkens  über  die- 
aon  Gegenstand  zu  berichtigen«  Wir  erbalten  aber  auch 
tttgleieh  in  dem  folgenden  Abschnitt  eine  Geschichte 
der  Verfassung  der  Stadt,  soweit  es  die  dürftigen  Nach- 
richten darüber  zulassen,  und  da  nun  bei  der  Gestal- 
tung eines  gefstlieheo  Gebietes  seit  der  Zeit  der  säob- 
•iscben  Kaiser  und  bei  der  Entstehung  von  Territorial- 
4errsehaften  in  Deutschland  im  dreizehnten  Jahrhundert 
sich  ein  eigenes  Fürstenthnm  Münster  bildete,  dess'en 
Prälaten  unter  dei^  norddeutschen  Fürsten  keine  un- 
wichtige Stelle  einnahmen,  so  ist  dabei  nicht  minder 
auf  die  Entwickelung  der  laudständischen  Verfassung 
flberall  genügend  Rücksicht  genommen.  Ganz  beson- 
ders  aber  mag  darauf  hingewiesen  werden,  was  der  Vf. 
fiber  die  RechtsTerfassuqg  in  diesem  Theile  von  West* 
phalen  beibringt,  wie  auf  S.  1Q2  u.  172  u.  flgg*  Denn 
,  aus  der  ^flösnng  der  alten  Gauverfassung  ergab'  sich 
die  Bildung  von  Freigrafschaften  und  Gografachaften, 
und  daran  scblpfs  sich  wieder  die  Ausbildung  der  be- 
kannten Febmgerichte,  welche  hier  ihre  wahre  Heimath 
.  haben,  sich  durch  die  Errichtung  des  grofsen  westphlU 
tischen  LandAriedens  in  der  zweiten  Hälfte  des  vier- 


Mhsten  Jahrbunderls  über  eiilen  grofsen  Tbeil  von  Nord» 
dentschland  verbreitetea  and  sieh  in  tkrea^  letzten  Spo* 
ren  in  Westpbalen  bis  auf  die  neuere  ^eit  erhalten 
haben.  Die  dahin  gebdrigen  Arbeiten  von  Wigand, 
Ledebur  und  andern  finden  sich  überall  benutzt* 

Gleich  allen  Jibrigen  bbehöflichen  Städten  Deutsoh- 
lands  erlangte  Münster  zwar  von  seinen  geistlichen  Fäi> 
sten  mancherlei  Vorrechte,  doch  ist  es  dieser  .Stadt  pie 
gelungen  9  sich  zur  völligen  Reicbsfreibeit  emporzu- 
schwingen. An  Streitigkeiten  aber  der  Bischöfe  mit  der 
Stadt  und  mit  den  Landständen  überhaupt  hat  es  nicht 
gefehlt,  und  diese  so  wie  alle  andern  Fehden  der  Bi» 
schöfe  mit  den  bcäacbbarten  geistlichen  und  weltlichen 
Fürsten  sind,  so  weit. sie  das  allgemeinere  Interesse  in 
Anspruch  nehmeil  und  auf  die  Entwickelung  des  bür^. 
gerlichen  und  politischen  Lebens  von  Einfiufs  waren, 
dem  Umfange  des  Werkes  angemessen  bel^ndelt  wojr- 
.den.  Dem  Zustande  der  wisseoschaftlicben  Bildung 
und  der'  allgemeinen  Kultur  jenes  Theiles  von  Deutsch- 
land mit  steter  Rücksicht  auf  das  Münsterland  in  den 
letzten  Zeiten  des  Mittelalters  ist  am  Schlüsse  des 
achten  Abschnittes  noch  besondere  Beachtung  geschenkt 
worden. 

Von  den  noch  sechs  übrigen,  der  neuem  Zeit  dir 
münsterscfaen  Geschichte  gewidmeten  Kapiteln  um- 
fafst  das  neunte  zwar  nur  die  kurze  Zeit  von  dreizehn 
Jahren  von  1522  bis  1535,  bis  zum  Umsturz  der  Wia- 
dertäufer-Herrsehaft,  er  schildert  aber  grade  die  Zei^ 
in  welcher. Münster  in  dem  Zeitalter  der  ReformatiO|i 
auf  eine  beklagenswerthe  Weise  sich  eine  welthistpri- 
sehe  .Bedeutsamkeit  zu  erringen  vermocht  bat,  und 
die  dadurch  hervorgerufene.  Reaktion  im  geistigen  Le- 
ben bat  sich  leider  in  ihren  traurigen  Folgen  noch 
bis  jetzt  erbalten.  Auf  jeden  Fall  gehört  dieser  Ab- 
schnitt über  die  Ausbreitung  und  Herrschaft  der  Wie- 
dertäufer in  Münster  zu  den  tretflichsten  und  lehrreich- 
sten Partbien  in  diesem  Buche.  Auch  hat  der  Verf» 
mit  Recht  darauf  hingewiesen,  wie  ein  Oppositions- 
geist gegen  die  geistliche  und  weltliche  Herrschaft 
schon  in  der  Zeit  des  Mittelalters  sich  von  Italien  aus . 
nach  Deutschland  verpflanzte,  und  nun  ^dort  in  der 
Verbindung  mit  der  grorsen  religiösen  Bewegung  die 
eigenthfimliche  Erscheinung  jener  fanatischen  Sekte 
hervorgehen  liefe.  Wie  die  Stadt  Münster  dadurch 
nach  dem  gewfiltsamen  Sturze  jeuer  Sekte  an  ihren 
Rechten  im  Verhältnifs  zum  Bischöfe  verlor,  und  wie 


»59  , 


E  p  imr  dy     O  m  M  c  A  i 


trotK  Oiet  i  Wirnftmkdt  der  Jesniteo,  die  hier  eiafa 
ihrer  ersten  Sif^e  la  Norddeatsohland  fanden^  deoh 
üiaBoherlei  NacbwirkuDgen  jeDes  sohw&rmeriscbeD  Gei^ 
fites  erfolgten,  xeigt  das  zehote  Kapitel,  das  die  Zeit 
der  Mitte  des  secfazehnten  Jahrhunderts  umfaftt.  lo- 
dessen  die  Stadt  blübete  wieder  anf  und  wnfste  auch 
Ton  ihren  irühern  Rechten  manches  wieder  zu  gewin- 
nen, so  .dars  sie  noch  später  einen  Kampf  um  ihre 
Selbstständigkeit  mit  ihrem  geistlichen  Oberherm  un- 
ternehmen konnte«  Und  doch  waren  die  nächst  folgen- 
den Zeiten  vom  Jahre  1585  bis  1630,  welche  das  eilfte 
Kapitel  behandelt^  yegen  der  allgemeinen  Gtibrung  in 
Deutschland  und  wegen  der  sich  aus  ihnen  entwickeln- 
den blutigen  Kriege  keineswegs  gttnstlg  fiir  die  Ge- 
staltung eines  frischen  und  selbstständigen  Lebens« 
Die  Herrschaft  der  baierschen  Fürsten  daselbst  als 
Bischöfe,  wie  des  Herzogs  Ernst  und  dann  des  Hod- 
sogs  Ferdinand-  in  jener  Zeit  trug  dazu  bei,  den  stren- 
gen Katholieismus  zu  befestigen,  während  in  allen  um- 
liegenden Gebieten -die  evangelische  Lehre  sich  befe- 
stigte und  bei  der  Lage  des'  miinsterschen  Ciebietes 
auf  der  Grenzmark  Von  Deutschland  und  den  Nieder- 
landen hatt^  die  Stadt  von  den  Yerbeerungen  des 
dreifsig ährigen. Krieges  und  des  niederländischen  Frei- 
heitskrieges auf  gleiche  Weise  zu  leiden,  bis  ihr  der 
günstige  Umstand,  einer  der  Sitze  des  grofsen  Frie- 
denscengrssses  zu  werden,  eher  eine  Erholung  als  man- 
chen andern  Städten  und  Landschaften  Deutschlands 

■ 

gewährte. 

Von  ganz  besonderem  Interesse  ist  sodann  der 
zwSlfte  Abschnitt,  welcher  uns  in  der  zweiten  Hälfte 
des  siebzehnten  Jahrhunderts  die  merkwürdige  Regie- 
rang des  Bischofs  Christoph  Bernhard  yoti  Galen  vor- 
fuhrt. Zwar  erreichte  das  Münsterland  unter  diesem 
tüchtigen  aber  auch  von  manchen  Leidenschaften  be- 


eAt^Jfünstsr's.  960 

berrechten  Mann  einen  Gi|lel  von  poUtischer  GrSte 
mid  Ansehn,  wie  es  kaum  eiaem  andern  geistlichen  Ter- 
Titorium  Deutschlands  gelungen  ^sd,  aber  es  vajrd  dies 
auch  durch  tb/sure  Opfer  erkauft.  Die  Stadt  selbst  ver- 
mochte gegen  den  kriegerischen  Prälaten  niioht  die  von 
ihr  erstrebte  Reicbsfretheit  zn  erringen  und  die  Einmi- 
schung desselben  in  die  damaligen  Weltbändel  und. 
seine  Eroberungsplane  im  Bande  mit  Frankreich  gegen 
die  Republik  Holland  schlugen  dem  Lande  tiefe  Wnn- 
den,  die  nur  erst  spät  gebeilt  «ind.  Es  enthält  dieser 
Abschnitt  die  wichtigsten  Beiträge  zur  nähern  Kennt- 
nifs  der  deutschen,  französischen  und  hoiläadischen 
Händel  zur  Zeit  Ludwig's  XIV.  und  des  grofsen  Kur«» 
fürsten  von  .Braadedburg,  so  weit  Münster  an  den- 
selben Antheil  nahm.  Je  mehr  aber  das  Münsterland 
in  der  letzten  Hälfte  des  siebzehnten  Jahrhunderts 
in  der  allgemeinen  Geschichte  sich  bemerkbar  macbt^ 
um  so  mehr  tritt  es  auch  seitdem  zurück  und  ver- 
schirindet  gleichsam  für  dieselbe.  Denn  während  der 
Zeit  des  achten  Jahrhunderts  hörte  es  auf  einen  ei- 
genen deutschen  Staat  zu,  bilden  und  stand  bis  zn  sei- 
ner Säkularisation  vom  Jahre  1719  bis  1802  unter  der 
Herrschaft  der  drei  letzten  Kurfürsten  von  Köln, 
worüber  der  dreizehnte  Abschnitt  handelt.  Aber  was 
das  Land  an  äufterer  Selbstständigkeit  verloren  hatte» 
das  gewann  es  an  innerer  Ordnung  und  Bluthe  unter 
der  Verwaltung  des  ausgezeichneten  Domherrn. von 
Fürstenberg,  dessen  Thätigkeit  für  .die  innere  und 
äufsere  Wohlfahrt  des  Landes  den  Gegenstand  emer 
der  interessantesten  Farthien  in  diesenii  Buche  a^ 
giebt.  Eine  kurze  Schilderung  von  dem  Zustande  und 
den  Schickaalen  des  Landes  in  Folge  sdner  Säkular^ 
sation  bildet  das  Scblufakapitel  dieses  Werkes« 

Ferdmand  Hüll 


A  n  2  ei  §  e  b  1  a  t  t 

2  u    d  e  n 


dchern  für    wissenschaftliche   Kritik. 


^ 


M»fVfwtf>*^»*<*i^i%m»»w>wA»» 


(Zweites  Semester.) 


J^  1. 


'  »«1 


.Im:.fwli|[e  TOD  Dancker  and  -Hnmblot  In  Berlin   ist 
iK|tw  fMbiencn  nnd  doroh  alle  ßuchhandlimgen  su  bezieben: 

j^M^t^jp^ische  und  theologische  Vor- 
t:^*Ä^  lesungen. 

:  f.*  ^«  **  ' V'lr  ;  Heranngegeben  von 

Dritter  Bnnd. 


^fUiMn  vnter  dem  besonderen  Titel: 


^/ij^i^     Vorlesungen 

fii^^S^^jjralegoi^       ziir  theologischen  Moral 
i*  ^v«  J'^-wSMwer  die  Priiicipien  der  Ethik. 


-  % 


^AiflM^^AeiHS^s  und  Diitenberger. 

ptionspreis   bei  Abnahme  den  Ganzen 
SThlr.    Einzeln  V/^  Thir. 


S 


••  • 


t^^m  eben  erschienen  und  durch  alle 
^  bestehen':  f 

ichte 

ühriindT  der  Reformation 

in':  die 


C.  W.  ^pieker, 

nnd  Tbeolpgie. 
Preis  V«  Tblr. 


:  rX*  •^^^^^j'^  "^^  demselben  Verlage  ^erschienen: 

4V  i''*^      Deutsche  Geschichte 

r''*Viik'S^italter  der  Reformation. 

Fyjp^^j.W'.  Von 

H   *  i  V  Leopold  Bunke. 

^T      \.  '^  Tb«l  1  wA  ».  f.  ö»  P«^i»  5Vi  Thlr. 


I 

r 
1 


Deutsches  Wörterbuch 


Ton 


den 


Grimm, 


Durch  häufige  Anfragen  Teranlafst^  halten  wir  es  für  Pflicht^ 
über  den  Stand  des  im  vorigen  Jahre  vorläufig  angekündigten 
Unternehmens  einige  Nacluricht  zu  geben. 

Der  gänzlich  neue  Aafbau  des  Wörterbuches  und  die  aufser-» 
ordentliche  Mense  von  Vorarbeiten,  die  dazu  erforderlich  sind, 
machen  es  unmodich,^  so  bald  durch  Ausgabe  eines  Bandes  oder 
einer  Läeferung  Beweis  von  der  Thätigkeit  zu  geben,  mit  wel- 
cher Herr  Uofrath  Jacob  Grimm~  und  Herr  Prof.  Wilhelm 
Grimm'  die  Förderung  des  grofsen  Werkes  betreiben.  Gegen 
fünfzig  Mitarbeiter  haben  sie  mit  dem  Sammeln  des  Stoffes  aus 
allen  Hauptwerken  der  deutschen  Literatur  von  Lutner  bis  Goe- 
the beschkftifft,  und  der  gröfiste  Theil  wird  bis  Ende  dieses  Jah- 
res in  ihren  Händen  sein.  Wenn  erst  alles  Material  beisammen 
isty.  und  die  Bearbeitung  für  den  Druck  begonnen  hat>  so  wird 
auch  mit  diesem  der  Anrauff  gemacht  werden,  und  er  wird  dann 
ohne  Unterbrechung  rasch  fortschreiten, 

.  Wir  hoffen  bara  eine  nähere  Nachricht  Über  das  Wörterbuch 

Sehen  zu  können.    Aus  gegenwärtiger  wird  man  sehn,   dafs  die 
LUitfohrung  ,des  Unternehmens  unzweifelhaft  ist,   und  so   rasch 
betrieben  wird,  als  die  Gröfse  desselben  zuläfst 


Leipzig  im  Jtani  1839» 


Weidmann^  MC Jie  BucAAandlung. 


K.  F.  Becker's  Weltgeschichte* 

Siebente,  verbesserte  und  vermehrte  Ausgabe« 

Zweiter  Abdruck. 

Herausgegeben 

J.  W.  LoeöelL 

Mit  den  Fortsetsnngen 

von  'J.  O.   WoUmmnn  und  K.  A»  MenxeL 

14  Theile.   gr.  8.   Ladenpreis  12  ThIr. 

Berlin,   bei  Duncker  und  Humblot. 

Wir  zeigen  dem  )PubKknm  hiermit  an,  dafs,^  wie  friiberhin 
von  uns  bekannt  gemacht  Worden  ist,  der  Snbscriptionspreis  fttr. 
'  Becker's  Weltgeschichte  seit  dem  1.  Juni  aufkehört  und  der  im- 
*  mer  noch  sehr  wohlfeile  Ladenpreis  von  12  Ktblr.  fdr  das  Ganze 
von  350  Bog.  eingetreten  isti  Ucber  Werth  u.  Inhalt  des  Wer- 
kes bringen  wir  Folgendes  in  Erinnerung.  Die  ganze  Literatur 
hat  kein  Werk  aufzuweisen,  dessen  Zweck  es  wäre  das  Ganze 
der  historischen  Entwickelung,  die  Ausbildnni^  des  Menschem- 
schlecfats  in  allen  Sphären,  vorsugsw^eise  aber  im  Leben  der  Völ- 


ker  und  Staaten,  auf  bequeme  und  übersehbare  Weise  zu  leben- 
diger Anschaaung  lu  bringen.  Aus  diesem  Gesichtspunkt  haben 
Becicer  und  die  neuem  Bearbeiter  ihre  Aufgabe  anfgefefst.  Sie 
halten  sich  gleich  weit  entfernt  von  der  langweiligen  unüberseh- 
baren Breite  der  ftlteren  Weltgeschichten  wie  Ton  dem  dUrren 
Vortrag«  der  Compendien,  sie  sind  entfernt,  die  Ereignisse  und 
die  Thaten  so  sie  die,  welche  dieselben  ausgeführt,  meistern  zu 
wollen,  sie  lassen  eben  die  Thaten  geschehen  und  die  Individuen 
handelif;  sie  nehmen  keine  Partei,  sondern  stellen  Absichten  und 
Zwecke  der  Parteien  im  Interesse  der  Wahrheit  heraus  und  su- 
chen den  Leser  mitten  in  die  Ereie:nis8e  zu  führen,  den  Gang 
der  Entwickelung  deutlich  zu  machen.  Wie  bedeutende  Fort- 
schritte in  dieser  neuen  'Ausgabe  zur  Yollendune  der  schweren 
Au^be,  ein  treues  und  lebendiges  Bild  der  Weltgeschichte  zu 
geben,  |;emacht  sind,  wie  viel  aieselbe  in  Hinsicht  auf  histori- 
sche Genauigkeit,  Vollständigkeit  und  tiefere  Auffassung  der 
Charaktere  und  Zeiten  gewonnen  habe,  ist  von  der  Kritik  durch 
ihr  Urtheil,  vom  Publikum  durch  seine  Theilnahme  an  den  Tag 
gelegt  worden,  und  wenn  das  Becker^sche  Werk  einer  Seits  als 
historische  Encjclopadie  benutzt  werden  kann^  so  hat  es  andrer 
S^its  vor  jedem  Lexikon  den  Vorzug,  dafs  es  die  Ereignisse  und 
Personen  ihrem  Zusammenhange  nicht  entreifst,  vielmehr  diesel- 
ben im  Lichte  der  ganzen  Entwickelung  zeigt.  Ueberall  sind  zu 
diesem  Zwecke  die  neuesten  Forschungen  sowohl  über  kleinere 
als  grofisere  Theile  des  historischen  Gebietes  benutzt  und  in  das 
Ganze  verwebt  worden,  so  dafs  fiich  die  Biscker'sche  Weltge- 
schichte durchaus  auf  dem  Niveau  des  wissenschaftticben  Stand- 
punktes befindet,  welcher  somit  durch  die  ansprechende  und  le- 
bendige Form  der  Darstellung  auch  deni  gröiseren  Publikum,  sa 
wie  3er  sich  lieranbildenden  Jugend  zu  Gute  kommt,  und  ans 
dem  engeren  Kreise  der  gelehrten  Forschung  heraustretend  all- 

Eemeines  Besitzthum  wird.  —  Diese  Weltgeschichte,  deren  äu- 
rere  Ausstattung  gewifs  jeder  Anforderung  entspricht,  ist  zu 
dem  oben  angegebnen  Ladenpreise  in  allen  Buchhandlungen 
zu  baben. 

Duncker  und  HtanNot. 


Bei  Gerhard  Fleischer  in  Dresden  ist  erschienen  ond 
in  allen  Buchhandlungen  zn. haben: 

Dr.  C.  O.  CaruM^ 

System  der  Physiologie. 

%  TheU.  gr.  8.  3  Thlr.  12  Gr. 


'  Dr.  H.  Häsery 
histarisch- pathologische 

Untiers  uehungeiL 

Als  Beitrag  zur  Geschichte  der  Volkskrankheiten, 

1.  Theil.    gr.  a  2  Thlr. 


Dr.  Karl  Sneilj 

philosophische  BetrachtUDgen 

der  Natur. 


8.  18  Gr. 


■  - 

Bei  J.  E.  Seh  au  b  in  Düsseldorf  ist  so  eben  erschkneii  «nd 
in* allen  Buchhandlungen  zu  haben: 

Münchhausen.  :'^*  .• 

Eline  Geschichte  in  Arabesken^  ./    .;t; 


Ton 
Karl  Immermann. 


1.  Theil.   458  Seiten  in  8.  auf  feinem  Maschinen-VAte» 

elegantem  Umschlag  geheftet.    2  Thbr.  10  %f  «i  >,  * 

2.  Theil.   352  Seiten  upd  XI.  Preis  2  Thlr. 


.*'••• 


••••/j 


Auch  unter  dem  Titel: 

Karl  Immermanrii  ScArf^fefvT^'j '    .'  '{• 

8r.  »:  9r,  Band.  .'!»V*:'!.'.-r 

Der  Nachkomtne  des  bekannten  Erzähler«,^  vetch^^i'  dßj 
sem  neuesten  Werke  Immernmnn's  auftritt,   nimmt  s'mb  mit'l 
lungen  nicht,   wie  sein  Ahnherr,  hauptsächlich  aus' 'dem  JA 
der  Jagd-   und  Reiseabenteuer,  sondern  mehr  iiu^^denf  G^it< 
der  moralischen  Welt    „In  diesem  ErzwindbeuCel«*n9^t€|]i* 
„Herr  einmal  alle  Winde  des  Zeitalters,  den  Spet^^mMi; 
„nung,  die  kalte  Ironie,  die  gemUthlose  Phantasterelj^'^^^'^ 
„menden  Verstand  einfangen  wollen,  um  sie  eine  L, 
cemacht  zu  haben.^^    Indessen  versteht  sich  für  dijB|. 
Verfasser  der  Epigonen  näher  kennen,  von  selbsi|*Jam/< 
neinenden  Tendenzen  gegenüber  auch  das  BlelU|mymd' 
hafte  der  Zeit,  und  zwar  um  so  deutlicher,  je  W^fp^] 
gezeichnet  sind,  in  diesem  Werke  seines  Stelle  fiiVfwL*^    - 

■  •  fc  •    ^ 
Im  Verlage  der  B  u  c  h  h  a  n  d  1  n  n  g  des  W  9i\%4igk%\ 
Halle  sind  im  Laufe  des  Jahres  18(S  ersehienei^/qiJL M „ 
Buchhandlungen  d^s  In-  und  Auslandes  sn  bestf&ttll^/T 


Bibliotheca  Scriptor«  Lat 


cnris  Tiroram   doctoran-  emendai«  ei  c 
stracta,    consil.    G.   Bernhard/   ins 
Mard  Tullii  Ciccronis  libri.    Tom  L  Bi:i 
Mey-er  contin.    8  maj. 

Ist  •  V  >i<^ 

Horatius  ein  kleiner  Dicli|ifei"V  ' 

Ein  Beitrag   jsnr  CharaVteriaiik  des 

Von 

Dr.  R.  Hanßw. 

4.  10  Sg*.  (8  Gr.) 
Des 

güldenen   Scha  t  zk  äst'.M-fn^ft 

erster  und  zweiter  Theil  in  eins  geh^ht,^*^ 

ond  zvL  einem -biblischen  Gebeibnche  über  alle.iOTiii 
findliche  Sprüche  der  heiligen  Schrift  ^gerl^uy^t, 
es   auf  alle  Morgen  und  Abend   des  ganseii^.Jsfuft.  WÄ 
gebrauchen^  Ton  H.  v.  Bogatck;^.  gr.  8.  .  i?i5f'^^*Vf 

nptions-Pn)is  1  Thlr.  5  Sgr.  (1  Thlr.  ^'JS^  ^   ;?  \ 


Sobscripti« 


^mm 


•  •  ■ 


5         •     ■  -     - 

» 

DeMelbm  Ver&ssera 

■ 

Tägliches 

£bus-Bach  der  li[inder  Gottes^ 

bttif^eni.  in  erbanlichen  Betrachiani^a  und  Gebeten  aaf 
:ntt#*7^^  ^^*  g9Uen  Jahres,,  aber  die  im  güldenen 
!S^tai](]kSetlein   befindlichen    biblischen  Sprüche,  in   2 
9«n4ea'.* .  4. 
it.  Bf&i:  Subscr.-Plrei3  ^  Thir.  7'/»  Sgr.  (2  Thir.  6  Gr.) 


t  • 


;    •;:        Beiträge 

zulr  EHüleitung  in  die  biblischen  Schriften. 

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'tMe  Band    (Die  ETBDcelien  der  Petriner  oder  Joden- 
i/^ ^M^lea  1832,  aad  kostet  2  Thir.  7%  Sgr.  (2  Tblr.6Gr.) 

r  V^*  dq^lben  Verfasser   erschien   ebenfiüls  in  ansenn 

*\7.'?^  Der  Prophet  Joel, 

_  *,4  1*4 '  I  "til^wetzt  und  erklärt 


%   •    • 


* 


I .  ^  f--*     Hülfsbuch 

l*      j  '  r  IHr  den 

'^At^esdienst  der  Gymnasien^ 


f. 


;  '1^1^'  einer  einleitenden  Abhandlung. 

,  Von 

Dr.  A  ji.  Damel, 

(Uhrtr  tm  KlaigL  PMagtgiuB  sa  H^O 

gr.  a  i  TUr.  20  Sgr.  (1  Thir.  16  9r.) 

Inhalt:       \ 

1^  P^eti*scher  Theil.  Geistliche  Lieder  und  Dichtonren. 
'Seit^  1-^138.  II.  Prosaischer  Theil.  Erster  Ab- 
:»^aUt<    Schalgebete.     Seite  141^282.     Zweiter  Ah • 


s^hpitt-  Lungere  und  künere  religiSse  Vortrüge  für  höhere 
aeholea.  Seite  283—528.  1)  Ohne  nähere  nnd  spedelle  Be- 
siehang  aaf  Veihältnisse  dea  Natar-^  Kirchen-  oder  Schn^ahn. 


2)  VortrSce  für  besondere  Zeiten  des  Natnnahrs.  3)  Vov» 
träge  für  besondere  Zeiten  d^  Kirchenjahrs.  4)  Vorträge' ffir 
besondere  Verhältnisse  des  SchaüeheDs/    . 


Gebete 

für  christliche  Volksschulen, 

nebst  einem  Anhange 
Ton 

(Schnllelirer  in  Hdbn  bei  Eifleben)« 

Mit  einem  Vorworte 

vom 

Consiatorialratb  Prof.  Dr«  Tholuck. 

8.    11  «A  Sgr.  (0  Gr.) 

Inhalt:  1)  Gebete  bei  dem  Anfange  der  Schule.  2^  Gebete  zam 
BeschlnCi  der  Schale.  3)  Gebete  bei  öffentlichen  Schalprfifan- 
gen.    4)  Festgebete.    Anhang:   1)  Morgengebete.    2)  Tisch- 

Sebete.    3)  Abendgebete.  .  4)  l^ige  Lieder  bei  dem  Tode  and 
legräbnisse. 


Geschichte 

der  evangelischen  Missions  -  Anstalten 

nn  Bekehrang  der  Heiden  in  Ostindien. 
Herausgegeben  Ton  - 

Dr.  EL  A.  JVümeyef» 

83.  and  84stes  oder  7ten  Bandes  Utes  und  12tea  Stack.   4. 
1  Thir.  12V,  Sgr.  (1  Thir.  10  Gr.) 


Lehrgang  des  Unterrichts 

im  deutschen  Styl 

f&r  Lehrer  an  mittleren  nnd  höheren  Bildnngaan- 
ataiten  der  weiblichen  Jagend, 

Ton 

JT.  Günther* 

.  gr.  8.   1  Thir.  15  Sgr.  (1  Thfar.  12  Gr.) 


Junker^s  Exempeltafeliif 

das  ist: 

144  Tafeln  mit  beinahe  2000  abgesondert  atis- 
gerechneten  zweckmäfsigen  Exempeln. 

Ein  nnentbehrlichea  Hülfsmittel  beim  Reehennnter* , 

rieht  in  Vollcsschulen.  ' 

6te  Teibesserte  Auflage.    8.  20  Sgr.  (16  Gr.) 


8 


Dieselben  Tiieln  * 

für  die  Preufsi^chen  Staaten» 

2te  TerbeMerte  Auflege.    8.    20  Sgr.  (16  Gr.)      , 


Du  Junius  JuTenalis  Satiren. 

Uebereetst  uud  erläutert 


Toa 


Dr.    W.  E.   ¥Vebery 

(Professor  and  Director  der  Gelehrtenaclmle  za  BremeD). 
^.  8.    2  Thlr.  10  Sgr.  (2  Thlr.  8  Gr.) 


'     Gesangbuch 

für  höhere  Schulen  und  Erziehungsanstalten, 

von 

Dr.  A.  H.  Niemeyer. 
Zwölfte  (von  Dr.  H.  A.  Damd)   nmgearbeitete  Auflage* 

8.    12V,  Sgr.  (10  Gr.) 


Anleitung  für  Volksschullehrer 

sum  richtigen  Gebrauch  der 

Geschichten  und  Lehren  der  heiligen  Schrift 

alteii  und  neuen  Teetaments. 

Von 

Fr.  Kohirau^eh. 

Mii  einer  Vorrede 

von 
Dn  Aug.  Herrn.  Niemeyer., 

Vierte  Terbesserte  Auflage,    gr.  8.   227«  Sgr.  (18  Gr.) 


Lucian's  Traum  ^   Anacharsis^   Demonax^ 
Timon^  Doppelte  Anklage  und  Wahre 

Geschichte. 

Für  den  Sehulgebrauch  init  Einleiinngen  und  erkUrepden 

Anmerkungen  rersehen 

von 

Dr.   iP.   Cr.    Sehoene. 

(Oberlehrer  am  Domgymnasinm  tu  Halberstadt) 
Mit  1  Kopfertafel.    gr.  a   1  Thlr. 


Lehrbuch  der  Mathematik 

für  Gymnasien  und  Realschulen, 
nebst  Tiden  Uebungsau^abei»  imd  Exeorscn, 


von 


J.  H.  T.  MMer. 

Erster  Tbeil,  die   gesummte  Ariibmetik  enthaltend«^ 
gr.  a  1  Thlr.  20  Sgr.  (1  Thlr.  16  Gr.)    *.         *  4 

« 

Kommentar  über  die  Genesis«'    * 

••     • . 

Von 
Dr.  Vr.    Tueh. 

gr.  a   3  Thlr.  7'/,  Sgr.  (3  Thlr.  6  Gr.)      ^     '   \ 


Im  Verlage  von  G.  P.  Aderholt  in  Breslaa  ist  so%^en 

erschienen :  .  ^  *  * '    **      * 


•  ft. 


Bellmann,  Dr.  C«  Fr.  A..  de  Aeschyli  temidne 
metheo   libri   duo,    quomm  iino   vinötuu  A« 

.   Prometfieum  e  temione  fragmentum  esse.^emqn 
tur,  altero 'ejusdem  Promethei  cum  igni^m  ^c 
Into  plurimis  indiciis  certiorfbus  compositio  ittitil 
tur  adjectis  Praefationibua  fragmentis.  8  01*1^/  .I^T 

Frejtag,  Dr.  6.,  de  Hrosuifha  Po^tria  8criW«j1 
Comoediam  Abrabaih  inscriptjim  adjecit.^  8  Biä{#  & 

Hempricb,  Dr.  C,   die  Eisen^ellen  »a  tfifkPftsi 

der  Grafschaft  Glatz^  iii  iilij  1  ili  nlim  lii>|fifct  iniyr 
nischer  Hinsicht  dargestellt.     Zpweite  umgetf^beif 
Auflage.    Mit  einer  Ansicht    gr.  8.    gMR;  1^  Gj 

Schneider,  Dr.  K.  F.  H.,  der  preufsisch^ Staat 
geographischer,   statistischer,   topographbcl 
militainscher  Hinsicht.    Ein  Handbuch  fät 
ein  Hülfsbttch'  fiir  jeden  Stand.  Dritte  unigi 
Auflage,    gr.  8.    1^  Thlr. 


I   • 


a 

Bei  F.  Schuster  in  Hevsfeld  sind  erschienen  wd 
alle  Buchhandlungen  zu  haben:  7 

Fflrstenau,  Dr«  G«,  de  camiinum  aliquot  Hdrafilai| 
rum  chrodologia.   Diasertatio.    gr.  8.    -^  Iw.  *. 

Piderit)  Dr.  C.  G.,  de  Hermagora  rhetore.  Dinsel^ 
tatio  inauguralis.    gr.  4.    |  l!'nlr.  '   f 

Vt>lkmar,  Dr.  G.,  de  verbi  leModi  natura  atqne  pr^ 
^enie^  prae^iipua  yerbonun  relegeodi  et  religendi  rs- 
üone  habita  commentatio  kxiiogica.    gr.  8.    |  Thlr. 


i*»Ai 


A  n  z  e  i  g  e  b  1  a  1 1 

z  11    d  e  n 

Jahrbüchern  für    wissenschaftliche   Kritik. 


1839. 


^^^i»#<»*\^H<^^i»iJ^MWO^^P# 


(Zweites  Semester.) 


Ji^% 


m 


Im  yerhi|;e    tob  Dnncker  und  Hamblot  in   Bertin  ist 
so  ebeB  eiacbieBen  bb4  durck  «lio  BuehhsBdlnBgeB  sn  erbaltea : 

ApfiorisBien  aas  Theodor  Parow*s  Nachlafs*  Heraus- 
gegeben von  £.  Mätzner.    gr.  8.    f  Tblr« 

Borinann,  über  orthographischen  Unterricht,  gr.  8. 
geb.    i  TUr- 

Heussi,  Jac,  <ye  Experimental-Physik,  methodisch 
dargestellt.  Ir  Cursnf,  2te  rerbesscrte  Aufl.  Mit 
88  eingedmckten  Holzschnitten,   gr.  8.    |  Thlr. 

JaibfBiicher  des  deutschen  Reichs  unter  dem  Säcbsi- 
'  sehen  Hause.  Herausgegeben  von  Leop.  Ranke« 
.  I.  3.  Abtb.  Konig  und  Kaiser  Otto  der  Erste,  951 
I  bis  973  von  W.  Dönniges.    1  Thlr. 

»ihT^in,  J.,  Beispi elsammluog  EU  der  Lehre  von  den 
r  Figuren  und  Tropen  in  Tb.  Ueinsius  Teat.  8.  ^  Tbl. 

4ftti^itei«ieke,  Dr.   Pb.,  Predigt  am  hundertjährigen 
« ICirchweibfest    der   Dreifaltigkeitskirche   zu    Berlin, 
'^«b«  h  äept.  1839.    I  Thlr. 

rrenTlB,  J.  D.  E«,  Friedrichs  des  Grofsen  Jugend  u. 
.  f)  TJironbeateiguDg.    Eine  Jubelschrift,   gr.  8.    2^  Tbl. 


» 
♦ 


Tto  Ferlnffe  von  DoBcker  Bsd  Hnmblot  ib  BerliB  IsCvor 
uiiEem  eracbienen  uDd  durch  alle  Buchhandlungea  za  bezieheB: 

•  Dr.  Karl  DauA's 

^flosophische  und  theologische  Vor- 
lesungen. 

HeransgegebeB  tob 

'  JUarAemeJke  pnd  Dütenberger. 

Dritter  Band. 
Auch  eiDzela  unter  dem  besonderoB  Titel : 

Vorlesungen 

■ 

iiber  die  Prolegomena  zur  theologischen  Moral 
und  über  die  Principien  der  Ethik. 

HeransgegebeB  vob 
Marheineke  und  Diitenberger. 

CT.  6.  Sttbf criptionspreis   bei  Abnahme  des  Oanzea 

2Tiilr.    EiBselB  ^V«  Tlilr. 


In  demselben  Verlage  ist  so  eben  erschienen  ond  durch  alle 
Buchhandlungen  zo  beziehen: 

Geschichte 

der  Einfährung  der  Reformation 

in  die 

Mark  Brandenburg. 

Zur   dritten   Säkularfeier 

am  1.  November  1839 

von 

C.  W.  Spieker, 

Dr.  der  Pbilosopfaie  and  Theologie. 

gr.  8.  geh.  Preis  »/«  Thlr. 


Die  anterzeidinete  Buchhandlung  erlaubt  sich  auf  folgende 
in  ihrem  Verlage  erschienene 

Vnterrlehtsbftcher 

aufmerksam  za  machen,  welche  bereits  wef^n  ihrer  Brauchbar, 
keit  in  viele  hiesige  und  auswärtige  G^'mnasien  und  Schulen  ein- 
geführt worden  sind: 

Dielitz,  Tb.,  Grundrifs  der  Weltgeschichte  fiir  Real- 
schulen und  die  mittlem  Gjmnasialklassen.  2te  ver- 
besserte Auflage.    ^  Thlr. 

Pisobon,  F.  A.,  Leitfaden  zur  atlgem.  Geschichte 
der  Völker  und  Staaten.  Ister  Tneil.  Geschichte 
des  Altert  bums.  2te  verbesserte  Auflage.    ^  Thlr. 

Dasselbe  Zweiter  Theil.  Geschichte  des  Mittel- 
alters.   2te  verbesserte  Auflbge.    ^  Thlr; 

—  —  Dasselbe  Dritter  TbeiL    Geschichte  der  neuem 

Zeit    I  Tblr. 

Als  llandbuch  fHr  Lehrer,  welche  den  Leitftiden  beim  Un- 
terrieht zum  Crfunde  legen,  erschien  vob  demselbeB  Ver- 
fasser: 
Lehrbuch  der   allgem.  Geschichte  der  Vcflker  und  StaatoB. 
ister  Theil.    Geschichte  des  Alterthnms.    ly,  Thlr. 

Roon,  Albr.  v.,  Grundzöge  der  Erd»,  Völker-  und 
Staatenkunde^  ein  Leitfaden  fiir  höhere  Schulen,  zu- 
nächst fiir  die  Köoigl.  Preufsischen  Cadetten-Anstal- 
ten  bestimmt.    Mit  einem  Vorwort  von  E.  Ritter. 

In  3  Abtbeilungen.    2te  ganz  umgearbeite  Auflage. 
Erste  Abtiieilong:  Topische  Geographie,  l'/i  Thlr. 
Zweite  Abtheilung:  Pliysische^  Geographie,  i*/^  Thlr. 
(Die  dritte  Abtbeilang :  Politische  Geographie,  wird  in  Kor-^ 
zem  erscheinen.) 


Heinsitis,  Dr.  Tb.,  kleine  theoretisch-praktisobe  deut- 
sche Sprachlehre  fiir  Schulen  und  Gymnasien.  13te 
yerbe^serte  Ausgabe.  4  Thir. 

—  —  Der  Redner  und  Dichter;   oder  Anleitung  zur 
*    Rede-  und  Dichtkunst.      6te  verbesserte   Ausgabe. 
I  Thlr. 

Kehrein,  Jac,  Beispielsaminlung  zu  der  Lehre  yon 
den  Fiiraren  und  Tropen  in  Th.  Heinsius  Teut. 
iThlr.        ^  * 

Kaiisch,  E.  W.,  deutsches  Lesebuch.  Erste  Ab- 
theilung. 2te  Aufl.  4  Thlr.  Dasselbe.  Zweite  Ab- 
theilung, f  Thlr. 

Waokernagel,  Dr.  K.  E.  P.,  Auswahl  deutscher 
Gedichte  für  höhere  Schulen.  3to  vermehrte  Aus- 
gabe. 1^  Thlr. 

Pischon,  F.  A.,  Leitfaden  zur  Geschichte  der  deut- 
schen Literatur.    5te  verbesserte  Ausgabe.  ^  Thlr. 


Frings,  AT.  J.  kleine  theoretisch-praktische  Gramma- 
tik für  Schulen  und  Gymnasien,  f  Thlr. 

Herrmann,  F.,  Lehrbuch  der  französischen  Sprache 
fdr.deU  Schul-  und  Privat- Unterricht.     Enthaltend: 

1)  Eine  französisch-deutsche  Grammatik  der  franzö- 
schen  Sprache,  mit  Uebungen  zum  Uebersetzen  in's 
Deutsche  und  in's  Französche.  2)  Ein  französisches 
Lesebuch  mit  Hinweisungen  auf  die  Grammatik  und 
Wörterverzeichnissen.    4te  verb.  Aufl.  |  Thlr. 

—  —  neues  französisches  Lesebuch;  oder  Auswahl 
unterhaltender  und  belehrender  Erzählungen  aus 
den  neueren  französchen  Schriftstelloru,  mit  biogra- 
phischen und  literarischen  Notizen  über  die  Verfas- 
ser und  erläuternden  Anmerkungen.  2te  verbesserte 
Auflage.   ^  Thlr. 

Büchner,  K.,  und  F.  Herrmann,  Handbuch  der 
neueren  französis^chen  Sprache  und  Literatur,  oder 

'  Auswahl  interessanter,  chronologisch  geordneter  Stü- 
cke ^us  den  besten  neuereu  französischen  Prosaisten 
und  Dichtern,  nebst  Nachrichten  von  den  Verfassern 
und  ihren  Werken.  Prosaischer  Theil.  2te  durch- 
weg verbesserte  und  vermehrte  Ausgabe.  1^  Thlr. 

—  —  Dasselbe.    Poetischer  Theil.  1|  Thlr. 

Beauvais,  L.  A.,  Etudes  fran^aises  de  Littdrature 
militaire,  extraitcs  des  ouvrages  de  Fr^d^ric  U.,  de 
Dumouriez,  de  Jomini,  de  Gouvion  Saint  Cjr,  de 
la  Rochejaquelin,  de  Dedon  Tatn^,  de  Mathien  Du- 
mas, de  Chambraj,  de  P.  Ph.  Sdgur,  de  Koch,  de 
Pelet,  de  Foy  et  de  Gourgaud,  dddiees  k  toos 
ceox  qui  se  vouent  ä  carriere  des  armes.  |  Thlr. 

Herrmann,  F.,  und  L.  A.  Beauvais,  Neues  fran- 
zösisches Elcmentarbucb,  enthaltend:  1)  Eine  sy- 
stematische Sammhing  solcher  Wörter^  die  in  der 
Sprache   des  Umgangs    am    häufigsten   vorkommen. 

2)  Kleine  Gespräche  über  allerliand    Gegenstände. 


3)  Eine  Auswahl  von  Galiicismen  und  Sprichwörtern 
in  aiphabet.  Ordnung.  4)  Erzählungen  für  Kinder. 
5)  Der  heilige  Dreiköuigstag,  Schauspiel  in  einem 


Act,  I  Thlr. 


Heussi,  Jac,  neues  englisches  Ledebuch,  oder  Samm- 
lung prosaischer  u.  poetischer  Aufsätze  von  den  vor- 
züglichsten neueren  englischen  Schriftstellern,  nebst 
einem  Wörterverzeichnisse.  Zum  Gebrauch  in  Schu- 
len und  beim  Privatunterrichte.  |  Thlr. 


Heussi,  Jac,  die  Experimental- Physik,  methodisch 
dargestellt.  Ister  Cursus.  2te  -  verbesserte  Auflage. 
Mit  38  eingedruckten  Holzschnitten.  |  Thlr. 

-—  —  Dasselbe.  2ter  Cursus :  Von  den  physikalischen 
Gesetzen.    Mit  5  Kupfertafeln.  I^  Thlr. 

Lehrbuch  der  Arithmetik  für  Schulen,  Gymna- 
sien und  den  Selbstunterricht.  Enthaltend  i  eine 
S rundliche  und  leicht  fafslicbe,  den  Erfordernissen 
er  neueren  Pädagoä;ik  angdhiessene  Darstellung  des 
Kopf-  und  ZifFcrrechnens,  und  deren  Anwendung  auf 
das  bürgerliche  Leben  und  auf  besondere  Geschäfts- 
zweige 4  Theilc  1^  Thlr. 
Der  dritte  Theil  auch  mit  dem  besonderen  Titel :  Samm- 
lung arithmetiBcher  Aai^aben.  Yi,  Thlr.  j 

Lacroix,  S.  F.,  Anfangsgründe  der  Arithmetik.  Nitcfi 
der  17ten  Originalaußgabe  aus  dem  Französischen 
übersetzt,  und  mit  einigen  Anmerkungen  versebeiL 
fThlr.  ^      •  .^ 

Lehrbuch  der  Elementar-Geometrie.    Ne^^üBe»^ 

setzt  und   mit  Anmerkungen  versehen  von  L.   Id^ 
1er.     Mit  7  Kupfertafeln.  1|  Thlr.  '  ,, 

Wilde,   E. ,   Geometrie    für  Bürgerschulen   und   ß 


untern   Klasse9   der  Gymnasien.    Mit    9 


fein.  1^  Thlr. 


und   fim 
Kfpfer^fi 


Hirsch',   Meier,  Sammlung  yon  Beispielen,  Fonncla 
und  Aufgaben  aus  der  Buchstabenrechnunxc  und 
gebra.    5te  dorcligesebene  Ausgabe.   1^  Thl^. 

(Das  Egen''8che  Handbiu;h  zu  dieser  Aufgaben-Saiiim6ii| 
welches  eine  Zeitlang  nicht  vollstündi^  zu  haben  \rar,   ij 
jetzt  in  2ter  verb.  Auflage  -wieder  zu   bekommt.     " 
beider  Bände  4%  Thlr.) 

l 

Wöhler,  Dr.  F.,  Grundrifs  der  Chemie.    Unorgani- 
sche Chemie.     5te  verbesserte  Auflage.   |  Thlr.      * 

Heinsius,  Dr.  Th.,  Vorbereitung  zu  philosophischen 
Studien.    Für  höhere  Schulen  und  den  Selbstunter- 


richt 


fThlr. 


Schuldirectoren  und  Lehrern,  welche  eines  oder  das  andere 
der  vorstehenden  Biieher,  Behufs  der  Einführung,  näher  prüfen 
wollen,  sind  wir  sehr  gern  erbötig,  ein  Exemplar  zur  Ansteht 
zu  überlassen.  —  Die  Preise,  welche  zwar  bereits  sehr  niedrig 
gestellt  sind,  sollen  bei  Abnahme  einer  Partie  Exemplare  noch 
ermäfsigt,  auch  für  arme  Schiller  Frei-Exemplare  beigegeben  werden. 

Dunerer  und  Humbtot. 


Nr.  20.  a.  ist  so  eben  erschieDoii  und  durch  alle  Bachbandlungen 
ZQ  tiezieheu: 

Jahrbüchor  des   deatdchen  Reichs  unter  dein  Sächsi- 
schen Haose.    Herausgegeben    ¥on  Leop.  llanke« 
Dritten  Bandes  erste  Abtheilong. 
Aach  aater  dem  Titel: 

Kritische  Prüfnnff  der  Echtheit  nnd  des  historischen 
Werthes  des  Chronioon  Corbojense»  Eme  von  der 
historisch-philologischen  Klasse  der  Königl.  Sooietät 
der  Wissenschanen  xu  Göttingen  im  December  ISSd 
gekrönte  Preisschrift  von  Siegfried  Hirsch  und 
Georg  Waitz.   gr.  8.  geh.   |  Thhr. 


Bei  Ernst  Maaritiaa  in  Greiftwalde  ist  erschienen  and 
in  allen  Buchbandlungen  za  haben : 

Plutarchi 

Agis  et  Cleonnieues. 

Recensnit  annotationem  criticam  prolegomena  et  commentarios 

adjecit 

Georg.  PrieiL  Sc/ioemann» 

8  nug.    Preis   V/^   Thlr. 


B  rann  seh  IV  ei  g  bei  G.  Westermann  ist  erschienen: 

Christenthum,  das,  des  19.  Jahrhunderts.  Zum  Ver- 
ständnifs  der  Straura'scben  Griindansicbten.  In  Brie- 
fen .an  eine  Dame.  8.  in  Umschlag  geh.  Preis  IfThLr. 

Die  Tendenz  dieser  geistreichen  Schrift,  welche  tief  in  die 
Zustände  unserer  Zeit  eingreift,  bezeichnet  der  Verfasser  selbst 
Bo:  „Es  mögen  diese  Briefe,  welche  beabsichtigen,  die  Frauen 
Ufff  eine«  bestimmten  Standpunkt  religiüser  Erkenntnife  zu  stel- 
kn  und  ihrem  anbewufsten  Umbertappen  in  dunkeln  Ahnungen 
«ti  Ende  zu  machen,  als  ein  Beitrag  zur  wahren  Eman- 
cipation  der  Frauen  gelten  etc.  —  Mögen  Sie,  schliefst  er, 
die  tiefe  Bedeutung  erkennen,  die^  gerade  sie  in  der  Geschichte 
der  Religion  und  des  Menscliengeistes  haben;  mögen  sie  nie 
vergessen,  dafs  diese  Briefe  ihren  üäuden  Gewalt 
flbe.r  die  Zukunft  anvertrauen! 


Bei  Oerhard   Fleischer  in  Dresden  ist  erschienen  und 
in  allen  Buchhandlungen  zu  haben: 

JV.  N.    W.  Meißner y 
Geschichte  und  Beschreibung 

der 

Dampfboote^  Dampfschiffe 

und 

Eisenbahnen. 

Mit  10  Steindmcktafeln. 
Preis  IV,  Thlr. 


6 

Bei  den  Unterseich neten  ist  sa  eben  ersclueneii)  nnd  ja  allen 
Bachhandlungen  vorrUthig:  ^ 

sive 

Coulpendiuni  Doctrinae  Ethicae^ 

auctore  AI-Gaxali  Tusenai^ 

philosopho  Arabam  clarissimo^ 

de  arablco  hebraice  conTersum 

ab 
Abrataamo  bar-Cliasdai  Baretnoneiiai,  . 

liber  argumento  lucalentissimus  et  oratione  dulcissimus, 

nunc  primum  ex  tribns  codicibus  vetustis 

Bibliothecae  Senatus  Amplissimi  Lipsiensis 
editus  hebraicisque  prolegotnenis  instractus 

a 

•7.  Ooldenthal^ 
Phiiosophiae  Doctore  AA.  LL.  Magistro  Rabinatusque  Candidato 

Auch  unter  dem  Titel: 

Preis  IV,  Thaler. 
Leipzig,  im  August  1839. 

Gebhardt  cf«  Retsland. 


Beim  Beginn  des  neuen  Semestern  der  Gymnasien  sind  nach- 
stehende philologische  Werke  zu  empfehlen,  welche  bei  K.  F. 
Kohl  er  in  Leipzig  erschienen  und  in  alfcn  Buchhandlungen 
«u  haben  sind. 

An do cid  18  orationes  quatuor,  receosuit  et  lectiomim 
var.  inatr.  Dr.  C.  Schiller.     1836.    ^  Thb-. 

Aristophanis  comoediae.  Emendavit  et  luterpre- 
tatus  est  Fr.  V.  Pritsche,  Prof.  Tom.  I.  Thesmo- 
phoriazusas  continens.  Adiecta  est  commentatio 
de  Thesmoph.  comici  poBterioribus.  gr.  8.  41  Bog. 
1838.  3^  Thlr.  (Tom.  ll.  unter  der  Presse.) 

Caesar! s,  C.  Jul.,  Commentariorum  de  hello  Gallico 
libri  VIII.  Grammatisch -historisch  erklärt  Ton  Dr. 
Ch.  G.  Herzog.  2te  Aufl.  ffr-  8.  mit  einer  Chatte 
von  Gallien  Von  Reichard.    1831.  3  Thlr. 

—  —  Commentariorum  de  hello  civili  libri  III.  Gram- 
matisch, kritisch  und  histor*  erklärt  tob  Dr.  Ch.  G. 
Herzog.'   gr.  8-    2^  T^lr- 

Cioeronis,  M.  T.,  orationes  selectae.  Vol.  I.  contin. 
orationes  pro  Q.  Ligario,  pro  rege  Deiotare,^  pro 
Archia  poSta.  Mit  kritischen  und  herichti^enüeniAn« 
u^erkungen  von  Dr.  ۥ  Benecke,  gr.  8.  1836.  |Thl, 


CieeroBi«,  M.  T.,  oratio  de  inporio  Cn.  Potn- 
"  peil.    Ad  o^tomorum  Godionm  fideui  einend,  et  ii>- 

terpretat.  alionim  et  suis  esuilaoavit  Dr.  C.  Be;ie« 

cke.  gr.  8.  1834.  1^  Thlr. 

de  oratore  libri  tres  ad  Quintam  fratrem. 

Kritisch  bericlitigt  und  mit  Comtnentar  beransgegeb. 
von  Dr.  K.  G.  Kuniss.   gr.  8.    1837,   3  Thlr. 

Lucianus,  ex  recenaioBe  Dr.  C.  Jacobitz.  Acce- 
dont  8cfaolia  auctiora  et  emendatiora.  III.  Vol.  1837 
—  38.gr.  8.  9  Thlr.   Charta  velina.  11  Thlr. 

Luciani  scripta  selecta  in  usum  scholaniin  ed.  C. 
Jacöbitzius.  Toi.  1.  insunt:  Somnium,  Nigrinus, 
Timon,  Prometheus,  Deorum  dialogi,  Mortuorom 
dialogi,  Charon,  Yitarum  auctio,  Piscator,  Cataplus, 
de  mercede  conductis,  pro  mercede  conductis,  Her- 
motimus.  1836.  gr.  8.    |  Thlr. 

—  —  Cataplus,  Jupiter  confutatus,  Jupiter  tragoedus, 
Alexander.  Recens.  et  illustr.  C.  Jacöbitzius.  gr.  8. 
1835.    1^  Thlr. 

P^utarchi  vitae  parallelae  ex  recensione  C.  Sinte- 
nis.  Vol.  1.  gr.  8.  1839.  3  Thlr. 

»-^  —  vit.  par.  selectae,  in  usum  scholarum  rccognitao 
a  C.  Sintenis.  Pars  1.  Tbemistocies  et  Camillus, 
Pericles  et  Fabius  Maximus,  Alcibiadcs  et  Coriola- 
nus,  Timoleon  et  Aemilius  Paulus.  16  Bogen,  gr.  8. 
f  Thlr. 

Quintiliani,  M.  Fabil,  Institutionum  oratoriarum  li- 
ber  X,  denuo  recoguovit  et  annotat.  oritic.  et  gram, 
instruxit  Ch.  G.Herzog.  Edit.  II.  gr.8.  1833.  | Tbl. 

— -  —  zehntes  Buch,  übers,  nebst  krit.  u.  gramm.  An- 
merk.  von  Prof.  Ch.  G.  Herzog,  gr.8.  1827.  IThl. 

Jleichard,  geographische  Nachweisungen  der  Kriegs- 
Torfälle  Cäsars  und  seiner  Truppen  in  Gallien,  nebst 
Hannibals  Zug  über  die  Alpen  (nebst  eifier  illum. 
Charte  von  Gallien  in  Fol.)    gr.  8.     1832.    \  Thlr. 

R  ei  n ,  Dr.  W.,  das  römische  Privatreoht  und  der  Ci- 
vilprocess  bis  in  das  erste  Jahrhundert  der  Kaiser- 
zeit  Ein  Hülfsbuch  zur  Erklärung  der  alten  Ciassi- 
ker,  vorzüglich  für  Philologen  nach  den  Quellen 
bearbeitet,     gr.  8.    2|  Thlr. 

Sallustii,  C. C,  de  coniarationeCatilinae  liber,  erklärt 
mit  Anfügung  einer  deutschen  Uebersetzung  von  Dr. 
Ch.  G.  Herzog,    gr.  8.    1828.    1^  Thlr. 

Xenophontis  Anabasis.  Mit  erklärenden  Anmerkun- 
gen herausgegeben  von  F.W.Krüger,  gr.8.  1830. 
1  Thlr. 

-*-  —  Text  ohne  Anmerkungen  von  F.W.  Krüger.  |Thl. 

Te'B  tarnen  tum,  novum  graece,  nova  versione  latina 
donatnm  ad  optimas  recenstones  ex'pressum  seleetii^ 
varits   lectionibus   perpetuo^iue   singol.   libror.  argu- 


8 

mentö  iMtnietnm  (aMita  lil.  Pavli  C^ritttliioa  epis- 
fda)  edtd.Dr.  Fr.  A.  Ad.  Na  ehe.  8.  («HBog.)  ISih 

Charta  vclin.  i»/,  Thlr. 
Charta  ünpc.  i  tUr. 

Testamentum,  novum  graeee.  Textum  ad  fidem  co- 
dicum  vcrsionum  et  natrum  recensuit,  et  leetionis  vsr 
rietatem  adiecit.Dr.  Job.  Jac.  Griesbach.  Yol.  L 
Quatuor  evangelia  oomplectens.  EUitionem  tertiam 
emendatam  et  auotam  Dr.  Dav. Schnla.  gr.8*  1827. 
(53^  Bog.)  3i  Thlr. 

—  —  Vol.  II.  Acta  et  epistolas  apostolorum  cum  apo- 
caljpst  comniectens.  Bditio  secunda  emendatior.  mul- 
taque  locupletior.  gr.  8.  1806.  (48  Bogen.)  3  Thlr. 

Auf  Abnahme  von  10  Exemphireii  erfolgt  1  Freiexemplar. 


Bei  George  Westermann  in  Braunsch weig  erschien : 

nAPAJOZOrPAQOI 


SCRIPTORES 

RERÜM  MIRABILIÜM 

€RAECI 


Insnnt  [Aristotklisj  mirabiles  auscaltationes  Antiooni,  Apol- 
Loxu,  PHLEOOKiTls  histofiae  mirabiles,  Michaelis  Pselxj  lectfo- 
nes  mirabiles,  rellquorum  einsdem  generis  scri^tornm  deperdito* 
ram  fragmeota.  Accedant  Phlegontis  Macrobii  et  Ol^nnpiadinn 
rcliqoae  et  Anonjmi  tractatus  de  mulieribiiB  etc.^ 

EDIDIT 

ANTONIUS  WESTERMANN 

PB.  B.  Lll'T.  €R.  ET  ROM.  118  imiT.  LIPS.  P.  P.   O. 

gr.  8.  Veiinp.  geb.  Preis  &  1*/«  Thlr. 


Die  nnterseiehnete  Teriagsbandlong  empfing  so  eben  die  ecsteii, 
sehr  gelungenen  Abdrücke  von  dem  wohlgetrofifenen.  Bildnisse  des 
Professors  der  Natan^issenschaften 

Dr.  Chr.  G.  Ehrenberg, 

gestochen  iron  C.    E.  Weber,  '/«  Bogen.    Imp.  Chines.  Velin- 
papier, mit  einem  Fac-SimUe  fibrenbergs.  Snbscnptionspr.  '/,  TU. 

Die  zabireichen  Verehrer  des  berShmten  Natnrforscbers  üm- 
chen  wir  auf  diesen  schonen  und  ersten  wahrhaft  ähnlichoB  Stich 
desselben  mit  dem  Bemerken  anftnerksam,  dhis  der  aafserst  bil- 
lige Subscriptionspreis  mit  Ende  dieses  Monates  erlisciit  und  spi- 
ter  ein  erhdheter  Ladenpreis  eintritt.  Alle  gute  fionst-  und 
Buchhandlungen  nehmen  Bestellungen  darauf  an. 

Berlin,  den  %•  August  1839. 

RtchterMche  BuchhandluDg. 


Bei  der  Arnoldischen   Buchhandlung  in  Dresden  und 
Leipzig  ist  erschienen  und  fn  allen  Buchhandlungen  zn  haben: 

die  zweite^  snm  Theii  umgearbeitete  Auflage  tod    ' 

Dr.  6.  H.  T.  Schubert,  (Prof.  in  Manchen)  die  Ur- 
welt und  die  Fixsterne,    gr.  8.    broch.  If  Thlr. 


1 

A  n  z  e  i  g  e  b  1  a  t  t 

s  11    d  e  n 

Jahrbtichem  für    wissenschaftliche   Kritik. 


1839. 


wi0iim0»f<»^^mm»*0is^^0'ßit^^» 


(Zweites  Semester.) 


^3. 


So  eben  bt  im  Verlage  voa  Duncker  nnd  Humblot  in 
Berlin  erschienen  nnd  durch  alle  Buchhandlungen  xu  beziehen: 

Kirchen-  und  Reformationsgeschichte 

der 
Mark  Brandenburg 

TOD 

C.  W.  Spieker, 

Dr.  der  Theologie  nnd  Philosophie. 

Erster  Theil.   gr.  8.   Sabecriptionspreis  ü%  Thir. 
Ladenpreis  3'/,  Thlr. 

Der  rühmlichen  Bestrebungen  nngMchteC,  welche  anf  dem 
Gmnde  allgemeinster  Theilnahme  der  vaterlUndischen  Geschichte 
sngewendet  worden  sind,  ist  dennoch  ein  für  die  Entwickelung 
derselben  höchst  wichtiger  Kreis,  die  Geschielite  der  Kirche  in 
der  Hark  unbeachtet  geblieben,  obschon  der  Eiuflnfs  derselben 
auf  die  Gestaltung  des  Staats,  anf  die  Forderung  und  Hemmung 
seiner  Kräfte,  auf  die  Erhebung  nnd  Herabwürdigung  des  Volks, 
kaum  irgendwo  deutlicher  hervortritt  als  in  diesem,  den  Slaven 
durch  Waffengewalt  entrissenen  Lande,  nnd  die  nkttrkische  Kir- 
che, durch  die  religidse  Gesinnung  der  Fürsten  nnd  deren  tlia- 
tige  Freigebigkeit,  an  geistlichen  Anstalten  und  frommen  Stiftun- 

fen  ebenso  reich  gewesen  ist,   als  die  südwestlichen  Gegenden 
Deutschlands.  r  •  • 

Unser  Vaterland  hat  seinen  Wohlstand,  seine  Kultur,  sein 
reges  und  freies  Leben,  seine  Intelligenz  and  Tüchtigkeit,  sei- 
nen Ruhm  und  seine  Groise  der  Reformation  zn  danken. 

Ungere  Zeit  nun  mit  der  Erforschung  dieser  Verhältnisse 
besehäftigt,  bewog  den  Verfasser  die  Feier  der  dreihundertjähri- 
gen Grandung  der  evangelischen  Kirche  'in  der  Mark  Branden- 
barg,  gerade  letzt  mit  einer  Arbeit  hervorzutreten»  deren  Gegen- 
stand  die  vollständige  Kirchen  -  und  ReformatioMgeichiclUe  der 
Mark  bildet. 

Der  reiche  Stoff  soll  in  drei  mäfsigen  Bänden  verarbeitet 
werden.  Der  erste  jetzt  erschienene  Hand  führt  die  Geschichte 
der  Kirche  von  der  Einführung  des  Christenthums  bis  zum  Er- 
löschen der  askanischen  Linfe  (1320),  der  zweite  Band  bis  zum 
Tode  Joachims  I.  (1^35)  und  der  dritte  Band,  der  die  eigentli- 
che Reformationsgeschichte  umfuAen  soll,  bis  zum  Tode  Joa- 
chims U.  und  seines  Bruders  Johann  von  COstrin,  1571. 

Nicht  zu  verwechseln  mit  diesem  Werke  ist  ^  die  von  dem- 
selben Verfasser  ebendaselbst  erschienene  Schrift: 

Geschichte 

der  Einführung  der  Reformation 

#     in  die 

Mark  Brandenburg. 

Zar  dritten  Säkolarfeier  am  1.  Novbr.  1839. 

gr.  8.   Preis  V,  Thlr. 


Femer  erschien  daselbst: 

Philipp  MarAeineke» 

der  t^ucschen  Reformation^ 

Zweite  Yerbesnerte  und  yerniehrte  Auflage.   ^ 

4  Theile.    8.    6'/,  Thlr. 

Dieses  Werk  hat  durch  die  darin  versuchte  eigenthümUehe 
Darstellung  der  Reformation  in  dem  nrsprüngKchen  Lichte  uird 
der  alterthdmlichen  Denk-  und  Redeweise,  mit  Verläugnung  al* 
les  eigenen  vorgreifenden  Urtheils  räsonnirender  Klugheit,  — 
wodurch  die  Wahrheit  nnd  Lauterkeit  der  Geitehichte  dieser 
denkwürdigen  Begebenheit  nur  zu  oft  und  zn  sehr  entstellt  ist, 
—  eine  solche  Theilnahme  bei  christlich  gesinnten  Gemüthem 
gefunden,  dafii  die.  erste  (nur  2  Bände  umfassende)  Auflage  sehr 
schneir  vergriffen  wurde. 

Die  gegenwärtige  zweite  Auflage  ist  nicht  nur  durchgängig 
▼erbessert  und  mit.  iKusätzen  bereicnert,  sondern  in  ihr  ist  auch 
die  Geschichte  bis  zu  Luthers  Tode  und  dem  Rellgionsfrieden 
herabaefObrt,  nnd  damit  zugleich  das  Werk  beendigt.  —  Die 
jetzt  ninzugekommenen  neuen  Bände  sind  für  die  Besitzer  der 
ersten  Auflage  des  Werkes  auch  einzeln,  zu  4  Rthlr.,  zu  haben, 

J.  D.  E.  Preufo^ 

Friedrichs  des  Grofsen 

■ 

Jugend  und  Thronbesteigung. 

Eine  Jubelscbrift. 

*  • 

gr.  8.    Preis  37«  Thaler. 

Der  Herr  Verfasser  wollte  in  diesem  Boche  eine  vollstän- 
dige Jugend-  nnd  Bildungsgeschichte  des  grofsen  Kd^igs" geben 
nnd  den  Moment  der  Thronbesteigung,  dessen  Jubiläum  uns  be- 
vorsteht, bis  zum  Einzug'  in  die  Hauptstadt  Schlesiens    urkund- 
lich und^so  umfassend,  ala  die  Quellen    es   gestatten^   schildern. 
Dadurch' ist  ein  so  lebendiges  und  so  ausgeführtes  Bild  der  2eit 
entstanden,  dafs  die  gesammten    äufseren  und  inneren  Verhält- 
nisse des  Vaterlandes  zur  interessantesten  Vergleich ung  mit  der 
Gegenwart  uns  vor  Augen  treten.    Was  politiscn,  kirchlich,  sitt« 
fich  und  kulturgeschichtlich  irgend  wichtic  ist,  das  geht  wie  zur 
Erinnerung  an  unserer  Väter  Zeiten,  in  frischen  Farben  wie  in 
Spiegelbilder,  uns  vorüber,  nnd  erfreut  uns  durch  den  müehtigen 
Fortschritt,  der  nicht  zu  verkennen  ist,  und  der  uns  unwillkür- 
lich anf  ein  späteres  Jahrhundert   ahnend  blicken  läfst.    Frie- 
drich Anden  wir  durchweg  im  Vordergrunde  nnd  die  218  ersten 
Tage  aus  seinem  Köniesleben,  die  uns  liier  gegeben  werden,  zei- 
gen klar,  dafs  sein  Jahrhundert  würdigst  eingeleitet  ist.  —   Bei- 
gegeben ist  als  Einleitung   zur  festlichen  Gelegenheit  gewisser- 
maisen:    „Das  Jubeljahr  1840  in    der   preafsischen    Alpnarchis, 
eine  historische  Erinnerung.^    Aus  dem  Anhange  heben  wir  als 
vorzüglich  interessant  hervor  Friedrichs  Gedient  an  den  Male^ 


*  I 


Antoiae  Pesne/als  derselbe    des  Kronprinzen  Mutter,  die  Ktini-' 
gin  Sophie,  im  November  1737  ita  Lebensgröfse  treu  und  scböu 

Seinalt,  im  Orijpnal  und  in  poetischer  Uebersetzun^  von  J.  G. 
acobi.  Auch  der  vom  Geh.  Ruth  Schlosser  in  Heidelberc  aus 
den  Pariser  Archiven  mitgetheilte  Brief  von  Voltaire  1753  aus 
Fratikfprt  a.  IVL,  wo  er  auf  preufsische  Veranlassung  fiesltgehal- 
ten  ward,  an  den  Kaiser  um  Beschutzung  diivfte  Auszeichnung 
verdienen,  nicht  weniger  des  feinen  Taktes,  als  des  Inhalts  sel- 
ber wegen.  —  Schon  das  Aeufsere  dieses  Buches  verkündet, 
dafs  der  Herr  Verf.  es  auf  anmuthige  Erzählung  abgese- 
hen, da&  ErgOlzen  und  Belehren  diesmal  seine  Hanptteudenz 
gewesen. 

Leopold  Rantej 

Färsteil  und  Völker  von  Süd-Europa 

im 

I6ten  und  ITten  Tahrhundert 

Vornehmlich  ans  uogedmckten  GesanjiQchaftsbericbten. 

Erster'Band.    Zweite  Auflage. 

Gr.  8.    Preis  2»/,  Thlr. 

Desselben  Werkes  zweiter  bis  vierter  Band.    Auch  u.  d.  Titel: 

Die 

Römischen  Päpste,  ihre  Kirche 

untl  ihr 

Staat 

im 

16ten  und  17ten  Jahrhundert. 

3  Bände.     Zweite  Auflage. 

Gr.  8.    Preis  Sy,  Thlr. 


Bei  Joh.  Ambr.  Barth  in  Leipzig  sind  erschienen  and 
in  allen  Buchhandlungen  zu  haben: 

Bretsehneider,  Dr. CG.,  Lexicon  manualo  graeco- 
latinum  in  libros  Novi  Testuiiienti.  Editio  III.  emend. 
et  aucta.     4  maj.    cart.    5  Thlr. 

De.8  8en  Handbach  der  Do^tnatik  der  evangelisch -lu- 
therischen Kirche,  oder  "Versuch  einer  beurtheilen- 
den  Darstellung  der  Grundsätze,  \velcho  diese  Kir- 
che in  ihren  symbolischen  Schriften  über  die  christ- 
liche Glaubenslehre  ausgesprochen  hat,  mit  Verglei- 
chung  der  Glaubenslehre  in  den  Bekenntnifsschriften 
der  reforihirten  Kirche.  2  Bände.  4te  vcrb.  und 
verni.  Aufl.    gr.  8.    5  Thlr. 

Goulianof,  J.  A..  de,  Archeologie  Egynticnne,  ou 
Recherches  sur  l'expresfiiou  des  signes  bierogljphi- 

2ue»  et  sur   les   öl^mens  de    la  laiiftue  sacr^c  des 
Igyptiens.    3  Tel.    gr.  in  8.    br.    ll^  Thlr. 


adiecit  Priäericui  Lindemannui.  Tomas  IV.  Fla- 
vium  BOäipatrum,  charisluui  et  diomedem  coDtinens« 
Faseiculus  I.  Cbarisius.  18ia  ^^  Bogen.  4.  2  Thlr. 
Druck-Papier.    3  Thlr.  Velin-Papiär. 

Je  liiiuHg;er  and  dringender  die  Anfragen  gewesen  aiod,  wel- 
che von  verschiedenen  Seiten  her  über  das  längere  AoableibeB 
der  Fortsetzung  des  Corpus  Grammaticorum  Latinorum  an  mich 
gerichtet  wurden,  um  so  mehr  hoffe  ich  dem  gelehrten  Publicom 
mit  dieser  neuerscheioenden  Ahtheilung  des  Ganzen  ein  willkpm-, 
menes  Werk  zu  bieten,  und  darf  zugleich  versprechen,  AvSb 
nicht  nur  die  beiden  andern  zum  vierten  Bande  getiorigen  Gram- 
matiker bald  nach  folgen  $  sondern  auch  die  folgenden  Bande  ohne 
weitere  längere  Uiiterbrechungeii  in  ,  fortlautender  Reihenfolge 
erscheinen  werden.  Die  äufsere  Ausstattung  ist  eben  so  sorg- 
fältig und  entsprechend,  wie  in  den  frühem  Bänden,  und  der 
Druck  rein  und  scharf,  aber  compresser  und  gedrängter,  als  in 
den  früheren  Bänden,  um  dadurch  der  ausgesprochenen  Klage, 
dafs  das  Werk  zu  weitläufig  j^jedruckt  sei  und  dadurch  zti  tbeaer 
werde,  in  entsprechender  Weise  zu  begegnen,  und  bei  möglich- 
ster Raumersparnifs  doch  aach  eine  zweckmäßige  und  gefällige 
typographische  Ausstattung  zu  erzielen. 

B.  G.  Teubner  in  Leipzig. 

Bei  K.  F.  Köhler  in  *  L  e  i  p  z  ig  ist  so  eben  erschienen  nnd 
durch  alle  Buchhandlungen  zu  haben;  ' 

B  0  d  e,  G.  11.  Dr.,  Geschichte  der  dramatischen  Dicht- 
kunst der  Uellcuon  bis  auf  Alexander  den  Grofsen. 
I.  Theil:  Tragödien  und  Satyrspielo.  (Auch  unter 
dem  Titel :  Geschichte  d.  bell,  üichtkmist  HI.  Bd. 
1.  Abth.)  gr.  8.  36  Bogen.    2^  Thlr. 

Den  Verehrern  und  Kenuern  der  griechischen  Dichtkunst 
wird  diese  Abtheilung  des  Bode*8chen  Werkes  eine  sehr  will- 
kommene Gabe  sein.  Der  gelehrte  Herr  Verfasser  giebt  die  ge- 
summte dramatische  Dichtkunst  in  einem  Bande,  wovon  die  er- 
ste gröfsere  Abtheilung  so  eben  erschien  und  die  zweite, .  als 
schliefsende  Abtheilung,  im  nächsten  Jahre  erscheinen  wird. 

Diese  schwierige  Arbeit  ist  mit  eben  soviel  Flcifse  als  €re- 
nnuigkeit  ausseführt,  und  den  Verehrern  und  Studierenden  der 
griechischer  Dramatik  ein  höchst  brauchbares  Handbuch  dadurch 
gegeben  worden.  - 

Vollständiges  Inhaltsrerzcichnifii  nnd  Register  ist  dem  Wer- 
ke beigegeben. 

Bis  jetzt  erschien  von  diesem  Werke: 
Geschichte  der  lielleuischeu  Dichtkunst:    I.  Bd.  Geschichte  der 

epischen  Dichtkunst  (1838).     337,  Bogen.    2'^  Thlr.     - 
11.  Bd.  1.  Abth. :  Jonische  LjTik,  nebst  Abhandl.  iiber  äl- 
testen Kultus    in  Volksliedeni  und  Tonkunst  der  Hellenen,   gr. 
8.     (1838)    35  Bogen.    2  Thlr. 

11.  Bd,  H.  Abtti. :    Dorische  und  Aeoiische  Lyrik.  .  (18381 

gr.  8.    31V,  Bogen.     2'/,  Thlr. 


In  meinem  Verlage  ist  so  eben  erschienen  und  an  alle  Buch- 
handlungen versendet  worden : 

Corpus  Grammaticorum  Latinorutn  Veteruin,  collegit, 
atixit^   recensuit  -ac  potiorein   Icctioiiis   varietatcm 


In  der  Arnoldischen^BnchhUndlnng  in  Dresden  und 
Leipzig  sind  so  eben  erschienen  und  in  allen  Buchhaudlnngen 
zu  bekommen: 

Ein  Handbuch  für  Gebildete  alier  Stände. 

A.  Müller,  allgemeine«  Wörterbuch  der  Aassprache 
ausländischer  Jbiigennaineu,  und  zwar  griech.,  latein.^ 
hebr.9  portug.,  span.,  franz.,  engl.,  ital.,  sohwed., 
däfi.)  niederl.,  ungar.,.poln.,  Juihm.,  russ.,  pars.,  ara-; 
bische  Personen-,  Länder-,  ^ädte-  und  andere  Na- 
men aus  allen  Theilen'der  Wissenschaft  und  Kunst; 
nebst  einer  allgemeinen  Aussprachlehre,  mit  deren 
Hülfe  mau  auch  andere,   im  Buche  nicht  Torkom- 


mende    Frerndnamen    aossprechen    kann*      Zweite^ 
gänzlich  nmgearb.  und  sehr  Term,  Aafl. 

Du  canse  W«rk  besteht  ans  Tier  Hefte«,  jedeis  zu  9  Gr., 
go  «lafs  das  Ganze  im  Prän.-Prei8e  nicht  höher  als  1'/,  Thaler 
zo  stehen  kommt.  Anf  10  Exemplare  wird  ein  Freiexemplar  ge- 
^^eben.  Der  spätere  Ladenpreis  wird  3  Thlr.  betragen.  Alle 
jiamhafte  Bnchhandlangen  nehmen  Bestellung  auf  daa  Ganze  an. 
Dos  erste  Heft  ist  bereits  erschienen. 

Neue  Reiscbeschreibung. 

Dr.  6.  Klemm  (K.  S.  Bibliothekar)^  Reise  durch  Ita- 
Ueib  Erster  Theil:  Bericht  über  eme,  im  Jahr  1838 
im  Gefolge  Sr.  K.  H.  dos  Prinzen  Johann.  Herzogs 
zu  Sachsen,  unternommene  Reise  nach  Itauen.  gr.  8. 
broch.    21  Thlr. 

Die  Fortsetzung  eines  wichtigen  Werks: 
Dr.  J.  O.  TA.  Gritßey 

Lehrbuch  einer  allgemeinen  Literärge- 
schichte 

aller  bekannten  Völker  der  Welt  von  der  ältesten  bis 
auf  die  neueste  Zeit.  Zweiten  Bandes  1.  Abtheil.^ 
die  Geschichte  der  Literatur  der  Araber,  Perser, 
Türken,  Syrer,  Juden,  Chinesen,  Griechen,  Italiener, 
Engländer,  Franzosen,  Dentscben,  Spanier  u.  s.  w. 
Tom  Untergange  des  weströmischen  Keicbs  bis  zur 
Zerstörung  des  oströmischen  Kaiserthums.  gr.  8. 
2^  Thlr. 
Der  erste  Band  in  2  Abtheifungen  kostet  7  Thlr. 

Neue  schöogeisüge  Schriften. 

Danti  Alighieri's  göttliche  Comöüie.  Metrisch  über- 
tragen und  mit  kritischen  und  historischen  Erläute- 

•  mngen  verseilen  von  Phiialethos  (von  Sr.  K.  H.  dem 
Prinzen  Jobann,  Herzog  zn  Sachsen).  Erster  Theil, 
die  Hölle.  Zweite  vermehrte  Aufluge  mit  Kupfern 
und  Karten,  gr.  4.  cart.  Prän.-Prcis  6^  Thlr.  bia 
Ende  d.  J. 

C.  Weisflog,  Phanfasiestücke  und  Historien.    Neue 
durchgesehene  Taschenausgabe.     12  Theile.    broch. 
5  Thlr.     Pran. -Preis   bis  Ende  d.  J.     Ladenpreis   , 
7  Thlr. 

G.    Schilling,   slimmtliche    Schriften,    Taschenaus- ^ 
gäbe.     71—80.  Theil.    Prän.-Preis  3J  Thlr.,   La- 
denpreis  5  Thlr.  —  womit  die  ganze  Sammlung  ge- 
schlossen ist. 
Alle  80  B&Ddcben  kosten  40  Thhr. 

Fr.  Bert  hold,  König  Sebastian,  oder  wunderbare 
Rettung  und  Untergang.  2  Theilo.  Herausgegeben 
von  L.  Tieck.    broch.  3^  Thlr. 

B,  F.  Manns te in,  die  Mystiker,  Novelle,  und  der 
Arzt  als  Scharfrichter.     8.    broch.    ^  Thlr. 

C.  V.  Stein>  Gedichte,    gr.  8.    broch.    |  Thlr. 


6 

JSo  «ben  ist  enchienea  und  durch  alle  soliden  Bnchkaadlnn- 
gen  za  haben : 

Dio 

englischeu  Universitäten» 

Eine  Vorarbeit 

zur  . 

englischen  Literaturgeschichte. 

Von 

f^.  A*  Huber^ 
Doctor  snd  ord.  Prof.  der  abendl.  Literatur  za  Marburg. 

Zweiter    Band. 
gr.a    1840. 

In  J.  C.  Krieger's  Verlagshandlung  in  CaseeL 

37  Va   Bogen. 
Preis  3  Thaler.. 


Im  Verlag  von  J.C.  B.  Mohr  in  Heidelberg  ist  in  die- 
sem Jahre  neu  erschiehen : 

Acta  Seminarii  philologici  Heidelbergen- 
sis.  Fase.  L  Sophociis  Ajax,  Electra,  Oodipus 
Rex  emiendatae  et  illustratae  ex  codicibus  Palatinis 
XL  et  CCCLVI.  Edidit  C.  L.  Kayser,  Fb.  Dr. 
8.  maj.    I  Thlr. 

Annalen,  medioiniscbe,  herausgegeben  von  der grofs- 
herzogl.  bad.  Sanitäts-Commission  -  und  den  Vorste- 
hern der  medicinischen  und  geburtshülflichen  Anstal- 
ten in  Heidelberg.  V.  Band  Is  und  2s  Hett.  Mit 
Abbildungen,   gr.  8.   geh.     iir.  X  Hofta  4  Tlilr.    « 

Archiv  für  die  civilistische  Praxis.  XXII.  Band,  la 
2s  Heft.    gr.  8.    geh.   pr.  3  Hefte  2  Thlr. 

Bahr,  Symbolik  des  Mosaischen  üultus,  in  2  Bän- 
den.    11.  Bund.    gr.  8^    3^  Thlr. 

Beide  BUiide  67,  Thlr. 

Dragendorff,  Dr.  Ludw.  Friedr.,  zur  Methodik  der 
Operationen  mit  besonderer  Berücksichtigung  der 
geburtshütlichen.    gr.  8.     geh*    \  Thlr* 

Hänsser,  Dr.  Ludw.,  über  die  Deutschen  Geschieht- 
.Schreiber  vom  Anfange  des  Frankenreiehs  bis  auf 
dio  Hohenstaufen.    gr.  8.    geh.    |  Thlr. 

Mittermaier,  Geh.  Rath,  das  Deutsche  Strafverfah- 
ren in  der  Fortbildung  durch  Gerichtsgebrauch  und 
Farticular-Gesetzbücher  und  in  genauer  Vergleichung 
mit  dem  ,£nglisoben  ui^d  Französischen  Straf-Proces- 
se.  Dritte,  gänzlich  umg'earbeitete  und  viel  ver- 
mehrte Auflage.    In  II  Theilen.    I.  Theil.    gr.  8. 

Der  II.  Theil  unter  der  Presse,    pr.  2  Theile  \k 
Thlr. 

Muncke,  Dr.,  Anmerkungen  zp  Zacharia's  französi- 
schem Civilrecht  (vierte  Ausgabe).     Ein  Nachtrag 


T^ 


SU  Treforto  badiBohem  Ci?ilrecht     fpf.  8.    1  Tha- 
ler. 

Nage  1^9  Geh.  R^tfa,  Lehrbuch  der  GebnrtshOIfe  Pdr 
die  Hebammea  im  Ororsherzogthum  Baden.    Vierte 
.   Terbesserte  Auflage,    gr.  8.    2  Thlr. 

— -  —  Kateohisinns  der  Hebafumenkunst,  als  Anhang 
cur  vierten  Auflage  seines  Lehrbuchs  der  Geburts- 
biilfe  für  die  Hebammen  im  Grofsherzogthum  Baden, 
fär  Lehrende  und  Lernende,  gr.  8.  (Unter  der 
Presse.)    f. Thlr. 

Schrift,  die  heilige,   Alten  und  Neuen  Testaments. 

fJebersetzt  von  -Dr.  W*  M.  L.  de  Wette.    In  drei 

Bänden.     Dritte    Terbesserte  Auflage,     gir.    Med. 

^Preisi  Auf  veifsem  Druckpapier  4  Thlr.  AufVeiin- 

Papier  6  Thlr. 

Staiger,  F.  X.  L.,  (Jeher  die  Hauptmittel  zur  Grttn- 
dung  besserer  Zeiten,  oder  wodurch  hauptsächlich 
mtd  die  Wohlfahrt  der  Familien,  Völker  und  Staa- 
ten befördert.  Ein  Buch  für  Alle.  Zweite  verbes- 
serte und  viel  vermehrte  Auflage,    gr.  8.     1^  Thlr. 

Zeitschrift,  kritische,  für  Rechtswissenschaft  und 
Gesetzgebung  des  Auslandes.  Herausgegeben  von 
Mittermaier  und  Zachariä.  XI.  Band  2s  und 
38  Heft.  gr.  8.  (XII.  I«  unter  der  Presse.)  pr.  3 
Hefte  2f  Thlr. 


8 

Bei  ET  L.  Bronner  in  Frankfart  a.  SL  ist  erschienen 
and  in  allen  Bachhandlungen  za  haben: 

Europa  im  sechszehnteh  Jahrhunderte, 

oder  Materialien  zum  mttndlichen  Uebersetzen  ans  der 
deutschen  in  die  lateinische  Spraehe,  nebst  einer 
Methodik  dieses  Unterrichts  von  Dr.  H.  W.  Ben- 
sen.    19^  Bog.    8.     1839.    1  Thlr. 

Von  der  Ansicht  ausgehend»  dafs  dem  SchOler  weder  eine 
spielende  noch  na  trockne  Unterricfatsweise  fromme^  und  dafs 
mündlicher  Sprachanterricht  die  Aufmerksamkeit  lebendiger  an- 
rege, als  blofs  schriftlicher,  iibergieht  hier  der  Verf.  der  Schule 
ein  Buch,  dessen  Inhalt  sehr  belehrend  und.  anziehend  ist,  and 
das  sich  seiner  Sprache  nach  Über  alle  LebensTerhältnisse  und 
Zweige  des  ^V^is'^ens  erstreckt.  Es  enthä'lt  zugleich  eine  solciie 
FiMle  von  sprachlichen  Anmerknneen,  dafs  der  Schiller  mit  gehS- 
•  riger  Anwendang  der  gegebenen  Methodik  in  kurier  2^it  gewUh 
bedeutende  Fortschritte  in  der  lateinischen  Sprache- machen  wird. 


Bei  J.  E.  Schanb  in  Düsseldorf  ist  so  eben  erschienen 
und  in  aHen  Buchhandlungen  zu  liaben: 

Die.  chronischeii  Krankheiten, 

ihre  eigenth um  liehe  Natur  und  homöopathische 

Heilung. 

Von  Dr.  Sam»  Hahnemann. 

Ster  und  Icizter  Theil.    Antipsorische  Arzneien. 

Zweite,  yiel  yermehrte  und  verbesserte  Auflage. 

35  Bogen  in  grofs  8.  auf  Vetinpopier.  ' 
Sabseriptions-Preis  2*7t,  Thir. 

-  Mit  diesem  Bande  ist  das  groikartige  Werk  nun  geschlossen. 
Ea  enthält  alle  sogenannten  antinaorischen  Arzneien,  mit  be- 
wundemswürdiffem  Fleifse  und  Scharfsinn  {geprüft  und  mit  Vor- 
wörtern als  praktischen  Einleitungen  zur  leichteren  Handhabung 
und  zum  Verständuifs  der  Prüfungssjmtome  versehen.  Der  %vis- 
senschaftliche  Arzt,  dem  es  darum  zu  thun  ist,  die  reinm  Wir- 
kvhgen  der  Mittel  kennen  zu  lernen,  die  er  bei  der  Wahl  in  ge- 
fahrdrohenden Krankheiten  oft  haorscbarf  za  unterscheiden  hat, 
wird,  welcher  Schale  er  auch  angehören  mag,  ein  solches  Werk 
gewifs  willkommen  lieifsen.  Grouere  und  werthvollere  Beitrage 
zu  den  jetzt  von  alUn  Seiten  ah  noHiwendif;  anerkannten  Prü- 
fungen  der  Arzneimittel,  hat  keiner  noch  geliefert,  als  der  hoch- 
betagte  und  erfahrene  Verfasser. 


In  der  Yosa'' sehen  Buchhandlung  in  Berlin  ist  so  eben 
erschienen : 

Beiträge  zur  Etymologie 

und 
vergleichenden  Grammatik 

der 
Hanpisprachen 

des  indogermanisclien  Stammes 

von 

Dr.  Albert  Hoefer. 

Docenten  a.  d.  K.  Pr.  Friedrich-Wilheuns-Üniversitilt  in  Berlin. 

Band  L  Zur  Lautiekre.  gr,  8.  32  Bogtn.  geh,  Freie  27,  Thir. 

Diese  Forschungen  sollen  dazu  dienen,  theils  die  Sprachwis« 
senschaft  als  solche,  theils  daa  VerstSndniib  der  einzelnen  Spra- 
che zu  fördern.  In  Utoterer  Beziehuog  sind  namentlich  das 
Sanskrit,  Griechische,  Lateinische  nnd  Deutache  beriickaichtigt« 
Band  I.  enthält  eine  allgemeine  Einleitung,  die  Lehire  Ton  &n 
Vokalen  mit  Untersuchungen  über  Gana  and  über  die  OecKo»- 
tionsformen  der  Sanskritsprache,  nnd  die  Geschichte  der  Liquida. 
Der  2te  Band  briogt  nene  wichtige  Untersuchungen  zur  Lautleh- 
re, und  der  dritte  nehandelt,  als  Vorläufer  eines  et^^mologischen 
\lörterbach8  dir  lateinischen  Sprache,  die  lateinische  Wort- 
bildung. _«__«_^ 

Bei  K.  F.  Köhler  in  Leipzig  ist  so  eben  erschienen  und 
in  allen  Buehhaadlangen  zu  haben: 

Redslob,  Prof.,  der  Begriff  des  Nabi  oder  des  soge- 
nannten Propheten  bei  den  Hebräern,  broch.  |Thlr. 

Der  Hr.  Verf.  giebt  in  diesem  Werkchen  eine  Untersuchung 
Über  die  Prophetenerscheinung  bei  den^Hebrfiern,  die  zu  den  er- 
schienenen grofKeren  Werken  aber  alttestamentliche  Forschnngen 
eine  ^willkommene  Zugabe  sein ^ wird. 

Redslob,  Prof.,  über  die  angeblich  relative  Grundbe- 
deutung der  faebräiseben  Partikel  (^3).  gr.  8.  |  Thlr. 

Diese  gründliche  Abhandlung  der  Partikel  ^3   reihet    sich 

an  die  frühem  gelehrten  Untersuchungen  des  V-erfttssei^  fiber 
die  hebräische  Sprache,  —  nnd  wird  für  alle  Kenner  ^'  — 
Sprache  Ton  Interesse  sein. 


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THB  NEW  YORK  PUBLIC  LIBRARY 

BBPBRBNCE  DEPARTMENT 

Tili«  book  it  under  no  oiroumttanoet  to  bo 
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