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J a h r b ü c h e r
für
wisseniä chaftliche Kritik
Herausgegeben
von der
üocletAt fflr wlBseiifiieliaftllcIie Kritik
zu
1 i
Jahrgang 1839,
Zweiter Band.
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B e r 1 i D)
Verlag voki Dniicker and Hmublot.
18 3 9.
VerantwoitUoher RedÄctenr: der General •Secretair der Sooiet&t, Prpfess'or von Henning.
•THE HEW YOfi»
POBUC LIBRARY
MRHt tSNOZ MtD
TtLDBM TOUNOATIOMS
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wissen
^1.
Jahrbücher
f u t
s c h a f 1 1 i c h e
Juli 1839.
Kritik.
\) Die retigiSge EigenthSmlicKkeit der lutheri-
schen und der reformirten Kirche. Versuch
einer geschichtlichen Vergleichung von Mao;
Oöbel, Predigtamtskßndidaten. Bonn, 1837.
bei Adolph Marcus. XXIV. n. 321 8.
2) Befermßtion^ Lutherthum und Union, Eine
• historisch^ dogmaiisehe Apologie der lutheri-
schen Kirche und ihres I^ehrhegriffs von Dr.
A. O. Rudelbachj Consistorialrath und Su-
periniendent. Leipzigs 1839. Druc% und Ver-
lag von Beruh. Tauchnitz jun. XIII. u. 672 jS.
Die in der neuesten Zeit entstandenen^ Tielfaohen
Trennungen , in der evangelisohen JCirohei die Anfein-
-dvngen delr UniiMiBBafihe kann man ohne Zweifel %vm
^rofsen Tbeii aus einer wek verbreiteten Verkeannng
dier refermirten Kirche herleiten* ' Diese Verkennung
war aber eine natiiitiehe Folge d^ rea§^readen Wea-
duig Ui den religiösen Ansiobteui und sie wurde sogar
liesilnstigt dwoh eine noch allgemeinere Tendena^ ^s»
iwtorisohe Recht über das ideale Recht hocib zu erh^-
lieii. In dielier Richtung mophte man nicht sympathi-
«r^n mit den MUkrtjrw»» mit dem Blute decer, die
unt des Wortes Gottes wiUen erwürget sind, und n«oh
4er Apokalypse (K. Q) unter dem Altare der ewigen
Kirche begcahen liegen; man betrachtete sie als ein
durch VoreiUgkeit gefisUenes SehiUsches Corps im
Glwhensgeb&et, und so fiel denn auch auf die Kirche,
welche so reich au Märtyrern ist ,,sie wie #r roU scfaö-
mest Schmach** dar «t&rkste Schatten. M^p ▼jsvmiiirte
in der reUgiöseu Reaktion das reiche QereiQoniell in
d^r evangelischea Kirche, und du erschicin idcnn aller-
4i0gs die reformirte als, die am meisten verarmte. Wefl
'BMW sich die spezifische Erhabenheit der Gewissens-
Dreiheit über jede andre Art menschlicher Freiheit hatte
Jahrh. /. «riiMiueA, KfUik. J. 1839. II. Bd.
Tcrdunkeln lassen, so erschien die Refsnnatbn in ej-
ner trflben Verwandtschaft mit der Revolution, und
ganz natürlich war nun die refomkirte die revolutio^
nftrste KirchCii Ganz becfonders aber mufste ne den
Vorwurf des Rationalisirens erdidden, weil sie die Deu-
tung ißt mysterLSsen Abenilmahlsworte versucht hatte;
nnd namentlich Zwingli wurde als der trockne, gemfith-
lose Rationalist des Reformatiousperiode mit der
sißhwersten Schmach beladen. Und doch hat er gerade,
nuur erlaube mir, diers vorab an nehmen, mit seiner
Auslegung der Abeodmahlslehre ein nnsterblicbea. Ver-
dienst} oder vielmehr, er ist von Gott gewürdigt wor-
den, in diesem Punkte das uitgemäfse, reformatori-
adie Losungswort auszusprechen« Man wolle uns mcht
voreilig die AbsurditSt zuschreiben, wir beabsichtigten
Zwingli^s Lehre vom Abendmahl, als die bessere gegdn
die^ lutherische, zu vertheidigen. Unsere Ao%abe ist
die, sie als die spsxjfiseh reformeftorisehe neben der
lutherischen geltend zu machen. Für den Jetzigen
Standpunkt der Tfa^logie können die Auslegungen der
beidjen Refiormatoren nur als Momente einer und der-
selben Lehre betrachtet werdw. Die Reihenfolge der
Momente ist wohl diese. Brod und Weih ist vor der
Feier des Abendmahls da, und ist in diesem Stadium
eben nicht der Leib und das Blut Christi. Diese Vor-
etnfe der AbendmaUslebre muis mit beueichnet wer-
den, um die spütare Alterimng der Lriire zu verhü-
ten. Nun wird Brod und Wein fcooasfcrirt sAm Ge-
djlcbtnib des Todes Jesu, und bedeutet jetzt seinen
Leib und sein Blnt DieGi ist das Zwlnglische Mo-
^ment. Seipe Nothwendigkdt liegt in dem Umstände,
jdaTs das Abendmahl keine $Mue und 0mdt0 Erlöanng
ßlr sich ist, sondern dab es nur Heil bringt In semer
lebendigen Beziehung zu dem Opfer des Leibes und
Blutes Christi am Kreuz. Wer das Abendmahl ganz
als eine HeiUgabe för sich bebandelt, und von der
Bedeutung absolut abstrahirt, der verfielt mit den
3 C hri» t li e k
m
Mefsgläubigen der SuperstitioD. Der Ql&u|;ige tritt
also im Gieiste durch die Hülfe de^ Zeichen unter das
Kreuz Christi. Hier aber ergreift }hn der versöhnende
und triuni£hirende Geist Christi, und zieht sein Herz
in den. Himmel empor^ so dafs er mit dem yerklärten
Leibe Christi geistlich vereinigt vird. Diefs ist das
Moment der Calvipischen Abendmahlslehre. Aber Chri-
stuB gibt dem CoJEnmunizirenden den Geist in der Kraft
seines gotünenschliohen Lebens. Mit seinem Geisjte
gebt eine Kraft von ihm aus; der Geist ist nimmer
allein; auch der Geist Christi kommt mit dem Leibe
und Blute Christi, in, mit uod unter dem Brod und
Weine zu dem Communikanten. Auch der Ungläu-
bige wird TOD diesem Leben frappbrt, berührt — zum
Gerichte. Diefs ist das lutherische Moment. Und
nun—* wird das gesegnete Brod und der gesegnete
Kelch verwandelt in das Leben des Christen und/ so-
fern der neue Mensch in ihm herrscht» sofern Christus
in ihm lebt, in den Leib und das Blut Christi. Diefs
ist ist gesunde Sinn des katholischen Momentes in der
Abendmahlslehre, in seiner Befreiung von dem Aber-
glauben der Transsubstantiationstheorie *). Indem wir
über Luther hinausgehen müssen, ist es ausgemacht,
dlifs wir nicht bei Zwingli stehen bleiben. Und das
ist der Torwurf, der Zwingli's Behauptung seiner Lehre
mit Recht treffen mufs, dafs er sich gegen die fol-
genden Momente verschlofs. Er ist aber dadurch im
Yerhältnir« zu Luther entschuldigt, dafs dieser die
reformatorisoh^ Kraft des Zwinglischen Momentes nicht
erkennen mochte; Die Abendmahlslehre war zu seiner
Zeit in eine absolute Satzung erstarrt, woran die le-
bendife Einsicht keinen Theil hatte. Das Mefsopfer
war eine Gottheit für sioh, ein Heil für sich, eine Ver-
söhnung für isich. Nun handelte es sich um einen gold-
nen Wundersehlüssel, diese durch die Superstition
verzauberte Burg wieder auizuschliefsen. Diesen Wun-
dersehlüssel hat nun Gottes Gnade dem Zwingli an-
. vertraut, .dem armeu, trocknen' Sehweitzerpastor. EJr
fuMe mi'tseinem Worte ,^« hedeutet^ die Christenheit
von dem Abendmahle zu dem wirklichen Kreuze Chri«
sti, und so zu dem Geiste Christi, seines Opfertodes
und semes Abendmahls' zurück. Wenuc ein Dogma
durch Superstitjon für • die Einsicht . rein verschlossen,
^) 8. Bayijioffiery die Ides dea Chmtenthüma. . Marburg;, 1836*
S. 76.
e S y m b o n k\. 4
und ein absolut Positives gewordeil ist, so ist einst-
* weilen die magerste und trockenste Einsicht besser,
als die reichste, durch die Satzung gebundne Ahnung^
^ wenn sie anders den Eingangspunkt richtig getroffea
hat, und sofern sie sich nicht hinterher in sieh selber
abschUefst gegen die Geheimnisse, welche der wirkli*
che Eingang vermittelt. Das Wort ei bedeutet war
zu seiner Zeit em Lichtblitz der göttlichen Erbarmung
,fur die Christenheit Da aber Zwingli in seiner Mensch-
lichkeit nicht in das Innerste des Heiligthums mit sei«
nem Schlüssel hineinkam, so blieb Luther berechtigt
in seiner Verwahrung des Mysteriums. So gewinnen
die beiden Reformatoren erst in ihrer Union das apo»
stolische Maafs. Die reformirte Kirche hat ihre Abg^
schlossenheit in der abstrakten Sphäre ihres „Abend*
mahlstisches" gebüfst, aber sie hat doch den Leib und
das Blut Christi über Bitten und. Verstehen genossen;
die lutherische Kirche hat ihre Abgeschlossenheit .ge-
büfst in dem vielbeklagten Aberglauben, womit sich
ihre Sterbenden ohne Unterschied das Abendmahl za
'einem Vademecum machten $ aber sie hat sich doch
fort und fort nach der Kraft ihrer am innigsten ergri£»
fenen Rechtfertigungslehre in Bufse und Glauben ge-
gründet«
Was in dem vorliegenden Falle geschah, das ge-
schah in allen wesentlichen Differenzpunkten. Die re*
formirte Kirche ergriff ihren Beruf in der RücMeht»-
losigkeit des christlich idealen, die lutherische in der
Pietät des christlich historischen Rechtes. Die erstere
bewegte sich mit alier Kühnheit der Gewissensfreibeif^
die andre mit aUer Zartheit der Gewissensschonung«
Die eine machte einen absoluten Bruch mit dem Anti-
christlichen, die andere hielt treu zusammen mit dem
Christlichen in der katholischen Kirche. Die\eine
stürzte sich mit begeisterter Verwegenheit in das 3ad
der Erfrischung und Erneuerung, die andere ging mn-
thig und dennoch sorgsam hinein nach den Regeln der
Diät. Diese Eigenthümlichkeit der reformirlen Kird^
gibt ihr allerdings einen schwärmerischen Zug, aber
sie ist keine Schwärmerin, denn sie hat sioh in dte
Grundprinzipien des Christentbums 'tief beruhigt und
auferbaut Ihr sind aus dem Grunde des christlichen
*
Lebens, des christlichen Geistes, des Wortes Gottes
Kinder geboren worden, wie der Thau der-MorgenrS-
the; es ist vorzugsweise die Kirche der tiefgeheitten,
geheiligten- Individuen, die ohne kirchliche Vermitte-
6 . Christlich
long; mit Christo und mit sich allein f^hiÄy die in dem
Haupte ;der Kir<^be die ganze Kirche haben. Die la-
therisehie Kirobe hat einen Zng des Ceremoniös-Andäch-
tig«i bebalten, veil sie aber ans dem Grunde der Recht-
fertignng geschöpft, und doch das Historisch-Kirchliche
nicht unwerth gehalten hat, so ist sie die Kirche ge-
worden der acht christlichen Familien^ und Staatsbil-
dnng, und ihr sind anvertraut worden die Schulen, die
' Wissenschaften, die Künste, die Gesänge im Reiche
Christi $ sie hat in der Kirche und ihren Gliedern das
Haopt wieder gefunden« Die reformirte Kirche ist ihr
ebenbürtig, lutherisch in ihrem Grunde, denn da hat
sie die Posaunen des Gesetzes, die Bilder des Wortes,
die Mystik des Abendmahls. Die lutherische Kirche .
ist aber ebensowohl reformirt ini Grunde, denn da ist
ihr die Rechtfertigui^ mit der Gewissensfreiheit iden-
tisch^ wie diese Identität ausgedruckt ist in dem Worte :
Wer wiU Terdammen? Christus ist hier! Die Erstere
fand das ganze erscheinende Christentbum vom Aber^
glauben infizirt Auch die Orgeln, auch die Glocken
nahmen damals die Geister unter den Irrthum werkhei-
liger Andächtigkeit mitgefangen. Darum that sie alles
bei Seit, und badete sich im tiefen, stillen Grande des
Wortes. Aber sie verirrte sich, indem sie einen Werth
auf diese Abstinenz legte, - und die christlichen Prinzi«
pien mit dem christlichen Erschdnungsleben in Wider-
sprach setzte. Das Recht der historischen Erschei-
noDg wurde an ihr selber gerächt. Sie ging hinein in
dais^ Prinzip der AUemherrschaft des Wortes Gottes.
Weil sie aber aas dem Worte Gottes eine dogmati-
sehe Wissenschaft zu schöpfen wenig Fleifs zeigte, so
spielte das Bediirfnifs des Wissens in allegorisirenden
Deuteleien um die Worte der Bibel herum» Sie ver-
seokte sich tief in dei| Trost der Gnade bis auf den
RathschluTs der Erwählang. Weil sie aber die Bedin-
gongen, *die Yermittelungen , die Erscheinuag dieses
Trostes in dem Ldben der Wiedergebomen nicht mit
diesem Tröste zusammenfafste, so kam sie, indem, sie
sich .darin, gefiel, in dem heiligen Dunkel zu verharren,
iB einzelnen Aeufserungen . auf das unheilige decretum
borribile. Sie jwar nun einmal von der. Politik des
Bapstthums . frei geworden , und weil sie freie Hand
bekommen hatte, so. begründete sie ein biblisch conse-
qoentes Kirehenwesen. . Aber sie verfiel dem. hiatori-
aohen Er^cheinungslebe'n auf die empfindlichste Weise,
indem sie.es.am meisten in semer Verkehrtheit zumei«-
e Symbolik. ^ 6
den glaubte. Indem sie das alte Testament in seiner
. Gültigkeit als gleichbeirechtigt mit dem neuen genom^ .
men hatte, wandte, sie den mosaischen Canon, nach
welchem die Gotteslästerer mit dem Tode bestraft wer«
den sollten, auf den Servet an, und so zuckte ein
Blitzstrahl dps Papstthums gerade aus ihrer schwär-
merisch tingirten Idealität und Bibelgründlichkeit em-
por, weil sie die Unterschiede der Zeiten, der Oekono-
mien, mit einem Worte das JRecht der christlichen
Historie verkannt hatie^ nach welchem keiner mehr
um des Vorwurfs der Gotteslästerung allein willen hin-
gerichtet werden soll, weil Christus selber unter die-
sem Vorwurf ist gekreuzigt worden, und weil das
Endurtheil über, diese Rechtsfrage nun in das Weltge-
richt verlegt ist Uebrigens hat die reformirte Kirche
trotz dieser Extravaganzen doch den Segen prinzipiel-
ler Gründlichkeit behaltep. Ihre unbedingte Vertiefung
in das Wort Gottes brachte die Frucht einer reichen^
emphatischen Exegese zu Tage. Ihre Erwählubgslebre
war darin bevorzugt, dafs^ sie die Erwählung mit dem
Rathschlufs vor der Schöpfuog identifizirte, da(s sie
dieselbe in der Natur, des Auserwäblten,- in Christo,
und in den substantiellen Naturgaben der Auserwähl-
ten verwirklicht fand, . während sie durch. VoreiUgkeit
den Gegensatz der Verworfenen in sdiwärmerischer
Consequenz fingirte, statt die Gradationen in der gött-
lichen Heilsökonomie z\\ erkennen« Zum Theil aber
wa^en an diesem Irrthum beide Kirchen betheiligt, in-
dem sie die Zeit des Heils für alle Menschen mit dem
zeitlichen Tode definitiv ; iibschlossen. Im Grunde er-
gab sich die faktische Prädestination auch für die lu-
therische Kirche aus diesem Abschlufs..^ Aiich schlich
sich ohnehin »die Pxädestinationslehre in das lutherische
System vermöge semer Zirkelnatur wieder hinein. Die
Lutheraner bedingten die Prädestijaation durch die
PdLscienz Gottes. Gott hat also die Gläubigen er*
wählt in der Voraussicht ihres Glaubens. Von der
Gabe des Glaubens jedoch ist die menschliche Mitwir- -
kung, der Synergismus ausgeschlossen. An. dieser
Stelle fällt also die^ Prädestination wieder in den Zir-
kel herein;, nur ungedügend geHiildert durch die Lehre
von der Gratia resistibilis , , weil diese Beschränkung
den Nichtohristea nicht zu. Gute . kommt. Der Trost
der Erwählung gehört allerdings in diese praktisohe
Sphäre hinein; aber der dogmatische Ort der Erwäh-
lung . fällt . nach reformirter Fassung in . die Gmndle*:
7 ' ChriMttiehe
gODg der Welt Die lutheriscke Kirohe würde bei alle
dem die reformirte epezifisdi fiberragen^ wenn sie m
ihrer AistoriseAen Pietät- nicht ebensawohl einen
tfiermS/Ugen Aecent auf Beibehaltungen^ Wie die-
refarmirte auf Abschaffungen gelegt hätte. Aoeli
sie blieb nicht in der Harmonie des Aenfieren nnd In-
neren. Unter der kirchlich fixirten Oberfläche trieb
der Fortschritt sein Wesen^ bis er theilweise aus den
Prinzipien weit hinauskam. Da gab es allmälig in der
Kirche eine formnla concordiae^ und in deh Gemütbera
dagegen eine schleichende ^oncordiQ discors, ttberall
aufzuckende Kryptokalviniemen. Da wurden die Re-
formirten vertrieben aus den Intherisehen Städten^ md
Sozinianer stahlen sich auf die lutherischen Kanzeln.
Da wurde das Abendmahl gefeiert mit allem Rigoris-
mus alterthumlicher Observanz, aber nltrazwingliscb«
Auffassungen' drangen ein in die Abendmahislebre.
Man intonirte die Liturgie, man predigte etwa im wei-
fsen Chorrock, aber die Predigt selber diente vielfäl-
tig der falschen Aufklärung des Unglaubens. Man
gerieth bei allem Reichtfaum herrlteher Lieder hinein
tu die „GesangbQchsnoth'* und sang bisweilen gereimte
Weltmoral, während sich die reformirte Kirebe in gro« .
fsen Strichen neben den Psalmen und rinigen andern
Liedern an Luthers nnd Paul Gerhards Gesängen
erbaute. Freitich war diese Letztere in ihrer kireUi-
ehett Erscheinung noch nicht zum neuen Glänze aufer-
standen, und der einzige liturgische Lebenssehimmer,
den sie hatte, war zuletzt der verdorbne Kanzelpatbos
ihrer Prediger. Aber sie hat ihren Kern bewahrt; sie
hat ihn in vielen Gliedern nnd Gemeinen durch die
Zeit der sdiwersten Prüfung hindurohgerettet. Die
lutherische- Kirche aber hat sieh ans der abgestorb-
nen kirchlichen Verhttllnng wieder in ihren tiefen Grand
versenkt. Und in diesem Grunde haben eich beide
Kirchen als Eine erkannt, und zusammengefunden. ^ Sie
haben einander die Hand gereicht !n ihrer Armuth,
Imd so haben sie sich plötslich wieder bereidiert ge-
sehen durch -ihr gemeinsames, historisches Erbe. Als
die Union formell verkündigt und empfohlen wurde,
da war sie im Leben längst vollzogen. Man hat die
Union vielAltig gescholten, als ein Werk des Indiffe-
rentismns. Auch läfst sich nicht läugnen, dab der In-
differentismus mannigfach an ihr betheiligt ist. Allein
'den Indifferenti^mos gegen die Meinnngshitze der Vlr
SymbaliJk. 8
ter kann man wohl lobenswertf^ finden, hdiffsrentis»
mns gegen die Braderliebe wird es wohl bifgend ge-
wesen sein. Der Indifferentisnins gegen die SfmMm
der beiden 'Kirchen allein macht keine Union. Macht
sie aber der Indifferentismus gegen die Unterschiede
der Symbole, so lasse man diefsmal den dunklen Glan*
ben'an das Mysterium ihrer wesentliohen Einheit wal-
ten zum heilbringenden Frieden, wie man ehedem fiber
den HaarspitEea ihrer äufserlichen Differenz die zer-
trennenden Exkommunikationen vollsogea hat. Wenn
der gemeinsame Indifferentismus fnr die Union ist, folgt
daraus, dafs der gemeinsame Glaube an den Erlöse
und an alle Grundlehren des Heils gegen die Union
sein sollf Sollen wir einander exkommnniziren , nnd
uns defsbalb Belobangen ertheilenf Es scheint in der
That so, dafs manehe Reformirte nnd manche Lu-
theraner sich in diesen Widersprach dogmati^her Veiv
zweiflung versenken, dafs sie sich nniren woUen in der
Disunion.
Die evangelische Kirche findet sich unauflöslich
unirt in der Verschmelzung der lutherischen und r^oxw
mirten Eigenthümliehkeit Sie war immer reformirt im
tiefsten Grande, daher, wie man es nannte, kryptocal»
vioistisch. Sie war Immer, so zu sagen, lutheriseh in
der Ekitfaltnng ihres GkMibenslebens; Luthers eige»-
thömliche Fassung deff Rechtfertigungsglaubens, Lii*
thers Bibelüberset^ng, Luthers Lieder, Intheriacbc
fiildnng nnd liinsseBsebaft gingen weit und brctt
durch die reformirte Kirdie. Was nnn Gott durch
drei Jahrhunderte immer mebr cusammengefllget hat,
das soll heute kem Mensch wieder scheiden. Maa-
che wollen heut zu Tage die alleinige Geltung, die
Aussehlieisliohkeit der lutherischen Kirche feststdüen,
nnd verwerfen die Union aus dogmatischen Gründen.
Mögen sie sich besinnen, <ih sie den Geist Christi in
der retbrmirten und unirten Kirche so verwegen Ter-
läugnen dürfen, ohne zur Strafe in fleischliches Trei-
ben zu verfallen. Sie werden nachgerade commoni»-
ren mit allerlei Volk unter dem Bimmel, wenn es nvr
in der lutherischen Kirche nach der Tradition g^aoft
ist, wäbrend sie den innigsten Glftnbigen aus der re-
formirten Kirche die Communion versagen. Dafs die
Verwerftmg der Uniod aus dogmatisch -konfessioneilea
Grfinden eine Exkommunikation ist, liegt am Tage.
(Die Fortsetzmig folgt.)
J a h r b fi c h er
' " » für
wissenschaftliche K r i t i k.
Juli 1839.
* #.
1) Die r€l^;wse EigenthumUchkeit der lutheri-
schen und der reformirten Kirche* Versuch
>
einer geschichtlichen Vergleichung ton Mas
Oöbel.
9
* %
2) Reformation^ Lutherthum und Union. Eine
historisch' dogmatische Apologie der lutheri-
schen Kirfihe und ihres Lehrbegriffs van Dr.
A. O. Rudelbaoh.
(Fortsetzung.)
Ihr al80> Eifirer f&r die latharische Rechtgliubigw
keit^ exkornrnrnifeirt die unirtey ond in ihr die refofw
mirte Earohe^ oline su fragen, ob 'sie nicht den ganzen
Gehalt des Lntberthnms in sich an%enonunen. Ihr
lieruft xor Communion den ganaeen traditionellen luthe-^
riechen Norden, ohne euch Torzusehn gegen die Krjp-
tocalyinismen — oder gar gegen die Neologismen, wel-
che ihn überall durchdrangen haben» Aber ihr seht
«ach freilich vor, indem ihr ench Ton derStaatskirohe
yöUig losreifst, indem ihr euch independent macht nnd
die strengste Kirchenzocht und Presbyterialverfassnog
•mter euch einführt Aber Intherische Independenten ^^
das ist nou $ es ist vielmehr eine ultrarefontoirte Ei«-,
m^toinnng« .Lostrennnng vom Staat, anf blofse PrA*
enmtienen hin, strenge, apostolische ELirchenzucht, bi«
bliaeii^ Presbyter, alles das ringeführt, ohne irgendwel-
idie lutherische Piet&t gegen die historische GegenWart«
das sind zum Theil nitrareformirte, som Theil llchtr^
formirte Erscheinangen. Und nun fassra wir diesseits
bei den Reformirten das Lutherische und * Ultralothe»
riache in's Auge. Hier erscheiiien iü reformirten Stri-
cken Bltttben des Antinomismus* • Sind sie reformirt
oAggt lutherisch f Sie -beziehen sich freilicli zunächst
asif die Prädestination. Aber die altreformirte Präp.
ieetinationslehre war von aller Streoge alttesta»
flsentlicher Gottesfurcht, biblischer Gesetzlichkeit um»
* JsAr6./. wtupttek. Knäk. J. 1839. IL Bd.
zäunt ; der Antinomismns ist ein Aufflackern nltralnthe-
rischer Eigenthfimnchkeit in Mifsdeutungen der Lehre
von der Rechtfertigung durdi dem Glauben» Hier wird
die Agende aufgenommen, obwohl sie die Formulare
des lutherischen Typus mitbringt Die Grade der Be-
geisterung sind sehr verschieden, sie sinken an ein-
zehien Stellen bis zum Gefrierpunkt und tiefer hinab;'
aber man nimmt die Agende dennoch an um^ ihres
Glaubensgehaltes willen, wegen der kirchlichen Ueber-
einstimmung mit dem evangelischen Alterthum, und
der gesummten Staatskirche, ist diels nicht ein acht
lutherisclies Motiv, wie es fikr die' altlutherische Kirche
in ihrem Zusammenhalten mit dem kirchlichen Alter-
thum und mit drtn Staate hnmer bestimmend und ent-
scheidend gewesen ist f So sehr also hat uns die Union
durchdrungen, dafs jetzt beide Confessionen unbewufst
ihre Rollen wechseln. Sehet euch vor, dafs ihr nicht
in uns euren Glauben exkommunisirt, und zudem euer
Bekenntnifs, die Augsbu^ische Confession, Eure Ge-
aänge, Luthers Lied^, eure Begeisterung, das Bild
des gefeierten Glaubenszeugen, eure Liebe, nämlich
die Liebe Christi. Und ndthigt uns nicht durch 'die
furchtbare Kraft der Exkommunikation, welche ihren
Gegensatz fast mit Nothwendigkeit hervorruft, das
Unsrige zu exkommuniziren. Aber die reformirte Ge-
wissensfreiheit, die Berufung svi den Grund der Schrift
und des Heils exkommuuizirt kein Reformirter, kein
Unirter^ kein evangelischer Christ $ wo aber eine Beru-
fung dieser Art ohne Beruf erschallt, in schiefen,
schwärmerischen, selbstgemachten Gegensätzen, da
hat er nur zu wonsch«!, dafs dem hohen, evangeli-
schen Rechtsgefiihl , auch in seiner kanrikirten Er-
scheinung, ein gerütteltes und geschütteltes Maab
derimgesprochnen Gewissensfreiheit werde, damit die
Eiferer in der Stille und Besinnung inne werden, wie
sie bereits nach Genf gekommen sind, während sie
eben meinten, den zudringlichen Genfem Wittenbergs
2
11 CirtttlieA
m
Thore xa TerscUiefiien; dafs die Union unobänderlioh
vollzogen ist.
Der Verfasser der ersteä tod den beiden obenge-
nannten Schriften hat von dem Standpunkte der Union
aus die beiden, evangeliscben Kitchen mit einander yer-
glichen; und so ist denn auch das Resultat der Ver-
gleichung ein entschiedenes Zeugnifs für die Union.
Aber er erklärt sich nicht für diejenige Union, i?elohe
' die Eigenthilmlichkeiteu und Verschiedenheiten der bei-
den Kirchen Torlängnet oder verwisdit (unio tempera-
tivi^9 nicht für ' diejenige^ ^reiche eine Kirche in der
andeta mit. ihrer Eigeiitbftmlichkeit Terschwioden läfst
-(unto^absorptiva), sendem für diejenige, welche die
Eigenthümlichkeiten 4er beiden Kirchen in ihrer e?anu
■gelischen Einheit zusammenfafst, so dafa nun jede die
Vorzüge der andern mitgewinnt in der > Vereinigung
(unio coDservativa).. Weil es aber diese letztereFas-
•sung der Union ala die. richtige sich angeeignet hat, so
war er auch im Stande, die beiden Kirchen in ihren
Eigentfaümlichkeiten zn yerstdin, and unpartheiisch zu
würdigen. Beides ist ihm. in einem hohen Grade ge-
lingen;' er 'hat. mit Fleifs und Tüchtigkeit, mit christ-
'Uchem. Ernst und wissenschaftlichem Sinne, mit einer
schönen Gombinalionsgabe, welche aus guten Vorstur'
dien die charakteristischen Merkmale wohl aufzugreifen
gl^wufst hat, die Grundziige der beiden Kirchen ge-
zeichnet. So enthält denn seine Schrift viel Belehren-
des und Anregendes^ in den Combinatienen -sogar Neues*
und Ueberraschendes ; sie ist eine willkpaimene Er-
scheinung, und liefert einen dankenswerthen Beitrag
zur Verständigung der beiden Kirchen, über sich selbst,
und über ihre innelre Einheit. Zwar kann ilian freilich'
nicht- sagen,, dafs die Zusammenstellung mit einer be-
friedigenden, wissenschaftlichen Ergründung der Diffe-
renzen beider Kirchen, 'U^d ihrer tiefliegenden und
überwiegenden Einheit vollzogen sei. Wir werden Ge-
legenheit finden, dieses Urtheil^ za beweisen. Auch
waren« die- eigentlichen Lebenskeiaie des Verständnia»
ses in dieser Sehrift bereits sehen in Schriften und
Andeutungen Torhanden, und was dieses Ueberkommene
anlangt, so bekennt der^ Verfiuser in ^jder Zueignung
seiner Sehrift, wie yiel er 'in dieser Beziehung seinen
Lehrein, Dr. Ititzsch and Dr. Rothe verdanke. Aber
es bleibt ihnv das Verdienst,, mitvsinnigem Geiste- die
Anregungen entwickelt und verarbeite^^ die ersten Li-
neamente weiter durobgefiihrt^ verbunden und. auag&
• Symbolik. la
ftllt zu haben. Der "Verf. hat seiner Schrift ansdräd^*
lieh die Tendenz gegeben,, das Werk der UnioB so
fll^rdem. Bei diesem Zwecke ist es nicht consequent^
wenn er sich mit andern Aeufserungen auf die Aufgabe
beschränkt, die confessionellen Verschiadenheiten dw
beiden Kirchen darzustellen« Wenn er die Darstellung
der Aehnlichkeiten ausschliefsen wollte, wenn er nicht
auf diie Erfassung der wesentlichen und siegreichen
Einheit beider Kirchen ausgehen mochte, so konnte er
ja nicht erwarten, aus derSummirung der Differenzen
das Facit der Einheit oder der Einigung herausznbriii*
gen. Darum haben auch seine Unionsgedanken, wo
sie hervortreten, mehr den Optativen Ausdruck der *
christlichen Liebe, als den imperativen der cbristlichoi
Wahrheit erhalten.
In der Vorrede erzählt der Verf. die Entstehung
semer Schrift. Die Veraulassnng ist eine so iohjte^
als möglich. Er hatte am Schlüsse seines zweijähri-
gen Aufenthaltes im Prediger -Seminar zu Wittenberg
als Mitglied eines theologisdien Vereins eine schriftli-
che Arbeit zu liefern. Das BewuCstsein' des Giegen* •
Satzes, und das Gefühl brüderlicher Einheit, womit er^
ein unirter Christ aus den reformirten Rbetngegett'den^
mit vorherrschend rcfformirter Eigenthttmlichkeit begabt,
dort unter Lutheranern lebte, führte ihn sehr natura
, geniäfs auf dieses Thema. Später > bildete sich der
Aufsatz durch mehrfache Anregungen zu dem voriie»
genden Werke aus.
Die Einleitung ist den oben erwähnten Verband*
langen über das Wünschenswerthe der Union inebe-
sondere gewidmet. Vorab beantwortet der Verf. die
Frage, welche er bei manchen Lesern voraussetzt, ob
denn auch von einer besondern Eigenthümltchkeit bei»
der Kirchen die Rede sein könne. Wenn er aber bier
die Verachiedenheit beider Kirchen mit der Versefaie»
denheit eines Apfelbaumes und Birnbaumes vergleioht^
und bemerkt, die Verschiedenheit liege nicht nur in
den Früchten,, in den Aepfeln, und Birnen, sondern
auch in den Blättern und Blüthen, in Saft und Staeim^
endlich in der Wurzel der beiden Bäume, so bat er
sieb in Beziehung auf die Union die Hände gebmiden,
denn an eine Union von. Apfelbaum und Bimbaam.bat
noch keiner gedacht. Wir wollen jedoch die Branob»
barkeit des Gleichoisses^niobt ableugnen 5. nur vermis*
aen wir'die*erfovderl]ehenRestriktioaen. Und es ist woU
zu. froh,, zu unvermittelt,, wenn er sehen hier die ge>
18
ClkriMtlicht Symbolik.
14
gtpMitige >AMrlionMiig beider Kiroben forderti^ Er
terwielnit sjoh dkbei in einen WiÜerfpnich, wenn er
S. .5. seiireibt: ,)8e>woU die BeformirteD als die Ln-
themner venindigeo sieh, immer noch durch liebl^eee
und ungerechtes Abnrtbeilen Über die andre Kirche"—
und gleich darauf S« 7 : ^Piese Anerkennung ^aben
die Refonnirten den Lutheranern niemals yersagt.^'
Die Frage s Was beifst Union der beiden evangeli-
sdien Cdnfessionent beantwortet der Vf. also: ,,ünion
ist nicht Einheilt, ni^bt Versöhnung, nicht Ausgleichung,
nicht Toieraazerklilmng, sondern innige Fereinigung
xmeier^ vmrker geirennien^ aber xusammengeAdrenden
* TMBe %u Einem, Ganxen." Wir milssm ihm darin
entschieden iridersprechen« Die Union ist vor allen
. Dingen xuerst Einheit. Die Einheit der beiden evan-
gelischen Kirehen in ihrem Grundwesen, das fibier:wie-
gendO) durch alle bitteren Renüniszenzen und mensch-
lich forcirten GegensftAze siegreieh und unaufhaltsam
durchbceohende Gemeinsame, das gerade ist ihr Grund^
ihre Begründung, ihre Wahrheit Darum ist die Union
denn auch zweitens Versulmupg \ und ohne Versöh-
nung, ebne das Gefühl einer erblichen, wenn auch noch
so tiefliegenden Verschuldung beider Kirchen in der
Disunion, und ohne die Erfahrung emer Gnade, welche
diese alte Schuld getilgt hat,, geschieht die Upion
niinmer. Indem aber die Union vollzogen wird, wird
sie drittens mannigfach zur Ausgleichung; da räd
symbolische, ' rituelle, liturgische und nominelle Ver-
schiedenheiten mit einander auszugleichen \ manche
kleinlich scheinende Ausgleichung sogar ist nöthig,
um der Schwachen willen, welche die Union einschliefst
In Beziehung aber auf die Widerstrebenden, auf die
beiden Confessionssektea, welche rechts und links von
ihr fibfallen, wird sie dann viertens auch eine Tole-
ranzerkl&mng sein müssen $ und nur durch diese schliefs-
liebe Toleranierklärung wird ihre -Reinheit, Freiheit
und Unschuld bewahrt. . — Das letztere Moment hebt
der Verf. in Folgendem hervor, indem er die Union
unter dem Bilde einer. Ehe darstellt, bei welcher ja
Ton von keiner Seite eia Zwang stattfinden dürfe. Mit
Recht macht der Vf. an diesem Orte darauf aufmerk-
sam, wie widerwärtig die Erscheinung sei, wenn der
gläubige Christ in der einen mit dem in der; anderen
Kirche nicht communiziren solle, wäbreifd er in seiner
Kirche mit eolcben communizire, von denen er durch
weit wrichti^ere Gegensätze geschieden sei.< Wenn er.
jedoch in dem VerbültniTs der Judenchristen so des
'Heidencbristen in der apostiJiscben Zeit eine -Analogie
für unsere Union zn finden mmnt, lio hat er jenes Ver*
haltnifs doch nicht scharf genug aufgefafst. „Die^bcfr-
üge Schrift'' sagt er (S.. 19), ,,giebt uns selbst/ ein
höchst merkwürdiges Beispiel emer Union zwder. voll-
kommen gleich berechtigten, und dennoch fa^t gUnz-
lich von einander geschiedenen christlichen Partheieii,
von denen die eine die Veremignng suchte, ohne auf
die Forderung der anderen, zn ihr überzutreten, • eio-
gehn zn können. Wir meinen die Vereinigung der
Judenchristen und der Heidenchristen zu Einer, nicht
mehr jüdisdien oder heidnischen, sondern christlichen
Gemeine. Da die Judenchristen von ihrer, von Gott
selbst gestifteten^ und bisher allein anerkannten reli-
giösen Eigenthümlicbkeit nicht ablassen zu dürfen
meinten, und darum auch keine Vereinigung mit den
Heidenchristen zulassen wollten, so traten Apostelge- .
schiebte 15. in der Kraft des heiligen Geistes die Ai>o-
stel auf, und verlangten nicht — völliges Nachgeben
der Einen Partbei; sie. suchten nicht — die Partheien
änfserliob einander ähnlich zu machen, sondern sie
vollzogen, nach Wegräumung der vorhandenen Schei-
dewand (der Qeschneidung und des Gesetzes), eine auf
gegenseitiger Anerkennung gegründete Union.'' — - Diels
ist zu viel gesagt^ sie verhüteten vielmehr die drö-
bendie Disunion, Diefs ist ein wesentlicher Unteiw
schied, den man wohl festhalten mufs^ um auch an
diesem Punkte zu sehen> wie bedeutend die apostolip
sehe Zeit unsre reformatorische Zeit überragt» Heip
denchristen und Judenchristen zusammenzuhalten war
das Schwerste, was es geben konnte. Es gelang abev
der Elastizität des apostolischen Geistes', der Liebes-
fölle der ersten Kirche, der kanonischen Höhe ihrer
Grundgesinnung. Es war eine Elastizität von oben, wel-
che nach der einen Seite die Glanbensepistel an die
Galater und nach der andern die „stroherne Epistel
als Gotteswort umspannte, eine LiebesAUe, welche
bekehrte Rabbinen und bekehrte heidnische Libertins ^
zu einem Abendmahl vereinigte, eine Canenizität, wel-
che eine prophetische Schrift mit. eben derselben Ge-
wifsheit göttlicher Erkenntnir^ produlirte und verstand,
mit welcher das „zarte, rechte Hauptevangelium" ge-
schrieben worden. Dieses apostolische Maafs haben .
unsre Reformatoren: nur erreicht in dem gem^nsamen
Glattbenspunkte, womit sie sich vom Papstthum los-
Jß C k r i]t t lie h
iMgtw. Pa]0 theologisch ttyiUflOhe Elanient dte Jo-
«liaiines findet sieh bei keinen: Einzigea siir Genfige
vertreten« Am allerwenigsten aber haben sie da das
apostolische MaafSi wo sie mit ihren DiiTercnxen aaa-
einandorgehen. Sie hatten weit GermgercM sa yer-
mittehoi, als die Apostel, aber sie brachten dentooch die
Vermittelnng nicht an Stande. Die Apostel rftumten
weder dem Jüdischen noch dem Heidnischen eine tren*
nende Gewalt ein Über das Christliche, und fiberliefsen
es den mceentmrten Juden* nnd Heidenchristen^ sich
allmftlig als Sekten von der grofsen Christencommu-
nioa abuisondem* Bei den Reformatoren gewannen
im G^entheil die confessionellen Differenzen das üe-
bergewioht über das Evangelische. Nichts desto we-
niger ist die llniqn ihre Glaubenssaat; sie ist aus ih-
rem Tiefsten allmälig hervorgebrochen, weil sie wahre
Gottesknechte gewesen sind.
Der Verf. giebt weiterhin das Terrain der beiden
Earchm und die verschiedenen Modificationen ihrer
Erscheinung an. Dabei fällt sein Blick auch aaf die
Sekten,' welche der einen wie der andern annex sind.
Hier nun ergiebt sich schon der charakteristische Um-
stand, dafs' die lutherische Kirche nur zwei bekommt,
nämlich die Brüdergemeine und die Neue iLirche (Swe-
denborgianer),,während die Menge der reformirten Sek-
ten „ungeheuer und im eigentlichen Sinne des Wortes
nnsählbar** ist. Auf seine Behauptung, dafs das' un-
aufhörliche Produziren neuer Sekten zur Erhaltung des
JLicbens und der Gesundheit der reformirten Kirche an
,gebören scheine, i^^i^den wir zurückkommen müssen.
Das Werk des Verfassers hat sich, wie oben be-
merkt wurde, die Aufgabe gestellt, nicht sowohl die
Aehnlichkeiten, als die Verschiedenheiten der beiden
Kirchen darzustellen. Diefs geschieht nun in folgen»
den Abschnitten. Zuerst redet der Verf. von der Ver-
schiedenheit des Bodens der beiden Reformationen —
dann von der Verschiedenheit des Prinzips -^ endlich
, von der V^schiedenheits des reformatorischen Verfah-
rens. Man kann ^ diese Punkte zusammenfassen als
Ursachen der Verschiedenheit. Im Folgenden ist dann
von den Erscbemungen der Verschiedenheit die Rede,
e Sffm i^Ii h. 16'
nämlloh: von 4er inbotea Eitoelheinoag der beMen
Kirchen, von der inneriiohen Frteinugkeit, von der ge-
schichtUchen BntwidLehmg der beiden Kirohen und ih-
rer Theologie, und zuletzt von dem Veihalten der bei-
den Kirchen gegen einander. Es ergiebt sich scben
aus dieser Exposition, dafs die Difierenzen der Lehre
zwischen beiden Kirchen überhaupt za wem'g, beaoii»
ders* aber zu wenig im Zusammttihange zur Sprache
konmieu. Von den Differenzen in der Abendmablslelue
ist erst spät gegen das Ende der Schrift, von den ver-
schiedenen Fassungen der Prädestinationslebre ist
kaum die Rede. Diefs ist ein wesentUcher Mangel
des Werkes ; denn in den charakteristischen CTegen-
sätzen der Lehre spiegeln sich am gründlichsten und
reinsten die Gegensätze des kirchlichen Wesens. Doch
mufs bemerkt werden, dafs der Verf. das Grundpria-
np in der Eigenthümlichkeit der Lehren beider Kir>
eben mit Einsicht und Belesenheit dargestellt hat.
Die Darstellung des verschiedenen, Bodens beider
Kirchen enthält viele frische und belehiende Zöga
Die reformirte Kirche erwuchs diesenmach auf onem
Gebiet, wo der religiöse Zweifel, die klassische Bil-
dung, das Reformationsbedurfnifs schon längere Zeit
gewaltet hatten, wo liberale Tendmizen und demokr»-
tisdie Erscheinungen nicht neu waren. Der Boden ' der
lutherischen Kirche hatte entgegengesetzte Bigenthüm-
lichkeiten; es waren streng monarchische Gebiete^ in
denen auch der Adel und die Kirche noch keinen Wi-
derspruch gefunden hatte, in denen eme entschiedne
historische Pietät herrschend war. Der Verf. verfällt
bei dieser Darstellung wie öfter in Consequenzmache»
rei, wenn er äufsertx „immer haben auch die znrdck-
gebliebnen Reformirten in Frankreich die liberale Op-
positionsparthei ausgemacht, die französische Revolu-
tion ist wesentlich durch die Verbreitung ihrer Ideei^
mögen sie nun von dem in Genf gebornen Rousseau,
oder aus dem durchaus consequent reformirten Nord*
amerika hergekommen sem, vorbereitet worden.** Die
reformiften Ideen gehen nirgend so ohne Weiteres fai
revolutionäre über; dem Verf. aber hätte es obgele-
gen, das Moment der Entartung geborig anzugeben. —
(Die FortseUang folgt)
f
wissen
Jahr b tt c h e r
»
für
s c h a f t liehe
*
Kritik.
Juli 1839-
\) Die religiöse Eigenthnmlichkeit der lutheri*
sehen und der r^fornUrten Kirche. Versuch
einer geschichtlichen Vergleichung von Max
Göbei.
2j Reformation j Luiherthum und Union. Eine
historisch r dogmatische Apologie der lutheri-
schen Kirche und ihres Lehrbegriffs von Dr.
A. O. Rudelbach.
(Fortsetzung.)
Der wesentliche Mittelpunkt unsrer Schrift tritt
nun in der Darlegung der verschiedenen Reforniations*
Prinzipien hervor. ,,Liither8 Prinzip war nicht das For-
inalprinzip der alleinigen Autorität der heiligen Schrift
u. 8. w., sondern vielmehr das materielle Prinzip: die
Grundlehre der Rbcfatfertigung dtirch den Glauben an
die Gnade, Gottes in Chjjsto," zu welchem er auf den|
Wege einer langen und gründlichen Erfahrung gekom-
men war. ^»Die reformirte Kirche dagegen ging aus
von dem positiven Schriftprinzip, von der Anerkennung
des Wortes Gottes^ als unbedingter Norm und Quelle
des dliristlichen Glaubens und Lebens, oder was im
Wesentlichen dasselbe ist, das Streben nach der Yer- .
herrlichuttg Lottes durch unbedingte Unterwerfung un-
ter sein Wort, gegenüber allen andern Menschengebo-
ten.'' Es würde zu weit fuhren, die treflfliche Ausfuhrung
dieses Abschnitts im Einzelnen zu begleiten. Der \t re-
sumirt dieselbe mit, folgenden Worten» welche die Dar-
stellung des beiderseitigen Reformationsverfahrens ein-
leiten, deren Mittheiluug uns wünschenswerth scheint:
9,Luthers Reformation war, was deren Gegenstand betrifft,
im Wesentlichen nur eine (7/at/^^7»#reformation, eine
£r/at^^i»rverbesserung, eine dogmatische Reformation
der Kirche, von einem bestimmten GlaubensgmnA^atze
aus, und zwar vermittelst äer heiligen Schrifty die da-
her für die GlaubenMhhre positive Norm geworden ist \ in
Jahrb. f. wiaetueh. KrUik. J. 1839. II. Bd.
Bezug auf Sittenlehre, Cultns, Yerfassiing, Zu^ht un4
religiGses Leben überhaupt^ «nur ft^o^M^^Norm, indem
von Allem, was man in der katholisches Kirche vor«
fand, alles der Schrift nicht fViderstreitende teibe^ '
halten^ und das Uebrige. möglichst sehenend umge^
ändert wurde* In der reformirteo Kirche wurde da-»
gegen durch konsequente Anwendung ihres Griindsat^
xes vollständiger Schriftmäfsigkeit alles in der Schrift
nicht Enthaltene verworfen, die heilige Schrifit ward
die lebendige Quelle, aus welcher das Christenthum
selbst vollständig erneuert wurde nacii dem Miister 4eK
ersten, apostolisofaen Kirche, und die h^lige Schrift .
blieb nicht nur Glaubensnorm, sondern ward auch ob*
jektiv bindende Sittennorm, Cultusnorm, Yerfassungs-
norm, und die Reformation daher wesentlich auch eine
Sittenreformation, eine Cultus- und Verfassuiigsrefor*
niation, lind weniger eine Reformation der Kirche^ als
eine Renovation des Cbristen^ms. In Bezug auf die
Art und Weise des beiderseitigen Verfiedirens handelte
Luther durchaus ^^ntf^rc/oftt^, regressiv^ defensiv^ alt'
mäUg\ die Reformirten : radikal^ progreseivy offensiv^
dfirchsetxendi die lutherische Kirche hat das monar-
chische Prinzip des fFiderstandesy und der Stabilitäty
die reformirte das republikanische Pxinzip der Bewe^
gung und der jlgilität durchzuführen gesucht^ jene
behielt* Immer einen ^kirchlichen Charakter, diese veiv
wischte fast gänzlich ihren kirchlichen Charakter, und
behielt nur einen rein biblischen." Von einer ^iroben
deren Eigenthümlichkeit ganz besonders in der Pres-
byterialverfassung, uod Kirchenzocht erblüht ist, läfsl
sich das zuletzt Gesagte nur mit grofser Einschrän-
kung behaupten. Es ist übrigens merkwürdig, wie die
reformirte Kirche an ihrer Flucht vor dem historisch
Getrübten in der kirchlichen Entwickelung dennoch
dem (biblisch) Historischen oder Temporellen, nament-
lich in der Vermengung des alttestamentlich Positiven
mit dem Nentestamentlichen, mehrAich wieder in einem
3
19 Chri$tliek
Sione vei:^el, der ihr trotz ihres Ueakp Zi%ea f;egeii
die freie Idealität des obristliohen GeUtei« und dfe
Fülle seiner Lebeostriebe eine bornirte Abgesohlosse»-
beit mittbeilte, welche dnreb^ ihren demokrattsoh« Ch|a-
i^itatTy die vielfack eieokeinendo' Unlerordming- ibver
choHiihrenden Geister unter die Stimmung der Gemei-
nen bis auf dea heutigen Tag erhalten,, und selbst zum
drückendst^i StaVilitätswesen wurde, während die lu-
therische Kirche bei einer gröfseren historischen Pietät
k» mehrfacher Besiebung^ eine reichere christliche Idea*
Ktit gewann, indem sie nidit an die btblisch-histori*
•eben Momente kirchlicher Gestaltung gebunden blieb.
Weiterhin bleibt uns nur noch Raum fiür einzelne
Bemerkungen. Indem der Vetrf. von der eigenthümli»
chisn Erscheinung der beiden Kirchen redet, sagt er im
Verhältnifs der refbrmirten Kirche zu ihren Sekten t
„Wir mässen nun aber bei allen bedeutenderen Sek«
ten sowohl ihre reformirte Eigenthttmlichkeit, als ihr
VerhältnitB zur reformirten Kirche zu ergründen, und
darzustellen snchen, nnd vorzüglich nachweisen,* wie
sie durch nur noch konsequentere Durchfdhrung des
gemeinsamen positiven Schriftprinzips, und durch Fest*
bakung einer einzelnen, aus der heil. Schrift entnom^
menen Wahrheit entstanden sind." Aehnliche Aeufse*
mngen kehren öfters wieder« Sie beweisen, dafs der
Verf. den spezifischen Unterschied zwischen dw refor-
mirten Khrehe und ihren Sekten nicht gefunden hat,
dafs sie ihm gerade in den Sekten culminirt. Wäre
diese Darstellung gegründet, so hätte die lutherische
Kirche Recht, die Union mit dieser Kirche von sich
zu weisen« Aber darin unterscheidet sich die refor-
mirte Kirche von ihren Sekten spezifisch, dafs sie die
heilige Schrift als ein Ganzes zusammenfafst, dessen
Theile sich Ems durch's Andre auslegen , das nach
der Analogie des Glaubens ausgelegt werdeA mufs.
Diefs ist der katholische, lutherische oder kirchliche^
eotsdieidende Glaubenspunkt, mit welchem die refor-
mirte Kirche zur Schrift kommt, und die Schrift aus-
legt. In der Kraft dieser Glaubensanalogie hat sie die
schwerste Anfechtiing, die münzerischc Vermengung
des A. mit dem N. Testamente immer mehr entschie-
den überwunden, obwohl sie sich mehrfach durch die-
selbe Tcrscbttldete. Vermöge der. Glaubensanalogie
hat sie die Kindertaufe festgehalten (weil die Kinder
hn alten Bunde beschnitten wurden, weil sie sowohl als
die Alten in den Bund Gottes gehören, weil Christus
^ ß ff m i 0 liJk. 30
gjesilgt hol: lasset die Kindlein za mir kommen) ob>
wehr sie keine ausdrüeklichea Beweisstellen fär. die
Kindertaufe im Neuen Testamente vorfand. Die Sek-
teti entstanden aber gerade dadurch^ dafs sie dieses
>kirehlifllie Band, die Analogie des Glaubens asfgaben,
und z. B. nach emem Spruch der Bibel die Eideslei-
stung verweigerten ohne Rücksicht darauf, dafs Chri-
stus an einer andern Stelle selber den Eid leistet» Es
ist deninach auch falsch, wenn der Verf. der reformir-
ten Kirche einen vorherrschend unJUreJUieAäny aibet
entschieden Mluehen Charakter zuschreibt (S. 210) ;
abgesehen davon, dafs diese Iieiden Prädikate einander
selbst widersprecAen«
Wenn der Verf. behauptet, dafs die lutherische
Kirche das mystische Element im Christenglauben bilde
und erhalte, während die reformirte Kirche nach ihrem
entschieden nüchternen Verstände niemals Mystiker er-
zeugt habe, so müssen wir die Beispiele, welche er
anfuhrt, näher beleuchten. Er nennt auf der. lutheri«
scheu Seite: WeigeF, Böhme, Gichtel, Arnd, Arnold,
J. Gerhard, Oetinger, Bahn. Weigel behielt seine
Theosophie während setner Lebenszeit still für sich.
Jakob Böhme ist aus seiner htberiscfaen Confessiott
0
durchaus nicht zu erklären. Ein christliche^^ Genie
' von seiner Gröfse und Tiefe hat seine Wurzeh min«
destens in der. ganzen Kirche. Gichtel liefs die Re-
fbrmirten in Holland an seinem Mysticismus partlcipi-
ren. Arnd wnrde von der hitberischen Orthodoxie
lebhaft desavouirt. Arnold wollte weni^tens adber
seine tiefere Richtung nicht der orthodoxen Kirche ver-
danken, sondern hielt es lieber mit den Sekten. Las-
sen wir den einzelnen, minder bedeutenden J. Gerhard
stehn; Oetingers Studien aber zeugten, keines wegi»
Ton lutherisch konfessioneller Richtung und Gebunden»
heit.. Der Verf. nennt reformirter Seits Terst'eegen,
^ und sucht auch diesen zu streichen, indem er sagt:
„der einzige reformirte Mystiker Tersteegen ' fand fBr
dieses, sein subjektives Bedürfaifs. in der refprmirten
Kirche durchaus keine Befriedigung,' und wandte sich
daher zu den edlen Mystikern der katholischen Kirche."*
Schwerlich ist hiermit etwas irgend Genügendes fiber
Tersteegen gesagt. Tersteegen überlegte die refor-
mirte Confession, wie Böhme die lutherische, nicht ndt
derselben spekulativen Kraft, aber mit einer tieferen
Innigkeit des christlichen Gemüthslebens. Er kam zum
seligsten Genufs der A%egenwart Gottes; was immer
n Ckri9 t Uü h.
die tiefste Früobt des imereB CUic^Mlefteae and ehrist«
liehta Erkenoeiis beifseB mag. Dafs er katbolisehe
Mystiker las, das maebte ihn durehai» nicht erst sn
einem MjFStiker. Beisnielsweise willen vfxt nnn die
refermirte Linie der ohristliohen Mystiker in etwas yer«
stärken, indent wir nennen:« Tenteegcn, Lampe,* Stil-
Hng, Layater, Colienbusoh, Menkenu.s. w. Wir wal-
kn aber kein Gewieht darauf legen, denn ^o die
christliche Mystik anftngt, da ftngt gewifii anch die
Union an.- Endlieh ist es doclt ein Charisma des tie-
fen, dent sehen Gemfithes, dals es unter dem Walten
des Geistes Gottes lutherische Pietät und Ruhe liebt,
und nicht in die Yerstandeskonsequeusea und prakti*
scheu Wege des schweiserisehen , franz9sisoben , hol*
Inndischen und britischen Geistes hinübereiit. Und in*
sofern hat allerdings die latherische Kirehe einen gr5^
' fseren Ruhm christlicher Mystik* Dasselbe gilt noch
mehr yoni Kirohengesange. „Wir sind, sagt der Vf.5
2U einem der herriicbsten Vorailge der lutherischen
Kirche gekommen. In ihr hat nämlich dfe christliche
Frömmigkeit, von Luther „dem Vater und Mereter der
eyangelisdien Liederkunst und des deutschen Gesan-
ges^^begiufitend, den unermefslichsten Schatz der herr^
liebsten Kirehenlieder erzeugt." Der Verf. giebt die-
sen Schatz zu 70,000 Liedern an. Es ist' nicht zu
bezi^^etfeln, dafs er in kurzer Zeit zu 100,000 heran«
waohsefi wird.' Es ist aber bald an der Zeit, dafs man
die Reimereien in Abzug bringt, um auf den Kern zu
kommen. Er bleibt immer ein grofser Schatz. Was
Luthers Lieder insbesondre anlangt, so rechnet man
ihm gewöhnlich die Ueberarbeitungen altkatholischer
Lieder, z. B. Mitten wie im Leben sind — Oelobet
seiet Du Jesu Christ u. s. w. mit an. Es versteht
sicb^ dafs er auch nach diesem Abzüge der grofse Mei-
ster im Kirchengesauge bleibt. Von den reformirten
Liederdichtem sagt der Verf. : „Es smd'TorzQglich Ne-
ander. Lange, Tersteegen und Lavater, von welchen
Nelmder in enger Verbindung mit dem lutherischen.
Spener stand, und in lutherischer Weise dichtete, Ter-
, steegen seine Poesie uach niehtrefornlirten Mystikern
bildete u. s. w. Hier geht die Consequenzmacheret in
der Tbat bis zur gedankenlosen Willkür. Könnte man
nicht an einher andern Stelle mit demselben Rechte ur-
giren, dafs Spener, den ebensowohl wie Amd die luthe-
rische Orthodoxie nicht anerkennen mochte,^ mit Refor-
€ Sy mt e liJk, S
mji4en in eifger Verbindung gestanden f Nesöidev seU
in Intberisoher Weise gedichtet baben«> ElWte ge«
sehmac^los hat er freilicli gedichtet, diefs ist aber kei«
neswegs lutherisehe Weise; tiefbs, poetisches Gefühl
aber bricht durch die mangelhafte Form hindureh', das
hat er nicht Ton andern; «Eidselnei ist angensoheinfich
reformirt konfessionell. Tersteegeiis Poesie übrigens
ist durchaus originale Lyrik des chrisdiehen Gemüths )
es finden sich Verse bei ihm, die, was Sim^zitit^
Zartheit nnd Innigkeit anlangt, einen (roetheschen
Klang hallen; diesem Dichter hat nur eine gröfsere
Ausbildung gefehlt,, und eine gröfsore Würdigung ge^
bührt ihn noch jetzt.
Was der Vf. über die differentm Fassuägeil der
Abendmablslehre sagt S. 258 n« s« f., ist völlig unge»
nügend, denn er fällt eigentlich nur das ürtb^O, dafs
die eine Partbei vielleicht zu viel, die andre vieUeickt
KU wenig glaube. In derselben Aeufserlicbkeit ist das
'Folgende gehalten: „Es scheint jedoch allerdings^
dafs überhaupt mit dem Umfange einer Kirehe aueh
der Umfang ihres Glaubens in gradem Verhältnifs steht»
denn unstreitig glaubt die grofse katholische Kirche
am meisten, und die kleineren Sekten am wenigsten n«
s. w.'' Hier wäre es wenigstens ein geringer Nothbe- *
faelf gewesen, den Unterschied von multa und multum
geltend zu machen. — Der Verf. rechnet Seite 272 z*
der Schattenseite der hitherischen Kirche das Au€- ^
flackern antiaomistiseher Aeufserungen mit Recht; wenn
er aber die Behauptung des Flacios, die Erbsünde des'
Menschen sei Substanz, anfuhren wellte, so muiste er
auch bemerken, dars die lutherisehe Kirche diesen hi^
retischen Ausdruck bekämpft und von sieb ausgaste
fsea habe, was nicht gesohehen ist. -^^ Wenn in der
Darstellung der theologischen Eigenthümtidikeiten bei-
der Kirchen die refermirte Theologie dem Verf. zuletzt
als eine ganz bedeutungslose schwindet der BHithe lih
therischer Theologie gegeaüber^ so hat er wenigstens
hier den früher zu Gunsten reformirter (xlftabigkeit in
der neueren 2eit eitirten Sehleiennaoher vergessen;
und sehr mit Unrecht denn er wiegt leicht ein Dntzcnid
gewShnltohpr rationalistischer Theologen der lutheri>
sehen Kirche auf, oder mit andern Worten: er bildet'
einen Wendepunkt in ^er neuern Theologie vom Un-
glauben in den Glauben, von der Flachheit in die Tiefe.
Doch sind wir weit entfernt davon, diefs der reformir-
23^ Chri$tlieh
ien Eirolie ansBchliefBlioh ancarechnen. Die aenere
deotsebe Theologie liat Aaregaogea yon Plato, Philo
nnd Spiaoza, cum' Mindeateo hat sie den ganzen S0»
gen der Unioa. Sie hängt znsamDien mit der Jihiloso-f
phisohen Eotwickelang des 4eat8ohen Geistes, die man
jedeofalls nicht als eine konfessionelle betrachten
kann. -- In dem letzten Abschnitt : von dem Verhalten
der beiden Kirchen gegeneinander wandern wir durch
ein tranriges Gebiet $ die Sunden^ der Väter werden
mit lobenswerther Freimüthigkeit zur Sprache gebracht.
Doch beschliefst der Verf. diese Wanderung mit Wor-
ten der Versöhnung und de6 Friedens. Mannigfach hat
er uns Licht und Schatten gezeigt auf beiden Seiten^
die Liebe zu beiden Kirchen hat er in vielfach hin und
hei^ gewendeter Erkenntnifs und Anerkennung beurkun-
det; und so ist der Segen beider Kirchen in seinem
Werke. —
Dasselbe läfst sich von dem ^weiten Werke nicht
sagen. Dr* Rudelbach hat seine Schrift dem dftni-
sehen Theologen Gründtwig dedizirt. Wenn man vor-
aus weifs, wie in Grundtwigs Weltchrooik die refor-
mirte Kirche behandelt wird, so nimmt man ein Werk,
was zum Theil ihre Interessen betrifft^ unter einem
4solGhen Patronat' mit einiger Besorgnifs zur Hand.
Freilich das Präjudiz fiir den christlichen Ernst, und
die dem Glauben geweihte Gelehrsamkeit des Verfs.
sollte wohl hinreichen, diese JBesorgnifs niederzuhalten.
Allein .das Werk rechtfertigt sie dennoch. Gründtwig
scheint .dem Christehtbum durch das Lutherthum, und
•dem Lutherthum durch eihen ,,stark prononcirten Da-
nismus" zu Hülfe kommen zu wollen ; in dieser Ten-
denz hat er neben den Reformirten auch manche Lu-
theraner etwas herabgesetzt, z. R: die deutschen J^ly-
stiker, abgesehen, von der Degradation der gröfsesten
deutschjen Dichter, nicht nur nach christlichem, son-
dern auch nach allgemein Jiritischem Maafsstab. Sein
Einflufs auf Hudelbach ist .nicht zu verkennen. Dieser
Einflufs tritt in dem Urtheil über die Reformatoren
der reformirten Kirche herv^ die nach dem ürtbeile
des*Letzteren am Glauben Schilf bruch gelitten haben;
auch 'wohl in .dem ürtbeile über Spener, welcher recht
useltsam als der ^^tüchtige J^chüler des großen Xnäm-
fSymtofii. , ^
lieh antireforinirten) Dannbauer'* belobt wbd« la Ra-
delbaohs Sohriß ist der Grandton der christlichen
^ahrbeit nicht zu verkennen, aber der Bück d^r Er»
keontnifs erscheint bereits stark nmflort von dea Be»
nebelungen eines bitteren» sektirerisohen Zelotiaoitta^i
Die Sprache ist gewandt und kräftig, a^ein der Styl
leidet an überflüssigem Patboa pBd breiter WortfiiUe;
Und wohl hätte die Schrift ohne sonderlichen Verlast
an Gedanken auf emen weit geringeren Umfang reda-
zirt werden können. Die ausgezeichnete Seite dei?
Schrift ist ohne Zweifel ihre reiche Belesenheit nnd
historische Gelehrsamkeit; der Verf. beschränkt sieii
aber auch in dieser Beziehung nicht auf *4{i8 znr Sm*
che Gehdrige, sondern er theilt uns in sefaien Citatdi»
namentlich in den Noten Vieles mit, wm mehir auf
seine Gelehrsamkeit als auf den Hauptgegabstawd der
Verhandlungen ein Licht wirft Seine ScAf l(t. is( aebr
entschieden gegen die „preufsische" odev'gegelL j^'
„neudeutsche" Union gerichtet. Sie müfsteialso &i jkth
fern für eine unio absorptiva sich erkläre9)'m.w4leiw'
die Reformirten das lutherische Bekennlnifs abncA«
men, das reformirte aufgeben. Allein auch^ese Vi99M'
spricht den Vf. nicht sonderlich au. Für^sdildn-^id^
punkt sind' Kirche, Lutherthum und Reilifl|bäbi^^B|^
identisch.* Nun kann mau sich diesen Stlt«^pltnU*lMh^.
hauptet denken von Eiferern, welche rtuiitifr riitjyJtA
gesetzte Stimmungen weit aus einander gehaf ^BjMi
strengste Lutherthum dieser Ffissung' wMi jln ;^.
Stimmung des , christlichen Wohlwolleüs.^ade \^
einem lebhaften Unionstrieb beseelt wtai^ai 'djMMr
wird sich als Bekehrungstrieb äufserti!,;' %o entstellt
die Förderung der unio absorptiva. Ist'.liher die. dog-
matische Abgeschlossenheit in koufessioaeHe Moaoyi-
tät versunken, so bildet sich eine ab6toIsend«l St^
lung, welcher es um die Union in keiner. Weiserson-
derlich zu tjiun ist, weil mit ihr der Genufs der bitter^
süfsen Affekte des Separatismus wieder verloren ge*
hen würde. Mit einer solchen Stimmung (dl'scheint das
vorliegende Werk behaftet, wenn sie auok von freie-
ren christlichen Regungen und Aeurserüag.ei| mebr>
fach durchbrochen ist. ■•'.:
(Die Fortsetzung folgt.)
«••*••:•
Jlf 4.
J a h r b fi e h e r
für
«^ff 1s senschaft liehe Kritik.
I
Juli 1839«
IJ pie/rfilfs^iÖBe Eigenthtimlichheit der lutherii
fciUSiiifd. der reformirten Kirche. Versuch
' l^|i^l|S9gl^^^ Vergleichung von Max
2/^l^fl^iif^lft^fi, Lutherthum und Union. Eine
gmati$cf$e Apologie der lutheri-
e und ihres Lehrbegriffs ^on Dr.
elbach
'f!iuf.' (FortaeteMg.)
^flodigt der Verf. in einer längeren Ein-
lideen, die Stellung, den Gang und
erkes. Hier entfaltet sieh am reich«
io8 äee aufgeregten Eifers. SalbungB-
leifsungsreiche Bibelsprüche, welche
Stit. universeller Kraft das Reich Got-
erden hier schief und viderv&rtig ge-
grofsen Selbstbcschrftnkung des cha-
if^ssionelleki Eifers Vorschub zu lei-
leabsichtigt eine Apologie der luthe-
ü} liefern, und mit dieser zugleich den
I^mS^^^ dnfs die nendentsche Union nichts
^^IMWF- ^'" -Au^l^'u^ ^^^ Glattbenskrankheit
in Ende will er in historischer Ex«
pi^^l^^l'^lpipaWse Richtung sowohl in den re-
'*' ^ ~*^egnngon des Mittelalters, als in den
lolien der „deutschen" und „schweixe-
tion darstellen, und nachdem er die
rftik der Differenzen sowohl, als der
^' uche Tollzogen hat, zur Darstellung
der neuesten Union syersuohe über*
und Bwl
V.« y «# ^'
ftngea der i)
jioh in der
Jairi. /.
«•1
:••':'
I
lacht uns zuerst in einer Reihe yon
Worzeln, mit den historischen An-
Reformationen bekannt* Es regten
des Mittelalters Tersehiedenärtige
kA. Kritik. /. 1839. II. Bd.
Kräfte, ^reiche auf den Kampfplatz traten, i^ber „in
diesen Kräften selbst lag eine zwiespaltige Richtung^
die keine Uebereinknnft über irgend ein formales Prin-
zip (wie hier das des freien Schriftgebrauchs) znsa'm-'
menfiihren konnte, und die, je weiter sie sich fortbe-
wegten, destd mehr die. Grundverschitfdenheit ofTenba*
ren mufsten, wenn nicht die eine von der andern ganz
überwältigt ward. Verhehlen wir es uns nicht, iie
deuticA-nordiseAe Reformation trug einen ganz andern
Charakter, und bildete sich ganz Tcrschieden aus Ton
der sehweixeriseAen , (damit mr nun eininal bMle
Tendenzen unter dem kerk^wimliclisn Namen x«-
sammenfMsen) und der durch diese weiteren mehr
oder weniger infizirten französischen und englischen.'*
Man sieht, wie unbequem es dem Verf. ist, dafis di6
Geschichte nun einmal auch der „schweizerischen Ten-
denz'' den Ehrentitel der Reformation bewilligt hat.
Er unterscheidet nun in der Opposition, welche , sich
schon frühe in der rdmischen Kfrche ausbildete, „die
reine TOrreformatoriscbe Richtung,** wie sie z. B. in
Claudius Von Turm, Anselm von Canterbniy, Bernhard
von CJairraux, in den Waldensem u. s. w. zur Er^
scheinung gekommen, von einer „mehr oder weniger
mit häretischem Streben und Charakter auftretenden^
Yorrefonnatorischen Tendenz, welche er im Allgemei-
nen als iXe manieAäiseA»albigensis€Ae bezeichnet. Das
Vorhandensein der doppelten Linie, einer kirchlichen
und häretischen, ist eine unbestreitbare Thatsache.
Schwierig aber war es, die beiden Reformatiohen un-
bedingt an diese beiden Linien anzuknüpfen, so klar
auch im ganzen Entwurf des Werkes diese Tendenz
liegt, die sich auch durch mannigfache Aeufserungeti
kund giebt, die Tendenz nämlich, die reformirte Kir-*
che schon auf dem Boden des Mittelalters zu riobten,'
ihre Ursprünge durch die Hinweisung auf ihre ketze-
rische Genealogie zu Terdfichtigen. An der entscheid-'
di;iiden Stelle sieht sich der Verf. genöthigt zu dem
4
N •
27 € hr4$t lieh
• - i .
folgenden Cestfindnifs : Blicken wir aber im« auf jeae
awei, aus dem Mittelalter bis zinn 16. Jabrbmdert
hinäberströinenden GrundricbtuDgen mit refonnatori-
'seber Tendenz .zurück, so ist ja keine Frage, dafs al-
les^ was von den Anabaptisten, Anlitrinitariern und
äbniicben Sekten und Sektenbüupteru ausging, der
zweiten, der offenbar häreiiicheu^ dem Glauben und
der Kirche widersprecbenden, anheimfallt $ auch waren
davfiber 'die deutaeben^ und schweizeriacfaen Hefonmito-
reti »ioht verscbiedeoer Meinniig, -jobgleieh wiederum
nur du eineiv mit vollem ReHilit e* vm sich mm-
McAiedeny die anderen nio/u.^^ Man «ieht, wie 6ebw<»r
dem Verf. sein GestRndnifs geworden ist, er bestrei-
tetdar reformirten Kirche das Recht, das Häretische
TOD sieh auszustofsen, während er des vollen Rechtes
der lutherischen Kirche, jene» die das üäretiscbe ab-
gewiesen, von sieb z« stofsen, gewifs ist. Aber, fragt
er dann« wo ist iuia der wahre Platz fiir die schwei-
z^riache Reformatio« 1 Die Wahrheit ists keiner von
beideo beachriebeaen Richtungen gebext sie ganz aa,
eQHdern sie ist iufiKirt vot^ der ersieren^ und de/s-
kalb V0M der letzteren nie als M>alirhaft refarui^B-
risoh anerJkannt^ und mf^enemmen worden. Einst-
weilen steht diese Bebaufitai^ da als eine mterwie-
aene^ schraffe VerkctzlBriiiig» Den b^toprijlGh«ll Zu*
sammeobang bat di&r V<)rf. jnidit im mindestea nach-
gewiesen. Gerade an diesem Punkte, wo seine gene-
tische Darstellung mit der |$rofeten i^rgfak die Ver-
Lnüpfungen, die Art und. Weise, den Grad^ 4ie Vk^.
■lente der ketzerischen Ansteckung od^r tbeilweisen
Abstammung angeben sollte, zieht er sich hinter die
stolze Voraussetzung iuröck, dafs ihm seine Leser
diese dreiste Yerarlheipuug einer. Kirche einstweUen
wenigstens aufs Wort glanben müssen« Dailarob ist
nun aber aueb die ganae Mühe der bisherigen Deduk-
tion verleFren, and au dn^r Spiegelfechterei mit histo«
risohen Scbeinbeaicbungea gewonlen. Preilioh findet
sieb bald aachher der bedenkliche Umstand^ dafs Carl-
atadt 9}die slte manicAUiscAe Anslegang der Einset-
aangawotte des heiligen AbondwaUs^ ^uacb weldber
%ovto . nicfat ^u( die darffereiobton Elemente> sondern
a«f den Xioib des Herm^ der vor den Jängem aafs^
geben soUte,** wieder vorgetragen bat, npd dafa dea«
noch die Scbweizer diesea Mann ^^«ofort als Fleisch
TM ihreni Fleiei^h . anericanatea und in Schulz aab-
um,'' Et kann anob hier piffat uaihia au geetehaip,.
itU^j
t«»;
■l^"^
e Symbolik*
dafs Zwingli. über Carlstadt geurthoilt,
seien niobt fecbt nabb der Sachen, H
tat \ " und fast mufs man besorgen, der U^
bleibe ihm anstöfsig und bedenklich ge
Seh weiter den armen Vertriebenen, eben
von ibreit^ Fleischig war, nach dem GefiM':,^^'
dich nicht von deinem Fleisch — gasmpETaLufgJ
raen, wenn man erwägt, dafs er durch '"'" ' " '^
»iDdiircfa alle Seiten der aMntheciadieif
des ak]u( herischen Verfahrens gegen d
den nur beloben kann. Weiterhin ers
liturgischen Maafsregeln der Schweizer ^rja
und Altarstiirmerei, * und es fallt ihm-
dafs ,, überall die Obrigkeit als die rd^
Evangelium als die li/tke Hand erscii'
jedoch dabei bemerkt: ^ySehonl^^M
keit XU Zürü'h das Predigen über.
und apostolischen Briefe freigegeb
ja hier. einstweilen nur das Evangeli
Hand wirksam, und die Obrigkeit bes
Erste als die ruhende Hand jene wi
zu binden. Hat der Verfasser a
reformirte Kirche sei nur durch
der Obrigkeit entstaadea) so bat Vi;
atebung der reformirten Kirche ki^V
Deotschlaad achleoht erinnert; an
Obrigkeit aber, wie sie im hohen Ni
des Lutfaerthuws wirksam war, \i»fy
gedacht. In Beziehung auf die
mässen Wir «s' noch für einen g^<
ten^ dafs die Obrigkeit iu der
mation mit thätig war, andemfelia Vj
di6s^ Tendenz mit der manial
Linie noch leichter zu vollziehen
Der Verf. onterseheidet zwischei»^
vad den fundamenteilen Differenzen.^
> ■ ■
ohen^ Ihre prinzipiellen DifFermizeiii.
vercbiedenen Auffassung der Ma
Wertes, des Verhhltnisses des Ge|
liehen im Reiche Gottes^ und der Be
habang des Sohriftpriazipa« Dar
welcher die Bedeutung des Wort
Naebt desseihei^ ao wie das Ve
Utt4 Halberen Wortes betrifft,
alle übrigen. Naohdism er voai
, Mavht daa Wortes Cbnsti tjeredat
1 V
iw
rA
koh
►»^
^.^■mm^.
2» C kr i 9 tliv h
■e Msobt des Wortes ansers Hemi Jesu Cbristi ist
aber dieselbe» veiin vir es fiäch tteinem Gekei/s vie-
derbeteo; es mf^ ibe in «asre Mitte u/s. w. — Den
Gegnern uiaeht er. den scbveren Vorwurf: »»sie kowoe-
teo des gespreeheoe und gepredigte Wart nicht für
die Genesis des Glaubens halten » und indem sie so
den kiroblichen Grund verliefsen» wurden sie immer
.mehr auf die ^ schwärmefiiui^be Meinung vom inneren
Wojrte bingetrieben» diw losgerissen Ton der Fülle der
Offeabarang Gottes nur ein Themen ist'* Der Verf.
wetls awiscben dem äuisercn und inneren Worte nicht
aa nnterschetden. Nach ihm ist das Wort der Recht*
gläubigkeit an sieb schon das Wort des rechten Glau-
bens» und eine Formel der Wahrheit mufs mit dersel-
ben Kraft wirken» wenn, sie ein todler Liturg ableiert,
\wie das feurige Sobrift- und Gfaubenswort» wenn es
aas der> bewegten Seele eines Gläubigen ertönt. Dar-
um bat auch der Meister der Orthodoxie» Abraham
üalovins, welcher taglich soll gebetet haben : imple me
domine odio haereticorum *-^ eine so bebe Stellung in
seiKia Buebe erfaaltea über Spener und Cafixt und
andere »»titebtige'' Leute hinaus. Dieser Mangel an
üntersebeidnii^ awischen dem Buchstaben und Geist
ist, eben der Aberglaube» den die überlatberiscben Ei«
iarer dem Lutbertbum vielfach aufgedrungen haben.
Die Gegner aber beschuldigt er falschlich, sie seien
auf die aGhw&mieriscbe Meinung vom inneren Worte
biagetrieben worden. Der Glant^e an das innere Wort
wird fiur dann schwärmerisch» wenn das äufsere vor*
achtet wird. Diesen Vcnrwurf wird man aber gegen
ZwangU und Oekolampad» welche als eifrige Prediger
das Wort ihr Leben lang verkündigt haben» schwer*
lieh debwegen erbeben können» weil der Aberglaube
ihrer Zeit sie nötbigte» zwischen dem inneren und äu«
fseren Wort zu unterscheiden. Weuigsftens beweisen
die Citale des Verfs. nicht» was aie beweisen sollen.
Iter Ausspruch Oekolampads: »»was die äufserlicben
Worte über das Getön haben» das haben sie von dem
innerlioben Gemüthe i|nd, vom inneren Worte — be-
weist gerade» vwie sie wohl verstanden» beide Seiten
des lebendigeik Wortes Gottes in ihrer Einheit ausatn-
aMaaufassen. (Gerade dieselbe Art des Vorwurfs be-
' gegpet uns wieder bei der awciten prinzipiellea Diffe-
rena» betreffend das Verhältnifs des Gveistlicben und
Leiblichen in der Kirche« Den Reformirten wur-
de» behauptet er» »»das Geistliche . der OiTenbaro^g al-
eSymioJiJb. 30
lein das von aller Realität Erfüllte, das Leibliehe aber
das von aller Realität. Entblöfstc." Wei^n diese Be-
hauptung Grund hättet so hätten sie schwerlich das
heilige Abendmahl als Sakrament beibebalteur und treu-
lich gespendet und genossen. Freilich die Realität des
Leiblichen war ihnen das Geistliebe» und nicht wiederum
ein mysteriös Leibliches. Er behauptet /ei:ner» sie bat*
ten die Wassertai]f;e der Geistestaute eutgegengestollt.
Umgekehrt wohl haben sie die Geistestaufe geltend
gemacht» gegen die Voraussetzung von der Allgenug-
samkeit der Wassertaufe. Wer die clmstliche Was-
sertaufe unter allen Verhältnissen für die erscheinende
Seite der unauflöslich mit ihr verbundnen Geistestaufe
betrachtet» fiir den hat Carl der GroEse ein grofses
Pfingstfest gestiftet, .als er die Sachsen zn Hunderten
zusammen zwangsweise taufen liefs. Wenn nun auch
ia diesem Punkte die Reformirten» um den Aberglau-
ben ihrer Zeit zu bekämpfen» streng unterschieden zwi-
schen der Wassertanfe und Geistestaufe, babea sie
darum nach deta Vorwurf des Verfs. ,» keine Ahnung
gebäht von dem Complex des Geistlichen Jind Leibli-
ohea P' Haben sie »»in falschem Spiritaidismtts , das
Leibliche vernichtet» und somit das Geistliche verflüch-
tigt 1*' Sogar die Kindertaufe haben sie im Kampfe
gegen die 'Anabaptisten behauptet $ noch viel weniger
also haben sie die Wassertaufe überhaupt abgeschafft«
das Leibliche vernichtet. Sie haben unterschieden zwi-
schen dem Leiblicbeo und Geistlichen, ohne Beides zu
scheiden» g^sobweige denn die Scheidung zu fixireUf.
Solche Unterscheidungen aber» selbst bU <ur memeu-
taoen Scheidung gesteigert» könnte ein uabefimgper
Christ auch in der Heilsgescbichte und in den- Worten
des Heils finden. A|a Kreuze wird das edelste Leib-
liehe bis ia den Tod verniabtel, wird aber daduvob
das Geistliche vcrSüchtigt? Der Heiland spricht vieU
mehr: Vater in deine Hände befehle ich meinenvGeiat.
Und von seiner Himmelfahrt sagt er lum voraus i« wenn
ich nicht hingehe» jso konmit der Tröster nicht zu euch.
Die leibliche Erscheinung mufs hier verschwinden» da*
mit der Geist komme. Solche Momente durohbreohen
die Heilsgescbichte» damit das Leibliche nicht vfli^öb-
tert werde. Darum ist auch die Auferstehung an das
Ende der Welt» in die VoUendui^ der Gerechten ver-
legt» weil es so schwer ist, das Geistliche im Leibli-
ohen mit geistlicher Remheit festzuhalten» ohne dem
Dienste des Leiblichen abergläubisch xu verfallen.
31 ' C hri 9 t lie k
Danim Übt auch der Tod einstweilen ieioe altbekannt e,
gtille, reforn&rende Bildersttirmerei durch die ganze
Welt, nacV Gottes Gebeifs, naobdeut dem Gomplex
zwischen dem Leiblichen und Geistlichen sein Recht
geschehen ist. Sollten sich wohl nach dem Theorem
dos Yerfs. durch den Spiritnalismns dieses Gottesbo-
ten die Geister verflüchtigen! Bei alle dem lüugnen
\At iticht eine gewisse Einseitigkeit und Beschrftnkt*
beit der Reformation in der \yürdiguog der Verleibli-
ohungen der göttlichen Verbeifsung. Aber defswegen
sind sie nicht mit dem Ve^f. einer „seuchtigen Theo-
rie'' zu beschuldigen; eben so wenig als man Luthers
accentoirte Beibehaltungen mit der Theorie von dem
deus in pyxide verwechseln darf. Wenn Luther von
der Beseitigung der, Bilder sagte: noch nickt! obschon
er die Ueberzengung hatte, dafs sie schädlich wirkten,
so hatte in diesem Falle er den spiritualistiscben Stand-
punkt, in dem er die geistliche Ueberzeugung nicht
durch angemefsne Schritte vtsrtciblichte, und bei alle
dem hatte er doch nicht die 4deal freie, christliche An-
sicht von dem göttlichen Beruf der christlichen Maler-
kunst für i^t Erbauung mündiger Christen gewonnen«
Dem zweifelnden Nock nickt hätten die Reformirten
mit gutem Grunde ein glaubiges: EinH wieder entge-
gensetzen können, wenn sie nicht auch in ihren Ab-
BchafTungen sich einseitig tii[irt hatten. Als die dritte
prinzipielle Differenz bezeichnet der Vf. die verschicdue
Anvendong des SchriAprinzips. ^,Die formelle lieber-
einstimmung über die Zuläfsigkeit dieses Prinzips, sagt
er, kann keine Glaubenseinigkeit hervorbringen, die
nur dann entsteht, wenn die Glaubeneregel hinzutritt,
und sowohl den irrenden Sinn zügelt, als den «ucben-
den leitet, und den Ungewissen gewifs macht. Zuvör-
derst heischt nun die Gerechtigkeit das Geständnifs
von uns, welches die unbefangne Betrachtung des Strei-
tes ergiebt, dtffs hierüber im Allgemeinen und vom An-
fang an zwischen Luther und seinen Frennden anf der
einen, Zwingli und Oekolampad auf der andern Seite
keine augenfällige Uneinigkeit obwaltet. Gewifs ist
es wenigstens, dafs Oekolampad mitten in der Hitze
des Kampfes «mf das einmütkige Zeugnifs des christ-
lichen Glaubens von Alters her sich berief, und alles
Ernstes eiüen Glaubensartikel zu seinem Schutze vor-
hielt^ n. 8. w. ; i^ewifs ist es, dafs das Helvetische Be-
kenntnifs vom Jahre 1536 mit bellen und klaren Wor-
(Der Beschluffl folgt)
S ymi ^lii. 32
ten lehrt: die Schrift müsse durch sich selbst erklärt
wenlen, doch so, dafs die Ghiubenklehre uns leite und
^teure u. s. w.'' — Der Verf. hätte noch Ticles iKeser
Art anführen können und gerade dieser Charakteriuig
inurste ihm als das entscheidende Merkmal der Kirdh
lichkeit der reformirten Kirche erscheinen. Statt des*
sen sucht er sofort die Bedeutulig seines GestÜDdnio-
ses zu entkräften durch die Bemerkung, Zwingli und
Oekolampad hätten sich zu solchen Prinzipien bekannt,
die konsequent ausgeführt nicht nur die Gewifsheit der
Schriftauslegung nach der Giaubensregel, sondern den
Organismus des Glaubens selbst geftLbrdeten« Mit die-
sen und ähnlichen Conseqnenzmachereien von seinen
unklaren Voraussetzungen ausgehend, sucht der Verf.
also die Zugeständnisse, welche ihm der historische
Thatbestand abgenöthigt hat, zu reklamiren. Wir wol-
len jedoch hier bei seinen Concessionen uns berahig:en,
um so mehr, da er sie selber als Geständnifs bezeich-
net hat.
Wir hätten nun^ den Verf. bei seiner Darstellung
der fundamenteilen Diiferenzen zwischen beiden Kir*
chen, und weiterhin durch die ganze Schrifl: zu beglei-
ten« wenn dazu der Raum geblieben wäre, oder wenn
wir nicht glauben müfsten, durch das Bisherige seine
entschiedue Befangenheit hinlänglich erwiesen zu lie-
ben. Diese Befangenheit tritt in der Folge noch atftfw
ker hervor« Für ihn hat die dreihundertjährige I:^nl*
Wicklung beider Kirchen nichts Versöhnliches eiDge-
tragen. Er ist überall mit dabei auf der einen Seite.
Der alte Groll gegen die Schweizer lebten seinem
Werke frisch wieder auf, besonders der anne Zwingli
wird übel mitgenommen. Der Verf. konstruirt das ve-
formirte Uekenntnifs mit Vorliebe. ans auffaliendeo Pri-
vatäefserungen Zwingli's, Calvins uud Andrer, obachon
er nicht läugnen kann, dafs sich dasselbe in den met
sten difentlksben Confessionen sehr geläutert über wA-
che Privatäufserungen erhoben habe. Diese Methode
der Polemik hat man in der neuesten Zeit dem Sjn^
boliker Möhler, der sie zu Gunsten des Katholizismus,
und namentlich anf Luthers Kosten angewemlet, zum
schweren Vorwurf gemacht; wovon der Verf. keine
Notiz genonmien zu haben scheint, da er nach Mob-
lers Vorgang die Bekenntnifsschriften nach den Pri-
vatäufserungen der Refonnatoren ausgelegt wissen -will.
vif 5.
J a h r b ii eher
für
w i 8 8 e n s c h a f 1 1 i c he K r i t i k^
Juli 183^.
1) Die reUgiöie EigenthiXmlichkeit der lutAertr
eciem und ^ der reformirten Kirche. Versuch
ewier geschichtliehen Vergleichung aan Max
Göhet.
2) Reformationy Lutherthum und Union. Eine
historisch ^dogmatische Apologie der lutheri-
schen Kirche und ihres Lehrbegriffs von Dr.
, A. O. Rudelbach.
(SchloOi.)
Bf nfannit Notfas ron den Scbeltworten der Refor-
waxUoky nicht niso tob den Scbeltworten seiner Par-
ihei \ ao dafe man fiber den glüekKcben Wetteifer bei-
der Theile in dieser unseligen Meisterschaft nicht in^s
^lare Icdmnit. Wenn die Lutheraner einmal nacbge-
ben, so ist es die. Klugheit der. Jll^i;^ chten» geben die
Beformirtto iMtebL so ht es fleischliche Politik. So-
gar die gehässigen Insinuationen, welche der leiden-
schaftliche Kampf erzeugte, läfst er auf der lutherischen
Seite (lir schlagende Argumente gelten. Die Reformirten
l^ochten besonders auf die Bibelstelle : der Geist ist
es, der da lebendig macht, das Fleisch ist kein nütze*
Da nun zunächst von dem Leibe Christi die Rede war, so
mufsten nagh Luthers leidenschaftlicher Wendung die Re-
formation gesägt haben: das Fleisch Christi sei kein nütze,
bafs Luther im Gedränge des Kampfes auf eine sol-
che Replique kommen mochte, mögen wir dem grofsen^
Glanbenshelden, der auf dem Todtenbette gegen Me-
lanchthon äofserte: ich fürchte, wir haben dir Sache
zu yiel gethan — nicht zum Vorwurf machen, aber
ein CTangelischer Referent unserer Tage sollte doch
Besonnenheit genug haben, eine solche Wendung nicht
zu adoptiren, wie es unser Verf. thnt. Wir übersehen
also einen grofsen Theil seines Werkes, um nicht
durch die Calamitäten der protestantischen Vergangen-
heit geführt zu werden,^ ohne irgendwie in der e? ange«
Jahrh. f. wiMMfcA. Ktitiki J. 1830. IL Bd.
lischen Gegenwart anzukommen. Auch die Exkurse
der Schrift, deren erster unter der TJeberscbrift : dU
Waldenser und Albigenser die Verschiedenartigkeit
beider Richtungen zur genealogischen Verherrlichung
der einen und Verdächtigung der anderen Kirche dar-
znthun bestimmt ist, deren zi^eiter, betitelt: Tertül-
lianls Lehre vom Abendmahle, die Zwinglische Ausle-
gung der Einsetzungsworte einer Ton ihr in Anspruch
genommenen kirchlichen Autorität berauben soll, und
deren dritter die „verglichenen Artikel des Colloqnii
zu Marburg" mittheilt, können hier nicht weiter in Be-
tracht kommen. ' Die praktische Spitze des Werkes
liegt in dem 13. Kapitel, wo der Vf. von dem „Geist
und Charakter der neudeutschen, besonders der pr^u-
fsischen Union redet; bei diesem Kapitel müssen wir
noch einen Augenblick verweilen. Das Werk läuft an
dieser Stelle aus in eine nirgends bedingte Sympathie
für die neuesten sogenannten lutherischen Bewegun-
gen. Der "(^erf., der sich sonst zu dem neuerwachten
Leben in der evangelischen Kirche bekannt hat, be-
richtet hier, wie sich unter dem „beginnenden und
stets verstärkteu'Glaubensdruck" (den Maafsregela ge-
gen Scheibcl und seine Aubänger) ein y^ieues Leben
$n der Kirchif* geregt habe* Wir sind keinesweges
gesonnen, alle Maafsregcin gegen die „Lutherssohne'*,
wie sie sich nennen, zu billigen; man sollte nur nicht
vergessen, dafs die Correktur derselben, als stille Kri.
tik übergreifender Schritte der Behörden, als versöh-
nende Beschwichtigung der Aufgeregten in einer lan-
desherrlichen Entscheidung längst gegeben worden ist
Davon nimmt nun dieses neue Leben, zu welchem der
Verf. sich gegenwärtig bekennt, freilich keine Notiz
mehr. Der Verf. geht hier wiederholt darauf aus, die
neudeutsche Union aus dem weitverbreiteten Indiffe-
rentismus abzuleiten, obwohl er an einer Stelle nicht
leugnen, kann, dafs gerade das Entgegengesetzte, die
Umkehr zum Glauben «in der Befreiungszeit wesentlich
• I
35 C hr i $ t l i,c he S y mb 0 Itk. 36
an ibr betheihgt sei. Er bätte diesen Widerspmdb .bat gelio^n wolldn. Und so giebt sie Cbristo die
erklären sollen. Allein er konnte es nicbf, Treil ihm
verborgen war, dafs das ein Gottessegen der neuelti
theologischen Richtung ist, dafs man auch vom Stand«
4pankte des Glaubens aus indifferent geworden .ist ge-
gen den Subtilitätseifer der TA^Xoien geratle in Folge
inniger 'Werthschätznng des christlich Gemeinsamen,
des Wesentlichen in den Glaubenslehren, der Einheit
der Gemüther im Glauben an das Heil in Christo. Wer
dagegen die christliche Brndergemeinschaft ganz auf
den letsten Wurf setzt, auf die Frage nach der buchstäbli-
chen Uebereinstimmung in den schulmäfsigen Entwick-
lungen der Abendmahlslehre und in 'ähnlichen Spitzen,
der gerade ist in einem solchen Momente in einen
sehr beklagenswerthen Indifferentismus gegen den Mit-
telpunkt der (Christlichen Lehre und des christlichen
Lebens, gegen die Beglaubigungen des Bekenntnisses
der evangelischen Grundlehren und der Wiedergeburt
bineingerathen. Das war der Indifferentismus jener
orthodoxen *Zelöten, welche die ganze christliche Glau-
bens- und Erkenntnifsfulle eines Spener und Arnd fiir
iiichts achteten gegen das Gewicht ihrer vermeintli-
chen Differenzen. Wenn einmal über den lAdifferen-
tisnms der neuem Zeit Gericht gehalten wird, so wird
ihr Ürtheil gewifs vielfältig dadnreh gemildert werden,
dafs sie den IndifferentizmuM gegen die Lebens-
Wahrheit der Ueberzeugungen^ gegen, das Gesetz
und die Bdrmlierzigkeit^ g^S^^ ^^ Bruderliebe und
Sanwriterliebe so ernstlich bekämpft hat. Eben so
falsch ist die andere Behauptung des Yerfs., die neu-
deutsche Union habe das „Absehen von dem Bekennt-
nisse" zu ihrer Voraussetzung. Nicht die Bekenntnisse
werden beseitigt, im Gegentbeil haben sie ja erst in
äeden Unionszeiten wieder Ansehn erlangt. Wenn
man freHieh die Blüthe der Augsbnrgiscben Confession
nur in dem : damnant secus docentes zu finden ver-
mag, so kann man nicht umhin, sa zu behaup-
ten. In der .Wahrheit aber ist den Bekenntnissen ihre
Geltung gesichert. Die Union setzt nicht die Bekennt-
nisse bei Seite, auch „verflacht** sie nicht die Diffe-
renzen der Bekenntnisse. Sie erklärt nur, in den Dif-
ferenzen liege kein Grund zur konfessionellen Disu-
nion, das hcifst zur Exkommunikation. Sie erwartet
demnächst die Auflösung der Differenzen von dem
Geiste des Friedens und der Liebe, nachdem diese
Auflösung dem Geiste* des Unfriedens und Hasses nicht
Ehre, der jm Centrum des Glaubens, des Bekenntnis-
ses und der Gemeine wallet, nicht aber der Schule, die
in der Peripherie, in den Entwickelungen ihre Kraft
und ihre Schwachheit offenbart.
Die Reaktionen des Papismus, des i'eformirteBy
des lutherischen Partikulatismus, und selbst der Sy^
nagoge, die man von Moses Mendelsohn anf die strikte
Observanz des Talmud zurückgewiesen hat, bringen
ihre Fehlgeburten sehr rasch nebeneinander za Tage,
nadidem die Fehlgeburt der St. Simonistischen Berwe-
gungsparthei vorangegangen war. Hoffentlich' liegt in
diesen unzeitigen Wehen der Extravaganzen rechts
und links eine gute Vorbedeutung för den gründlieh
stillen, ruhigen Fortschritt des Reiches Gottes unter
den Erschnttenmgen unserer Zeit.
Lange, in Duisburg.
1 1 >
IL
De mythij inprühi» graeci natura Commen-
tarii; scribebat Carolus Mauritius Fleischer
(Progr. Paedagog. Heg. Halens.) Balis S. 183a
60 S. 4.
Der Verf. gibt in diesem Aufsatze einige Ansich-
ten über Weseiy und Entwicklung des griechischen
Mythus und kritisirt vornehmlich Bemerkungen von
Ottfried Müller.
Er geht aus von dem Unterschied in Geist und
Bildung zwischen dem Orient und dem Griechenvolke;
Religion, Staat, Kunst der Orientalen ist überberrscht
und gebunden von der Natur; im Volk der Griechen
kommt der Geist zu sich selbst (S. 7 -^ 11). ^ Diesen
wahren, oft erläuterten Satz richtet der Yerf. gegen eine
Erklärung Mülter's^ die nicht damit streitet. Müller^
der Meinung abhold, dafs die Mehrzahl griechischer
Mythen aus dem Orient gebracht sei, gibt zu, die Be-
kanntschaft mit Religion und Sage der orjentalisch^n^
wie auch anderer Völker, sei ganz forderlich, doch
müsse das Griechische innerhalb seiner begriffen wer-
den. Der Verf. sagt (wenn ich es kurz ausdrücke)^
das Capitel in der Geschichte des Geistes, um defs-
wHIen die Griechen gelebt haben, verstehe man nur im
Zusammenbang mit jenen Capiteln, mit welchen der
Geist im Orient angefangen. Allein es genügt zu er-
innern, dafs jede^ denkkräftige Mensch den ganzea
97
fleitehier, tle mytA*, ü^trimü graeei naturm.
tSöist, als desseto Aaseioander hier die Geschiphte be-
trachtet wird, in sich hat, und daher, Qm einen be-
Ütimmten Bildungs^listand zirYerstehen, nicht gendthigt
ist, die Vorstufen deaselben auf fremdem Boden sich
Torznsfelien« Was dieser Bildungszustand überwunden
habe, was nicht, das legt er an seiner Gestalt zu
7age; sonst wäre er icein wirldicher, geschichtlicher;
• imd der Geist versteht das aus sich; denn er ist sjßibst
^ie positiv^ Mö'glichkert auch dieses Bildungszustan-
^es. Man kann die Sprachen der Völker ebenso als
stufenweise Entwicklungen des SprachbegViffs rangi-
rea^ ist es darum unerläfslich, dafs man Chinesisch
rerstehe, um den Organismus der griechischen Spra-
che einzusehen f — ^ Auf der andern Seite behauptet
delr Verf., die Einsicht in Griechenlands Gegensatz mit
dem 'Orient, beseitige Creuzer's Ansicht vom Ursprung
der Mjtben aus dem Letzteren y^radicüuM^\ Im Grunde
dooh nicht, nachdem Verf. selbst gesagt, Griechenraud
sei TTuhrend seiner Kindheit mit den Formen des orien-
talischen Geistes theils behaftet, tfaeils iuv' Kampfe
(p. 12), und nachher (p. 37 f.) noch bestimmter ans-
sprtcht, die Cultur sei stufenweise aus dem Orient und
in stetiger Verbindung von Aegypten nach Griechen-
land übergegangen (animi cultnm bumani generis — ab
ipsis Aegyptiis cpntinuo ad Graecos quasi profectum
'esse et transiUse). Spfttere, dem Orientalischen entge-
gengesetzte Begriffe des Mythischen hat Cretsxer
Vie geleugnet, sondern selbst auf seine Weise zu be-
gräuden gesucht. ' Es wurde sich um historische Gren-
zen handeln, die mit so 'formalen Sätzen nicht gege-
lien sind.
Der Verf. fragt nun weiter. Wessen Aussage der
griechische Mythus sei. Hier antwortet er einstimmig
mit Müller: nicht gelehrter Priester, noch auch der
Dichter in solchem Vorzuge,' dafs es nicht aiis dem
Binne und im Sinne des ganzen Volkes gewesen wäre,
'Was sie mythisch aussagten (p. 13). Ferner: Was ist
der Gegenstand der Aussage? Hier wendet sich der
Verf. gegen Forchhammer and die Meinting, dafs ,Je-
dem wahren Mythos eine phytisehe Thatiache zu
Orund liege." Er gibt «u, diese Ansicht habe eine
relative Wahrheit, der Blick anf das alte Leben der
Griechen begegne ttberall der Natur, ihren Reizen,
ihrer „den Geist bewegenden und störenden" Macht;
die Ueberlieferungen vonDodona's Eichen und Schall-
becken, von den Titanen, vom scheinbar natürliehen
38
Ursprünge- der Olympfer selbst, von den Pelaagem,
den Mysterien deuten auf einen vitae statum ab omni '
parte naturalem zurück. Aber die Tdne und Schauer
Ton Dodona seien bald den Orakeln der Pythia nach*
gesetzt worden (das nicht eben. Das Dodonäische
Orakel ward von den gebildetsten Griechen befragt,
80 lang Griechenland blühte), die alten Götter besiegte
ein jüngeres Göttergeschlecht von menschlicher Gestalt
und Vernunft, die Pelasger wurden von den Hellenen
überwunden : zum Beweise, dafs der menschliche Geist
in Griechenland zuerst seiner selbst Herr geworden.
Einem sokheq Volke könne keine solche Befangenheit
in seiner lokalen Aufsennatur zugeschrieben werden,
als Forchhammer zum aupsschliefslichen Inhalt der My-
thofogie mache (p. 14—17). — Für eine andere An^
sieht wird Böde nahmhaft gemacht. Wenn dieser sagt: .
„durch Mythen erscheinen wirkliche Begebenheiten in
veredelter Gestalt auf eine höhere Stufe ethischer Be^
fieutung gestellt," so ist das freilieb unbestimmt ge-
sprochen % Was jedoch der Verf. zunächst entge-
genbält, dafs die Form der mythischen Facta selbst
mit der äufseren gechichtlichen Wahrheit unvereinbar •
sei, ist nicht entscheidend. Denn dasselbe kann man
von vielen Gediehten behaupten, welche sichere histor
rische Facta besingen. Die Gleichstellung der Mythen
mit solchen sucht der Verf. zwar (p. f 9 f.) durch die
Frage zu beseitigen, wie es denn denkbar sei, dafs
die Facta derinafsen ihrer historischen Wahrheit hat-
ten entfremdet werden können^ wenn doch das Inter-'
esse an diesen selbst den Mythus hervorgerufen!' —
Wer jener Ansicht ist, wird sehr leicht antworten, die
Anschauung des Volks habe von Anfang die Facta
nicht in ihrer reinen ObjectivitUt, sondern pbantasie-
voU gefafst, daher, was er Entstellung nenne, für die
Wahrheit genommen. — Nach Anführung blos solcher *
Gründe durfte daher der Verf. nicht meinen, MüUer^e
'Nachweis, dafs der Mythus Reelles und Ideelles, Ge-
*) Unbegreiflich ist, wie der Verf. des Aristoteles Worte (Poe-
tik 6) fort T^s jtQtt^tms 6 fivd'og /LtC/utjcts zum Beweis neh- «
men kann, auch Aristoteles habe im Mj'thus die'Nachab-
mung eines Faetums ^esehn. Die gauze Poetik zeigte dufs
Aristoteles hier unter. juv^oc blos' den zu dichtenden Vor-
gan^ rersteht, der ein historischer oder traditioAelier sein
^ könne, d^m Begriff nach aber blos ein möglicher, ideell zu
beglaubigender sei. Der angeführte Satz sagt nichts als «-
„die Fabel eines Gedichts ist ideale Verstellung der Uaiid-
lung."
»
fü»t4tAei\ dß a^ftÜt «V^m groeci natura.
«
sei.
Mbebeiieft und Oedacfates in «ch rerbinde, widerlegt
wo, faabiin. Der Verf. hätte untereuehen nSMeil, ok
^er Begriff itst yerknopfung probehaltig. gefärst» ob
^eete Kriterien für^ein scbeidbares Feetisehee aofge-
•teilt seieii. Statt dessen sagt er nur (p. 30)i ^^Die
Facta, die ein Mytbna »i erzählen scheint, sind entwe-
der offenbar unfaiatorisoh oder nicht Ton einer *Wich-
tigkdt, die den Sinn des ganzen Volkes fesseln könnte.'*
Wie so denn ? Erzählen nicht viele Mjthen von Städte-
.Eroberungen, Völkerwanderungen, Stiftungen von Kö«
nigsgesohleobtem, Gründungen von Staatsforuien, Bun*
desrechten, Gesetzen, Sitten t Alle diese Dinge wären
pon tanti, in ^uibus totius populi mens defixa quasi
haerere qneati In der That wird kein Kundiger % die
Mythen nur für verzierte Geschichten nehmen $ aber
was der Verf. beibringt, könnte davon nicht abhalten,
mehr die Grande, die Müller (Prol. S. 61 f. 69 f. 76.
89. 93 f. 106 ff.) u. A. gegeben.
Sehr schön ist der Satz, den der Verf. im Fol-
genden schreibt, dafs der wahre Gegenstand jedes Vol-
kes, aneh seiner Sagen, der Geist des Volkes selber
Aber indem der Verf. diesen Geist in Weise der
als das abstrakte. Innere der Leute im Ge-
gensatz mit ihrer Aufseonatur sieh vorstellt, komuxt
der Satz um seinen spekulativen Gehalt, um alle wis-
senschafUicfae Fruehtbarkeit Was hilft es mit Aor
dern sagen, das durchdringende Selbstbewuistsein sei
das Charakteristische des Griechenvolks, wenn man
dalimter blos ein Erkennen seiner in Ahnungen» . duv^
kein GafiihloQ und Bildern versteht. Von welchem
Volke kann man weniger sagen) (Sui conscientiam m
mjrthis sub suspicionnm adhuc et obaoure seosorum
forma ooneeptam et ad imaginnm varietatem coactam
«t expressam). Und hieraus sei erst ganz klar, wo-
her die scAßiniar pkyMÜcAen Mythen kommen. Da
nämlich die Griechen nur allmthlig die Herrschaft der
Natur abgesdbüttelt, sei ihr Geist Anfangs mannich-
faltig afßzirt, bewegt, gereizt und getrieben gewesen
von Landesnatur und Klima (factum est, ut eorum
auimus multifariam afficeretur, mov^retur, incitaretur,
«t impelloretur terrae ooelique natura). „So habe der
Mythus, indem er diese durch den Impuls der Natur
gleichsam erweckten Bewegungen und Affekte und
Ideen (!) aussprechen wollen, sich der Natur ähnlich
gestalten müssen. Daher die altattiscben Mythen
nach Meer und Wasser aussehen, Zeua noch Reg«,
Bacchus nach Wein, in Wahiheit aber nicht dieses Ns
türliche, sondern ein Göttliches ausdrfitkeo, weichet
^ie darin fühlen (quod rebus si^baentiuQt insifum) eiai
göttliche Kraft im Wasser, itfL Wetter, im Wciu.*'
Das heifst nicht die Ansicht von der physischai
Bedeutung der Mythen widerlegen, sondern schlecfathii
Annehmen. Denn ein Geist, von dem man. sonst niohli
weifs, als dafs er von aufsen gereizt, bewegt^ gotiii^
ben wird, ist kein Geist, sondern ein Element. Und
ein Geist, der nicht sich denkt, sondern eine Wa8le^
Substanz, Regensubstanz, Weinsnbs|anz, ist eben «p
Aggregat natürlicher Substanzen, kein Selbstbewufit'
sein. Woher aber diesen Substanzep das Fradiiut
der Göttlichkeit komme, kann bei des Verfs. Erklänuf
noch gar nicht begriffen werden« Das einzige Sok
stanzielle in diesen Mythen wäre sonach das Plij«-
sehe, und Fleischer vollkommen einverstanden mit
FemfJiammer. „Eben daher — fährt der Vf. fort -
erklärt es sich, dafs viele Mythen hutarueke Faetu
W. erzählen scheinen. Denn viele historische Fsdi
sind der Art, dafs sie den Geist heftig erschütten^
stoben und entzünden (ut- acriter pellant anjmuoi fe*
riaatque et accendant) und indem dies der Geist nack
dem Triebe seiner Natur auszusprechen strebt, vsAf
lehnt er sich von diesen äuCjseren Facten den Stol
seines Gebildes und die Buntheit der Farben derge^
stalt, dafs zwischen dejn Bezug des Mythus und den
Factum eine nicht geringe Aehnlichkeit statt zu habet
scheint." Dieser Geist ist uns wieder nicht weiter de-
finirt, als dafs er den natürUcheo Trieb habe, wenn
ihn Facta stofsen und entzünden, dies auszusprechen)
sonach kann Was . er ausspricht, auch nichts anderei,
sein als seine Gesfbfsenheit und Entzündung dorck
Facta. Diese Facta sind das einzige Positive, ^^
naa des Verfs* Beschreibung gibt, daher ihr zofplip
das Wesen solcher Mythen; und so ist der Geist dtf
Letzteren nach Hrn. Fleischer noch abhängiger voi
wirklichen Begebenheiten^ als nach Hm« Rode. Dieser
schreibt ihm doch eine „Veredlung der Begebenheit«
und Erhebung auf eine höhere Stufe"*, ethische Wihr^
zu; der Verf. blos einen natürlichen Trieb,, die StdfM
der Facta auszusprechen.
(IKe FortsetzBüg folgt)
■.WM»
w 1 s s e n
Jahr buche
für
schaftlich
e Kritik
Juli 1839.
, \
JDe mythij inprimis graed natura Commenta"
r$$; scribebat Carolas Mauritius Fleischer.
(Fortsetzung.)
DeDnoch conoludirt er, ^,au8 der £^rklärung dieser
iMfaÜDier erweise sich, dafs m den Mythen das. Volk
Adarstelle alles das, was es im Geist bewege und em-
pfinde und die Ideen seines Geistes (seit wann ist Ge-
reiztwerden eine Ideef) ; keineswegs aber Localnafnren
oder Facta, sondern vielmehr, wie es beide im Sinne
des Geistes gefafst und erwogen habe (quo modo utra-
que animi sensu oonceperit ac pensitarit)- Also, der
Mythus stellt keineswegs Natürliches dar, aber wie
das Volk Natürliobes auffafst; keineswegs Facta, aber
trie es sie erw> Nun, Hr. FareA/iammer meint ge-
wifs auch nicht, dafs dar Mythus wirkliches Wasser
oder wirklichen Regen oder Wein enthalte, sondern
eine sinnige Ynlksauffassung von Wasser, Regen, Wein.
Defsgleichen Hr. Bode nicht, daf^ der Mythus das leib-
haftige Faefum auf eine hShere Staffel stelle, sondern
das in Gedanken verklärte Factum.
Hiermit ist dem Verf. seine ganze Unterscheidung
.des griechischen und orientalischen Geistes wieder ab-
banden gekommen. „Die Materie des Mythus, sagt
«er (p. 23), sei der naturliche, sinnliche Geist^ „animus
4DaturaUs i. e. ''cujus vis in sentiendo duntaxat posita
est.'' — .Das Natürliche ist dasjenige, was schlechthin
seine Wahrheit aufser sich hat, das Sinnliche das,
worin das Bewnfstsein sich äufsorlich ist, ^ein Geist
dieser Kategorie ist nicht bei sich, selbst, ist nur bei
Anderem, es kommt ihm nicht zu, was der Verf. sofort
ihm beilegt, dafs das, was dieser Geist enthalte, auf
sich begründet, sein selber Ursache sei. Aus dieser
Selbstbegründung soll dis Nothwendigkeit des Mythus
in seinem Hervorgehen folgen. Was seinvselbst Ursa-
che ist (sui autor, originisque in sc suae causam com-
prebendens) nennt man gewöhnlich frei, nicht nothwen-
Jahrb, f, wmenich. Kritik. /. 1839. II. Bd.
dig; so würde viebnehr der freie Ursprung des My-
thus folgen ; da aber der VerC hinwiederum den Geist
des Mythus nur als den sinnlichen' bestimmt bat, kann
derselbe nur ein sich äufaerlicber, nicht freier sein, ist
aber damit auch noch Iceinnoth wendiger, bevor erkannt
ist, dafs das, an was er sich und die Art, wie er sich
entäufsert, nbthwendig sei. Daher ist, was der Verf;
gleich folgen läfst, wieder etwas Anderes: dafs näm-
lich „sich der Geist sich selber vorstelle, wodurch er
das Selbstbewufstsein erlauge.'' Wie kann das ein
Geist, der nur bei Anderem ist, und sich gar nicht
hat? — Femer soll sich daraus die Allgemeinheit dies
Mjihus ergeben, indem „darin das Volk sich sein ei-
genes Bild in Junten Farben und Gestalten anschau-
lich mache, der Mythus also nur ausspreche, w^s Alle
bewege und erfülle.'' Was ist es denn, was den sinn-
lichen Geist bewegt und erfüllt? Wirkliche Erschei-
nungen. In diesen erkennt der Sinnliche nicht sieb,
sondern verändert sich nur mit ihnen. Sie sind für
Andere andere; fest ist an ihnen nur das naturgcmäfs
Fixe, Regelmärsige. Und so verfallen diese Bestim-
mungen des Verfis. unrettbar der ForcAAammer^&ohen
Mythologie der Localnaturen.
Defswegen kommt auch, der Verf. (p. 24) abermals
darauf zurück, „in den Anfängen der Bildung sei der
Geist des Griechenvolks quasi gebunden in der Natur,'
dies sein habitus naturalis, ein Zeitalter, wo der mensch-
liche Geist den mens in der Natur und in den natürli-
chen Dingen als ein höheres Wesen verehre und scheue
(quo tempore animus humanus mentem in natura, xe-
busque naturalibus tanquam numen superius veretur
atque horret). Das ist es ja, was der Verf. bestreiten
wollte, nun gibt er es immer wieder zu ; imd doch hat
e)r nicht einmal erklärlich gemacht, wie die Annahme
eines mem in den naturlichen Dingen entstehen kdnne.
t)enn dafs sie den Geist bewegen, reizen, füllen, wirft
auf sie keinen mens zurück, wenn nicht gesagt wird,
6
43
FleUeher^ de mytUy ittprimü graeei natura.
was der Geist selber sei. Wasser bewegt« auoh BU-
me, füllt auch CuteroeQ) reizt auch durstige Thiere,
de&wegen scbceiben Bäume^ Cisternen und Tfaiere deli
Wasser doch keinen gottlichen mens m«
Der Verf. hat dem Geist nichts viadicirt als jenes
quasi. Vorher (p. 11) sagte er, der Geist der Griechen
sei Menschheit, Bewufstsein der Herrschaft über die
Natur, Freiheit; so wie es zu näheren Bestimmungen
kam, hat er ihm nur conträre Zustände und Verfas-
sung beigelegt Er föhrt fort (p. 25): „Ein solches
Zeitalter der Verehrung des Natürlichen haben alle
Völker, so auch die Griechen durobzumachen, obgleich
darin etwas ist, das Ton Grund aus überwunden wird
(etsi in bis tale est, quod fundilus pervincatnr). Da-
her kommt es — folgt unmittelbar — dafs die An«
fange des griechischen Mythus Tomehmlioh in diesem
natürlichen Elemente sich bejSFegen und die ältesten
Mjthenformen stets den Geist der Natur athmen, (Ex
quo fit, ut Graeci mythi primordia praecipue in natu-
'nli istb elemento versentur et antiquissimae quaeque
Biythorum formae mentem ac spiritum referant naturae).
Heifst das nicht, immer wieder die Färse heben, ohne
Tom Fleck zu kommen? — Dann: „So sind die Mei«>
sten überzeugt, dafs das Bild des ältesten arbeitenden
Hercules ursprünglich auf die Sonne und ihre Macht
sich beziehe; das heifst aber: das griechische Volk
fafst das Wesisn des Geistes (animi "^umen), insoweit
es dasselbe in der Sonne und ihren Wirkungen zu er*
kennen glaubt (quatenus in sole ejusque effectibus
cemere iibi videtur)^ unter dem Bilde dieses grofsen
Mannes und seiner Thaten auf, fühlt nnd druckt es
darin aus (sub simulacro — concipit et sentit, expri-
mit et-proponit).'^
So lange weder der Geist an sich das Prädikat
hat, Sonne zu sein, noch die Sonne an sich das Prä-
dikat, Geist zu sein: so lange ist mit diesem Satze
weiter nichts gesagt, als das Volk stellt sich die Sonne
als ein Göttliches vor. Weder aber hat insofern das
Volk wirklich einen Geist -vor sich; denn das Wirkli-
che ist ja der Sonnenkörper; noch sagen diese Worte,
wie ihm sein Schein eines göttlichen Geistes in die
Sonne gekommen. Das, was der Verf. zeigen sollte,
postulirt er.
„Da aber das W^es^n der Natur an sich zwar das-
selbe ist, was der Geist, jedoch eine. niedrigere quasi
Stufe des Greistes, und da die Griechen 'zuerst zu die-
41
•er höheren Stufe feich erhoben, dafs sie den Geist ii
Menschen selbst und in ihnen' selbst erkannten, gdit
auch mit dem Fortschritt des Geistes der Mjthns, der
den Geist ausdrückt, weiter, wird ausgebildeter naj
vollkommener. Der Mythus wächst also mit dem wsd
senden Volksgeist und indem er ein und itasnlügi
Bild dee Geistee oder der Idee dleiStj steigert oat
ToUendet er sich zum Zeugnifs, wie vordem des rok
ren, nun des gebildeteren und freieren Geistes. 8i
steigt der Hercules, welcher Anfangs qnasi die Arbd
ten des Geistes in der Sonne auadrückte (qtti a priii>
cipio aoimi in sole quasi labores expressit), allmäUig
zu moralischer Bedeutung und stellt den menschlicha
Geist und Was dieser im Leben arbeitet und duidd;
vor Augen; wefshalb Buttmann*s Deutung, des Her»
lesmythus richtig, aber niit der Creuzer'schen zu t»
knüpfen ist.*^
Die Sache, wie sie richtig, haben Andere geseijti
aber die Erklärung des Verfs. ist nicht einmal eiae
quasi • Erklärung. Nachdem er nur behauptet bat, dar
Sonnen - Hercules sei eigentlich der dfeist^ bleibt di^
ser freilich insofern dasselbe, wenn er nun meDsohli'
eher Geist wird. ' Aber für jenen Geist hat uds der
Verf. keine andere Wirklichkeit gewiesen, als di^
Sonne zu sein und als Sonne zu wirken , für diesei
nun, Mensch zu sein, und als Mensch zu kämpfen
Nach seiner Wirklichkeit also ist dieser Geist keioei'
Wegs derselbe, wie jener, keineswegs durch sich klar)
dafs^ die Sonne im Fortschritt Mensch werde, odee der
Mensch auf einer niederen Stufe Sonne sei. Non ^
derspricht sich, dafs der Mythus, wenn sein Geist (vie
oben behauptet) eine nur natürlicAe Wirklichkeit baft
indem diese Natürlichkeit von Grund and überwandei
wird (fhnditus pervinoitur) doch ein nnd dasselbe BiU
desselben Geistes bleibe (permanens idem ejusdemipii
animi sive Jdeae simulacrum). Das hiefse hier, Be^
cules bleibt in einer und derselben Bedeutung Soone
und Mensch. Gerade für diese einzige verknüp/eni*
Bedeutung hat uns aber der Verf. blos das von ÜA
nicht weiter als durch Prädicirung dieser versaUei^
nen Wirklichkeiten definirte Wort animus, animi mr-
men gegeben. Seine oben gegebene Bestimmung de>
griechischen animus, dafs er sich selbst erkenne, pB^
nicht auf die Anschauung des alten Hercules, in der
das Volk nicht sich, sondern die Sonne für ein aoiflii
numen anschaut; die spätere, dafs der Geist v<hi ^
.46 PMacAsTi dumytJU,
Katar bewegt werde ned äer Mythus. die naif^liehe
Bewegtheit ausspreche, würde soweit passen, hier bleibt
aber der Geist nicht sich gleich, sondern wird ein An-
deres, wie ihn Anderes bewegt $ damit streitet das
dritte Pr&dikat, welches ans nnn der Ver& postuiirend
Von diesem Geiste gibt^ dafs er, ob Sonne, ob Mensch,
dersdlbige bleibe. Nehmen wir vor, was hierin gege-
ben isty so bezeichnet es diesen Geist nur als einen
gegen seine Existenz gleichgültigen, da es ihm nicht
verschlügt, nun Senne, nnn Mensch sa sein, sondern
er ^beidemal bleibt, was er ist. In sich ist er daher
eben so nothwendig weder Sonne noch Mensch, auch
niobt^ wie es vorher hiefs, hc|ftig bewegt vom Natürli-
oheil, noch anoh darin gebunden, sondern indiflPerent;
oad dafs er selbst bewafst sei, kann weder ans seiner
Indifferenz folgen, noch entdeckt uns der Verf., welch
emes Selbsites und wie bewufst. Denn Alles, was er
Ton diesem Geiste sagte, dafs er gestofsen worden,
gebanden worden, als Sonne erschienen und als Mensch,
alle diese bestimmten Prüdlkate lösen einander wider-
sprechend ab, und die darin nur behauptete jndilFerente
fiinhelt macht ihn zur blos abstracten Form dieser
verschiedenen Zust&nde und Wesen, die er. ist und
auch nicht ist I und bei all dieser Gleichgültigkeit sei-
nes Wesens soll er doch dulden und wachsen, niedere
vnd höhere Stufen haben, bei allem Wechsel seiner
Wirklichkeit, soll doch sein Bild ein und dasselbe
bleiben«
Ich lüugne nioh^ dafs überall etwas Wahres za
Grand liege, aber der Verf. läfsi ebed dieses Wahre
darunter liegen, nnd spricht Reminiscenzen aus Hegel^
ohne ihren Zusammenhang, das heifst, ohne Sinn aus.
Wissenschaft ist nicht die getrennte Anerkennung der
Widersprüche des Begriffip und wieder die dürre Aus-
sage der Einheit, sondern das Anfweisea ihres conse-
quenten Hervorganges und ihrer oonsequenten Auflie-
bang zur erschöpfenden Einheit
Nachdem der Verf. dem Mythus eine so abstracte,
begrifflose Einheit und einen so disparaten, mit quasi
lasiHen Inhalt einfach zugeschrieben, glaubt et ti^
wüten za haben, dafs überall der Mjthas wesentlich
derselbe bleibe nnd halt fbr erledigt, was aus ihrer
Sa^hkenntnifs Lioehmann (zn den Nib. n. z. Kl. S. 336)
nnd Ottfiried Müller an v. 0. über die natürliche nnd
mannigfaltige Umgestaltung der Sagen bemerkt haben.
Freilich ein sox abstracter Geist, wie der Mythengeist
inprimie graed nmlurm. 46
■
des Verfs., der gar keinPrädikat bat als 'das, sn sein,
was man will, der kann, da er die leere Form der
Veränderung ist (wie der Verf. zum Ueberflufs noch
selbst ausspricht p. 53), durch Veränderung nicht ver*
ändert werden. Der Verf. bezeichnet (p. 27) die Un-
terscheidung vers(ihiedenartiger Bestandt heile in den
Mythen als ein Zerstdr«! derselben. Zugegeben, dafs
Mutier darin zu weit gegangen, hat doch der Verf. ein
dauerndes Princip iqn Mythus nicht gezeigt, nicht be-
stimmt, nur postulirt. „Wir haben, sagt er, erhärtet,
dafs das Wesen des Mythus im Ausdruck von Ideen
besteht." Ein hemmgestofsener, gebundener, wachsen-
der nnd indifferenter Geist verdient nicht den Namen
Idee ; das sind blos einseitige Reflexionsbegriffe. „Alliet
Mythen aller griechischen Stämme sind nur Ausdrücke
ond Formen einer und derselben Idee" (p. 29). Wie-
der blofse Behauptung einer Einheit, die der Vf. ohne
Bestimmtheit und Inhalt läfst. Seine Polemik gegen
Muller kommt daher, weil er selbst nichts Positives
vom Mythus zu sagen weifs, als das Wort, er sei der
Geist, animus, animi namen, idea, ideae forma. Aber
was für ein Geist? „Einer.*'
Das Mittel, Begriffe zu vereinigen durch einfachea
Leugnen ihres Widerspruchs, wendet der Verf. sofort
auf den homerischen Zeus an, indem er, was Müller
über den Widerspruch in der epischen Auffassung des-
seUbt^n gesagt hat, lächerlich zu machen sucht (p. 29^
32). Der Verf. hält es für unmöglich, dafs die Grie-
chen zweierlei Vorstellungen von den Gottern hegen
konnten. Warum) Gibt es im Gegentheil irgend ein
Volk,, das nicht auf jeder Bildungsstufe widersprechende
Vorstellungen in einem und demselben Ben^ufstsein
hegte, ohne zunäcbst gestört zusem? Wfire das nicht:
wären alle Menschen tollendete Philosophen. Des
Verfs. Abhandlung selbst dient zum Beweis, wie- ruhig
man anverträgliche Gedanken nebeneinander beherber-
gen und dabei den Widerspruch nur anfser sich' su-
chen kann. Gleich darauf sagt er, . die griechischen
Götter seien blos natürliche. Gebilde des Menschen ond
daher Abbilder sowohl der Stärke als Schwäche des
menschlichen Geistes (dii naturales, qnos homo ipse
sibi finxit, et qui ideo animi humani et virtatem et
debilitatem omninoque ejus- speciem reddaüt, necesse
est). „Wie darum der griechische animus sich als den
höchsten in der Natur, Suttvog^ Hüdiaroi fühle und feiere,
so di^fs er alles Andere mit Recht verachte, und doch
47
fJ^üeAer, de mytki^ mprtmig graed nahsra.
mit demselben Rechte Bich beklage: Nichts Hinfällige-
res nähret die Motter-Erde als den Menschen von AI«
lem, vas auf Erden athihet and wandelt: so seien auch
die 6otfer majestätisch, aber so, dafs man leicht die
Spuren der Menschlichkeit in der Majestät finde (faeile
iiumanitatis yestigia deprehendes).'' — > Eine Tortreffli-
chi9 Art zu beweisen, dafs zwei Tcrsohiedene Vorstel-
lungen einstimmig seien, indem man sie anf zwei an-
dere entgegengesetzte Vocstellungen zurücl&fuhrt. Und
, obenein : Wo steht d^n, wto der Vf. anfuhrt, dafs der
Miensch vntnoq und »iS^urroc und Natorrerftchter sei, wo
in dem Epos, aus welchem er anfuhrt, dafs der Mensch
das elendeste Geschöpf sei? Und für dieses ftrmste
Thier erkennt sich nach dem Verf. der menschliche
und griechische QHit mit Recht (jur^), jener sich im-
mer gleiche, selbstbegrundende Geist! Was doch das
Wort Geist fiir ein geduldiges Ding ist! Und warum
sagt denn der Mythus niemals von den Göttern, die
doch eben dieser elendeste Geist sein sollen, dafs sie
^as armseeligste Geschöpf seien, gleichwie er das An-
dere, die Naturbeherrschnng, hinwieder niemals Tom
Menschen sagt? Den Verf. kümmert das Alles nicht,
er behauptet dmuflos, behauptet das Gegentheil yon
tdem, was erzeigen wollte, und behauptet dann wieder,
flicht das Gegeotheil behauptet zu haben;
Es geht nicht anders im Folgenden. Der Verf.
bestreitet (p. 32—34) MuUer'M Herleitungen griechi-
scher Götter und Heroen ans Torscbiedenen Grundvor-
stellungen, 4ie erst mit der Zeit zusammengeflos-
sen seien. In der That hat MülUr Trennungen yer-
tocht, die sich nicht durchfuhren lassen, aber der Vf.
«etzt ihm das blofse Leugnen, J^einen Beweis, selbst
für die an sich richtige Behauptung, dafs Apolkm nicht
.ausschliefslich dem Glauben der Derer entstamme,
Jceine entscheidenden Gründe -entgegnen« Er verfällt
nur selbst wieder gerade in den Fehler, den er dabei
wiederholt lUäUem vorwirft, nllnilich die mythischen
Begriffe ganz im Aeufsem shi suchen «ind zu finden.
Denn von jenem Griechengeiste, der in des Verfs. bis-
iierigeir Darstellung nicht über widersprechende Prädi-
kate und abstracto Formalität hinausgekommen ist,
^ird nun (p. 34} erklärt, die besondern «Stämme des
«
griechischen Volks seien eben so viele besondere Mii
mente dieses Geistes (diversae gentes Graecorom pi
diversis Graeei animi quasi momentis habendae). Di»
ser Geist, dieses unbekannte Identische, ist hiermit hI
einmal zum uatärliohen Aufsereinander der griechiidMi
Existenz gemacht. Und wie oben der Verf. al» d»
Macht, die diesen Geist bewegt, die natürlichen Diogi
und Fa^a bezeichnet hat, so hier als Das, was ik
dirimirt, die -natürliche Verschiedenheit der Hentde^
die Gattungsunterschiede. Es ist schlechthin Sachets
Natur, dafs das Griechenvolk in mehreren Stirnns
existirt, der (Geist, sofern er nur auf diese vertMl
ist, ist sich in ihnen ebenso äofserlich, wie sie eim»
der äufserlich gegenüberstehen ; und da uns der Ysi
weder darüber, wie der Geist in diesen äufseren M«
menten seine positive Einheit bewahre, noch auch ikl
die Bestimmtheit dieser Momente (der besonderen Stil»
me) etwas sagt, so lehrt er damit blos, dieser Geist li
ein äufserlich Verschiedenes, ebenso abstraot, wie t«
her, er sei ein nicht verschiedenes.
Indem der Verf. fortwährend das^ was erst Mint
Thes\Bn begründen und mit Inhalt versehen kdante, vtf
Bäumt, hat er genug Rauih übrig, um (p. 36—41) cm
Anzahl Sätze aus Müller*^ Proleg., insbesondere j»
sen Erörterung des Danaiden- und des Je- Mythos i
A. mitzutheilen und in seiner Weise zu reoensW
Es ist dieselbe, in der einst ein Kritiker der all|l
meinen deutschen Bibliothek Fichte's Wissenschi
lehre beurtheilt hat. Er liefe lange Stellen da
abdrucken und fügte dann aus eigenen Mitteln
„Dieses ist doch zu arg!'* u. dgl. Zwar der Vf. sehieli
doch aufserdem die Behauptung voraus, der Jo-Mytld
drücke nebst einigen andern den uralten Uebergaij
der Gultur ras Aegjpten nach Griechenland aus; Ji
Erweis aber — da doch der Mythus umgekehrt die i
aus Griechenland nach Aegypten kommen, nach t
aus Aegypten kommenden Danaiden nach Griecbesltf'
nur heimkehren iäfst — besteht eben in der Behsq
tung. Für die Thatsache des Uebergangs hat der Vi
(p. 37) einige der schönen Aussprüche über die A^
löMung des ägyptischen Bewufstseins im griechi8<)b
aus He§el abgeschrieben.
(Der Besciilsfs folgt.)
J ä
J^ 7.
h r b fi c h
e r
für
KV i 8 8 e 11 8 c h af 1 1 i c h e Kritik
Juli 1839.
Dd mythi^ inprimü graeci natura Commenia*
rS; scribebat Carolun Maurüfus Fleischer.
(SehluU.)
Der Verf. gebt (p. 42) fort znr weiter« Beepre*
imng des Gegenaatt^ Kwitobto dem Orient und Grie*
ImdaniL »^Der Geist wurde im Orient als ein natür*
icher, somit onbewegUeher' und fixer aogesehaat: da»
ler Symbole, Bilder; bei dea Griecben wird der Geist
ds Meascb angesehaat, somit als beweglich lebendig.
[>ie Mythen sprechen dort Ton Di%gen, hier von Heu«
ichen. MiUlen irre aneh darin^ dafs er den grieohi-
leben Göttern Tbiersymbole . Koeigoe, jf eil die Qn^
ihen sieh über die Tbiere, wie fiber die Natur erhaben
jewufst.'* Wer hat denn oben gesagt» der grieehisohe
Beist habe sich mit Recht als das Elendeste von At
am, was auf Erden kreucht und fleugt, angesehen ? -—
Der Verf. litat (p. 43) 11 Verse aus dem Homer ab-
Irunken, um uns au lehren, dafa die Griechen Rind*
ieisch gegessen haben. — Wenn nan trotsdem Homer
unsterbliebe Rosse kennt, die Zeus berent, sterblichen
^eiiaoben, als den kläglichsten Geschdpfen, gesellt zu
labeo, wenn Zeus selbst in Mythen die Gestalten des
Ktiers, Adlers, Schwans, Kuckucks, Poseidon und De»
Mter Pferdegestatt annehmen, Leto als Wölfin er-
mbemt, Apoll als Delphin» Jakchos als Ferkel, Arte<-
bSs ab Btriu und Hindin; wenn Dionysos an Festen
lemfisn wird: Komm, beiliger Sties I, ein in Prosessi<fn
letragenes Widder-YlielS des Zens VUefs beifst, Apel*
bSD uC JNaxos unter dem Namen des Bockes verehrt
inrd — Ufas thnf s? Man buiacbt nur davon z% schwei«
pH^ Der Verf. fuhrt sudem die TUere und üagethime,
lie Herakles" erschlagen , som BewMse an, dafs die
Brieoben den Thieren alle Ehre genommen. Diesem
Beweis aufolge kann auch in Aegypten, wo Horus
sch&iliehe Thiere erschlag, kein Thierdienst gewesen
nein. Der heiligen Heerden, die ApoUon noch in ge*
Jmhrb. f. wiiientch. Kritik. J. 1830. II. Bd.
schichllicher Zeit^ auch Hera an einxelnen Orten hatte,
oder solcher Sitten, wie s. B. die attische, dais, w.er
einen Wolf erschlug, die Kosten, um ihn su bestatten,
aus frommen Gaben susammenb^eln muTste, werden
wir auch geschweigen mfissen.'
Nach wenigen Zwischensätzen kommt der Verf.
(p. 45) m dem Resultat: „In den Mythen schaut das
Volk die Ideen seines Geistes an und stellt sie idar
unter der Gestalt änfserer Facta, die theils erdichtet,
theils wahr, aber auch dann nur Stützen,- Instrumente,
HüUen (fulcra, instrumenta, tegumenta) der Idee sind
(die oben bestrittene Ansicht von Bode). So sei der
Trojanische Mythus das Bewurstsein des Volkes Ton
der Culmination und dem Sinken des heroisclien Gei»
stes« Dieser, zwar nicht neue Gedanke, wird doch
(p. 45 — 53) besser zusammenhängend als alles Bishe»
rige dargelegt« Es folgt der letzte Abschnitt über 4ie
Grenze des mythischen Zeitalters*
P. 53 z „Ihrer Natur nach hdren die Mythen, so<^
bald sie dem Bemmf$Uria^ der Kunst und einer bei- '
stimmten Form zugeeignet werden, auf zu leben und
werden Denkmäler der Vergangenheit. Denn wie der
Mythus immer im Schwange geht, lebt, wächst, neue
Blltfaen treibt, so kann man nicht sagen^ dqfs er
eine iestimmie Farm habe (ita certiam fermam habere
dici neu potest), er ist bewegliche Sfiige, bat keinen
festen Stiz, geht, erzählt, fortgepianzt von Einem zum
Andern und wird tou Jedem, umgebildet (a gmoMet
iraue/ermaiury — Wie steht es nun mit demo bigen
Widerspruch g^en Laehmann^s und Hüiler^s Bebaup-
tung Ton der Umgestaltung der Mythen t — Van allen
Steffen des Mythus hat der Verf. wiederholt erklärt,
iafs sie, als selche, zufällig und ihm äofserlich seien
(p. 36^ quis est, qui ex cujnsqaam vel ere Tel mem-
bfis, Tel forma, Tel motibus, Tel ingressu animnm eo*
gitationesqne eomprehendere satis sibi posse videatur,
Ht quae eoHies res aeque in eaeu positae sint atque
7
47
FMtekitTy de mytiif mprütii graeoi natura.
«
mit demselben Rechte sich beklage: Nichts. Hiüfällige-
Tes nähret die Mutter-Erde als den Menschen von Al-
lem, was auf Erden athmetund wandelt: so seien auch
^ie Götter majestätisch, aber so, dafs man leicht die
Spuren der Menschlichkeit in der Majestät finde (faoile
liumanitatis yestigia deprehendes).'* — » Eine TortreflTli-
chä Art zu beweisen, dafs zwei yersohiedene Vorstel*
iungen einstimmig seien, indem man sie anf zwei an-
dere entgegengesetzte VoEstellungen zurüclführt. Und
, obeneio : Wo steht denn, wtos der VF. anfahrt, dafs der
Mensch Snanoq und xiS^ioroc und Natnrrerächter sei, wo
in dem Epos, aus welchem er anfuhrt, dafs der Mensch
das elendeste Geschöpf seil Und fnr dieses ärmste
Thier erkennt sich nach dem Verf. der menschliche
und griechische Qeift mit Recht Gur^), jener sich im-
mer gleiche, selbstbegrundende Geist! Was doch das
Wort Geist für ein geduldiges Ding ist! Und warum
sagt denn der Mjtbus niemals von den Göttern, die
^och eben dieser elendeste Geis^ sein sollen, dafs sie
das armseeligste Geschöpf seien, gleichwie er das An-
dere, die Naturbeherrschnng, hinwieder niemals Tom
Menschen sagtl Den Verf. kümmert das Alles nicht,
«r behauptet dsanflos, behauptet das Gegentheil ron
»dem, was erzeigen wollte, und behauptet dann wieder,
nicht das Gegeotheil behauptet zu haben;
Es geht nicht anders im Folgenden. Der Verf.
bestreitet (p. 32--34) Mütter' 9 Herleitungen griechi-
scher Götter und Heroen ans Torschledenen Grund?or-
BtellnngeiL, 4ie erst mit der Zeit zusammengeflos-
sen seien. In der That hat Müller Trennungen yer-
iSncht, die sich nicht durchfahren lassen, aber der Vf.
«atzt ihm das blorse Leugnen, Jceinen Beweis, selbst
für die an sich richtige Behauptung, dafs Apollon nicht
.ansschliefslich dem Glauben der Dorer entstamme,
Itetne entscheidenden Grande nentgegnen. Er verfällt
nur selbst wieder gerade in den Fehler, den er dabei
wiederhoH Maliern vorwirft, nämlich die mythiscb^i
fiegrifl^e ganz Im Aenfsern au suchen tind zu finden.
Denn von jenem Griechengeiste^ der intles Verfs. bis-
iierigejr Darstellung nicht über widersprechende Prädi-
kate nnd abstracto Formalität hinausgekommen ist,
^ird nun (p. 34) erklärt, die besondern Stämme «les
griechischen Volks seien eben so viele besondere M«^
mente dieses Geistes (dlrersae gentas GraecoruBi prt
^iversis Graeei animi quasi moroentis babendae). D»
ser Geist, dieses unbekannte Identische, ist hiermit luif
einmal zum natürlichen Aufsereinander der griechischen
Existenz gemacht. Und wie oben der Verf. als die
Macht, die diesen Geist bewegt, die natürlichen Dings
nnd Fa^ta bezeichnet hat, so hier als Das, was ile
dirimirt, die ^natürliche Verschiedenheit der Mmschea^
die Gattungsunterschiede. Es ist schleobtbin Sache der
Natur, dafs das Griechenvolk in mehreren Stänunea
existirt, der Geist, sofern er nnr auf diese vertheik
isty ist sich in ihnen ebenso änfserlich, wie sie einan-
der äufserlich gegenüberstehen; und da uns der Vei£
weder darüber, wie der Geist in diesen äufseren Mo*
menten seine positive Einheit bewahre, noch auch 6ber
die Bestimmtheit dieser Momente (der besonderen Stirn»
me) etwas sagt, so lehrt er damit blos, dieser Geist sei
ein äufserlich Verschiedenes, ebenso abstract, wie T0^
her, er sei ein nicht verschiedenes.
Indem der Verf. fortwährend das, was erst seine
Thesien begründen und mit Inhalt versehen kdante, Te^
säumt, hat er genug Rauih übrig, um (p, 36—41) eine
Anzahl Sätze fius Müller*9 Proleg., insbesondere de^
sen Erörterung des Danaiden- und des Jo- Mythus s.
A. mitzutheilen und in seiner Weise zu recensiretti
Es ist dieselbe, in der einst ein Kritiker der allge-
meinen deutschen Bibliothek Fichte's Wissensofaafti
lehre beurtheilt hat. Er liefe lange Stellen daraus
abdrucken nnd fügte daun aus eigenen Mitteln bett
„Dieses ist doch zu arg!" u. dgl. Zwar der Vf. schidct
doch aufserdem die Behauptung voraus, der Jo-Mytbas
drücke nebst einigen andern den nralten Uebergang
der Gultur aus Aegj^iten nach Griechenland ans; der
Erweis aber — da doch der Mythus umgekehrt die Je
aus Griechenland nach Aegypten kommen, auch die
aus Aegypten kommenden Danaiden nach Griechenland
nur heimkehren läfst — besteht eben in der Behanp-
tung. Für die Tbatsache des Uebergangs hat der SL
(p. 37) einige der schönen Aussprüche über die Auf-
lösung des ägyptischen Bewufstseins im griechisohen
aus Hegel abgeschrieben.
(Der Be«chluf8 folgt)
»
IV
Jf 7.
Jahrbücher
u r
i 8 8 e 11 8 c h a f 1 1 i c h e Kritik
Juli 1839.
De «tylAt, inprnms graeei natura Commenta^
rü; Bcrihebat Carotun Mauritius Fleischer.
(Schluit.)
Der Verf. gebt (p* 42) fort zur weilemi Bespre*
jriiiiiig des Gegenaatsöe zwischen dem Orieat und Grie«
cbeidand. »^Der Geist wurde im Orient als ein Datür*
lieber, somit unbeweglicher und fixer aogesehants da»
her Symbole» Bilder; bei den Griechen wird der Geist
ala Mensch angesehant, somit als beweglich lebendig.
Die Mythen sprechen dort Ton Di^gen^ hier von Meii«
neben. JUüUen irre aneh dari% dafs er den grieohi-
f eben Göttern Tbiersjmbole . nieigne, jreil die Gria-
dben sich über, die Thiere, wie fiber die Natur erhaben
gewufst*' Wer hat denn oben gesagt, der grieehisohe
Geist habe sich mit Recht als das Elendeste von At
leoiy was anf Erden kreucht und fleugt, angesehen ? —
Der Verf. lifat (p. 43) 11 Verse aus dem Homer ab-
drucken, pm uns KU lehren, dafa die Griechen Rind«
flaiscb gegessen haben« — Wenn nnn trotsdem Homer
niisterblicbe Rosse kennt, die Zeus bereut, sterblichen,
)f enschen, als den kläglichsten Geschfipfen, gesellt zu
haben, wenn Zeus selbst in Mythen die Gestalten des
Stiers, Adlers, Schwans, Kuckucks, Poseidon und D^
Mieter Pferdegestatt annehmen, Leto als Wölfin er^
eebeintf Apoll als Delphin^ Jakchos als Ferkel, Arte-
■ais als Biria und Hindin; wenn Dionysos an Festen
f;erttfai wird: Konun, beiliger Sties I, ein in Prosession
^tragenes Widder-VUed des Zens Vlicfs beifst, Apol*
leli anf Kaxos unter dem Namen des Bockes verehrt
^rird — was thuf s? Man btaacbt nur davon za schwei*
gaa« Der Verf. fuhrt zudem die Tbiere und Ungethime,
4ie Herakles" erschlagen , zum Bewnse an^ dafs die
Griechen den Tbieren alle Ehre genommen. Diesem
Beweis zufolge kann ancb in Aegypteo, wo Homs
«cbiUttiche Tbiere ersebleg, kein Tbierdieast gewesen
sein. Der heiligen Heerden, die ApoUon noch in ge*
J«M. /. wiaenich. KriÜk. J. 1839. II. Qd.
scbichtlicher Zeit, auch Hera an einzelnen Orten hatte,
oder solcher Sitten, wie z. B. die attische, dais, w.er
einen Wolf erschlug, die Kosten, um ihn zu bestatten,
aus frommen Gaben zusammenbetteln mnfste, werden
wir auch geschweigen müssen.
Nach wenigen ZwischenslUzen kommt der Verf.
(p. 45) zu dem Resultat: „In den Mythen schaut das
Volk die Ideen seines Geistes an und stellt sie idar
unter der Gestalt äofserer Facta, die theils erdichtet,
tbeils wahr, aber auch dann nur Stützen,- Instrumente,
Hüllen (fulcra, instrumenta, tegumeata) der Idee smd
(die oben bestrittene Ansicht von Bede). So sei der
Trojanische Mythus das Bewufstsein des Volkes von
der Culmination und dem Sinken des heroischien Gei»
stes. Dieser, zwar nicht neue Gedanke, wird .doch
(p. 45 — 53) besser susaaunenb&ngend als alles Bishe»
rige dargelegt. Es folgt der letzte Abschnitt über die
Grenze des mythischen Zeitalters.
P. 53: „Ihrer Natur nach hören die Mythen, so<*
bald sie «fem BewufiUeiuj der Kunst und einer boi- '
stimmten Form zugeeignet werden, anf za leben und
werden Denkmäler der Vergangenkeit. Denn wie der
Mythus immer im Schwange geht, lebt, wächst, nene
BIfithen treibt, so kann man nicht sagen^ dafi er
eine testimmte Farm habe (ita ceriam fermam habere
dici non potest), er ist bewegliche Sfi'ge, bat keinen
festen Sitz, gebt, erzählt, fortgepflanzt von Einem zum
Andern und wird von Jedeut uiagebUdet (a guolibet
iraus/ermatury -— Wie steht es nun mit demo bigen
Widerspruch gegen Laehmann^s und MtUiler^s Bebaup-
tung von der ün^^eataltung der Mythen t — Visn allen
Steffen des Mythus , bat der Verf. wiederholt erklärt,
iafa sie, als aelche, znfiUlig und ibm äafsevlich seien
(p. 36 1 quis est, qni ex cajusqaam vel ere vel mem»
bris, vel fotma, vel motibns, vel ingressu animnm eo«
gitationesque eomprebendere satis sibi posse videatnr,
ttt qnae onmea res ae^e in eaeu positae sint atqae
7
47
FMtehtr^ de mytAiy mprimi$ graeei mOura.
48
•mit demselben Rechte sich beklage: Nichts. Hinfällige-
res nähret die Molter-Erde als den Menschen von Al-
lem, was auf Erden athihetnnd wandelt: so seien auch
die Götter majestätisch, aber so, dafs man leicht die
fipnren der MeDschlichkeit in der Majestät finde (faoile
iiumanitatis yestigia deprehendes).** — Eine yortreffli-
che Art zu beweisen, dafs zwei Terschiedene Vorstel-
lungen einstimmig seien, indem man sie auf zwei an-
dere entgegengesetzte Vocstellungen zürückfdhrt. Und
, obenein : Wo steht d^n, w)ew der Vf. anfahrt, dars der
Mensch ihtatog und niidtaxoc und Natnrrerächter sei, wo
in dem Epos, aus welchem er anfuhrt, dafs der Mensch
das elendeste Geschöpf sei! Und für dieses ärmste
Thier erkennt sich nach dem Verf. der menschliche
und griechische Geüt mit Recht (jur^), jener sich im-
iner gleiche, selbstbegrundende Geist! Was doch das
Wort Geist fär ein geduldiges Ding ist! Und wamm
sagt denn der Mythus niemals von den Göttern, die
doch eben dieser elendeste Geis^ sein sollen, dafs sie
^as armseeligste Geschöpf seien, gleichwie er das An-
dere, die Naturbeherrschnog, hinwieder niemals rem
Mensdien sagtl Den Verf. kümmert das Alles nicht,
«r behauptet dmuflos, behauptet das Gegentheil von
idetn, was er zeigen wollte, und behauptet dann wieder,
nicht das Gegeolheil behauptet zu haben;
Es geht nicht anders im Folgenden. Der Verf.
bestreitet (p. 32-.34) MuIUt'm Herleitungen griechi-
echer Götter und Heroen aus verschiedenen Grund?or-
stellongea, ^ie erst mit der Zeit zusammengeflos-
sen seien. In der That hat Müller Trennungen Tcr-
iucht, die sich nicht durchfahren lassen, aber der Vf.
«etzt ihm das blorse Leugnen, deinen Beweis, selbst
für die an sich richtige Behauptung, dafs Apolkn nicht
^msschliefslich dem Glauben der Derer entstamme,
Jcetne entscheidenden Gründe entgegnen. Er verfällt
nur selbst wieder gerade in den Fehler, den er dabei
wiederholt Müllern vorwirft, nUnilich die mythischen
Begriffe ganz im Aeufsern au suchen «ind zu finden.
Denn von jenem Griechengeiste, der in «les Verf«. bis-
iberigejr Darstellung nicht aber widersprechende Prädi-
kate und abstracto Formalität hinausgekommen ist,
^\fA nun (p. 34) erklärt, die besoodern «Stämme des
griechischen Volks seien eben so viisle besondere Me^
mente dieses Geistes (dirersae gentes Graecoram prt
diversis Graeci animi quasi momentis babendae). Dte>
ser Geist, dieses unbekannte Identische, ist hiemnit uf
einmal zum natfirliohen Anfsereinander der griechiacslMi
Existenz gemacht. Und wie oben der Verf. ala £e
Macht, die diesen Geist bewegt, die natürlichen Dfogs
und Fa^a bezeichnet hat, so hier als Das, was ihn
dirimirt, die ^natürliche Verschiedenheit der Heas^Ae^
die Gattungsuntarschiede. Es ist schleehtbin Saelie der
Natur, dafs das Griechenvolk in mehreren StftmiiMi
existirt, der Geist, sofern er nnr auf diese verthcik
isty ist sich in ihnen ebenso äofserlich, wie sie ema»
der äufserlich gegenüberstehen; und da uns der Vei£
weder darüber, wie der Geist in diesen äufseren Me-
menten seine positive Einheit bewahre, noch auch über
die Bestimmtheit dieser Momente (der besonderen Stllni*
me) etwas sagt, so lehrt er damit blos, dieser Geist m
ein äufserlich Verschiedenes, ebenso abstract, wie vo^
her, er sei ein nicht verschiedenes.'
Indem der Verf. fortwährend das, was erst seine
Thesen begründen und mit Inhalt versehen könnte, vef-
säumt, hat er genug Rauih übrig, um (p. 36—41) eine
Anzahl Sätze aus Müller^e Proleg., insbesondere de»
sen Erörterung des Danaiden- und des Je -Mythos a.
A. mitzntheilen und in seiner Weise zu recenshrei.
Es ist dieselbe, in der einst ein Kritiker der allgfr
meinen deutschen Bibliothek Fichte's Wissenschafl»
lehre beurtheilt bat. Er liefs lange Stellen daraus
abdrucken und fägte dann aus eigenen Mitteln bei:
„Dieses ist doch zu arg!'' u. dgl. Zwar der Vf. sohtekt
doch aufserdem die Behauptung voraus, der Jo-Mytfaiul
drücke nebst einigen andern den uralten Uebergang
der Gultur aus Aegjt»ten nach Griechenland aus ; der
Erweis aber — da doch der Mythus umgekehrt die Je
aus Griechenland nach Aegypten kommen, aoob die
aus Aegypten kommenden Danaiden nach Grieehenlaad
nur heimkehren läfst — besteht eben in der Beboop-
tung. Für die Tbatsache des Uebergangs hat der VC
(p. 37) einige der schönen Aussprüche über die Auf-
lösung des ägyptischen Bewufstseins im griechischen
aus Hegel abgeschrieben.
(Der Beschlufg folgt.)
J ä
hrbücher
für
»V i s s e li s c h af 1 1 i c h e K ri t i k.
Juli 1839.
X •
He «lylAf , inprimü grß^€$ natura Commenta-
rn; scribebat Carolus Mauritius Fleischer.
m
(Schluls.)
Der Verf. gebt (p. 42) fort. zur w^eren Bespre*
dmng des Gegenaate^s «witch^n dem Orient und Grie*
«dbenlAnd* »^Der Geist wurde im Orient als eia natür-
licher, somit unbewegUeber' und fixer aogesehaut: da-
her Sjmbole, Bilder $ b^i den Grieobeo wird der Geist
ala Menscb aiigesehaat, somit als bewegUcb lebendig.
I>ie Mytben spreohea dort Ton Di%gen^ bier von Me»^
Bchen. JUulUn irre aneb dari% dafs er den griecbi-
fichen Göttern Tbier^jmbole . soeigne» jreil die Qri»-
4äben aioh über die Tbiere, wie fiber die Nator erbaben
gewufat" Wer bat denn oben gesagt, der grieebisobe
Geist babe sieh mit Reebt als das Elendeste von Al-
lem, was anf Erden kretiebt nnd flengt, angeseben ? -—
Der Verf. l&bt (p. 43) 11 Verse ans dem Homer ab-
drneken, pm ana eu lebren, dafa die Grieoben Rind^
fleiscb gegessen baben« — Wenn aaa trotsdem Homer
nnsterbliebe Rosse kennt, die Zens bereut, aterblieben
Ifensoben, als den klägliobsten GesebSpfea, gesellt zn
haben, wenn Zeus selbst in Mjtben die Gestalten des
Stiers, Adlers, Sokwans, Kueknoka, Poseidon and D»-
Mieter Pferdegestak aanebmen, Leto als Wölfin er-
«ebeiatf ApoU ak Delphin» Jakebos als Ferkel» Arte^
Mis als Btrin and Hmdia; wenn Dionjsoa an Festen
f^amlsn wird: Komm, beiliger Stier I, ein inProseasion
«etragenea Widder-Vliefi des Zens Vliefs beifst, Apol*
Ion aaf JBIaxos unter dem Namen des Boekes verebrt
^rird — was tbnf st Uan braaebt nur davon za schwel*
gm* Der Veif. fuhrt sudem die Thiere und Uagetbäme,
die Herakles" ersoblagen , sxm Beweise an^ dafs die
Gfiecbea den Thieren alle Ehre genommen. Diesem
Beweis aufolge kann aiMsh in Aegypten, wo Homs
ackiyUehe Tbiere erseblag, kein Thierdienst gewesen
nein. Der heiligen Heecden, die ApoUen noch in ge*
JaM. f. wiuentch. Kritik. J. 1839. II. Bd.
sobicbilicber Zeit) auch Hera an einzelnen Orten hatte,
oder Boloher Sitten, wie c. B. die attisobe, daft, wer
einen Wolf erschlug, die Kosten, um ihn ui bestatten,
ans frommen Gaben ausaromenbetteln mufste, werden
wir anch geschweigen müssen.'
Nach wenigen Zwischensätzen konmit der Verf«
(p. 45) SU dem Resultat: „In den Mytben schaut das
Volk die Ideen seines Geistes an und stellt sie idar
unter der Gestalt änfserer Facta, die tbeils erdichtet,
tbeils wahr, aber auch dann nur Stützen,- Instrumente,
Hüllen (fulcra, instrumenta, tegumeata) der Idee sind
(die oben bestrittene Ansicht von ßode). So sei der
Trojanische Mythus das.Bewufstsein des Volkes von
der Culmination und dem Sinken des heroischen Gei*
ates. Dieser, swar nicht neue Gedanke, wird .doch
(p. 45 — 53) besser ausaaunenbängend als alles Bishe»
rige dargelegt. Es folgt der letate Abschmtt fiber ^lie
Grense des mythischen Zeitalters.
P. 53 : „Ihrer Natur nach hören die Mythen, so<^
bald sie dem Bewu/stsgiuj der Kunst und einer be- '
stimmten Form zugeeignet werden, auf zu leben und
werden Denkmäler der Vergangenheit. Denn wie der
Mythus immer im Schwange gebt, lebt, wäcbst, neue
BIfitfaen treibt, so Jianu man nic/U sagen ^ dtzfi er
eine bestimmte Form habe (ita certam formam habere
dici non potest), er ist beweglidie Sfi'ge, bat keinen
festen Sitz, gebt, era&hlt, fortgepflmist von Einem zum
Andern und wird tou Jedem, umgebildet (a guoUbeS
Sraus/ertnatury — Wie steht es nun mit demo bigen
Widerspruch gegen Laehmann^e und UiUler^s Bebaup-
tung Ton der Umgeataltan^ der Mythen f -* Visn allen
Stefiw den Mythus bat der Verf. wiederholt erklärt,
dafs aie, ala aelehe, sn&llig und ihm anberlich seien
(p. 36.: quis est, qni ex cojusqaam vel ore tbI mem-
bris, rel fetma, Tel motibus, tcI ingressu animnm eo«
gitationesque eompreheadere satis sibi posae videatar,
ttt quaa Ofluraa lea aeqoe in easu positae sint atqae
7
47
FldüeAer^ de mythi^ inprimi» gr€Mei moHira.
48
-mit demselben Rechte sich beklage: Nichts Hinfällige-
res nähret die Malter-Erde als den Menschen von Al-
lem, was auf Erden athmetond wandelt: so seien auch
^ie Götter majestätisch, aber so, dafs man leicht die
Spuren der Menschlichkeit in der Majestät finde (facile
liumanitatis Tcstigia deprehendes).'* — > Eine TortreflPli-
ch^ Art zu beweisen, dafs zwei Tersohiedene VorsteK
iungen einstimmig seien, indem man sie auf zwei an-
-dere entgegengesetzte Vocstellungen zurüclifährt. Und
obfmein: Wo steht denn, wtoder Vf. anfuhrt, dafs der
Mensch Snatoq und xiidtavog und Natnrrerächter sei, wo
in dem Epos, aus welchem er anfuhrt, dafs der Mensch
das elendeste Geschöpf seil Und fiir dieses ärmste
Thier erkennt sich nach dem Verf. der menschliche
und griechische Oeüt mit Recht (j^^)» jener sich im-
-Iner gleiche, selbstbegründende Geist! Was doch das
Wort Geist für ein geduldiges Ding ist! Und warum
sagt denn der Mythus niemals von den Göttern, die
doch eben dieser elendeste Geis^ sein sollen, dafs sie
4as armseeligste Geschöpf seien, gleichwie er das An-
dere, die NaturbeherrschuDg, hinwieder niemals vom
Menschen sagt? Den Verf. kümmert das Alles nicht,
«r behauptet dvanflos, behauptet das Gegentheil von
väetn, was erzeigen wollte, und behauptet dann wieder,
nicht das Gegeotheü behauptet zu haben;
Es geht nicht anders im Folgenden. Der Verf.
bestreitet (p. 32 — 34) Müller's Herleitungen griechi-
echer< Götter und Heroen aus verschiedenen Grund vor-
fitellangen, »die erst mit der Zeit zusammengeflos-
sen seien. In der That hat Müller Trennungen yer-
liucht, die sich nicht durchfuhren lassen, aber der Vf.
^setzt ihm das blorse Leugnen, keinen Beweis, selbst
für die an sich richtige Behauptung, dafs Apollon nicht
.ausschliefslich dem Glauben der Derer entstamme,
•keine entscheidenden Gründe entgegnen« Er verfällt
nur selbst wieder gerade in den Fehler, den er dabei
wiederholt 3ßUlem vorwirft, nämlich die mythischen
Begrifle ganz im Aeufsern au suchen und zu finden.
Denn von jenem Griechengeiste, der in -^es Verfs. bis-
iierigejr Darstellung nicht über widersprechende Prädi-
kate und abstracto Formalität hinausgekommen ist,
<«rird nun (p. 34) erklärt, die besondern Stämme des
griechischen Volks seien eben so viele besondere Me^
mente dieses Geistes (diversae gentes Graecorum prs
diversis Graect animi quasi momentis habendae). Dte^
ser Geist, dieses unbekannte Identische, ist hiermit auf
einmal zum natürlichen Anfsereinander der griechische
Existenz gemacht. Und wie oben der Verf. als die
Macht, die diesen Geist bewegt, die natürlichen Dings
und Faqta bezeichnet hat, so hier als Das, was ihn
dirimirt, die -natürliche Verschiedenheit der Menschen;
die Gattungsunterschiede. Es ist schlechthin Sache der
Natur, dafs das Griechenvolk in mehreren Stämaiai
existirt, der Geist, sofern er nur auf diese vertheik
isty ist sich in ihnen ebenso äufserlich, wie sie eina»
der äufserlich gegenüberstehen; und da uns der Verf.
weder darüber, wie der Geist in diesen äufseren Me^
menten seine positive Einheit bewahre, noch auch ober
die Bestimmtheit dieser Momente (der besonderen St&ft'
me) etwas sagt, so lehrt er damit blos, dieser Geist si
ein äufserlich Verschiedenes, ebenso abstract, wie vo^
her, er sei ein nicht verschiedenes.
Indem der Verf. fortwährend das, was erst seine
Thesen begründen und mit Inhalt versehen könnte, ▼e^
Bäumt, hat er genug Rauih übrig, um (p.36— 41) eine
Anzahl Sätze ans Müiler^e Proleg., insbesondere dei
sen Erörterung des Danaiden- und des Je -Mythus i.
A. mitzutheilen und in seiner Weise zu recensuren.
Es ist dieselbe, in der einst ein Kritiker der alige*
meinen deutschen Bibliothek Fichte's Wissensohalls-
lehre beurtheilt hat. Er liefe lange Stellen dara«
abdrucken und fugte dann aus eigenen Mitteln bei!
„Dieses ist doch zu arg!*' u. dgl. Zwar der Vf. schickt
doch aufserdem die Behauptung voraus, der Jo-Mytimi
drücke nebst einigen andern den uralten Uebergang
der Gultur ras Aegy^ten nach Griechenland ans; der
Erweis aber — da doch der Mythus umgekehrt die Js
aus Griechenland nach Aegypten kommen, auch dis
aus Aegypten kommenden Danaiden nach Grieefaenbnid
nur heimkehren läfst — besteht eben in der Behenp-
tung. Für die Tbatsache des Uebergangs hat der Vf.
(p. 37) einige der schdnen Aussprüche über die Auf-
Idsung des ägyptischen Bewufstseins im griechisohen
aus Hegel abgeschrieben.
(Der Beschlufs folgt)
w
Ml.
Jahrbücher
u r
i 8 8 e li s c h a f 1 1 i c h e Kritik.
Juli 1839.
De «Nfthi, mprimü graeei nmtura Commenta-
rü; scribebat Carolv» Biaurüitts Fleischer,
(Schluls.)
Der Verf. gebt (p. 42) fort zm weiteren Beepre»
dmng des Gegenaattös iwieohen dem Orient und Gtie*
dbenland. ^^Der Geiet wurde im Orient als ein natür*
lieber^ somit nnbewegUober' und fixer angescbant: da*
ber Sjmbole, Bilder; b^i den Griechen wird der Geist
als Mensch angesebaut, somit als beweglich lebendig.
I>ie Mythen sprechen dort Ton Di^gen^ hier von Men<
neben. Mutten irre aneb dariii^ dafa er den grieobi-
flehen Göttern Thier&jmbole . soeigne) j!&\ die Gri^
4dien sieh über die Tbiere^ wie fiber die Natur erhaben
gewufst" Wer hat denn oben gesagt, der grieebisobe
Geist habe sich mit Recht als das Elendeste von Al-
lem, was auf Erden kreucht und fleugt, angesehen ? --
Der Verf. lifst (pu 43) 11 Verse aus dem Homer ab-
druidcen, pm ans su lehren, dafa die Griechen Rind^
fleisch gegessen haben. — Wenn nun trotsdem Homer
UBsteffblicbe Rosse kennt, die Zeus bereat, sterblichen
Henschen, als den kläglicbsten Geschöpfen, gesellt zu
kaben, wenn Zeus selbst in Mythen die Gestalten des
Stiers, Adlers, Schwans, Kuckucks, Poseidon und Do-
Meter Pferdegestalt annehmen, Leto als Wölfin er-
scheint, Apoll als Delphin» Jakchps als Ferkel, Arte-
■ais als B&rin und Hrndin; wenn Dionysos an Festen
^mfin wird i Komm, beiliger Stier I, ein in Prosession
getragenes Widder-Vlied des Zens Vliefs beifst, Apol*
Ion anf JNaxos unter dem Namen des Bockes verehrt
^nrd — was thuf s? Man bmacht nur davon zu schwei*
gM*. Der Veif . fuhrt sudem die Thiere und Ungethiime,
4ie Herakles" erschlagen , um Beweise an, dafs die
Griechen den Thieren alle Ehre genommen. Diesem
Beweis anfolge kann auch in Aegypteo, wo Homs
nchüdlicbe Tbiere ersebing, kein Thierdienst gewesen
aain. Der heiligen Ueerden, die ApoUon noch in ge*
Jahrh. f. vtMesff A. Kriük. J. 1830. II. Bd.
schichtlicber Zeit, auch Hera an einzelnen Orten hatte,
oder solcher Sitten, wie s. B. die attische, dais, wer
einen Wolf erschlug, die Kosten, nm ihn ui bestatten,
aus frommen Gaben susammenbetteln mufste, werden
wir auch geschweigen müssen.
Nach wenigen Zwischensätzen kommt der Verf*
(p. 45) zu dem Resultat: „In den Mythen schaut das
Volk die Ideen seines Geistes an und stellt sie idar
unter der Gestalt äufserer Facta, die tbeils erdichtet,
theils wahr, aber auch dann nur Stützen,- Instrumente,
Hüllen (fulcra, instrumenta, tegumenta) der Idee sind
(die oben bestrittene Ansicht Ton Bade)» So sei der
Trojanische Mythus das Bewurstsein des Volkes Ton
der Culmination und dem Sinken des herobdien Gei«
ates. Dieser, zwar nicht neue Gedanke, wird .doch
(p. 45 — 53) besser ausaaunenbängend als alles Bishe»
rige dargelegt. Es folgt der letzte Abschnitt fiber 4ie
Grenze des mythischen Zeitalters.
P. 53 : „Ihrer Natur nach bdren die Mythen, so«^
bald sie dem BewußUmn^ der Kunst und einer bOi' '
stimmten Form zugeeignet werden, auf zu leben und
werden Denkmäler der Vergangenheit. Denn wie der
Mythus immer im Schwange gebt, lebt, wächst, neue
BIfithen treibt, so kann man nieAt sagen y dafe er
eme ieetimmte Form habe (ita certam fermam habere
dici non potest), er ist bewegliche S^'ge, bat keinen
festen Sitz, gebt, era&hlt, fortgepflanzt ¥on Einem zum
Andern und wird yon Jedem, umgebildet (a guelibe^
irane/in'matury -— Wie steht es nun mit demo bigen
Widerspruch gegen LaeJkmanH^e und UiUier^e Behaup-
tung TOn der Umgeataltnng der Mythen t — Van allen
Stoffen dea Mythus bat der Verf. wiederholt erklärt,
dnfa sie, als selche, snfilllig und ibm änfserlioh seien
(p. 36 i quis est, qni ex cojusqnam vel ore Tel mem*
bris, Tel fctma, Tel motibns, Tel ingressa animam eo«
gitationesque comprehendere satis sibi posse Tideatnr,
ttt quae emaea res aeqne in eaeu positae sint atqae
7
51
Fleiieher^ de myfhi^ inprimU graeei natura.
- 1
eogitatione Tolantateque deaatür etc. pag. 45 qumn
oiimes illae res et porsonae et actiones et nomina oa-
jusTie generiS) ut jain dixi, ia externa forma tantam
posita «iot habeanturqae pro involucrü tantumm%da
9iy^i et iotegomeBtisjiia qoibus quam ca«f^« porinul-
tum possit^ baereoduih non est, sed totauv ideam etc.)
Indem der Verf. nun, wie den Stoffen des Mythus, so
.auch der Form alle Bestimmtlieit abspricht: seist sein
Mythus das schlechthin Unbestimmte, d. h. Nichts. —
9,Biese unaufhörliche Veränderung kann nicht eher zu
Ende kommen, als bis jene {«"ähigkeit der Befrachtung
iiod Fortbildung, Ausgestaltung und Umgestaltung,
iiberhaypt dies poetische Talent der Auffassung und
des Ausdrucks im Volke abnfanmt und dem gebildeten
. Verstände weicht, welcher, was er thut, mit einem ge-
wissen BewuCstsein thut {cum ^fuadam eoMcientiä).
Daher mufs,. was dem Bewu/tttein ganz «$td gar
fremd ist und blos von selbst absichtslos wachsen und
blühen kann, abieben und verschwinden, sobald dieser
Verstand vorwiegt (quod igitur a eonedentia alienis-
eimum est atque nisi sponte et per se neque dedita
Opera crescere et ali et florere non' potest, id hac
meate praevalente spiritum ducere vitamque agere de-
ainit)." Oben hiefs es, die ganze Erkenntnifs des grie-
'chischen< Mythus beruhe darauf, dafs man den griechi-
sehen Geist kenne, dessen Eigenheit Sdtbstbewufstsein,
das yvä^i aavtov sei (p. 7* 10), die Mythen selbst von
der Besiegung der Titanen u. s. w. sprächen es aus,
dafs hier der Geist zur Selbständigkeit, zum Selbstbe-
wufstsein gekommen (p. 15), sie seien die Zeugnisse,
dafs der Geist des Volkes aus den Natnrbanden zur
Tollkomnmeren, freieren Form sich erlroben (43), die
Myth,en seien Ideen, der Mythus stelle das lautere Be^
wnCstsein des Volkes über den Gang seines Geistes
bildlich dar (p. 28 stnceram populi de animi sui ve-
luti; curriculo. eonseientiam coloribus imagipibusque
pertextam), enthalte nichts, als was das Volk über die
Natur und Elntwicklung seines Geistes inne geworden
^p. 21 Mythus graectts — graecaia veritatem, graecum
adimum exprimit et adumbra^, neque continet quidquam,
nisi quod populus de sui animi. natura, indoleque, ef-
fectibus, cemmutationibus,. inorementis et progressibus
suspicatus Sit vel senserit cC p/43. 45). Nach dem
aUea al&a koount herai^, sobfüdBewufiBtaein eintrete,'
müsse der Mythus als das dem BowpCstseia Feraste
sterben*. Nach dem. Verf. wendet nch>nttn der be^
wufftte Verstand, der Zerstörer des mythisohea Zeit-
alters (Conscia mens, mythitoi aeyi deietrix) aaf
Mythen und erzeugt die Kunst, die Dichtung., Di
wird die Wahrheit der Mythen inne, und gibt ihn
die einzige adäquate Form (p. S4: veräm mytlioi
ratiouem snspicatur et forftiam constituit solam t
adaequatam et congmentem). Wie kann aber dai
schlechthin Unbestimmte Wahrheit haben, wie den,
was seiner Natur nach keine Bestimmte Form bat,
eine oongruente Form gegeben werden, wie da«, wn
am Licht des BewuCstseins stirbt, durch das Bewmlst
sein befestigt werden 1 — „Wenn so der Mythus aeiae
wahre und feste Form hat (quam verum suani fixa»>
qne formam adeptus sit) stockt . er (faseret) und lebt
nicht weiter, wird nur im Gedäehtnifs als ehrwürdiges
Monument bewahrt. Mit Eintritt des epischen Zeitat
ters geht das mythische zu Ende."
Man mufs erstaunen, wenn sich der Verf. ilim so-
gleich (p. 55) wieder gegen Mütter wendet, um die-
sem die Fortdauer des MythenMldens bis in die Zeita
gewisser Colonieen, deren Eiaflnfs auf'.MythenfornMB
; Muller zum Theil trefflich erwiesen, auch das ÜBvrili-
kührliche der neuen Fassung (ProL S. 143) wohl e^
kl&rt hat, aus folgendem Grunde streitig zu madwa.
Die Annahme solches Einflusses der Colonieen. vertrAge
sich zwar mit Muller^s Definition des Mythus alw eni^
Zusammenflusses vom Gedachten und Factiscbeo. Di
aber er, der Verf., erwiesen habe, dafs das Volk nicht
sinnliche Facta, sondern die BeschaflVsnheit seines Gsi*
stes (animi sui rationem) sich im Mythus vorgestellt,
sei klar, dafs Auswanderungen das Volk gerade asi
meisten von dieser Selbstbetrachtong seines Geiata
abziehen (ab hao animi sui contemplandi ratione ave*
cent).'^ Erstlich sollte man hiernach meinen, Mütter
erkläre die sinnlichen Facta (facta oculis subjeota) ftr
die GrBnde solcher My th^en ; wogegen Mütter im
Grund ausdrücklich in die Auflassung der ErfaiiniBg
in religiösem Sinne und in gtänbige Verknflpftnig der»
selben mit geheiligten Erinnerungen setzt. Wenn im^
her der Verf. seine eigenen Worte verstünde : so inüfst«
er sich mit Müller einstimmig wissen $ da er obtt
(p. 22) gesagt bat: das Volk stelle im Mythus histoii-
sehe Facta dar, wie es sie \m Sinne des Geistes gs»
fafst und erwogen habe (facta historiea, ^omodo anW
sensu conceperit ac pensitarit) ; . freilich nit dem Ob»
tersoliiede, dafii Mütter den Sinn und Geist der Ve»»
' f
FleucAeTy de mjfthiy
kafipiniig «ftllMt hfafkOTt» der \ert. Um stets ala un*
bekaaDtee x, Md als« das abstract Identische, bald als
das ahatraci Versotaiadeney bald als den Selbstgnrad^
bald als das Fomilese beaeichnet hat — Zum Andera^
wie kaan der Verf. sagea, Verstellaog der Geistesbe-
schaffeaheit, Betradktnng. des eigenen Geistos habe et
als Inhalt des Mif^us erwiesen, er, der so eben den
Mythus als das dem Bewafstsein Fremdeste, gänzlich
Unstete, mit Ebtritt des- Bowufstseins Yerscheidende
prädicirt hat?. Die vom Verf. angenommene Selbstbe-
traehtang des Geistes b StoiFen und Farben der Wirk-
Üehkeit^ und Bbbildung ohne Bewafstsein, kann, wenn
sie einen Sinn habea soll (streng genommen ist sie ün-
sian) nur bedeuten ein Betrachten, worin der Geist
sab Selbst anschaut,, ohne sich bewafst an sein,'dafs
es sein Selbst ist, was er anschaut« Bewufst mufs er
imm.er sein, nnn noch Geist zu sein ; aber er kaib dea-
sen, was in Walirheit seb Selbst ist^ sich nur als ei-
nes Andern, ebes Aeufsemf bewufst seb. Ist nun dies :
so kann dieser Geist sein Selbst noch nicht vom Aeu-
iseren untersclieiden : er fafst das Aenfsere in ober
Gestalt, die sein Wesen ist, ohne sie als solphes zu
wissen, und sein Wesen kommt ihm als äi^serlich Ge-
gebenes entgegen, d. h. Gedachtes und Factum sind
m diesem Oeiste noch ungeitennt* Wäre sich da-
her dec Verf. klar gewerden, so hätte er gesehen, dafs
er im Mythus dasselbe sich dunkel yorsteilte, was
Midier ausgeapradien hat. Und hätte er die Momente
des Geistes, die er sprungweise aufgibt und annimmt,
atatt m abstracter, ia der positiven Identität denkend
nsaaunei^efafst, so würde er nicht Müller^s Haapt-
aatz besteitlen, sondern ihn zu begründen und die An-
wendung zu berichtigen Mittel gefunden haben. Da
ihm dies njcht gelungen, mufs es der Wissenschaft
gleiehgältig bleiben, ob er dea von Müller erklärten
Mjthna van Kjreae und ähnliche liir einen ächten My-
thoa halten kaan od^rnioht. Er versichert (p. 55 sq.),
in solchen und vielen andern heroischrih Mythen könne
er den griedi. Geist nicht erkennen \ was ich ihm glaube«
Der Verf. bleibt sich bis zum Ende des Aufsatzes
glddi, n&mlieh b der Ungleichheit Das Letzte, was
er mit deraeiben Lebhaftigkeit, deren- Ausbrüche ich
ab uawesenilich übergangen habe, an Mutier rügt, ist
dessen Bemerkung, dafs die Verknüpfung der griechi-
schen Mythen zu ebem Ganzen, eber scheinbar steti-
gen Geschichte der Vori^eit, und die Verdichtung der
Mj^TMtM grmeei natura. 54
pttrtieulärea- Vojestellungea v^n* G<tt<M: und, Heroen zu
plastischen und gemeingültigen Cbarakterea vonugKch
Werk der Oiebter sei. Es versteht sich, dafs der Vf*
hiergegen streuen mufs, da er es eben erst behauptet
hat; nur mit v}el weniger Einschränkung. Er bat ge-
sagt und. (p. 56) wiederholt, der Mythus habe kebe
bestimmte Form gehabt, HjDd ebe selche erst durch die
epischen Dichter erhalten* Ist dabei etwas zu denken,
so heifst eis, der Mythus erhielt Begrenzung und Ver-
knfipfung seinee Inhalts und ausgeprägte Bestimmtheit
«rst durch die Dichter. Kwie Berüeksichtigang vor«
dienen die Gründe, die der Ver£ auf seine Faust MUl*
lern unterschiebt, und die Unwahrheit, Müller schreiba
den Dichtem bei diesem Verfahren 'WUikührlichkeit
zu (p. 58 ad . libidinem). Müller behauptet bestinunt
das Gegentbeil Prol. S. 110 1 119. 325. 348. SchUefs-
lioh ötirt der Verf. ^einige Stellen, in welchen Müller
von iroDiseher und parodischer Behandlung der Götter
' bei Homer spricht. Aas Prol. S. 357 geht übrigens
hervor, dafs sich Müller diese Ironie in engem Zu-
sammenhange mit der Naivetät ubd Energie des reli-
giösen Glaubens denkt. D<$r Verf. thut, als ob Miller
dem Dichter einen gelehrten Standpunkt und ein ab-
sichtliches Verkleinern, der Götter beigemessen hätte.'
Dabei bedbnt sich der Verf. selbst der Ironie gegen
den armen beschränkten Müller in einer Weise, weh
, che gana der ^issenschaftlichea Stärke seiner Angriffe
wUrdig ist A. Scholl.
ra.
Bildungsgeschichte des RüchenmarUssystems mit
Benutzung der allgemeinen Bildungsgeschichte.
Von Otto Oottfr.Leonh.Qir gen söhn. M^/9
■
und. Leipzigs 1S37.
Vorliegendes Buch ist Burdach gewidmet, «md man
kann sagen, es ist auch aus dem Geiste desselben her-
vorgegangen. Waa wir also an dessen gröfserer Phy*
sblogie Vorzfigliches zu schätzen haben, die geistige
Durchdringung des Gegenstandes, die logische Anerd^
nang des Gegriienen, die treue vollständige Sammlung
und Znsammenstellung der Thatsachen, alles ' diesei
dient nach als Zierde unseres Buches. Es fiadet sieh
da ein erfredicher adminisfrätiver Geist, der die sieh
andrängenden Berichte und die Provinzen des weiten
naturwi^senschafilichen Reiches fSr einen schnellen
Otrgenwokn^ Mkkmg9g09eSf4cAi0 de$ Bü'ikemmMfkMBjfMiemM.
Utberbliok ffehdrig zu' oNlDeii Tersteht, und sie tbeiii
«elbst beurtheill^ theils fttr das Ui^heil Anderer' zurechl«
setzt. Aber davoD abgeteheo, was man als eine 16k-
fiebe Mübwaltnng und Arbeit betrachten kann, ist die
Tendenz äes Bocbes eine höhere, eine* philosophische*
Effüige Hauptsätze über das ursprüeglicbe Verhältnifs
des Geistes znqn Organismus sollen an den empiri-
schen Thatsachen klarer als bisher dargestellt wer-
den. So: dafs der individuelle Geist der orsprüngliche,
bleibende, t;^pnsbestiinniende Grund der AadiTiduellea
Organisation ist; dafs aus dem urspröngliGben Gegen«
satz des Geistigen und Materiellen auch im indi?idiiei-
len Organismus eine Dnplicität des Lebens und Bil-
dungstjpus hervorgeht, welche yom ersten Anftreten
des PrimitiTstreifens im Ei bis zur höchsten Ausbildung
der organischen Systeme fortschreitend sich entwiekek 9
dafs in diesen Gegensätzen wieder eine Tendenz aur
Tersohmekung ist, wodurch das ursprfinglieb Geislige
Frieder die Herrschaft gewinnt, so dafs überall ein Fort«
schreiten Ton Objektiyltät zur Subjektirität, yon Be-
stimmbarkeit zur Selbständigkeit, von Vielheit zur Bin«
beit, von AHgemteinheit zur Individualität wahrzuneh-
men Ist ; dars vorzägiieh in der Entwicklung des Ner-
Tensjstems jene geistigen Momente sich naebweisen
lassen. Aus diesen Haupt^tzen und ihrer empirischen
Durchführung ergaben sich dann eine Menge wichtiger,
manchen tiefen Bück in das organische Leben gewäb«
linder Corollarien, wodurch uns das geistige Getriebe
derselben anscbaulicber gemacht werden soll«
Es giebt nicht leicht einen Zweig der Naturwis-
sensqhaft, der in der neueren Zeit mehr brauchbares
Material für künftige mit höherem Glück zu erneuern-
de naturphilosopbische Konstruktionen geliefert hätte,
als die Morphologie oder, specieller ausgedrückt, die
Entwicklungsgeschichte der Ttnere und die Metamor-
phose «for Pflanzen. Man siebt hier ttberall den Geist
heiaaka naekt, nur leteht voas Sehkier der Materie nm-
fajiltt siok offenbaren, so dafs es beinabe nur einer be-
griffsBiafsigeo Amreihung der Thatsachen und eioer se
i^iet möglich lückenlosen DurchCtthrung derEntwicklui^
gen bedarf, am die individualisivten Naturideen vor. die
Uno^teUiarkeU der 'Sinne selbst beranauffibreii* Eis
' haben zwar Alle, die bisher über EntwicHlungsgesehiobte
aobrieben, mit und ohne Willen das idedie Wesen des
Otffaaismus mehr oder weniger zur Anaehauung ge«
faMicbt, nirgends ist jedoch die pipileaepläsehe Tettdens
so entschieden und als dai Gante bestimmend aii%e«
treten, als bei mserm Autor* Es lag deiia aneh io dar
ganzen Art der Auffassung^ dals er mit der Bildung»*
gescliicbte des Rüokemnarkssjstems (des aaiuiaUscliea
Organehsystems) mehr oder weniger die gesammte Bil-
dungsgeschichte umfassen rnnfste, was ihm daher nn-
inüglich zum Vorwurfe geVeicben kann* Darin lag: aitck
die Notbwendigkeit, die Entwicklung des Oi^ganismus
nicht nur im embryonalen Zaatfuide, aoadem durch alle
Lebensperioden bis zum Tode in Betrachtung an xie>
heu, was bei einer oberflächlichen Ansieht des Btudies
und beim Mifsverständnifs des Titels leicht Wider»
Spruch erregen könnte. Wir bemerken nur noch, dafii
die Anordnung de^ Ganzen durch die Entwicklungen im
Embryoleben und den übrigen Lebensaltem gegeben ist,
und geben zu Besprechung einiger Binzelnheiten- über.
Vorerst einiges über den dualistischen Standpunkt
des Autors. ^Ibm ist die Zeugung die Manifestation ei»
ner Uridee (oder des Geistes) im gegebenen lebendoi
Stoffe. Hier ist offenbar ein Pleonasanis. Der lebende
Stoff ist selbst schon ein vom Geiste durehdrungeoer.
Wozu diese neue Trennung und abermalige Entgegen-
setzung. Im consequenton Dualismus wird vielmehr die
Materie in ihrer höchsten Abstraktheit als dem Leben
.ganz entfremdet gedacht, um durch Verbindung mit
dem' Geiste erst lebendig zu wei^den \ . und darin be*
ataade schon der Moment der Zeugung* Es wird also
um die Zeugung zu erklären, die Zleugnng schon vor-
ausgesetzt* Jener Ausspruch kann also nur für be*
stisBottt individuelle Zeugungen gelten, die als aeldw
allerdings aebon die Urzeugung^ also gegebenen leben-
digen Stoff, ins Uneadliche voraussetaen. «^ Für des
empiriscben Naturforscher ist 'der Standpunkt des Dua»
lismus notbwendig; denn allenthalbesi begegnen ihm is
der Welt der Erscheinungen Gegenaitae^ veo Krifiea
und Stoffen, von Activitäten und Passitititen^ jmdedi
immer in untrdhnbarer Vereinigung, die *er erat anf
künstliche Weise, durch allzu starre Abstraktion ver»
leitet, so trennt und getrennt ausefaianderbält, dafs &
zuletzt wie in Selbstvorzauberung kaaas sa der u^
sprüngiick gegebenen empirischen Syathesis wieder
zurückzukehren vermag, und gar ofi^ aus Mangel as
fortwirkender Gedankenkraft, in diesem unversilmli*
ehern Gegensatz fiir immer befiingen bleibt.
(Der ^eBchlafB folgt.)
. t
J a h r b tt c h e r
für
w i 8 s e n 8 c h a f 1 1 i che K r i t i k.
Juli 1839.
Bildtmgfguchichie des Muehenmarissgutems mit
Bemitzmng der eUlgememen ßädung$ge9€hichte.
. Foit Otto Qottfr. Lßonh. Qirgensohn.
• *
Wo dagegen der Geist durch die ErscheiBamgeii
2tt sich selbst durobgedruDgen ist, gelangt er nothwen-
dig zu. der auch in der Natur waltenden absoluten Iden-
tität des Subjektiven und Objektiven und erkennt in
ihr das ihm homogene geistige Wesen. Dadurch wird
jedoch der empirische dnalistipcbe Standpunkt nicht
aufgehoben, sondern vielmehr in höherer Verklärung
bestätigt, und als solcher begriffen. Wenn so dei; Na-
turfor^cber diese notb wendige Stufen geistiger Bewe-
gung durchgegangen und freithätig zn der nieder^en des -
Dualismus wieder zurüoksteigt, ^o mufs er nicht unter-
Jassen, die höhere Beziehung allenthalben zu bestäti-
gen, wenn er sich nicht- dem Vorwurf der Einseitigkeit
aussetzen will.
Pei der Betracbtnng des gegebenen lebendigen Stoffs
als Sabstrat der Zeugung (p. 4) bleibt der Autor eia-
peit% bei dem im weiblichen Organismus vorbereitetem
Zeug« Qgsst off des Eichens stehen, ohne dop männli-
chen zu berücksichtigen, der ebenso notbwendig in den
männlichen Zengungsbrganen vorbereitet wird, und nennt
dieseq Moment die einseitige oder rein weibliche TjKQf
0ui]^, da sie vielmehr zweiseitige määnlich und weib^
Uch isti indem auch, der männJiQbe Zeugungsftoff im
^männlichen Organismus noch vor der Zeugung vorbe-
reitet i^ird, und.el^enso sein materielles .Substirat^ wie
der weibliche ha^ und' bei dem Zeiignngsprodukt der
geistige Typus nicht dem AI ä^nlicheä, allein zukömmt^
aopdem auqh dem WeibUdhen, wie dies ans der Mi-
ecbung körperlicher Aehnlichkeiten und psjrchiscber
CbarakterzUge beider Eltern im neu^n Individuum aufr
fallend ethellt. Doch Spätere Stellen (p. 24 u. jF.) he»
Jmkrh. /. «MteftfcA. Kritik^ J. 1830. II. Vd.
ben diese Behauptu|igen wieder mif, was jedodi den
Autors.' nicht entschuldigt.
Bei der Auseinandersetzung der Struktnetbeile dea'
Eies (p. 5 u. 6) wird die Kornerschicht, welche im Zu-
sammenhange mit dem Blastodenna die gesammte in»
nf^re Oberfläche der Dotterbaut als eine Schicht ^der
vielmehr als eine besondere Membran bekleidet, ganz
aufser Acht gelassen. Ich halte vielmehr dafiir, dafii
diese Membran ^in wesentlicher integrirönder Th^ des
Keimblatts ist, ilnd dafs somit dieses- ursprfingUch eiiie -
sphärische (ßestalt hat, dafs die ersten Voigänge dar
Bildung nicjht aussehlierslich in der Nähe des Keimblä»>
cbens, ^sondern jn dieser ganzen spliärischen Hembsan
Statt finden, dafs dagegen die . eigendiche Dotterhaut
(gegen llusconi) als einerstrukturlose unlehendige blos
einschliefsenda Membran nur als n^echanisohes Hilfs-
organ zu betrachten ist, und dafs ebenso der Dotter
(gegen, Carus) nicht unmittelbarer Sitz der Lebeüsbil-
dang ist, wenn er,aucb sonst den lebensfähigsten Nab-
trung9stoff für den neuen Bildungnprpoefs liefet Aus
dieser Ansicht erklärt sich^s, wie die ersten zunächst
beim Frosche! sichtbaren Biidung^bewegnngen (die be*
kannten regelmäfsigen Theilungen der Oberfläche) zwar
vpn^ einem Hauptpunkte ausgebetf, aber sogleich sich
ßxd der ganzen Dotterfläiche verbraten, ohne blos sink .
auf die Keimstelle zu beschränken. Aach irttrde dar-
aus hervorgehen, dafs der Dotter nicht blos bei Piaohen
und Amphibien, sondern auch bei Vigefai nnd Säu^
..thieren und wahrscheinlich ' durcbgehends bei allen in
Bierh sich bildenden Thieren^ gleich ursprünglioh vesi
der^Leibhdhle umClfst wird, wo sodann die Tremiiing
des Dottersacfca vom Leibe als der erste Anfisng des
Absterbens.der TheHargane oder der Ttenwmng bfela-
iiv Aeofseres und Inneres zu betrachten wävs»
Eigentbi'unlich dem Verf. ist die Lehre von der
heterogenen Organisation im Gegensittz der wesentli-
chen in der Frnchtbildnng. „Alles (p. 7fi) was sieh so
8
59
GirgensoAn, Bildttngtgetghiekte des ROcktnmarkttyt^emt..
im GQgenfsatz zum PriitiitiTstreifen, onabBSiigjg f On flea soll, -damit di^ ars'prfingliohe Einheit nidit ju s^
dems.elbeti, durch ein mehr von der Mutter und tfem * in d.en Hintergrund trete.
.*
Ei-Ganzen bedingtes, als Tom Emhryo ausgehendes Le-
ben, entwioicelt, und was, wenn es auch 'zum Theil
lieib des Bmbrjo vird^ doch nicht fär.die unmittelba-
ren Geistesthätigk^iten da ist , netiue ich heterogene
Organisation. Sie dient mehr zur Erhaltung und Nah-
rung des Lebens, ^als seiner Aeufserung, sie ist das
Slldungsniaterial, gegen welches sich das eigentlich
•thätige- Leben, wenn es zur Individnlilität erstarkt ist,
mit aller ihm inwohnenden Kraft richtet; sie ist gegen
die wesentliche Organisation das Aenfsere, das Peri-
pherische; sie ist das VergängHche, Wandelbare, Zer-
^frente, Mannigfaltige. In jedem Moment des Lebeüs
wird sie zersetzt, metamorphosirt, ansgestofsen', durch
neu aufgenommenen StofF ersetzt und ergänzt*' u. s. -f.
tDas erste Organ der wesentlichen Organisation ist ihm^
nun der Primitivstreifen, ' später bei weiterer Entwick-
lung das Hirn- und Aückenmarkssystem und die damit
Ausammephängenden Organe, kurz die Organisation
des animalen Lebens; sie stellt das' männliche Prinzip
im Fruchtleben dmr. Die heterogene Organisation be-
steht hn Ge&fs- und Gangliensjstem. Diese sind die
Verniittiungsglieder zwischen weiblichem im Ei gegebe-
nem lebendigem Zeugungsstoff und dem eigentlichen
Embryo. Sie bilden sich zum Theil im Eie selbststän-
.dig heryor im eigenen Heerde der wesentlichen Orga-
•nisation gegenüber, in deren Inneres sie sodann zum
Theil. aufgenommen und mit ihr vereinet werdelfi, zum
. Theil absterben und als heterogen abgestofsen werden.
Dieser Gegensatz geht nun durch alle Stufen des Em-
bryolebens hindurch, in beständiger Umwandlung und
erbäk sich durch das ganze Leben. Diese Lebre ist
im Grunde identisch mit der gewöhnlichen Lebre vom
•Tegetativeü und animalen Organismus nur unter anderm
Gesichtspunkte . aufgefafst, indem keine ursprüngliobe
Durchdringung der beiden Grundformen des Lebens
Torausg^setzt wird, sondern diese allinählig zeitlich
und räumliob, in Wechselwirkung der beiden Zeagungs-
stolfe jedes von emem besoudem Heerde oder Oentral-.
punkt aus erfolgen splL Zu dieser Aaticht i^äre der
-Verf.. schwer lioh gekommen, wenn er nii^t gleich Ton
Anfang an in denDuäliBmus des Geistigen und Mate-
riellen bei. der Zeugung- • sioih zu sehr vertieft hätte..
Solche Gegensätze habfen allerdings eine aber nur re-
lative Giltigkeit, die jedoch. überall eingestanden -wet^
Mit der eben dargestellten Ansicht des Autors tub
der Wesentlichen und heterogenen* Qr^antsatien, ßK^
auch seine Lehrc: von 'der. Qenesii dds« GAmglismierveft»
Systems im Zusaipmenhange. Dieses bildet sich .ihm
gemäfs als Gegensatz gegen das' Centraluerveneysteou
Er gehtyon der Voraussetzung aus,* dafs kein Orna
fürs Leben bestehen kann, dem nich^Neryenmasse ein-
gebildet ist. Indem der embryenale Theil der Fmeht
in der Entwicklung forischreitet, tanfr ei<^ m den.ndl-
terlich-placentaren, wenn, er nicht sogleich uaterg^ofacs
soll, ein nervöser Gegenpol entwickeln. Dieser istdai
^Abdominalnerrensystem mit eentripetaJer Tendens bd
Mangel an Centricität. Jemehr sich dieses aus 4cb
mätterlichen Bildungsstoff hervorbildet, desto mehr e^
streckt der positive Nervenpol seinen Einflufs in die
lieterogene mätterliche Organisation, desto selbständF
ger und individueller wird die Frucht.
Wunderlich klingt zuletzt die! Yermuthnng, dafs im
Wolfschen Körper die ersten Rudimente deis Gaogfien*
Systems zu suchen wären. Wichtig dag^sen ist die
."Bemerkung* (p. 53),' wobei er sich auf eine mthidltche
Mittbeilung von Pander bezieht, dafs die Spinalgan-
glien gleich ' anfangs mit dem Auftreten der qüadrat^
sehen Wirbelrudimente vorhanden sind, was eine in*
ductionelle Bestätigung darin findet, dafs in den spä-
tem Entwicklungfestädieti diese relativ desto gröfser
sind, je jünger der Embryo .ist^
Ziemlich dunkel, jedoch auch eigenthfimlidier Art
ist die Ansieht des Autors über die reproductive Flui^
dität des Nervensystems. Der Geist schafit annnttel*
bar Nervensubstanz aus der Btutfltissigkeit. Während
des Embryolebens ist diese Production progressiv und
accumulirend h\k zur Vollendung des Systems. Nach
der Geburt ist jedes Nachlassen der geistigen Tfaftt^«
keit eine WiederverOässigung der Nervensubstanz,' jedi
abermalige Tbätigkeit ein n^uer Scfaöpfungsact der Ner-
venmaterie, so dafs diese' nur existirt, insofern der
Geist thätig ist und dieser als6 sich sein Organ j:ed«i
Augenblick neu schafft Von dieis^ Art der Ftoduo-
tion soll sich nun die Reproduction des fibrigen bete*
Togenen Organismus dadurch udtericheiden, dafs nie
erst durch den allgemeinen Impuls des Lebena tuid
dnrch die schon vorhandene Nervenfaser Termittelt nnd
ttieht unmittelbare Product?on del* gefsligen Thätii^keil
«1
Oürgen^Jkni Bäd0ig^9seh§chi!^ des\Iiüeidnm4rihsy4t€m$.
63
ist. ;2til0t2t Venrahrt d^' Autor tseim» Lehre gegen
dfo Ter^ecl^slung mit 4er tod Naumami (l^enbefg)
imgeiiomnieiiett PMMil&t der NervenuiaBSe und rettet
irioh endlich in die Wolke des Geheimnissest in irel-
diee alle Operationen den Geistes eingehüllt «ind.
' Fir den Selbsterhaltungstrieb werden t^esttmmte
'Organe hn Rflckenmaric postulirt^ etwa in den Seiten-
oder in den grauen Strängen, nur nidit in den vordern
oder hintern Mittelleisten, denen an einer andern Stelle
(vröf) andere Functionen' angewiesen werden sollen.
Wunderbar! als wenn der Selbsterhaltungstrieb nicht
dem ganzen Organismus angehören mufste ! Wenn der
Selbsterhaltungstrieb auf bewnfste Weise im^ aaimali-
achen Leben wirksam ist, so wird er es aufser den ihm
entsprechenden Empfindungen und Vorstellungen auch
durch die freithätigen Bewegungen, zu deren vermitteln*
den Organen allerdings^ auch die Rückenmarksstränge
gehören, ohne dafs es ndthig wäre in ihnen besondere
Organe des Erhaltungstriebes zu suchen.
Den Hauptinhalt des Buches macht die Geschichte
der Lebensalter nach allen ihren Momenten aus, wel-
.cfae, obgleich nioht so ausf&hrltch wie in Burdach's Phy-
siologie deimodi auch selbständig und nach eigener
Lectüre zusammengestellt ist. Uebj^rall findet man
originelle und geistreiche Bemerkungen, dodi auch mit-
unter gewagte , Behauptungen, die yor einer strengem
Kritik nicht . bestehen würden. Dennoch geben wir
gerne, da es nicht Allen gegeben ist, in, strenger pbilo^
sophischer Rüstung aufzutreten, jedem die Freiheit aus
den dicht bewacJiBenen Landschaftsgrfinden empirischer
ForschuDg, gegen das Himmelsgewölbe* und in die blaue
Feme nach Gefallen so yiele freie Blicke auszusenden,
als es nur immer der Zog des Geistes forder^^ wenn
hur dem Leser auch biemit etwas Erfreuliches geboten
wird. Zu solchen erfreulichen Fernblicken gehört auch .
die Lehre des Autors von der Bestimmung des letzten
Greisenaiters und von der Bedeutung des Todes. Das
Selbsterkennens eintritt Im Greisenalter lernt der
G^t alle r^lle 01]|)ektivität entb^en» weil er sie zu
seinem eigenen Wesen umgeschaSen hat;^ und sie i<}eal
in sich trägt. Wenn im Mannesalter das Irdische noch
den Geist fesselt, so wird erst im Greisenalter jene
^wahre Selbständigkeit erreicht, wo der Geist in höch-
ster Unabhängigkeit, Von allem Unwesentlichen befreit
nur allein, dem geistigen Lebenszwecke sich ergibt.
Ebenso ist dieses Alter, ein Foftschritt aus der Manf-
nigfaltigkeit des Lebens, in. die' rein geistige EiiUieit,'
aus der an das Objektive sich hingebenden Bestimm-
barkeit und {Jnentschiedenheit in die höchste Eigenthiim-
liohkeit und geistige' Individualität. .Wenn somit das
Embryoleben und die erste Jugend die Verkörperungs*''
Periode de^ €leistes ausmacht, im Jünglings- und Man-
nesalter die Vergeistigungsperiode eintritt, so ist .im
Greisenalt^r die Entkörperungsperiode gegeben, woraus
danp die Nothwendigkeit dea Todes und eines höheren
geistigelren Lebens hervorgeht.
Während der Lectüre des Buches drang sich uns
oft der Wunsch auf, dafs der Autor die Entwicklungs-
geschichte niehr praktisch getrieben hätte, indem er -
bei Zusammenstellung von verschiedenen Seiten gege-
benen »npirischen Materials gewifs mit mehr Rjritik
verfahren wäre, auch manche Behauptung wohl kaum
gewagt haben würde, wenn Imagination und Verstand
durdi unmittelbare Naturanschauung gezügelt worden
wären. Es scheint gegenwärtig im Geiste der Zeit zu
liegen, dafs die Speculation, die sich früher beinahe
überwacht hatte, eine Sie8te,hält, indefs der Empiris-
mus rüstig beschäftigt ist, um ihr, vielleicht bald, wie-
der neue, sicherere und bequemere Stege zu. noch küb*'
netai Fahrten anzubahnen.
;. - 'Purkinje.'
IV.
normale Oreisenalter ist nach jhm nicht em Zurück- IJ 'Johann Berchmann^s 8tral9undi9ehe Chro-
fallen und VeiHinken des Lebens, sondern vielmehr ein
Fortschritt zur Vollkommenheit. Wenn im Fdtnsleben
dcAr. Geist gana in* die Objektivität versenkt war, regt
sich^ im Neügebomen der Funke des Selbstbewufstseins,
gelangt im itiadesalter zum Begriff des Ichs. Im Jüng-
lingsalter schwankt noch der Geist zwischen Objektivi-
tät' und Subjektivität, bis diese im Mannesalter ins
Gleichgewicht kommen . und nnn die wahre Zeit des
nik und die noch eorhtmdenen Auszüge aus
alten verloren gegangenen Siralsundischen
Chroniken u. s. w.y aus den Handschriften her-
ausgegeben ton Dr. O.^Ch. F. Mohnike und
Dr. R H. Zober. Stralsund j 1833. In der
Löfflerschen Buchhandlung. LXXVL u. 400 &
in 8. Mit zwoi Stemdrucken.
«3
• • •
2) Die Acht m4 Vierxig; oder: Du Emführwig
der Kirchenverbeeeerung in Strakundy eine
Erzählung u. s. w.y ton Dr. C. F. Pahriciuz.
Stralsund j 1837. In der Struchschen Verlags-
handiung. XVI. u. 38S S. in 8.
3J Franz WesseVs Schilderung des hathoU"
sehen Oottesdienstes in Stralsund kurz vor
der Kirchenverbesserungy herausgegeben 9an
Dr. E. H. Zober. Stralsund^ V^l . In der
C. Löjffterschen Buchh. 28 8, in 4. 'Mit ei-
nem Steindruck.
4) Peter Suleke^ ein Religionsschwärmer des
16. Jahrhunderts y Beitrag zur Kirchen-- und
Stadtgeschichte Stralsunds, aus handschriftli^
. ehen Qßiellen ffom Arehidiaconus C. H.Tamms
zu Stralsund. Stralsund, 1837. Im Verlage
der Löjffterschen Buchhandlung. VIII. und
55 S. in 4.
5) Johannes Fr ederus. Eine kirchenhistorische
Monographie (von Dr. O. Mohnike), Heft L
.u^II. Stralsund, 1831. C. Löfflersche Buch-
handlung. . 60 «f . e4 5. in A. Mit zwei Stein-
drucken.
6) Geschichte der Eütfuhrung der evangelischen
Lehre im Herzogthum Pommern (vom Archi-
var v.Medem zu Stettin). Ore^swald, 1837.
bei F. ir. Kumke. XVI. u. 304 S. m 8.
7} Geschichte des Magistrates der Stadt Stral-
sunds vom Syndicus Dr. A. Brandenburgs
Stralsund, 1837* Verlag der C. Löfflerschen
Buchhandlung. 100 S. in 4. Mit einem, Stein-
druck.
Die lutfaeriflcbe Kirchen «-Reformation ist bisher
gröfstentheila nur in ihren politischen und allgci^eijpen
kirchenhistorischen Folgen aüfgefafst worden. Bald
waren ^ es die politischen Verhältnisse bei der Durch*
4er Refoifnatioi^ velcbe die <^eschi(
her f4ir9ng*wei«e in .Anspruck Bahmen, bald die
^sverhältniose und die Wirksankieit der Reforn»
re»! bald die Reügionastreitigkeiten Im Gefolge
neuen Kirehenlehre: im AUgemeioen aber^war es ii
iner die Seite des Kampfes und der Oppositiooy;
che in der Behandlung des weltgesobicbtlichen Cari
nisses ^ur Betrachtung kam« Dadoroh ist aber
immer nicht eine völlig befriedigende^ klare Auffi
de« Wesens der Reformatioi^ in ihrer £ntwickeli
möglich geworden- Soll die KircheQFerhlBssemng
als ein durch einen einzelnen Mann allein gescbaffeni
Ereignifs, soiidera als ein in dem bessern Theile Ä
Geistlichkeit, dei" Fürsten nnd des Volkes tief
gründetes Weltereignifs aüfgefafst werden» so int
tief gehende Scbilderuog der Zustände der Kirt
und des Volkes- in den einzelnen Ländern, so wie d(
Kämpfe «und der Verirrnngen in der Verbreitung deij
JProtestantrsnius eben so sehr weseutliches Erforde»
nifs zur Erkenntnifs desselben, als eine Darstelloog
der Hauptbegebeuheiten, welche den Protestantismm
hervorriefen und siegreich machten« ßs soll dies kei-
neswegs ein Vorwurf gegen die Geschichtsckreiber
sein, da durch deren Betrebungen bisher genug des Vo^
trefflichen geleistet ist$ eher könnten diese Ansiobtes
denen zum Vorwurfe gejreichen, die in den einzelnes
Ländern Deutschland's an den Uuellen wachen und bis-
her so wenig Ton den verborgenen Schätzen der A^
chive ans Licht gefordet haben. Man furchte sick
auch, nicht für die Folgezeit vor Ueberfulle des Stof*
fes: je vollständiger die Akten sind, desto klarer, übe^
zeugender und kürzer wird der Hauptbericht, 4ipd as
die Stelle weit ausgeführter Hypothesen tritt dann ein
kurzeS} bündiges, geistreiches Kesultat. Der Geschiebt-
Schreiber hat dann freilich mehr zn lesen, aber weni-
ger zu suchen, und dabei mehr Freude und Gi^wian ai
der Arbeit Wir meinen nun, es thue vor, allen Diu»
gen Notb, dafs viele Beiträge zur Geschichte der Jtiüf
fdbrung, .Verbreitung und Befestigung der protestaatir
sehen Lehre in den emzeloen Ländern Deutschlanda wo*.
sentlich die Auf helhing der Reforiuation möglich mai^hea»
(Der Beschluft folgt)*
-»-• 1 ^
* .k
wissen
Jl" 9.
J a h r b fi c h e
für.
8 c h a f 1 1 i c h
Juli 1839.
e K r i t i 1l
IJ Jokatm Bercimmnn^s Strabundücke CAro^
mife wtd die ttocA vorhandenen Auszüge aus
alten verloren gegangenen Stralsundüchen
CKranikßH u. s. it., aus den Handschriften her^
ausgegeben roh Dr. O. Ch* F. Mohniie und
Dr. E. Bi Zober.
^) Die Acht und Vierzig; oder,: Die Einführung
der l^irchenverbesserung in Stralsund^ eine
Erzählung ti. s. tr., von Dr. C* F. Fabricius.
S) Franz JVesieVs Schilderung des iathoK"
scheH Cfottesdienstes in Stralsund kurz vor
der Kirchenverbesserungj herausgegeben von
Dr. E. nUiZober.
ij Peter StflekCy ein I^eligionsschwärmer des
16. Jahrhtmdetis, Beitrag zur Kirchen- und
Stadtgeßchichtc Stralsunds, aus handschriftli-
chen Quellen vom Archidiaconus C. H. Tarn ms
zu Stralsund.
5J . Johannes Fr ederus. Eine hirchenhistorische
Monographie (von Dr. O. H. Mohnike).
ß) Geschichte der Einführung der evangelischen^
.Lehre im Herzogthum Pommern (vom Archi-
var V. Medem zu Stettin).
1) Geschichte des Magistrates der Stadt Stral-
sund vom Syndicus Dr. A. Brandenburg.
^ (Schlaft.)
DanD, wenn wk klar seheD, trie überall in den
Ländera itad Stftdten, ja aelbst in den Dörfern, der
<iettesdion8t^QniGi>teendieBst herabgesunken, die Kle-
risei auf eine empörende Weise entadet, die Kirdie,
entweiht und yerarnt war, das Volk dagegen, besser
als die Klerisei und im Bewufstsein eines böherea
.Wertbes, in erwacbender Kraft und in bktereiii Spott
siqb seibatkräftig und furchtlos^ weil es nichts zu. furch«-
ten hatte, erhob und ohne Bangen der nenen Lehre
> selbst den Eingang Terschaffte» die Fürsten sich, vcil
Jahrb. /. tPftffeificA. Kri^k. J. 1839. II. Bd.
das 4^^^ ^^^^^ ^^^^ bestehen konnte, freiwillig nnd
gerne* dem Volke anschlössen, die Gelehrten und Künst-
ler, Y<^m frischen Morgenroth des lichten Tages d^r al-;
ten Litteratur und Kunst gestärkt, die Dolmetscher
der allgemein herrschenden bessern Gesinnung waren:
dann wird die Geschichte der Reformation ein leben-
Tolles Gemftlde werden, das jeder gerne anschaut,
ohne sich bei der Anschauung über falsche Farbeng^
bung und Uebertreibung ki der Finselfiihrung argem
zu dürfen. Können aber irgend Länder aolche Bei-
träge zur Reformationsgeschichte liefern, so eind es
vorzüglich die norddeutschen Länder, eben weil die
Reformation recht eigentlich eine norddeutsche BegCr
benheit war, und in dem klaren, festen und ruhigen
Sinne der Norddeutschen ihre fesrteste Stütze fand.
Leider ist bisher wenig für die Geschichte der Refor-
mation in Norddeutschland gethau; am bekanntesten,
aber docb nicht viel gekannt, war die Geschichte des
ersten lutherischen Prädikanten in Meklenburg, des
Capellans Joachim Slüter zu Rostock, und auch die-
ser mehr durch sein in allen drei Jahrhunderten viel-
fach besprochenes tragisches Ende als durch die Art
seiner Wirksamkeit. In den neuesten Zeiten hat sich nun
Pommern, vorzüglich aber Stralsund^ durchweine Reibe
wertbvoUer Beiträge um die Geschichte der Reformar
tion in Norddeutschland verdient gemacht, und vor-
züglich sind es der gefeierte Hr. Consistorialrath Dr/
Molmike und der Hr. Gymnasiallehrer und Stadtbiblio-
thekar Dr. Zobery welche mit gründlicher Gelehrsam-
keit und nncrmüdlichem Streben auch -diese Seite der»
norddeutschen Geschichte einer ernsthaften Betrach-
tuog würdigen. Allerdings hat aber auch Stralsund
für die Geschichte der Reformation ein besonderes In-
teresse, da in dieser Stadt die neue Lehre alle Peri/>«
den der Ent Wickelung, wie an keinem anderen Orte
Pomnierns,..durchlebte. StralMind^ Rostock und Lü:
beck sind diejenigen Städte der deutschen Ostseeiän-
67
Einfuhrung der l^/brmaiion in P0m$nern.
m
der, in deren Geschiobte die Einfthrmg der Reforoi«-
tiön am flberze4gend8ten stodirt Verden kann.
Es ist der Zweclc dieser Zeilen, , nach den oben
angedentettn Gesichtspunkten fplgende pommersebe.
Beiträge snr Reforniattoasgeschiebte hier kurz ancu«
zeigen, um sie zum Genufs und zur weitern Verarbei-
iung um so dringender zu empfehlen, als in allen nord-
deutschen Archiven die Akten über die Einfuhrung
und Verbreitung der Reformation in der Regel höchst
dürftig sind; um so schwieriger nun dergleichen kir-
chcngeschichtliche Monographien sind, um so mehrAiw
erkennung verdienen sie, als sie in spätem Zeiten
schwerlich durch etwas Besseres und Vollständigeres
zu ersetzen sein dürften.
Den Reigen erölFnet billig JVb. 4. : die SchiMerung
des katholischen Gottesdienstes in Stralsund. Der
Verfasser ist der th&tige und um die Beförderung der
' Reformation hochverdiente Burgemeister Franx H^et*
sely der schon zur katholischen Zeit Kirchenvorsteher
zu St. Marien war (vgl. Fabricius die Acht und Vier-
tig S.,380), 1524 in den Rath kam, 1541 Burgemeister
ward und 1570 starb. Diese seltne Reliquie schildert
mit grofser Ergötzlichkeit und Klarheit aus eigner An-
schauung den katholischen Gottesdienst in der letzten
> Zeit desselben; nichts kann ein besseres Bild von
dessen grenzenloser Nichtigkeit geben als diese Schil-
derung« Die Schrift war zwar schon einige Male ge-
druckt, aber es waren diese Abdrücke theils schon
schwer zugänglich, theils fehlerhaft. Daher hat sich
der Hr. Dr. Zober dadurch ein Verdienst erworben,
dafs er diese Schilderung nach den Anforderungen des
neuem Zustandes der Kritik und der Sprachstudien
aus den beiden Handschriften besonders herausgege-
ben und durch kritische und sprachliche Bemerkungen
erläutert hat. Zober führt als Gegenstück zu dieser
merkwürdigeü Schrift noch des rostocker Nicol. Gryse
„Spegel des Antichristischen Pawestdoms vnd lutheri-
„sehen Christendoms'* an. In der neuesten Zeit ist
jedoch noch eine,^ und zwar papistische Schilderung
der katholischen Zustände zur Zeit der Reformation
durch Entdeckung einer niederdeutschen Abfassung der
^ rUniixer Chronik des Franziskaner-Lesemeisters Lam-
brecht Slagghert durch den Hrn. Dr. C. F. Faöri-
eiu4 ans Licht gebracht und in den Jahrb. des Ver-
eins (är roeklenburgiscbe Geschichte u. s. w. UI, S.
96 flgd. gedruckt«
r
Eine der wiciligsten Quellen für die Reformati«»
geschichte Norddeutschlands ist
Nr. L J. Berckmanns siralsumUeehs (!hronik. J»
haan Berckihtnn war Augnstinermönch' und lebte eohcs
vor der Refermatien zu Stralsund. Er war einer >dtt
ersten, welche (des Augustiners) Luthers Ansichtcs
beitraten, und tritt schon bald nach 1520 zu Ne«*Bra»
denburg als Verkfinder der neuen Lehre aof« Abi
Ende des J. 1524 ging er, wahrscheinlich wegen de
beksunteo Hinneigung des Httsogs Albreoht zem K^
tholicisnnis, nach Stralsend suriiek und lehte hier bii
au seinem Tode im J. 1560, nachdem er daselbet Mi
-zum J. 1555 eU Prediger gewirkt und ae der Dnreb
filhrung der Reformation mit Eifer gewirkt hatte. Wah»
scheinlich ward er wegen zunehmender Sehwicbe ve^
absohiedet \ die MuCse, welche ihm ward, benetcte e
aur Abfassung dieser Ghfenlk. ümfaDit die C^hrenk
nach die ganze Zeit von der Grflndung Stralsnnda bii
in die letzten Zeiten Berokmanns, so sind doch dii
Auizeichnongen ttber die altem Zeiten ohne besondse
Wichtigkeit, und in den An&eichnungen fiher ilie £^
lebnisse Berckmanns treten die kirchlichen BreigiMM
besonders stark hervor, theils weil sie fast alle dan»
ligen Umstände bedingten^ theils weil der Chroaikaii
ein Geistlicher war. Die lange verloren geglanMi
Handschrift ward von Mohnike wieder entdeckt nii
für den Druck abgeschrieben und mit einer Eioleitasg
versehen, von Zober bearbeitet und erläutert und vss
beiden hochverdienten Männern herausgegeben. Teil}
Einleitung, üebersicht und Glossar sind vortreflSic^
und verdienen eben so sehr gerechten BeiAin, ala dii
nachahmungswürdige Art und Weise der ganzen Bs>
handlung. — Angehängt sind Auszüge aus andern il>
tern stralsundischen Chroniken^ katholische Spottliedci
auf die Reformation, ^es sundischen Reformators Chii"
stian Ketelhodt und seiner Amtsgenossen Rechtfcrt-
gungsschrifl; vom J. 1525, die altem sundisoheii Sehnt
und Kirchenordnungen n. s. w« — - Mangel an Keen^
nifs der norddeutschen Gesohiohte ist ohne Zweifel die
Ursache, dafs das gediegene und wichtige Wei4 JebEt
im Preise zu f Thaler herabgesetst ist, nm — dii
Druckkosten zu decken!
Eine Frucht der Bemühungen Mefanikea vnd Ze-
bers, so ^le der Bemühungen um Kantaowa Chrenk
und eigner gleich gründlicher Studien ist
Nr. 2. die Eraflihrung der Kirchenverhesseravg h
m^
SüffiU$i$ng der B^^MnmtUnin F^mmem.
TO
fSiraliMrf od'ar die Aekt tmd Vürmigj -^ em sebr
leigeiitktiinlidies Werk de« tllcbtigeB GeBofaiehtsfer-
«eben C. P. §>Arwiu^ — Die EMfiikmtig der Refev-
«laAion ntthin ui ätvaimwd den Charakter einer deme-
^ratiMhev Valkebeweguag gegen den Ratli der Stadt
•fkH, und findet ein Gegenstuck wohl nar in Lübeck
«lOid etwas 'Aehnliciiefl in Rostock. Erkenntnifs nan-
löber Mttngel in der Stadtrerwaltung traf mit der Ev-
4eimtnifa der Gehreeben in der Kirche zusammen; das
4Uifgewiegelte Volk erlangte die Eineetzang eines Büv-
-geranssehasees too meki umd vürxig Personen znr
SeaufiiiohtigBng des Raths, und unter dem Vortritt
dieser neaea^ wahren Stadtbttnpfer ward in tuumltuari-
«ehen Aaftritten alles durchgesetzt, was den erhitzten
^emfltbeni notbwendig erschien. Rechnet man biezu
(die alfeea Haase^erhältnisee Stralsunds und das Ent-
gegenwirken einer nicht unbedeutenden katholischeii
XSeistliobkeit, so entsteht allerdings ein Gemälde, wel-
4Bbes, «elbst fikr die allgemeine Geschichte der Refoi^
aMtian und der damaligen Zeit, ein yielfadbes Inter-
esse hat. Diesen reichen StolF hat nun Fabricins zur
Cntwerfnng eines solchen Gemäldes benützt, densel-
ben mit grofser Sorgfalt und kritischem Scharfblick
zusammengebracht und eine yollständige Schilderung
4ler stArmischen Begebenheiten nnd der handelnden
Personen versuebt, welche ganz die Fora der Novelle
hat, aber reine, wahre Geschichte ist. Der Verf. wich
JD der /Vm» von der streng ^ssenscbaftlidien Me-
thode der Gesohiobtsforschung ab, nnd gab in einer
wnaammenbängenden, interessanten Erzählung die Be-
ff^benbeiten, wie sie Tön ihm sicher erforscht waren $
^er blieb dobei den Quellen völlig, häufig bis auf das
Wort getreu nnd liefs über die inneren Regungen der
Personen nur diese selbst reden, statt dafs er über
4ie ein Urtheii fällte; es schwebte ihm „hiebei die an-
^tike Geschichtschreibnng als > uaerreichbares Muster
^entfcnt vor/' M|in kann ihm Tür die sichere Erfor-
aohung den Stoffes das Zeognifs nicht versagen, dab
er „bei den Verarbeiten alles beobachtet habe, was
„nur von dem sorgfikltigsten Geschichtsforscher ge-
9)fordert werdea kaaa.'' — Wir bemerken hiebei nur,
dals über die wiehtigen sniidischen Begebenheiten dcis
J. 152SI einige interessante* Briefe von deä einflufsrei-
ehea katholischen Kkcheabeamten Dr. Zutphekhu
Wardenierg und Mipp^lit Steimrer in der Brief*
Sammlung des III. Jahrg. der Jahrb.^ des Vereins fär
mekL Gesdi. n. i. w«. mitgetheilt sind. -^ Angshfia||t
sinU : Historische Untersaehung über das Jafari in wei-
chem Christian Ketelhudt saerst in Stralsund gepredigt
ha^ Auszug aus der, voa Fabricins wieder entdeckten
niederdeutschen Chromk des Klosters Ribnitz Von Lajn-
brecht Slagghert n. s. w.
Ist in den vorerwähnten Werken das selbstkräf-
tige Eindringen der Reformation in Pommern geschil-
dert, so ist in ^
Nr« %. die Geacbichte der Emiuhrung der evange-
lischen Ldn« in Ponmiem durch den Staat van deat
Brn. Archivar t. Meäem einer urkundlichen Forschung
unterworfen. Der Verf. erzählt, vorzüglich nach Kaat-
zow's pommerscher Chronik, Jedoch auch mit Benttt-
aenng aaderer bekannter, so wie früher nicht gedruck-
ter Quellen nnd mit Hinblick auf die allgemeinea deut-
schen Verhältnisse, aof 72 Seiten die Geschichte dar
Reformation in Ponmiem von den ersten Anlangen bis
zum völligen Siege der neuen Lehre, bis zum J. 1569.
Von der gröbten Wichtigkeit sind jedoch die» dem pom-
mersohen Provinzial-Archive entnommenen 65 urkundti-
aben Beilagen, welche 230 S. füllen. Diese enthalten,
aurser mehrern interessanten altera Urkunden über das
Aufkeimen des protestantischen Geistes in Pommern,
namentlich in dem Kloster Beibug, jener Wiege dar
Refarniation in Pnmmeru, wohl ziemlich vollständig
alle öfFentlichen Verhandlungen fiber die Emfiihrui^
der Reformation, nameotUcfa die Landtagsverhand-
langen, die fürstlichen Erlasse, die Visitatieüs - Ab-
schiede^ u. s. w. Durch diese lobenswerthe, fleifsige
Sammlung ist einem Hanptbedürfnisse in der Refor-
mationsgeschichte Pommerns abgeholfen} durch sie
werden künftige Special - Untersuchungen festern Halt
und bestimmtere Richtung gewinnen.
Aber mehr noch, als alte diese Schriften göoirt
uns
Nr. 5 das Leben Johann Fredert von Mohnike
einen tiefen Blick in das wahre Wesen der Reforma-
tion, nicht wie eie vom Volke oder von den Fürsten
und Sländen aufgenommen, wie sie von den katholi-
schen Geistlichen bekämpft ward, sondern wie sie die
hochbegabten Gelehrten jener Zeit mit Geist und
Würde anffafstea und in alle Länder trugen nnd hier
durch Wort und Schrift in kurzer Zeit die neue Kir-
che gestalteten. Johannes Freder ist einer yoti dea
Männern, welche vom Knabepaher an die ganze Entp
n
1
Einfltkrung der B^rmaii%n in P^mmerh.
wickhmg der Refermatioii bis zit ibrer Consolidimog
■ llurohlebteD Bod trugeo. Alt eis eifriger und gelieb-
;ter Schüler der Reformatoren wirkte er eegenireich
in Hamburg, Strakond, vo er die Reihe der Boperin-
'tendenten eröffnet, -uod Wismar, eben lo- sehr fdr
die Verbreitung der Lehre, als im Kampfe der in der
jungen Kirche bald entstehenden theologischen Strei«
tiglieiten. 3to/»iike hat seine Aufgabe, das Leben
eines hochverdienten Verbreiters des Protestantismns
•SU schreiben, ▼ollkommen gelost und zu seinen Tie-
leo und grofsen Verdiensten um die Wissenschaft ein
neues, nicht geringes iiinzugefiigt. Die Schrift, gleich
ansgeseichnet durch eine weit reichende, gründliche
Gelehrsamkeit und Kritik und durch Benutzung einer
grofsen Menge gediuckter .und ungedruckter Quellen,
als durch eine musterhafte Darstellungsweise, gestat-
itet aber keinen Auszug, sondern nur die dringende-
Aufforderung zur Benutzung derselben. «^ Wir fUgen
•nur noch hinzu, dafs die Annahme von Freders Ver-
giftung in Wismar zu seiner Zeit in Meklenburg all-
gemein war und dafs einzelne aufgeftindene Acten-
stücke allerdings die Einleitung eines CriminalJ^rozes-
#08 gegen , den verdächtigen Apotheker Nie Egge-
.breoht zo Wismar * beweisen. Freders Leichenstein
4iogt noch im Chor der Marienkirche zu Wismar, ist
- jedoch schon einmal wieder für eine andere Leiche
Jlientttzt worden.
Leider blieb die junge protestantische Kirche nicht
ganz Ton innern Stürmen verschont. Von der einen
£eite waren es die abweichenden Meinungen der Theo-
logen, welche Zwiespalt erregten, von der andern
'Seite w:ar es Ueberspannung und Fanatismus ^es Vol-
«kes, welches, unfähig den höhern Bestrebungen fol-
gen zu können, die Sache falsch verstand und nicbt
'Selten die Fackel des Tumults ergriff. Von den
Wirkungen jener theologischen Kämpfe gibt schon
das Leben Freders ein lebendiges Bild^ ein Beispiel
von Volksfanatismus erhalten wir in
Nr. 4, dem Leben Peter Sulekä'By eines Religions-
sohifärmers. Schon in den frühern Zeiten der Re-
fonnation waren .es die Wiedertäufer, welche den
Frieden der neuen Kirche erschütterten.; nach ihrer
Unterdrückung im westlichen Deutschland suchten sie
ihr Haupt im Osten wieder zu erheben, und hier vor^
züglich in den Hansestädten der Ostsee , namentlich
in Wismar, wo sie yiel zu schaffen machten. Auch
einzelne verschrobene Scbwlrteer^ im gefthst
die Torgehliche Freiheit in der Verkündignag
•▼angelischen Lehre, erregten hier ond da Vol
wegungen, wie z. B. in Ribnit« ein 6chniied<
(rergl. Jahrbücher des Vereins fiir mekleabuiigisclie
schichte III, S. 127 flgd.). Beide Bestrebungen
wohl der Wiedertäufer, als der dnseloen Faantil
und beide oft in einem Individuum vereint»
noch in spätem Zeiten Nachahmer, üntor dit
ist eines der merkwürdigsten Beispiel« P. Snh
der durch die stürmische Verkfiodigung ainei:
täuferähnlicben Lehre sieben Monate hindnroh
nahe wieder eine Katastrophe in Stralsund
führte, wie sie die Stadt zu den Zeiten der Acht
Vierziger erlebt hatte. O^er Hr. Arcbidiakons
bat seine Aufgabe meisterhaft geUtfet und omui
seine, aus handschriftlichen Quellen geschöpfte Ai
nicht ohne grofse Befriedigung aus der Hand
Die Schrift ist lebendig und gründlich verfalst und
scheint fast, als habe der Herjr Verf. sich die
reichen Weisen von Mohnike und Fabricius siigl
zum Vorbilde genommen, was keioesweges zam V<
würfe gereichen kann.
Behandelt
Nr. 7: die Geschichte des Magütratt der Si
Stralsund^ auch nicht besonders die Geschichte
Reformation, so enthält sie doch die Grundlage
ganzen Geschichte dieser Stadt und, wird einem jci
besondern Gemälde ^aus dem Gebiete derselben
mer zum Hintergrunde dienen, und gewährt auch
die Zeit der Geschichte der Reformation manob^
überraschenden Ueberblick. Die gediegene Weise der
Hrn. Syndikus Bnmdenburg nothigt vollkoiiuiM^ie
Hochachtung aliu
Es steht 2u hoffen, dafs nach diesen umfassen»
dern Werken bald die übrigen reformatoriscbeu 'Wl^
kungen in Pommern, zu denen die Biographien der e^
steu Prediger in den bedeutendem Städten und der
Verfolg jeinzelner * merkwürdiger JBegebenheiteo ts
rechneu sein dürften, ihre Bearbeiter finden «rerdno*
Bei der bedeutenden Anzahl gediegener Histiirike^
welche Pommern, in dieser Hinsicht manche auderi
deutsche Provinz überflügelnd, besitzt, ist diese Hoff«
nung nicht ungegründet, wie eine lebhafte Onteratöti
zung derselben mit Sicherheit erwartet werden darf.
a C. F. Lisch.
J a h r b fi c h e r
f ȟ r
wissenschaftliche Kritik.
Juli 1839.
m
itmm
y.
Vorlegungen über 'die Dogtnattk der evangeUtch-
hftherischen Kirche j nach dem Compendium
des Hrn. Dr. W. M. L de Wette, von Dr.
Aug. Detl. Chr. Twesten, ordentlichem Pro-
fessor det Theologie an der Königl. Friedrich- .
Withehns * Unieersität zu BerKnj Ritter des
Dannebrogordetis, der Königl. dänischen^ Oe-
Seilschaft der Wissenschaften zu Kopenhagen
und a^derer gelehrten Gesellschifften Mitgliede.
Zweiten Bandes erste Abtheilung, welche die
Theologie» und die Angehlogie enthält. Ham-
burg, 1837. bei F. Perthes. XXXIL u. 38BS.
Elfi Zeilraain von mehr als zebn Jahren ist seit
der ^rsobeiDUDg des ersten, mit entschiedenem Beifall
«nfgeaammeoen und seitdem wiedorhdt herausgegebenen,
Theils dieser Vorlesungen Terflossen, eine Zeit, in wel-
idiev es auf dem dogmatiadien Gebiet so venig als
'auf irgend einem andern an* einer lebendiipstt, rasch
fortschreitenden Bewegung gefehlt bat. . Man könnte
denken^ ein in einer solchen Zeit nach einer so Inni-
gen Pause in der Entwicklung seines dogmatischen
Systems weiter schreitende» Werk werde dadurch in
ein giewisses Mifsveibältnifs mit sich selbst kommen
mflssen, alMn sehr natürlieh geht die Bewegung der
Gegenwart im. Grunde s^^uilos an. einem Werke vor^
filier, das ganz besondere in dem luer Torliegenden
, Theile eich die Aufgabe: gestellt hat^ das dogmatische
Bywtem einer Tergangenen Zeit als das fdr Gegenwart
und Zukunft aUeui haltbare nnd gültige wiederanfzu^
bauen.
Um den' Charakter des Werks im Allgemeinen rieh«
tig anfsu&sscii, mag es Tor allem gut sem, die ver^
■chiedenett Elemente, die sich in demselben unterscheid
den lassen^ etwas n&her ins Auge zu fassen. Es J>e«
Uhrb. /. wiu€^$eh. KrUik. J. 1839. II. Bd.
steht aus Yorlesuijgen über das de Wette'sche Lehr-
buch: Dogmatik der evangelisch •lutherischen Kirche
nach den symbolischen Büchern und den altern Dog-
matlkern. Dafs die dogmatiechen Ansichten und Deber-
Zeugungen des Hm. D. Twesten ganz andere sind,
als die des Hrn. D. de Wette, ist schon aus dem er-
sten Bande bekannt, und stellt sich aus der nun zur
Entwicklung des dogmatischen Systems selbst überge-
henden Fortsetzung des Werks noch klarer heraus.
Wir wollen die dadurch notfawendig gewordetie fortge-
bende Polemik nicht tadeln, sie dient Ja rielmißhr zur
YtelseiHgern Darstellung des gegenständes , aber so
frei in dieser Hinsicht das Verhältnifs sein mag, in
welches sich die Vorlesungen zu ihrem Lehrbuch set-
zen, von Einem haben sie sich gleichwohl nicht lossa-
gen können, von der durch das Lehrbnch vorgezeich-
neten Anordnung. Da nun aber diese Anordnung bd
de Wette durch die eigenthütlilichen dogmatiscüen An-
sichten'bedingt ist, die seinem Lehrbuch zu Grunde
liegen, so^ hat diefs für die Vorlesungen des Hm. Vfs.
die jetzt erst auffallend hervortretende nachtheilige
Folge gehabt, dafs nicht nur die einzelnen Lehren des
Systems nicht in den innern Znsammenhang gebracht
sind, welchen die wissenschaftliche Darstellung erfor-
dert, sondern dafs auch nicht selten die den einzelnen
Lehren gegebene Stellung mit den Grundsätzen in Wi-
derstreit kommt, nach welchen ihr wesentlicher Inhalt
entwickelt wird. So unterscheidet de Wette, Friesi-
schen Prindpien zufolge, von'der Idee Gottes nach sei-
nem Verhältnifs zur Welt die Idee Gottes nach sei-
nem Verhältnifs zur Natur, um unter diesen letktbm
Gesiehtbputtkt die Lehre vom Geiste Gottes zu stellen.
Welche Bedeutung kann aber diese Eintheilung für
den Verf. der Vorlesungen haben, und wie soll man
sidi den Zusammenhang denken, wenn 'derselbe, nach«
dem er gezeigt hat, dafs die Betrachtung des Verhält«
nisses, worin Gott als der heilige Geist zur Welt steht,
10
75 . . Twesten^ Varhnmgem Über
aus dem . allgemeineD Theil der chrietiichen Gottealehre
in den speciellen zu yerweisen sei, das GemeiDsaine
aber, was in den' Begriffen der g6ttlicben Atigegenwart
und der Mitwirliung liege, „dafs wir alles auch aufser
dem . Nexus des Ganzen yon Gett abhängig denken
müssen,** für sieb besonders als einen Gesichtspunkt
in der Darstellung der göttlichen Eigenschaften und
Werke geltend zu machen, auch nicht rathsam sei,
gleichwohl mit den Worten fortfahrt (S. 157) ; was nun
speciell den Begriff der AUgegenwart betrifft, so u. s.
w., um nun von der göttlichen Allgegenwart und Mit-
wirkung, ungeachtet für beide schon unter den Attri-
buten und Werken Gottes^ wie der Hr. Vf. selbst be-
merkt (S. 154), der geeignete Ort gefunden war, so
wie von demjenigen, was damit zusammenhängt, na-
mentlich den Wundern, hier unter der Aufschrift: Geist
Gott€$ zu handeln! lieber die Lehre von der Drei<ri-
nigkeit bemerkt der I{r. Yf. selbst (S. 182), dafs für
sie da, wo sie von ihjn vorgetragen wird, in dem all-
gemeinen Theile der Dogmatik nicht der rechte Ort
sei, sondern nur im speciellen, dafs die gewöhnliche
Verbindung mit der Lehre von Gottes Wesen und Ei-
genschaften überhaupt nur aus der Gewohnheit abzu-
leiten sei, den dogmatischen Stoff nach der scheinbar
gleichen Beziehung auf gewisse Objecto zu ordnen,
nicht nach . der Rücksicht auf den Innern Zusammen-
hang (vgl S. 304). Auch diese wichtige Lehre hat
demnach 1[iicht die der Idee der Wissenschaft entspre-
chende Stelle, und wenn der Hr. Vf. schon in der Vor-
rede S» XVni bedauert, in acünem Bemühen zu zeigen,
dafs und wie die biblischen und kirchlichen Lehren in
> dem religiösen Gefühle wurzeln und aus der Reflexion
über dasselbe hervorgehen mufsten, in der von ihm zu
befolgenden Anordnung eines Lehrbuchs, welches von
andern wissenscbafUichen Ansichten geleitet werde,
eine Schwierigkeit gefunden zu haben, die ganz zu
überwinden in manchen Lehren (z. B. der Trinitäts-
Jehre) vielleicht unmöglich gewesen sei, so ist leicht
zu ermessen, von welchem nachtheiligen Einflufs die-
ses erste Element der Construction des in unsere Vor-
lesungen enthaltenen Systems die Rücksicht auf das
de Wette'sche Lehrbuch fiir den wissenschaftlichen
Charakter des vorliegenden Werks war. Ebenso ei-
gen nimmt es sich aus, die ganze Eogellehre, welche
de Wette allerdings unter keiilen andern Gesichtspunkt
stellen 'konnte, auch von dem Hrn. Vf« als blofson An-
Dogmaiik. Bd. IL AHh. L 7(
hang aufgefiihrt zu sehen. Es soll biemit nidit ve^
kannt werden, dafs alles diefs seinen üatifrlichen Gmad
(^n dem Verhältnifs der Vorlesungen zu ihrem Lfeb^
buch hat, aber ebenso wenig darf ein Beurtheiler da
wisseoschaltiichen Weirths derselben den in dieser Ilii-
sieht stattfindenden Mängel unbeachtet lassen.
Als das zweite, wesentlich, materielle ElemeDt H
das System der Kirche anzusehen, das hier als en
gegebenes dargesteiit werden soll. Denn „diese Gin-
benslehre wiU sein, was sie sich nennt, eine Dogmatft
der evangelisch -lutherischen Kirche,*' nnd zwar wc8
der Hr. Verf., wie er Vorr. 8* XIV. versichert, auch
wirklich von dem Werthe des kirchlichen Systems is
religifiser und wissenschaftlicher Hinsicht dnrchdraa-
gen, und der Meinung ist, dafs «s im Wesentliches
ein seider Idee entsprechendes, auf biblischem Gramb
fest und folgerecht auQ^efüfartes Lehrgebäude sei, mri
weil er wünscht, tlurch lebendige Reproduktion desset
ben aus dem ihm zum Grunde liegenden Bewufatseii
zum vollen und klaren Verhältnifs der Nothwendig;keit
und der Bedeutung auch seiner einzelnen- LehrbeatiÄ-
mungen zu fuhren. Das System der Kirche soll al«
iiicht Mos im Allgemeinen, auf der Grundlage der
Principien, auf welche freilich jede Darstellung der
evangelischen Glaubenslehre zurückgehen' mufa. aoi-
dem auch in seinen einzelnen Lehrbestiminungeii »
construirt werden. Und diese Lehrbestimmungea aelbs^
woher werden sie genommen? Wie die Ausfuhnaig
zeigt, nicht einmal Uos aus den symbolischen Bficben,
sondern ganz besonders aus den Lebrsystemen der h-
theriscben Dogroatiker des sechzehnten und siebseha*
ten Jahrhunderts, wie wenn diese Theologen, eis
Quenstedt, Calov, Hutter, HoUa«, Baier u. s. w., se
ehren werth sie sonst sein mögen, nicht blos als A
Vertreter des kirchlichen Systems jhrer Zeit, soaden
auch als die ächten Träger der Wissenschaft filr «i*
sere Zeit anzusehen wären^ und jeder neue Bearbeüsr
der evangelischen Glaubenslehre keine wichtigere Auf'
gäbe hätte, als nur diese, sich an die Autorität jenar
Dogmatiker zu halten, nur die von ihnen an%esl^teB
Bestimmungen, nnd Formeb so viel möglich an veoht
fertigen und unserm Verständnifs näher zu briogoa
und etwa auch in Nebenpunkten zu berichtigen I la
welche enge Grenzen mufs die ^ freie wissenacbafUiciia
Bewegung innerhalb der evangelischen Kirche hiaeia-
gezwäogt werden, wenn vor allem die Voiauaeetzaag
77 Tweiteny ForUamgem Hier
gelten seil, daie das wahrei den Gnindsfttsen der e?an«
gelischen Ktrohe angemesBeoe Gtanbenssjreteoi mir in
den dogmatiseben S jstemen der altern lutherischen Dog^
matiker enthalten seif Und ivodureh hat denn der Hr.
'Verf. diese schon in der Vorrede ausgesprochene ond
dem Werke selbst tu Grunde liegende Voraussetzung
bewiesen 1 Sie beruht selbst nur auf der Vorausset-
snng der. Conseqaenz, mit welcher swei Dogmatiker
ihr Lehrgebäude aufgeführt haben sollen. Wollten
vir aber auch diese Consequenz zogeben, so fragt
sieh doch erst, ob eine in solche Systeme, wie die der
genannten Dogmatiker sind, auslaufende . Consequenz
auf die Richtigkeit der Voraussetzungen, von welchen
sie ausgeht, nicht eher widerlegend als bestätigend za-
rfickwirkt. Wie unevangelisch es aber überhaupt ist,
die Consequenz hier als Criterium^ der Wahrheit get
tead zu machen, geben ans nnsere symbolischen Bu-
cher selbst deutlich genug zn Vefstehen, wenn sie sich
selbst, als der norma normatai die heilige Schrift, als
die norma normans, gegenüberstellen, ebendamit also
jeden Fortgang von einer schon normirten Norm zu
oioer^noch normirteren in demselben Verbftttnils'aus-
scbliefsen, in welchem sie selbst als die norma nor-
mata nun das Bewufstsein der norma nörmans in sich
tragen wollen, und auf sie als ilen lebendigen Grund,
aus 'welchem allein jede neue Gestaltung des Glaubens-
systems sich erzeugen kann, zurückweisen. Wohin
müfste auch in der That jener Grundsatz der Conse»
queliz uns zufetzt nothwendig Ähren? Mag immerhin
niemand schmerzlicher als der Hr. Verf. es bedauern,
dafs die beiden CTangelischen Kirchen sich trennten,
dafs der 'Melanchtbonische Lehrtropos ausgeschlossen
wnrde, dafs ein Calixtus, Arndt, Spener so heftige
Anfeindungen erfuhren, — in Folge des grofsen Irr-
tbnms der altern lutherischen Theologen, dafs sie
durchaus nur einerlei Bäume in dem Gehege der Kir«
ehe dulden wollten (Vorr. S. XV), ist denn auch diefs
die natürliche Folge der Consequenz, mit welcher sie
ihr Lehrgeb&nde aufführten^ und ansbautent
So eng aber der Hr. Verf. in dem System der lu-
therischen Kfarche sich abschliefst, so erklärt, er sich
doch zugleich mit Freude für einen Freund der Union,
mid es scheint demnach, dafs wir auch das Princip
der Union ab ein weiteres Element der Construktion
seines dogmatisehen Systems anzusehen haben* Allein
auf das Werk selbst hat diefs keinen Emflufs gehabt,
ie Dogmaiik. Bd. IL AUk. I. 78
und es mufs im Gegentheil vielmehr als eine eharak-
teristiscl^e Eigenthüm liebkeit desselben hervorgehoben
werden, dafs es dem Princip der Union, statt eszVi ftMern^
eher hemmend entgegenwirkt Ein so einseitiges Hinr-
übertreten auf die Seite der lutherischen Kirche, deren
jitreng orthodoxe Dogmatiker hier altein das enti^hei*
dende Weit ftihreq, ein so starres Reconstrouren des
alten Systems mit seinen Formeln und terminisist nicht
im Geiste einer Union, die zuerst gerade dasjenign
ausschliefsen mufs, worauf der Hr. Verf. das gröfste
Gewicht legt, jene Folgerichtigkeit. Kann man zu die^
ser Folgerichtigkeit an sich schon kein rechten Vei^.
trauen haben, wenn man auch nur bedenkt, wie es
doch kommen konnte^ dafs von denselben Priacipien
ans zwei so -sehr divergirende Systeme, wie das luthe«
rische und refonnirte, ihren Ausgang nehmen konnten,
so ist ja die Union selbst ihrem Wesen nach nichts
anders, als das Zurückgehen auf einen Standpunkt^
auf welchem man anerkennt, dafs zwar 'jedes der bei-
den Systeme zu dem gleichen Anspruch auf Wahrheit
und Consequenz berechtigt sei, abjsr auch beide in ih-
rer Einseitigkeit sich so ausschliefsend und verneinend
zu einander verhalten, dafs sie sich nur in einer höhern
Einheit aufheben können. Der Hr. Verf. scheint aber
einen etwas andern Begriff der Union zn haben, wenn
er darüber sich freuend, dafs • man nicht nach dem
Buchstaben der symbolischen Formeln frage, um sich
als gleichgesinnt und einig im Geist anzuerkennen,
hinzusetzt} „Nur sollte man denken, da(s die altluthe-
rische Lehre auch ein Recht hätte auf Anerkennung
und Vertretung, und dafs, wenn man f&r jedie andere
Ansicht Freiheit fordert, ihr aber dieselbe mifsgönnt,
man dann nicht weniger einseitig und nndnldsam ver-
fahrt, als man ihr gethan zn haben vorwhrft'^ (S;XVI).
Gerade diefs kann man nicht denken, da es in einer
Kirche, in welcher die Grundsätze der Union gelten,
ebenso wenig eine altlutherische Lehre als eine altlu-
therische Kirche geben, kann. Das Alte soll ja vor*
gangen nnd in der Union ein Neues . geworden sein.
Die altlntherische Lehre hat nur noch historische Be-
deutung, nicht aber als Lehre, einer noch bestehendcD
Kirche, als solche kann sie daher auch kein besonder
res Recht auf Vertretung haben, weil darin nur der
Anspruch liegen würde, sich auFs neue als Lehre der
lutherischen Kirche geltend zu machen, wovon die
Folge nur di0se sein könnte, dafs auch das andre Sj-
*
79
Twäg$dm^ rartesungM üisr die JXogmmtik. Md. IL Ahik. /.
■Im das ^Uiohe' BMbt - auf Vertretung aoaprieht^
•beodamU ab^r die beideit Systemei statt sioh. ak ia-
tegnrende Bestaadlheife eiaer heberen. Einheit xn bch*
teaehtea, sich. aufs neue ia ihrer Einseitigkeit gegen
eiaandec absfibliefseo. Wie yielesnürde, wie fiir das
Lebea^ so auek für die Wiss^schaft gewonnen sein^.
wenn bw eiouial das Princip der Union in seiner ir ah-
900 Bedeutung aufgefiifst väre* Nur wenn beide. Sy-
ateoie Tomuitelrt der Union sioh ihrer Einseitigkeit se
bewoÜBt gowojvdea sind, dafs sie sich gegenseitig ab
ihte nothweodige Bcgäoznng betrachten müssen, kann
«of diese«: Wege das wahre Prinzip der evangeliscbeB
Kirehe snoi Bewufstsein kommen* "Vergebens sieht
■Biaa sieh nach eiaer solchen tiefem, sowohl io dea
Unteesobied als. in die Einheit der beiden Systeme eia-
Aoffassuagsweise in dem vorliegenden
um) es ist nur die altlatheriscbe Lehre, die
Uer ihi^ altes Recht der Vertretung geltend macht.
Ein weiterer Gesichtspunkt, aus welchem das
Werk des Hm» Verfs» zu befarachten ist,, ist sein Vor-
hältuifs zur Sobleiermacherschen Glaubenslehre. Wer
aa die klare, lichtTolIe, in das Wesen der Sache ein-
gehende Entwicklung des SQhleiermachei:ßchen Begriffe
der Religion, welcbader Hr. Vf. in dem ersten Bande ge^
geben hat, ziurfickdenkt, freut sich. Toraus, auch hier ei*
neni vnn ScUeiecmaohers Geiste durchdrungenen Scbri(il>-
steller zu begegnen, aber leider sieht man sich in die-
ser Erwartung bdd getäuscht, die Zriten , und Vei>
h&itnisae scheinen indefs andere geworden zu sein, der
grolsjd Mann, ist ja salbst nicht mehr, und sein Geist,
der Geist seines Wirkens^ jene Freiheit und Vielsei«
ttgkeit des ganzen Standpunkts, die fi^eilich Herr IM.
Twesten schon fir&her, bedeutsam genug, als eine
grofsartige Toletnan» bezeichnet hat (Vorr. S. XX),
in wie Wenigen lebt et fort! Der UK Verf. glaubt
selbst seinen Lesern eine Erklärung darüber geben zu
nifiasen, .woher es komme, dafs, wenn er Schleierma»
ohers. Grundansicht Tom Wesen der Religion für wahr
halte und theile, er- doch in mehreren Lehrstücken zu
andern Resaltatei^ komme, ja ihn bisweilen ausdrücke-
lieh bestteil» (Vorr. S. X2X). Da er, bemerkt der Hr.
Va*f., .das Verhältnifs des Erkennens zum religiösen
^ewuIstseiB nicht ganz wie Schleiermacher bestimme^
sondern demselben mehr einräume, so müfste diefs
auch auf Veirschiedenbeiten der dogmatischen Ansicht
fiUifen, wehitt gehlere, dafs er tbefls idber ias Vep>
hältnifs der Glaubenslekre zu dea Aasaprüchen des
beiligea Schrift, theils über manche phtlosopUsebe Be-
griffe und Lehrsätze (z. B. über die Freiheit) anders
denke als Scbleiermac^r. Hauptsächlich aber findtit
der Hr. Verf. den Grund der Differenz darin, dafs
Schleiermachers VerhäJtniis . zur Kirchenlebre nidit
dasselbe sei, als das seiaige. Schleiemacbers Absieht
ge&o nsmlich nicht sowohl darauf, das System dersel-
ben, wie es sich auf der Grandlsf^e der symbeliaohca
Bächer vom sechaehnlen bis zmr Mitte des aeh^eha*
ten Jabrhuaderts wirklidi ausgebildet hatte, in seiner
ganzen Sehärfe darzustellen, als yielmehr bei dar Man-
nigfaltigkeit der seitdem entstandenen und vielleiebt
auch fisrner noch entstehenden Ansichten gleiobaan
die Gränsen abzustecken, und swar so wMt als müg«
lieh, ohne dem Princip dea evangelischen Chmtoh
thums etwas zu vergeben, bis wohin mau jene als mit
dem. letzlMrU' einstimmig oder verträglich anerkennen
müsse. Es ist im Grunde nur ein anderer Aaadruck
£nr dieselbe Sache, wenn der Hr. Verf. sein Verhalt*
nila zn Sehieiermacher auch so bestimmt, Schleierma*
eher würde die von dem Ikn. Verf. ^gebene Erkh^
rang über den Supematumlismus nicht geradezu sa
der seinigen gemaeht haben (S. XUIj. Wur gehen
wohl am richtigsten von dem letztem Punkte ans, ms
das Verhältnifs des Hm. Verf. zu SchleiermacheE al^
her zu bestimmen^ und uns über die Frage näher aa
verständigen, ob ungeachtet der Differenz in Ansahnng
des Supematuralismus die Uebereinstimmung dea Hm*
Verfs. mit Schleiermachers Ansicht vom Wesen der
Religion noch bedeutend genug sei, um seine Glaa»
benslehre als eine der $chleiemiacherschen wesentlich
verwandte, anf derselben Grundlage mit ihr ruhende
anzusehen I Auch Scbleiemiacher bekannte ^ioh soa
Supernaturalisnms^ und zwar, y^ie er sich ausdräckte,-
einem sehr realen. Es kommt daher ganz darauf aa^
wie der Begriff des Supematuralismus näher bestunnt
wird. Ist der Superaalnralismus überhaupt die Ueber^
Zeugung von- dem übernatürliebeu Ursprung und Cha-
rakter des Christenthnms, so schlierst tfioh daran bei
Schlei^maober uemitteibar die nichti minder wesentih
che Bestimmung an, dafs das .Christentbnm seinem
Wesen und Inhalt naeh weder schlechthui übemati^
höh, nodi schlechthin ttberveraünftig sei.
(Bio Fortyetzimg folgt.)
• *
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Ja h
j^ 11. •
r b ü c h
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für
w i s s e n s c h a f i 1 i c h e K r i t i fc
Juli 1839.
f .
Vorlemmgen iSAer die Dogmatik der ercmgelisch*
luiherischen Kirche^ nach dem Compendium
des Hrn. Dr. W. M. L. de Wette, von Dr.
Aug. DefL Chr. Twesten.
(FortaetzuDg.)^
Daher gebt die ganze Aufgabe, die die $obleieriuacfaer'*
acbe Gli^ubenslebre zu löseu' sucht, dahin, den Inhalt des
christlichen Glaubens dem aomittelbarön Selbstbewurst«
sein des Menschen näher zn bringen, ihn in eineia Zu«
sainDieDhanj;e zu entwioiceln, in welchem das unmittel*
bare religiöse Bewufstsein, sobald die dazu geliörenden
ikufseren Momente fainzukommeny sich von selbst zum
cbristUcben bestimmt, und daher auch der sdiroffc,
abstofsende Gegensatz, iu'welchem die christlichen Glau*
beoslehren im Suprauaturalismus des kirchlichen Sy«-
atems der denkenden Vernunft als etwas ihr frcmdarti*
ges und von Ihr wesentlich verschiedenes gegenäber«'
'stehen, sich aufheben mufs« Diese wesentlich andere
Stellung, die der ganze Inhalt des christlichen Glau»
bens dem Selbstbewurstsein des Menschen gegenüber
erhält, macht den eigenthümliche& Charakter der Schlei»
ermacber'scben Glaubenslehre in ihrem Unterschied von
der kirchlichen aus* Vergleichen wir nun hiemit die
Erklärung, welche der Hr. Vf. über den Suprauatura*
lismns.gtbt, so hören will ihn hierüber in einem Tone
sieh attssprech^q, welchem zufolge man kauni glaiiben
sellle, gerade hier wolle er die wesentliche Differenz
awischen seinem und demficbleienuacher'schen Stand«
punct auseinandersetzen« So grofs sei doch, erklärt
pr S. XII,' Gott LobI die theologische Sprachverwir-
rung noch nicht, dafs nicht im Allgemeinen jeder wis*
sen sollte, >as mit dem evangelischen Supematuralia-
iitas gemeint sei, und er trage um so weniger Beden*
ken,' sich dazu unumwunden zq bekennen, als er auf
der einen Seite dafiir halte, dafs mit der Ueberzeugung,
dafs' uns in Wahrheit in den Aussprüchen Christi und
J^M. /. m$un%ch. Kritik. J. 183Q. IL Bd.
der Apostel eine höhere Erkenn tni (^quelle eröffnet sei^
ohne welche wir Vieles nicht wissen würden, ^as wir
jetzt, auch wenn wir es nicht einsehen, auf ihr Wort
anoeh'hien können iv^d müssen, das evangelische Chri^
stenthum . stehe und falle, und auf der andern Seite
sehe, dafs Manche, die er doch als ihm gleichgesinnt
betrachte, sich dieses auszusprechen scheuen. Das
ist demnach die Erklärung, von welcher der Hr. Vfk
selbst sich bewufst ist, dafs sie Scfaiciermacher nicht
zu der seinigen machen würde > und so entschieden
und nuchdrucksvoll sagt er sich demnach auch eben«>
damit von dein Schleiermacher'schen Standpunkt losl
Aber freilich, wenn das evangelische Christenthum
nicht ohne einen Glauben soll bestehen können, wel*
cheir in letzter Beziehung nur als Aucteritätsglaubo
genommen werden kann, und nur auf der Vorausset*
zung eines absoluten Gegensatzes zwischen Vemunftt
und Offenbarung beruht, ist es um die ganze Scbleierw
macber'sche Glaubenslehre geschehen, und die Epoche
machende Bedeutung, die sie nur* dadurch hat, dafs
sie die christliche Offenbarung bei aller Uebernatür*
liebkeit in den natürlichen Zusammenhang der Welt«>
entwjcklung hineinzustellen weifs, ist' ihr genommem
Wie tief dieser wesentlich verschiedene Begriff der
Offenbarung in die ganze Auffassung der christlichen
Glaubenslehre eingreift, gibt sich schon an den beiden
Lehren von der Dreieinigkeit und den Engeln, welche
neben der Lehre von Gott den . Hauptinhalt des vor-
liegenden Theils ausmachen, deutlich genug zu erken-
nen. Der Hr. Vf. stallt diese Lehren nur nach' deui
kirchlichea Lehrbegriff* dar, welcher Widerspruch würde
es aber sein, sich diese Lehren in dieser Gestalt abs
integrirende Bestandtheile der ^chleiermacher^scheo
Glaubenslehre .denken zu wolie^ ? Um sidb der wesent*
liehen Differenz, welche hieraus zwischeü dem Stand«"
punkt der Vorlesungen des Hri^* V.erfs. und dem der
Scbleiermacher'sohen jGlaubenslehre sich ergibt, recht
11
83 TwM^w»! Forlesi$$$gm Mist die
bewurst zu verdao, beantworte maD sieb nur die Frage,
warum Scbleiennacher weder in der eioen noch der
andern Lehre eine Auesage des ohristlichen Selbstbe-
wafiitseina anerkennt, sondern bei der einen an die
Stiele der kirchlichen Fassung eine gauE andere setat,
und übci; die andere sich so erklärt, dafs sie als et-
was für den christlichen Glauben Unwesentliches und
Indifferentes erscheint; Der Grund hiervon kann nur
darin liegen, dafs auch nur eine dieser Lehren in ihrer
. kirchlichen Gestalt in das System anfgenommea) die
ganze Ansicht vom Wesen der Offenbarung und des
Chrifitenthums so. sehr verändern würde, dafs der wis-
senschaftliche Zusammenhang des Ganzen sich von
selbst auflösen müfste. Indem aber der Hr. Vf. sich
auf diese Weise von Schletermacher lossi^te^ setzte
er sich ebendadnrch zugleich in Widerspruch ' mit sieh
selbst, sofern er die im ersten Bande enthaltene Crrund«
läge wesentlich mit Schleiermaeher*scben Principien
~ baute, und in der Lehre von der Offenbarung insbe-
sondere nichts anders sn beabsichtigen schien, als eine
Exposition der Schleiermacber'aohen Ansicht zu geben.
Wozn, mnfs man fragen, eine selche Etnleitung und
Grundlegung des Ganzen, wenn doch in der Folge
durchaus nur in das alte kirdiliche System eingelenkt
werden sollte 1 Zwar labt sich all^dings, wenn man
jetzt vem zweiten Bande in den ersten zurückbliekt,
nicht verkennen,, dafs man bisher eine zu kähne Mei«
nvag von dem Hrn. Vf. hatte, wenn man in ihm einett
der' entschiedensten Anhänger der Sebleierraecher'schen
Glaubenslehre sah, dafs so manches im ersten Band^
wobei man zunächst nur die; nähere Bestinmnng ver**
mifst, doch schon den Vorbehalt einer Abweichung von
Schleiermacher in sich zu schtiefsen seheint,, demun-
geachtet aber darf mit Hecht behauptet werden, dafii
der gaiuBC erste oder kritische Theil in mehrem Haupt-
pnnktdn anders gefafst sein müfste, als er wirklich
gefafst ist, wenn der Hr. Verf. schon damals die Ab*
siebt hatte, im zweiten Band einen von Scfaleiermacher
so völlige divergnrenden Weg einzuschlagen. Eine
Lehre, welche, wie die kirchliche Trinitätslehre auch
in der DarsteUung des Hm. Vfs. zuletzt auf dem'effe«
neu Geständaifs der „geforderten Gleiehsfettung der
Einheit nnd der Dreiheit'* (S. 233), also auf einem der
Vernunft schteehthin widerstreitenden Satze beruht,
kann niobt m ihrer Voraussetzung eine Offenbarungs-
tbeorie haben, welche der Schleiennacher*scben Behaup»
Ihgmßiik. Bä. IL Ahßk. I. 81
tnng^ dafs die ehristfiche Offenbarung nichts sebledii
hin fibervemfinftiges enthalten könne, wie diefs in dem
erstm Bande dieser Vorlesungen geschieht^ . auf jedt
Weise annähernd entgegenkommt^ sondern nur eim
solche, die ihr aufs bestimmteste widerspricht, nnd dii
Vernunft in dasselbe negative Verhältaifs zurOffenfa»
rung setzt, das die Reformatoren und die alten lotbe
rtsohen Theologen, ihrer gerühmten Conseqnens m
Falge, angenommen haben. Dieselbe Consequenz hitfs
dann aber weiter erfordert, um Lehren anfuilimgn is
können, welche. aus der Vemanfk in keineni Falle «n^
wickelt, sondern nur #uf den Buchstaben der heitigcs
Schrift hin angenommen werden können, sich übe« dii
Inspiration und die Auctorität der Schrift jeder Mild»
rung und Uebereinstimmung mit der Schleiermaehei'*
sehen Auffassungsweise zu enthalten, und eiafnoh mn
die alte Lehre von der Theopoeustie sn wiederirale%
da von selbst m die Augen fällt, dafs ein so falj^tafok
tiges System, wie das alte kirebiiche, wean cn vmJA
seine Hakung völlig verlieren seil, sich auoli neui
Lehre von der Theepnenstie nicht nebuNin lassen Icnasi
was dann freilich auch noch die Folge hat, dafa nasl
die Grundsätze nnd Resultate der neuem Kritik, d»
ren Freiheit Schleiermacher gleichfalls, und zwar
im Interesse der Dogmatik^ sehr ang^legeatlinfa
fochten hat, preisgegeben werden müssen. Alles
macht die grofse Differenz zwischen dem Hrn. Vf. vi
Schleiermacher nur um so auffallender, ab«r Mir ua
so klarer wird hieraus auch die uawissensehadUieb
Ualtungslosigkeit, mit welcher diese Vorlesungen »
nen Theil des Wegs mit Sehleieraiaeber gehen^ daai
aber zu dem alten knrchliehen System anf eine Wew
sich hinfiberwenden, in welcher man nur einen directm
Gegensatz gege»dieScbleiemiacher'scbe Glanbenalehw
sehen kann« Ganz aber wollen die Vorlesnngen d«i
auch jetzt noch nicht von Schleieraiacher sieh less»
gen, nnd zwar erklärt der Hr. Vf. die von ScUeis^
macher zuerst aufgestellte und. entwickelte Ansieht vss
dem Wesen der Religion hauptsächlich deswegen wm
Grunde zu legen, weil er sie nicht hios für rielitigi
sondern auch für am meisten geeignet halte, die S^M»
ständigkeit der Theologie und der theelegischeii Uebe»
neuguag gegen die zu weit getriebenen Anspt«die der
Wissenschaft und namentlich der Speculation sti be»
haupten (8. XVll). Es bezieht sich diefs auf das he*
kannte Veihäknils, in welches Sehleiemiacbte ihm Fht»
^•Mphfe nr Theelogi^ wetzt. .Alleia es hat aaoh da-
mit ame etgeoe BewandniAi* Wer die Scbleiermacher'*
aehe Giaubenelehra ihrem iaaeni ZnsauiBieiihaDg nach
jieaaoer keaat, weif« auchi dafe jene so streage Aaa^
acheldaag der Philosophie aus dem Gebie|; der Christ*
liflheä Glaabeaslehre keineswegs so zu nehmen ist, wie .
aum den Worten nach glanhen mdohte) und dafs die
Sehleiennaeher'sebe Glaubenslehre so gut als irgend
aine aadere^ welche nicht blos einen traditionellen Cha-
sakter an sieh trftgt, auf einer ficht' philosophischen
Grandllige bemhf. Wenn Schldermacher die Religion
als ' Sache' des Gefühls uad unmittelbaren Selbstbe-
ifttfstseina behaadelt, and auih Inhalt der christlichen
(Slaabenslehre nichts gerechnet wissen will, was sich
nicht als Aussage des Selbstbewufstsems nachweisen
bfst, so istdiefs nur der Ausdruck fördas seiner 6lau*
henslehre an Grunde liegende philosophidche Principe
Jf^nen Standpunkt dervSobjectivität, welcher in jBeioer
Eigenthümliehkeit nur durch den Gegensats gegen den
HegePschen Ständpunkt der Objectivität richtig auf«
. gefafiit werden kann. Was daher dea Worten nach
allerdings in einem gegen die Philosophie feindlichen
and ausschEefsenden Sinn gesagt z_d sein scheint, ist
nelmehr gerade die Anwendung eines bestimmten phi*
lesophischen Principe, das eben darum, weil es seiner
Matur nach nur. auf das Gefühl oder Seibstbewufstsein
aorQckgeht, neBen diesem subjectiren Princip nicht
angleich ein rein objectires Princip der Wahrheit und
l^ne ohje<ftite Begriffs- Entwicklung anerkennen kann«
illerhtts ergibt sich aber auch, dafs eiae Glaubenslehre^
welcbe den Staadpunkt der Subjeotivität nicht mit der*
selben Consequenz festhält, und sich auf das im G&-
Mii, oder Sdbstbewufstsein , sich aussprechende Mo*
■lent der Frömmigkeit nur für den Zweck beruft, um
als unouttelbare Thafsaobe geltead ta machen, was
erst eines Beweises ~xa bedflrfen scheint, sich dabei ei*
ner Freiheit bedient, an welcher sie wissenschaftlich
aneht berechtigt ist. Der Hr. Yf. glaubt dadurch nur
die Selbstständigkeit der Theologie und der theologi»
sehen Ueberzeugung gegen die zu weit getriebenen Aa-
Sprache der Wiasenschaft su behaupten, allein eine
aelebe Selbststftndigkeit der Theologie {^bt es, wie aas
dem znror Bemerkten erbeHf, in Wahrheit nicht, und
eine Wissenschaft, welche als sfdche ihre Ansprüche
nicht so weit als möglich treiben wurde, d. h. ^soweit .
als es in der Idee der Wissenschaft selbst liegt, würde
Dogmaük^ Bd. It. Mik. I. 86
ebeii desw^en nnter der Idee der Wissenschaft bleib
ben. Wie eitlseif ig sabjec^ die Yorst^Unng des Hm»
yfs. yon den zu weit getriebenen Ansprüchen der Wis^
senschaft ist, ist am besten daraus, su ersehen, wie
sich bei ihm das zur Behauptung der Selbststündigkeit
der Theologie von Schletermacher adoptirte Princip
gegen die Schleiermacher*sciie Glaubenslehre selbst
kehrt. Dnlüugbair kann der GTr. Verf., wenn er conse*
qaent sein will, auch in der SchleiermaGher'schen Be**
handlungsweise der Trinitätslehre und der Engeliehre
und ihrem Gegensatz zur kirchlichen Lehre nur dieset-
ben zu weit getriebenen Anbrüche der WissenscI^aft
sehen, und doch ist es gerade derselbe Begriff yom
Wesen der ReUgion, yon welchem aus Schleiermacher
Lehren des kirchlichen Systems^ wie die genannteä
Mud, Ton seiner Glaubenslehre nothwendig adsschliefseH
mufs. ' Auf welcher Seite Ist demnach die Wissenschaft»
liebe Conseqnenzl. Es wäre gewifs sehr zu wünschen,
wenn ' man in Ansehung Schleiermacher's endlieh zur
Deberzeagung käme, dafs seine Glaubensldire in ihrer
grofsartigen Gonsequenz s^n sehr ein innerlich zusam»
menhängendes Gauss ist, als dafs maa bald diefs bald
Jeaes aus dem Zusammeahang des Ganzen heransnebb
man kanut und dafs auch djefa einTheil der dem giro«
fsen Manne gebührenden Verehrung ist, ihn Tor allem
in seiner Einheit uad Tiefe aufzufassen. In einer Stelle
der Vorrede, in welcher der Hr. Verf« sich über sein
Verhältnifs zur Philosophie und Speculation, nicht ohne
eine gewisse Verstinunnng und Gereiztheit, näher er^
klärt, und erzählt, wie auch er rückwärts und Torwlrti
der neuem Philosophie auf ihren Wegen nackgegav-
gea sei, bis er durch Schleieimaoher eine von der äpe«
calation unabhäagige Stellang gefanden hadw, bedauert,
er selbst, dafa die jüngere Generation das Verdienst
Sehleiermaoher^ ia dieser Hinsicht so wenig zu würdi*
gen wisse, und dafs die Wichtigkeit emer solcheni^
von dem Weehsel plulosephischer Systeme unabhängig
gen, Stellung der Theologie noch immer nicht so all«
gemein anerkannt werde, als er gehofft habe und auch
jetzt noch hoffe \ er hittet daher die Freunde der Spe»
cnlatioh zu bedenken, ob sie nicht einen geringen und
zweifelhaften "Gewinn fü^ einen sichetn und bedeuten-
den Verhist •-* den ihrer (heoiogiaohen Selbstständig-
keit — einzutauschen in Gefshr seien, n« s. w. (S.
XXVII). Wie kann aber der Hr. Vf. in dieseyn Sinne
von dem Schleiermacher'schen Standpunkt als einem
87
Ttttesteny VorlesungsH über die Dtpgmatik. Bd. IL Ahih. I.
Tön der Speculation Töliig unabhingigeD, als dem rei-
nen Standpunlct der theologischen Selbststäinligfceit',
reden I Ist denn nicht der Standpunkt der Subjectivi-
4ät, auf welehem Schleiermacber unstreitig steht, ebenso
gut ein auf dem Wege der Speculation oder Philoso-
phie getronncner, als der ihm gegenüberstehende Stand«*
punk,t derObjectivität, und yiet kann sich rühmen, das
System der Scbleiermacher'schen Glaubenslehre richr
fig anfgefafst zu haben, ohne auch die iiresenf liehen
Elemente zu erkennen, \«:elche es ror allem aus dem
Kantianismus und Fichtianisnias in sich aufgenommen
hat, ohne es überhaupt als ein Erzeugnifs des ganzen
Entwicklungsganges der neuern Philosophie anzusehen?
Dadurch wird aber das Verdienst und die tief eingrei-
fende Wirksamkeit des. grofsen Mannes so wenig ver»
kaimt, dafs vielmehr sdne wahrhaft Epoche machende
Bedeutung in nichts anderes so sehr gesetzt werden
kann, als in die Cousequenz und Vollendung, mit wel*
-eher er die seiner Zeit eigenthümliche subjective Rich-
tung, als ihr wahrster Repräsentant, in sich ausgebil-
•det hat. Wer daher nur in Schleiermacher die feste
unabhängige Stellung gewonnen zu haben glaubt, und
von dieser aus sich gegen die neuere Speculation rein
negativ verhält, dann aber auch an Schleiermacher nicht
80 festhält, dafs er nicht weit auch über ihn zurück«
geht, und zuletzt nur in dem alten kirchlichen System
das bis in*8 Kleinste tüchtig und kuhstreich ausgeführte
Gebäude gefunden zu haben glaubt, in welchem sich
mit dem behaglichen Gefühle einer zweckmäfsigeu und
bequemen Einrichtung wohnen läfst (S/ X), der sehe
wohl zu, ob das, was er theologische Selbstständig-
keit, Unabhängigkeit von einem philosophischen System,
«
nennt, etwas anderes ist, als jene Negativität, die in
ihrer gegen die Fortbewegung > des Geistes sich ab- ' keineswegs zu, um die Dogmatik cler Beweise för ^
die Definitionen des Wesens GotteS) oder über diePn
ge: wie Gott zu denken sei> sagt, ist in der eifreiil
lieh nur populEren Vorstälung der alten Theologa
begriffen : wenn wir uns die an sich unbegreifliche fß^
liehe Intelligenz nach Analogie derjenigen deuiceD, fs
welcher wir eine Vorstellung haben, so stellen wilr in
das göttliche Wesen zwar inadäquat, doch ohne In
thum vor, vorausgesetzt, dafs wir uns stets, der Mai
gelhaftigkeit unserer Vorstellung bewnfst bleiben, ooi
uns vorbehalten, was wir als UnvoUkommenheil erkei
neu von dem göttlichen Wesen zu vemetaen (S» 15)
Der Beweisführung für das Dasein Gottes enthebt sick
der Hr. Vf., wie Schleiermaoher, und zwar aus Je»
selben Grunde, welchen Schleiermacher geltend inacblj
weil. die Dogmatik die Frömmigkeit als Gegeostaal
ihrer Darstellung voraussetzt. Allein schon bei Scblei»
uiacher beweist .dieser Grund eigentlich zu viel» Difi
die Dogmatik alfes dasjenige übergehen, was sieik
in der Frömmigkeit, oder der unmittelbaren GevifsM
des Glaubens schon enthalten voraussetzen kano, i(
wird sie im Ganzen etwas sehr überflüssiges, und kSoiM
ihre Stelle füglich der Katechi^muslehre überlasaci
Wird sie' aber durch die Frömmigkeit, ' ihre Viirao»
Setzung, keineswegs überflüssig gemacht, so kaootf
es nicht unterlassen, au^h das Dasein Gottes zum &
geustand ihrer Untersuchung zu machen. Ist ef ih*
Aufgabe, zwar nicht erst die Anerkennung dcs^Gottf»
bevi'ufstseins zu bewirken, sondern nur-^deu Inhalt dei
selben zu entwickeln, d. h. zum klareren BewttfflM
zu bringen, so geschiebt diefs ja eben dadurcb, d>"
man sich der Gründe, auf welchen die Ueberzeugiif
von dem Dasein Gottes beruht, hewufst wird. ScM
bei Schleiermacber reicht daher der angegebene Griff
schliefenden Richtung sehr natürlich zuletzt an dem-
jenigen hängen bleibt, das gerade als das Letzte in
dieser Reihe am weitesten rückwärts liegt, und ob die
Bewunderung, die er dem alten System wegen seiner
Sorgfalt in der Ausführung des Einzelnen zolk, etwas
anderes ist, als das .historische Interesse für ein merk-
würdiges (vebäude ,der alten Zeit !
.Nach dieser Charakteristik des vorliegenden Werks
können wir uns über die einzelnen Lehren, die der Hr.
Vf. in dem neu erschieneuen Theile desselben behan-
delt, um so kürzer «fassen. Was der Hr. Vf. über
(Die Fortsetzang folgt)
Dasem Gottes zu entheben, sondern es greift hier tw'
mehr nur die Bedeutung, welche bei Schleiermad^
das Gefiihl in Beziehung aof das Wesen der Relig*'
hat, mit einem zu einseitigen Uebergewicht aus d^
Religion in die Bogmatik herüber. Nun untörscbeiM
ja aber der Hr. Verfasser seinen Standpunkt voö «*
Schleieruiacber'schen ausdrücklich dailurch, ^^^
das Verhältnifs des Erkeunens zum reh'giösen BeWüi"^
sein nicht ganz wie Schleiermacber beirtinun^ ^
dern demselben mehr einräume (Vorn S. XIX. XaW
• « •
^ 1% -■
J a h r b ii c h €
-für
wi 8 s e u s c h a f 1 1 i c h e Kr itik.
Juli 1839.
[Vorlewifg^m ubsr die p^gmauk der evangeliseh-
.• kitk»n$cke» Sirehe., nach dem Compendium
^ ien Hm. Dr. W, M, L. de Wette, von Dr.
' Aug. Detl. Chr. Tieesten.
(Fortoetzang.)
Schon auB diesem Grunde bälte man daher erwar-
If^ aoUen^ dab er das Moment de« Erkennens auch in
fdea Beweisen liir das Basein Gottes genauer nuter-
wehea werde» Aber aifch^ was der Hr. ViF*. sonst noch
aar Rctcht&rtigung seines Verfahrens bemerkt, spricht
^foehr .gegen .ihn als für ilm« £r gibt selbst zu, dafs
.wenn anohder wahrhaft Fromme keines Beweises be-
.däffe, um des Daseins Gottes gewila zu sein, für den
^entschieden llnfrommen oder Gottlosen aber kein sol-
ober B^weis'gefiihrt werden könne, doch für die grofse
.^ftBfA derjenigen y die awischen Frömmigkeit und Un-
j^mmigkeit schwaokea^ die sioh^durch Reflexionen ei-
|ier fakcbea Weisheit» * deren Zasaminenhang sie nicht
.fibfrs^heoy in ihrem Glauben irre machen lassen^ di^
Be^racbtuageQy . die den Beweisen für Gottes Daseia
.aum Grunde liegen, weder übtorflubig noch unkräfiig
j|beien (S. 21). Ein solches Sc|iwanken zwischen Fröm-
.migkeit. und ünfrömm|gkeit .findet aber immer stat^
ao lange das Ireligiöse BewuCstsein auf das bierse G^ *
fiih) beschrankt ist, und nrebt vom Gefühl zum Erkei|-
jnen fortschreitet, am in der Objectivität des Begriffs
feinen festen Baltpunkt an gewinnen. Ja» selbst dep
Grund) dafa die sogenanaten Beweise für das Datseio
^Gottes eigentlich nichts beweiseUi und deswegen keine
Stelle in. der Degmatik verdieaeii» b.e8^itigt der Hr. Vf.
auf eine Wfise> welobeniobtazu wünschen übrig läfst.
Er bemerkt gegen de Wette's Erinnerung» dafs alle
.j^e beweise' .einen Cirkel enthalten, dafs^ es ^it jdif-
' sem Vorwarf sieh joicht ganz so #cblicwn verhalte^ als
l^s' scb<;ine^ da in gewissem Sinn jeder logische B^yfe\B
einen Cirkel enthalte, jeder Beweis geh^ darauf auf»
Jahrb. f. wiaenich. Kriäk. J. 1839. II. Bd. ^
zu zeigen, dafa wir das zu Beweisende in anderer Form
schon annehmen, und sei nur dann leer» wenn dies-:
m anderer Form hinwegfalle, wenn in dem Beweise
nicht zugleich ein Fortschritt, eine weitere Bestimmung
des Grundgedankens lieg^ (S. 20). Ref. träji^^ keip
Bedenken» diesen Gedanken für einen der wahrsten und
tiefsten des gaaz,en Werks zu erklären. Es ist wirk-
lich so» jeder logische Beweis ist in seinem ResuJti^t
nur eine andere Form seiner Voraussetzung. Hätte
nur der Hr. Vf. diesen Gedanken weiter verfolgt und
sich zum klaren Bewttfatsein gebracht, wie überrascht
hätte er sich an der Pforte einer neuen Erkeantnifa
gesehen I O^^r ist denn^ nicht jener Fortschritt, jene
weitere Bestimmung des Grundgedankens die Selbst-
bewegung des Begriffs, wii^ sie auch in den Beweisen
das Dasein Gottes ihre in^imanente Wahrheit isti ^
Wichtiger ist die Lehre von den gdttlichen Eigen-
schaften» Der Hr. Vf« unterscheidet absolute oder iny-
manente und relative Eügenscbaften, und. geht» obofs
bei jenen weiter zu verweilep» sogleich auf diese über,
welche in physische und ethisiobe, oder Attribute dc^
Macht und Attribute der Liebe» von^ welchen jene da|3
Bewufstsein der natürlicbea, diese der sittlichen Ab-
hängigkeit ansdriickei^ eingetbeilt werdent Je nach-
dem man 'a^r die Abhängigkeit von Gott entweder
rein für sich auffafst» 04)er zugleich mit Beziehung aiff ,
die Abhängigkeit des Endlichen vooi Endlichen selbst,
eijgeben sich hieraus neue Eintbei|ungea und Unter-
scheidungen von göttlichen fügenftchaften und Hand-
Jungen. Die iMlacht Gottes ist an sich die absolute
oder ordnende» zur geojrdneteo aber wird ^ie» wenn
man auf die Gesetze sieht, paaU welchen sich das Sein
und Geschehen aus .endlichen Ursachen und Wechsel-
wirkungen entwickelt«^ Ebenso tritt nach der Ansicht
des Hm« Vfs. die eigene Caiisalität des Endlichen in
unserem Bswulstsain m^br hervor in dem Be|piff der
gSttVohen Allgegeawart » inwiefern wir daru;iter die
. ' ■ ' ■ ' . ■ ' 12
< I
>t
TwesUuy Varlemngen über die DogmuMk. BA II. Abtk. L
91
fiberall aucb im EiDzelnsten stt erkiinende gSttlie^o
Allwirl^sainkeit rerBtebeo. Die Liebe ist mit Röck-
siobt auf den Untersebied von Sittlichkeit und Selig-
kell; t^iU*^6äte ibeiU Heiligkeit^ sofetn aber .ndar&uf
geseben wird, wieder Wille der Liebe an den- freien,
ibre, Freiheit zum Bösen mifsbrauobendeD, Geacbopfea
in ErfdlluDg gebt, erscbeiot siö tbcils als Gerechtig-
keit, tbeils als Gnade. Mit beiden wird die Wahrhaf-
tigkeit in Verbindung gesetzt, und zwischen der Weis-
heit uod Allwissenheit dasselbe Verbältnifs angepom-
•mcn, wie zwischen der Allmacht und Allgegenwart,
und äer 'Heiligkeit tind Güte auf der einen und der
Gerechtigkeit und Gnade auf der andern Seite (S. 37 —
63), Die Unterscheidung der Macht ind Liebe mag
sich selbst rechtfertigen, aber schon die Art und Weise,
wie diesen beiden Grundeigenschaften die Weisheit
coordinirt wird, erscheint als ungenügend. Es würde,
sagt der Hr. Yf. 3. 52, bei den beiden Attributen der
'Macht und Liebe sein Bewenden haben, wenn Begriffe^
die eigentlicb doch nur verschiedend Relationen Gottes
zur Welt bezeichnen, 'uns ganz befriedigen könnten.
Wir wollen aber nicht blos wissen, wie Gott sich zum
Endlichen verhalte^ sondern wer Gott *eij was in ihm
selbst den Wirkungen seiner Macht und : Liebe zum
Grunde Kege, vermögen ,wir diefs auch nicht adäquat
'2n erkennen, sO sei uns doch eine analoge Vorstellung
'lieber, als keine. Diesem Bedtirfhifs nun entsprediend
biete sich uns der Begrilf der hö6bsten Intelligenz dar.* klar und äufserHch bestimmt, tbeils so, .dafs man sie
Wir erkennen in Gott nicht blos den letzten Grqnd ebenso gut, oder noch besser, in das umgekehrte Vtf-
de's Daseins und der VolUcommenbeit der Welt, son- hältnifs zu einander setzen könnte. Die Ailwissenbek
dem den vollkommensten Geist, der nicht blind und soll mit Rüekstcbt auf die Abhängigkeit vom Endl-
hewuPstlos, sondern mit Verstand' und Willen wirke.' eben selbst die der Weisheit nntergeordnete Bigen-
Hieraus ergeben sibh nun die beideh Eigenschaften "schaft sein. Hat es die Allwissenheit npt mit dem
der Weisheit' und Allwissenheit als Attribute des gött-
lichen Verstandes. Der Hr. Vf. scheint hier ganz ver-
' gössen zn haben, dafs wir uns, seiner Eintbeilung zu-
folge, ganz im Gebiete der relativen Eigenschaften be-
finden, unter welche er ja selbst ausdrücklich die Weis-
heit tind Allwissenheit rechnet. Wie kann er also hier
mit Einem Male, wib ^enn er jetzt ^rst auf die schon
abgehandelten absoluten Eigenschaften (ibergehen woll-
te, mit dem Moment kommen, man wolle nicht blos
wissen, wie sich Gott zum Endlichen verbalte, sondern
wer Gott seit Um das Erstere handelt es iftich doch
einzig und allein bei den relativen Eigenschaften, nicht
aber um das Letztere. Glaubte also der Hr. Vf. um
«2
iie . Wridbeit undf AUwisseohrit abzoleiten« auf dti,
was Gott ist, oder auf den Begriff Gottes als der
höchsten Intelligenz,^ oder des volIkommeiMten Geistei,
zurückgeben '^zu müssen, so hätte er die Wei A^it stf
Allwissenheit unter die- absolntea E^enaebaftiii, miMr
welchen man aber freilich auch dep B^;riff^ Geltes^ ab
der höchsten Intelligenz, bei dem Hrn. Vf* vergebens
sucht, stellen müssen. Unlogisch ist aber dabei nook
überdiefs, dafs gleichwohl jene beiden Eigenschaften
nur als solche anfgefafst werden, welche BidM -das Seh
Gottes an sich, sondern nur ein VarhftlteiA aiatdrlkikea.
Denn die Weisheit wird als di^r m^eadliobe Vergt^
definirt, sofern er der Grund der gesanmitfiii Welteii-
richtung ist, und di^ Allwissenheit in ihrem Unter-
schied von der Weisheit darauf bezojgen, daCs ven
allem, was ist und sein kann, in'Gk)tt ein Wissen sei.
Da nun der Begriff der Intelligenz hier niefit blos asf.
diese Weise eingeschoben werden kann,' so sind niett
nur jene beiden Eigenschaften ohne ein Einfheilmig»-
princip aufgeführt, sondern es bat auch überhaupt der
Begriff Gottes, al» der Intelligenz, oder des absiriates
Geistes, wobei dann freilich nicht blos :von dem MH^
sen dessen, was ist und sein kann, sondern dem Wis^
sen an sieb, oder dem Wissen Gottes von sieb, den
Selbstbewufstsein Gottes, hätte die Rede sein müssen,
in dieser Dogmatrk keine Stelle gefanden. Das V^
hältnifs der beiden Eigenschaften selbst ist tbeils mh
Formellen an den Drogen zu tbun, sofern sie Obje<^
des Wissens sind, die Weisheit aber auch mit dem
Materiellen, mit dem durch ihre materielle Bbschaff^
heit bedingten Verbältnifs der Dinge, so bat doch das
Endliche bei der Weisheit eine concretere Bedeutotf|;
als bei der Allwissenheit. Schon hierin liegt aucb, was
überhaupt gegen das der doppelten Reibe der relati*
vea Eigenschaften zu Grunde liegende Eintbeilungs-
prinöip einzuwenden ist. Es gestattet durchaus keine
klare, durch die Natur der Sache selbst gegebene Du-
ters^beidimg," da es ja an steh zum Begriff des Endß*
eben gehört, jafs Endliches immer durch Endlidies be-
dingt ist. * Wie wenig läfst sieh daher auch in der
^^
r •
'TwestSHy ForhHingim M$r du De^^maük. Bd. lt. Mik. I.
9i
'DsnfWHtttig des Hn. Yh. ^int Uoteracbied der etdneA-
I d^a und geordneten Nftoht festbalten, und Irie' vil^kfif-
iich tind vag ist die BeBtiininung des.VerhftItniseee der
><4Jimft€iit ihid AllgegeniNürt I Soll Tom Endtieben ein
*EintIieikihg8gnind für die relativen Eigenschaften Gel-
tes genommeif werden, - so kann, wie siek Ton selbst
TersteM, das Tom, Endlieben an sieb Unterscbiedene
nioht selbst wieder der -allgemeine Charakter des'End-
' lieben sein. ]$in reeller Unterschied ergibt ' sich iui
begriff des Endlichen nur, wenn es unter dem doppel-
ten Gesichtspunkt anfgefafst wird, sbfem. es entweder
in der idealen Anschauung der reme Ausdruck der Idee
dsf, oder in ihm die coacrete WirklichSeit mit der Idee
Im Widerspruch steht* Diesen Weg hätte der Hr. Yf.
'Üinscblagen sollen, wie derselbe Schon früher in -einer
«war kleinen aber höchst beachtenswertben Abhandlung,
fa der Tfib. Zeitscbr. fBr TheoL 1830: 4tes H. S. 1 f.t
'Yersuch einer Deduction der göttlichen Eigenschpiften,
ton Rep. Elwert (dem nachmaligen Prof. der Theol.
In Zürich D. Elwert) eingeschlagen worden ist. Ref.
erfaubt sich, statt jeder weitem Ejritik, auf diese vom
-'Hrn. Yf. mit .Unrecht öbersebene ebenso scharfsinnige
Hils geistreiche Abhandlung zu verweisen, und nur das
an sie noch' anzuknüpfen, dafs dieElwert^sche Binthe^
lang sich ebenso natürlich an die Trinitätslehre an-
schliffst, wie dagegen die des Hrn. Yfs. diesen Zusam-
'inenbang ntcbt nur nicht beachtet, sondern auch nicht
'teinmat die MögKcbkeit der Zurückfohrnng aiif die Tri-
Ait&tslehre offen Iftfst» £ine Eintheilung der göttlichen
fegenschafben aber, welche sich nicht von selbst mit
'der Trinitätslehre in Yerbindung setzt, mufs von vom
herein als eine verfehlte angesehen werden. Sind die
^göttlioh'en Eigenschaften die^ Unterschiede, welche ent-
"^eder objectiv od^rsubjectiv im göttlichen Wesen ai»- -
genommen werden/ so* müssen sie doch in irgend einer
tteziehong zu dem wesentlichen, gleicbfalls entweder
'lAjectiven oder subjectiven, Unterschied sieben, wel-
^dien die Trinitätslehre ausdrückt. Bei dem Hm. Vf.
•aber stehen die göttlicben Eigenschaften so rein änfser-
Bch neben der Trmitftt, dafs eben aus diesem Grunde
auch die göttlichen Eigenschäften selbst nicht in der
lebendigen Einheit sich 'darstellen^ ohne welche sie
jloch als Eigenschaften des göttlichen Y^esens nicht
gedacht werden könpen.. Setzt man den Begriff Gottes
aus den einzelnen Eigenschaften, die hier unter ver-
schiedenen Gesichtspunkten aufgeführt werden, zusam-
iMtt, m ist dM Höohste, *was. sich auf diesem. Wege
^ergibt, der abstraot Yi^olfscbis Bejgriff des ens peefeo-
tissinnmi; dafs aber Gatt,, semer Idee Mob, 'als deir
mbsolute Getirt, * aäch den höchsten Lebensprooefs m
sich begreifen mufs, wenn ^er anders kein todter Gutt^
sondern der lebendige Gott des ebristlii4»en Glanbem
. sein «oH, davon findet sich hier auch nioht «ine An-
deutung. Es ist schon bemerkt wcMrden, an welchem
unpassenden Ort und auf welche anpassende Weise
derBegrite der höchsten Inteiligenz'an^ftihvt'wirdL
Da tffimlich Gott auch die Eigenschtöen der Weisheit
•und Allwissenheit beigelegt werden,* so mufs er aaek
Yerstand,' und wenn Verstand, auch Willen haben, mit
Veratfind.und Willen also der vollkommebste Geie^
o^der die höchste Intelligenz, sein* Zwar wlid.aufA
sehen unter den Definitionen der Begriff der Lstelli-
genz auf Gott fibergetragen, aber' eigentlich nur m
dein Behuf, uin Gott von der Welt zu unterscheideii,
weil Gott sonst nicht als ras extramnndaaun gedacht
«werden könnte (S. 12). Ebenso werden unter den ab-
soluten Attributen die Aseitüt, Spontaaeitfit, Sufficiens,
Independenz , ohne alle Beziehung darauf, . dab Gott
der abpokte Geist ist, aufgestellt, und nur nebenher
noch die analogischen Attribute des vollkommensten
CMstes, in welchen sieb die absolute Yolllromuieniieit
als der vollkommenste Yeirstand und Wille, idie Asei^
tat und Sufficieibz als Seligkeit, die Spontanettfit und
Independenz als Freiheit darstellen , als mit der Idee
Gottes zusammenhängend, mit der Einscbränlnmg b^
gezogen, dafs sie ihren eigentlidien Gehalt erst durch
die Beziehung auf die Abhängigkeit der Welt von Gott
bekommen (S;^ 39), d. b, nadi dem Obigen, Gott ist
Geist eigentlich nur aefem ihm die auf sein Yerhftlfe-
nifs zur Welt sich beziehenden Eigenschaften der Weis-
heit und Allwissenheit beigelegt werden. Sind es abel^
gerade diese Eigenschaften vorzugsweise, ohne welche
Gott nicht als ens exlramandaaiph gedacht • wenieh
könnte, und könnte Gott, was d)e übrigen Eigenscbal^
ten betrifft, 4er absolute Geist seb, wenn er nicht als
Geist auch die Liebe wäre f So äufseiüch und ualdien-
dig ist derBi^iff der Intelligenz mifgefafstl Yen deifa
verwandten Begriff der Persönlichkeit Gottes, dessen
genaue Erörterung demHm. Yf« doch sehen aetn&aas-
gesproehene Antipathie gegen die Speculation der neue*
sten Philosophie hätte besonders nahe legen sollen,
ist hier nicht einmal die Rede. Der letzte Grund die-
.V
t%
k I
Mf itt der That niidit sehr 1>ef^iedig#iidfli SebipdiMC
kann cur diiriii gefüBdee v^erdeni dafii der Hr* V£.
' Lehre Yoa den gdttUohea Eigenseheltea vob dcv
aitittlefare Tdltig trennt iidd beide in ein Uob ftufeeiii-
ilhee Verhältnife su einander setat, so daft bei * der Tri-
jiüilskhre^ eigentlich erst nachfolgt, tms schon anr
JLtfire Toa Gott an sieh gehört hatte, wie sich bei der
Trinltätslehre eelbst «eigen wird. /
Ehe wir auf diese übergeben, mSgen aas dem In-
halt der dazwischen fiegenden Lehren von der Welt-
aehöjpltiligii Welterhaltnng, Vorsehung bnd Weitregie-
taeg Hl s» w«, in deren Entwicklung man dem Hrn. Vf.
aebald maa sich mit ihm auf aeineh Reflexionsstand-.
|l«akt stellt, und 1a ihm nur einen Interpreten des alte&
ürafaUeheHi Sjstems sieht, ohne besonderen Anatofs
folgen kann, aber freilich aaoh ohne irgend einemi be-
deutenden Resultat au begegnen, mögen hier nur awei
Punkte hervorgehoben werden, der eine die Schöpfung»
der andof« die Wunder betreffend.
Was den ersten Punkt betrifll, sO bemerkt der Hr«
V£ S. 85 über ^e Annahme iOlaes Weltanfangs, sofern
aie den" Buchstaben der Schrift für sich au haben
aoheinef es frage sich theil% ob man den Aaesprücl^ea
deniBlben d^ streagea Sinn, ^den sie etwa in ^em
Cotiipeildiom der Metaphysik haben wflMen, unterlegen -
dürfe, theila ob sie nicht in einer Sache, die m<>bt ei-
{[entlieh die Heligion aagehe, auf dieselbe' pppttläre
Weise sieh könnte ausgedrückt haben, wie wenn 9Sx>
ditf Sonne sich bewegen oder stülstehett läCst. Allein,
gesetzt, die Sebrift h&tte sich hierüber im strengen
Simie der lltetaphyiik aasgednlckt, so hätte ja der Hr.
Vf. mit demselben Recht, mit welchem er sonst Fra-
gen «ad Behauptungen deswegen surüofcweist, weil sie
f her der Metaphysik als der Dögmatik angehören, auch
jhite geliade ^•on der metaphysischen Form <ineo Grond
ati delr Verwerfeng der bibUftohen Leln*e eatnebuMn
ddtaaen. D« sich nan eher die Schrift hierüber nicht
aMftaphystich erklirt hat, so wäre hieraoe vielmehr der
S^AA^A au aael^en gewesen, dafs die Annahme einee
i!^eltanf«Bgs der Sohtilt zufolge aam ti«teatlioben In-
halt des rel^iösea Bewafsteeiaa su reobnen ist. EbenBp*
weaig iWet sk^h dimn aber aadi daa Seobstagewerk
vom Staodpankt des tlta. Vfs. aaa beseitigen, Uer Hr.
Xhgmaiik. Bd. //. AitL I.
» » _^
\t oMiat «war weder die Erklürqngen des Uexfmim^
^on, noch auch die Dntersacbai^^ über den, ob hista-
riacben oder mythischen, Charakter und über die Glmib-
wftrdigkeit oder Richtigkeit der mosaischen Eiaühlimg
Ijeltören in die wissenscbaftlicji^ Dogpiatik. Wie knqa
aber der Hr« Vf. das dogmatisidie Urtheil hierüber völ-
lig freigeben, wann er doch den Grundsatz aufstellt,
dafs das Wort der Sdirift als solches unbediagtea
Glauben Verdiene? Haben denn die^ ahen jutheriscbea
Dogmatiker, deren GrandüHtzen der Hr. Vf. folgt, nach
so ' geartheilt ? Sie haben nicht nur die mosaische
Scböpfiingsgescbiöbte ohne Bedenken ai^eno^men,' aciii-
dem auch die TOn dem Hrn. V£ aii%eworfene Fraip^
ob sich die Schrift hier nicht etwa; auf dieselbe popo-
lare Weise aasgedrückt habe, wie iirenn sie die Sonne
aicA bewegen oder stillstehen lüfst^ so wenig sich lii
den Sinn kommen lassen^ dafs sie sogar gegen Kopev-
nicas die Bewe|si|ng der Erde Iftagneten (vgl. Holhis
S* 909). Das erst ist die gerühmte Folgerichtigkeit
und ' Wohnlidikeit des alten Lehrgebäudes, in welchem
man dann auch seine tbeol'egische Selbstständigkeit amPs
sdiffnste dadurch behaupten kann, dafs man sich ia
demselben nicht ^blos gegen die neuere Philoaophic^
sondern auch gegen die Naturforschnng alter und neuer
Zeit völ% absehlieistl Warum will «s also der Hr.
.Vf.' nicht auch hierin mit den alten lutherischen Dog-
matikern halten) Glaubt er. aber hierin- sich eine ga^
wisse Freiheit gegen' sie vorbdialtea zu dürfen, so gebe
^er vor allem die Grundsätae a% die iba hiexn beredi-
tigen, damit ihm an ihnen noch klarer, als die Sadi^
Bohon jetzt am Tage liegt^ seine sul^ective Willkfe
nachgewiesen werde.
D^s Zweite, wovon hier noch die- Rede sein mag^
ist die Rechtfertigung des Wünderbegriffs. Der $9*
pemaitur^list, meint der Hr. Vf. S. 177, werde in jo-
dem Fallip die Bmpfäuglicbkeit der Natur für Wirkan*
4(09, die .echiechthiu nicht von der jVatur, aondefa
allein von, Gott abzuleiten seien ^ angeben, und d9
Naturalist dagegen nicht läi^oen, dafs die in der Na-
tur nicht , neu entstehenden V sondern schon in ihr
entbaltenep Kräfte bis aum Eintritt gewisser Vlb^
kungen (^eldber!) der Actnaliiät ermangelt habei^
fl^eichsam <Aoeh schlummernde Kräfte gewesen iseiea.
(JDie Fortsetzung folgt.)
Jahrbücher
für
wissenschaftliche Kritik.
Juli 18B9.
«=s=
VorlßMungmübtr die Dpgmatik der erang^elücA^
ügtherüehßh Kirche, nach dem Campendium
der Hrn. Dr. W. M. L. de Wette^ ron Dr.
Aug. DetL Chr. Twesten.
(Fort«etz<ing.)
' INe80 beiden Bi^riSe aber» Aet Empfängliclikeit
fiir govisse Wirkvngeo auf der eineOi einer sehbiiu-
ai^intf en Kraft auf der aa^era Seite stehen sieh se
aabe^dafs der Betriff eiaer Anlage sie beide befasse«
W^s mit diaser Argumeatatiea gewönne» Ferdea soU,
Ist scUe^tbia nicht abzusehen« So könnte man näm-
Jjoh aigumentirea» wenn die Realität def Wander als
entaobiedeoe Tbatsacbe sehen feststände^ In dieseip
Falle könnt» eine Dogmatik, wie die des Hm« Yfs.,
die Frfige nntersncben, ob etwa das in Kann jn Wein
verwandelte Wasser die Eigens^aft, Wein w. werden,
erat im Moment des Wnnderacts erhalten, oder diese
£ig;eiischaft zn?or schon, also viellf icht schon eait der
W^ltachopfang, als schlummernde Kraft in sich entbal-
teü habe« In dem letstern Falle wurde demnach ange-
l^mxnie^y da£s die in dem Wasser zuvor schon als
schlummernde Kraft vorhandene Eigenschaft erst in
jeaaro besthnmten Moment zur Actualität gelangte in
aiaer Wirknng, welche in der Substanz jenes Wasserp
scbeo von Anfang* an prilformirt war» Der Unter;Bcbied
iler snifranatuiEaliptisehen ind naturalistischen Wundei-
Miaicht koimmt dah^r bei dem Hrn. Vf. nur auf den
Z^tanterschied binaos, ob die Wirkungen, welche
'Wunder geaanfit werden, arst in dem Moment, in weV
düicm der auüiere Wnnderact er£slgt, zu ihrer Bidstenz
gelaagan) oder zuvor schon, in ejuer das Wpnder im-
fAicite in sich schhefsendea Kraft, auf unsichtbare
Waise m der Natur e»ftirea, se dafs der Wunderaot
imr ftufserlich sichtbar niacht, w^ an sich schon alf
Wunder voihandan ist» Ob es Je. einen NaturaUstea
g^eben habe^ welcher diesen .Wunderbegriff mit sei«
Uhrh. /. w%i$en$cK Kritik. /. 1839. H. Bd.
ner naturalistischen Ansicht zu vereinigen wufste,
len wir hier nicht einmal fragen, das Auffallendste ist
die Voraussetzung, der Wunderbegriff sei dadurch ge^
rechtfertigt, dafs die Wirklichkeit des Wunders weiter
zurückgeschoben wird« Bas in ^inar schlumtnernden
Kraft oder Anlage präformirte Wunder ist in Hinsicht
seines Verhältnisses zur Gesetzmäfsigkeit der Natur
•dasselbe Wunder, wie das Wunder der gewöhnlichen
sopranaturalistisch^n Ansicht, und die Frage über die
Möglichkeit des Wunders, welche doch nicht unigaa-
gen werden kann, entsteht dann nur weiter riicfcwärt«.
Wird das Wunder in eine schlummernde Kraft oder
Anlage gesetzt^ so mufs ihan fraget^ ob es denkbar
4st, dafs Gott in Beziehung auf eine solche KrUft, oder
Anlage, als ein einzelnes Glicid des Naturgansenf ebenso
unmittelbar wirke, wie er auf die Natur eis Ganges
wirkend gedachl werden «»nfs, >pb eine solche gewalt-
same Durchbrechung des I^b^turzusainnienhangs, wie
das unmittelbare Wirken Gottes auf das Einzelne vor-
aussetzt, in welchem Zeitpunkt es auch stattfinde,
nicht den Begriff des Natnizusammenhaags selbst auf"
bebt? Diefs ist das eigetitliche Moment, um das es ei-
gner dogmatischen Untersucbong des Wunderbegriffa
aUein zu tbun sein kann, der Ur, Vf. .aber lUfst sich
jmf diese die Möglichkeit betreffende Frfige gar nicht
ein, sondern hält sieb, M(>gliebkeit upd Wirklichkeilk
des Wunders schlechthin voraussetzend, nur an die
Form der WirUichkeit. Gehört ^ueh diefs tu der
9,Bequemlichkeit'* des alten LehrgebSndei^ so mufs
man gestehen, die selbststftndige Theolpgia hat sich
aaf eine sehr bequeoia Weise in demselben einge^
richtet.
lu der sehr anstKrlichea Darstellung der Trinitats-
l^re (ß. 179— 3Q4) unterscheidet der Hr. Vf. znhäcbat
eme biblische, reJigiSse und speculative $eite des Dog^
maa. Auf dem eiafacheu Wege einer petitio prinoipii
werden dieselbeji Mnmeateb die das Wesen der
13
107
Twetten , Vortemngen übet die Dtgmatik. BJ. II. Ahth* I,
108
% \
darstellt, 8o wii?d doch daduroh die (JnnDglichk^i nioht
aufjrehoben^ zii jener altern Form ecbiechthin zurück-
zukehren, sondern es ergiebt sieb hieraus nur die Noth«-.
weadigkeit, Ton Mpjment iu Momept fortzuschreiten,
am in. einer immer adäquateren Form den ron deinen
Momenten zu unterscheidenden wesentlichen Begriff des
Dogma's selbst zu ermitteln. Wer aber mit seinem
Bemühen, eine für das Selbbtbewufstsein der Zeit er-
starrte Form als die schlechthin geltende festzuhalten,
seine Stellung aufserhalb der Bewegung der Zeit
nhnmt, kanji sehr natürlich das Unbehaglicho seinet
isoihrten Stellung weder sich noch andern verbergen«
Dieselbe Betrachtung ' dringt sich uns bei der
scbliefslichen Beurtheilung auf, welche der Hr. Verf.
S. 360 f. auf seine Darstiellung der Engellehre (S.
305—360) folgen läfst Soll die Lehre von den Ea-'
geln und vom Teufel in derselben Form und Bedeu-
tung, die sie in der alten Dogmatik hatte, ihre Stelle
m der jetzigen Dogmatik finden, so mufs mit der alten
Dogmatik auch die alte Kritik und Exegese beibehal-
ten werden. Wie ist aber diefs möglich? Wo giebt
es einen Theologen, welcher über Kritik und Exegese
dieselben Gnmdsätze und Ansichten hätte, welche die
^tutheriscben Dogmatiker des sechzehnten und sieb-
zehnten Jahrhunderts hatten t Man sehe alle kriti-
schen und exegetischen Schriften der neuem Zeit
nach und überzeuge sich, welche durchgreifende Ver-
schiedenheit hierin selbst auch bei denjenigen stattfii^i-
det, welche sonst nur die Vertheidiger des alten Stand-
punkts sein wollen. Unstreitig kann doch die alte
Dogmatik nur auf der Grundlage, der Voraussetzungen
beruhen, die die wesentliche Bedingung des dogmati-
schen Bewufstseins jener Zeit waren, ohne sie aber
schwebt sie in der Luft. Es Itfst sich daher ^selbst
bei dem Hrn. Verf , wenn er auf der einen Seite di^se
. Lehren im Sinne des . alten Systems geltend macht,
und auf der andern doch keine wesentlichen Momente
des religiösen Bewufstseins in* ihnen erkennen kann,
kaum verkennen, därs ihm doch der rechte Glaube ah
sie fehlt, \^re z. B. wenn er . S. 379 ven de^ Lehre
vom Teufel sagt: „Ich wüfste es nicht zu mifsbilligen,
'wenn bei dem Anstofs, den gegenwärtig viele, auch
unter fromm und gräubig gesinnten Christen an der-
selben nehmen, jemand es vorz%e, sie zu meiden, als
den Zweck der cbristKchen Erbauung in Gefahr zu
setzen, ohne eiuM mit dem 'zu besorgenden Verlust im
Verb<nifs stphenden Gewinn/' Welcher alte Dogau^
tikec würde sich über die Lehre vom Teufel diefs n
sagen^ erlaubt haben f Zwar will sie der . Hr. Verf,
wie er noch hinzusetzt, nur so ^eit meiden lassen, lo*
weit es, ohne der Schrift etwas lu vergeben, gesdi»
hen kann, was soU aber hiemit gesagt sein! Vi^ird da
, heiligen Schrift nicht schon dadurch etwas vergebeBp
dafs man von einer in ihr enthaltenen Lehre einen soli
eben Anstofs und eine solche Gefahr befürchtet! Bi
gibt demnach hier keinen Mittelweg. üVer die aUi
• Kirchenlehre wUl, mufs sich auch unbedingt zu da
alten VorsteUuagen von der heiligen 3chrtft, die.»
zu ihrer Voraussetzung hat, bekennen. Ist doch scka
die von dem Hm. Vf. > gemachte Trennung der 0og^
matik von der hiblischen Theologie, und äie Ansicb^
die dabei zu Grunde liegt,' den Grundsätzen der cts»
gelischen Kirche nicht gemäfs. Soll die alte Kirebe»'
lehre auch femer in ihrer alten Bedeutung fortbesW
hen, so mufs sie auch in jeder dogmatischen Darsteti
luüg aufs neue aus der Schrift reconstrairt werdoL
Eine Entwicklung der Kirchenlehre aus sich selbst mrii
aus dem Inhalt und Zusammenhang des ohristliclMi
Bewufstseins ist eine Lostrennung derselben von ihrci^
lebendigen Grunde, ddr Schrift, die die alten Dogmfri
tiker der lutherischen Kirche nimmermehr hätten zuj^
hen können, und zwar mit allem Recht, da das alM
Icirchliche System ohne sseine stete und durchgängigl^
Beziehung zur Schrift den Charakter einer traditioiui»'
len Auctorität erhält. t
D. Baur, in Tübingen. '
VI.
Gedichte von Eduard Moerihe. Stuttgardi^
Tubingeny 1838. Verlag der Cotta' sehen Budt
handhng.
Es sei uns erlaubt, unseren Standpunkt in der fluk-
jectiven Werkstätte der Poesie, dem dichterisoheaBi^
wttfstsein, zu nehmen, natürlich in dem umfasseddertf
Sinne, wonach das subjective Bewufstsei^ des Einxfli*
neu durch sein Zeitalter und, seine Nationalität b6
dingt ist. " , ,
Dafs die dichterische Production, im GegenäiM
gegen jede andere, ihrer Natur nach unmittelbar td
Entdeckung des Wahren ., Förderang des Guten vsi
Zweckmafsigen gehende^ Thätigkeit des Geistes, ii^
T9ff09tmy Förlsiungm Mder die Bognuaik. Bd. IL AHA. /.
101
'Gott' von ftiofi nntersidieidet, ibm als die Wdt gegen*
^ibertritt. Diese Ansicht mifabilligt der Hr. Vf., wenn
er S. 196 bemerkt, der ^tog dtuufo^, welchen die spe-
4iiilative Theorie in der Welt, oder dein Princip der
Welt, oder der Vernonft, allenfalls der Menschheit
^erhaopt erkennen müsse, sei nicht Jesus Christus,
€er Ton der Jnngfran Maria geborne, nnter Pontius Pi-
latoB gekreuzigte, . den vir im Symbolum bekennen.
Denmngeaohtet Mfst er sich auf die Speculation so
weit ein, dafs er beinahe unwillkürlich auch ToUends
jenen letsten Schritt thut Er unterscheidet nämlich,
wrie schon bemerkt ist, Ton der Wesensdreieinigkeit,
id der Form der geistigen Persdnjichkeit, die Offenba-
rnngsdreieioigkeit. Der letztem zufolge ist die Voxw
anssetznog aller Offenbarung Gottes in der Welt der
ÜB Welt nmfassende Gedanke Gottes, der auf der et*
Ben Seite ewig in Gott und yon Gott nicht verschieb
den ist, anf der andern, um Gott zu offenbaren, Ton
-Gott ausgehen oder gleichsam äu.rserlieh werden murste
{als der scbi^erische, die Vielheit in der Einheit in
aioh begreifende Verstand). Da aber die Natur Gott
mir objeotiv offenbart, so mufste Gott sich selbst uup
«erm Bewufstsein mittheilen, in dem Geist, als dem
^ttlichen Princip der Innern Mittheilung, und uns da-
durch beiUhigen, in seinen Werken den sich in ihnen
abspiegelnden .ewigen Gedanken, und durch diesen die
wahre Idee seines unsichtbaren Wesens zu ftisseo (S.
/OOtf f.). Der Hr. Vf/ bemerkt nun nelbst S. 199, dafs
4i% Offenbarungsdreieittigkeit nur nnter der Voraus-
setzung Gott wahrhaft offenbare, wenn sie mit der
•Wesensdreieinigkdt zusammenstimme, und bestimmt
dieses Verhältnifs S. 206 näher, schliefst aber zuletzt
seine Erörterung mit dem Resultat: die allerdings ei-
sen gewissen nrsäohlicben Zusammenhaog Toransset-
lioiide Analogie des Urbildlichen und Abbildlicfaen (der
'Wesens- und Offenbarungsdreieinigkeit) sei auch die
^kenae jeder theistiseben Speculation über die Trini-
iit, während die pantheistisehe sie sur Identität stei-
f[ere, so dafs-die Zengong des Sohnes und die Schöpfung
^bff«We|t, das Selbstbewnfstsein Gottes und das Got^
tesbewnfstsein der Creatur der Sache nach zusammen*
fallen, und nur begrifflich unterschieden werden. So
soll demnach hier die Grenzlinie zwischen Theismus
und Pantheismus gezogen werden, aber an welchem
schwachen Faden hängt dieser Unterschied nach allem
Vorangehenden ! Besteht das Verhältnifs der Wesens-
102
dreieinigkeit und der Offenbarungsdreieittigkeit in einer
. blofsen Analogie, so folgt hieraus nur, dafs die letz»
tere, gegen die Voraussetzung, nicht ist, was sie ihren,
Bem^iff nach sein soll, Gott also eigentlich nicht geofr
fenbart ist, weil er nicht so geoffenbart ist, wie er ist
(& 203). Wozu also die speculative Er6rtemng, wenn
sie ihrer ganzen Richtung zufolge auf die EinheU hin-
zielt, zuletzt .aber doch in dem Unterschied stehen
Ueibtf Der Hr. Vf. meint zwar, die speculatiire Be»
trachtung habe doch immer den Werth einer Erläute»
rung für das Tollkommnere Verständnifs der kirchli-
chen Lehrbestimmungen. Wie ist aber diefs mdglicht
Kann das an sich Unbegreifliche durch das Begreifli*
che erläutert werden! Eine solche Erläuterung ist ent-
weder, sofern sie auf blofsen Analogien beruht, ohne
wissenschaftlichen Werüi, oder, wenn sie mehr s^n
soll, als eine blofse Analogie^ doch schon ein Begrei-
fen des der Voraussetzung nach an sich Unbegreiflieheiu
Hinweg also von der Speculation zur SchriCb- und
Kirchenlehre! So wendet sich der Hr.. Verf. zu dem
kirchlichen Trinitätsbegriff, als einem rein äufserlich
gegebenen, um ihn mit seinen bekannten Bestinunua-
gen darzulegen und gegen die Einwendungen de Wette's
und Schleiermacher's zu reehtfertigcn. Die Haupteu»-
wendnng Schleiermaober's, dafs man entweder für das
Verhältnifs des Einen göttlichen Wesens und der drei
Personen die Analogie des Verb^knisses des Gattung»*
begriffe und der unter ihm enthaltenen Einzelwesen geiU
ten lassen müsse, oder gar nichts bestimmtes dabei zn
denken im Stande sei,, beantwortet der Hr. Vf.^ so:
tbeils sei man allgemein darüber einverstanden, dafs
das Verhältnifs des Gattungsbegriffs zn den Indiyiduen
zwar eine Analogie darbiete, aber auch nur eine An^^
logie, durch welche die zugleich stattfindende völlige
Verschiedenheit nicht in Scbatten gesteht werden dürfe,
theiis geben die sich auf weitere Erläuterung . einlas
senden Dogmatiker wirklieh noch einen andern Typus
jenes Verhältnisses an die Hand, die Analogie des sich
zum klaren Selbsibewurstsein erhebenden Geistes (S*
232). Hiedurch wird aber die Schleiermaoher'sdie Eiiv
Wendung so wenig widerlegt, dafs sie vielmehr ebeiK
dadurch i)e8tätigt wird. Denn wenn der Hr* V£ üiw
mittelbar darauf sagt, jenes Schwebenbleiben zwischen
Einheit und Dreiheit sei nichts so Bedenkliches, dafs
es um jed^n Preis beseitigt werden müfste, vielmehr
werde die geforderte Gleichstellung der Einheit und
< /
Tweiten , Forlemngen üAet die Dogmatik. Bd. IL Aithä L
/"*
107'
darstellt, so wifd doch dadurch die Ünaioglicbk^t nicht
auftfehoben, zu jener altern Form schlechthin zurück-
zukehren, sondern es ergiebt sich hieraus nur die Noth-
wendigkeit, Ton M^unent ^u Momept fortzuschreiten,
um in. einer immer adäquateren Form den von deinen
Momenten zu unterscheidenden wesentlichen Begriff des
Dogma's selbst zu ermitteln. Wer aber mit seinem
Bemühen, eine für das Selbstbewufstsein der Zeit er-
starrte Form als die schlechthin geltende festzuhalten,
s^ne Stellung aufserhalb der Bewegung der Zeit
nhnmt, kann sehr natürlich das Unbehagliche seinet
isoltrten Stellung weder sich noch andern verbergen.
Dieselbe Betrachtung dringt sich uns bei der
schliefslichen Beurtheilung auf, welche der Hr. Verf.
S. 360 f. auf seine Darstellung der Engellehre (S*
305—360) folgen läfst. Soll die Lehre von den Ea-^
geln und vom Teufel in derselben Form und Bedeu-
tung, die sie in der alten Dogmatik hatte, ihre Stelle
in der jetzigen Dogmatik finden, so mufs mit der alten
Dogmatik auch die alte Kritik und Exegese beibehal-
ten werden. Wie ist aber diefs möglich ? Wo giebt
es emen Theologen^ welcher über Kritik und Exegese
dieselben Grmidsätze und Ansichten hätte^ welche die
^Intheriscben Dogmatiker des sechzehnten und sieb-
zehnten Jahrhunderts hatten! Man sehe alle kriti-
schen und exegetischen Schriften 4er neuern Zeit
nach und überzeuge sieb, welche durchgreifende Ver-
schiedenheit hierin selbst auch bei denjenigen stattfin-
det, welche sonst nur die Vertheidiger des alten Stand-
punkts sein wollen. Unstreitig kann doch die alte
Dogmatik nur auf der Grundlage, der Voraussetzungen
beruhen, die die wesentliche Bedingung des dogmati-
schen Bewufstseins jener Zeit waren, ohne sie aber
schwebt sie in der Luft. Es Ykht sich daher ^selbst
bei dem Hrn. Verf;, wenn er auf der einen Seite ditee
. Lehren im Sinne des . alten Systems geltend macht^
und auf der andern doch keine wesentlichen Momente
des religiösen Bewufstseins in^ ihnen erkennen kann^
kaum verkennen, däfs ihm doch der rechte Glaube ah
sie fehlt, nCie z. B. wenn er. 6. '379 von delr Lehre
vom Teufel sagt: „Ich wüfste es nicht zu mifsbilligen,
wenn bei dem Anstofs^ den gegenwärtig viele^ auch
unter fromm und gläubig gesinnten Christen an der-
selben nehmen, jemand es vorz(rge, sie zu meiden, als
den Zweck der chrtstlichen Erbauung in Gefahr zu
setzen^ ohne ein^ mit dem zu besorgenden Verlust im
UM
Verhältnifs st^enden Gewinn." Welcher alte Dogn»
tiker würde sich über die Ldire vom Teufel diefs ta
sagen^ erlaubt haben f Zwar will sie der . Hr. Verf.,
wie er noch hinzusetzt, nur so weit meiden lassen, io>
^eit es, ohne der Schrift etwas lu vergeben, gesdni
hen kann, was soU aber hiemit gesagt sein? Wird d«
, heiligen Schrift nicht schon dadurch etwas vergebo^
dafs man von einer in ihr enthaltenen Lehre einen soL
eben Anstofs und eine solche Gefahr befürchtet! Bi
gibt demnach hier keinen Mittelweg. Wer die alh
•Kirchenlehre will, mufs sich auch unbedingt zu da
alten Vorstellungen von der heiligen Schrift, die.»
zu ihrer Voraussetzung hat, bekennen. Ist doch Sek«
die von dem Hm. Vf. • gemachte Trennung der 0og>
matik von der biblischen Theologie, und ctie Ansichl^
die dabei zu Grunde liegt, 'den Grundsätzen der evw
gelischen Kirche nicht gemäfs. Soll die alte Kirch€8><
lehre auch femer in ihrer alten Bedeutung fortbest»]
hen, so mufs sie auch in jeder dogmatischen Darstili
luüg aufs neue aus der Sdirift reconstrairt werdeai
Eine Entwicklung der Kirchenlehre aus sich selbst md^
aus dem Inhalt und Zusammenhang des ohristhcbci
Bewufstseins ist eine Lostrennung derselben von ihrea
lebendigen Grunde, der Schrift, die die alten Dogm»-
tiker der lutherischen Kirche nimmermehr hätten zufiK
hen können, und zwar mit allem Recht, da das dkn
Icircblicbe System ohne vseine stete und dttrchgftogigl«
Beziehung ztir Schrift den Charakter einer traditimMl'i
len Auctorität erhält. <
D. Baur^ in Tübingen.
VI.
Gedichte i)on Eduard Moerihe. Stuttgardu»
Tübingeny 183S. Verlag der Cotta* sehen Budt
handhng.
Es sei uns erlaubt, unseren Standpunkt in der bAf
jectiven Werkstätte der Poesie, dem dichterischeaB^
wufstsejn, zu nehmen, natürlich in dem umfasseitdereft
Sinne, wonach das subjective Bewufstseiq des Eiiofl^
neu durch sein Zeitalter und. seine Nationalität be-
dingt ist. ' . ,
Dafs die dichterische Production, iin Gegensktsl
gegen jede andere, ihrer Natur nach unmittelbar ^
Entdeckung des Wahren , F5rderang des Guten tnri
Zweckmäfsigen gehende, Thätigkeit des Geistes, itp*
• ♦
( ^
?.
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I
w
J a h r b ü eil e r
f»» ' ' »
i s s e n s c h a f 1 1 i ch e Kri
Juli 1839.
Vorlesungen über die Dogmattk der evangelisch^
lutherischen Kirche y nach dem Compendium
des Hm. Dr. W. M. L. de Wette^ tan Dr.
' Aug. Detli Chr. Twesten.
(Schlufa.)
Die AntwQrt IsXy wie iin Wesentlichen schon .obea ;
Wenn die Kirchenlehte zur Abwehrung des Irrthums und
Feststeilpng der Wahrfaeitgewisse Begriffe und Lehrsätze
mdtbig'finde^ so werde mau das Resultat solcher Ueberzeur
jgailgeu und Bemühungen^ wenn auch an eine mcbt
durch die Schrift gegebene Terminologie geknüpft, der
Bibellehre doch- nicht entgegensetzen können (wie
wenn die orthodoxe Theologie noch nie etwas Schriftr
widriges behauptet h&tte!), es sei eben die wissen-
sobaftUch beleuchtete und bestimmte Bibellehre selbst^ '
eia Regulativ und Correctiy gegen unhaltbare und iiu
rige Vorstellungen, Zugleich sucht nun auch der Hn^
Verf. der Ausbildung df;r Trinitätslehre auf historisch
genetischem Wege nachzugehen, um zu zeigen, daCs
die Gegensätze und Stireitpunkte,'* die nach einander
sur Sprache kommen und in Frage gestellt werden
mufsten, nach den Ergebnissen einer durch ein leben-
diges christliches B^wufstsein geleiteten Schriftausle-
-^ng nicfat anders entschieden werden, mitbin auch
da& Dogma- keine - andere ,Gestalt annehmen konnte,
ab geschehen ist« Fär diesen Zweck erinnert er an
die allgememen Umrisse der Geschichte des Dogma's
in der alten Zeit, uipd macht in Ansehung der Reform»
natoren geltend, ' dafs sie nur ' in der Ueberzeugung,
man könne auf dem Ton der h. Schrift vo|^gezeichiie*
teo Wege zn keinem andern als dem von der Kirche
schon gefundenen Resultate kommen, diese Lehre bei«
behalten .baben. Noch einige andere, kein weiteres In-
teresse gewährende Bemerkupgen über die Frage« wo-
Mier die Widersprüche, die in neuem Zeiten fast ge-
gen kein Dogma so laut als gegen diese» erhoben
Jahrh. /. wiiunich. Kriäk. J. 1839. II. Bd.
worden seien ?^ und über das Crtheil de Wette's, dafs .
diese Lehre mit vollkommenem Recht zu antiquiren
sei, schliefst diese Scblufsbetrachfung, die im Gan*
zen einen sehr unbefriedigenden Eindruck suruckläfst.
Wollte der Hr. Yerf, der gescl^ichtlichen Entwicklung
des Dogma's nachgeben, um in der Geschichte des
Dogma's die Bewegung seipes Begriffs zu erkennen)
80 ist.es sehr einseitig, auf halbem Wege stehen zu ,
bleiben, und dem Dogma nur bis zu dem Zeitpunkt zu
folgen, in welchem es die •yoUständige Ausbildung sei* .
ner kirohlicben Form erreichtet Ni^r von jenem ba-
schränkten unevangelischen Gesichtspunkt aus, tou
welchem aus man die absolute Wahrheit nur in der
kirchlichen Lehre, und aufser derselben nur Irrthum
und Lüge sehen wHl, könnte man es wagen, die Eni-
wicklungsgescbichte des Dogma's. schlechthin di^rch
die Sphäre seiner kirchliohen Form . zu begrenzen, wäh-
rend doch die objektive gesobichtliche Betrachtung
eben so gut auch in' dem, wenigstens ^it der Refor-
mation, so lebhaft und Ton so vielen Seiten gegen die
kirchlicbe Lehre erhobenen Widerspruch , und in der
so weif yerbreiteten Gleichgültigkeit, die in der Folge
in der evangelischen Kirche selbst gegen ^ sie entstand
und ihren tieferen Grund in dem ganzen Geiste der .
Zeit und in dem erwachten kritischen Bestreben, auf
die letzten Gründe der dogmatischen Ueberzeugung zu-
rückzugehen,' hatte, wesentliche Momente derEntivick-
iung des Dogma's anerkennen mv^fs. Alle iKese Er-
scheinungen zusammen beweisen klar genug, dara äas
Dogma selbst eine wesentlich andere Stellung zum
Bewufstseiq der Zeit erhalten bat, eine solche, durch
welche die ältere kirchliche Form des Dogma's^ statt
fik die allein wahre gelten zu können, auf die Stufe
eines blofsen Bntwicklungsmoments herabgesetzt ist
Und wenn nun auch die der objektiven Seite des Dog-
ma's als ihre Negation sich gegepüberstellende subjek-
tive gleichfalls nur als ein einseitiges Moment sich
14
107
TwMten y Forletungen über die Dogmatik. Bd. TT. Abtk^ T,
108
darstellt, «o wifd doch dadurch die [Jnnoglicbk^t: nicht
auf«;ehobeDy zu jener altern Form ecblechthin zurück-
zukehren, sondern es ergiebt sich hieraus nur die Noth*-.
wendigkeit, yon Moment zu Momept fortzuscfareiteD,
nm in. einer irottier adäquateren Form den Ton deinen
Momenten zu unterscheidenden wesentlichen Begriff des
Dogma's selbst zu ermitteln. Wer aber mit seinem
Bemühen3 eine fiir das Selbstbewufstsein der Zeit er-
starrte Form als die schlechthin geltende festzuhalteUi
seine Stellung aufserhalb der Bewegung der Zeit
Terb&Itnirs stehenden Gewinn.'' Welohw alte Dogma»
tiker würde sich über die Lidire vom Tea£ei diefs za
sagen^ erlaubt haben f Zwar will sie der . Hr. Verf.^
wie er noch hinzusetzt, nur so weit meiden lassen, so»
weit es, ohne . der Schrift etwas zu vergeben, gesehe»
hen kann, was soll aber hiemit gesagt sein? Wird der
heiligen Schrift nicht schon dadurch etwas Tergebeiiy
dafs man von einer in ihr enthaltenen Lehre eben sol*
eben Anstofs und eine solche Gefahr befurchtet f Es
gibt demnach hier keinen Mittelweg. Wer die altet
nhnmt, kanji sehr natürlich das Unbehagliche seinet Kirchenlehre will, mufs sich audi unbedingt zu dea
t «
isoirrten Stellnng weder sich noch andern verbergen.
Dieselbe Betrachtung ' dringt sich uns bei der
schlieifslichen Beurtheilung auf, welche der Hr. Verf.
S. 360 f. auf seine Darstellung der En^^ellehre (S.
305—360) folgen läfst. Soll die Lehre von 'den En-
geln und vom Teufel in derselben Form und Bedeu-
tung, die sie in der alten Dogmatik hatte, ihre Stelle
m der jetzigen Dogmatik finden, so mufs mit der alten
Dogmatik auch die alte Kritik und Exegese beibehal-
ten werden. Wie ist aber diefs möglich ? Wo giebt
es einen Theologen, welcher über Kritik und Exegese
dieselben Grmdsätze und Ansichten hätte, welche die
^fntheriscben Dogmatiker des sechzehnten und sieb-
zehnten Jahrhunderts hatten? -Man sehe alle kriti-
sehen nnd exegetischen Schriften dier neuern Zeit
nach und itberzeuge sieb, welche durchgreifende Ver-
schiedenheit hierin selbst auch bei denjenigen stattfi9-
det, welche sonst nur die Vertheidiger des alten Stand-
punkts sein wollen. Unstreitig kann doch die alte
Dogmatik nur auf der Grundlage. Aet Yoranssetzungen
beruhen, die die wesentliche Bedingung des dogmati-
schen Bewufstseins jener Zeit waren , ohne sie aber
schwebt sie in der Luft. Es I&fst sich daher 'selbst
bei dem Hrn. Verf;, wenn er auf der einen Seite diöse
. Lehren im Sinne des . aken Systems geltend macht,
nnd auf der andern doch keine wesentlichen Momente
des religiösen Bewofstseins in^ ihnen erkennen kann,
kanm verkennen, däfo ihm doch der rechte Glaube afa
sie fehlt, itie z. B. wenn er.S. 379 von de^ Lehre
vom Teufel sagt: „Ich wüfste es nicht zu mifsbilligen,
'wenn bei dem Anstofs, den gegenwärtig viele, auch
unter fromm und gläubig gesinnten Christen an - der-
selben nehmen, jemand es vorz6*]^e, sie zu meiden, als
den Zweck der christlichen Erbauung in Gefahr zu
setzen, ohne einen mit dem zu beiiorgenden Verlust im
alten Vorstellungen von der heiligen Schrift, die sie
zu ihrer Voraussetzung hat, bekennen. Ist doch schoa
die von dem Hrn. Vf. • geraachte Trennung der l5og*
matik von der biblischen Theologie, und ilie Ansicht^
die dabei zu Grunde liegt,' den Grundsätzen der evan-
gelischen Kirche nicht gemäfs. Soll die alte Kirchen-
lehre auch ferner in ihrer alten Bedeutung fortbeste-
hen, so mufs sie auch in jeder dogmatischen Darstet
luüg aufs neue aus der Sdirift reconstruirt werden^
Eine Entwicklung der Kirchenlehre aus sich selbst und
aus dem Inhalt und Zusammenhang des ohristlichen
Bewufstseins ist eine Lostrennung derselben von ihrem
lebendigen Grunde, der Schrift, die die alten Dogma-
tiker der lutherischen Kirche nimmermehr hättoi zug»»
ben können, und zwar mit allem Recht, da das altä
Icirchliche System ohne vseine stete und durchgängige
Beziehung ztir Schrift den Charakter einer traditionel-
len Auctorität erhält.
D. Baur^ in TQbingen«
VI.
Gedichte €on Eduard Moertle. Stuttgard tf.
Tübingen, 1838. Verlag der Cotta' sehen Buchr
handlung.
Es sei uns erlaubt, unseren Standpunkt in der snb-
jectiven Werkstätte der Poßsie, dem dichterischen. Be-
wufstsein, zu nehmen, natürlich in dem umfassenderen
Sinne, wonach das subjective Bewufstseia des EinzeK
neu durch sein Zeitalter und. seine Nationalität be-
dingt ist " , ,
Pafs die dichterische Production, im Gegens^tzle
gegen Jede andere, ihrer Natur nach unmittelbar auf
Entdeckung des Wahren, Förderung des Guten und
Zweckmäfsigen gehende, Thätigkeit des Geistes, ii|i.
IM ; . E. Moerike,
in BlemeDte der NiUTetttt vurteln mSobte, hi
aaerkaante Wafarheifr$ data die Naivetttt im. AlU
lenieineB ein Zustand relativer BlswiifatloBigkeit eel^
w&TWk das nrte Seelchen ^kmtaste vcr der alten
Sohwiegemratter Weisheit sieh einhüllt, veifs man
»benCslls. Sdiwi erig wird die Untersilehuog erst, wenn'
lie Qreme bestimmt werden soll, innerhalb welcher
Aaa Bewttfstsein von sieb, seinem Gegenstand und sei-
ner Thfttigkeit, das natörlichy wo überiiaopt Geist ist,
uemals fehlt, also aneh dem Dichter nicht , abgehen
ksuin^. auch bei ihm in Terschiedenen Graden auf und
Bifklergehen kdnne, dme in diejenige !Be wnfstheit ober- ,
ngebmi, welche die Naiyetät lerstdrt nnd die Poesie '
ha Jf^osa anflSet. Die Dichter des Mittelalters sind
Im Gegeosati gegen die modernen als naiy zn .bexeich-
ften, aber anch ihre Poesie scheidet sich in eine be-,
mftfste nnd unbewufste, eine Naturpoesie nnd eine
Kustpol^sie, eine volkstbümlicfae und eine höfisobrit-
terliche. Umgekehrt innerhalb der modernen Poesie,
lie im Gegensatz gegen die mittelalterliche als «ine
be^mibte an bezeichnen ist, kehrt der Gegensatz des
^^aiven nnd Bewufsten wieder picht blos zwischen ver«
iobiedenen Ständen (das Volkslied und die Nätnrpoe*
lie einzelner Autodidakten kann als Nachklang des
Ifittd^lters angesehen werden), zwischen yerschiedo-
nem IndiTiduen : innerhidb der gebildeten Stände, son*
l^m anch zwischen den verschiedenen Entwicklnngs*
glpoehen- einzelner Individuen. Goethes Jogendpoesie
irar ein Naturqaell, der gewaltsam mit urkräftiger P|ri-
iebe hervorsprudelte, dagegen die Producte seines rei-
fba Mannesalters: mit wie viel Bewurstsein über das
pig^ene Thun, mit weicher Helle der Besonnenheit sind
ne künstlerisch gebildet, und welche krjstallisehe
PDrcfaBichtigkeit haben sie dadurch gewonnen I Es fällt
mit diesem Unterschiede der Lebeosalter ein Unter-
geliied der Gattungen häufig zusammen: die naiv ju-
■endliche Periode' ist eine lyrische^ der besonnene Mann
whebt sieb in die ob|ectiven Gebiete der epischen und
Irctmatischen Poesie, hört aber darum nicht auf, Ly-
liker m sein, und indem die lyrischen Gebilde der rei-
fevM Mannes-Periode ; an diesem Lichte geläuterten
Belbstbewufstseins, vielseitiger Reflexion und mannig-
fach verscbloDgenen Bildungs-Momente Theil nehmen,
ao kehrt aufs Neue auch mnerhalb derX»jrik des ein-
SKeliiea Dichters jener Gegensatz zurück. Auf unseren
grofsen Diditem, Goethe und Schiller, ist. das Gcöbte
O edle Ate. 110
dies , dafs sie haarscharf auf der Linie , weidle die,
innerhalb der Poesie mögliche, und jüti prosaische Be-
wnfstheit scheidet, mit sicherem Schritte hinwandeln;
Aber nur in der Pulle d^r Mannski^aft; wicdie Locken
ergrauen, geht auch Goethes Poesie unaufhaltsam in
die Prosa, die didaktische Breite, die behagliche Con-
templation über, während bei Schiller freilich auch auf
der Sonnenhöhe seiner Poesie Nebelflecken der prosai«
sdien Reflexion sich zeigen, und mitten im siegreichen
Kampfe gegen diese ihm wohl bekannten Mängel der
Tod ihn abrief*
• - Die romantische Schule vfd^r ein neuer V^rsuch^
den Boden der' Poesie dem Elemente der Naivetät zu-
rfickzogeben« Da das Studium der AHen und der kri*
tische Geist des Protestantiämns vorzüglich es waren,
welche die neue Po^isie in jene Klarheit des Bewufi^t-
seins, aber auch nahe an die Schwelle der prosaischen
Besonnenheit geführt hatten^ so wurde pun das Mittet
alter heraufbeschworen, das Volkslied, das Volksbuch
zum Loosungswort gemacht. Wenn so das subjective ,
Verhalten des Dichters zu seinem Stofi^e ganz zur Nai-
vetät jener alten guten Zeit zurückkehren sollte, s^
wutde an die objectiyen Gebilde der Phantasie eine
entsprecihende Forderung gestellt: die Weif, welche
dfer Dichter darstellt, sollte, wie die Ansehauungsweise,
des Mittelalters' es meinte, nicht die Wirklichkeit mit
ihrem verständigen Nexus darstellen, die Charaktere
sollten nicht von einfach menschHchen Motiven zu ei- •
nem klaren und consequenten Handeln bestimmt er-
scheinen; die Natur sollte als Schauplatz von Wun-
dem kaleidoskopisch ihre Gestalten wechseln, die Cha-
raktere in geheimnifsvoUem Helldunkel zwischen un-
endliphen^ unsagbaren Gefühlen und illusorischen WiK
Jens-Erregungen schwanken: kurz die Welt sollte eine
phantastische, abentheuerGche und mährchenhafte sein',
die Phantasie sollte im Mondlichte mit Feen spielen,
mit Nixen in Wellen plätschern,, mit Salamandern ia
zackigen Flammeta flackern, sie sollte traumartig wir-
ken; man nahm es mit dem Ausdrueke, dafs der Dich-
ter in einer Art von Wahnsinn schaffe-, sehr ernstltck.
Es war aber nicht ein natürliches, sondern ein gemacb-
tes, ein künstliches wiederbelebtes Mittelalter, es war
Theorie und Grundsatz, so zu dichten, von der Phi-
losophie der Zeit vielfach bestimmt, es war eine Spie-
gdung einer längst verschwundenen Zeit in einem ihr
entwachsenen Bewufstsein, es war Manieirf daher ea
IM» fiitMsbajr ein* WMerepm^ iiit> ^em gerade dia
RomaBtik^r ,da« berfiebtigte, zu yvA Tersohrieene Vx\fh
sip, i«r JrooyM! aa&teUtea. Ind^sseji konnte es nidit
ÜBhleti» dab &ebt poetische Nfitoren, imZonie Ober dve
ProM, die selbst iräbvend der Ql^naiperiade ^eues Poäi-
sie fortfuhr breite Bcttt^lsoppen sa kooheo npd fottfab*
rep wird> so lange die Welt steht) im Zorne daiy
Aber iind im Gefühle der ewigen {leehtes, daö sieh di^
NiUTelilt im (rebiete der Poesie TorbdhUlt, dieser
Schefe sich «Bsohiossun, die jfi ofanediefsin der Jugendr
liehen Lyrik Goethes, ip manoher seiner schönsten Ro-
inaoseli oqd Balladen einen grofseo Verfechter hatte.
Je gesüader difse Naturen, dedto weqi^er konnten sii^
jMch in der Einseitigkeit^ der Schule abschliefsen, de*
ato gewisser nahm, ihre Phantasie im Fortgänge ibr^r
LftnteroDg auch .das Element höherer Bes<«ii^Mheit^
plastiikaher Klarheit in sich auf* Tieok selbst fand^
den Uebergang in diePo^Me gesunder, uatmrgemärser,
darum aber nicht gemeiner Wirkliobkeit in seinen Nor
Teilen, ühlands Muse beschränkte sich nicht auf die
nordische Nebelwelt, soddem schwang sich, wenn sii&
auch ihre Gegenstände aus, dem Mittelaltw ai neh*
m^n immer liebte, doch durch de» Geist ihrer Auffia^
sang und Oarstellui^ in hellere Zonen, wo vom
klaren Himmel edle, reia meesohliebe Gestalten i«
gediegener Rnndtang und soharfea Umrissen sich ab-
heben.
WlÜbrend tiuii diese Schule ihrem Ablebeih sieh
* Dahlie, veränderte sieb, mehr und m^hr die Ph jsi^
!§nomie der Zeit. ]>ie Revolution, der Liberalismus^
die Technik, die matenellen Tendenzen, die Cultur,
die Alles beleckt, di^ Philosophie, ^ie den letzten Rest
des Unmittelbaren in die Verunttlung' des Denkens he^-
einsuaiehen systematisch fort&hr, der Geschäftsdrang,
der uns von Morgea bis Abend an den Arbeitsstuhl
fefselt und der sehnten Muse, der langen Weile, ihr
bischen i^ebensluft vollends su erdrftck^n droht: Alles
diefs v^schwpr sich gegen die poetische Stimmung und
«teilte vot die letate Wiese, auf der ein Dichter schleae
derii mochte, den Schlagbaam der Sorge« Die Dialefe-
' tlk Sf griff nun auch das sittlidi sociale Leben und tüt-
telte mit kfitiscben Zweifeln an seinen bemoosten^ up-
Q 0 di &h t,€. ^ 119
fdteii Grundpfoilem« Die Mensehheit iel onvefw^it*
lieh gesund) sie wird audi ans diesen Wiivea verjiiflit
anfsteben ; über der Peösie könnte man tintw diessa
Umständen wenigstens Dir die nächste Folgeneit keise
heilere, Zukunft pr^pheseien. Andere Thätigkeiten de«
Geistes, die Ueberlistnng der Materie im tieiUete ds«
ZweckmäTsii^en, die Wisaenaefaafk werden - dia erstell
Heilkräfte ans diesem Bade sieben ^ die üblen Felgso
{Br die Poäsie zeigten sich bald. Man verlor dm Stand-
pnnktj aus welchem allwL ein Diohter tn benvthettiii
ist, man rief ihn an: halt! nicht so schnell! dif mafrt
dich erst nusweissn, ob du auch die Frligw d^ Ge^
genwart, die groben specieUen Probleme in deia Gs^
dicht aufgenouuiien hast ! Nun soll sich freilich dia
Bcasf des Dichters niemals der Gegenwart nnd ihfer
bewegenden Ideen verscbliefsen, aber es fragt sieb, ob
diese Ideen reif sind zur poetischen Gentalteng, und
danun kümmerte man sich nidit, man .übersah, • dsfi
es sich nicht darum handelt, e£ der Dichter die'Zsit'
fragen, sondeirn ttiey oIk er sie auf po€tisohe Wei«
in sein Werk aufgenommen, ob er aie in aathetisolita
Körper gewandelt hat. Prodncte, denen man die ü^
daktische Tendenz^ die Absieht ^ modern' zu sein, sa
' der Stime ansah, wurden um des blofsen Stoffes vil»
.kn als Gedichte gerühmt. Ein Lyriker^ dessen pro-
duktive Jugend noch in die letzten Tage der Roms»
tik fiel, versetzte dieses Element mit den giftigen Stof*
fea einer Ironie, welche von der modem^n Slimmssg
die negative Seite ohne das Gegengift in sieh anfge-
nomiiien hatte, trat als letzter Ausläolurs nlii irrento.
Streiflicht dieser poätiscben Abendrothe hervor: JEfeiM
Er ist die giftig gewordene Romantik, der £an6ge Gib>
mngspreaefs, der ihre Auflösung in ein Afterbild der
moderneu Freiheit des Selbstbewnfstseins darsteiHp
aber indem et auch in diesem Thun genial blieb, iv
glänzenden, bunten Farben schillert und noch auf ei-
nen-Augenbli«^ dm Gegensatz der vNaivetftt nnd eiser
sich selbst überspringenden, pei^den liewniUhdlt sQ
eiqer im Entstehen verschwindenden Embeit zasaia'
menbindet. In Heine steUt sieh eigMilich erst dffili^
nige dar, was Hegel unter Ironie verstdit nnd so eifrif
hei jeder Gelegenheit vorfolgt.
(Dis FortsetsttBg folgt)
J a h r b ii ehe r
- ^ u r , ...
wls s e ü s c h ijt f t liehe
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K T 1 1 i k.
«ifaMMM
Juli 1S39.
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^G^dwit§ Mit. Eduard Maerii e.
' (Fortsetzung.)
Seither snoben ivir eioe neue Poesie und habeii
,8Je noch nicht gefunden, T^erden.sie vielleicht erat in
spater Zukunft finden? In der Hast, Yervirrung und
Unmufse dieses Suchens uiufs sich der Freund der Po6*
sie nach einer Labung sehnen. Wo sprudelt sie denn
. noch, die klare Wald quelle mit ihren frischen Wassern 1
Wq duftet die reine Erdbeere in kühlen, unbetretenen
QrUnden, auf der noch der Duft der Naivetät liegt t.
GewUs, hier, in diesen Gedichten sprudelt der frische
.'ClueU, duftet die kühle Frucht ! Unbekannt der Welt,
in ländlicbec Stille den Pfaden der Phantasie nachge-
.liead schüttet uns hier ein reicher Genius den vollen
S^en aus*
Wenn ich hier nun vor Allem sage, dafs es ein naiver
Dichter ist, welchen einzuführen ich unternehme, so
habe ich nicht vergessen, dafs in dem Sinne^ wie der
Dichter des Mittelalters, iTein moderner naiv sein kann
mid soll Auch ist gar nicht die Rede von einem so-
.^eiiannten Naturdichter, sondern von einem Manne^
]deT anf reichen Bildungswegen die Schätze des Alter-
thums, die Kämpfe des ringenden Bewufstseins in Le-
ben und vVisseoschaft nicht von sich abgewiesen, abeir
^aucb nur so daran Theil genommen hat, wie die Bie-
ne^ diß über Blumen und Disteln hinfliegt, den Honig
..daraus iu saugen. Er tritt hier als Lyriker vor uns^
.aber es ist« wie schon oben bemerkt, nicht sein er-
.ste;: Besuch, ejr gab der Literatur vor sechs Jahren
s^Jion einen Romaq, der in unverdientem Dunkel blieb.
i}ßüh sind es die ElrstUpge seiner Mute, zum Theil
schon in jenes epische Werk ei^geflochten, die er mit
jwenigen finsteren Geschenken des Genius in einen
Strauls gebunden uns hier reicht. Die Mehrzahl die-
ser Lieder nun ist als naiv in dem Sinne zu bezeicb-
neu, dafs sie in der Stimmung des Volkslieds enipfan-
Jahrb. /. tpU$enieh. Kriäk. /. 1830. II. Bd.
gen sind 3 mw sieht ihnen an, daft sie gelungen jmit
wie der Vogel singt^ der auf dem Xw,eige iijt^^et, durch-
aus geworden^) nicht gemacht, im Ausdruck schlicht;
wie das Volkslied Jansen sie sich nicht lesen, ohne, sie
innerlich oder laut in die Lüfte zu singen ; dip Empfin-
dung ist ganz in deir Gestalt. ansgesprocheUi wie sie
in dem einfältigen Geinuthe des Volke^ unverniisc^t
und unrefiectirt waltet* Haben wir -^ . da die mittelal-
terlich naive Gestalt des Bewufstseins ein integriren-
des Moment des. Romantischen ist — diese. Naivetät
als romantisch zu bezeichnen, so ist in jdiesem Zpi-
sammenhange sogleieh ein wesentlicher weiterer Cha-
rakterzug dieser Gedichte hervorzuheben: Mörike liebt
da^ Wundert^are^ das Geister- und Mährebenhafte, kurz
das Phantastische in einem Grade, in welchem nur die
norddeutschen Romantiker, aus der schwäbischen Gxup-
pe blos Just. Kerner es zum herrschendeju Geiste ihrer
Poesie erheben, während Uhland und Schwab lieber mit
den markigen Gestalten' und Handlungen gediegener
Charaktere verkehren^ und das Wunder, wo sie es
aufnehmen, häufig aus der Objectivität heraus als blos
inneres Phänomen in's Bewufstsein hineinrückra« v^ie
z. B. Uhland in seinem trefl^lichen pyDet Waller*', Eine
strenge ästhetische Gesetzgebung ifird nun allerdings
behaupten, dafs das moderne Ideal^ wie es diMrch Ver-
schmelzung des romantischen Gehalts mit der ^härfe
der klassischen Form nnsere grofsen Dichter Goethe
und Schiller hingestellt haben, Ein für a)l^mal nicht
eine phantastisch-taumelnde, sondern eine Welt natur-
gemäfser und innerhalb der Bedingungen des Naturge-'
mäfsen zum. Ideale gereinigter Wirklichkeit in An-
spruch nehme, dafs ebendaher die Romantik^ sofern
sie Poesie des Phantastischen ist, zu den ausgelebteUi
Gestalten des Bewufstseins zurückzulegen sei. Was
ferner die Gesittung und das geistige Verbalten über-
haupt betrifft, worin die Poesie als dem Schauplatze
ihrer Darstellung sich bewegt, so wird verlangt wer-
15
115 E. M9€rihpy
den, d«ffl «0 die Kftmpfe des modene n Vewobtseme,
die Wirren des- fansendfaoh gebrochenen i^nd «eflectir«
' ten geiBtigen Lioiitet) das Skeptische und Ironische m
«olenr Zuständen . keiileswegs abweisen itnd dagegen
«die- retsclnniadene altdentsobe Einfalt als das Höch-
ste setzen dürfe. Ich antworte; der wahre Dichter un-
serer neunten Zeit wird in jenen Gebieten des Unbe-
stimmten, Traumartigen und der glücklichen Blindheit
eines unkritischen Bewufstseins freilich nicht seine
bleibende und einzige Wohnstätte aufschlagen, diese
Klänge werden nur unter anderen auch bei ihm Tor-
komroen; aber sie werden, wenn wir ihm das speci-
fisch-Poetiscbe in ungemischter Aechtheit sollen zuer-
kennen dürfen. Es ist nicht die höchste und reinste
Gestalt der Phantasie, wo sie traumartig phantastisch
wirkt, aber wer eine reiche Phantasie hat, der wird
ihr neben der höheren und rein idealen Thätigkeit
gerne auch diese Spiele gönnen, wie Raphael, der-
selbe, der die Sixtinische Madonna malte, mit grofser
Vorliebe die Arabesken im Vatikan ausführte. Er wird
dazu lun so mehr berechtigt sein, weil die Poesie dem
platten Verstände, der von ihr nur eine Kopie der
Dinge in ihrer gemeinen Deutlichkeit erwartet, Ton
Zeit zu Zeit in phantastischer Gestalt entgegentreten
und ihm ihr zauberisches Traumgesicht zeigen mufs,
anf dafs sein Herz erschrecke und er sehe, dafs er
sich getäuscht habe, wenn er in der Einfachheit und'
Klarheit des poetischen Ideals Zugeständnisse für seine
prosaische üVelfansicht zu finden glaubte, dafs der poe-
tische Genius die Dinge nicht läfst, wie sie sind, sondern
auf einen neuen, geistigen Boden versetzt upd umge-
staltet. Ebenso, was die Gestalt des vom Dichter
dargestellten Bewufstseins betrifft, ist die schlichte Un-
b^wufstheit des Volkslieds, seine, wortarme Innigkeit
allerdings nicht die Gesittung und Stimmung, auf wel-
che ein modemer Dichter die Poesie kann beschrän-
ken wollen; aber wenn er sich diejenige NaiVetät, wel-*
ehe hei allem übi^igen Unterschiede in den Graden der
ReBexion des Bewufstseins auf sich selbst ein spezifisches
Merkmal der Poesie aller Zeiten bleiben mufs, rein bewahrt
hat, so wird er diefs unter Anderem immer auch dadurch
beweise;!^ dals er naive Lieder im engeren Sinne der
volksthümlichen Naivetät dichtet. Es ist nicht die ein-
zige, aber es ist eine Probe des IXchters, dafs er auch
in dieser Region sich unbefangen bewege, und ich g^
'stehe: wenn man mich fragt, ob derjenige Grad von
Oediehte. ' 116
ReflsKioa und Bewufstheit, den die Gedichte Riiokefla
an der Stirn trageh, nicht über die Grenze der äohteki
Poesie hinausgehe, so suche ich bei ihm eift Med, «Ca
reines lied im Tone der Naivetät, der Tolksthämiichea
Stimmung) ich suche und: finde, dafs« er, wo er lukw
sein will, sich immer nicht enthalten kann, witzig in
sein, und nun zweifle ich, bei aller übrigen gereohtea
Bewunderung seiner Kunst, ob wir ihn unter die Dieh-
iet zählen dürfen, bei denen das specifiscfa* Poetische
rein und nnvermischt wirkt. Gehe ich aber an IThlmdi
Haus vorüber, sehe ich eine IVoppe von Handwerks-
nurschen Arm in Arm vorüberziehen, und höre sie mit
dem Aasdruck der innigsten ISmpfindung singen: „Ich
hatf ' einen Kameraden" u. s« w., unbewufst, wer der
Verfasser sei, nicht ahnend, dafs er ihnen ans dem
Fenster zuhdrt, dann weifs ich gewifs, dafs Dhland ein
ächter Dichter ist.
Wir haben aber erst die eine Seite' unseres Dich-
ters in's Au^e gefafst, die naive. Der. Bruch mit der
Naivität hat seiniDn Ursprung in einem Bruche des
Geistes mit der Natur und Unmittelbarkeit überhaupt.
Die zwei Flüsse, Natur und Geist, gingen im Altet^
thum vereinigt in Einer Strömung, das Christenthom
rifs sie auseinander, um sie hoher zu versöhnen. Wir
schiffen auf dem einen und blicken sehnsüchtig nach
den Ufern des andern hinüber — was Schiller senti-
mental nenht. Ruht der naive Volksdichter noch halb
unbewufst in der Substanz, so blickt der sentimental«
mit wehmüthigem Auge nach ihr, von der er sich ge-
trennt weifs, hinüber, wie nach dem ycrloreneu Glädce
der Kindheit. B/si diesem Gefühle des Gegensatzes
darf es nicht bleiben, diefs wäre die falsche, die
schwächliche Sentimentalität. Er wird die Natur wie*
«
der zu sich herüberziehen, an seiner Brust erwärmem,
und sie wird wie Pygmalions Statue vom leblosen G^
stelle steigen. Ist es überhaupt Aufgabe des ästbeti*
sehen Ideals, dafs es Personbildend sei (man gestatte
mir Schleiermachers genialen Ausdruck), so wird nun
der Dichter stets die vor dem Verstände und jeder
prosaischen Betrachtung getrennten Hälften der Welt,
Subjec^t und Object, Natur und Geist zu Einem Gan-
zen vermählen, so daft der Eine Mensch wieder dUp'
steht, der in der Urzeit in bewufstloser Unschuld sich
als Einheit von Seele und Leib genofs, dann ^ureh
Schuld und Zerrissenheit seine Einheit einbfifste, um
sie verdoppelt wiederzagewinnen. Der Dichter wiitt
117
E. iir # • #> iJb s^ &^ di eA t 9.
Ufi
-4tor Nttttftr «10 Aiigi feSeii, daii de |^b% Utok«, «od
Mal» Muttd, dar« sje fede$ er iritS den Me«scken mit
Aemie und Erde, Find» und WaU wieder lo des ur-
-s^Dgliolieii Rapport eetxeii und aii^ die Bnitt der
Matter snrttokfubreb, er wird Sadnrch die ganze ge-
waltige EracliatteruBg herrorbriageD, wie aaeli Plato
^r Weise staanetid etschrickt, Ton der Aw^vffotq der
ewigm Idee der Schönheit ttherraecht, wenn er eine
•ckdoe Gestalt erbliekt. löh heffe, dnrdi wenige Pro-
b«ti dannithun, dars unser Dichter den Zanberstab
fttturt^ diese Beseelnng der Natur und diese Naturwer-
*diuig des 6eistes> wodurch die Persönlichkeit des
•WeltaHs hergestellt wird, zu bewirken.
Aber nicht nur die ftufsere Natur ist durch jenen
'Brseh des Bewufstseins uns zu einem gegenttberste-
JiendeA Objecte geworden, das wir auTs Neue erst wie-
der herübenHibringen streben, auch da» Bi^wufstsein
^ de« Sabjects hat sich in sich Tei^ppelt, das Ich ist
•aiok selbst in einer Schärfe der Trennung, die keinem
-früheren Bildungszustande möglich war, Object ge-
worden, nnd in der modernen Poesie wird daher auch *
d#r Mensch al» ein sich selbst gegenüberstehendes
l|Bd sieh' suchttides Wesen erscheinen, er wird sich
als «ein Doppelganger ia's Auge sehen und sich als
«emen alten Bekannten wiederfinden, er wird sich sei-
lte erinnern. Dem Manne wird an der Stätte; wo er
seine Jugendjahre durchlebt, der Knabe begegn^n^ der
er war; die Gestalten seines Bewufstseins, durchlebt
eder noch gegenwärtig, werden ihm im Spiegel- err
eebeiaen, das Gefühl wird sich selbst besdiauen, ohne
darum seine Wahrheit zu verlieren, selbst der Witz
wird in 'den Wogen der eigenen Gemüthswelt seine
Delphine schersen lassen, ohne sie darum zu trQben;
|a die Mängel der eigenen Indiyidualität und jeder an-
dern wird der Geist im Bewufstsein jder Nothwendig-
keit dieses Widerspruchs biimoristisch belächeln. Doch
dafs wir nicht sogleich yon tieferer Komik hier reden;
Bt^rikes Lianne klingt in dieser Sammlung nur als
epigrammatischer Witz und hier und da in Balladen
»^Bla^ phantastische Komik, den eigentlichen Humor, der
nicht dn einzelnes Bild oder ein Witz, sondern eine
ernsten Figuren dem Gänzen ein AccdmpngMme^t der
tiefsten Ironie giebt, um so oMfhr, da die hnmoristr-
sehe Lannedes Schauspielers Larkeas anf Mdancbo-'
lie ruht Hier ist Ton dem Uebergange in Allgemei-
nen zu reden, den Mörike's Mnse aus der Dämmerung
-volksthümlicher Naivetät in das bisher bezeichnete
Reich des bewufsten Geistes, in das helle licht der
Besonnenheit ^ und kfinsüerisoben Weisheit genom-
men hat«
Offenbar nun ist eß, die Universalität und sehdne
Humanität des Gemüths als erste Bedmgnng natür-
lich yorausgesetzt, der Geist der Griechen undRdmei^
der in ihm die Vereinigung .der germmiisehen Innigkeit
und der nordisdien Phantasie mit der hellen und hei-
teren Form der höheren kfinstlerisohen Bewulstheit
vermittelt hat Die griechischen und römischen Elegi-
ker Torzüglich und das alte Epigramnv scheinen von
grofsem JSinflnfs auf ihn gewesen zu sein. Der heitere;,
-harmonische Geist der alten Lyrik, wo auf mäfsig. er-
regten Wellen des . Gefühls oder Affects der Geist
sich im Kahne der Betrachtung schaukdt, und bald
fröhlich bald wehmilthig, das Maafs des Schönen nie-
mals überspringend, in das Spiel hinuntersieht, diese
Grazie, dieses Ebenmaafs, wie' es ihm freilich in noch
höherer Bedeutung aus dem Epos. und der Tragödie
der Griechen und aus Goethe, dem modenen Hörnet,
entgegentrat, um ihn zu gröfsereu' Und objectiveren
Dichtwerken zu begeistern : diefs war es, wi^s unsere
Dichter aus dem Schattenreich der Träume in den liel-
lea Aether, aus dem gothischen Dunkel in die lichten
Säulengänge der Weisheit heraufführte« Ich rede hier-
nicht nur von denjenigen seiner Gedichte, welche nach
Inhalt und Form antik sind, sondern auch von solcheu,
die ganz das romantische Gemfith athmen mit seinem
Mysticismus und der Unendlichkeit des ionem Naob-
halls, den jede angeschlagene Saite in ihm weckt:
auch diese erscheinen \durch dieiie Klärung und Lich-
tung des Formsinns in einer so edlen und ideellen
Form, wie Goethe, Schiller, Hölderlin, genährt vom
GeninS' der Alten, sie in ihre Gewalt bekamen. Wo
aber der Dichter wurklich in's alte Hellas wandert und
I •
Weltanschauung ist, hat er sich für das epische Feld' in seinen Tempeln die alten Götter auftncht, da am
vorbehalten, wie denn der Roman Maler Nolten in Lar- 'bestimmtesten ist er mit HöldMin zu vergleichen. Die
kens und in dem Barbier Wispel zwei treiFliche hnmo- alte Mythologie ist f&r uns eine Sammlung abgebleich-
ristische Figuren, jene im hohen, diese im niedrigeren ter Gestalten, wir wissen, es sind allgemeine Poten-
Style, aufzuweisen hat, deren Binfiihruog zwischen die zea, Krieg, Reoht^ Liebe, Wein a. s. w», die hier ver-
tiODbildliciU t|iid, «Ad -sie erschelnsB au daber^ in dar '
Jetoigea Eonst ■ und PMsie Mojigealinit^ als kalte Ak
legiytftea, «# laoge der Dichter sieht die Scftopfer-
kraft hat, diese Sobatten nea za belaben. Bieb kaoa
thm mir gelingoO) Vena er (freilich klarer uad. mit
blofl poetischer Illusion) den Prbzers in sich vieder»
holt) wodorch die GMIer entstanden« Es hat vohl
noch Jetst Jeder solche Momente, wo es ihm pldtalich
ganz begreiflich wird, wie die Alten ai^ die Diohftnng
der Götter kamen; es sind Momente, wo wir auf ekla- ^
tahte Weise eine natürliche oder sittliche Macht in ih-
rer gansen Bestimmtheit und Nothwendigkeil jedes
Eiszelne, das sie umfafst, überwinden und widerstands-
los sich ausbreiten sehen. Ein pldtxlioher Sehrecken
ergreift eine Masse, oder ein ptötsKoher Math; ebe
gewaltige Bewegung der Phantasie rerscblingt in ei-
nem Subjecte die nüchterne Besonnenheit des Ver-
standes und redet ans ihm in der Sprache dunkler
Bilder; die Leidenschaft der Liebe reifst jeden Vor-
sats, den ihr der Wille eatgegenzustemmen sucht, mit
fort; der Wein benebelt Sinn and Verstands hier
scheint eine Nothwendigkeit gegeben, deren Zusaoi-
menbang sich durch kein vermittelndes Denken expU-
dren lasse, die Alten standen ohnediefs nicht auf dem
Standpunkte des Pragmatismus, der andr Gründen 'Or-
kl&rt und die Grenze der Beobachtung überhaupt oder
der Selbstbeobachtung ward (wie Sclileiermacher es
Boharfsinnig von dem christlichen Glauben an den Sa-
tan nachweist), dadurch mit bunter Hülle verdeckt, dafs
man den Grund der Erscheinung ans dem Innern des
Subjects oder aus den Naturzusammenhang* hinauswarf
in eine anfserweltlicbe Person nnd sagte: das hat ein
Gott gethan. Ebenso, auch (|hne Beziehung auf das
subjective Leben, wenn wir das 'Wirken einer Natiir-
potenz in seiner Prägnanz, wie sie Alles, was in ihre
SphUre fällt, mit siegreicher Sicherheit trägt, nährt
öder zerst^rt^ in ästhetischer Stimmung betrachten, so
weiden wir uns leicht in die Anschauung hineinfü|(len,
dafe hier ein Gott walte. Das Licht : wie* nahe liegt
es, dieses alle Räume durchfliegende, siegreiche, ma-
nifedtirende Wesen au vergattern I In diesem Geiste
hat Hölderlin ,^An den Aether'' den Drang aller We-
aen nach freier Luft, an sich eine ganz einfach physi-
sche Erscheinung, die dem Naturforscher nichts ak
«n Bedfirfnifa ton Saneistoff n. s« w« iAi fo edet i»
^esteUt^ dafii uns - der Luftraam gana von selbst n
•inesa Sulyee^^ sn einem Gott wird. Wur werden Asb
liebes bei Moerike inden* Natfiriich wird der geiuMaii
sehe Dichter diesen Göttern eisien Zug von Geistigkdi
und Verkianmg leiben, den sie in ihrer alten Heimstl
nicht hatten, wie Goethe auch deriphigenie sein-defA*
sches Hera ehihauchte, wie Uhland im Vor sacrom »
Der düsteren Vorstelliiag emeo wohttbnend edlen T«
im Geiste der Humanität hellerer Zeiten lieh. Ubisai
hat ebenfalls aus dem* gothischen Dämmerscheine a
einer idealen dassicitiU: den Uebergang gefunden : a«l
innerhalb der. volksthnmlichen nnd mitteialterlicki
Spare liebt er das Klare nad Gediegene, scharf vs
rissene Charaktere, während Moerike, wo er in dtsü
Sphäre verweilt, im Geiste eines Arnim und Breotai
die Phantasie durch Nebelheiden schweifen, auf schsift
bendem Rappen an Sylphen, und Feen vorübeijaga
läfst. Seine Phantasie ist in diesem Gebiete trävm
rischer, schwelgerischer, verweicblichter und venuig»
ner, als die üblandscbe, der gerade diejenige Trock#
heit im rechten Maafse besitzt, die der Poesie jk
sichere und feste Basis so notb wendig ist, als dsi
Körper die Ferse und der Ballen, um sich fest an d9
Boden zu stemmen. Einigen Liedern fehlt aber aod
Ublands und Schwabs körnige Bestimmtheit nicht, vd
in weiteren Sphären erhebt er sich entsohiedea n
künstlerischer Klarheit
Hat sich dieses offene Gemuth auch d^d Schise^
zen und Leiden des modernen geistigen Lebens •
schlössen ? Dafs die Gestal^ der zerrissenen Sobjecüs-
tät ihm nicht fremd ist, beweist eine der scböoflla
Parthieen im Maler Nolten, Welche sich doch von jeda
häfslichen Disharmonie nnd negativen Ironie Kaaz feiM
hält. Als Lyriker aber bleibt er ganz im Geleise #
ner harmonischen Stimmung ; die Töne des Schmana
werden nie zum wilden Schrei^ die Wunden beikp
leicht, es ist hier nichts Titanisches, nichts Qyrai^;
sches tXL sehen. Sein Genius erscheint in dieser Mitt
mehr' als ein weiblicher, denn als ein männlieber, Mi
fühlt jenen Geist der Sänftiguog aUes WMm, P
Ebnuug alles Unebenen nnd . Heihmg uUm Tefilin
ten, den eine edle Weiblichkeit um sich verbrflM^
(Die Fortoetziing folgt.)
IV 1 8 s e n
J^ 16.
J a h r h ü c h er
ff
Vi V
schaftliche
K. r i t i k.
Juli 1839.
. f
ßedicAte von Eduard Moerile.
(Fortsetzang.) >
Am weDigsten wird der Wohlaebmecker^ der das
Wildj^ret our im Ueb^rgange zurFftuloifs liebt, ib diesem
Bnohlein seine BeeiiDQDg fiadeD, er wird Bicbts tob dem
haut g|Ottt ^ der Blasirtheit uad Abgeschlagei^heit eat-
deoken. Uoser Diebter ist, wie billig, in natürlioben
'Dingen unverblümt, die Sinnliebkeit pulsirt in yoUer
Kraft, aber es ist die Kraft der Jugend, nicht der
kflnsüiehe Reiz abgesehwllcliter Natur. < Man halte uns
nicht füx pedantisch ) es sollen der Dichtkunst objeetir
keine Grenzen gesteckt werden, sie beleuchte immer
mit ihrer Fackel die dunkelsten Falten des Seelenle-
bens, 'sie lasse uns den ganzen Trotz prometbeischer
"EmpSrung sehen, sie durcbwandre die Höhlen der tie&
atett Verwirrung und Yerimmg; sie fahre kühnlich iil
die Hölle, wie die Liegeode von Christus erzählt. Nur
ihr Engel verlasse sie nicht Und so lange kein Dich-
ter da ist, der die Wehen des jüngsten Zeitgeistes
treu an der Hand dieses Begleiters 'durchwandert hat,
peien wir zufrieden, eine edle Muse mit rein hannoni-
aohen Gestalten verkehren zu sehen.
Wir wollen jetzt ansem Dichter durch die in un«
bestimmtem Umrisse ibezeichneten Sphären begleiten
and uns dadurch das Bild seiner Persönlichkeit ta in»
dividneller Bestinaniheit erbeben.
Niebl wenige dieser Lieder bewegen sich so na^
tSilich und so giiBZ von selbst im Elemente der Naive-
tät, dafs man schlechtweg sagen mufs : diefs sind Lie-
detf ächte Lieder, dafs man bei den ersten Zeilen
sehen van Weitem jene Metodien faörf, nach welchen
jange. Bursche und Dirnen des Sonntags unter der
Linde des Dorfes ihre alten Lieder singen. Man lese
•folgenden eidfachen KJang aus dem Herzen treulos
verlassener Liebe:
lakrh.f. wuuMck. KriHk. J. 1830. IT.,B4.
Agnes (S. 76).
Roiemtül Wie icknell vorbtiy,
Schnell vorbei
Bist du doch geg&ngenl
War siem Lieb nur blieben treu^
Blieben treu,
Sollte mir nicht bangen. ^
Um tUe Emie wohlgemulky
Wohlgemu^iy
Schnitterinnen tingen*
Aber acht mir kranken Blui^
Mir kranken Blmi
Will nichts mehr geUt^gen.
Schleiche $o iurch'e Wieeen^ai^
So iureh'e Thal,
AU. im Traum verhrenj
Nach dem Bergj da tarnend Mal,
Tausend Mal
Er mir Treu geschworen. ^
Oben auf des Hügels Rrnnd^ ,
Abgewandi,
Wein* ich bei der Linde,
An dem Hui mein Rosenband,
Von seiner Hand,
Spielei in dem Winde.'
Hier ist nichts zu dechimiren, keine Rhetorik, man
mufs singen) sogleich singen, mari hört schon idner-
Ifdi die Töne des wehitiuthsvonen Refrains im Echo
der Thäler verklungen, so hinschwindend, so vergehend,
wie die Gestalt, die wir vor uns sehen und die nichts
ist als eine todfkranfce Erinnerung an ein entschwun-
denes Glück) sie sagt es nichts nur in abgebrocheneil
Lauten entbindet sich der Schmerz, aber sie üt es;
Dadurch ist Ohr und Auge der Phantasie gerade so,
wie ef durdi.die ächte Lyrik soll^ angesprochen, wir
sehen vor uns und hören diese tönende' Gestalt der (Ja*
gläcklielieri, Sinn und Musik feilen in Eins, und unsei^
ganzes Hers kltegt und tönt sympathetisch mit Ditf
16
11§ £. 'M • € r ik 0y
sioDbiMüeht tind, «6d sie enekdiMB ans dabei^ in dar
jettigtfo EoDit und Paesie iMH^geahmt, als kalta Al-^
l^gdrieesy «a lasga der Dichter nicht die Scköpfer-
kMft hat, diese Schatten neu za beleben. Bieb kann
ihm' nnr gelingen, venn er (freilich iilarer und mil:
blofl poetischer Illusion) den Prosers in sich wiadcr»
holt, wodarch die Gdtter entstanden. Es hat wohl
no6h jetat Jeder solche Momente, wo es ihm pldtalich
ganz begreiflich wird, wie die Alten a^f die Diohinng
der Götter kamen; es sind Momente, wo wir auf ekla*^
tante Weise eine natürliche oder sittliche Macht in ih-
rer gansen Bestimmtheit nnd Nothwendigkeit jedes
Einxelne, das sie umfafst, überwinden und widerstands-
los sich ausbreiten sehen. Ein plötxlicher Schrecken
ergreift eine Masse, oder ein ptötslicher Mnth; eine
gewaltige BewOgnng der Phantasie rerschlingt in ei-
nem Subjecte die nQchteme Besonnenheit des Ver-
standes und redet aus ihm in der Sprache dunkler
Bilder; die Leidenschaft der Liebe reifst joden Vor-
satz, den ihr der Wille entgegenzustemmen suchte mit
fort; der Wein benebelt Sinn and Verstands hier
scheint eine Nofhwendigkeit gegeben, deren Zusam-
menhang sieb durch kein vermittelndes Denken expli^
dren lasse, die Alten standen ohnediefs nicht auf dem
Standpunkte des Pragmatismus, der an«r Gründen 'er-
klärt und die Grenze der Beobachtung überhaupt oder
der Selbstbeobachtung ward (wie Sclileiermacher es
scharfsinnig von dem christlichen Glauben an den Sa*
tan nachweist), dadurch mit bunter Hülle verdeckt, dafs
man den Grund der Erscheinung aus dem Innern des
Subjects oder aus den Natnrsusammenhang- hmauswarf
. in eine aafserweltUcbe Person und sagte : das hat ein
Gott g^han. Ebenso, auch qhne Beziehung auf das
aubjective Leben, wenn wir das Wirken einer Natnr-
potenz in seiner Prägnanz, wie sie Alles, was in ihre
Sphäre ftLllt, mit siegreicher Sicherheit trägt, nähit
öder zerstört, in ästbetiBcher Stimmung betrachten, so
weiden wir uns leicht in die Anschauung hineinfülilen,
dafe hier dn Gott walte. Das Lioht : wie nahe liegt
es, dieses alle Räume durchfliegende, siegreiche, ma-
nifcfitirende Wesen an vergStternI In diesem Geiste
hat Hölderlin ,^An den Aether'' den Drang aller We-
sen nadi freier Luft, an sich eine ganz einfadi phjsi-
adie Erscheinung, die den Naturforscher nichts ak
«tt BedOrfnifa tan -fianerstoff n. s. w« iftt^' ao edd i»
^tettt, dafii uns - der Luftranm ^a von selbft u
einem Sulyect^ sä einem Gott wird. Wur werden Asb
liehen bei Moerike inden» Natfirtich wird der germsil-
sehe Diohter diesen Götlaem einen Zug von Geistigfcdi
nnd Verklarvng leihen, den sie in ihrer alten Hehnatt
nicht hatten, wie Goethe auch deriphigenie sein, denk
sches Hen ehhauchte, wie Uhland im Vor sacrom «
ner düsteren Vorsteilaag einen wohtthuend edlen T«i
im Geiste der HumanitU hellerer Zeiten lieh. Uhlsd
•
hat ebenfalls aua dem. gothischen Dämmerscheine n
einer idealen Classicität den Uebergang gefunden : aod
innerhalb der. volksthömlichen und mittdalterlidM
Spare liebt er das Klare nad Gediegene, scharf xm
risseae Charaktere, während Moerike, wo er in disil
Sphäre verweilt, im Geiste eines Arnim und Breotai
die Phantasie durch Nebelheiden schweifen, auf aehsaft
bendem Rappen an Sylphen, und Feen vorüherjaga
läist. Seine Phantasie ist in diesem Gebiete traos»
rischer, schwelgerischer, verweicblichter und Tersogl
ner^ als die Uhlandscbe, der gerade diejenige Treck»
heit im rechten Maafse besitzt, die der Poesie ab
sichere und feste Basis so not h wendig ist, als «kl
Körper die Ferse und der Ballen, um sich fest an i^
Boden zu stemmen. Einigen Liedern fehlt aber aad
Ublands und Schwabs körnige Bestimmtheit nicht, mi
in weiteren Sphären erhobt er sich entschieden n
künstlerischer Klarheit«
Hat sich dieses offene Gemfith auch den Sdfasai
aen und Leiden des modernen geistigen L«ebens et
schlössen ? Dafs die Gestalt der serrissenen Sufajectiri
tat ihm nicht fremd ist, beweist eine der sohönsta
Parthieen im Maler Nolten, irelcbe sich doch von jeds
häfslichen DisJ^rmenie und negativen Ironie Rans fem
hält. Als Lyriker aber bleibt er gaaa im Geleise a
ner harmonischen Stimmung ; die Töne des Schmcna
werden nie aum wilden Schrei^ die Wanden heila
leicht 9 es ist hier nichts Titanisches , nickts ^jW'
sches KU sehen. Sein Genius erscheint in dieser MiUi
mehr' als ein weiblicher, denn als ein männUeber, bü
fühlt jenen Geist der Sänftigung alles Willen, i«
Ebnuug alles Unebenen and . Hdikmg Mm .VenUt
ten, den eine edle Weibliahkeit um sich verkeÜd
(Die FoTtietzung folgt)
1^ 1 js 8 e n
Ji 16.
J a h r b u c h e r
für
s c h af t liehe
Kritik.
Juli 1839.
jQediekte «oi> Etbiard Moerike.
(Fortoetzang.) >
Am. wenigsten wird der Wohlsebmecker, der dae
Wilderet nur im Uebexgai^e zurFäuInifs liebl^ ita diesem
BacUein seine Reohnung finden, er wird nichts von dem
hant gout ^ der Blasiitheit nnd Abgesehlagei^heit ent-
decken. Unser Dichter ist, wie billig, in natiirlioben
'Dingen unverblümt, die Sinnlichkeit pnisirt in voller
Kraft, aber es ist die Kraft der Jugend, nicht der
kfliiBtliche Reiz abgeschwächter Natur. < Man halte uns
nicht für pedantisch i es sollen der Dichtkunst objectif
keine Grenzen gesteckt werden, sie beleuchte immer
mit ihrer Fackel die dunkelsten Falten des Seelenle-
bens, 'sie lasse uns den ganzen Trotz prometbeischer
EmpSrung sehen, sie dnrchwandre die Höhlen der tie&
aten Verwirrung und Yerimmg; sie fahre kfihnlich ia
die Hölle, wie die Legende von Cfaristaft erzählt. Nur
ihr Engel verlasse sie nicht Und so lange kein Dich-
ter da ist, der die Wehen des jüngsten Zeitgeistes
treu an der Hand dieses Begleiters 'durchwandert hat,
peien wir zufrieden, eine edle Muse mit rein hannoni-
Bcben Gestalten verkehren zu sehen.
• . ■ *
Wir wollen jetzt wsem Dicbter durch Ae in un«
bestimmtem Umrisse ibezeichneten Sphären begleiten
imd uns dadurch das Bild seiner Persönlichkeit zu in»
dividueller Bestimmtheit eiheben.
Nk^ht wenige dieser Lieder bewegen sich so na-
tfiilich und so gqnz von selbst im Elemente der Naive-
tftt, dafs man schlechtweg sagen nrafs: diefs sind Zft!^-
detf ächte Lieder, dafs man bei den ersten Zeilen
aebsn vevi Weitem jene Melodien bort, nach welchen
jwi^. Bursche und Dirnen des Sonntags unter der
Linde des Dorfes ihre alten Lieder singen. Man lese
'folgenden einfachen Kiang aus dem Herzen treulos
Terlassener Liebe:
Jahrb. f. wü$en$ch. Krtük. J. 1830. II., Bd.
Agnes (S. 76).
BotenzeUl Wie ichnell vorbiiy
Schnell vorbei
Biet du doch gegemgenl
Wir metn Lieb nur blieben treu^
Sueben treu.
Sollte mir nicht bangen»
Um He Ernte »ohlgemuAy
Wohlgemuihy
Schnitterinnen eingen»
Aber aehl mir kranken ßluiy
Mir kranken Slui
Will nichte mehr gelingen.
Bchleiehe eo dureh'e Wieeenthal,
So diorch'e Thal^
Ah. im Trawn verloren^
Nach dem Bergj da taiieend Maly
Taueend Mal
Er mir JVeu geeehworen,
I
Oben auf dee Hagele Rawdj .
Abgewandt^
Wein* ich bei der Linde^
An dem Hui mein Roeenband^
Von eeiner Hand^
Spielet tJi dem Winde'.
Hier ist nichts zu deolamiren, keine Rhetorik, man
mnfs singen, sogleich singen, maii hört schon idner-
lieh tie Töne ^s wehmuthsveflen Refrains im Echo
der Thäler verklingen, so hinschwindend, so vergehend,
wie die Gestall, die wir vor uns sehen und die nichts
ist als eine todf kranke Erinnerung an ein entschwun-
denes Gbidk } sie sagt es nichl^ nur in abgebrochenen
Lauten entbindet sich der Schmerz, aber sie üt es;
Dadiurch ist Ohr und Auge der Phantasie gerade so,
wie ef durch, die ächte Lyrik soll^ angesprochen, wir
sehen vor uns und hören diese tönende' Gestalt derUn-
giäcklieheii, Sinn nnd Musik falten in Eins, und unse^
ganzes Hera klingt und tönt sympathetisch mit
16
•ifiDUMliokt %\nAj «Ad sie eraeheimB udb dabei^ in der
Jetiigtfo KoDit und PMsie ncojigealimt, als kalte AI-
legdrieea, ee lange der Dichter nicht die Scftopfe»-
kMft hat, diese Sebatten neu zu beleben. Dieb kann
ihm nnr gelingen) wenn er (freilicb khirer uad wtit
blos poetischer Illusion) den Prozefs in sich wieder-
holt, wodarch die Gatter entstanden. Es hat vohl
noch Jetst Jeder solche Momente, wo es ihm plötslich
ganz begreiflich wird, wie die Alten a^f die Diofalmig
der Götter kamen; es sind Momente, wo wir auf ekla«
taute Weise eine natürliche oder aitf liehe Macht in ih-
rer ganzen Bestimmtheit nnd Nothwendigkeit fedea
Einzelne, das sie umfafst, überwinden und widerstands-
los sich ausbreiten sehmi. Ein pldtzliober Schrecken
ergreift eine Masse, oder ein pIotzKcher Muth; eine
gewaltige Bewegung der Phantasie verschlingt in ei-
nem Snbjecte die nüchterne Besonnenheit des Ver-
standes und redet aus ihm in der Spteche dunkler
Bilder ) die Leidenschaft der Liebe reifst jeden Vor-
satz, den ihr der Wille eatgegenzustemmen sucht, mit
fort; der Wein benebelt Sinn und Verstands hier
scheint rine Nothwendigkeit gegeben, deren Zusam-
menhang sich durch kein vermittelndes Denken expli^
cireki lasse, die Alten standen ohnediefs nicht auf dem
Standpunkte des Pragmatismus, der ant Gründen ^er-
klfirt und die Grenze der Beobachtung überhaupt oder
der Selbstbeobachtung ward (wie Solileiermacher es
scharfsinnig von dem christlichen Glauben an den Sa-
tan mchweist), dadaroh mit bunter Hülle verdeckt, daTs
man den Grund der Erscheinung aus dem Innern des
Subjects oder ans dem Natnrzusammenhang* hinauswarf
in eine anfserweltlicbe Person und sagte: das bat ein
Gott g^ban* Ebenso, auch qhne Beziehung auf das
subjective Leben, wenn wir das 'Wirken einer Natnr-
potenz in seiner Prägnanz, wie sie Alles, was in ihre
Sph&re ftllt, mit siegreicher Sicherheit trägt, nährt
öder zerstört, in ästbetischer Stimmung betradliten, so
werden wir uns leicht in die Anschauung hineinfü||len,
dafe hier ein Gott walte. Das Licht : wie' nahe liegt
es, dieses alle Räume durchiiegende, siegreiche, ma-
nifestirende Wesen zu vergattern I In diesem Geiste
hat Hölderlin „An den Aetfaer'' den Drang aller We-
sen aadi freier Luft, an sich eine ganz einfach phjsi-
sdie Erscheinung, die dem Naturforsober nichts als
am
6 44lekt.9. Ut
«in Bedürfnifii Von -Aaueritoff n. s. w« iAf «e eM l»
^teUt, dais uns - der Luftranm gani von selb(|t v
Sutgeet» sh eiaem Gott wird. Wur werden Asb
bei Moerike inden» Natfirtich witd der gennsiii
sehe Dichter diesen Gdttsm einea Zug von Geistigkdi
und Verlüftrang leihen, den sie in ihrer alten Heimstl
nicht hatten, wie Goethe auch derlpbigei^e sein^dsakr
sches He» ehihauehte, wie ühland im Vor secrum »
ner düsteren VorsteUuag emen wohlthuend edlen T«i
im Geiste der Hnmanitilt hellerer Zeiten lieh. Uhbud
•
hat ebenfalls aus deat gothischen Dämmerscheine s
emer idealen Classicitit den Uebergang gefunden : aad
innerhalb der volksthümlichen und mittelallerlidM
Spare liebt er das Klare und Gediegene, scharf qb
risseae Charaktere, während Moerike, wo er in die4
Sphäre verweilt, im Geiste eines Arnim und BrentlH
die Phantasie durch Nebelheiden sohweifen, auf schlaft
beodein Rappen an Sylphen, und Feen vorübeijaga
läfst. Seine Phantasie ist in diesem Gebiete träonft
rischer, schwelgerischer, verweichlichter und venogi
ner^ als die Uhlandscbe, der gerade diejenige Treck»
heit im rechten Maafse besitzt, die der Poesie ik
siehare und feste Basis so noth wendig ist, als doi
Körper die Ferse und der Ballen, um sich fest as d9
Boden zu stemmen. Einigen Liedern fehlt aber sod
Uhlands und Schwabs kömige Bestimmtheit nicht, vd
in weiteren Sphären erhebt er sich entsohieden n
künstlerischer Klarheit«
Hat sich dieses offene Gemuth auch den SduBH
zen und Leiden des modernen geistigen Lebens c^
schlössen ? Dafs die Gestal^ der zerrissenen Subjectifi'
tat ihm nicht fremd ist, beweist eine der schönst»
Parthieen im Maler Nolten, Welche sich doch von jede
häfslicben Dis^rmenie üud negativen Ironie ganz ijM
hält. Als Lyriker aber bleibt er ^nz im Geleise A*
ner harmonischen Stimmung ; die Töne des SchmeM
werden nie sum wilden Schrei^ die Wunden heile
leicht, es ist hier nichts Titanisches, nichts Qyrei''
sches zu sehen. Sein Genius erscheint in dieser SCtt
mehr als ein weihlicher, d«in als ein männUeber, bns
fühlt jenen Geist der Sänftigung alles Wilden, «br
EbttUDg alles Unebenen «nd . HeUong sdlM Terstii'
ten, den eine edle Weibliehkeit um sich verbreiMt*
(Die Fortsetzung folgt)
w i 8 s e n
J^ 16.
J a h r h ü c her
für
s c h af t liehe
K. r i t i k.
Juli 1839.
jQedichte von Eduard Mo er He.
«
(FoTtsetzoDg.) '
Am woDigsten wird der Wohlsehmecker, der das
Wilderet nur im Uebevgange xurFäubift liebt^ hi diesem
BflcUein seine Reebnifng finden, er wird nichts von dem
hant giout ^ der Blasirtheit nnd Abgeschlagei^heit ent-
decken. Unser Dichter ist, wie billig, in natiirlicben
'Dingen unverblümt, die Sinnlichkeit pulsirt in voller
Kraft, aber es ist die Kraft der Jugend, nicht der
künstliche Reiz abgeschwächter Natur* • Man halte uns
picht für pedantisch \ es sollen der Dichtkunst objeotiv
keine Grenzen gesteckt werden, sie beleuchte immer
mit ihrer Fackel die dunkelsten Falten des Seelenle-
bens, 'sie lasse uns den ganzen Trotz prometbeischer
lEmpSrung sehen, sie darchwandre die Höhlen der tie&>
sten Verwirrung und Veriming; sie fahre kfihnlich in
die Hölle, wie die Legende von Christaft erzählt. Nur
ihr Engel verlasse sie nicht Und so lange kein Dich-
]ter da ist, der die Wehen des jüngsten Zeitgeistes
treu an der Hand dieses Begleiters 'durchwandert hat,
peien wir zufrieden, eine edle Muse mit rein hannoni-
Bohen Gestalten verkehren zu sehen.
Wir wollen jetzt imsem Dichter durch fie in un«
bestimmtem Umrisse (bezeichneten ^Sphären begleiten
imd uns dadurch das Bild seiner Persönlichkeit zu m-
dividneller Bestimmtheit eilieben.
Nicht wenige dieser Lieder bewegen sich so na-
tüilich und so gqnz von selbst im Elemente der Naive-
tftt, dafs man schlechtweg sagen nmfs : diefs sind LtiC"
däTf ichte Lieder, dafa man bei den ersten Zeilen
sehen van Weitem jene Metodieo hört, nach welchen
Jwi^ Bursche und Dirnen des Sonntags unter der
Linde des Dorfes ihre alten Lieder singen. Man lese
•folgenden einfachen Kiang aus dem Herzen treulos
verlassener Liebe:
Jahrb. f. whienich. Kritik. J. 1830. IL, Bd.
Agnes (S. 76).
Rosemeiil Wie ickneü vorbiiy
Schnell vorbei
Biti du doch gegangen l
War «ins Lieb nur bliebe» treu^
Blieben treu.
Sollte mir nich^ bangen.
Um die Emie wohlgernuA,
Schniherinnen eingen»
Aber achl mir kranken BbU^
Mir kranken BbU
Will niehtemehr gelingen.
Behleiche eo durch'e Wieeenthalg
So durch'» thalf
AU. im Traum verloren^
Nach dem Berg, da tarnend Maly
Taueend Mal
Er mir TVeu geechworen.
Oben auf de» Hügel» Remd^ ,
Abgewandtf^
Wein' ich bei der Linde^
An dem Hui mein Ro»enkandj
Von »einer Hand,
Spielei in dem Winde.'
V
Hier ist nichts zu deokimiren, keine Rhetorik, man
mafs singen, sogleich singen, maul hört schon iüner-
liek tie Töne des wehmuthsveflen Refrains im Echo
der Thäler verklingen, so hinschwindend, so vergebend,
wie die Gestall, die wir vor uns sehen und die nichts
ist als eine todfkrimke Erinnerung an ein entschwun-
denes Glück ) sie sagt es nichl^ mir in abgebrochenen
Lauten entbindet sich der Schmerz, aber sie ut es;
Dadurch ist Ohr und Auge der Phantasie gerade so,
wie ef durcbdie achte Lyrik soll^ angesprochen, wir
sehen vor uns mid hören diese tönende' Gestalt derUn*
giftckliehen, Smn and Musik fallen in Eins, und unser
ganzes Herz kU»gt nnd tönt syropathetisdi mit Ditf
16
lld iE. M • e r i k e^
»
siflDbiUnicht tiiid, «Ad ne arscbetim uns dabei^ in dir ~
jetxigen Ernist und Peesie Dacjigeahmt, als kalte Ak
. tegdrieea, «• lange der Dichter mcht die Scftöpfe^-
kMft hat, diese Sebatten neu za beleben. Biefs kann
Ihm mir gelingen, venn er (freilieh klarer nad aüt
blos p'oetiscber IHusion) den Prözefs in sich vieder-
helt) wedorch die Gatter entstanden« Es bat wohl
noch jetst Jeder solohe Momente, wo es ihm plötzlich
ganz begreiflich wird, wie die Alten a^f die Diohlnng
derGöfter kamen; es sind Momente, wo wir auf ekla- '
tante Weise eine natttrliche oder sittliche Macht in 3i-
rer ganzen Bestimmtheit nnd Nothwendigkeit jedes
Eieselne, das sie nmfarst, überwinden und widerstands-
los sich ansbreiten sehen. Ein plötzlicher Schrecken
ergreift eine Masse, oder ein plÖtzHcher Muth; eine
gewaltige Bew^ng der Phantasie verschlingt in ei-
nem Snbjecte die nüchterne Desonnenbeit des Ver-
standes nnd redet aas ihm in der Sprache dunkler
Bilder $ die Leidenschaft der Liebe reifst jeden Vor-
satz, den ihr der Wille entgegenzustemmen sucht, mit
fort; der Wein benebelt Sinn und Verstand: hier
scheint rine Nothwendigkeit gegeben, deren Zusam-
menhang sieb durch kein vermittelndes Denken expli-
drtü lasse, die Alten standen ohnediefs nicht auf dem
Standpunkte des Pragmatismus, der aar Gründen 'Or-
klärt und die Grenze der Beobachtung überhaupt oder
der Selbstbeobachtung ward (wie Sclileiermacher es
scharfsinnig von dem christlichen Glauben an den Sa-
tan nachweist), dadnroh mit bunter Hülle v^^ckt, dab
man den Grund der Erseheinung aus dem Innen des
Subjects oder aus dem Natnrznsammenhang- hinauswarf
in eine aufserweltlicbe Person und sagte: das hat ein
Gott g^han. Ebenso, auch <^hae Beziehung auf das
subjective Leben, wenn wir das' Wirken einer Natur-
potenz in seiner Prftgbanz, wie sie Alles, was in ihre
i^h&re fhllt, mit siegreicher Sicherheit trägt, nähit
öder zerst^^rt, in Hstbetischer Stimmung betrachten, so
werden wir uns leicht in die Anschauung hineinTühlen,
dafe hier ein Gtott walle. Das Licht : wie* nahe liegt
es, dieses alle Räume durchiiegende, siegreiche, ma-
nifestirende Wesen zu vergattern! In diesem Geiste
hat Hölderlin ,^An den Aether" den Drang aller We-
sen nach freier Lu.ft, an sich eine ganz einfach pbjsi-
idie Erscheinung, die dem Naturforscher nichts als
Gedieh i,M. WO
rai Bedürfnifii ton -Sauerstoff n. s* w« itAi so adal daa-
^teUt, dafii uns der Luftraom gana von selbet m
einem Sulyeet^ all dnem Gott wird. Wir werden Aefas-
liebes bei Moerike inden» JNatürKdi wud der germani*
sehe Dichter diesen Göttern einea Zng von Geistigfcett
und Verklarung leihen, den sie in ihrer alten Heimath
nicht hatten, wie Goethe auch deriphigenie sein^dentr
sches Herz ehhauchte, wie ühland im Vor sacrum %h
ner düsteren VorsteUiiag einen wobltbuend edlen Ten
im Geiste der Humanität hellerer Zeiten lieh. Uhland
•
hat ebenfalls aus dem. gothischen Dämmerscheine sn
einer idealen Ciassicit&t den Uebergang gefunden : aneh
innerhalb der volksthümlichen und mittelalterlichen
Spare liebt er das Klare nnd Gediegene, scharf um-
rissene Charaktere, während Moerike, wo er in dies*
Sphäre verweilt, im Geiste eines Arnim und Brentano
die Phantasie durch Nebelheiden seh weifen, auf selina»
beodem Rappen an Sylphen, und Feen vorüberjagen
läfst« Seine Phantasie ist in diesem Gebiete träume*
rischer, schwelgerischer, verweichlichter und versoge-
ner, als die Ubiandsche, der gerade diejenige Trocken-
heit im rechten Maafse besitzt, die der Poesie .als
sichere und feste Basis so noth wendig ist, als dem
Körper die Ferse und der Ballen, um sich fest an divi
Boden zu stemmen. Einigen Liedern fehlt aber auch
Dhlands und Schwabs kömige Bestimmtheit nicht, und
in weiteren Sphären erhebt er sich entsehieden zu
künstlerischer .Klarheit*
Hat sich dieses offene Gemuth auch den Scluner-
sen und Leiden des modernen geistigen Lebens er-
schlossen ? Dafs die Gestalt der zerrissenen Subjeotivi-
tat ihm nicht fremd ist, beweist eine der schönsten
Parthieen im Maler Nolten, trelche sich doch von jeder
bäTsIichen Dis&armenie uud negativen Ironie ganz ferne
hält. Als Lyriker aber bleibt er ganz im Geleise ei-
ner harmonischen Stimmung ; die Töne des Scbmerses
wenden nie zum wilden Schrei, die Wuadeil heilsp
leicht, es ist hier nichts Titanisches, nichts Qyren*-
sches zu sehen. Sem Genius eracheint in dieser Müde
mehr' als ein weiblicher, denn als ein m&nnUeber, man
fühlt jmen Geist der Sänftigung alles WiUen, der
Ebaung alles Unebenen und . Heihing alhHi Terstif-
ten, den eine edle Weibliehkeit um sich verbreite^.
(Die FoTtietcnng folgt.)
I
w 1 s IS e n
J^ 16.
J a h r h u c her
für
s c haftl iche
Rritik
Juli 1839.
Oediekte höh Eduard Moerihe.
(FortsetzQDg.) >
Am weoigsteii wird der Wohlscbmecker^ der das
Wildj^ret nur im Ueb^vgange zurFäulnifs liebl^ iki diesem
Bfichlein seine Reohn^ng finden, er wird niobts von dem
baut gout ^ der Blasirtheit und Abgescblagei^heit ent-
decken. Unser Dichter ist, vie billig, in natürlioben
'Dingen unverblümt, die Sinnllobkeit pulsirt in voller
Kraf^ aber es ist die Kraft der Jugend, siebt der
kttpstliehe Reiz abgesobwtebter Nator. • Man halte uns
Dicht für pedantisch 9 es sollen der Dichtkunst objeotiv
keine Grenzen gesteckt; werden, sie beleuchte immer
mit ihrer Fackel die dunkelsten Falten des Seelenle-
bens, sie lasse nns den ganzen Trotz prometbeischer
)SinpSrung sehen, sie dnrchwandre die Höhlen der tiet
nten Verwirrung und Verimmg; sie fahre kubnlich in
die HöUe, wie die Legeode von CfaristiU erzählt. Nur
ihr Engel verlasse sie nicht Und so lange kein Dich-
ter da ist, der die Wehen des jüngsten Zeitgeistes
treu an der Hand dieses Begleiters 'durchwandert bat,
^eien wir znfrieden, eine edle Muse mit rein barmoni-
sehen Gestalten verkehren zu sehen.
Wir wollen jetzt nasem Dk^bter durch die in un*
beotimmtem Umrisse »bezeichneten Sphären begleiten
Bad uns dadurch das Bild seiner PersSnlichk^ ZU in*
dividueller Bestimmtheit erheben.
Nicht wenige dieser Lieder bewegen sich so na-
tfirlich und so g^ns von selbst im Elemente der Naive-
tät> dafs man schlechtweg sagen nrafs : dieCs sind JUe-
dsTy ichte Lieder, dafa wmtk bei den ersten Zeilen
aehen v«n Weitem jene Meiodien bort, nach welchen
jvnge^ Bursche und Dirnen des Sonntags unter der
Linde des Dorfes ihre alten Lieder singen. Man lese
•folgenden einfachen Kiang aus dem Herzen treulos
yerlassener Liebe:
3akrh.f. wiHtMch. KriHk. J. 1830. II., Bd.
Agnes (S. 76).
BotenzHil Wie ichnett vorhii^
Schnell vorbei
But du doch gegtmgenl
War mein Lieb nur blieben treu^
Blieben treu,
Soüie mir nicht bangen* /
m
Um die Ernü tpohlgenuuhy
Wohlgemu^i,
Sehniherinnen nngen»
Aber ach! mir kranken Bluij
Mir kranken Blui
Will nichiemehr gelingen.
BehUiehe §0 iurch'e Wieeentkai,
So imek'e Thal,
AU. im T^aum verloren,
Üach dem Berg, da taueend Mal,
Taueend Mal
Er mir Treu geechworen.
Oben auf det Hägeü Band, ,
Abgewandt, ^ «
IFetV ich bei der Linde,
An dem Hui mein Boeenband,
Von seiner Hand,
Sflielei in dem Winde.'
Hier ist nichts zu declamiren, keine Rhetorik, man
mnrs singen, sogleich singen, maol b5rt schon iüner-
lieb die Töne des wdiitiuthsvenen Refrains im Echo
der Thäler verklingen, so binscbwlndend, so vergehend,
wie die Gestalt, die wir vor uns sehen und die nichts
ist als eine todf kranke Erinnerung an ein entschwun-
denes Glück } sie sagt es nicbl^ nur in abgebrochenen
Lauten entbindet sich der Schmerz, aber sie üt es;
Dadurch ist Ohr und Auge der Phantasie gerade so,
wie tm^ durch, die ächte Lyrik soll^ angesprochen, wir
sehen ver uns und hören diese tönende' Gestalt der Un*
glicklicben, Sinn nnd Musik falten in Eins, und unse^
ganzes Herz klingt und tönt sympathetisch mit
16
123 RMoerikey
• _
Schlufslestgkeit ferner ist ganz im Charakter des rei-'
Ben Medsi das flatternde Band schwebt nooh eine
Weile vor unsrer Phantasie, ein Bild der Untreue, und
unser Gefühl zittert wie in unbestimmt Terschveb6n^
(ten TSnen der Windharfe fort»
Milder^ doch ebenso tief aus dem Herzen, klagt
das verlassene Mägdlein (S. 23).
Frühy wann die Hähne, hräh*n.
Eh die Stemlein vertchufinden,
. Mufi ich am Herd^ $iehn^
Mufi Feuer ziUnden,
Schön Mt der Flammen Schein^.
Ei ipringen. die Funken^
Ich scJutue $0 drein,
: In Leid.veriunken,
FWizlich, dof kommt ee'mtry
•
Treuloser Knat/t^
Da/» ich die Nacht .von dir
' Gelr'dumH habe,
Thräne auf Throne dann^
Stürzet hernieder.
So kommt der Tag heran^ —
O gieng er wieder l
Nicht so hinreifsend musikalisch ist dieses Lied,
mehr betrachtend, wie. das Mädchen selbst^ äufserlich
ruhig vor dem knitternden Feuer steht, aber ganz ebenso
wie das erste^ nicht nur auf die Empfindung, sondern
durch ein bestimmtes kfares Phantasiebild erst auf
diese wirkend« Deberhaupt, KiBun alle Poßsia der Fhan-
tasiOf welche wesentKch. ein inneres Sehen ist^ ein be-
stimmtes Bild vorüberführen mufs, wie kann die Lyrik,
welche allerdings mehr als. die andern Gattungen der
Poesie noch unmittelbar mit der Musik verwachsen im
Elemente subjectiver Empfindung verweilt^ in- ihrer Art
dennoeh dieser Pflicht genügen? Ein bestimmte» Bild
mufs auch sie geben^ und ^^war noch auTser dem-ryth-
wisch musikalischen Sprachkörper. Spricht nun der
Dichter rein subjectir seine eigene Empfindung aus,' so
ist der Körper, den diese dennoch auch so aimehmen
mufs, seine eigene Person, ganz erfüllt von der dar-
gestellten GemüthsbeweguDg.. Darum sind jene Ge-
dichte. „An die" u. s. w. die> jetzt immer seltener vor-
kommen^, so prosaisch.. „An .die Freundschaft, die
Frßude, die Unsterblichkeit u. dergl..'' Da stellt der
Dichter den Gegenstand als ein^Abdtractum aus «ich
hinaus sick gegenüber und singt au ihn. hin, er bleibt
äufserlich. Der Qichter soll vielmehr sich selbst als
OedidAte. 124
durchdrungen von .^der darsostellenden Empfindong iih
trodoziren, sie soll Eins mit ihm sein, nicht er soll aa
sie hin, sonderta sie soll ans ihm smgeo, dadurch ist
sie individualisirt, verkörpert; der Dichter aelbat bt
die tonende' Gestalt. Ein bestimmterer Schritt znr 6k
jectivität und 4^' Keim des Epischen und Dramtftischn
innerhalb der Lyrik, der sodann in der Ballade wd
Romanze ' schon deutlich hervortritt, ist es, wenn der
Dichter sein Gefühl in eine fremde Gestalt, die er vw
uns hinfuhrt, so hineinlegt, dafs diese durchaus dai
Organ wird, durch welches hiiidnrchklingend jene^ E»
pfindung zu uns herübertönt. Mit der objectiverct
Form mufs hier auch der Gehalt objectiver, er kaoi
nicht ein unbestimmtes Privatgefiihl sein, und der Dich-
ter hat zu bewähren, dafs er sich in jede menschlkdie
Lage hineinzuempfinden vermag; So steht hier dai
arme verlassene Kind sinnend am Feuer, sie hat bei
dem gewöhnlichen Geschäfte des Haushalts ihr Un-
glück vergessen, da plötzlich kommt die Erinnerang
4lesselben über sie: hier haben wir ein ganz klares
kleines Gemälde, wer es nicht innerlich deutlich' sieht^
mufs kein geistiges Auge haben ; dieses Gemälde ist
aber ganz Jjrische Empfindung.
Einen andern Charakter nimmt der Schmers über
die Untreue des Geliebten in dem schönen Liede S.74
an; eine bestimmte Natur-Erscheinung singt dem lie*
benden Mädchen das Lied- von der Untreue, sie half
den Wind an: „Sausewind! Brausewind! Dort und hier,
Deine Heimath sage mir!'* Der Wind will' nicht Rede
stehen: „Kindlein, wir fahren Seit viel vielen Jahren
Durch die weit weite Welt, Und mödhten^s erfragen,
Die Antwort erjagen Bei den Bergen, den Meeren, Bri
des Himmels klingenden Heeren, Die wissen es "nie v.'
a.. w.'* Da fragt sie die Winde: „Halt an, Gemach,
Eine kleine Frist! Sägt, wo der Liebe Heimath i$l^'
Ihr Anfang, ihr Ende T und erhält die Antwi>ft: „Wer*!
nennen könnte ! Schelmisches Kind I Lieb ist wie Wind^
Basch und lebendig. Ruhet nie. Ewig ist sie^ Aber deio
Schatz ^) nicht beständig" u. a. w. Dieses scbdoe
*) £s keifot im. Maler Nolten: aber nicht immer bestHndig.
GewUJB sehöaer. Moerike hat auch sonstr in eitier allcH-
angstlichen BesorgnÜa, dem platten Verstände paradox »
eracheioeuy mit seinen Gedichten bei der Uerausg»be d6^
selben rerflachende €orrectaren vorgenommen; eine Unsi-
cherheit, die man öfters bei genialen Geistern findet, wena
sie int Zustande der Reffexion das in der poetischen Stim-
mung Empfangene wieder Tor sich nehmen.
125 * E. M e « r i k e,
I
Lied itoUt« jmie orgaaisohe BinbMt, in welche Gehalt
-mid innere iowohl alt ftafsere Form miteinander treten
no'Uen, beaendere muetkriiaft dar ; jene instinctmikfsige
Symbriik hat ea gedichtet, die in Wert nnd Rhythmna
/die Natnr-Eracheinang nnd eingehüllt in ihre Änsohau-
■flig die griatige Beilegung an Ohr nnd Sinn bringt.
Weil wir eben ven dem Thema der unglücklichen Liehe
<eden, weise ich hier noch auf das acht im Volkstöne
gehaltene Lied ,)Die Schwestern^ (S. 79) hm. Zwei
SchwestetD^ gleichen einander wie ein Ei dem andern,
mun wird ihre lichtbraunen Haare nicht unterscheiden,
wenn du sie in Einen Zopf flichtst, sie sitzen an Einer
Kunkel, schlafen in Einein Bett, aber:
„O Sehwtitern zwei,' ihr Mchönekf
Wü hat tUh das SUUtehen g€wenäil
Ihr liebet einerlei Liebchen —
Jeizi hat ia$ Liedel ein Enf."
Doch einmal wird die Liebe auch glücklich, es gilt
nur noch zu warten und man fiat indessen Zeit zu
einem Scherze (Die Soldatenbraut 192.); Den verliebten
Jägersmann erinnert des Vogels Tritt im Schnee an
die zierlichen Züge, die ihm^ die Hand des Liebchens
aas der Ferne schreibt: „Zierlich ist des Vogels Tritt
in#Scbnee u. s. w.*' (Jägerlied S. 19). Wie niedlich,
wie lieblich ist dieser Gedanke, bei den zierlichen Fufs«
stäpfchen der Wachtel, des Rebhuhns im Schnee der
JPederzüge des Liebchens träumerisch zu gedenken!
Wie einfach grofs dann der zweite Vers, wo der
schlichte Jägersmann den Reiher in die Lüfte hoch
steigen sieht, dahin weder Pfeil noch Kugel fleugt:
Tausendmal so hoch' und so geschwind Die Gedanken
treuer. Liebe sind. Endlich vereinigt wohl auch eine
glückliche Stunde die Getrennten zu nngetheilter Ge-
genwart und in unschuldigem Muthwillen läfstuns der
Dichter ihr Glück errathen, da wir am Morgen nach
ein^r stürmischen Nacht einen schönen Burschen einem
schüchternen Mädchen auf der Strafse begegnen sehen :
'Wie sehn siph frendig und yerlegeh Die uagewohnten
' Schelme an I Das Mädchen geht Torüber, — der Bur-
sche träumt noch von den Küssen« Die ihm das säfse
Kind getauscht. Er steht, von Anmuth hingerissen.
Derweil sie mn die Ecke rauscht.
Das letztere Lied gehört nicht mehr ganz unter
die volksthümljohen ; die Sprache ist die der Gebilde-
ten, anmuthige Betrachtung,' der Stoff aber in seiner
Einfachheit und unschuldigen Sinnlichkeit» naiv. Nacfa^
€f 0 d i e k t'il lÄ
Sprachcf und Ton ganz inr Volks -Eltaiente fault. sick
das hiibsche, schalkhafte Lied : StdrohenbötBchaft S. 24;
Der Schäfer ruht in seinem Wagen, da knopqrt und
klopft es, bis er öffnet, da stehen zwei Störche aus
der Heimath am Rhein nnd gestehen ihm klappernd,
dafs sie sein Mädel in's Bein gebissen haben; da sie
zu zweien' sind, soiragt der Schäfer : es werden doohj
hoff* ich, nicht Zwillinge sein!. Da klappern die Stör-
che im lustigsten Ton, Sie nicken^und knixen und flie»
gen duTon. Mit glücklichem Takte benutzt der Dich*
ter bei solchen Stoffen alterthüinliche oder provinzielle
Formen, wie im Anfang acht Tolksmäfsig : „Des Schä-
fers sein Hans und das steht auf zwei Rad, Steht hoch
auf der Heiden so frühe wie spat.'* ~ Ziefe» fiir Gezie^
&r u. dergl. •
Die Fhanti^sie, in der Dämmerung Tolkstbümlichen
Bewqfstseins schweifend, irrt gerne in das Reich der
Wunder, der Chantasmagorie hinüber, und in dieser
Art ist denn Alles, was uns der Dichter Tpn Balladeh
und Romanzen gibt. Kein historischer Stoff im enge-
ren oder weiteren Sinne, lauter mythische, mährchen«
hafte. Wir haben hierüber bereits oben gesprochen^
fis soll diese Region dem > Dichter keineswegs ver^
Schlössen odei^ verkümmert werden; es ist aber zu
wünschen, dafs er seine Phantasie an den markigen
Gestalten der Geschichte zur Begrenzung und Bestimmt«
heit zusammennehme. Dann wird es ihm . gelingen,'
grofse Leidenschaften, welthistorischen Gehalt m rekr
menschlichen Sphären wirkend, darzustellen. Der un-
stete Fackelschein ist schön, aber wir sehnen uns doch
auch nach der reinen Flamme der Weisheit; Mond«
schein ist schön, aber nach seinem Ungewissen Lichte
möchten wir auch die Sonne, nach der Nacht den Tag;
Es erscheint hart und paradox, aber es kann nicht
verschwiegen werden: das Premiren des Wunderbaren
in jder Poesie ruht ebenso auf dem-abstracten Verstände/
wie der Feind, gegen den eben das Wunderbare oppo^
nirend auftritt, die prosaische Weltansicht. Die pro-
saische Weltansicht hält die naturgcmäfse Wirklichkeit
für Gott- und Geist-verlassen ; die Phäntastik läfst Gott
und .Geist in dieselbe einbrechen, aber indem diefs-anf
wunderbare Weise geschieht, also die Naturgesetze
erst weichen müssen, damit die Idee Platz habe, ist
zugeständen', dafs der gesunde Verlauf an sich die Idee^
ausschliefse : was eben das Prinzip der Prosa ist« Es>
ist wie der Supranaturalismuain der Theologie» Moerike
127 E. Moerik ey
schwebt, er luit die FOfse nkdit an Bodeo, tat hat
Schritte gethan^ ihn zu gewinnen^ den gräfsten m aei«
htm Raman, allein e^ thue ncch .entacbiednere mid
rt^iBige sich voUeDda von allem Trüben und Bodenlo*
aea. Hriaiiech kt es unserem Dichter bei den Nixen
in ihrer krjitalleaea Grcrtle, im Zauber- Leuchttburm
(169)^ wo dea Zauberers Tochter die Schiffer hinlockt,
dafa Schiff und Mann zu Grunde siokt^ einen Geister«
sog sieht er aäcbtUob aom Muminelsee ai^wabep, er
bfirt leiae die Gebete der Geister achwirren, sie ira«
gen ihre Königin zn Grabe, versenken ihren Sarg in
die Wogen, die in grünlichem Feuer über ihm zosam-
menschlagen und tief unten hört man nnn ihre Lieder
suauiien. Es ist nicht die breitgetretene -und tausend
mal dagewesene Ballaid^n- Manier, Moerike ist ganz
Dichter uud zieht uns, als hätten wir diesen Eindruck
zum erstenmale, ganz in diese mystischeo, hangen Ge*
fiihle und Anschauungen hniem« Besonders uAt dem
unsteten Geiste des Windes hat er gerae zu thun*
Jung Volker, der lustige Räuber (rine herrliche Figur
aas dem Maler Nolten) ist vom Winde empfangen,
aeme Mutter, ein schön frech *^) braunes Weib, wollte
nichts vom Mannsvolk wissen, sie rief lachend : möcht*
lieber aem des .Windes Braut, denn in die Ehe gehen !
Dar kam der Windt da nahm der Wmd Als Buhle sie
gefangen: Von dem hat sie einhistig Kind In ihren
Schoors empfangen (S. 60). Die schöne MüUerstoch-
ter lockt den Rittersotm in ihre Mühle, ex will sie um-
armen, da sausen und singen ihre Zöpfe Im Winde, da
beschwört' sie die Windgeister und fahrt mit ihm durch*s
Fenster hinaus naf die Heide und erdrückt den Lieb*
kosenden an ihrer Bru^t (S. 26). Diese Ballade ist
wirklich gar zu unklar und unbestimmt, ein Extrem ne»
belbafter Romantik. ' Uofgleieh concreter durch die Be«
atiauatheit des Gegenstands and gewifs etwas Vortreff-
liches ist das Gedicht S. 85, wo der angstvoll wilde
Geist der Feuersbrunst in einem wähnsinnigen Feuer«
i
^J \c\i weifs Dicht, ob das W«rt „frech" aach aufterh^b Schwa-
ben Yom Volke poch in seiner ursprüii^lichen Bedeutung
(frei) fär einen Ausdruck Ton Kühnheit und Selbstgefühl
gebraucht wird. Es gehört unter die erst später unedel
gewordenen Wörter..
Oediekte.
1»
reiter personifiairt ist, den nusi k einar attoB StaA
rsgehn&Cng tot Anfiing einer Feuorsbranst mit scbs^
lachrotber Mtttae am Fenster auf und' nieder buscfaa,
dann auf Uapperdflrrer Mähre nach .der BrandstUte
jagen siebt«
Gehaltvolle jedoch wird dfcse Poesie des Ws»
derbaren, wo das Wunder im Dieiiste einer concret«
sittlichen Idee auftritt« Die Ballade „Die ttaorige Kri*
imng*' isl Toll GewitterschwBle uhd tragischer Angi^
gaox im Geiste des Macbeth (8. 70> K6nig Milesiit
von Irland hat sein Bruderskind ermordet, um aicb ai(
den Thron au schwingen, die Krönung ward mit Pn»
gen auf Liffoyscblofs begangen. O Irland! Irland! vi-
rest du so blind? Der König sitzt einsam um Mitt»
nacht beim Pokale, sidi seiner neuen Pracht zu firenen,
er will sich am Anblick der Krone weiden, sein Solu
soll sie ihm bringen ; doch schau, wer hat die Pforfa
aufgemacht? Ein Geisterzug schwebt herein mit FIfi-
Stern ohne Worte, eine Krone schwankt inmitteo.
Dem Könige, dem wird so geisterschwüf,
VndMtti der $ckwanm Menge lliekt
Ein Kind mit fri$cher Wumde^
JEf ia^li Mierbenewek und tückfi
E$ macht im Sani die Runde^ « -
£s trippelt SS dem Tlurgne^
Ei reichet eine Krone
Dem Könige^ deß Herze tief erichrichi, ^
Daran f der Zug von dannen etrickt
Von Morgenluft herauicktt;
Die Kerzen ßackern wunderlich^
Der Mond am Fentter lauschet;
Der Sohn mU Angtt und Schweigen
Zum Vater that sieh neigen, —
Er neiget über eine Leiche «<cA.
Aber auch die komisehe Stimmmig weifs der Dieb
ter in's phantastische Element einzul&hren , wenn ei
uns (S. 80) in den Garten des „Sehlofskupers** (Hof
rike schreibt, ich weifs nicht warum, die niederdep'^
sehe Form statt der hochdeutschen: Köfer) zn T''
hingen geleitet und acht Kegel aus dem Tod€r^'
Schlummer erweckt, wdche eigentlich Tcrzauberte
Studiosen sind aus der Zopf- und Puderseit, rotk
Röcklein, kurze Hosen ^ und ganz charmante Lest/
1
(Der Bescfaliiis folgt)
^ 17. .
Jahrbficher
für
Wissen
Schaft liehe Kritik
Juli 1839.
Gedichte von Eduard Moerthe.
(ScWuls.)
Wie koiniscb klingt es, wenn diese altfräDkischen
Geister deu Küfer io der bekannten stehenden Formel
des Volkslieds anreden : ach, Köper, lieber Küper mein!
und erzählen, ihr ehemaliger Schoppehkönig, ein ger
sch^orener Weintrinker — kam Tajgs auf sieben Mafs —
habe sie in Kegel verzaubert^ weil er sie mit ein paar
lausigen, Dichtern bei'm sauren Bier, zwar sämmtlicb
nudelnüchtern, auf der Kegelbahn traf, er habe hier-
auf, da das Biertrinken ganz in Schwang kam, 'seine
Krone weggelegt — „an mir ist Hopfen und Mälz yer-
lorn'^ und sei in edlem Zorn vom Throne gestiegen,
." M Kummer ond für Grämen zerfallen trie ein Sche-
-^, gestorben und in das tiefe Gewölbe des Scblos-
o zu „Tüwingen" •) bestattet worden u. s. w. Ob
r- ^erike gut gethan, eine phantastisch scherzhafte Lieb-
«tigsfiction aus seinen Jugendjahren, das Mährchen
Vom sicheren Mann, einem täppischen gutmütbigen Rie-
sen^ in welchem die Elemente kaum erst zu den gröb-
sten Umrissen menschlicher Gestalt sich formirt, im
VersQiaars des Hexameters hier aufzunehmen, mufs
ich bezweifeln. Es ist zwar an sich ganz interessant,
wie diese uralte Lieblmgs-Yorstellung der Deutschen,
Jie Vorstellung von linkischen Biesen, in denen das
Volk seine naive, , ungehobelte Kraft sich zum eigenen
"^cherze im Spiegel zeigte, nachdem sie in der Poesie
^^38 Mittelalters ein stehendes Thema gewesen war, ia
,J^ir späteren verfeinert als Simplicissinius u. s. w. zum
'^schein kam, hier bei einem ganz modernen Dichter
ohne Zusammenhang, vielleicht ohne Bekanntschaft mit
dieser altdeutschen Figur wieder hervortritt.. Allein der
») Dieses »/rawingen" für Tubkigcn ist, so wie derAnsdmck:
bis däifs die Zeit erfdllet wois (was, für war, gieoge wohV
aber es mufs nach dem Zusamoienhang „ist" heifsen) ^ine
Spielerei, die wir nicht billigen können.
Jahrb. J. wUiemch. Kritik. /. 1839. II, Bd.
Gegenstand, liegt dem Publikum zu ferne, es lädst s^oh
keine Vertrautheit mehr mit einem solchen Bilde be-
wirken. Die Freunde des Dichters, die sich erinnern,
wie er init seinem {trefflichen mimis9heQ Talente diese
Figur dargestellt, wie er bei'ni Weinglase mit geistei«
verwandten Freunden' diese lustigen, tollen Träume
ausgeheckt, erzeugen sich aus dieser speziellen Er*
innerung leicht wieder das Bild, Fremde aber finden
sich, weil ihnen diese Supplemente fehlen, nicht. zil-
rechte, ja sie denken vielleicht gar an versteckte
Räthsel.
Endlich erhebt sich diese Poesie des naiven sub-
ataAtiellen Bewofstseins in .das Gebiet der Religion.
Vollkommen trifft der Verf. den schlichten Ton der
Legende (Erzengel Michaels Feder 87.). S. 144 versucht
er einen jener herrlichen lateinischen altkatholischea.
Kirchengesänge, wovon er zugleich meines Wissens
zuerst den Text mittheilt, zu übersetzen, es will uns
aber die' Zeile 9, war Eis im Herzen" als Uebersetzung
von: O frigus triste etwas pretiös Torkommen. Herr-
lich ist das Lied: Wo find' ich Trost 2 (S. 126>
„Etne Liebe kenn* ichy die i$t ireuy
- War getreuy eo lang ich iia» gefunden*' «. •. v«
Hier seuftzt das Herz aus seinen innersten Tiefen zu
Gott und fragt in seiner Noth: fluter, Hüter, ist die
Nacht bald hin, Und was rettet mieh von Tod und
Sünde!
Doch es ist Zeit, dafs wir diesen Genius auch in
das Gebiet der Kunstpoesie, der klassisch veredeltea
Form, der reinen Idealität begleiten. Hier dürfen wir
sogleich die tiefe Wärme bewundern, mit der er das
bewufstlose Naturleben beseelt. Aus dieser Sphäre
hebe ich vor Allem das Gedicht: Mein Flufs (& 62)
hervor. Ich setze nur den Anfang her, um jeden
Leser, der die Poesie des Badens in einem Flusse
kennt und fuhlt^ nach dem schönen Ganzen lüstern zu
machen«
- • m
17
V •
131 ' E. Moerfk€^
O FU/m, mein Fluft im Morgenttrakl]
Empfange nuuy empfange
Den iehnsuchtivollen Leib einmal
Und käue Bruet und Wange i
— Er fühlt mir ecli^m herauf die Bruit,
Er kuhU- mit lAebeeeehmuerluet
Vnd jauchzendem Geeänge. '
Welche Innigkeit der Begeistung liegt schon allein in
der Wendung ,,er fiiblt mir'', wo ist diese Sehnsucht
nach der Berührung des Elements y. dieses Gefühl der
Einheit mit dem All der Natnv schöner poetisch aus-
gesprochen worden? Ein andermal fühlt sich die Brust,
begierig, deüi Natorgeista sich zn vermählen, von sei-.
Her kalten Strenge in sich zurückgeworfen. Dier Dich-
ter wendet smiA ans dem Grün des Waldes nach dem
Ursprung der Quellen, die der Matten grünes Gold
durchspielen, zeigt mir, ruft er, die urbemoosten Was-
•erzellen, Am denen euer ewigs Leben rollt, Im kühn-
sten Walde die yerwacbsnen Schwellen, Wo eurer
Mutter Kraft im Berge grollt, Bis sie im breiten
Schwung an Felsenwänden Herabstürzt, euch im Thale
an versenden, -*
O hier Ml*«, w Natmr den Schleier reifet l
Sie bricht einwäal ihr Obermemehlkh Schweigern :
Lßui mit eich eelber redend will ihr Geiei
Sieh ielbei vernehmend^ eieh ihm eelber zeigen,
— Doch ach^ tie bleibt^ mehr alt der Mentch^ v^rwaiet:,
Darf nicht aut ihrem eignen Ratheel steigen l
Dir biet ieh denn^ begier'ge Waetertauley
Die nmekta Bnut, ath! ob eie dir eich theilei
_ 4
Veirgebent I und dein käläes Element
JS*opft an mir ab^ im Grase zu versinken»
Was isVSj das deine Seek van mir trennt f
Sie ßiehtf und mocAl* icl^ auch in dir ertrinken !
Dieh krankes nicht, me mein Her* mm dich enthrasmt.
Küssest im Sturz war diese^ schroffen Zinken ;
Du bleibestj was du warst seit Tag und Jahren^
Ohn* einigen Schmerz der Zeiten zu erfahren*
' Soll ich etwas über diese alterthüniliche Kraft, dieses
Mark des Verses und der Sprache hinzufügen? Doch
nicht immer erscheint die Natur in so abweisender Er-
habenheit, dem Dichter wird wohl und warm uui's Herz,
' wenn er im leichten Wandersehweifse durch den Wald
voll Vogelsangs waiidert.und es fühlt der alte, liebe
'Adam Herbst- und Frühlingsfieber, Gottbeherzte, Nie
verscherzte Birstlings-Paradieseswonne. (Fufsreise 47.)
Voll Jugendfrische glüht sein Inneres auf bei'm Auf-
flammeft der winterlichen Morgenröthe (An einem Win-
termorgen S. 1. Zurechtweisung' S. 148), den Fi:üh-
O 0 d i e k te
ling fühlt er ahnungsvoll einziehen ' (Er ist*s« 9« ^\
das leise Weben der Nacht belauscht er, hört m iluni
stillen Einsamkeit der £rdenkräfte flüsterndes (>#•
dränge —
Wie ein Gewebe zuckt die Luft manchmal,
Durchsjehtger stets und Uiehter mufzuweh^
Dazwischen Itört man weiche Töne gehen '
Von seVgen Feen, die im Sternensaal
Bei:m Sphärenklang
Und fleifsig fiut Gesang
Die goldnen Spindeln hin und wid^ dreheui
Besonders bezeichnet das sebOne Gedicht S. 46. ,^
Frühling** die mystisch träumerische Art seiner in i»
endlich unsagbare Tiefen sich hinabsenkenden Emplii'
dungstülle. Der Dichter liegt auf dem Hügel, siek
dem Laute der Wolken, des Flusses zu, das* Ucn
steht ofl^en gleich der Sonnenblume, .sehnt sich, dehat
sich in Lieben and Hoffen, die Augen, wunderbar b»
rauscht, thmu als schliefen sie ein, nur noch das Okr
lauscht dem Ton der Biene —
^ Ich denke diefsy und denke das^
ich sehn^ michj und weijs nickt rechte neuh siftts:
Halb ist es Lust, halb ist es Klage,
Mein Herz, o sa^e:
Was webst du für tlrinnerung
In golden grüner Zweige Dämmerung^
•— Alte, uMnettnb4tre Taget '
Im orientalischen Geist nennt er die Nadit einen scU*
nen Mohrenknaben, den Tag seine Geliebte, die j«»a
e^ig sucht und nicht erreicht: Tag und Nacht S« 151
Dagegen mufs es auffallen, wie ein so ächter Dicbtcr
- die dunkle Allegorie „Die Elemente** S. 158 verferti-
gen mochte, so ausgezeichnet übrigens dieses Gedidrt
durch Woblklano; und einzelne phantasievolle Bilte
ist. Dieses Gedicht stammt, wie wir wissen, .aus der
Periode ersten unklaren dichterischen Drangs und in-
det hierin seine Zurechtlegung.
Der Dichter blickt in seine eig^e Brust, actne Vl^
gangenheit . erscheint ihm, mit unendlicher Wehumtk
wandelt ^r an der Stätte, wo er die ersten, ahnuDgl*
vollen Jüngimgsjahre durchlebt hat. Hier bezeiebde
Ich das Imionders schone Gedicht: Besuch, in ürsck
8« 48, woraus ich schon die Strophen anführte, die ^
Dichter beim Anblick des Wasserfalls im ürache^ Thile
ausruft. . Kennt ihr mich noch, fragt er die besonntai
Felsen, ,)alte Wolkenstttfale", die dichten Wälder f«!
balsamreicher Schwüle, kennt ihr mich noch, der soDit
hieher geflüchtet? Hier wird ein Strauch, ein jeder Hsl*
zur Schiingo, Die mich in rührende BetrachtuiKg fängt,r-
Ich fühle, wie von Schmerz und Lust gedrängt Die
Tbräne stockt, indefs ich ohne Weile^ Unschlüssig)
satt und durstig, weiter eile.'' Das Bild erster Freust
Schaft taucht in seiner Erinnerung auf, er siebt sieb
am Arme des kindlichen Freundes durch diese W^l'
der nackend • wallen $ ihrHügef, ruft er ans, ^ von der
, alten Sonne warm, Erscheint mir denn auf keinem voi
euch alieo Mein Ebenbild, in . jugendUcher Frische Be^
vorges|^ruogen aus dem Waldgebüachel 0 komm, ^0^^
hülle dich. Dann sollst du mir mit Freundlichkeit io'^
dunkle Auge schauen ! Noch immer, guter Knabe, gki^^
ich .dir, Ijns beiden wird nicht voreidander grauefl!
133 .^ E. M Q e r i k e^
» •
Voll Hübrunjor sagt ,ef eodlioh der tbcureo Stätte Le- '
bewohl: 0 Thal! Da meiaes Lebens andre Scbwelle!
Du. . meiner tiefsten Kräfte striler Herd! Da meiner
Liebe . Wundernest I ich scbeide, Leb wobl! nnd sei
dein Engel mein Geleitel'*
Wir haben gesehen, irie innig und wabr der Dich-
ter die Liebe in ihrer naiv« volkstbümlichen (Gestalt sieb
äussprecbf^n läfst. Ideenvoller,' geistiger blickend wird
sie m der Gestalt der Kutist*Poesio vor uns treten.
Dem einfachen Volksliede , noch näher steht das ganz
im CSeiste Goethischer Anmnth empfangene Erste JLie-
bestied eines Mädchens S.SS. Das Mädchen glaubt
emen Aal im Netze zu ergreifen, ^ber er schnellt und
G e d i e k i e.
134
sich im Ring — Gift mufs ich haben! Hier scbleicut
es herum , Thut wonniglich graben Und bringt mich
noch um!** Wie kindlicn traulich ist die Erinnerung
des Dichters an eine Jagendliebe, die mit den Worten
beginnt und schliefst: Jenes war zuni letztenmal, Dafs
ich mit dir ging, o Klärchen !** 8. 3. Die kräftige Gluth
edler und reiner Sinnlichkeit brennt wie die Flammen-
krone der Granatblume in dem Gedichte: Liebesvor-
zeichen S. ,40. Aber in höherer Bedeutung gebt' Schön-
heit und Liebe ai:^F, da sie auf den Schwingen erhübe-
oer Musik dem Dichter zuschwebt Josephine S. 64..
Die Liebe erscheint ihm aber auch als die anmutbvolle
Muse seiner Poesie \ wenn es im Innern gährt und ringt,
wenn dem unrubigen Geiste das tief Empfundene in des
Dichters zweite Seele, den Gesang, zu ergiefsen nicht
gelingen will^ da beschwichtigt die einfach milde Er-
schemung der Geliebten den inneren Kampf -r ^>Wie
du dann geruhig deine braunen Lockenbaare scbiich-
test. Also legt sich schön geglättet All dies wirre Bil-
derwesen, All des Herzens eitle Sorge, Vieizertbeiltes
Thun und Denken" ,. (Der junge Dichter S. 9);
Die beilige Bedeutung der Ehe, das rührende Bild des
schönsten menschlieben Festes hat uns der Dichter mit
jener edlen, beruhigten Sittlichkeit,^ mit jener tiefen
stillen Wärme des Goetbischen Genius au's Herz ge-
legt m dem Hochzeitliede S. 54. Ein räthselbaft ge-
beimnifsvolles weibliches Bild, wie aus seltsamen Träu-
men gewebt, fiibrt der Dichter am Schlüsse in einer
Reihe von Gedichten ^,Peregrina'' S.23I vor uns. Hät-
ten wir nur irgend emen Anicnüpfungäpunkt, um uns
diese Phantasuuigorieen zu denten, so mürsten uns diese
herrlichen Bilder, dieser Zauberbaucb, diese mystische
Gluth mit ungetbeilter Bewunderung erfüllen. , Wie
schön ist die Stanze im Eingang: -
• Der Sfnegel iie$er hreuenj braunen Augen
l»t wie von innrem Gold ein Wiettenciiein i
Tief Mut dem Buten gckeint er'e emn$aagen^
Dort mag; iokh Qolä^ heitrem Gräm gedeth'n :
in äiete Ii^aehi de$ Bltcke$ mtch zu tauchen^ '
Ünwinenä Kind, du telber lädtt mich ein, /
Wiiitt, ich tan kecklick mich und dkh enfzUndm,
Reiehet laekeind mir den Tod im Ketek fer Bänden!
Aber das Bild hat keinen BodeH} es fefah emo Notiz,
ein trockener Anhaltspunkt des Verständnisses^ und wir
iifässen hier wiederholen, was wir Über phantastische
Poesie bereits gesagt haben. Zwar erhalten diese Ge-
dichte im Maler Noltdn, in den sie aufgenommen sind,
eine Unterlage i6 der Fabel dieses Romanfei, aber wenn
man auch diese zu Hilfe nimmf, So bleibt doch zu viel
Dunkel zurück.
Wir treten aus diesen geweihten Räumen edler
Bmpfindung hinahs in das- raiihe Leben nnd sehen den
icnter von bitteren Erfahrongen erschüttert 9 doch der
bannouische Geist dämpft die Seufzer des Stbmerzens,
wenn der Dichter aufs Krtinkenla^rer hingestreckt, 'die
Muse, nicht um Gaben der Dichtkunst, nur um Ge»
snndheit, um Leben fleht *^ Muse nnd Dichter S. 119*
Genesen schliefst er wie ein frohes Kind die Hoffnung
wieder in seine Arme und begrüfst beHer den Hilfe-
kundigen Retter — An meinen Arzt 12L sEr glaubt
sich von den Freunden verkannt, sein Glück, das
langgewohnte, endlich hat es ihn "verlassen, doch-——*
ich tprach zu meinem Herzen:
Lajh unt fett tutemmenhalienJ
Denn wir kennen uns einander^-
. Wie iJir ^ett die Schwalbe kenniy
Wie die Cither kennt den Sänger,
• Wie »ich Schwert und Schild erkennen f
Schild und Schwert einander Heben.
Solch ein Paar, wer- mag et tcheiden ?
Alt ich dieset Wort getprochen.
Hüpfte mir dat Herz im Buten
Dat noch ertt geweinet hatte»
Im Gefühle der Freiheit des Geistes neckt er lustig
die lästigen Philister -- Die Visite S. 198. Im Be-
wufstsein, dafs ächte Poesie einen Scherz versteht, pa-
rodirt er höchst ergötzlich Goethe's Scbäferlied auf ei-
nen verlumpten Lammwirth und läfst ibn schliefsen:
Ha kontmen die Chaiten gefahren 1
Der Hausknecht tpringt %n die Höh',
Vorüber, ihr Rö/tlein, vorüber,
Dem Lammwirth itt gar to wekJ
Ich wünschte, dafs die Leser durch nähere Bekannt-
scbafl mit dem köstlichen Humor, womit der Dichter
in schläfrige, etwas simpelhafie Zustünde einzugehen
weifs, in die treflriiche Darstellung des Katzenjammers
sich ganz hineinfüblen könnten, der ihn über einem
schiechten Gedichte beiUllt, ifod woraus ibtt endlich ein
herzhafter Rettig rettet, den er auiftifst bis auf den
Schwanz — Restauration 212. Aebniicfa S. 213: Zur
Waruung.
Befreit ihn aus dem Druck dieser kleinereu Uebel
sein Humor, so erhebt sich dagegen im ^Scbwunge der
Religion die Seele über den grofsen und all|i;emeinen
Schmerz der Endlichkeit. Ganz das morgenfliche Sab-
batbsgefuhl ,d^ neuen Jahrs hanchen die schönen Stro-
phen S. 138, ganz die heilige Traner der Charwöche
das schöne Gedicht S. 155.
Als ein wesentliches Moment in der DurcbbildunTg
des Dichters zu diesen durchsichtig edlen Formen der
Kunstpoesie erkannten wir die Einfrasse des plastischen
Geists der Alten. Von dem vertrauten Umj^ange mit
diesen zeugt dl^gröfsere Zahl derjenigen Gedichte, die
in den letzteren Theil dieses Büchleins aufgenommen^
sind. Als den peCtiscbeaGeaiusy ^em wi« keinem Au-
135. E. Moerike^ Gedieht^
dem, die Höben des Pelikoo nocb einmal etiineawann
13i
erglänzten, begrüfst er Goethe S. 134', unsem freffli-
eben Maler Eberhard Wächter iälst er uns in dem
schönen Sonnette S. 135 sehen zurüciKge90j|en in seine
stillep Wände, Mit traurig schönen Geistern im Verkehr, .
Gestärkt am reinen Athem des Homer, Von Goldge«
völkea Attika's umflossen. Aber er darf sich selbst
diesen edlen Geistern gesellen, denn Wenigen ist es ger
limgen, die alten Götter noch einmal in's Leben her-
aufiufiihren, wie er von dem Jubel einer schwäbischen
Weinlese begeistert in dem Gedichte: Herbstteier S.
104 den Gott des Weins und sainen bacchantischen
Dienst zu einem neuen, aber im Geiste der Innigkeit
und modernen Humanität yerklärten Leben aus dem
Todesschlammer erweckt. Seiue Feier naht, braune
^ Männer, schöne $]rauen sind versammelt, ^in zu ehren,
Noch ist vor der nahen Feier Suis beklommen manche
Brust, Aber weiter bald .und freier Liebergibt sie sich
der Lust, — der Jubel beginnt, schon ist^ der Dienst
des Gottes in vollem Lauf^ Amor auch hat nichts da-
wider, Wenn sich Waog* äki Wange neigt, Und der
Mund, im Takt der Lieder, Sicfi dem Mund entgegen-
beugt, — dort drückt ein betrunkener Alter kiudisch
den^ Krug. an die Wange, indefs ein Junge ihm mit der
Fackel kräftig den gekrümmten Rücken schlägt. Aber
ernst schaut aus dem Gebüsche, von Epheu umrankt,
..das träumerische Marmorbild des Gottes —
Wie er lächelnd abw'drt$ blicket l
Kr beiinnet iich nur kaum,
,HerrlicherI Dein Auge nickei,
JJoch die/t AUei i$t ein Traum;
Luna iucht mii frommer Leuchte
Dich, o ichoner Jungling, hier,
Schöpfet zärtlich ihre feuchte
Klarheit auf die Stirne dir,
£r ist der Liebling der Götter und Menschen, der Ret-
ter des Zeus, Mars scblielst erst ihn in seine Arme,
Fühlet «nun am Göttermarke sich gedoppelt einen Gott,
Dann erst brüllt der Himmlisch -Ai^ge Todeslust und
Siegerspott. Die Feiernden treten vor < ihn, flehen ihn
um ein Zeichen, dafs ihm ihr Dienst willkonmien sei — -
Tritt in untre bunte Mitte,
'Oder trinke mit der Hand,
Wandle drei gemeftne Schritte
.Längt der hohen Rebenwand!
^- Ach^ er läftt eich nicht bewegen «—
Aber, horcht, et bebt dut Thal!
Ja, dat itt von Donner tc/Uägen :
■Horch, und echon zum dritten Mai! ;
Selber Zeut hat nun getchworen,
Daft tun Sohn unt güntüg tei.
So itt kein Gebet verloren.
So ist der Olymp getreu, —
Doch nach tolcher Götlerfülle
Ungettümem Vebertchwang
• Werden alle Herzin ttille,
Alle Gatte zauberbang,
Siimmrt an die letzten Lieder J
Und to. Paar an Paar gereiht,
Suiget nun zum Flufs hernieder^
Wo ein fetUich Schif bereit, '
Auf dem vordem Rand erhebe
Sich der Gott und führ' unt an^
Und 'der Kielf mit FlUttem, tehweba
Durch die ' mondbeglänzte Bahn l
Wie vergeistigt erscheint hier der alte wilde Naturdienst
im romantischen Echo dieser herrlichen Reime! Doeh
Moerike hat auch antike Formen nachgebildet und gar
manches Anmutbige im Sinne der elegischen und epi*
grammatischen Lyrik der .Alten «gegeben. \Vie lieblich
ist S. iü3. Die lose Waare ! Amor' als Savoya^dj^ tritt |
zu dem Dichter aufs Zimmer, das Jäckchen verschiebt
sich, der Dichter ruft: Ei, lafs sehen, mein Sohn! Da
fuhrst auch Federn im^UandeH Amor legt lächelnd
den Finger auf die Lippen und flüstert: Stille! sie' sind
nicht verzollt, er füllt umsonst dem Dichter das Tin-
teufafs, und entschlüpft. Von dem Moment an, will et
was Nützliches schreiben, gleich wird ein Liebesbrief,
wird ein Erotiken draus. Unter den lieblichsten Epi*
grammen erotischer Gattung zeichne ich besonders noch
aus: Maschinka S. 123. Das edelste kindliche Gefühl
spricht aus den Distichen „An meine Mutter'* S. i%
Wie sinnig ist die wilde, Rose an dem unberübmten
Grabe von Schillers Mutter gedeutet! S. 113. So vie-
les Liebliche und Edle aber der Dichter in diesen älte-
ren Formen reicht, so wenig scheint er für das tfioderjie
Epigramm und dessen witzige Spjtzo bestimmt zu sein.
Einiges zwar ist ihm gelungen, namentlich S. 202. Dec
Liebhaber an die heilse Quelle in B,
Du heileU Den und trötiett Jene/t,
O Quell, $0 hör auch meinen Schmerz!
Ich klage dir mit bittern Tftränen
Ein 'härtet, kältet Mädchenherz,
Et zu erweichen, tu durchglühen^
Dir ißt et eine leidste Pflicht;
Man kann ja Hühner in dir brühen.
Warum ein junget Gänschen nicht?
Anderes aber ist matt und ohne Salz: der Dichter selbst
in seiner Phuntasiefülle, welche mehr als Witz ist, ve^
barg sich diesen Mangel gewifs durch das Charakte-
ristische des Bildes, das ihn) dabei vorschwebte, ve^
gafs aber, dafs das Fo^tischej ohne solches Rücki^ürts-
Bchlicfsen auf etwaige Supplemente im Subjecte des
Dichters, bezaubern soll. Hier beginnt wirklich der an-
füniflich so" volle Strom dieser Ljrik im Sandö zu ve^
laufen: statt der prasselntjen Flamme reibt der Dichter
Zündbölzcheu, die öfters nicht brennen wollen. Schinie-
'den wir aber dem Geiste, der bis dabin gewifs in un-
serer Liebe sich festgesetzt, keinen Vorwurf. Moerike
steht an poetischen Gaben zu hoch, am im Witze zi
flänzen. L'essing war ein feiner Epipammatist, aber
ein Dichter, soudern ein Kritiker. Uuter den Xeuien
sind bekanntlich die pikantesten nicht von Goethe, son-
dern von Schiller. Moerike hat mehr komische Ader
als diese beiden : diefs ist aber die komische Anscban-
ung, die himmelweit über dem Witze steht, und die sich
erst im Epischen, wozu sich dieser glückliche Genius
erhob, zeigen konnte. Indem wir hier von ihm als Ly*
riker Abschied nehmen, mache ich noch besondei^ dar-
auf aufmerksam, wie reicher Stoff für Componisten m
diesen Liedern ist, und kehre eben hicdurch zum berx-
liohsten Lobe dieser acht poetischen Produkte zurück.
Fr. Vi scher.
I
wissen
Jahrbücher
f ü r
Schaft liehe
Kr i t i k.
Juli 1839.
m
vn.
I)te gemischten Ehen^ namentlich der K&tholi-
keri und Protestanten^ nach den Ansichten des
ChristenthumSy der Geschichte^ des Rechtes
und der, Sittlichkeit^ mit besonderer Rücksicht
auf das religiöse Zeitbedürfnifs dargestellt
9on Dr. Christoph Friedr. r. Amman y Vice^
Präsidenten des erangel. Landeseonsistoriums
u. s. w. in Dresden. Dresden und Leipzigs
1839, in der Amoldischen Buchhandlung. XV
und 205 S. gr. S.
Zwei Jahrhunderte sind beioahe verflossep, seit der
sacb langwierigen Kämpfen errungene Religionsfriede in
Deutschland nicht aufgehoben und die inzwischen hin und
•wieder erregten Gravauiina meistens zur Genugthuung
der' Betheiligten erledigt worden* Die Auflösung des
^deutschen Reichs hat der schon seit dem sechszehn»
ten Jahrhundert gelockerten Verbindung keinen Ah-
. brach gethan; vielmehr ist die Einheit später bestimm-
ter und grofsartiger,' als je zuvor, wirksam geworden
und der deutsche Bund hat den genügendsten Ersatz
gewährt. Wir können daher auch vertrauensvoll hof-
f^i^ dafs die in neuester Zeit wieder heraufbeschwor^
. Ben Zwistigkeiten ausgeglichen und die heiligsten Ban-
de durch einen Conflict, welcher das deutsche Yator-
land höchstens nur mittelbar berührt, nicht auf UAua-
tüiiiche Wciise gelöst werden können.
Wie bald und durch welche Mittel der zerstörte
Zustand wieder geordnet werden wird, das dürfte eich
jmit Sicherheit Vbhl schon jetzt nicht bestimmen las-
sen: ja es ist selbst nicht unwahrscheinlich, dafs die
momentanen Zerwflrfoisse noch gröfser werden, auf
dafs sie zu voller Reife gelangen und die Nothwendig-
keit der Herstellung und Befestigung des . Friedens um
so besser erkannt und vollzogen werde. Dafür bürgt
Jahrb. f. wUienieh. Kritik. J. 1839. II. Bd.
uns der Fortschritt des menschlichen Geschlechts^ wie
derselbe aus dem Entwicklungsgange des Geistes und
den Ergebnissen der Gesdiichte gewürdigt werden kann.
Nach einer weisen Anordnung besteht in der ob-
jektiven Einheit des Geistes die subjektive Mannigfal-
tigkeit: denn nur dadurch ist der Stockung und Ver-
knöcherung gewehrt nnd dem Streben nach Vollendung
wesentlicher Vorschub geleistet«. Der Sieg des Le-
bens Aber ist ibr, dafs in ihm die Verschiedenheit als
Gegensatz fiberwältigt und zum Unterschiede versöhnt
werde. Diese Ausgleichuhg des Besondera mit dem
Allgemeinen ist das Prineip für die Wirksamkeit des
Einzelnen, wie tier Gesammtbeit*
Jedes Individuum verfolgt zunädist sein subjekti-
ves Interesse. Die Selbstsucht und der Eigennutz
schwinden indessen, sobald der Einzelne sich der Ge-
sellschaft wahrhaft einverleibt, ein integrirender Be-
standtheil derselben wird. Sein Wille ist als vollen-
deter objektiv, mit dem der Gesellschaft identisch.
Für die Gesellschaft selbst ziehen sich kleinere und
gröfsere Kreise, deren umfassendster die Menschheit
überhaupt ist, nnd deren Zweck daher' der objektive
für alle Gemeinschaften sein mnfs. Worin dieser be-
steht, ergiebt sich bei der Betrachtung concrcter Ver-
hältnisse; im Allgemeinen aber können wir die Begrün-
dung der Humanität im weitesten. Um£an|pe, die Stif-
tung des Reiches Gottes auf ^rden, als die Aufgabe
des Menschengeschlechts bezeichnen. In dem Wachs-
tbume der Humanität, in der Versöhnung des Parti-
Gularismus mit dem Universalismus, finden wir darum
den Beweis für den Fortschritt überhaupt
\ Ohne hier näher für einzelne Zweige der Gesit-
tung und Bildung die Wahrheit des au%estellten Prin,-
oips nachzuweisen," beschränken, wir uns, durch den zp
erörternden Gegenstand veraalafst, auf die beiden
Bauptfaotoren der menschlichen Verbindung selbst^
den Staat und di^ Kirche, i
' 18
139 tf. Amman ^ ,di$
Im. Staate^ als der rechtlich -politUiGbeli Seite itr
grofseo Lebensanstait^ erlLennen vir im Abfange der
Völker die Herrschaft des particularen und r<)in sub-
jefaÜTca Elements : denn 4er Familie iiod der ans ihr
hscTorgegaogenen NatioD ist zunächst nur der Ver-
wandte und Stammgenosse Rechtssubjekt. Daher hat
peregrinus im Beginne die Bedeutung von inimicus,
hostis, und der Ausländer (alilenti) andersländisoh) ist
6lend^ captivus, miser, peregrinus, biesterfrei. Der
Ueberwundene ist nur Sache (servus homo sine capi-
^e)^ Dieser Zustand der Iqhumanität mufs abor im
Verlaufe der Zeit weichen und allgemein wird das
jReeAt des Menschen anerkannt, jedem Gleichheit vor
dem Gesetze gewährt, und die Völker werden als gleich-
berechtigt anerkannt.
Nicht anders kann das Endergebnifs für die Ent-
wtckluBg. des religiösen Liebens erfolgen, wenn der
Begriff der Religion festgehalten wird. Die Religion,
die Gemeinschaft des Menschen mit Gott, ist zunächst
Irin Inneres, Unsichtbares. . Als ein lebendiges nnd be-
lebendes Organ -tritt sie aber in die Sichtbarkeit nnd
erzengt die Verbindung der Gleichgesinnten. Anfangs
particular und exdusiv (Familien^ Volksreligion), wird
eie nach und nach umfitssender und universell die JKar-
eAey welche die Menschen als Kinder Eines Vaters in
flieh aufnimmt. , ■
Dieses ist die begriffsmälsige Entfaltung für Staat
nnd Kirche. So wie aber die Ersdieiaung im Allge-
meinen lange hinter dem Wesen zurückbleibt, so sind
auch Staat und Kirche noch nicht rein und vollkom-
men Terwirkiicht. Noch bestehen in der rechtlich -po-
litischen Verbindung der Menschen Fragmente der an-
i&nglicheti Beschränkung. Sollten diese etwa in der
religidsen Gemeinschaft schon ganz beseitigt sein ? Es
herrscht vielmehr in der Kirche bei weitem mehr das
particidaristische und blos subjektive Element, als im
Staate, welcher joner vorausgeeilt ist. Bestehen aber
solche Beschränkungen in den einzelnen Geitieinschaf-
ten selbst, so kann es nicht befremden, dafs dieselben
in ihrem gegenseitigen Verhältnisse um so schärfer
und bestimmter hervortreten, zumal. wenn es sich um
einen Gegeustaml handelt, welcher in der concretesten
Gestalt das Verliältnifs des Staats und der Kirche dar-
stdlt. Dieser Gegenstand ist eben derjenige, welcher
hier näher in Betracht gezogen werden soll, fUe Ehe.
Die Ehe ist dasjenige Institut, in welchem sieh
gemüeJUem Ehen. 141
die drei Momente des gesellsotiaftlichen Vereins anb
Innigste durchdringen. Das nächste und ursprünglidw
ist das durch die Natur gesetzte, dus physische, ii
dieses sehliefiien sich das bttrgerliche und «eligiöie.
Zwischen allen diesen kann es zum Conflicte konuBM.
Vor Christus erscheinen aber die beiden zuletzt g^
nannten Seiten in einer fast unterschiedlosen Jßinkeit;
jedoch so, dafs bei den Heiden die bürgerliche, bti
den Juden die religiöse vorwaltet. Der Kampf, wil
eher hier eintreten kann, beschränkt sich daher vo^
zugsweise in der Richtung gegen die Natur und ist ifr
soweit gerechtfertigt^ als diese vom Geiste 1>ewfiltigt,
oder in ihrer Wahrheit, in welcher sie dein Geiita
, nicht widerspricht, festgehalten wird (daher die EIm-
hindemisse in der Familie -selbst n. s. w.)* Durch die
mit dem Eintritte des Christenthums in die Welt ve^
anlafste Scheidung des bttrgerlichen und religiösen Ek-
ments werden die Verhältnisse complicirter und der
Conflict selbst mannigfaltiger, Jndem jede der drei Sei*
ten die Alleinherrschaft anstreben, und dadurch im b»
sondern Falle den Widerspruch einer dRr beider tf'
dem veranlassen kann. Daher kommt es hierbei da^
auf an, jedem Momente sein Recht zu schaffen iu'
die in bestunmten Grenzen mtfgliche Vereinbarkeit d«^
selben zu verwirklichen«
Fassen wir von diesem Gesichtspunkte , den Ed^
wicklungsgang der ehelichen Zustände und des £b»
rechts insbesondere auf, sp bietet sich uns darin ^
bedeutungsvoller Beitrag «ur Geschichte des Kampfo
zwischen Natur, Staat und Kirche. W^enn wir am
schon in den gewöhnlichsten Beziehungen des ehsfr
oben Verhältnisses diesen Kampf nicht vermissen, i«
wird derselbe am meisten in den sogenannten gewindt
ten Ehen hervorgerufen, welche daher Auch, whffi^
hen von andern Rücksichten, vorzugsweise eine ni"
here Würdigung beansprucheji* Wir unterziehen du
derselben mit stetem Hinblick auf die in der Uebe^
Schrift genannte Abhandlung des Herrn v. Amman.
Unter der Menge von Schriften, welche seit Jak
und Tag die gemischten Ehen zum Geigenstande dir
Forschung gemacht haben, verdient die des Hm. v. i>
eine ganz besondere Anerkennung. Wir berichten da*-
balb über ihre Form und ihren Inhalt zunächst i^i it*
gemeinen, dann im Besondem.
Der Hr.. Verf. schildert die gemischten Eheo i*
acht Abschnitten nach der heiligen Schrift des, alten
141 . if. jtmman^ die
m m
■od DMeo Tefttamentfl, nach den StiaiaieDderKiröhenvB*
ter^ doD yerordouDgon der Concilien, dem oeordinisobeO)
luuioaieoheo, . päpetlioheD aad /aiigemeben protestanti-
•chen Rechte, naeh den Aiuiichtea der katholisehta Dog-
fliatiky der bebarrlichen Vorwerfung dieser Ehen tod Rit-
ten des rdmisohen Stuhle und naeh der bürjj^erlichen
Gesetxgebung der neueren Zeiten, und betrachtet dann
im neunten Und sehnten Abaebnitte die gemischten
Ehen als unabweitliches Zeitbedttrfnifs in sittlicher und
kirchlicher, in religidser nnd geselliger Beziehung.
Die eigentliche Aufgabe^ welche sich der Verf.
gestylt hat, ist die Beweisführung, dafs den Ehen die-
ser Art kein wirkliches Hindernifs im Wege stehe,
' wenngleich dieselben „vom Standpunkte der Socialität,
Klugheit und lläuslichkeit aus yiele Inconi^enienzen
darbieten, und daher tbn Seelsorgenr, Eltern nnd
Freunden in den meisten Fällen widerrathen werden
ditrfea" (S. 38, 39). Er. ist „weit davcn entfernt, das
Unzuträgliche und Mifsliche zu Yerschleiem,' was eine
QDbedingte Zulassung Tcnnischter Ehen namentlich fiir
die niedem Classen des Velkc haben würde ; noch viel
weniger aber will er das Recht Jeder einzelnen christ*
liehen Confession bestreiten, fiir die Erhaliung ihres
Glaubens und ihrer Lehrferm besorgt zu sein. Viel-
mehr ist es nur seme Absicht, die ' Gründe zu prüfen,
die sie zu dieser Maafsregel bestimmte, den Eifer zu
mftfsigen, der sie bei dem Entwürfe nnd der Ausfllh-
mbg derselben oft genug über die Schranken der Weis-
heit und Gerechtigkeit hbausführte, und zuletzt durch
eine kritische Sichtung dessen, was uns Tradition und
Geschiebte hierüber darbietet, auf ein richtiges und
haltbares Princip vorzubereiten, aus dem die hierüber
SU erlassenden Verordnungen zu schöpfen nnd nach
dem* siö zur gemeinschaftlichen Wohlfuhrt aller wahren
Christen in unserer. Zeit zu bemessen sein dürften**
(S. 63. vergl. S. 181 folg. 205 mit der Vorrede).
» Um .seine Absicht zu erreichen, hat es der Hr. Vf.
für nöthig gehalten ^ bei der Eotwickeluog der ^e»
•chiohtliohen Zustünde die Aussprüche der Quellen aus-
filhrlich (zum Theil im Originale ^und einer Ueberset*
Eung) mitzutheilen „ihre Aecbtheit zu erforschen, sie
in ihrem Zusammenhange darzustellen und ihre Ver>
pAichtnngsrähigkeit iilr unsere Zeit nach bewährten
Grundsätzen zu prüfen.'* Indem der Verf. so die ein»
seinen Sätze der Quellen mit einem begutachtenden
Urtheile begleitet, sind aber theils mehrfache Wieder^
gemiicAim Ehen. ^ . lAl
holungen veraalabt, theils die zusamaiengehdrigeB
Gründe von einander gerissen worden«. Einfacher und
zweckmäfsiger wäre daher eine allgemeine Betrachtang
des ganzen Verhältnisses und ebe philosophische fin^
wickelong der fiir imd wider sprechenden Gründe voc^
angestellt und dem Leser die Beurtheilung der ge^
schichtlicheu Data nach dem gewmmenen Princip übe»-
lassen worden. Dies Verfahren wäre um so wfinschena*
werther gewesen, als zwar nach der Erklärung des
Verfs. „die ganze Controvers weniger anf dmn Gebiete
rationaler und mpraliseher Ideen, als auf dem Boden
der Geschichte, und zwar der jüdisch -christlichen ge-
führt wird und selbst die bürgerliche und kirchliche
Gesetzgebung bei der grofsen Divergeuiz ihrer Grund-
sätze noch einer festen nnd sichern Haltung sa erasan-
geln scheint" (S. 4), dennoch aber die Ueberzeugung
fest steht, „däfa das entscheidende Gewidit der ratio*
nalen und moralischen Ideen noch immer am rechten
Orte hervortreten wird."
Die vom Verf. beliebte Form der Darstellung er»
klärt sich übrigens aus dem Bestreben, die Schrift
y on' KutecMser: die gemischten Ehen von dem katho-
lisch-kirchlichen. Standpunkte ans betrachtet. Zweite
vermehrte Ausgabe. Wien, 1838, zu widerlegen (s.
Vorr. S. V). Ja wir möchten ^ie Abhandlung des Hnt
T. Ammon als eine im Gegensätze der Kuttochker'schen '
vom protestantisch - kurchlicben^ Standpunkte aus ge-
fiihrte Untersuchung bezeichnen ; wobei indessen nicht
unbemerkt bleiben mag, dafs des Verfs. protestantisch^
Ansichten eigenthümliche und von ^^umi andrer Pro- .
testanten abweichende sind. Der Hinblick auf KntfM^b-
ker's Schrift tritt besondcyrs in dem ganzen geschieht- '
liehen Theile der Arbeit so bestmimt' hervor, dafs die
von jenem angenommenen Auszüge der Quellen, mit
wenigen Ausnahmen^ und, nur diese wiederholt werdmi,
um die vom Gegner versuchte Interpretation zu entp
kräften. Die . Widerlegung ist auch vielfach,' jedoch
nicht immer gelungen. '
Indem wir jetzt den Ausfiihrungen dte Verfs. un .
Einzelnen folgen, gehen wir mit ihm vom alten Testa^
menteaus. Nur zwei Gesetze gehören aus demselben
bestimmt hierher, nämlich II. Mosis XXXIV, 14—16.
verb. mit V. Mosis VII, 1 folg. und Esras IX, 1 folg.
X, lÖ— 12. 19, von denen jenes die Ebe hebräischer
Männer mit Kanaaniterinnen , um der Abgötterei zu
wehren, dieses allgemeiner die Ehe der Juden mit Aus-.
143
V. Ammony äie gemUchUn EAen.
tonden UDteraagt, weit damals die Unabbäagigkeit des
jttdiscbeo Volks und die Reinheit seiner Religion too
dieser Maafsregel abhin^. Beide Vorschriften vordeB
aber nie aligemein befolgt. Wenn wir dem Verf. nur
-bedingt darin beitreten wurden, dafs diese Gesetze
mehr politischen,' als (sittlichen und) religiösen Inhalts
waren^ so stimmen wir ihm doch schlechthin darin bei,
-dafs eine für alle Zeiten erlassene Anordnung in ihnen
nicht gefunden werden könne, da das jüdischeGeset« über-
liaupt nur seine locale und temporäre Bedeutung hatte.
Da der Hauptgrund die Verhinderung des Uebertrittszum
<jötzentbum War, so konnte eigentlich für Monotheisten
das Verbot nicht fortbestehen. Indessen werden die
' Grunde, welche überhaupt gegen gemischte Eben spre-
chen, bei einer Ehe zwischen Juden und Christen in
▼erdoppeltem M aafse vorhanden sein. Uebrigens Ter-
•dient bemerkt zu werden, dafs unter den versehiede-
nea jlidischen Steten selbst niemals ein Eheverbot be-
standen. Von diesem Gesichtsponkte aus ist auch bis-
weilen von Juden die Ehe mit Christen, als einer ihi^en
p «ugehörigen Partei, gestattet worden« Daher äufsert
auch SpiAoza: Kein Rabbiner auf Erden kdnnte ein
positives Hindernifs dagegen aufbringen, dafs Juden
und Christen einander heiratbeten. Die Christen sind,
Tom jüdischen Standpunkte aus betraöhfet, nur eine
jüdische Secte ; ^ dafs ihre Zahl im Verlaufe der 2eit
die gröfsere wurde, verändert an dem Saobverhftltnisse
nichts. Wir haben unter den Juden Secten, ja sogar
unter den Thalmudisten Einzelne, welche den Messias
als schon erschienen betrachten, und nirgends kann eine
gegenseitige Verscbwägerung verboten werden."
Indessen ist andrerseits von jüdischen Schriftstel-
iem und selbst vom Synedrium «i Paris dtfs Gegen-
, tbeil behauptet, und von der katholischen Kirche seit
dem vierten Jahrhundert die ^Bke fiir unstatthaft und
nichtig erklärt worden.
Bei der Betrachtung des neuen Testaments ent-
wickelt der Tf. zunächst, dafs Christus die Scheide-
wand, welche bis dahin zwischen den Völkern bestand,
aufgehoben, indem er alle für die Wahrheit des Evan-
geüi berief. . Er fafst die nenteetamentlichen Grund-
sätze über das eheliche Verhältnifs zusammen und fol-
gert daraas, dafs, da Christus die ursprüngliche Ord-
nung Gottes für die Völker herstellte , das Cbristen-
thum an sich kein absolutes Hindernifs der Ehe seiner
114
< • ^
Bebenner unter, ridi und selbst der ehelichen Verbii^
düng mit Nichtchristen anerkennt, indem diese viel>
mehr als Mittel zur weiteren Verbreitung der ehrisHii
eben Lehre betrachtet wird. Er verbreitet sieh dsn
näher über die Erklärung des Apostels Paulus io 1
Coriutb. VII, 12 folg. und des Petrus in dessen ersteh
Briefe III, 1 und II, 7, die Aussprüche in I. Corinth.
VII, 39 u. iL Corinth. VI, 14 beiläufig berührend. Au
der zuerst genannten Stelle zieht er den Schlufs, diii
damals überhaupt Ehen zwischen Gläubigen und Un-
gläubigen vorgekommen, dafs aber die Worte des Apo-
stels ' nicht auf dic^ bereits geschlossenen Ehen b^
schränkt werden dürften, da der Apostel dergleicbn
Ehen durchaus hätte verbieten müssen.
Es handelt sich hier also um die bedeutungsvolk
Frage, ob nach den Grundsätzen des neuen Testame&ti
die Verschiedenheit des Glaubens als ein Ehehiude^
nifs betrachtet werden- könne? Dieselbe ist abweidieoJ
beantwortet worden. Bei vorurtbeilsfreier Betracfatuii;
durfte man aber wohl zu dem Resultate gelangen, vd-
ches bereits Augustinus gewonnen: Non in evangeiii)
aut ullls apostolicis literis sine ambiguitate declarati»
esse recolo, utrum dominus prohibiierit, fideles infide*
libus jungi : ' (de adniterinis conjugüs lib» I. cap. 2S.)
nnd: Revera in Novo Testamente nihil inde praecep
turnest^ (de fide et operibns c. 19.). Indessen iriri
man daraus ebetr eine unter Umständen zu rechtfeiti^
geade Nachsicht, als eine förmliche . Billigung oder gtf
Empfehlung einer solchen Ehe, gegen welche doch in»
mor gewichtige Gründe sprechen, folgern können, f»
mal da einzelne Stellen der heiligen Schrift, wie it
sonders IL Corinth. VI, 14« (^^ r^vaipt iuQo^vycSJm
^difiatoig u. s. w.) eher dagegen angeführt werden köiH
neu.- In seiner Opposition gegen die Unduldsamkeit
bjperorthodoxer Katholiken, welche sogar Christen an-
drer Confessionen -als infideles betrachten, geht der Vf«
hier «ohl zu weit und findet namentlich in der Stell«
I. Corinth. VII, 12 folg. zu viel: denn daraus, dsTi
Paulus die Portsetzung einer von Ungläubigen eioge-
gangeneaEhe, wenfi ein Theil sich zum Cbristenthasie
bekehrt und der andere in der ehelichen Gemeinscbaft
zu verharren nicht abgeneigt ist, empfiehlt, kann sof
eine wirkliche und directe Billigung einer zwischen et-
nem Gläubigen und Ungläubigen erst einzugeheodep
Ehe mit unsefm Verfasser nicht geschlossen werden*
(Der Beschinis folgt.)
w 1 8 19 e n
J a h r b tt c h e r
für
» •
s c h a f t lieh e
»
Kri t i k.
Juli 1839.
DU geminchten EAesiy MmentUch dar KäihoUr
ien und Pri^tesUmten, nach den Ansichten de»
ChrütenthumSy der Oeschichte^ des Rechtes und
der Sittlichkeity mit besonderer Rüchsicht atf
das religiöse Zeitbedürfni/s dargestellt von
Dr. Christoph Friedr. r. Ammon*
(ScUob.)
D«r Apostel approbirt die Fortdauer einer eo ge*
mischt gewbrdnen Ebe, theik aas Abneigung gegen
ScheiduDgen überhaupt, yon weldien im Vorhergebenr
den die Rede isti und inBeziebnog auf welche zunSobst
10er vorliegende Fall zur Sprache kommt, theils in der
Hoffnang} der andere Theil könne jetzt auch durch den
gläul)ig gewordenen Tür das EvangeUum gewonnen wer*
den (vgL L Petri UI, 1 folg.^). Diese Erwartung ist aber
keine GewiTsheit: denn was weissest du aber, du M^eib»
ob da den Mann werdest selig machen ? oder du Manui
-«vas weisae&t du, ob du das Weib ^werdest selig ma*
chen}~('d« h. für Christus' gewinnen) (a. a, .0. V. 16>
Um so wenFger kann man daher mit dem Yerf« anneh*
men, dafs auf dieses Ungewisse hin ein so bedenkU-
ches Mittel empfohlen worden, sei, um jenland zum
Chrirtenthum. zu bekehren, abgesebn dayon, dafs es im-
mer nicht gerechtfertigt werden könnte, die Ehe zum
Nittel für einen bestimmten derartigen Zweck.zu machen.
Wenn der Vf. übrigens (S. 25 Anm. *) erinnert,
die Praxis der christlichen ' Kirche bis in das vierte
Jahrhundert beweise schon, dafs man die Stelle des
Apostels auch ton künftigen Eben verstand, so mufs^
dagegen bemerkt werden, ^vSs für dje^ Ansicht der.Kir-
cbe aus dem Vorkommen solcher Eben, welche übei^
dies wohl meistens erst durch den Uebertritt <wes TbeiU
gemischte wurden, nichts gefolgert werdeb könne, da
der Staat solche Ehen gestattete und zuerst im Jahr
339^ die Ehe zwischen einem Juden mit einer Christin
(c. «. C. Theod. de Judaeis) (XVI, &) und im J. 38»
Jakrh, f. wiiunich. Kritik. J. 1839. H. Bd.
überhaupi zwischen Juden und Cli^sten verbot (o.' 2. C. ,
Th. de nuptiis) (UI, 7.) o. 5. C. Tb. ad legem JuUam
de aduUertis (IX, 7.) o.6. C« J. de Judaeis (1, 9.), überr
dies die kirchliche Gesetzgebung gleich seit dein An-
fange, des vierten Jahrhunderts, seit welcher Zeit Irlr
überhaupt erst besondere Kirchensatzungen besitzen,
gegen solche Ehen eiferte.
In dem folgenden Abschnitte erhalten wir in den
Erklärungen der Kirchenväter fast nur Auszüge aus
Kutscbker, mit Gegenbemerkungen und besonders der
Erinnerung, dafs. die Väter meistens blos von Eiben imU
jBchen Gläubigen und Dnglänbigen sprechen, deren Ana»
Sprüche dahernicht auf Ehen zwischen Katludiken und
Protestanten angewendet werden können» Die allein
seligmachende Kirche (vom Vf. beiläufig 9,eine tradi-
tionelle und nach unsern Grundsätzen häretische Htfw
che'* genannt S. 93 vgl. S. 107) kann freilich dAiniC
nicht widerlegt werden, denn „die katholische Kirche
hat^ (nach Kutschker S. 104) noch jederzeit alle Jene,
welche nicht zu ihr gehören, als ihre Feinde betrach»
tet und defshalb ihre Glieder von jedem näheren ven-
trauteren Umgänge mit ihren Widersachern zurückzu*
ziehen gesucht, ohne gerade die Gröfse der Entfernung
zu beachten, in welcher sie zu der katholischen Kirche
standen^''
Von den Kirchenvätern wird im AllgOmeioen, .mft
etwaiger AusnabmiB des Epiphanins, Bischofs von Sa^
lamis, um . das J. 366, die £he von Christen mit Nicht-
chri^ten gemifsbilligt. Der drste aber, welcher nach
der Bemerkung Kntschker's,. dem der. Vf. folgt, „daa
von den Bischöfen in Schutz genommene, aber noob
nicht in gesetzliche Kraft übergegangoie Verbot der
Ehen zwlsc|ien Gläubigen und Ungläubigen,' aooh anf
die Häretiker ausdehnte" ist Ambrosius (+ 307); Hr^
y. . A« befindet sich hier aber in einem Irrthume, wenn
er behauptet, jenes Verbot sei noch nicht gesetzlich
geworden« Dagegen sprechen dfe oben angifithrten'
19
I .<-
147
«. Amm9Hy M* gmniteAtf» Ektn.
1«
Stellen des Tbeodotiadien Codex. Aofih intfendatuAti
bereits viele Gesetze gegen di^ Häretiker Uod lii^söü-
ders gegen den Umgang mit denselben erlassen (m* s.
Co<, Tbeod. XVI, 5.).
, MieiU$ i4 bieraul f on den ScbUissed d«r Syno«
den die Rede^ welche der Verf. S. 60 als „mehr o^er
weniger alte Verschreibungen, Scheine nnd Anweisnn;
gen'' bezeichnet, wobei an „zerriebeneo, unlesbaren
* und falschen Papieren kein Mangel ist/' Änch hier
tfhalten wir meist nur Wiederholungen ans Kntscliker,
mr mit dem Unterschiede^ dafs der Verf, regelraäfsig
einen summarisdien Bericht über den ganten Inhalt
^r Synoden giebt^ um dann ein allgemeines rerweiv
feades oder billigendes UrdieU dai'Uber zu ftUen. Bei
den kritischen Untersnchiwgen iUb^ Alter und Aecht-
heit der Synoden würden die Perschangen der Ballerini
■• a. mit mehr l^^^^olg, ab die Ton Care, Mansi u. s.
* w. beotttst worden aein» Eine tiefer gehende Unter^
mehmig einzelner wichtiger Schlüsse, wie tot allea
dea Trallanischen Concils nnd des voa Trienh vemis-'
aen wir nngem« Nach dem Vmrgaage Kutschker'ii
aeUiefst der Verf. seine Betrachtung mit dem zaletzt
erwähnten Geocil, und läfst die vielen späteren deut»
aohea «ad andern Synoden, von denen die wichtigsten
miter andeiu Stapf (l^astoralunterricht über die Ehe^
8. 210 f.) namhaft macht, nobertcksiehtigt.
Im fünften Abschnitte gedenkt der Verf. zunächst
der älteren weltlichen Gesetze. Eine Znsaii^menstel-
lung derselben mit den älteren Kircheogesetsea hätten
wir schon vorher erwartet. Ueber die Seoulargesetz*
^ebnng des Mittelalters schweigt der Verf. und be«
sdiränkt sich darauf^ die den Gegenstand betreflßendea
, SteUon ans dem Corpos juris canonici, und dann die
Ansichten der Protestanten und Reichsgesetze seit
dem aecbssehnteii Jahrhundert in Kürze nachzuweisen.
Er erinnert ganz richtig, dafs die Verschiedenheit des
Cultus in Deutschland untei; den Katholiken und Pro-
testanten längst aufgehört habe, ein rechtliches Hin-
demiTs der zwiechen deo Verwandten beid^ Confessio*
nen zu sohliefsenden Ehen zu sein«
Der selbstatändigste "und darum am meisten zu
beachtoade Theil der Schrift des Hm. v. A. findet
skA -in den letzten Abschnitten. Hier wird nun zuv5r*
derst untersucht, was von den gemischten Ehen nach
den- Ansichten der 'katholischen Dogmatik und Sitten-
lehre M halten sei. Er gedenkt, dabei ,,der saonunentiiw
llbhaa Big4taschaft, Airch welche sich die kafhbliaoheEke
"Wesefittich' von der protestantischen untersoheidtti soH,"
womit denn zusammenhängt 9,die pirotestantiscbe Ela
kann geschieden, die katholische nun und niuMnenn^
gasoUaden Irerden.'* Indasaen ^ytiat. dieser ^nd dir
Dinge, wie mirslich , er auch nach dem offenkundiga
Zeugnisse del^ Erfahrung sein mag, seinen Grund we-
niger in der Dogmatik und Sittenlehre der Protest»
ten, als m ihrem YerhSItnisse zum Staate.** Er prBlt
nun dde Lehre von den Steramenteu selbst, mit ia
achlufs an das Decret des Concila Von Floreaa v«
1439 zur Vereinigung mit den Armeniern (iiicht, irie
es im Texte heifst. mit den Griechen, füir welche uf
dem Goncil ein anderes Decret vom 4. Juli,, das fir
die Armenier ist vom 22. November datirt, erlasiei
wurde). Die Zahl der Sacramente hat gewechselt
denn „die' heiligen tJrkiinden des Christenthums spt«'
eben zwar von heiligen Symbolen, aber niebt VM Si-
eramenten, bieten nirgends eine dogmatische FimM»
lung derselben dar uad« enthalten eben so wenig fib*
die 2Cahl derselben eine bestimmte Verordnung" (&
ISS, 134). Alles kommt hier indessen auf den Begfi
des Sacraments an, über welchen man Os von beid#
Seiten zu eihem friedlichen Einverständnisse brachte
Dafs die Ehe diesem Begriffe entspreche, negirt 4ir
Verf. in Beziehung auf die einzelnen Elemenf^ des Si^
craments. Die Ehe ist keine symbolische Handlsugi
sondern zunächst in ihrem Culminationspunkte, At
Gesqbleehtsvereinigung, eine rein organische und il
sich selbst abgeschlossene Handlung. Sie beruht^
ner nicht auf einer Anordnung Christi, • sondern id
schon von Gott im Paradiese angeonbiet vnd M
auch nicht die Bf ittheilnng einer besondern Gnatle €h^
tes, weil sie ein Zeichen der Vereinigung Ckristi mk
der Gememde ist, da vielmehr die sich f&r uns as^
opfernde Liebe Christi ein Zeichen und Vorbild der
treuen Gattenliebe ist und sein soll.
Diese Beweisföhrung, wenn wir sie so nennen wol*
len, hat der Verf. sieh zu leicht (i;emabht. Er mufetfl^
wenn ihm dieselbe gelingen sollte, etwas näbet Atf
katholische Auffassung der einzelnen Momente d6s Ss*
eramentsbegrfffiB selbst beleuchten, und deren Unziilis-
sigkeit dorthun. An seiner Darstelhmg bleibt Jeden-
falls eine gewisse WilikiHirKchkeit/ thit welche;r ei'
den katholischen Lefarbegriff ' bdiandelt, anszusetcen«
Es kann hier nicht der Ort seid, das Resultat desVft««
u*
Mit da« wir ielb«t «hYVtstettdiB äod, ia andrer W^isa
stt begriiitfen, und swar achoa deshalb, weil uach der
von den Päpaten aelbst ansgeaprocheneQ Ansiebt auch
^*bai 4leii ganiaohten Bhen die iaommentiüiacha Bigen*
aohaft nioht fehlt im. a. >• B. BeaedietXlV de synädo
dioeoeaaaa üb. Vit oa^ V 4* 3. ^.ßtUok est inatrimo-
ninm cum. baeretioo coutrahera ao nnuui idem^ue aa*
oramentum uaa.ouiD eoden tel emnfic^re^ ai uunirum
ipsimet coatrabeiitea aiot talia aaeraiaea^ auniatfi, quod
anagii ooaMHuioniltr opinantar Seholaatioi) Tel saltem
f0teip0rey ei scilicat, quod alü pm^rtkn ax reoentio*
ribaa theologis antomant^ tilin« miniater sit aolaa aa-
aerdeB**)* Sodaan tat die Unauflösbarkeit der Ehe, nm
die aa sieh hier besonders handele nicht erat ein Ans»
flufs des Saenunants, sondern schon Folge der Taufe^
wie dies vielfach die katholische Kirebe ausgespro«
eben fiat (m. s, s« & Benedict XIV a. a. O. Itb. XIU
aap. XXU u. aO« I^^^* ^^^ sittlichen * Standpunkte
nichts Erhebliches g^en dieae Eben erinnert werden
kdnne^ istroui VerT mit Rücksicht auf die Aeafsernn-
gen katholischer Schriftsteller ilb^ die christlidie Mo?
ral aasgefnfart worden.
Deuningeachtet hat Rem bsharrlioh die gemischt
ten Eben Terworfen (S. 144 folg.)» In den diesen
Punkt betreffenden Nachweisuagen erfahren wir daa
aonst schon Bekannte. Mit Recht geht aber der Verf.
Toa der Ansicht aus, dafs hier nikr eine Discij^linar*
aaohe vorliege, and er seiht darum Piua Vlll 9,eines
acbweren Irrtbunts, wenn er die nach seiner Ansicht
seeiengefttbriichen und verbrecherischen venaischten
Ehen als Sonden gegen das natürliche uad göttliche
C^eseta betrachtet*' (B. 160), da aoaat die in der Vor-
werfang dieser Ehen einstipiniigen Päpste Benedict XIV
Sttid Pius VI erklart haben, ,,dafs es sich in dieser
Angelegentieit nioht um einen Ctegensats mit dem
menscMichea oder gilttlicben, sonüem nur mit dem
kirchlichen Rechte handelt.'*
Daa pnbKoistischa und* kirchKebe Priacip des gao-
sen Streits fiber die gemischten Ehen, nämbch die Pa-
rität der Confessienen nnd die Lehre von der alleia
aeügmaohenden Kirche^ beriibrt llr. v. A. öfter. Wir
Jfeeichnen hier nur eine Stelle aus, wo es in Beziehung
auf beide ingleich keifst: ,,I>ie JLösunfi; des Problems
k&iigt einsig davon ab, ob emie ehristlioiie Kirche das
Beimt haben könne, einer andern von gleicher politi*
nehei' Stetlnng, und swar bei einer Uanmuog, die das
(Thristeatbnm für erlaubt und zulässig erklärt, ihre
atatntarisch witikiihrlichen Vorschrifteu iiufiiudringen,
nie bei Eingehung einer vermischten Kbe filr rechtlos
xn erklären and ihre Mi^lieder zn Uofsen Proletarien
für eine andere Kircbengesellscbaft herabzuwürdigen"
(S. 164). Er verneint dann natürlich bliese Frage.
% Bei der Betrachtung der bürgerlichen Gesetzge-
bungen d^r neuern Z^it über dje gemischten Ehen (S.
167 folg.) werden die Fragen über 'den rechtlichen An«
mruch auf die Proclamation, die Einsegnung der Ehe,
die Ertheilung der Dimissorialien , die Zulässigkeit
und Greozen der Kirchenzucbt u. s. w. mit Stillschwei-
gen übergangen und nur der eine Punkt wegen der
reÜMosen Braieimng der Kin^r nälier gawftrdigt. Wir
md aenotbigt, uns hierüber ihn so specielier auszu-
sprechen, als wir dem Vorschlage des Vfs. mxM- heU
zutreten vermögen. • ^
Als zagMcben müssen *:wir voranssetzen, dafs die
katholische Kirche die gemischten Ehen nur aas Grün-
den der Disciplin (des Kircheorechts) untersagt: denn
wenn, wie in neuester Zeit mitunter behauptet worden
(s. auch vorhin die Erklärung Pins VIII), das J>oama
{die Principieu des göttliehen Rechts und der B^aik)'
dagegen sprächen, so müfsten, was überhaupt coase*
quent wäre, gemisohte Eheh schlechthin unter Aadro*
hang der Nictittgkeit verboten werdmi Nur unter je»
ner Voraussetzung ist a^qh eigentlich vom kathoUsehen
Standpunkte Dispensation zu rechtfertiaen, idso Ztt*
lassuDg der Ehe unter den bekannten Gmuseln, insbi^
sondere der Erziehung aller Kinder im aHeia' seligma-
chenden Glauben. Eben so wenig, wie diese Lehre
von der Katholicität, ist aber in den deutsohen Staates
die Forderung, ^er zur Dispensation nöthigen Cautelen
anerkannt und es sind daher verschiedene Grundsätze
praktisch geworden. Von diesen whfd aber nur deija»
nige allgemeine Billiaung verdienen, welcher die Rechts*
gleichheit nicht verletzt, und die natürliche Freiheit ^
nicht beschränkt. Der Verf. äufsert hierüber Vorr. B«
XI^ XII: „Der Staat kann hm als Gesetzgeber und
Richter nur dann eintreten, wenn die Eltern über die
Endebung der EindeV nichts bestimmt haben, oder
wenn sie sich im Laufe der Ehe über sie nicht verei«*
nigen können, oder wen6 zwei Kirchen sich über den«
selben Gegenstand entzweien, folglich auch di^ Bat-
scheidung des Zwistes von der Obrigkeit erwarten
müssen.'' Dabei ist aber alleWiUkühr<fern zu haken, '
„weil es sich nm ein natürliches und persönliches
Recht der Eltern handelt, dessen Handhabung joflb^
Parteilichkeit und Bevormundung aussehlierst. Es ist
auch hier keine zufäUi^^ Rerainiscenz an die väterlicha
Gewalt nach dem römischen Rechte zuzulassen, oder
den besondefn Respect der Kinder gepen den Vater
in Anspruch zu nehmen; denn das (^nnstentham läfst
hier keiue Hintansetzung der Mutter zu, uad die kiroh*
liebe Isolirung in der heranwachsenden Familie ilrürda
ihr, namentlich in den Tagen des Alters, die widerfah*
reue Rechtsberaolmng dbppelt schmerzlich machen.
Wunderlich nehmen sich endlich ia einer Angelegenheit)
wo es sieb einzig und aliein am das strenae Recht han*
delt, die'administratirta oder sogenaanten Nützlicbkeitst
gründe aus, die unter dem Verwände der FamiKenzwi^
tracht die Erziehung der Kmder in' mehreren Confes*
sionen unzuläfsia machen solleü n. s. w. ->• Die Ent-
scheidung nach neu Geschlechtern, oder nach der Rei^
henfolge der Kinder scheint demnach die einzige za sein,,
die sich von eaiptrischeh Klügeleien rein erhält und
durch gleiches Gewicht in der Waage allen gerecUan
Klagen und Beschwerden zuvorkommt^" ,•
VVenn wir mit dem Vf. die Sache vom strengsten
Juristischen Gesichtspunkte aus entscheiden wollen, sa
würde die Erziehung nach der Reihenfolge der Kinder
am Meisten filr sich haben : denn nur auf diesem Wege
151
ist Doeh' bif auf ein ziifttl%e»B MiDiiaum eine ivirklicho
Theilnng der Zahl nach zo erreichen. A)lein jedes an«
dere rationale Prineip würde dieser Maafsreffel fehlen
und die Inconvenienzen, welche aus jderselben hqi^vor-
gehen, so grofs und vielfach sein, dafs davon schlecht-
hin abznstenen ist An6h li^t bisher in keinem Gesetze
diese Norm fmerkannt worden. Es bliebe daher die
andere Alternative, Theilung nach deui GescUechte.
Dafs für diese 'Manches spreche, ist nicht zu leugnen,
und nicht ohne Grund ist gleich Anfangs, als dieser
Streit begann, seit der zweiten Hälfte des siebenzehn-
ten' Jahrnunderts in der deutschen Reichsgesetzge-
bung^und dann in vielen Partikularrechten (so in den
filteren preufsischen Provinzialgesetzen für Schlesieii,
Preufsen u. s. w., im Allgem. Landrechte Theil II. Tit«
IL §.'76, in dem Sachs.. Weimar. Gesetze v. 19. April
3813, dem Bairiscfaen Religions-Edicte von 1818 Cap.
III. 4. 12. u. V. a.) dieses Prineip aberkannt worden,
indessen tragen wir kein Bedenken, uns gegen dasselbe
zu erklären: denn i|icht blos sog. NützUchkeitsgründe
sind es, welche davon abrathen, sondern die Einheit,
welche in der Ehe erreicht werdett soll, spricht dage-
gen. Ist schon die in der Ebe durch die Confessions-
Verschiedenheit der Gatten selbst begründete Entzwei-
ung, welche gemischte Ehen überhaupt niil'slicb macht,
duDchJZnneigung uiUl Bildung glücklich überwunden, sOv
bietet. sich auch nicht das Geringste dafür dar^ diesen
Zwiespalt in den zarten, diesem^^ampfe nicht gewach-
senen Kinder wieder aufleben zu lassen. Die Gatten
sind Eins .geworden, haben die trennenden Grundsätze
ihrer Kirchen . durch ein höheres Prineip ausgeglichen
und- dürfen- daher nicht genöthigt werden, in den man-
' nigfachen Folgen des ehelichen Verhältnisses von die-
ser Einheit abzufallen. Wenn ein Gesetz daher eine
allgemein^ Norm über die Erziehung der Kinder in ge-
. mischten, Ehen aufstellt, so scheint am Meisten gerecht-
fertigt werdi^n zu können, dafs die Erziehung in Einer
Con&ssion vorgeschrieben werde. Dabei dürfte es viel-
leicht zweifelhaft scheinen, ob die Ileligion des Vaters
^oder der Mutter in Betracht kommen soll. Indessen ist
das natürliche Haupt dervFamilie der Vater und so
möchte für dessen Religion zu entscheiden sein^ Dafs
diese Rücksicht eine dem. Bedürfnisse am Meisten ent-
. sprechende ist, darf wohl mit Grund daraus gefolgert
werden, dars manche Gesetze dies schlechthin anerken-
nen (so das Hanni)versGhe v. 31. Juli 1826, das Givil-
' gesetz für Aaran von 1826 f. 175. u. a.), andere, wel-
che Verträge gestatten, für den Fall^ dafs solche nicht
Eesohlossen, dies gleichfalls be^immen (so dasGrofs-
^zl. Hessische. Gesetz v« 27. Febr. 1826, das Badi-
acfae;Gesetz v. 17. Juni 1826, das königl. Sachs. Ge-
setz V« 1. Novbr. 1836 u. a.) und dafs die meisten Le-
gislationen, welche früher die Theilung nach dem Ge*
schlechte bestimmt hatten, sich später für diese Maafs-
r. Ammon , die gemuchiem Ehen. 15S
regel entschieden haben (so die Prenfs. Vei^rdMiog t.
2L Nov. 1803, 7. Öet. 1825, das Saohi..Viretmar. Gesetz
V. 7. Gct. 1823 §. 51. (nach welchem indessen zunächst
die Confession des Gatten in Betracht kommt, desses
Familie am Längsten dem Staate angehört) u. a.)
Uebrigens sind wir darin mit; dem Vf. einveretm^
den, dafs jede gesetzliche Verfügung immer nur ein
naturale, nicht essentiale matrimonii, also nur in aubai-
diiim anwendbar sein sollte, wenn die Eltern, deren
Freiheit zu schützen ist, sich über keine andere Mona
vereinig haben. Damit wollen wir aber nicht etwa die
Zuläfsigkeit bindender Verträgje vertheidigen, da theUs
eine* zwangsmäfsige Erfüllung in Beziehung auf ein so
zartes Vernältnifs imfmer höchst bedenklich ersct^eioea
müfste, (theils nur zu leicht die Einwirkung Dritter, be>
sonders des Clerus den Entscblub der Brautleute fiir
den Augenblick gegen ihren eigentlichen Willen sufes^
sein geeignet sein dürfte. Wir können daher nicht um-
bin,^ die Preufsische gegenwärtig bestehende G^setzge»
bung als eine höcht weise in dieser schwierigen Ango*
legenheit anzuerkennen. Wenn auch nicht alle Beden*
ken durch . diese Legislation beseitigt sind — und wird
wohl je unter gleiten . Voraussetzungen dies möglich
seini — , so ist wenigsten^ den rechtlichen FordemBt
gen der Parität der Gonfessionen und der Ehegatten
genügt und den Mifsbräuchen durch den Einflufs dri^
ter Personen im Allgemeinen begegnet. Gerede in der
letzten Rücksicht ist ind^fs das Gesetz noch lückenhaft
und es darf daher wohl unter den jetzigen Umständea
um so eher eine Ergänzueg hierbei erwartet werden«.
Was in den bisherigen Ausführungen schon mehD^
fach angedeutet worden, fafst Hr. v. A. noohmaia adi
Ende seiner Schrift zusaiiimen. Es steht den gemiscdi-
ted Ehen überall kein sittliches Hindernifs im Wegeu
.und wir müssen sie daher vom Vorwurfe der Sündha^
tigkeit und Verwerflichkeit vor Gott und dem Mea-
scheugeschlechte gänzlich befreit wissen. Dieser Wunsch
irird von dem allgemeinen, Verlangen der besseren Zeit-
Senossen nach dem äufseren Frieden aller christlichea
leligionsparteien kräftig unterstützt Die drei Haupt*
schulen christlicher Pietät, die morgenländisch-griei»i-
sche,. die abendländisch-katholische und die proteatan-
tische sind wie Maria, Martha und Lazarus nur Gli^
der einer Familie- Noch vor wenigen Jahrzehbnden war
man unter Katholiken und Protestanten zu dieser Ue*
berzeugung gelangt, die jetzt wieder angetastet worden.
Mehr als jemals ist aber die Rückkehr der ii\neren Elin^
tracht und des kirchlichen Friedens^ ein laut geworde-
nes, dringendes kirchliches und religiöses BedürfniA
unserer Zeit, begreiflich schon aus dem höheren Stand-
punkte allgemeiner Bildung und gefordert durch die
socialen Verhältnisse«
H. F«. Jacobson.
-I
J a h r b tt c h e
für
Wissenschaftliche Kritik.
Juli 1839.
^tt
VIIL
Gerichtsärztliche Arbeiten von C. Fr. Burdachy
IkönigL Preufs. Geh.- Med. Rathe^ Dirigenten
des med. Colleg. m. Pref. zu IjCönigsbergy Mit-
. ter des rothen Adler-Ordens Ater Klasse. Er^
ster Band. Stuttgart und Tubingen, 1839.
ELs giebt Namen unter den medizmiscben Schrift-
ftellerny die« wenn sie neo erschienenen Schriften yor^
angesetzt sind^ sogleich ein günstiges Vorurtheil über
den Inhalt derselben erwecken, wenn man ieiuch gewohnt
iiar, diesen Nainen soi)st auf andern Gebieten der
. Wissenschaft 'zu begegnen« Mit einer solchen, du^ch
die {rnhem Schriften Burdach's erzeugten günstigen Mei-
nung wurde auch die hier in Rede stehende Schrift
Burdacb's über die gerichtliche Mediein mit VergnÜffen
ergriffen, nm den'Inhalt derselben näher kennen zu ler-
nen. Weldies Urtbeil sieb hiirdurteb gebildet hart über
die Schrift und welchen Eindruck die Bearbeitung der
- ^älle zurückgelassen bat, soll in diesen Zeilen ange-
deutet werden« - . ^
Wodurch der Vf. Teranlafst worden ist auch als
Schriftsteller über gerichtliche Medicin besonders aufzu-
treten, giebt derselbe selbst an; er 'wollte Fälle« wel-
che dem med. Colleg. in Köuigsbcrg, dessen ältestes
Mitglied derselbe ist, vorlagen, veröffentlichen und dem
- Beispiele seiner VorKänger auf dem von. ihm iunc ha«
benden Lehrstuhle für die gerichtliche Medicin (Bütt-
ner, Meiz^er) nützlich fortzuwirken, nachkommen.
, Zur Herausgabe wählte derselbe einen Zeitpunkt^
dessen Erinnerung auch für die Heilkunst in historischer
Hinsicht stets eben so wiehtij^ sein wird als er es in
weltgeschichtlicher Rücksicht ist -— die Feier des 25.
Jahrestags der Schlacht bei Leipzig. Die Erinnerubg
an eine solche Zeit-Epoche und die grofsärtigen Ereig-
nisse selbst als Mann durchlebt zu haben, mufs stets
ein erhebendes GeftihI erwecken. Dieses, verbunden
mit einem zarten^ innigen Freundschafts- Ver^ltnifs. für
einen hochstehenden Justiz-Beamtep, ist iü der Zueignung
der Schrift von dem Vf. lebendig ausgedrückt worden.
Die allgemeinen Bemerkungen, welche der Vf. im
yorbericht über die Abfassung von Gutachten Seitens
-der.,med. Collegjen und über die Ursachen, dars die
'ebengenannten Behörden im Preufs. oft andere Aussprü-
che abgeben, als die Obducenten nnd sonstigen begut-
achtenden einzelnen Aente, aufstellt, sind treffend uod
aus der Erfahrung hervorgegangen. Wenn derselbe
Jahrb. f. wiuenich. Kntik. J. 1839. il. Bd. ^
aber bemerkt, dafs er bei seinen früher abgerebenen
Gutachten, wenn sie ihm späterhin wieder zu Gesichte
gekommen, Manches abzuändern für nötbig gefunden
habe, so Jcann man hierauf nur erwiedern, dafs diese
Bemerkung keinen günstigen Eindruck macht. Denn,
wenn man auch zugeben mufs, dafs m einer Reibe von'
Jahren die Wissenschaft sich ganz anders gestaltet,
dafs Bueh die Erfahrungen in der Ueilkunst an Gedie*
genheit mit der Zeit und unter sorgsamer Pflege wach-
sen, däfs das Drtheil des 'Einzelnen mit den Jahren
hauptsächlich an Klarheit, Bestimmtheit nnd Schärfe
gewinne; so dürfen^ doch gutachtliche Aussprüche, wel-
che sich auf reine l^rfohrnng gründen und welche von
Behörden, hei welchen mehrere Mitglieder mit berathen,
abgegeben werden, - auch späterhin keioer erheblichen
Abänderung bedürfen, weil es sonst scheinen könnte,
als seien sie nicht aus einer rieiflichen Erwägung allef
Verhältnisse und aus einer gründlichen Erörterung von
allen Mitgliedern hervorgegangen, oder als seien sie
auf nicht haltbarem Grunde ruhend. Das Verhandeln
Über verwickelte, ^iweifelhaft^ Gegenstünde von Galle-
gien hat eben den grofsen Vorzug vor dem Bescblte-
fsen und Bearbeiten durch einen Einzelnen, dafs durch
Opposition und freie Aeufseron^ einer andern, aus der
Erfahrung hevorgegangenen Meinung die Wahrheit oder
die ,Wahrscbeinlichkeit«hesser an den Tag kommt, ein
vorsichtigerer und zugleich haltharer Ausspruch gege^
ben wird, als dieses von ^inem nur mit Einer Memung '
begabten in der Regel geschieht« —
Die erste Abhandlung über die „Advöcatnr^* der
Aerzte enthält ganz , wichtige, zeitgemäfse^ und leider
an vielen Orten zutreffende Bemerkungen. Die Nei-
gung eines Theiles der Med.-Personen, Angeschuldigte
m gerichtlich -mediciniscben Gutachten als schuldlos
daVzustelien, weil manche Punkte nicht mit mathema-
tischer Gewifsheit bewiesen werden können, ist aller-
dings in manchen FIllIeD, besonders bei jungendlichen
VerbrecheriT und nach der Erfahrung, dafs Leidenschaf-
ten, Uebereilnngen ^. s. w. die Handlungen der Men-
schen, ohne dafs em böser Vorsatz die Triebfeder da^
bei ist, so sehr bestimmen, dafs die Grenzen zwischen
Leidenschaftlichkeit und bösem Vorsatze in ooncreten
Fällen oft so schwer zu bestimmen ist^ allerdings mit-
unter zu entschuldigen s sie spricht wenigstens immer
für einen lobenswerthen Zug der Humanität, für Ge-
recbtigkeitsliebe und daßir, dafs man auch mit den
Unvollkonunenheiten der ärztlichen Wissenschaft be-
'20
\
. I
' '.
155
kannt ist; allein es artet dieses «ehr ieicht am; es
verdeo bald ilie Grenzen des begatftcbtcftiden Gerfölits-
arztes Überschritten, das Vertrauen der Gerichte zu
den ärztlichen Gntachten wird wankend« und ein sol-
ehei VArfabren "^macbt selbst den Arzt leicht, zu zag-
Imft in seinen Aussifrücheik
Der Eifer des Vfs. ge'gen eine unpassende Advo-
Tocatur der Aerzte ist ganz gerechtfertigt. E^ ist je-
doch auch zu berüoksicbtigen^ dafs man es nicht für
ein Zeichen^ dafs der Arzt einen Angeschuldigten ex-
culpiren woile, betrachten müsse, wenn die von dem
Riebter gerteilten Fragen nicht so bestimmt beantwor«
tet werden als dieses oft gefordert wird; Solcher Ge-
wifsheiten und Wahrheiten, wie sie der Riehter oft
ausgesprochen zu sehen Vü^scht, giebt es in der Heil-
kanst und Wissenschaft nur sehr wenige; meistens be-
wegen sieb die Aussprüche - der Aerzte nur um einen
b()hern oder irie4em örad der Wahrscheinlichkeit, sol-
chen nämlich;, wo allerdings mehr Gründe dafür als da-
w:ider spreoben, wo sie aber auch nicht einwurfsfrei
sind, uer gerichtli^iie Arzt hat es meistens mit, Benr-
ttu^ilung von Vorgängen im organischen, lebenden Kör«
per, mit dem Effekt gewisser feindlicher Einwirkungen
puf ein Individuum, init Abschätzung der Wirksamkeit
der Naturkräfte^ der Kunsthulfe u. s. w. zu thun,. wo*
bei er nur wenige feste' Grundlagen, unabänderliche Ge-
setze zu einer vollkommen begründeten und Jeden über-
feugenden Ani^ahlne benutzen Kauii. — Den Bemerkun-
gen des Vfs. über die Besohaffenheit der Obductions*
Verbandlungen ist ebenfalls beizupflichten; es dürfte
nur Boeh hinzuzufügen gewesen sein, dafs die. Obduc-
tionen oft lyicht vollständig genug ausgeführt werden,
und dals auch die Obductionsprotocone nur selten den
Grad d®i^ Vollständigkeit besitzen, dafs sie einem voll-
gültigen Urtheile zum Grunde gelegt werden könnteik
icbt unbemerkt kann es bleiben, dafs es bei vollkom-
Die^n instruirten Akten, die den obducirenden Aerzten
BU|r selten zti Gebote stehen, den Medicioal-Collegien
nllerdings leichter ist, ein dem Falle angemessenes,
gründlicheres Gutachten abzugeben, als wenn den Ob-
duceoten nur der Obductionsbefund zum Anhaltspunkte
dargeboten isjL
Dem, was über den Beweis der Vergiftung nach
dem Allg. L. R. Th. IL Tit. 20. aufgestellt ist, würde
liuck noch hinzuzufügen gewesen sein, dafs, wenn keine
Obduction stattgefunden hat, der Vergiftete aber binnen
8 Tagen gestorben ist, und keine andere Ursache des
Todes erhellet, dieser als die Wirkung des Giftes an-
genommen w^den soll.
Die Andeutungen, weswegen nicht immer Gewifs-
.heit über stattgefundene Vergiftung gegeben werden
kann und die Erfordernisse zu einem bestimmten Aus-
spruche iiber eine Vergiftung: Beibringung, Wirkung,
Entdeckung des Gifts, die Wirkung eines bestimmten
Gifts, die begleitenden Erscheinungen als Zeichen der
Wirkung im lebenden Zustande^ die Veränderung im
Leichname, die Darlegung der pathologischen Verände-
rungen und A»u giftigen Körpers, Welcher dieselben
hervorgebracht hat •— die pathologische und chemische
Burdaehy geriekiM^xtlichs ArbeüeH. Bd. f. ISC
Anälfse ^ sind rishtig; jedoch auch von dem Vf. m
den anfgefthrten FMten von Vergiftungen nicht in dem
erforderlichen Mafse befolgt und bei Bekundung des
Sutacbtiichen Ausspruchs nicht volUtändig in Aiaweii»
ung gebracht worden.* •
Soviel aber die aUgemeiaen Sütae iin4 Bei^erkm
gen' des Verfassers. —
Auf die einzelnen Fälle nun näher eingebend, er*
scheinen nur wenige der aufgeführten von besonderer
Wichtigkeit und allgemeinerm Interesse. '
Bei der Begutachtung der einzelnen ist zniilUrfiat
hervorzuheben, dafs der Thatbestand im AllgemeineB
zu unvollständig gegeben ist, weswegen das Sachrer-
bältnifs oft nicht genügend überblickt werden kani^
nnd einzelne, auch anderweit schon bekannte FUle
kanm hier wiedererkannt wefden. Dafs zu einer voll-
ständig motivirten, überaeugenden ^ BenrUieilaii« ein
vollständiger Thatbestand aber das oberste Elrtorde»-
niie «ei, unterliegt keinem Zweifel.
Die ersten vidr Begutachtungen betreffen Vei|p&
tungen. — Es mögen hier einige Bemerkungen dbcr
dieselben ffenügeni In dem ersten FuUe^ (p* -42) feb»
len fast alle die (oben bezeich oeten) Requisite zurCon*
statirung einer Vergiftung. Es ist nicht festgestelHi
dafs Gift (^Arsenik) genommen oder^ beigebracht ist, es
ist die Wirkung desselben nicht genügend und über»
zeugend durch die Zufalle während des Lebens und
durch den Leichenbefund dargethan, noch ist irgend
ein gifti^r Körper, geschweige Arsenik, im Korpef
der G», in dem Ausgeleerten, noch in der Grütze, von
welcher Denata genossen hatte, vorgefunden. Wie sehr
sich der Verf. auch bemüht, nacbzuw.eisen) dafs eine,
aus andern Ursachen entstandene Cholera nicht yo^
banden gewesen sei, so überzeugt er durdi die dafür
llieigebra^ten Gründe, die überdieüi In der Erfahntiig
ihren Haltpunkt nicbt haben, doch keineswegs. » Wie
die Zufälle der Cholera, denen der Arsenik-Vergiftung
gleichen, ist eben so bekannt, als dafs die Cholera nn*
ter solchen Verhältnissen oft noch früher tödtct ab
es hier, am 6. Tage, der Fall war. Aufserdem hatten
aber auch Einflüsse auf die G. eingewirkt im Verlaufe
der Krankheit und vofh.er, welche einen "tSdtlicben Aus-
gang derselben wohl bedingen konnteta. Die G. batie
bereits früher an ähnlichen Zuständen gelitten, in der
letzten Zeit hatte sie wieder häufig Aerger gefaabti
nach einem heftigen Aerger, worauf sie Wurst geges»
sen, verfiel sie früher in ein ganz ähnliches Leidetti
und in der letzten Krankheit trank sie am 3, Tagc^
von Nachmittags bis zur Nacht, 3 Flaschen fiier. -*
Endlich aber ist auch nicht festgestdH worden, ob &t
gekochte Grütze von dem Gefä&e^ worin sie gekocht
worden^ oder von der Milch nichts Schädliches ange-
nomuHsn hatte, — ein umstand, der hier um. so irich* .
tiger war, da die Grütze, wovon die 6. etwas genom*
men hatte^ dem Dienstmädchen sauer schmetokte^
Brennen in der 'ßruöt^ Uel^elkeit nnd Erbredien eiw
regte.
Unter^ solchen Umständen, und da die G. mit ihren
Ehemann in Uneinigkeit lebte, .da de^ letztere sich im
Besits Twi ArseiHlr, «les er in «cimrPr^fMsioii (Kfiradi-
158
aer) gebraochte, befand lind ntebt naehweiden konnte,
iroxu er die fehlende Q^uantität von .1 Loth nnd 59
üfaa dieser Snbetai» gebmucbt haite: da aufserdem
Ib etaem Tergefondeaes Gläsa einJGenisdi von If Un«
sen Rnm mit Arsenik, iNForoa- ein nnaufgeldster Theil
•hne dals siinftebtt 4er Msgviv yfii^ i^fibnlick betrachtet wir4^
pfiMair affidrt wiri« i»t nicht giu einzusehen.
- Endlich ist «her auch hier 4ie chemische Üotersuchung nich(
■o umfassead ffeschilöcrt, dafs sich daraus der Sch|u£s bilden
lieise, jes sei »hein Arsenik» kein SubUmat und kein. Kupfer in
der Flüssigkeit vorhanden gewesen?'
Der 4te Fall, eine Vergiftung nlt Schwefelsäure (p. ^\,\
u\ph ..A Boden befiuid gef»de«wnrde,:könnte alter.. f:ri.:it,Ä:5^"oÄ Klt^oÄr^af^i;?^^^^^^^
diuga der Verdaeht, dais der Krankbeitszustand der giftung Schwefelsaure ange^'endet worden sei ; es fehlt ferner
G« ia Feige einer VergifiuM antelandea sei, rege ^er-> die Bexeichnnng des Kraakheits-Zustandes, dei- ZufiiUe und Er*
den ; allein aus dem Ergebrnfs der (Jntersnohung läfst »cheinungen während des Lehens — das rerbindende Glied zwi-
.ich der Schlaft d«fs mit .iemK^er Gewifshelt aj^ - :ä'|:,^;ÄaÄ"fe'ÄÄÄ^^^^
nnehoien, der Tod der i5.. sei in Folffe einer Vergif- aus nicht beatimoit hervor, dafs d^r Chirurg. H. bald, 3 Stun.
tang diurob Arsenik erfelgt," nicht re<|£tfer|^igen.
Mehr überaengend, obgleich ebenfalls nicht ▼olU
stftnÄg dargestellt, ist der zweite Fall (p. 65), wo in
MeblklMsen, TÖn welchen der L. am 16/ genossen,
aqd wonach er Zu£äUe hekommen Jbatte, Arsenik nach«-
Jewiesea nnd auch ia den folgenden Tagen Zufälle
eobachtet worden sind, welche bestimmter auf Ver^
giftung schliefsen liefsen« Der Obdnctionsbefund war
ebenfalls ein anderer als im ersten Falle. Den Anfor*
derimgen der Wissenschaft entspricht dieser Fall je«>
doch in sofern ebenfalls nicht Tollkommen, als das Veiv
fahren tur Darstellung des Arseniks ans den Meblklö-
fsen nicht augegeben und auch nicht bemerkt ist, wel-
ehes quantitative Verbältnifs sich darin befunden hat«
Die echUderting der Procedur bei der Untersuchung
der Ycrschiedenen Sabstanzen, der Excremente, des
lohalts jles Magens u. s. w., wfirde dem Ganzen ein^
überzeugende Kraft verliehen haben.
In dem 8. Falle (p. 71) waltet ebenfalls / nur der
Verdaeht einer Arsenik* Vergiftung ob, obgleich diese
Todesart nach Angabe des Yerfs. durch die Krank-
heits-Erscheinungen ,und den Leichenbefund ,,wabr-
•dieinlich geonaäit" worden sein solL Dadurch, dafs
4en. später, gegenwärtig war; nur die Angabe der speziellen An- ~
Ordnungen tind der in Gebrauch gezogenen Mittel (^eines zweck*
»äfsigea ti«ilTerf&hrens) würde dieses Toilständig motiriren.
Aus diesen kurzen Bemerkungen geht herror, dafs die Fälle
▼on Vergiftungen »ieht so klar und vollständig dargestellt sii\dp
wie man hätte wünschen niUssen, däfs daher auch die Begutach-
tungen, wie sie hier vorliegen, nicht, ab gute Muster betrachtet
werden können. ,
Vw^ den €haaekieu dftsr Vtrwundimgen und Ferhivmgen ia$
der iüe Fall (p. 85), „aelbstmord undenkbar" überschrif^ben, in;
teressant und die Begutachtung mit vielen Gründen durchga*
^fÜhrt. Die Ueberachrift erscheint Jedoch zu viel sagend, da es
immer zweifelhaft "bleibt, — vom medicinischen Standminkte aüs»
nach der Beschaffenheit der Wunde geartheilt — ob die Vei^
letzung von der penata selbst oder von deren L4ebhfiber zuge-
fügt worden. Di» Unmöglichkeit des erstgenannten Falls ist
fibrigens niohC ervi lesen, auch nicht das „Undenkbare" des Selbst*.
mordes^
Im 3fe)t FMÜe^ ^rwürgnng einer dem Tmnke ergebenen Frao»
„Selbstmora wahrscheinlicher -als Mord" nberseb rieben, bleibt
es ebenfalls zweifelhaft^ ob Selbstmord Mattgefunden. Es tritt
1)ier eine Erklärung des Vfs. des Gutachtens, dals das Herz bei
der Obduction nur wenig Blut enthalten -habe^ weil dasselbe bei
Bewegungen des {«eichnams vom Herzen hinweggeflosAen sei/
als wohl nicht in der ftatur begründety als neu und nieht nach-
ahmung^werth iiervor.
Bei dem p, 103 geschilderten Falle : Schnittwunde des lin-
ken Handgelenks und Zerbrechong des Kehlkopfs, ^Selbstmord
tdie B., welche Abends 2nyor sich unwohl gefühlt und , mögliah) wäre eine genauere Beschreibung der Wunde am Halse»
deswegen Morgens nichts gegessen hatte, bei ein^m
Besuch dennoch nfichterne ,P?laden und Warmbier,"
dann Brot und iBramitweia, darauf Heringe, Gänsebra-
ten wad wiedenraoi B^t und Branntwein nnd ein „Spit»-
gi;laa Runii" an sich genommen und, nachdem sie bis
Abends um 10 Uhr nicht geklagt, dann* Leibschmens,
Angst und Erbrechen bekam, dafs sie ,„Tafelbier" wie-
der aasbcach nnd am 3. Tage an Magen- und Darm-
entzündung starb, kann eine Arsenikvergiftnug, durch
die „Fladen nnd das Warmbier** erzeugt, nicht mit
^Wahrscheinlichkeit angenommen werden; um so weni-
gfec, da die Untersuchung auch nicht eine Spur Arse^
iMka ergeben hatte. Durch die, oben genamten Ein-
flBsse konnte, ohne dafs ein Gift daran Theil_ hätte,
ein todtlich endigender Krahkheits-Zustand d^rjgenann«-
teii Art wehl herbeigeführt werden. Es schemt, als
legte der Vf. seinen Erklärungen der Vorgänge ein zu
pofses Gewicht bei der Beurtheilnn^ bei. Es ist in
manchen Fällen allerdings leichter eme Erklärung ztt
geben, als den öberzeuffenden Beweis aus den Thatsa-
chen, dafs sich die Sache wirklich so verhalten habe.
Wie eine cönsensuelle Wirkung des durch den Magen
giegangenen Gifts Ton den Därmen aus stattfinden soll,
so wie Auffuhrung oerjenigen Erscheinungen, woraus geschlos-
sen werden könnte, dafs die Verletzuag im lebenden Zustande
zugefügt worden, erforderlich gewesen.
Was der Vf. (p. 106) über die Tödtlichkeit 4er Verlstznn-
geil im Allgemeinen aufführt, ist interressant und wichtig; nur
scheint es, als wenn auf die verletzende Handlung zu viel Ge-
wicht gelegt würde, da doch für den gerichtlichen Arzt in die»'
ser Beziehung die Folge und )der Effect derEinwirkungen wich-
tiger und besonders deren fiinflüfs auf den Tod zu ermessen ist
Die Aufstellung der Verletzungen in einem Sehema kann nur
als wehig Nutzen versprechend angesehen werden.
Beladen übrigen unter den Rubriken „unbedingt noth wendig
tddtlich", „bedingt nothwendig," „individuell bedingt nothwendig^
^nd „zufällig todtlich" aufgeführten Fällen von Verletzungen tritt
besondersv der Uebelstand hervor, dafs der Th^tbestand nicht
vollständig aufgeführt ist; es eirscheinen ,aus diesem Grunde die
abgegebenen Gutachten nicht vollkomnien motivirt.
Eben so ist in dem interessanten, p. 135 beschriebenen Falle
Ton Kopf-Verietzungeh die Verletzung, das übrige Obdoetions-
Rr^ebnlfs, die Behandhing des Kranken nnd die-Krankheits-Ge-
^hichte zu unvollständig gelchildert nnd mitgetheilt. ,
Bei dem p. 144 aufgeführten Falle wird man nicht genügend
mit der Bigenthümlichkeit der Verletzung bekannt, und man er-
jaogt keine deutliche Uebersicht des SachverhSltnisses und dsr
hier in Frage kommenden Punkte.
Der zu den „bedingt nothwendig tSdtlichen Kopfverletzon-
gen" gezählte, |i. 151 erwähnte, sehr interessante Fall, wo nach
einer Kopfverletzung nach 103 Tagen der Tod erfolgte» lälst
Burdifch, gmicAts9rxtl$eie ArteiUn. A/. H'
\
159 /
die gneziellern Angaben über des Befinden des Verletaten in
den verschiedenen Zeitenr die Leibeebeechaffenheit deneiMii
die 'Bpeslelle Behandlung, eeio Verhalten und Leben eu diefec
Zelt Terminen. Bei der Beurtheilung; des b'influsses der Ver«
tetzun; mOrste die KenntnlCs dieser Verhältnisse von j^roiser
Die Erörterungen des Verfassers bei dem p. 171 aufgefChr-
(en Falle, über den zweifachen Beghtt' einer Verletzung, sind
sehr richtig und kummen in gerichtlich medicinischer Hinsicht
nicht selten in Betradit. — Dafs durch einen Schlag mit einer
Marke auf den Köpf ein Rifs des queren Blutleiteis entsteht,
wie es bei- dem Kammerer Z. der tall war, ist gewifs höchst
selten. Zu bedauern ist es, dafs in diesem Falle nicht angege-
lien worden, et nicht zugleich andere Bedingungen: besondere
Beschaffenheit des Schädels und des Blutleiters an dieser Stelle»
Aulser der durch Aerger herbeigeführten Aufregung mit Biut*.
andrang zum Kopfe verbundeq, hier mit obgewaltet haben.
Ob in dem p. 179 beurtheilten Falle die Aufgabe war, die
^ verletzende Handlung — Schlag oder Stofs — oder vielmehr
^ie V^irkung derselben, wie sie sich im Leichnam zu erkennen
«ib, zu beurthi^ilen, geht nicht deutlich hervor, ^ar letzterer
tsejtcnstand der Beurtheilung allein — es fand sich eine Ifc Zoll
! lange Fissur im linken Scheitelbein, von, der eine zweite nach
unten durch die vordere untere Jäck^ dieses Knochens, dann
durch den linken grofsen FJügel des Keilbeins und dessen run-
des Loch, von da durch den Köfper des Keilbeins und den rech-
ten grofsen Flügel eben dieses Knochens bis JEum ruliden Loche
«verlaufend; unter dem unteren 'I heile de» linkeii Scheitelbeins
iatr auf der festen Hirnhaut ein Extravasat von fast geronnenem
sthwarzeoi Blut 4^ Zoll im Durdimesser und 4 volle £rslöüel
iialtend, wodurch die Jinke Hemisphäre des j^rofsen Gehirns an
Ihrer Seitenfläche ganz aaeh innen platt gedruckt war und senk-
recht herabstieg — so dürfte das Tödtlichkeitsverhältnirs dieser
Verletzung wohl ein anderes sein. Denn die Fissur im .Schei-
telbeine — in dem ^ungewöhnlich dUnnen Schädelgewölbe/'
war hier offenbar nicht der wesentlichste Theil der VerleUung.
Die Verletzung in ihrer Gesammtheit betrachteti dürfte einen
höhern Grad der L^thaiität bedingen. Bei dem, bereits durch
•Klugs Gutachten bekannt £«wordenen Falle wäre eine voUstän-
digere Aufstellung and kritische Prüfung des XhatbesUndes
wohl sehr erforderlich gewesen, h^r Fall würde dann nicht
nur eine andere Stelle als unter der Hubrik „individuell bedingte
Nothwendigkeit des Todes*' eingenommen haben, sondern leich-
ter als eben derselbe, weicher von der.k. uissenschaftlichenDe-
^ patatioc beurtheilt ist, wieder ^erkahnt werden.
Bei dem p. 188 aufgeführten, durch Meningitis .exsudativa
nach 3J Tagen tödtlich «wordenen Falle, wobei Faustsehläge
in das ^Gesicht stattgefunden hatten, sucht der Verf. nachzuwel-
flen,.dafs der Tod ivd dieser Krankheit unter andern Umständen
-Tielleicht nicht eingetreten wäre. Die ^^Mifshandlung" wird den
im f. 169. der Cr. O. aufgeführten VerUltungen gleichgestellt.
Sollte jedoch in diesem Sinne die dritte der .genannten Fragen
beantwortet, werden, so hätte müssen auch auf die stattgefun- •
dene Behandlung Rücksicht genommen werden.
Ist der Tod durch die Krankheit herbeigeführt und war
S[iicht nachzuweisen, dals die Meningitis durch die Milshundiung
entstanden war, war ein Zufall, Zutritt einer äufsern Schädlich-
'keit,.oder Mangel. eines zur .Heilung erforderlichen Umstände«
nicht vorhanden und so die Verletzung tödtlich .geworden; so
gehörte die Verletzung ~ Trennung der Oberhaut und Sugilla-
tion der Ober- und^ Unterlippe — nicht zu den „durch Zufall"
tödtlichen.
Auch dem p«,t97 üufgefuhrtem Falle, wo durch einen Schlag
jnlt ddm Spaten ein Bruch des Schädels, eine Fissur im Schlä-
100
fenbeine bis in die Gelenkgnibe die»« Knodkens, Zenptfktemag
und Bruch des Jochbeins, 40 dafs ein Stuck des Schläfenbeins
mit dem Jochbogen ausgebroöhen war, femer Zerstörung. eini-
ger Lamellen dea'Schoppentbeils im Schläfenbeine, Durchboh-
rung der harten Hirnhaut, welehe zngleleb mit Eiter, Blut «nd
Knochensplittern bedeckt war» Vereiterung der Rindensubstan»
des Gehirns im Umfange mehrerer Zolle und der Marksubatass
^ Zoll tief — entstanden war ^^ dürfte eine andere Stelle als
unter den „durch Zufall tödtlich gewordenen Verletzungen" an-
zuweisen sein, wenn auch das Verhalten des Kranken als ein
nachtheiliges, wenigstens unangemessenes, zu betraehten ist. Ob
bei einer anderen Behandlung ein anderer und namentlich eia
günstiger Ausgang erfolgt sein würde, mufs, bei der Wichtigkeit
der «Verletzung MrspruDglich, als zweifelhaft erscheinen.
Nach der Exposition In dem p. 205 aufgeführten Falle ist»
wenn rein nur von der „Ohrfeige" die Rede ist, -diese gar nieht,
sondern der Fall tödtlijch geworden. Der F'all mit dem Hinter-
haupte. auf die Erde konnte allerdings die Wirkung einer Caa-
tu^ien des Gehirns haben.
Beachtenswerth ist der Fall einer Brustwnnde p. 218 : Ver-
letzung der Pleura* des Zwerchfells, des Periton- und derLeber
durch einen Stich ;'fel«er die p ^^ aufgeführte Brstieknng nm^
ter Betten, wo durch die SugOlation an beiden Elienbogea er-
«littelt ward, dafs die That durch einen Andern ausgeführt wor>
den, so wie auch die Erstickung durch Zusammendrucken des
Kehlkopfs und Bruch des Zungenbeins p. 226 und * die p. "Üi
beurtheilte Brwürgong mit .^Commotio cerebri sind ^othsuchl
vergesellschaftet
Die Annahme einer Lethalitas per se, wenn sie überhaapt
verdiente,' wieder aufgenommen zu werden, erscheint in dem p.
244 beschriebenen Falle nicht an ihrer Stelle. Darmwunden,
"wte diese,* gehen, wie die Brfabrang beweist, auch sich selbst
überlassen, nicht immer in den Tod über; der Dann tiad die
Wunde verkleben bekanntlich mit den benachb|urten Theiiea Sa
einzelnen Fällent bilden künstlichen After oder Kothüstela unl
das Leben wird erhaltend Wichtig war in diesem • Falle, wor^
auf nicht Rücksicht genommen zu sein scheint^ dafs der 99rg^
fttUtne verwmden Darm, gegen die Regeln der. Kunst, sofort
zurückgebracht ■ und die Wunde gesphlossen worden ist. Dalii
das Leben des Verwundeten, wenn der Darm in eine Schlinge
genommen und in der Nähe der aofsem Bauchwunde erhalteSi
Wenn ferner eine ganz zweckmäfsigfe Behandlung Tom Anfange
an In Anwendung gekommen wäre, hätte erhalten werden käh
jteJi, kann. nicht in Abrede gestellt .werden, und es erecheiot da-
her auch die Annahme einer „bedingten oder wahrscheinlidier
unbediiigt nothwendigen Tödtlichkeit" der Verletzung nicht gtp
rechtfertigt.
Audh in dem durch ein glühendes Eisen - herbeigeführten, f.
257 beschriebenen Falle einer Banoh Verletzung konnten dl0 Vc^
Weigerung zweckmäfsiger Hülle Seitens des Verwundeten, das
{^anz unpassende Verhalten desselben, die .Verweigerung der Di-
atation der Wunde, um das blutende Gefäfs zu unterbinden, und
das Abrejfsen des Verbandes, wohl als Umstände betrachtet
werden, welcha einen übejn Ausgang der Verletzung besoaden
mit bedingten. Der Mangel an Energie des Bildungspro^eseea
und des Blutsystems, welchen der Verf. als ungünstigen indivi-
duellen Umstand des Verletzten betrachtet, wurde hauptsüchlidi
mit durch die hüufig wiedergekehrten Blutungen nach der Ver-
letzung bedingt. Eine ursprünglich vorhanden gewesene ^be*
dingte Nothwendigkeit des Todes" in diesem Falle erhellet nickt
deutlich. — Diese Bemerkungen mögen genügen, um. die B»
deutung dieser Schrift unter &n Sammlungen geriehtsärztlicher
Gutachten zu bezeichnen,
Nicolai.
Jahrbücher
«
für
w i s 8 e n 8 c h a f 1 1 i c h e Kritik
August 1839«
IX.
OeschicAie der Einführung der Reformation in
die Mark Brandenburg. Zur dritten Säkular"
feier am 1. Nov. 1839 von Christian Wilhelm
. 8 pieke rj Doctor der Philos. und Theologie»
Berlin, 1839. XlL u. 2^3 S. 8.
Die weithin sich regende Aofmerbsamlceit aaf den
'Gegenstand dieser Schrift wird ehne Zweifel auch ihr
selbst sich zuwenden, welches sie aoch in hohem Grade
Terdienf. Der Hr. Yf. war dazu nicht nnr durch seine
Gdehrsamkeit befähigt, sondern auch durch die Selbst-
Terleognung, womit er den gelehrten Apparat und sc
ibanche mühsame Vorarbeit ganz hat in den Hinter-
grund treten lassen, nm ein auch dem gröfseren Pu-
blicum lesbares, jedem gebildeten Leser verständliches
Buch zu liefern und ihn durch Ton und Colorit der
ganzen Darstellung anzuziehen und zu fesseln. ' Wir
mössen daher diese Schrift iiir eine in jeder Hinsicht
jEweckm&fsige erklären , welches Lob alles in sich
begreift, was irgend noch weiter zu ihrem Ruhm zu
sagen wäre. In einer kurzen oder Tielmehr etwas aus-
fährltchen Uebersicht führet uns der Hr. Verf. yon der
Stiftung des Cbristenthums in der Welt erst noch zu
den allgemeinsten Veränderungen in der christlichen
Kirche und läfst diese in festen Zügen und wohlge-
erdneter Folge an uns Torttbergehen, um yöu dem Ali-
gemeinsten so den Uebergang zu finden zu dem Be-
sondem nnd Bestimmten, welches die Hauptaufgabe
der Schrift ist. Es ist in diesen ersten sechs Kapi-
teln eme grofte Masse von Thatsaohen kurz und bün-
dig zusammengedrängt, so, dafs der weite Umweg nicht
sehr fühlbar wird; wir wissen, wie schwer in bistori-
soben Dingen, zumal tut den Deutschen, 'der fiberall
gründlich TorAhrt, der Versuchung zu widerstehen ist,^
den Faden der Er^gnisse immer weiter rückwärts zu
Tsrfolgen, in der Hoffiiung^ einen gant festen Aa-
, JüM. /; wiiunnh: KriHk. J. 1839. II. Bd.
knüpf uDgspunkt zu finden, der aber nirgends zu finden
ist, da die Geschichte überhaupt als solche weder ei-
nen Anfang, noch ein Ende hat^ eine Linie oder Kette,
nicht, wie die Wissenschaft, ein Kreif oder Sjstem
ist, worin ^er Anfang auch das Ende, das Ende auch
der Anfang ist. Auch nun von da an,, wo der Hr. Vf.
den Beginn der Reformation beschreibt und zuletzt in
die Mark Brandenburg übergeht, begegnet man überall
gedrängten, lebensvollen Zügen, so, dafs das Wichti*
gere gegen das Unwichtige an allen Seiten in sein-
rechtes Licht tritt und nichts Wesentliches verniifst;
wird) es müfste denn etwa gewünscht werden, der Hr.
Verf. hätte den Tetzel in der Mark etwas länger fest-
gehaltet und ihn seine Ablafsbude in Berlin selbst
aufschlagen lassen, wozu es nicht an Documenten und
selbst an eigenen, von da ausgegangenen Ablafsbriefen
fehlt. Dieser Zug hätte nicht übel zu dem Reforma-
tionsjubiläum gestinnnt, auf weiches vorzubereiten diese
Schrift bestimmt iM. — Indem nun so die Reforma-
tionsgeschichte der Mark in die allgemeine Kirchen-
und Reformationsgeschichte mit grofsem Geschick hin-
eingestellt ist,, wird der Vortheil erreicht, dafs aus
dem Allgemeiuen auf das Besondere überall das n5-
tbige Licht fällt, bis dann mit dem Tode Joachims L
das Interesse sich überwiegend und fast ausschliefsDch
der itlärkiscben Reformation zuwendet Der Hergang
und die Vollendung derselben hat nichts von dem üe-
bereilten und Stürmischen, womit wohl in manohen
andern Ländern die Einführung der Reformation be^
gleitet war, nichts, was an eine gewaltsame Umgestal-
tung, an eine Revolution, sei es von oben oder unten,
"erinnert* Weder wird sie befebis weise durch deuLan«
desherrn eingeführt, noch auch ihm wider seinen Wil-
len aufgedrungen. Lebhaft war längst das Verlangen
danach im Lande, wiederhohlt das Bitten der Land-
stände und Städte ; aber mit weiser. Hand hielt Jos«
ehim II. den Strom der evangelischen Begeisterung in
21
163
Spieker^ Eüi/ilArung der Rtf»m»at{Qn in die Mark Brandenburg.;
■einen Ufern und liers ibn sell^tt. erst ^rinen inia|er
weiteren and tiefem Lauf dnroh die Gemütber nehmen,
boTor er selbst sich an die Spitze 'dieser Bewegung
stellte. Indem so der heiligen Freiheit des Glaubens
ihr Recht ges^ehpn yp4 ^'l^^ ' y^i'hfl.ttt, wf^rdeji wftr,
was einer blinden Neuerungslust von Seiten des Volks
gleichen konnte , that er selbst, der Churfurst, den
feierlichen Schritt der Trennung von der päpstlichen
Kirche und nahm die Zügel der ferneren Leitung des
. KirciieiiweBena in seine Hand , aber auch seinerseits
Meß darott entfernend, was an irdischen Gewinn oder
i|iir. politische Berechnung erinnern konnte und ^nieht
irielfn9|ir sich rein allein anf das innere Bedürfuifs des
reinen Glaubens und ohrisflioheD Seelenheils bezog.
Als Landesherr hafte er allerdings, wie der Freiheit
fle^ Glaubens im Volk, so auch dem Gedanken sein
nicht geringeres Recht zuzugestehen und mit der Weis-
heit der Ueberlegung den Zeitpunkt zu bestimmen, wo
die Frucht als Töllig reif zur Oeffentlichkeit anzuse-
ilen sei. Er hatte auch qiancherlei Schwierigkeit erst
noph zu fiberwinden, sein Verh<nifs zum Kaiser, zum
K&nig yon' Polen als seinem Schwiegervater, zu sei-
nem verstorbenen Vater selbst, wie auch zu seinem
Oheim, dem £rzbischof von Maynz und Magdeburg.
Auch der eigenthümliche Standpunkt des Churfärsten
als bisherigen Vermittlers zwischen den beiden grofsen
Gegedsätzen und der Respect, womit er fortwährend
innerlich an die mit der Zeit entstandenen und über«
' lieferten Gebräuche der Papstkirche gefesselt war, licfs
ihn zögern in der öffentlichen Erklärung des injhm
selbst gewifs lange zuvor schon feststehenden Eut-
Schlusses $ denn eben so grofs als seine Besonnenheit,
Vorsicht und Märsigung war auch seine Frömmigkeit
imd Vwehrung gegen das reine Evangelium. Das Dog-
matische der christlichen Kirche war für ihn längst
entschieden, weniger das Rituelle ; es müfste denn sein,
dafa er .auch darüber einen Grundsatz gehabt und seine
Gesinniing in dieser Besiehung auf ähnlichen Prinzi-
pien beruht hätte, als man nachher in England bei der
Constituirung der protestantischen Kirche^ b^ojgte^ -
nämlich den evangelischen Gottesdienst nicht von allem
liturgischen Glanz und dem Reiehthum solcher Gebräu-
che zu entkleiden, welche sich als nicht unvereinbar
mit dem Evangelium erweisen konnten. Doch gab er
auch das hierarchische Prinzip auf und erkannte, dafe
die Cerimonien, wie er eigenhändig dem ersten Entwurf
IN
d^r Kirch^no^dnung>eigeschrieben, nicht zur Seligkeit
nöthig seien, nicht die Gewissen damit zu verstrick«
dienen sollten, sondern nur zu guter äufserficher Zudit
und Anreizung der Andacht. Dafs die Festhaltong m
vieler papistischer Gebräuche bei Joachim II. soik
noch in der Kirchenordcung um ihrer selbst willen so
grofs gewesen^ läfst sich bei einem in der Lehre so
erleuchteten Fürsten nicht voraussetzen; man mufs da-
her auf einen 'Grundsatz , wenigstens auf eine weite
Rücksicht, die nur für die nächste Zeit gelten solltej
echliefsen; Der Uebergang aus dem übergrolken Reid»*
thum an sinneblendeuden Gebräuchen zu dem übertim*
liehen Leben im' Geist und in der Wahrheit war fir
Viele schwer und in 3czug auf die Natur eines cbrist*
liehen Gottesdienstes von der Art, dafs er nur fai »
bitterten, • schwärmerischen Gemüthern zu absoloter
Verwerfung alles Cerimonieoschmucks führte, In allen
weiseren und besonnenen aber mit der Beurtheiloif
und Unterscheidung' dessen verknüpft war, was davoi
auch nicht im Widerspruch mit dem lautem Wort Got*
tes stehe und mithin zu anderweitigen Zweoken eio^
belebten Gottesdienstes noch beizubehalten sein mOcibfft
In jedem Fall konnte der evangelischen Freiheit in di^
sen äufsem, menschlichen Anordnungen aueh f&r ilil
Zukunft immer noch manches auszumersen und fi
läutern überlassen bleiben, weshalb derChurßirst sidrt
gleich vom Anfang an alles, was durch den langei
Besitz irgend einem christlichen Gemfith noch theiier
und werth war, zerstören, sondern der künftigen Vc^
gleichung darüber auch etwas überlassen wollte, wieff
am Ende seiner Kirchenordnung ausdrücklich sagt«
In welcher öemüthsstimmung überhaupt sich da*
mals alle, welche nicht nur an den herrschenden Ve^
derbnissen Anstofs nahmen (denn deren waren uraik*
lige, die doch darin verblieben), sondern auch die be-
fanden, die auch die Energie christlicher Frömmigkeit
hatten, die Verderbnisse zu überwinden und sich li
emanzipiren, davon haben wenige von denen ehleVo^
Stellung, welche sich jetzt im sichern Besitz befinde^
noch weniger *aber die, welche gegen den gdtlHoheii
Beruf der evangelischen Kirche fortwährend Streites*
Die Letzteren nennen in ihrer Unwissenheit den reisei)
christlichen Glauben der ersten Kirche, zn welches
man nur zurückkehrte, und diese Rückkehr selbst ma^
neue Religion — der arme, traurige Hauptgedanke ei-
ner eben ersehienenen, nicht ohne Ltst verfaftten 6^
Spiekery Emfükrw^der' Reßhrnmtion in die Mark- Brandenlurg.
1»
genioMft nnter dem l^iMt Zur Vertheidigimg der ka-
tholisohea Kirelie gegen die königlich preursieche Re-
ligioB. Eine Paraphrase der Prediglett des Dr. Maru
iMineke, in Briefen von Georg Joseph Gdtz. Regens-
Iftfirg) bei Manz (der aligemeinen Fabrik aller antieran-
geUschea Schriften) 1839. — ; sie schreiben die Ursa-
die davon einer blofsen Willkühr und Bigensinnigkeit
an! man erkannte aber daEnmal allgemein eine höhere
Nothwendigkdt, die Pflicht der Sorge für das ewige
Heil, eine nnumgftngliche Gevissenspflioht darin; sie
iehen sogar eine Trennung von der allgemeinen (ka-
tboUseben) Kirche darin ; man erkannte aber die ka*
tiioUsche damals in. der papstlichen gar nicht ^mehr;
, mit dieser Secte, welche aus der Universalität des Chri*
atenthums längst in die bomirteste JParticuIarität über-
gegangen war und nur die Kühnheit und Klugheit g^
habt hatte, den Namen der katholischen Kirche aus
dem SchifFbruch des Glaubens zu retten, wollte man
niohts mehr zn thnn haben. Itfan findet auch nicht in
dar ganzen Reformatiopsseit bis zum Religions- und
Wettpbälischen Frieden Ein, dafs man die Gegner der
Glanbensverbesserung Katholiken genannt hätte, son»
dem Papisten nannte man feie; mit allen wahren Ka-
tholiken, denen aU solchen evangelische Gesinnung
und Lehre nicht fremd sein kann, war kein Streit. In
les
in der heiligen Schrilt, in den Beschlftssen der ^ alten
Conzilien und in > den Schriften rechtgläubiger KirDbeiH
"Väter enthalten ' sind, nnd will micA'anch deiiAasspHI«
eben einer Kirchenversamminng unterwerfen , wenn
solche in rechter Weise gehalten wird. Wie ich ehe-
dem gegen die Ungläubigen ins Feld gezogen, so will
ich fernerhin gegen die Feinde Christi tapfer streiten.-
Das ist meui fester Entschlufd.** S. 160. Vergl. noch
S. 174.
Der Hr. Verf. f&hret die Geschichte der iteforma*
tion in der Mark bis tum Tode Joachims II. Und sei-
nes Qruders Johann fort. Dafs der Hr. Vf. den Streit^
I
punkt über den Tag und Ort, an welchem der Chur-
fttrst das Abendmahl zuerst unter beiden Gestalten
nahm, ob aiii 31. Gct. oder I..Nov. und ob zu Span-
dau oder zn Berlin, nicht berührt, sondern sich gera-
dezu iiir den 1. Nov. und für "Spandau erklärt, finden
wir einer blos darstellenden Schrift, die keine gelehrte»
kitische Untersuchungen vor den Augen des Lesers
anzustellen hat, ganz angemessen. Nnr, dafs doch
nicht wahrscheinlich ist, dafs man deip Tage, an wel-
chem Luther durch äf» Theses die Reformation ange*
fangen, deswegen, weil er ein Wochentag war, den
folgenden Tag, der das Fest aller Heiligen war, tor-
gezogen hätte. Da die beiden verschiedenen Termine
diesem Sinne erklärt Mch auch Joachim U. in seinem' nnd Orte sehr bestimmte Zeugnisse für sich haben,
Schreiben an den Churfiirsten zn Maynz: „Die Mifs-
bränche in der römischeil Kirche, sagt er, sind grofs
nnd allgemein anerkannt; in die Lehren derselben ha-
* ban sich gefährliche Irrthümer eingeschlichen; auf ein
Conzllium, das die Mifsbi^nche abstellen nnd die Leh-
ren berichtigen soll, warten wir seit vielen Jahren ver-
gebens; es ist Pflicht eines christlichen Landesherm,
da der Papst zur Besserung der Sache gar nicht ge-
neigt sei, hrilsam einzugreifen und das Seelenheil der
Unterthanen wohl za bedenken; zudem ist im Lände,
eis wahrer Hunger nnd Durst nach dem Worte Got-
tes, Stände und Städte verlangen nach der reinen
Liebre; indefs bin ich nicht geneigt, von der wahren,
kaUiofischen Kirche abzuAiHen nnd werde überall mit
TereiUit, dem Rath frommer Bfttaner nnd dem Wort
€tettes gemäfs, verfahren." S. 158. Und in dem Schrei-
bea an Sigismnnd, den Ktetg von Polen : „Ich denke
mich weder von der Kirche, noch vom Christenthum
getrennt zu haben. Ich bekenne mich zu den wahr-
haften Lehren der allgemeiaen christlichen Kirche, die
wird es wohl dabei bleiben müssen als dem wabr-
scheinUchsten, dafs der erste Genufa zn Spandan gleich-
sam im Pamilienki;eise am 31. Oct. und am folgenden
Tftge^ der dazumal noch ein grofser Festtag war, zn
Berlin, mehr in< öffentlicher Weise statt fand, worauf
dann am 2. Nov., der ein Sonntag war, die Commu-
nion des Hagistrati^ und der Bürgerschaft zn CSln an
der Spree erfolgte.
D. Mavhaineke.
X.
Aeithetik der Tonkunst^ von D. Ferdinand Hahd^
Prrf. und G. Hof rath. Erster Theil. Leip-
xigy 1827. bei Hochhomen nnd Faumee. X
und 416 S. &
Da die Werke der schönen Künste die vermittelst
sinnlicher Materiale hervorgebrachten Ausdrücke von
Ideen sind , so hat die Aesthetik einer einzelnen Kunst
die Art nnd Weise auf Begriffe zu brmgen, wie die-'
167
Handy Aeitketik der T^nkuntt.
IflB
•^Ibe durch .das ihr zu Gebote stehende Material ihre
Jdeen anBspricht, Diese Aufgabe atellt sich bei den
eiDcehien Eünsteo Je nach ihrem Terschiedenen Mate-
rial Terschieden; . am' einfachsten bei den redenden
Künsten, wo das Kunstmaterial zugleich das im Leben
geläufigste Ausdrucloimittel der Ideen ist ; bei den bil-
dtaden Eainsten, welohe durch Gegenstände der sicht-
baren Sinnenwelt reden, wird di^ Aufgabe eine dop-
pelte, indem es sich einmal fragt, in wiefern die dar^
{;estellt(^ Gegenstände den Ideen entsprechen, und
dann, wie Behufs ihrer Darstellung das Kunstmaterial
(z. B. bei der Malerei die Farbe) zu handhaben ist;
hier also giebt es erstens eine, häufig von Nichtkünst-
lern geübte, Aesthetik, die man die populäre nennen
könnte, bei der jene letztere Frage unerörtert bleibt,
jind eine zweite, welche, auf sie' eingehend, die Tech-
nik der Kunst mit umfafst, und somit nur yon Künst-
lern .co;istruirt werden kann; bei der Musik aber, de-
ren sinnliche Darstellungen nichts analoges mit dcü
Erscheinungen des Lebens haben, Tällt die Beurthei-
Inng ihrer Darstellungen und der Handhabung des^
Kunstmaterials zusammen, d. h. die Aesthetik der Mu-
sik läfst sich nicht trennen ron'der Musiklehre, und
es giebt keine populäre Aesthetik der Musik/ Dies
ist der Sinn der Yom Verf^ des yorliegenden' Buchs
zu Anfang der Vorrede nicht gebilligten Behauptung
Nägeli'sf, dafs in Sachen der musikalischen Kunst deqi
Dilettanten zu sprechen kauni vergönnbar sei, was auch
'schon Aristoteles von der viel einfachem Musik seiner
• » ...
. Zeit so ausdrüekti h yaq t& xSv ddvvdnmv ^ %aXtnmv
iarif fi^ 9toivtov9JaavT<xg xm SQymv xQtra^ ytvia&oU' ottov-
daiovg. Damit ist nicht gesagt, dafs die musikalischen
Kunstwerke blos von Musikern und nicht von jedem
Andern genossen und beurtheilt werden dürften, und
dafs nicht bei jedem einzelnen Musikwerke ein in die
Kunst Eingeweiheter dem Laien, indem er ihn auf
SchöAbeiten, Zusammenhang, Häuptmomeote aufmerk-
sam macht, eine anleitende Hülfe geben könne zu rich-
tiger Würdigung und Verständnirs der vom Künstler
beabsichtigten Wirkung ; aber die wissenschaftliche Be-
gründung dieser Wirkung, die der Gegenstand der
Aesthetik ist, kann -nur bei vollständiger Einsicht in
die Natur und Handhabung des Kunstmaterials zu Stande
kommen*
(Der Beschlttfs folgt.)
D.er Verf. ist niißht dieser Ansicht,' und sagt %• B.
in der Einleitung, p. 11t SelSit dßi Farmaie
gen FerAäHnüsey weh As der Melodie undJB^
zufallen und den Inhalt der Lehre von der\ Seist^
kunet ausmachen^ Jkömmi nicht volUt&ndig it^ Bor
trachiungj welcher Ansicht im (noch* nicht erscbioie-
nen) nothwendig mehr ins specielle gehenden «weites
Theile treu zu bleiben, wohlnoch mehr Sohwierig^kei-
ten verursachen möchte als. im vorliegenden erste»
Dieser handelt 1) vom IVeeen der Mueik^ 2). ms
dem ^ Schonen in der Totikunety der zweite sol
dann enthalten: 3) die Oeeetxe dee mueikaliockea
Kunetwerkij 4) die Regeln der ieeondem JKun^
werke.
Die Musik besteht darin, dafs der Mensch das Um
von der Natur gegebene Material (den Ton) für aeinss
Kunstiweck verwendet, und so theilt sich die Liehn
vom Wesen der Musik in die Lehre yon dieseoi n^
türlichen Material, und von dem menschlichen Gebra»
che desselben. Erster« wird im Isten Capitel, von det
Muiik der Natur (p. 14^46) behandelt. Hier mab
also untersucht ^werden, was der musikalische Ton isl^
und wieweit unsere Tonfolge und Harmonie durch das-
jenige Naturgesetz bedingt wird, welches wir durch
die zu gleicher Zeit von selbst erkUngendign Töne ei>
nes bewegten Körpers (z. B. einer vibrir^iden Saite) \
erkennen. Dies ist das uns von der Natur gelieferta
todte Material, das, zu Kunstwerken verbraucht, sui
lebendigen Ausdruck unseres Geistes wird ; und es ge-
schiebt wohl nur aus Wohlgefallen an poetischer Dar-
steilungsweise, wenn der Vf. den Ton an sich eine Eat-
äufserung des Geistes und Lebens der ihn erzeagea-
den Körper nennt, und sagt, dafs die ganze Natur Idii
und folglich, wenn auch unserm Ohre unvemebinbai^
töne, die Sphärenmusik des Pjthagoras und die sao-
berischen Klänge der blühenden Bäume bei Jean Paal
finfüfart, oder von der verschiedeneu Fähigkeit der Ko^
per, Töne hervorzubringen, p. 38 bemerkt: Die #db-
ren Metalle behaupten den ehrenden Namen auch m
dieeer Umsicht^ denn eie sind xu Tonen geeigneter
als die unedeln^ da eigentlich StafaU uad Messingsaitea
weit besser klingen als Goldsaiten, und : Mit dem waehe^
ren Leben erhöht sich die Regeamkeitför Tonbildung.
wissen
^22.
J a h r b fi c h e r
für
s c h af 1 1 ich e
K r i t i k
August 1839.
Aesthetik der Tonkunst, von'D. Ferdinand Hand,
(Scblula.)
Wir sind zwar nicht im Stande^ die gewifsauth
in Klängen kund teerdende Bewegung dee xeülieken
JPfliHixenleben» durchs Oehor zu erfassen ^ aber die
Befähigung zur Vermiitelung von Tonen. sehen wir
den 'GUS dem vegetabilischen Reiche entnommenen
Instrumenten (die eigentlich doch den schönsten Ton
bekommen, wenn dem Holze durch jahrelanges Aus-
dörren jedes etwanige Leben genommen ist) in einem
vollkommnern Grade xugeiheilt^ als den aus Metal-
len bereiteten. Pies und manches andere, wie die Be-
roerknngen über angestellte Thierconcerte, über die
Terschiedenen Singvdgel, den Fisch Cottus cataphrac-
tus, der aach Laute hervorbringt und dergL, wird yiel-
leidit m'ancher Leser minder ausgeführt, und dagegen
der hier nothweiidigen wissenschaftlichen Grundlage hin
und wieder gröfsere Genauigkeit wünschen, z. B. j wenli
es'p. 24 heifst: Zwei im umfange gleiche Saiten
.schwingen^ und tönen verschieden bei verschiedner
Jjänge', aber auch die Spannung des Körpers und
dessen Dicke tritt hinzu; denn der scharf ge-
spminte und dünne Körper schwingt schneller und
tönt höher \ doch kann auch durch ^die Stärke des
Körpers eine gröfsere Steifheit und dadurch eine
-schnellere Schwingung hervorgebracht werden^ wo
die Tiden Ausdrficke Umfimgy hinzutretende JHcke^
Stdtfke^ Steifheit manchen irrooi können, der nicht
weifs, dafs der Verf. mit diesen Terschiedenen Aus-
drücken nur einen einzigen Begriff bezeichnen will,' näm-
lich die Schwere iter Saite, auf die es aufser ihrer
»Länge^und dem sie spannenden Gewicht (und der auf
jedem einzelnen. Thefle der Erde immer gleJohbleiben-
den Zahl der Fufse, die ein frei fallender Körper in
.der ersten Secunde zurücklegt) allem ankömmt, und
dafs der Sinn Ton de» Ver^. Worten dieser ist: Es
3aM. /. triiientcft. Ktil^. /. 1839. II. Bd.
Terbalten sich die Geschwindigkeiten der Schwingun-
gen, 1) wie die Quadrate der Spannungsgewichte, 2)
umgekehrt wie die Quadrate der Saitenschweren, 3)' um-
gekehrt wie die Quadrate der Saitenlängen ; und folg-
lich, da bei Theilung einer und derselben $aite zugleich
mit der Länge auch diQ Schwere getheilt wird, Ter-
balten sich die Geschwindigkeiten der Schwingmigen
umgekehrt, .wie die Längen selbst
Die Verhältnisse der diatonischen Scala werden
nicht in diesem ersten Capitel, sondern im zweiten von
der Musik des Menschen erwähnt, weil der Verf. der
Meinung ist (p. 49): Die Gestaltung und Ordnung
der TönCy welche wir als Tonfolge oder als Ton-
System bezeichnen ^ ist eine durch Refiexion be^
stimmte j ein Produkt des menschlichen Geistes, p. 50:
.dasjenige^ was das Verhältnifs der Töne zu einan*
der ausmacht y lehrt nicht die Natur ^ sondern wird
durch Reflexion gewonnen und festgestellt-' p. 61 : die
uns gültige Tonleiter ist ein Produkt ^willkührli-
eher fVahl. Dies ist aber doch wohl nicht der Fall ;
.sondern unsere diatonische Scala singen und hören wir
als diceinzig wahre, gezwungen durch ein Naturgesetz.
Denn eine frei schwingende Saite läfst, wenn wir ihren
Ton c nennen^ durch Theilungen, die die Natur selbst
Terrichtet, den ganzen Cdur AocQlrd tönen, und die
einfachsten Intervalle desselben, C und G fuhren auf
ebenso naturgemäfsem Wege zu den Accorden der
Ober- und Unterdominante y Und g-, so dafs dadurch
der für jedes menschliche Ohr. natürlichste Harmonie-
gang Ton Cdur, Fdur, Gdur, Cdur entsteht, welcher die
ganze diatonische Tonleiter in diesen Verhältnissen
enthält :
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* * f g « A
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9 10 16 fro • 16
die nichts ist als (mit dem Verf. zu reden) Musik der
Natur. Denn demselben Gesetz ist jeder andere tönende
22
• i
171' Eänd. Aettk^k
Körper, so wie unsere Kehle und Ohr vaterworfen,
und wenn ^es Mensoben und Völker giebt und gegeben
hat, Tön 80 stumpfem Sinn und Sinnen, dafs sie diese
Musik der Natur nicht Tsmehmen, so ist dies eben so
wenig em Beweis gegen ihr Yorhandensein, als es un-
sere gleichschwebende Temperatur oder die etwas Ter-
schiedene Messung der griechischen Scalen ist, welche
beide nur Surrogate der natürlichen Scalä sind, mbg'-
liph und geduldet dadurch,' dafs unseres Ohrs, wie je-
des anderen Sinnes, Wahrnehmungsfähigkeit ihre Grän-
zen , hat. Auch kann der Verf., wiewohl er dieser An-
sieht entgegen ist, sich doch nicht ganz Ton ihr lo^.
machen; z. B. p. 61: Vergeblich streiten d%e Aku-
Mtißer gegen die Meinung^ die un$ gültige Tonlei-
ter sei ein Produkt wiUhührlicher fVahl^ da ja
vielmehr die Basis in der Natur sich vorfinde y denn
auf dieser unläugbaren Basis hat die Reftexiony
ohne selbst den ,Grund voraus erkannt zu haben^
das Gebäude au/geiauty dessen Verhältnisse dann
später auch mathematisch gezeichnet werden konn^
tei^j und kann nicht umhin, bei Erwähnung der Ter-
afehi^denen Bestimmungen für TouTerhältnisse bestän-
dig die Worte rein und unrein zu gebrauchen, wel-
che ja nichts conTentioneües bezeichnen, sondern das
auf Naturnothwendigkeit gegründete Urtheil über Ton-
Terhkltnisse. Folge dieser seiner Ansicht war es auch
wohl, dafs der Verf., die hierher gehörigen Dinge zu-
weilen nicht genau genug mittheilt, so dafs freilich
mancher Leser, der sie nicht kennt, nicht immer recht
belehrt, 'und der sie kennt, Tielleicht nicht immer ganz
befriedigt wird, z. B. in den §§. 5. und 6. (p; 54 ff.)
über die Scalen der Griechen, wo unter anderem bei
Anführung Ton Kretschmers Versuch, die enharmonischen
Interralle durch lang fortgesetzte Quartenfortschritte
zu erklären,. gesagt wird: wir berücksichtigen hier
nichts ob ausreichend^ oder nur im Besondem bil-
ligetuuferthj wodurch eine nicht ganz richtige Vor-
stellung Ton diesem Buche erweckt wird, das ipit toII-
kommenster Consequenz eine Hypothese durchfuhrt,
die entweder ganz gebilligt oder ganz Tcrworfen wer-
den mufs. So heifst es §. 6. Fbn den strengen Kano*
nikern trennten sich die Harmoniker (welchen statt
Aristoxenianer nqu gebrauchten Ausdruck nicht gleich
jeder Tcrstehen wird, da die Alteq mit Harmoniker ei-
gentlich etwas ganz anderes bezeichnen) und entschie-
der Tonkmut.
173
den nach dem^ im9# dem Ohre Befiiedigung gewoAs^
te. Beide rechneten^ aber die Harmeniker nicht
ohne Beachtung des PrineipSy welches die mtissÄrmli-
sehe Darstellung menschlicher Ge/üh^ leitet^ was
aach nicht jeder sogleich Terstehen wird{ dentliahir
wäre gewesen: Die Pythagoräer rechneten naoh SA
tenlängen, und Aristoxenos nach InterTälltheilea, md
zwar nach OctaTenzwölfteln^ d. h. er wollte die gleidh
schwebende Temperatur. Denn dafs der Verf. dies
mit obigen Worten memte, sieht man ja ans ieet g;m^
zen Lehre des Aristolenus z. B« p. 56* ed. Meibont,
wo dieser Schriftsteller, Ton der Quarte e — a anage*
hend, erst die beiden grofsen Terzen e— gts und a — ^f,
dann die Quarten gis^dis und f— b nimmt, und
sagt: nun wird man hören, dafs dis — b eine
Quinte ist. In Betreu des nächstfolgenden ; ünte/^
griechischen Theoretikern wird JLasus als derjS'
nige genannt^ welcher den Tönen eine Art TVwjii
ratur . zugestand y und sie die Breite dereeltem
nanntCj die sieh auf die Stelle beim Aristoxeaas p« 3
und Burney's Erklärung derselben gründen, wurde es
wohl besser gewesen sein, Ton dieser Erklänuig ab-
zugehen, und im Gegentheil zu sagen, dafs Lasiis db
Temperatur nicht gewollt. Denn Aristoxenus, ab
Vertheidiger der Temperatur, tadelt in jener Stelle^
bei Gelegenheit der gewöhnlichen Definition des 'masi*
kaiischen Tones, wonach er eine bestimmte Höhe ohne
Spielraum oder Breite ist, den Lasns eben deabalbi
dafs er ihm eine gewisse Breite zugestehe^ näaili^
nur wer nicht temperirt, mächt einen ^Unterschied, &
B. zwischen ^fis und ges, und schreibt einen Splelram
dieser Tonhöhe zu^ die durch die Temperatur zu
einzigen wird, wie auf unserm > Fortepiano zu
einzigen Taste!» »Auch die bald folgenden Worte:
jtuch die Abweichungen des Ptohmaeus dürfen
abgesehen von einzelnen, Irrthümemy nicht
hin als Verunstaltung^ sondern als VorAereetung
einer künftigen Reformation betrachten^ können l^cM
einem Leser, der den Ptolemäns nicht kentnt, eine o»
richtige nnd ungünstige yorstellung Ton diesem SebriA-
steller beibringen $ es ist, wie man ans der gleich fei-
genden Erwähnung der Kirchentöne sieht, Ton des
Ptolemäus Reductien der Tonarten auf sieben die Re-
de, i^as ein nach einem sehr einfachen Prineip cona^
qnent durchgeführtes Verfahren war. Schade, dafs
17S SbmJy AtttiHik
^r iMranf erwilmte ZusammoDbapg der KiroheDtdoe -
nit den siebM Tonarten de« Ptolemäus su kurz be-
rftfart wrcd) nm über die Anticfaf, die der Verf. eigent-
lidi ton die«e0i hdehst iotereseanten Gegenstand ha-
ben BHigi den Leser .belehren »i können, welcher über-
dies daduroh etwas yerwnrrt werden wird, dafs dem
seneren Mixolydisdi statt der hypophrj^gischen Ootave
die ionisohe, eine Toni Ptolemftu« rerworfme, süge-
•ehrieben wird, niefat wissend, dafs der Verf. ■ dadurch
SU erkennen geben wollte, er >sei einer auf eine Stelle
des Pltttarch (de Mosica o, 16.) gegründeten Hypothese
Boeokhs mgetban. Die bald folgende Stelle: Bü ins
/im/keAnte JuArAundert war man auf die Octave
AeBchrBnkt gewesen und kannte keine Ausw0icAung
M einen Neienten^ wie dies alte Melodien^ z. B.:
fferr Jesu Christ diek xu uns wendy von Hufs
(1400), Nun ruhen alle tValdery von Isaak aus
Frag (1480) noeh erweisen^ wird auch manoheui Le-
ser SSehwierigkeit machen, weil, ehe er bis zu den an-
geführten Beispielen gelesen, er Tielleicht glaubt, es
wäre (mit etwas Uebertreiboog) das fuufzehnte Jahr-
hundert vor Christus gemeint, da ja die Alten schon
ylel längere Scalen aus allen Tonarten hatten, überall
Ton ]ldodula.tion in andere Tonarten sprechen, und al-
lein schon mit ihrer aus füuf Te^achorden bestehen-
den SoUa in die Uoterdominante ausweichen und der
Terf. auch selbst p. 121 berichtet: jdls im zehnten
Js^rhundert der mehrstimmige Gesang eingeßihrt
seurde^ entwickelten sich ungekannte Harmonien^
was ohne .'Modulation nicht wohl möglich' ist. Uebri-
geos kann auch eine auf eine einsige Octave beschränkte
Melodie genugsam moduliren, und es waren für die
beided genannten Choräle, welche ja mehrmals modu-
liren, lieber solche zu wählen, die es 'nicht thun, wenn
ea welche giebtj und so möchte auch die darauf fol-
g;ende Bemerkung, dafs nun erst nach Jahrhhnderten
die Ootave ihre 12 Stufen und darauif gegründeten Ton-
arten erhalten hätte, nnd manches folgende durch et-
,wekM mehr Richtigkeit dem Leser noch nützlicher ge-
worden sein*
Nach, solchen theils philosophischen, theils histori-
ndien Andeutungen geht dann der Vf. zu der eigent»
lieben Untersuchung über das Aesthetische in der Mu-
eile über, wo jedoch den Referenten die zu Anfange sei-
nes Berichtes, eingestandene. Verschiedenheit zwischen
ik¥ Tonkunst. 174
seiner nnd des Vfs. Ansicht abhält, die nidit auf emst-
halftes und fofsliches Eingeben in die eigentliche Mn»
siklehre gegründeten, sondern mehr in allgemein-phila-
sophischen oder poetisch-schwebendei^ Ausdrücken ab*
gefafsten Urtheile über' Mebdie, Harmonie, Interralle
n. s. w. oder über die zabhreich angeführten einzehien
Musikstellen recht zu erfassen, indem für ihn die psy-
chologischen Auseinandersetzungen des Vfs. meist zu
schwierig und undeutlich sind, und die in das wirklich
MuBikalische eingehenden, ihn nicht recht befriedigen
können. Auch andere Leser werden gestehen, dafs z.
B. die Erörterungen über den Sinn der einizeben Inter-
valle recht zu würdigen schwer ist, wenn es z. B. p.
204 beifst: Die (grofse) Sexte^ welche auch als um-
gekehrte kleine Ter» {cat»a e) betrachtet werden
magy trägt die Doppelnatur der Qrofse in sich^ und
.t heilt mit der Ten den Ausdruck der gleichmä/si-
gen Buhcj /igt aier zugleich durch ihre gr^sere
Entfermmg ^ eine lebendigere Beweglichkeit hinzu^
und so besitzen wir in 'ihr den Ausdruck eines an-
geregte^ lebendigen Daseins^ einer im Maafs gehaU
tenen ^Belebungy aber auch darum einer intensiv wir-
kenden Seelensti$nmungy die selbst den Schmerz nicht
ausschliefst t#. s. w.y oder p. 205 Ton der Seeunde:
Als kleine , Seeunde steigert sie den Ausdruck eines
zerstörten Qemüths ins Herbe und Orellcy wie in
dtozarts Ouvertüre zum Don Juan im vielbesproche-
nen Thema des Allegro der Ton die ein Bild för
den Inhalt der ganzen Oper if$ sich vereinigt. Nur
fVortstreit isfsy dieses Intervall lieber eine Ubermir
fiige Prime zu nennen^ wie man in Jener Stelle Mo^
zarts nicht einen Accord anzustaunen^ sondertp nur
im melodischen Durchgang anzuerkennen hat} wo-
mit es also der Vf. doch auch als übermäfsige Prime
erklärt; — oder die Beschreibung, wie die Musik das
Erhabene, Ernste^ Pathetische, Komische u. s. w. aus-
drückt z. B. p. 402: Fürs Komische spreche ein ein-
ziges Beispiel aus Dittersdorfs Oper^ Hieronymue
Knickef. Die beiden Alten kommen in den Keller
und heginnen gemüthlich den Gesang: Wir wollen
uns placiren und hier den fVein probiren. Dann
wechselt die lullere Tonart Adur und f Tttkt mit
dem ruhigem Fdur und | Takt. Da erblickt der*
Alte den Armenier und erstarrt \ er verliert das
Gleichgewicht und kommt aus Fdur vor lauter Angst
t
\
175 Bmdy
' in — (hier erwartet man eioe colossale Aosweichung) —
m den ^uartsestenaceörd von C: fVer ist der #Mt-
derdare Mann f Die zweite Frage modulirt in OmoU.
In s0leAer CAarakterieirung kann seldst eine an
eich emetey ja traurige Melodie^ ein langsames Tem^
pOy ein gedehnter RAytAmns dem Zwecke des KO'
mnsckefp dienen. Das Wort und die Mimik %ur
Stütze wä/siefid^ wird so die Musik auch dem nicht
streng musikalisch auffassenden Hörer komisch wer-
den können. Das Resultat aus diesem Allen liegt
. nun klar vor -^ und pag. 404: Die Nachahmung
einzelner Figuren durch mehrere Stimmen oder In-
strumente wirkt zugleich ""komisch und lächerlich.
So in Haydns Quartetten^ wo man Gespräche und
Zänkereien zu vernehmen meint, u. u. w. Aehn-
lich ist es mit der Charakterisirong der einzelnen
'Tonarfen, bei denen die unleugbare Verschiedenheit
ihres Ausdrucks sich schwerlich anders wird einiger-
mafsen erklären lassen, als auf rein akustischem
Wege, indem aufser der aueh mitwirkenden Verschie-
' denheit der Tonhöhe hier noch eine feine Verschie-
denheit in den Intcrvallengröfsen stattfindet, die wir
in unserer Vorstellung eben so gut in die gleichschwe-
bende Temperatur hineintragen, als wir auch bei ihr
die sogenannten euharmonischen Verwechslungen ver-
nehmen. Denn da wir immer die (oben angeführten)
Verhältnisse der natürlichen Scala im Kopfe haben,
80 gewöhnen wir uns, Intervalle wie c i d (ß i 9) und
d i e (9 : 10) etwas verschieden zu denken, und ha-
ben also z. B. in Cdur als erstes Intervall den gro-
fsen Ganzton, in Ddur aber als erstes Intervall den
kleinen; auf diesem Wege ergiebt sich dann, dafs
gerade die in Tonhöhe wenig verschiedenen Tonar-
ten, wie z. B. Ddur und Bsdar, welche sehr verschie-
denen Charakter zu haben scheinen, in den Interval-
lengröfsen mehrfach von einander abweichen, wäh-
read Aridere,', weiter von einander entfernte, es gar
nicht thun, wie Cdur und Edur, bei denen wir auch
eine gewisse Aehnlichkeit des Ausdrucks bemerken,
80 dafs hier nur die bedeutend verschiedene Ton-
bofae den Unterschied macht. Eine kleine Verwechs-
der Tonkunst. 116
long findet statt, wenn der Verfasser im Betreff die*
«es verschiedene^ Ausdrucks p. 211 Plato end^Aii-
stoteles anfuhrt, die ja^ in den angef&hrten StelleB,
und überhaupt, wenn bei den Alten vom Charakter
der Tonarten, die Rede ist, nicht kiervon,^ soDdea
Von den verschiedenen Ootaven- Gattungen sprecben,
also von Unterschieden, wie zwischen Moll -und Dur.
In der darauf folgenden Uebersicht der Tonarten kaaa
der Verfasser dc^eh nicht umhin, jeder einzelnen To»
art sehr' verschiedenen, oft entgegengesetzten Ai»
druck zu)(uschreiben, z. B. p. 218. -Gmoll kann nicht
gerade hin nach Schubert durch Mi/svergn^geut
Groll und Unlust bezeichnet werden. /H disser
Tonart einigt sich fVehnmth und Freude, SeAwer-
nmth, und Beiterkeit \ so stellt sie die Graxiey sntf
deren Blick ein Zug Schwermufh ruht, das Mr-
habene in romantischer Färbung, \das TrvfgiMci-
sentimentale dar. Die Behandlung kann dies edles
atich bis zum Ausdruck des Mifsvergnügene umi
der Unlust erhöhen, indem das eine beschrUnkmids
Element überwiegt. Wem schwebt bei diesem, Tom
nicht alsjdeal Mozarts Symphonie, die ich in g^
wisser Hinsicht mit Goethes Iphigenia vergleiehem
möchte, vor? u, s. w.^ Andere Zwecke werden Jire^
lieh auch auf Trost in heidefi hinführen, anden
die Wonne in Thränen bezeichnen; was AHm
diese Tonart' in sich trägt. Eben so pag. 222 vna
Hmoll: In langsamer Bewegung eignet dieee Ten-
art vorzüglich för Todtengesänge. Umgeseixt äa
die Unnatur gewährt diese Tonart im ironische»
tiohn auch Töne der . Hölle. So in Webers F^tti-
schütz Caspars. t€9$fiisches Lied, u, s.w. Da aai
ähnliche Vielseitigkeit jeder Tonart zugescliriebee
wird, so möchten die gegen einen Ausspruch Zelters
über diesen Gegenstand geriditeten Worte> pag. 210:
was' mindestens ein Mchst uniedachtsames Uriheit
enthält, indem es nach keinem Prine^ fragt, vA
der gefafst sich vielleicht besser ausnehmen. Billige
Beurtheiler werden dem Verfasser gern zugeben, dafii
der von ihm behandelte' G^enstand. ein sehr
ger ist. Belle riaann.
M 23. ' '
Ja hrbücher
f.. • I
u r
wissenschaftliche Kritik.
August 1839.
m
XL
Die PhUosopKie des Rechts nach geschichtlicher
Ansicht von Friedrich Julius StahL Zwei-
ter Bandk Christliehe Rechts- und Staatslehre.
Zweite Abthßilung. Heidelberg, 1837. X und
431 S.
'' Wie der Kriticlsmus Kants der deutseben Philo**
9opbie' ihre Metaphysik , gleichsam, das AUerheiligste
ihres Tempels, tod Grund ans niederreisseu wollte, so
erblieken vir, in Folge dieser Erscheinung, auf dem'
Gebiete der Rechtswissensohaft eine Juristenschule, die
ebenfalls ohne dieses Innerste ihrer Wissenschaft, ohne
Natnrreeht, ausreichen zu können glaubte. Ohne Zwei* .
fei war es, wie bei Kant, das Veraltete der Formen
der bisherigen Wolfischen Metaphysik, wodurch der
Stifter jener Schule in diese negative Stellung gegen
die Philosophie gebracht wurde. In der Vorrede zur
zweiten Ausgabe seiner Schrift „Vom Beruf unserer.
Zeit für Gesetzgebung'* (1828) beschränkt er selbst
auf die Wolfische Philosophie und deren Naturrecht,
vas man ihm für eine Antipathie gegen jede Philoso-
phie ausgelegt habe (S. V). Doch «da er häufig im
Werke selbst, mit ausdrücklicher Hintansetzung des
Ternunftrechts, behauptet^ die ächte Begründung alles
und jedes Rechts dürfe nur auf geschichtlichem Wege
worgenommen werden: so bleibt es immer wahr, dafs
damit die Rechtsphilosophie überhaupt nicht mehr als
ein der Jurisprudenz zn ihrer. Vollendung nnentbebrli-
ohes Element angesehen worden ist. Der Hr. Vf. det
irorliegenden Schrift erklärt in einem frühern Theile der*
Mlben (Bd. I., Vorrede, S. VIII) dies so, dafs, da Hr.
Wf, Savigny den Zauber einer glücklichen Anschauungs-
gabe besitze, er sich der philosophischen Forschung,
fib^heben dürfe, indem sein Sinn ihn sicher leite. Die
Toa ihm angeregten Juristen aber, die sich die histori«
•obe Schale nennen, weil auch sie sich ohne Philoso«
Jahrb. f. uiuentck Kritik. J. 1830. II. Bd.
phie zu behelfen suchen, bewegen sich, nach unserem
Hm. Vf., „in vagen, vieldeutigen Reden." Er setzt
(S. IX) hinzu: „Ini Innern der Schule fehlt €» an Ein-
heit und Klarheit des Bewufstseins; und sie dürfte ver-
legen sein, sollte sie bestimmt angeben, wodurch sie
sich auszeichnet." Seitdem ist nun auch derjenige der
historischen Juristen, der eich besonders wieder zum
Naturrecht wandte, und auch in den Einleitungen sei-
ner übrigen, positiven Vorlesungen sich viel mit Philo-
sophie zu schaffen machte, ich meine Klenke, bereits
vom Schauplatz abgetreten.
Jener noch femer vom Hm. Vf. am angeftihrten
Orte höchst ungünstig, geschilferte Zustand dw histö-
'rischen Schule mufs ihn wohl veranlafst haben, ihr zu
Hilfe zu eilen; und da er aus einer philosophischen
Spbule hervorgegangen ist, die plötzlich auch angefan-
gen hat, sich die „geschichtliche" zu nennen, so nieinte
er gewifs, dafs ein aus diesendr Lager abgeschicktes
rechtsphilosophiscbes Armeecorps der historischen Juris-
prudenz willkommen sein würde. Mit dieser geschieht-
, liehen Philosophie hat es aber folgende Bewandtnifs.
> Sehelling, der früher eine der schönsten Stufen
in dem Entwickelungsgange der deutschen Wissen-
schaft eingenommen hatte, konnte endlich die Kühnheit
seiqer Speculation nicht länger behaupten. Er rifs da-
her den Faden der Tradition, der ihn an die frühere
Philosophie knüpfte, entzwei, und floh vor seinem ^i^
genen Schatten in die Unterwerfung unter ein histo-
risch Gegebenes, Erfahrenes, durch und durch Positi-
ves, unfi^cfähr wi^ Friedrich von Schl^el, der Graf
Stollberg und Andere, als das Gebäude ihrer denken*
den Vernunft im Innersten zusammenbrach, und sie
nun haltungslos auf dem Meere des Zweifels schwank-
ten, das einzige' Rettungsanker darin sahen, in den
Schoois der katholischen Kirche zurückzukehren. Seit-
dem die Geistesobnmacht auch. Scbellingen anwandelte,
hat seine Verzweifelung am Denken allmählich in sei-
23
179
StaU^ PAil^9opkie de* Reehts. 2ier Bd. iie Atth.
im
ner Scfinle sieb bis zum.Hafs alles Denkens ^steigert*
SchelKogs jetzige Uebeneugung läfst sich in folgende
Worte zusammenfassen: ),Die Vernunft könne an die'
Wirklicbkeit nicht herankommen. Alle Pbilosophiei
die Ernst macht mit denkender Erbenntnifs^ sei Ratio-
nalismus. Dieser begründe nur das nothwendig zii Den-
kende, d. h. eigentlich das nur nickt nicht xu Den^
kende. Eine solche Erkenntnifs sei aber nur negativ ;
sie lefare nur das, ohne welches nichts ist, aber nicht
das, wodurch irgend etwas, ist/' Aus^estoben von der
ächten Philosophie, wo sollte die Scbellingsche Schule
mit ihrem „pörflivea System,'' wie Hr. Stahl es nennt
(Bd. i, S. 56), noeh einen Anhalt finden? Da sie sich
der Rüstkammer der Vergangenheit zugewendet hatte,
so glaubte sie an historische Juristen sich mit Zu?er-
siobt anlehnen zp können ; wenigstens machte Hr. Stahl
. einea solchen Versuch. Erst als ScheHing bereits «ane
spätere Bildungsepoche erreicht hatte, wurd^ Jener
sein Schüler; und er hat auch manche Brocken der
umgeänderten Schellingschen Denkweise aus Vorlesun-
gen veröiTentlioht, bevor Schelling selber damit her-
vorgetreten ist (Bd. I, S. 55, Anm., 334 Anm.}. Nur
hat Hr. Stathl diesen Standpunkt. Schellings dermafsen
bis zur Caricatur erweitert, dafs dieser schwerlich seine
eigenen Ansichten in den Stahlschen Sätlen wiederer-
. kennen wird.
Die pAihiBphische Grundlage der Rechtsphiloso«
phie des* Hrn. Verfs», wie sie sich besonders am An«*
fan^ der ersten Abtheilung des zweiten Bandes seines
Werkes ent^ckelt findet, ist schon früher Gegenstand
eine)r gründlichen Besprechung in diesen Blättern ge-
wt^sen. Die Quintessenz der Ansichten des Hrn. Stahl
gibt Referent daher hier nur historisch an: „Der Ra-
tionalismus behauptet, e^ gibt keine Veränderung. Das
Wesen der abstracten Philosophie ist: nur das anzu-
erkennen, waß aus der Vernunft folgt ; - es mufs das
Gegentheil undenkbar sein. ' Die geschichtliehe Ansidit
ist die, nach welcher etwas geschehen ist und ge-
schiebt, nach welcher es eine freie T|iat gibt. Die Be-
gebenheit ist das Resultat der freien Wechselwirkung
Gottes und des Menschen gegen einander. Die Welt
ist nicht im Wesen Gottes nothwendig enthalten, soa«
dorn erst' durch seine freiwillige Schöpf ung entstanden.
Alles ist, weil der allmächtige Urheber es eben so
wollte^, nicht weil es nicht nicht sein kennte. Gut
ist etwas nur,, weil Gott es so wollte : bös, weil er es
verbot; nicht umgekehrt. Man mufe den Vermumfi'
xuiommenhan^ 4er fVelt ISugnen. Gott kann nieht,
wie die Vemqnft, blos Noth wendiges hervorbritfjgm
Gott kann Glauben fordern, weil er, was er thot, aueb
unterlassen könnte, und daher die Geschöpfe ininse^
fort nicht wissen, sondern nur glauben können, dafs er
es thun werde. Jeder Zweck, nicht blos der mensok
liehe, sondern auch die Endabsicht Gottes setzt freie
Wahl voraus. Der Glaube nimnftt eine freiwillige OS
fenbarung an^ Gott hätte die Erde anch ungemaeht
lassen' können. Gott hat eine unendliche schaffoids
Wahl. Es war nicht nothwendig, dafs die SchöpfiiBg
gerade diese wurde, die sie nun wirklich ist. So ist
die ganze Schöpfung und ihr Plan nicht von Ewigkeit
gegeben durch die heilige Natur Gottes und seine all-
umfassende Weisheit. Die Schöpfung ist nicht eint
Falge des göttlichen Wesens, sondern die Tbat der
göttlichen Freiheit»' (Bd. I, S. 55, 48, 38, 56, 37, «3^
117, 194, 223, 313; Bd. U., Abth. 1, S: 25, 27, 31,
203). In der schon ei^wähnten Anzeige ist die Unwi»
digkeit, Gott eine Freiheit zuzuschreiben, die bloftt
Willkür ist, sodann die Unfähigkeit des Hrn. Yeift-^
wahre Freiheit anders, als nur im Widerspruch gegea
die Noth wendigkeit zu begreifen, aufs Scharfsinnigste,
eirörtert worden.
Wie gefährlich wäre es ferner filr Recht und Sitt
lichkeit, das Gelten ihrer Gesetze lediglich von des
bodenlosen Willkür einer allmächtigen Persönliclikeft
abhangen zu lassen, die das ewige Yemunftreeht in
einen ebenso sdiwankenden Zustand bringen wrärde^
als es in unruhigen Zeiten der Geschichte die positive
Gesetzgebung ist Das gläubige Bewufstsein wird firei»,
lieh hierauf mit Grund erwidern können: Eui giit%er
Gott hat Alles aufs 'Weiseste eingerichtet. Diese
Worte sind aber,- der Meinung dies Referenten nachi
sinnlos, wenn sie nicht bedeuten sollen, dafs die ewige
Weisheit Gottes unabänderlichen Gesetzen Ton.Urb^
ginn an mit Nothwendigkeit gefolgt ist. ' Wdltto wir
'Gott eine Wahl zusehreiben, so müfste er zwiscbee
Bessereni und minder Besserem schwanken, und Daeh
vorhergegangener UeberlegUng, Berathscblagnng urf
EntscUufs das Eine dem Andern Torzieheo. Wir wol^
len annehmen, dafs er das Bessere Torziehe, 'aber aotiK
wendig ist es nicht. Denn wer. das Eine wählen kamii
kann auoh fiirs Andere sich entscheiden« Mufs er m^
mer das Bessere ergreifen, nun -dann ist es. eben ketae
181
Siakt^ PhHo9öphie d€9 lUehU. 2Ser jBd. 2te JUiA.
182
Wahl mebr; Gattes Wille ist dann selbst diese unab-
iaderlidie NothweDdigkeit Wahl überhaupt wäre das
•ehlageadste Zeicbeo der Unvollkommenheit, selbst
wem nachher das Bessere ergriffen würde. Denn der
WMilende bedarf der Zeit, eher er sich fars Bessere
entscheidet; se lange wenigstens fehlt ihm also die
Bekenntnifs des Bessern. Wer steht uns aber dann
dai&r, dafs er es jetzt darch seine Wahl getroffen!
Jeder sieht eia^ dafs solche Auffassungsweise Gottes
gana unwürdig ist^ Freilich nach Hrn. Stahl gibt es kein
..Gates nad Gerechtes an sibh|. sondern Alles ist gleich-
gültig, • bis erst ex po9t durch Gottes Wahl ein. Unter-
aohied eptsteht« Bef.'; mochte dann aber fragen, worin
denn das Wesen Gottes bestehe, weon es niclit das
an abd für sich Gute^ das an und für sich Gerechte,
mit einem Worte das hSehste Gut ist. Wer also die Idee
des Guten, das Vemunftrecht, oder wie man es nenpen
will, Aufhebt, der hebt Gott auf ; denn Gott ist alles
dieses selber.^ So anschnldig also auch ein Läugner
desNatarrechts aussiebt, seist er dennoch ein Atheist,
weil er nur Schwankendes und Veränderliches, nichts
Bleibendes im Wechsel anerkennt.
Diese fürchterlichen Conseqnenzen seiner Lehre
. schwebten . wohl Hm. Stahl auch duqkel vor. Wenig-
stens biegt er ein, und es kommen auch die Sätze Yor :
„Auch ehae Vemunftznsammenbang unterscheidet sich
die Freiheit Gottes von der Zufilligkeit'' (Bd. U., Ab-
theiL 1^ S« 19) ; wovon der Hr. Vf. uns aber den Be-
weis schuldig geblieben ist. Ferner gesteht er: „Die
"Wahl zwischen Gut und Bds ist allerdings bei Gott
sibbt*' (Bd. n., Abth. 1, S. 25). Warum nicht, wenn
et eine unendliche Wahl hall Hr. Stahl sähe sich also
geswnngen, su^ugeben, dafs sie doch eine beschränkte
sei* Doch nein I Wir thun Hrn. Stahl Unrecht. Denn
da Gott, erst durch seine Wahl etwas zum Guten oder
Bdaeii macht, so war sie vorher eine unendliche; und auch
nachher wird Hr. Stahl sie durch Präcedentien nicht ge-
benden wissen wollen. Endlich heifst es sogar: „Gott
ist idlerdings ancb eine Mdglibhkeit versagt, die Mög-
iiebkeit des UngSttlidben'' (Bd. IL, Abtb. 1^ S. 31).
Gist! Aber erstens ist dies eine.blofse Tautologie s
Gott kann nur Gdttlicher wollen« Und dann, so arm
dieser Satz auch an inhaltsvoller Erkenntnifs ist, so
gpenngt seine formelle Bichtigkeit doch, um die ganze
Willkilrs-Theorie des Hm. Verfs. fiber den Haufen zu
fen. Denn Gott kann. Jbiemach nur das mit Noth*
wendigkeit aus seiner innersten Natur Fliefsende than;
Die scharfsinnig sein wollende, in demselben Zusam-
menhang vorkommende Distioction, dafs^ die Scbdplung
der Natur Gottes g^emaft^ und doch nicht durch sie
gegeben sei, kann höchstens fiir einen AdvocatenknifF
geltidu, um der ostensibel bekämpften Ansicht^ der gar
nicht auszuweichen war, nur durch eine Hinterthür
tritt zu gestatten.
Doch Bef. wollte diese philosophische
des Stahlschen Bechtssystems nur Nieder in Erinne-
' rung bringen. Hier l>leibt im Allgeioeinen noch das
aus solcher Grundlage fliefi^ende UecntMtyitem selbst
zu würdigen übrig, und zwar in seinem Verhältnisse
sowohl zur BechtswiBsenschaft als zur Philosophie,
bevor Bef. ins Besondere an die Kritik der Staats-
lehre gehen kann^ welche in dem gegenwärtig anzuzei-^
genden Bande enthalten ist.
Die neue Hechts- und Staatslehre, welche Herr
Stahl aufstellen will, kundigt sich sogleich als eine
ehriatUche an. Diese Worte haben ein^ guten Klangf
Nur mufs es zunächst auffallend erscheinen, dafs diese
christliche Lehre keine vernunftige sein will \ woraus
Hm. Stahl nur der Schlufs zu ziehen übrig bleibt, dafs
das Christenthum vernunftwidrig sei, und. darin eben
der grofse Vorzug desselben bestehe. Hören wir ihn
selber über seine Furcht, bei/der Aufstellung seiner
christliehen Bechts- und Staatslehre dem Yernünftrecht
zu begegnen, sieh aussprechen. Er fängt damit an,
■u sagen, dafs er, „mit einem völligen Ueberdrufs an
aller philosophischen Forschung erfiillt," ^eh „aue-
Schliefslich auf das Studium des positiven Bechts*' zu-
rückgezogen habe (Bd. I, Vorrede, S. V). Dies ist
gerade keine günstige Stin^mung, um eine „Philosophie
des Bechts", wenn gleich nur- nach „geschichtlicher
Ansicht'', zu verfassen. Denn auch Bio Geschichte
mufs vernünftig sein und mit philosophischem Auge
betrachtet werden. Sodann lesen wir ein merkwührdi-
ges Stück Argumentation gegen die Existete eines
Veraunftrechts: „Man pflegt die Bechtsnormen^ welche
wirklich bestehen und gelten, durch die Bezeichnung
des positiven Bechts, denjenigen entgegenzusetzen
welche naclr einer bessern Erkenntnifs bestehen und
gelten sollten, die man dann als vernünftiges Becht
bezeichnet./ Nun ist aber das gerade das Wesen des
Bechtsj wirklich zu bestehen in äufserer Verkörpe-
rung. Es kann daher kein anderes Becht gebäi, als
%
- 1
183
StaM^ Philoiopkie de$ ReeAft. 2ter Bd. ^e Abth.
18i
ein positiv^ bestehendes*' (Bd. 11^ Abti^. 1, S.143—
144). .Freilieb, so/ lange der TernüDftige Inhalt des
Reohts Dioht positives Gesetz geworden, ist er keine
bindende Rechtsnorm fär den Richter. Vor den Ge»
richten der südlichen Staaten yop Nordamerica ist also
noch jetzt,, "wie sonst vor dem römischen Prätor, die
Sklaverei kein Unrecht. Dennoch ist das Recht auf
Freiheit der Person ein unveräufserlicheS' und auf rei-
ner Vernunft gegründetes ; was selbst positive Gesetz-
gebungen anerkennen, indem z. B. das Betreten des
englischen Bodens genügt, um einem in aller Form
Rechtens gekauften Sklaven die Freiheit zu verschaf-
fen: welcher Bestimmung auch das Pteufsische Land-
Recht beitritt (Tb. II, Tit. V, f 200). Ein solches
Vernnoftrecht will Hr. ^ Stahl nicht anerkennen. Des-
halb verfuhr er auch ganz consequent, wenn er an
der vorhin angezogenen Stelle der Vorrede des ersten
Bandes bencbtet, er habe das „Naturrecht" aufgege-
ben, und seine „akademische Laufbahn mit Vorlesun-
gen'über — PhiloMophie des pontweti Hechts'** be-
gonnen. Was ist dies nun aber für ein W^ecHselbalg
und Zwittergeschöpf 1 Heifst das Philosophische am
positiven Recht wohl irgend etwas Anderes, als das
Vernünftige dessiilben} Bei Hrn. Stahl sieht es aber
so aus, als ob das Vernünftige aufhörte vernünftig zu
sein, so wie es positives Recht, d. h. wirklich würde,
wie jene Bestimmung des Preufsischen Land -Rechts
über Sklaverei. Des Hrn. Vfs. Devise ist also: W^s
wirklich ist, ist unvernünftig; und das scheint Ref. ein
sehr .„negatives System" zu sein.
Aus diesem Gesichtspunkte, unterwirft Hr. Stahl
nun im ersten Bande alles bisherige Naturrecht einer
ausführlichen Kritik; wobei der Refrain immer ist,
dafsi es an dem Mangel laborirt, das Recht aus der
„sinnlich-vernünftigen^ also denkenden Natur des Men-
schen'' ableiten zu wollen (Bd. I, S« 75). In der
That ist die Vernunft der Grund der Freiheit, diese
die Basis der Persönlichkeit, die Person aber das Prin-
€ip ^es Rechts. Fichte soll das Naturrecht, nach
Hrn. Stahl, auf den hödisten Gipfel gebracht, damit
abe auch beschlossen und aufgehoben haben, indem
nach demselben nur der persönliche Mensch berech-
tigt sei, und Fichte somit die völlig gesetzlose Will-
kür zum Principe mache (Bd. I, S. 165 — 166, 172).
Wäre dies auob der Fall, so sollte man stuvorderst
denken, die Willkürs- Theorie des Hrn. Verfs. oiüase
ganz damit einverstanden sein. Hernach, welche
Beschränktheit ist ^, Person in dem Sinne der wilt
kürlichen Triebe und Neigungen des Einzelnen, und
nicht vielmehr als den unwankenden BegriQP des Vei^
.nunft Wesens aufgefafst zu haben* Doch auch diesen
Begriffe der menschlichen Persönlichkeit spricht Herr
Stahl die Fähigkeit ab, ' das Recht zu' begründen (B4
I. S. 205). Was will nun Hr. Stohl an die Stelle der
menschlichen Persönlichkeit gesetzt wissen f Nichts
Geringeres, als die göttliche Persönlichkeit (Bd. I, S.
208). Hier bringt er auch sein Motto an: „Gott ist's^
der Alles den Menschen bereitet" (Bd. II» Abth, I9 S^
18). Auch dagegen ist nichts einzuwenden, dafs die
Rechtsverhältnisse aus Gottes Willen fliefsen. Abec
dieser Satz scheint Hrn. Stahl vollkommen ausreidioidi
seine ganze christliche Rechts- und Staatslehre da^
auf zu bauen ; und das ist's, weshalb wir ihn tadda
müssen. Goft ist freilich die Ursache von Allem« Ihu>
um aber pafst diese Antwort aus dem Piudar ebes
für Alles, und ist mithin ganz unbestimmt;. Die Auf-
gabe der Rechtsphilesophie ist, den Willen Gottei
speculativ zu bestimmen und bis dahin zu entwickeln,
wo er Rechtsverhältnifs wird. Von einer solchen De-
duction hat Hr. Stahl keine entfernte AHnung^ * Boa«
dem geht, ohne Vermittelung, vom Princip zu deoi
was er dadurch begründen will^ über. Hätte er diese
Deduction vornehmen können, so würde sich dabei
von selber herausgestellt haben, dafs'die wahre ebrist-
liehe Rechts- und Staatslehre zugleich die dem Ve^.
nunftrecht entsprechende ist.
Von Schelling und Hegel rühmt Hr.. Stahl^ sie
hätten den Uebergang vom Naturreoht zu seinem Stand»
punkt gemacht, und zwar durch ihren „Begriff- des
objectiven Willens, der sittlichen Organismen** (Bd. I,
S. 241). Dies ist allerdings nichts Anderes, als der^
Jn den pienschlichen Verhältnissen verwirklichte W'ilte
Gottes ; und so nimmt Hr. Stahl an der neuestea Plu-
losophie das Streben wahr, eine christliche za sein
(Bd. I, S. 353). .
(Die Fortsetzung folgt.)
^24.
J ah r buch er
für
wissenschaftliche Kritik.
August 1839.
MHe Philofophie de» Rechts nach geschichtlicher
Ansicht ron Friedrich Julius Stahl.'
(Fortsetzung.)
Doch Herr Stahl, und aoch hier ivird Schel*
ling gewifs nicht auf seine Seite treten, kann,
venndge seines gänzlichen Mangels an speculativem
Sitin, den Willim Gottes nnr als einen durchaus äu«
fserlichen auffassen: „Denn es ist nun eine Ursache
tiufser dem Mensehen und seinem Denken als Grund
des Ethos und der Rechte anerkannt.'' Das an und
liir' sich Gute und Rechte sind Yielmebr nicht dem
.inenschliohen Geist Ton Aufseo gegebene Mächte, son«
dem solche, die, als sein eigenes PathoA, von Innen
beraus s^in Thun und Treiben bestimmen; sie sind
der in ihli herabgestiegene und dort lebendig' wirkende
Wille Gottes. Diese Immanenz des Göttlichen im
Rechte zu .fassen, ist eben die Schwierigkeit, an der
die Rechtsphilosophie des Hm. Sitahl gescheitert ist
Obgleich Recht und Sitte höher sind, als der einzelne
Mensch, so sind sie doch nichts Aeufserliches für ihn,
da er aa seiner Vernunft eine höhere göttliche und zu*
gleich inwohnende Quelle derselben besitzt. Der
Wille Gottes, insofern er in Form des an sioh Gerech-
ten und Guten erscheint, hat also im Menschen an
der Vernunft das Organ spiner Offenbarung. Da Hr.
Stahl aber — ein würdiger Schüler Friedrichs von
Schlegel — die Vernunft ganz jenseit des göttlichen
Willens setzt, so ist auch hier r im Menschen nichts
Göttliches, das ihn bestimmen könne; sondern es
kommt an ihn nur ein von Äufsen gegebenes, histo-
fisoh beglaubigtes Gebot,, dem er, auch in Bezug auf
seine RechtsTerbältnisse^ sich, mit Gefangengebung sei^
ner Vernunft, zu unterwerfen habe«
Jenes Lob der neuesten Philosophie ainiimt Herf
Stahl dann, wenigstens so weit es Hegel betrifft, spä«
ter wieder znrüok, indem er sagt,, dafs Hegel gänzlich
J0jirb. f. vüiemeK KriHk. J. 1839. 11. Bd.
in den Rationalismus zurückgefallen sei und ihn voll-
endet habe- (Bd. I, S. 242, 292). Dagegen soll Sa^
vigny nicht wenig zur Begr^lndung dieser christliehen
Rechts- und Staatslehre beigetragen haben: „So sieht
man auch diese wissenschaftliche Richtung" (die hi-
storische Schule) „auf den Grund relfgiös gläubiger
Ansichten gebaut. Es ist ein tiefer Zug der Frömmig-
keit, der durch ihre bedeutendsten Leistungen, hm mei-
sten die Savigny's, unausgesprocAen hindurchgeht"
(Bd. II, Abthl 1, S. 12--. 13). Was die* historischen
Untersuchungen über römische Rechtsalterthümw, Pan-
dekten-Recht u. s. w. aber für Züge christlichen Sin-
nes unausgesprochen offenbaren, ist nicht recht abzu-
sehen. Es zieht sich überhaupt durch die zwei' ersten
Bände eine absichtliche Schmeichelei und ein scbma-
rotzerisches Annähern an den Urheber der historischen
Schule hindurch; da dasselbe indessen seinen Zweck
nicht erreicht zu haben scheint^ so äufsert sich nun-
mehr der Törliegende Band nur sehr lau und im Voi^
beigehen über Savigny. Wie dem aber auch sei, da
Hr« Stahl selbst das Christliche an Hegel und Sa-
yigny als Stufen zu seiner Ansicht ansieht, so ist doch
näher zu untersuchen, wie Hegel und Savigny sioh zu ,
-^ Hrn. Stahl Tcrhalten, und ob er wirklich die reif-
ste Frucht ihrer Bestrebungen gepflückt hat Zu dem
Ende müssen wir vor allen Dingen den Leser mit dem
Rechtssystem des Hrn. Stahl bekannt machem
Die wesentliche Manier y die bei dieser neuen
Rechts- und Staatslehre in Anwendung gebracht wird,
ist nun nicht f twa, das christliche Dogma denkend zu
erfassen, und dann die innigste Uebereinstimumng der
rechtlichen und politischen Institutionen mit dieser er-
kannten Wahrheit aufzuzeigen. Bewahre d«r Himmel I
Da würde ja die Vernunft und das leidige Denken mit
ins Spiel kommen, und dem Hm» Stahl sein Christen-,
thnm verderben* Denn aussöhnen will — oder kann
er nun einmal dasselbe nicht mit der Vernunft und ib-
24
187
SlaAl^ Philosophie des Reckt». 2ter Bd. 2ie Ahth.
rer Philosophie. In Ermangelong des Denkeqs nimmt
der Hk*. Vf. xu dem alten probaten Remedium der ^chel-
liogdchen^ Schule seine Zuflucht; er setzt die Jfn-
seAauung.HMk die Stelle des Denkeos. Statt nämlich
.den Begriff eines Verhältnisses sn denken,, wird es
hlos mit einem andern verglichen. Unter vielen Ver-
hältnissen wird eins^ gleichviel welches^ zu Grunde
gelegt, um alle übrigen an diesem Schema zu messen ;
die Erkenntnifs geht nur bis zur Auffindung gewisser
ftufserlicher Aehnlichkeiten, die ihnen gen^einsam sind.
Diese Construction, wie Schelling in seiner ursprüng-
lichen Philosophie es nannte, mit Geist betrieben, ent-
behrt nicht einer glänzenden und blendenden Origina-
lität. Hr. Stahl darf abe^ nicht vergesseui dafs die
Anschauungsweise ScbeHings doch immer noch intel*
lectueUe Anschauung oder anschauende Intelligenz
war. Das intelligente Element derselben ist nun aber
vollkommen bei Hrn. Stahl, wie schon tbeilweise bei
frühem Naihahmem Schellings, ausgeblieben. Herr
Stahl setzt ausdrücklich die Anschauung der Vernunft
entgegen, was ScheUing niemals that: „Es bewährt
sich hier, dafs überall, wo nur ein Funke des Lebens
und der That i&t, die Vemunftformen nicht mehr zur
Erkenntnifs hinreichen, sondern ein totales, nicht ein-
fache Beziehungen . absonderndes Vermögen erfordert
wird, was wir eben Anschauung nennen'' (Bd. I, 8.
153)., Ohne die Vernunft ist aber auch die Anschau-
ung nicht das Totale, sondern die Totalität nur in
der Verknüpfung beider Thätigkeiten zu suchen. In
der Schule Schellings wurde solchergestalt von sei-
ner Methode- nichts Anderes übrig gelassen, als ein
-strohernes Sehematieiren^ über das unser- Hr. Verf.
nicht hinauskann, und welches sich auch nirgends cras«
aer, als in dieser christlichen Rechts- und Staatslehre
xeigt,' wie bald aus ihrem Inhalt erhellen wird. <
Was erstens die allgemeine Ableitung de» Recht»
betrifft, so tritt hier sogleich . das oben beschriebene
Vergleichen ein. Statt das Recht in sich selbst zu be-
trachten, und es als eine wahrhafte Verwirklichung
der göttlichen Idee zu fassen, wird es als ein blofser
Nothbehelf, als etwas, das besser nicht wäre^ zufalli-
ger Weise ist und auch nicht immer bleiben soll, an-
gesehen. Hr. Stahl hält sieb dabei an die Vorstel-
lung, dafs die menschlichen Verhältnisse auf Erden
das zeitliche Reich Gottes seien, und bezieht nun das-
selbe auf ein ewiges Reich im Himmels „Die Mensch-
heit ist geschaffen, damit sie ^as wahre, d. b. das
ge Reich Gottes sei. Allein ein ZuAtandj dem Rei
Gottes gerade entgegengesetzt, ist durch die That d
Menschen (den Sündenfall) bewirkt worden. Von
aus ^ soll nun die Menschheit zu dem Zustand^ ilmc
Bestimmung geführt werden. Diese Führung ist dena
das zeitliche Reich, die Geschichte. Wie nun der
zebe Mensch in seinem zeitlibhen Dasein eines Le^
bes bedarf, als Werkzeug des Geistes, so . auc^ bedarf
die Menschheit, als zeitliches Reich, eines Leibes als
Werkzeug für die Beherrschung und Führung« Di»«'
sen Leib bilden die dauernden sittlichen Verhältnisse»^
Als der Leib des zeitlichen Reiches Gottes haben sie'
eine Gliederung, welche sie unter einander nnd die
Menschen in ihnen bindet; — und die»e GUederumg
i»t da» Rec/U. Es ist wohl nicht ohne Wahrschem-
lichkeit, wenn man annimmt, dafs der Urgedanke des
Rechts ein ewiger ist. So wie der einzelne M ensdb.
mit seinem Leibe fortbestehen wird, so auch die mensck«
liehe Gemeinschaft, das Reich Gottes. Das faeifst: m^
wird nicht blos die innere Gemeinschaft in Gott^ 80ih|
dem auch ein organisches Sand unter den Mensciicn
besteben. Dagegen ist. das gewifs, sowohl die Artdetj
Bandes, wie es dem irdischen Dasein angehört, als diil
Zustände, welche seinen Inhalt bilden, sind nur zeit*
lieh'* (Bd. IL, Abtb. 1, S. 100^101, 106, 106, 218). Wir
erfahren hier nur, wie das Recht sich zu einem Anden
verhalten soll, nicht was es an and für sich selbst
sei. Allerdings sind Recht und Staat nicht' die höohsf en
Weisen des Daseins des Geistes, sie gehören noob
dem endlichen Geiste an; 'sie sind al|»o insofern nac
Stufen. und Durchgangspuncte zum absoluten Gei-
ste. Darum verlieren sie^ aber nicht ihre Nothwend%-
keit, noch werden sie von der höchsten Stufe blos ver*
scblungen; Es sind viele Wohnungen, sagte Christas,
im Hause meines Vaters. Da nun diese obenein noch
höchst schiefe Angabe des Verhältnisses des Rechts
für keine Definition desselben geltet^ kann, so scbeint
diese gegenwärtiger Rechtsphilosophie gänzlich ausge»
gangen zu sein, während doch selbst positive Geseti^*
gebungen, z. B. die Justinianische, sich' Mühe gebea^
dergleichen aufzustellen : Jus est ars aequi et boni
(1. 1. D. de just, et jure) ; Juris praecepta sunt baec,
honeste viyere, alterum non laedere, sunm ouique tri-
buere (§. 3. J. de just, et jure).
Es findet sich zwar auch bei &n. Stahl ein Ka*
189 SiaAl:, Fhilotophie d€$ Rechts. 2ter Bd. iu Abth. 190
pitel,^o er ausdrücklich yom ,, Begriff des Rechts'^ '^ns^ der sittlichen Organismeil gefafst habe; wonach
haodehi willf iodessea selbst hier kann er seine ar-
sprÜDgtiohe Yergleicbttogssocht nicht aufgeben , noch
SBQ einer immanenten Definition des Rechts gelangen,
indem es ihm nur als das Yerhältnifs eines Menschen
m einem andern erscheint : ,^Recht bezeichnet eine sitt^
UobOv Macht, die ein Mensch über andere bat Eine
solche sittliche Macht hat nnn ursprünglich allein Gott ;
dem Mensehen ist sie nur mitgetheilt, und sie ist ihqi*
mitgetheilt nm seiner jSottähnlichkeit willed, damit auch
er SO zu fordern begabt sei, auch von ihm eine solche
flittliobe. Wirkung ausgehe über die Gemüther Anderer''
(Bd. II.; Abth. 1, S. 128— 129). Es läfst sich auch
wohl Manclies gegen das Passende obiger römischen
Definitionen anfuhren;.aber die hier gegebene ist durchs
wol% Terfehlt. Auch wenn jeder andere Mensch ans
dem Spiele gelassen wird, hat eine einzelne Person
Hechte an eine Sache, z. B. durch Oocupation auf ei-
mer wüsten Insel.« Robinson Crusoe hatte Eigcnthum
ssn seiner Hütte, Kleidung, Beute, ohne die mindeste
anttiiche Macht über Andere auszuüben. Oder sollte
^rklich erst die Ankunft einer zweiten Person, eben
weil nnn die Möglichkeit einer Verletzung durch einen
Andern gegeben ist, dem einsamen Besitzer diese Rechte
also das Recht ein sittlicher Wille ist. So wenig, weifs
der Hr. Verf. aber heute, was er gestern lobte, dafs
er hinzusetzt: „Das Recht, ist nicht- Wille, sondern
Macht über Willen'' (Bd. H., Abth. 1, S. 132).
Hier wären wir endlich auf 6ine der Form nach
richtige Definition bei Hrn. Stähl gestofsen; aber si^
ist, dem Inhalt nach, auch verkehrt genug. Ist das
Recht eine Macht über den Willen, so haben wir Hob*
bes' Le?iath«n und la raüan du plus fort: nur dafs
bei Hobbes die stärkere Willkür eines Menschen über
die andern, bei Hm. Stahl die gröfsere Macht Gottes
der Grund der Rechte ist. Die Anwendung, die Hr.
Stahl Ton seinen philosophischen Principien aufs Recht
macht, liegt nun zu Tage. Nur hätte er gleich damit
anfangen sollen zu sagen, dafs, da Gottes Willkür
überhaupt der Grund von Allem ist, so auch vom
Rechte. Wie die Macht über den \Yillen diesen 'aber
jedesmal be^immen werde, mufs, wegen des Principe
der Willkür, wieder unbestimmt bleiben, da man ja
nach Hrn. Stahl die freien Thaten Gottes nidit vor-
her wissen kann. Am Liebsten wäre es daher Hm.
Stahl gewesen, wenn die Bibel alles Recht gleich selbst
bestimmt hätte. Da dies aber nicht geschehen, 6o vor*
verleihen J Freilich das volle Bewnfstsein des Eigen- \ weist er (ur das Uebrige auf die Wissenschaft: „Die
•thunis tritt erst^.ein, wenn ich das Dasein d^s Willens
aaiSh in einer andern Person anschaue, so dafs ich die
4
Sphä^ ihrer Freiheit so gut anzuerkennen habe, als
sie die meinige. Das weitere Bedürfnifs dieser An-
scbanung fuhrt zum Vertrag, als dem durch den Wil-
len einer andern Person vermittelten Eigcnthum. * Aber
sam unmittelbaren BegriiT des Eigentbums ist das Da-
Bein einier zweiten Person nicht nöthig. Anders stellt
flieh freiKch die. Sache, wenn es kein Vernunftrecht
^bt, sondern nur das Recht ist, was durch positive
Sestimmung der menschlichen Gesellschaft dazu erho-
ben wird. Hr« Stahl mufs aI,so einem solchen einsa-
men Menschen nach seiner Theorie schon deswegen
jedes Recht absprechen, weil auf der Insel keine Ge-
rlebte vorhanden sind, die etwas als ein bestehendes
Itecsbt in Schutz nehmen könnten. Aber nicht nur dem
Inhalt, audi der Form. nach ist jene Definition unhalt-
bar. Denn es steckt das Definitum in der Definition,
indem sittlich selbst eine Seite des Rechtsbegriffs ist,
wie Hr. Stahl ja auch schon zugestand, dafs Hegel
das Recht richtig als den Begriff de^ objectiven Wit
Philosbphie mufs die feste unbedingte göttliche Auto-
rität über sich anerkennen. Für Vieles gewährt aber
der Buchstabe des Evangeliums keine Entstcbeidung.
Wie soll sie nun gesucht werden, als durch die Wis*
senschafti Wissen selbst bleibt also noch' zu erringen^
da wir mehrerer und mehr entwickelter Erkenntnisse
bedürfen und sie Uns ervrerben sollen, als welche das
Evangelium mitthei}t" (Bd. I, S. 356, 358r-359). Es
ist aber schwer einzusehen, wie sich die Wissenschaft
bei Erforschung dieses durch vdas Evangelium noch
nicht bestimmten Rechts zu -benehmen' habe j da das
Recht nach. Hrn'. Stahl nicht blos „aus göttlicher
Anforderung, sondern auch aus menschlicher Willkür
hervorgeht'' (Bd. IL, Abt<;. I, S. 12»), Willkür aber
eben das Zufällige ist^ das sich jeder Berechnung ent«^
zieht. Hr» Stahl freilich hat, wie wir sehen werden^
an dem Schema ein unfehlbares Zaubermittel, seine
phantastischen Constructionen auszuführen. ' Wollen
wir übrigens wissen, woher Hr. Stahl diese so rechts-
widrige Definition des Rechts, bewufst oder bewufst-
los, überkommen hat^ so ist ihre erste Quelle keine
191
SiaAii Phih99pkie de$ A^ekts. 2Ur Bd. ^0 jUtk.
ISS
andere, als der auch tod Hrn. Stabl so versobrieeDe
tractatas peliticua d^ Spinoza. Es heifst ^ daselbst
(c I, §. 3.)s Hinc quod rerlim naturalinoi potenidOf
qua existunt et operantur, ipsissima Dei sit potentia^
facile intelligimus, quid Jtu natorae sit, Naui quoniara
Deus jus ad omnia habet, ei Jus Dei nihil aliud est
fuam ipsa Dei poteniia guatenus Äaec absolute li^
bera eonsideratuTj hino sequitur, unamquamque rem
naturalem • tonnen» /ifTM ex natura habere , fuautum
potentiae habet ad existendum et operandum* Aus sol-
<^hem ,,pantheistisQhen" Naturrecbtslehrer schöpft Hr.
Stabl also seine christlichen Definitionen I
Was bleibt nun Wahres an der Stahlscbeu Defi«
nition des Rechts • übrig ? Eine Macht ist das Recht
allerdings^ aber nicht über den freien Willen Anderer^
sondern iiber die eigenen sinnlichen Triebe und Nei«
gungen, um diese dem Yemünftigen Willen unterzuord«
nens und das ganze Rechtssystem ist eben nichts An*
deres, als die Herrschaft des yemiinftigen.Willens über
seine Sinnlichkeit Das Recht ist daher gerade WillCi
Dasein der Freiheit und Anerkennen dieser Freiheit
hidem es'doch zu paradox klingen wurde^ Gott Redte
im Yerhältnifs zu den Menschen zuzuschreiben« weil
er dann anch Pflichten gegen sie haben würde; denB»
sagt Hr. Stahl selber, ^^edem Recht mufs einePflicIit
entspredien." Das mufs aber doch ein höchst
barer Begriff sein, der erst dann zu seiner
kommt, wenn seine Ursprünglichkeit aufgehob,en, lUid
er in einer abgeleiteten Beziehung gefarst virdi
Vielleicht sah Hr. Stahl das Gefahrvolle emer äU*
gemeinen Definition des Rechts nach seinem Systeme
ein, während wir sie aus dem Systeme der Vemiinfl^
wo die Willkür unterdrückt ist, mit ToUer Evidems h^r»
leiten könnten. Vielleicht auch wollte Hr. Stahl seine
Definitionsgabe erst für die einzelnen Seiten des Rechts
glänzen lassen. Aber die Gefahr war hier fiir ihn nkAt
geringer; uj^d wir sehen ihn vollkommen derseObeo na»
terliegen/
Der Hr. Verf. theilt das Redit in Priuat-Reek
und öffentliches Rechte die er auf fiolgeiide Weise de-
ducirt: ,,In Beziehung auf den Menschen erftUan die
Rechtsverhältnisse eine zwiefache Bestimmung, n&4
der Andern selbst im Widerspruch mit unsem Trie- * scheiden , sich danach in zwei Rlassenl Die Bestian
ben, ^- nicht aber eine Unterwerfung des* freien Wil-
lens Anderer unter fremde Machtsprüche^ wie Hr. Stahl
es auffafst, wenn, er sagt : „Ein lebendiger Wille mufs
die Ursache des Ethos sein, aber nicht der der ein-
zelnen Menschen, sondern dessen, der alle andern Wil-
len bindet (Bd. I.,. S. 227). Durch das Recht, weil es
4ie innere Substanz des menschlichen Willens ist, wird
dieser vielmehr befreit, wie auch Goethe sagt, dafs
der Gehorsam gegen 4>® Gesetze die wahre Freiheit
sei« Hr. Stahl aber hafst das Gesetz nicht minder,
als die* Vernunft, weil in ihrer Nothwendigkoit die Will-
kür gebunden wird« Am meisten Mifstrauen müssen
uns aber die Grundsätze des Hm. StaU erwecken,
wenn wir femer entwickelt finden, dafs Gott, der doch
die ursprüngliche Macht über alle anderen Willen hat,
selbst k^üi Recht über dieselben haben, und das eigent-
liche Recht nur von der abgeleiteten Macht gelten soll:
9,Gott selbst aber schreiben wir deshalb keine Rechte
z^, weil diese nur die mttgetheilte Macht bezeichnen,
nicht die ursprüngliche'' (Bd. 11^ Abth. 1, S. 129). Zu
diesem Atisweg sieht sich der Hr. Verf. gezwungen,
mung der einen ist es, dafs der Mensch Gott ahnliek
sei, die der andern, dafs Gottes Reich und HeirlieUEeft
über die Menschen bestehe. Jedes Verhältnifs, in vpsI*
ohem der Mensch steht, weil er das Ebenbild Gottes
ist, ist ein Verhältnifs des Privatrechts ; in welofaen sr
aber stebi, weil er das Geschöpf Gottes, ihm sa die*
neu, von ihm erföUt zu sein bestimmt ist, ist eia .Ye^
hähnifs des öffentlichen Rechts. Das Urbild des F^'
vatrechts ist das Wesen, das des öffentlichen die Hor»j
Schaft Gottes" (Bd. U., Abth. I, S. 11»). Was ist dal
nun für ein spitzfindiger Unterschied von Ebenbüd mk
Geschöpf? Ist der Mensch aus irgend einem andenl
Grunde Ebenbild Gottes, als weil er das Meister8ttiGl(
der Schöpfung ist? Wird er nicht eben dadur<di
Ebenbild, dafs er „von ihm erfüllt'*, ist? Wie k
ako dies Erfülltsein des Menschen von Gott a
der Kreaturlicfakeit, nicht der Ebenbildlichkeit d
Menschen zukommen? Ist mit jenen Worten
ner nur irgendwie die Bestimmtheit der •recht
eben Verhältnisse angegeben, und kann nicht
Menschliche unter .diesen Gegensatz gebracht >werdefi
(Die ForuetaBUng folgt.)
/
J ahrbüch
e r
für
wissen seh aft liehe Kritik.
August 1S39.
UM? Phües^phie des Eechts nmch geschieküiehw
AtmcKt ron Friedrich JhUm S tnhl.
(Fortsetzung.) *
So bohl endlick diese unterschiede schon an und
f&r Moh sind) sa dieaea sie doch dem Hm« ^Vf. dazo,
noch eine Menge ganx absurder Conseqnenzen daraus
üu ziehen : »^Der Staat» die Kirche, die von einem per-
aonticben Gott gewollt siqd) sind zwar göttlich, aber
nicht seihst Gott; sie sind unmittelbar hoher, als der
Mensch* Insofern Er sie will, mufs dieser sich ihnen
iNiterordiieD« Aber sie sind nicht das zuletzt Gewollte,
da dM EbenbSd Gottes, der persönliche Mensch, ein
Höheres sein «ufs, als das ihm nicht Gleichende^ Un-
fen&vü^W CBd. L, S. 265—266). Wir übergehen den
WidersfMTUcfa, dafs einmal der Staat, als das von ei«
nem personlicheD Gott gewollte Göttlfcfae, höher ist,
fda der einzelne Mensch: .and dann doch der einzelne
Mensch, als das zuletzt von Gott Gewollte, wiederum
Iköher ist) ald der Staat, der, weil er ein Unpersönli-
^es aei) Gott nicht gleichen soll. 'Wir hätten also
ein Göttliches, das Gott nicht gleicht Genug, Hr.
^tahl tritt Plato^ Aristoteles und Hegeln gegenüber,
die dep Stai^ für höher und vollendeter, als das luili*
/vidwili halten» während ihm der einzelne Mensch der
letzte Zweck ist (Bd* L, S. 20, 26, 306). Er zieht
also andi das Privatrecht dem öffentlichea Rechte vor.
Bier^mikBsen wir ihm aber nun einwenden, dafs ihn
d4Mm die Beschukligiviig triflFt, die er selbst den bishe*
rigen Natarrechtslehrera maeht^ das einzelne vernünf-
lige Sionenweien dem ganzen Rechte zu Grunde zu
legen. Er vennoohte also nicht, jenen Fortschritt
Stellings und Hegels festzuhalten, welche das walu>
liafte Recht in dem objectiven Willen und dessen sitt*
Heben Oi^wisfaen finden wollten* Dergestalt läuft die
Stahlsche Reflexion von Einer Ansicht zu der andern
Jakrh.f. wi$ien$ck. Kriük. J. 1839. U. Bd.
hin und her, bekämpfend die, welche sie billigte, und in
, die Abwege fallend, ^e sie verdammte.
- Im Vorgefühl dieser Unbeständigkeit hat die^r Herr
Wert daher auch über das Resultat seiner Forschnii- ^
gen folgendes Geständnifs abgelegt ; „Nur das Wol> /
lern oder vielmehr nur das Sehnen und Hingebeo ist
des Menschen, nicht aber das VollbriBgen. So ist
auch diese gegenwärtige Schrift nur dem Wunsche
und der Gesinn^ung des Vfs. nach christlich ; ubcA der
wirklichen Linstung hingegen vieüctch^ nur thei-
sStischJ* (Allerdings!) ,^E]s ist nämlich darin von de«
Problemen, der Rechtsphilosophie gezeigt worden, dafs
sie ohne die Persönlichkeit Gottes sich nicht lösen
lassen. Um 'christlich zu sein, h'eAie sie aber auch
zeigen müssen, dafs dieselben ohne den Sündenfall^^
die Versöhnung, die Dreiein^keit und jene Ferjpgi»^^
in Judäa u. s. w. unerklärlich, durch diese aber er- '
klärt sind. Das ist aber theils gar nicht, theil» doch
nicht mit Evidenz geschehen" (Bd. I, S. 362). M|m
hätte gespannt darauf sein können, wie so die Leidens*
geschichte Christi, die sich in Judäa zugetragen^ zu^
Erklärung des Eigenthuins, des Vertrags tt. s. w.
nothvendig sei« höchstens eine bestimmte Art des
Eigeathums und des Vertrags -— die dem Christen-
thum gemäfse — könnte aus ihm erklärt werden» Daf
Aufweisen solcher Gemäfsheit und solchen Zusammei^
hange ist aber eine lange Untersuchung^ die nicht mit
einem Paar Schemata abzumachen ist« Ins Reson*
dem müfste man sich aber wundem, warum der Herr
Vf», dem doch jene heilige Geschichte nicbt unbekannt
gebliehen ist, dennoch in semem Buche diese Rechts-
Institute so schlecht erklärte, wogegen die römischen
Juristen vor und nach Augustus, obgleich die Passions-
geschichte damals entweder noch nicht geschehen oder
doch wenigstens noch nicht bekannt 'geworden war^
dieselben dennoch so meisterhaft erklärten.
25
195 v^ Stahly Phao4iophiexh$ Reekis. 2ter Bä. 2ts Jtitk. .196
Ferner ist es wohl nur Bescheidenheit von Seiten gegenseitige Anerkennung der Persfinlichkeit, Yemid*
des Hrn. Verfs.^ wenn er behauptet, das christliche gen und Familie. In ihnen 'susanmen offenbart aidi
Dogma der Dreieinigkeit sei in seineu Constructionen voUitäniKg die gottähnliche Natur des Mensch«^
zu wenig angewendet worden. Denn er unternimmt^ Denn die Persönlichkeit des Menschen ist das Abbild
. /
.M wirklich, das Privatrecht, nachdem er es dichoto-
misch aus der Persfiniichkeit Gottes abgeleitet hat,
auch . in einer Trichotomje mit der Dreieinigkeit in
Verbindung zu bringen. Es heifst zuerst: „Die erste
Gliederung der Rechtsverhältnisse ist die Freiheit und
das Vermögen, das Abbild der Freiheit Gottes und
seiner Macht über den Stoff, ihn zu beherrschen, in
ihm zu schaffen. Die zweite ist die Familie; sie ist
das A1)bild der schöpferischen Liebe Gottes, das In-
nigste Band der Personen, aus welchem ihr Ebenbild
gezeugt wird*' (Bd. II, Abth. I, S. 110). Zwei Eigen-
■Schäften des persönlidien Gottes, Macht und Liebe,
reichen also hin, um alle privatrechtlichen Verhältnisse
unter ein Schema zu zwängen. Doch wie ein unvor-
sichtiger Apotheker die Büchsen anders mischt und
die Etiketten verwechselt, so klebt Hr. Stahl auch das
Schema der Dreieinigkeit auf die sich nun* zu einer
Dreiheit ausspinnenden privatrechtlichen Verhältnisse.
Er sagt zwar selbst: ,>Die Lehre Gottes von der Drei-
einigkeit wäre eitel und thöricht^ wenn sie nichts An-
deres bedeuten sollte, als seine Persönlichkeit^ (Bd.
II, Abth.' 1, S. 32;. Und doch geht er ganz leicht-
Binnig von dem einen Dogma auf' das andere über.
Um nun die zweite Nebeneintheilung des Privatrochts
%vl verstehen, müssen wir erst das Schema d^r Drei-
einigkeit nach dem Hm. Vf., das auch schon ziemlich
dürftig geräth, angeben, bevor wir von da zum Schemen
dieses Schemens gelangen können: „Freiheit, Wesen
und Geist sind die drei Unterscheidungen, die in jeder Per-
sönlichkeit gemacht werden müssen« Gott der Vater
igt wir&lich der, der d^ schafft und unendlich wählte
Der Sohn Gottes ist wirklich das fVesen und das In-
nerste desselben,' die Liebe Gottes. Der heilige Geiit
ist wirklich das Bewufstsein und der beherrschende
Wille Gottes'' (Bd. II, Abth. I, S. 32). Man sieht
zwar nicht, worin sich der Vater und der Geist unter-
scheiden^ denn die Wahl setzt doch wohl Bewufstsein,
und das Schaffen beherrschenden Willen voraus. Wie
sich dies nun aber auch verbalte, aus solchen dürren
f
Abstraotionen sollen alle Rechtsverhältnisse deducirt
werden: „Das Privatrecht begreift di^ Verhältnisse,
der götf licbeip, das Vermögen des Menschen' eptspric|l
de^ Schöpfung, die Familie der ewigen Zeugung Got-
tes'' (Bd. II, Abth. 1, S. 224). EigenÜioh sind dock
nur wieder die zwei ersten Personen Gottes die Grund«
läge dieses Schema« Und die dritte göttliche Person
kommt erst im öffentlichen Recht an die Reihe: ,>Die
dritte Gliederung ist der Staat und die Kirche. Der
Staat ist für das zeitliche Reich der Geschichte das
Organ aller Führung und Entwickelung. Die Kirche
aber ist das Organ für das ewige Reich. Staat und
Kirche sind das Abbild des Geistes, welcher alles €S^
schaff ene. und ihm selbst Nachgebildete beherrscht ak
sein Reich" (Bd. II, Abth. 1, S. 111). Mit wekshea
ungeschickten Händen ist hier das grofse Mysterium
%des Chrlstenthums betastet. Solche spielenden Ver-
gleichungen wären gefährlich, wefin sie etwas AndereS|
als läppisch ^ären.
Die Eintheilung de$ PrivtiireekiM in Persoaeii»
recht, Vermögensrecht und Familienrecht ist übrigens
ganz neu, und Hr. Stahl thut sich gewifs auf diese
Originalität nicht wenig zu Cjute. Die Eintheilung bei
den klassischen Juristen, die auch dem Gajua (I, §»
8.)9 nnd den Institutionen Ji^stinians (4* 12. J. de jor«
natur.) zu Grunde liegt, ist noch die erträglichafe^
und das Mai^gelbafte derselben aus einem historisohcn
Grunde zu rechtfertigen. Das erste Glied -ist noch
dort das Personenrecht. Es fragt sich nämlieii si^
nächst, was ist das Subject der Rechte. In den
christlichen Staaten ist die Person lals Pensen, der
Mensch als Mensch frei, eben weil, wegen der Einheit
der göttlichen und menschlichen Natur, die einaelne
Person zu einer uuendlichen Geltung gekommen ist*
Verleiht nun bereits der allgemeine Charakter des
Menschen ihm Rechtsfähigkeit, so braucht man ans
der Lehre von der Persönlichkeit keinen besondeni
Abschnitt , zu machen, weil Alles mit zwei Worten
gesagt ist. In Rom war es jaber ein Zufall, ehs Jbe*
sonderes Glück, ein ttattM^ wenn die Person frei wer.
Das Personenrecht war also dort die Lebre von den
Bedingungen der Rechtsfähigkeit. Hier galten nun der
Sklav, die Frau in manu^ der ßUus /kmäia» n. s. f.
197
Simily FläosopUö dss Jteeits. 2ter Bd. Qte Bd,
198
nMit ab fiwte ReiDlitBflidi|]«etey sondern nur diejenigen,
weicke $m jm%s waren. - Die Lehre von der Familie«
ist dann als Eingang am Ofte; sie ist bei den lU-
mem eigentlich nur die erste^. natüriiohste Weiise des
Bigenthums,* wie denn auch die Sklaven yoraugsweise
JJBimUi^ genannt wurden. Darauf folgt nun iweiiens
das reelle Dasein der Person in einer änfserlichenSa-
ohe, die Verwirklichung derselben im Ventt(^gen, das
Ifermdgensrecht, welches Sachenrecht und Obligatio-
nenveeht in sich schlofs« Das Dritte ist nothwendig
die 'Wiederherstellung deii verletzten Rechts^ das Ac-
tipnenreoht, wozu die obligationes quae ex delicto na-
soiintur (Jnstiniani Inst« IV, tit. 1 sqq.) den Ueber-
g^ang bildeten•^ Die Liebe zu trichotomischen Einthei-'
loDgen, die schon Bugo an den römischen Juristen
rflhmte,. hatte sie wohl Termocbt, Sachenrecht und
ObKgationenrecht in Eins zusammenzuziehn, um nicht
lier CHieder zu bekommen. Spttter hatte nun das ger-
manische JRecht und die germanische Sitte gelehrt,
die Familie aus einem hdhem, als dem Mos juridischen
Gesichtspunkte zu betrachten, wie denn auch nament-
lich die Ehe nach kanonisdiem Recht zu einem reli-
gidsen Institute wurde. Es bleibt freilich immer eine
jaristiscbe Seite an der Familie übrig: nämlich übe'iv
all) wo sie sich aufldst durch Tod, Scheidung u. s.
w.^ da treten sogleich rein rechtliche Beziehungen wie-'
der ein ; die bestehende Familie gehört aber der Sitt-
lielikeit weit mehr, als dem strengen Rechte an«. Be-
itels unendliches Verdienst im Natnrreclit ist es also,
die Familie der Sittlichkeit eingereiht zu haben/ so
dufs fttrs Pijyatrecht die trichotomische Cintheilung in
Sathenrecht (Eigenthum), Obligationenrecht (Vertrag),
«ad Wiederherstellang des verletzten Rechts specula-
tiT begründet werden konnte.
' Für eine iiolirte Betrachtung des Privatrecbts ist
ea allerdings unumgänglich ndtfaig, auch die an der
Familie hervortretenden rein privatrechtlichen Verhält-
nisse in einen systematischen Zusammenhang mit den
übrigen JMaterien zu bringen. Und da ist es denn ganz'
coAsequent^ .wie Savigny in seinen Vertrügen über Pan-
dektenrecht, ' QanM in seinem „System des römischen
Civil -Rechts*' und viele neuere Juristen, nach Kants
Vorgang, thaten, die Familie als das dritte Glied zu
dm dinglichen und persönlichen Rechten (Eigenthum
und Vertrag) zu behaupten. In der That ist die Fa-
milie ein Verhältnils von Person zu Person, wie der
Veitrag, das aber zugleich nicht, wie dieser, eine ver-.
eiazelte Aeuiserung der Persönlichkeit ist, sondern ge«
wissermafsen auf dingliche Weise den ganzen Umfang
derselben betrifft, freilich nicht, wie Kaiit in seiner
Definition der Ehe will, um die Person wie eine Sachen
die ich in meinem Eigenthum habe, zu behandeln. Son»
dem indem jede Person den ganzen Umfang der an^
dorn Person besitzt, so empfängt jede sich ganz zu-
rück, wie sie siDh ganz der andern> hingegeben; tand
darin ist ihre beiderseitige Freiheit erhidten. Ein.
solches Verhältnifs ist nun eben kein blos rechtliches^
sondern schon ein sittliches, wie auch Savigny diesen
doppelten Charakter der Ehe sehr wohl anerkannt hat
(Beruf unserer Zeit, S. 46). Die jetzt reoipirte Ein«
theilung des Privatrechts im dogmatischen Vortrage
läfst sidi also volllcommen rechtfertigen, am so m^r,
da ja auch die Wiederherstellung des verletzten
Rechts sich im Procefs- und Criminal- Recht zn eige-
nen Discipliutti gestalten mnfste. tVas soll man aber
von dem Verfahren des Hrn. ätahl denken 1 Da es
unglücklicher Weise für seine Eintheilung bei uns
keine Sklaven mehr gibt, noch Weiber und Kinder,
die als solche tractirt werden, so wird der erste TheH-
. seines Privatrecbts, als „der' Schutz der P€r%^n*
liekkeie' (Bd. U, Abth. 1, S. 225—23»), zu etwas ganz
Leerem, da der Schutz der Vermögensrechte noch
nicht dahin gerechnet werden kann. Hr. Stahl hat daher
auch nur der Real- und Verbal - Injurien zu erwfihnen \
demi das sind Verletzungen der Rechte der Person als
solcher. Indem er aber auch vom Schutz der. Ocoo-
pation, von der bindende^ Kraft der Verträge und dem
Schutz der Ehe spricht, so zieht er damit das gaase
Privatrecht in diesen ersten Abschnitt herein.
Noch viel schlechter kommt das Vertni^enM'
Recht foH: „Der Mensch ist das Ebenbild Gottes,
nicht blos an Freiheit mid Persünlichkeit, sondern aucii
an Macht über den Stoff. Er ist als Herr in die Na-
tur gesetzt, sie soll ihm dienen zn seiner Befiriedi-
gung; — darauf beruht das Vermdgen'' (Bd. U, Abth.
1, S. 231). Welch' ein Nest von Irrthümem ist in
diesen wenigen Worten enthalten! Erstens ist Clott
dem Menschm hierin vielmehr sehr anlUinlich; denn
er bat durchaus keine Bedürfnisse, zu deren Befiriedi-
gung der Stoff der smnlichen Natur dienen könnte.
1«9
ShdU, FkOMopU» d«t lUeitt. 2ur Bd. 2te JtUh.
ZweiteBB behemchi €Mt dev Stdl «nf gams andere
"Weise, al» die eknelne Pereeoi Drüleas kaiui ich ja
«leiiie flbebe aoeb Diobt gehraoekeay ileadevli eie eer^
üireB] eie Iuhi »ir seiist ecfcadeay so dafe sie dw<^
aas flicht meine Tri^lw befriedigt^ ebne daf» icb das«>
am aafhdrte, ein Reebt aaf sie so hab«D. Endlieh Qfld
vomebsslieii ist das Dienea des Stoffs zor Befriedi*
gang der Bedti^nisse neck gar aiebt du^ was das ja«
ridisclM YerbäHniis begrüadety soadeni .obno das aiin«
deste Reefal aa eine Sacbe zu habea, kaan ick sie sa
Befri0d%«Bg meiner BedClrfaisse gebraueben. Hr. Stahl
dedncirt ako hier aar das Faetun des' recbtlosen Be^
Btixksy nicht das Eigeifthum; deaa der Besitx ist ja
«ken die Macht und der W3ie' über eine Sache (ani»>
mo el eorper^ possidere), um, sie kneincn Trieben die«
aen tn lassen, «renn gleich, wegen der ^nnlrennkaren
C!o.exi8tenz des aE%enieinen Temünftigen Willens mit
dem etnaelnen onrechtlicken, in jedem noch so recbtlo*
aen Besitz, anch ein gewisses Reckt der Person liegt,
•der gelegt werden kann, welches dann gegen jeden,
der einen noch gcfringeni Aaspra^ daran bat, ge-
aebfitzt wo'dea mnfs»
H^. Stahl ist demgemäß der Begriff des Eigen^
iAttms^ dieser Grundbegriff der ganzen Jurispmdenz,
gänzlich abbänden gekommen $ — natürirofa, da der
Menseb seine Rechte nor als eine Ttei einem andern
tViUen abgeleitete Macht besitzen soll. th. Stahl schreibt
dabet auch meist Besitz, Vermitgen^ wo er Eigentbum
liitte setzen müssen ; inid dieser Aasdruck kommt nur
beilänfg einige Male tot; Statt Bigentkömet wird
aacb „Herr^' gesagt. Man begreift kaum, warum diese
Recbtsphitosopbie, in dieser Hinsieht gewifs einzig in
ihrer Art, den Begriff des Eigentbums so äagstlich
unterschlägt] es sri denn, dafs flr. Stahl firebtet,
dnreh diesen Begriff wieder in die verderbliche Theorie
Ten der Selbstständigkeit ded Verouaftwesens im Na-
tarreckt z« fallen, welche sick atterdiags am Eigen-
tham so gläasend bewUirt* Auch der weitern Momente
des Sacbenreehts, des ämnimium und ietjura in rv,
wird aa dieser SteHe nnt keiner Silbe erwähnt, ttber-
hadpt die gante Lehre ziemlick äbers Knie ' gebrochen.
Mar flniber kommt der Hr. Verf. etninal beiläufig auf
die Senwtut^ and das Pßmdreckt au sfrecben, und
meinte in Bezug auf das letztere> Br. Prof. Pmcit»
(Die FortietzQtig folgtj
habe „gawifii da» iänesste Wesen Am Pfaidreqhts
getroffen, wenn, er es als daa Recht aaf dsa Wi
eiaer Sacke bezeiekaeV' (Bd. IL, Abtb. I^ & 146^1
Will Hr. StaU rieUeicbt dämm diesen gaas L
nad einfachen Begriff umstoisen,' wml jener histi
Jurist ihn dem Hegelsehen Natanrsißbt eatlebat
Was ist ' aber das Pfandrecht, da es selbst das Va
äafeerangsreebt in sich scblisfst. Anderes, als dis fi
genthnm an demjenigen Theil des' Wertbs der la
pTändeten Sache, der der Grdfiie des Wertbs
Forderung entspricbtf leb sage „Eigaatfanm.^' Dm
nach den richtigen Bestimmungen uaaeres LfasdiedA
(Tb. L, Tit. 8, §. 1^-2.) bat Eigentbam eias viel 4
gemeinere Bedeutung , als im romisebea Rechte
so kann es auch Eigentbum an Porderaage% js
an dem Gebrauch — denn dieser ist nur die end»
nende Seite des Eigentbums ^ geben. Das Letitei
ist z. B. der ususjrudus. Von allen solchen Begriff
findet sich bei Hrn. Stahl keine Ahnung, wohl weil lid
keine Analogie derselben mit den gSttlicbea Diafa
auftreiben liefs. Auffalleader köante es scbeineD, ibb
ibm auch geistiges Eigenthuas, z. B. an scbriftsteUe»
sehen Werken, ToUkomnien unbekiamt ist, weil yß^
Entdeckung Ton Oben eingegeben'* (Bd. II., Abtb. \
S. 321) i wonach ein Schriftsteller um so mdir Eigea-
thum au seinem Prpducte haben müfsle, je, icblechk
es wäre. Hr. Stahl ist in dieser Lekre ein ToUksamM
Matertalist; denn dias JBigenlbum ist ihm ja nurdafirA
Be£riedignng der sinnlieben Triebe. In den Gecetetf
gegen den Nachdruck will er daher nicht Sohsts <■<>
Eigentbums, sondern nur „Sebuta gegee EatiielHMV
des Vortheils'' (Bd. IL, Abtb. 1, S. 822) srbUek«'
Warum sebützt der Staat denn aber diesen Vertkl
aus meiner Arbeit, den der Nachdraek mir entii^
will! I>ocb wehl aus kemem andern Grande, als vel
ick em Recht auf diesen YortkeU, d. b. £igeiitbifli
habe. Die einfadisten juristiscfien Grundbegriffe g^
diesem historischen Kopfe ab, der zuerst eine poiwvt
Philosophie bekemit, die aksh sckitcbtem nach ev^r
Jurisprudenz umsieht, and dann ein pesitiTes B^
hat, daa mit aller Gewalt, doch Tergebtich> eiMg^ if'^
losophiscbe Slitsbalken unter eich herza^iehea>
raubt ist.
; .JW 2«.
J a h r b tt c h e r
• für
wissenschaftliche
Kritik.
August 1839..
I Die PAättopkte det' Rechts nach gesehickth'cher
^ ■ Antickt von Friedrick Julius Stahl.
»
(Fortsetzung.)
> - ^ FeUl hiernaofa besoiiders dem Eigentbum jede vis*
BeaKhafUiche~^ BegrÜBdung) »o scheint; Hr. Stahl dage*
goa für das OiUgoiÜHUHrecht eifriger besorgt sa seia }
und es wird unglaoblioh fein deducirt, für den Aus-
i toick Vertrag aber auch meist 9, Verkehr"' als das Un»
joridisehere gebraucht: »Ela ist der Wille Gottes^ deif
in -den Dingen, die er anfser sich hervorgebracht hat
imd arhält, dem Menschen iUs Si^ff^ (die sinnliche
Materie ist xum Willen Gottes geworden I) >,ca seiner
Befriedigung dient." (Wir essen und trinken also den
.W^illen €pOttea, wenn wir von unserem 'Eigenthum' uns
eroäbreiK) ^^Desbalb mufs aber auch der Mensch, um
Gott zu gleichen, seinen Willen aum dienenden Stoff
&r andere HMicben können. Nur geschiebt dies von
ihm dnrcb vorübergehendes Tbun, — JU^Utungen^ weil
er mAXy wie Gott ein bleibendes Dasein anber sich
schaffen kann.*' (Bd. IL, Abtfa. 1, S. 233.) Warum
denn nichtl Ein Tisch , den mir der Tischler macht,
iat^ wie jedes Kunstwerk, ein bleibenderes Dasein, als
die Kirsche, die iidi Vom Baume pflücke ; und doch ist
leder nur eine Lebtong des Menschen, das Obst aber,
mn mit Uro. Stahl w sprechen, Gottes. Wie wenig
viaia ttjtte Religiosität ins Gemfith des Menschen ein-
{(edruugen seiu, vder die Religion durch Belebe spafs-
hafte Beziehungen hendiznwUrdigen wagt
Aber dieser Scherz wird auch bitterer sohaaderep-
regender Ernst, und das sehen wir an der schematl^
airfnA^a Betrachtnag des Famüün ^ Jieekts i ,^Damit
endlich der Mensch aoob durch Zeugung. (Sott fthnUch
sei, befindet er siqh in dqr Familie. Die g^ffenbarte
Lehre von der ewigeo Zernag des Sohnes- kann allein
das Wesea der Familie au£kliire«" (Bd. IL, Abtb. h
S. 24(^., Statt :dar9 das natürliche Y^rb<aiis der
Jahrb. f. vittenich. Kriäk. J. 1839. U. Bd«
menschlichen Zeugung symbohseh das erhabenste Dogma
der Religion erklären soll, daniiit dieses der gewöhnli-
chen Vorsteilungsweise der Menschen zugänglich wei^
de, behauptet hier Hr. Stahl -^ es grenst an Blasphe-
mie — in der natürlichen Zeugung eine Aehnliehkeit
Gottes und der Menschen zu finden. Ja, um die d^ei
Momente der Familie, Ehe, Täteriiclie Gewalt und Erb-
schaft, zu schematisiren, wird gesagt: „Die Zeugung
besteht in ihrem ^ Urbilde wesentlich aus zwei Verhält-
nissen. Das erste ist die Vollkommenheit und Selig-
keit Gottes, welche der Zeugung vorausgebt und das
Motiv derselben ist; das andere ist das Verbältnira
Gottes, nun des Faiersy au dem Gezeugten. Damit
verbindet sieb ein drittes: die Mittheilung seines Rei-
ches an den Sglta. Dies sind die Urverhältnisse, ihnen
entsprechen die drei Graadverhältaisse der Familie:
Ehe, Verbältnirs der Eltern uud Kinder, Erbsehaft''
(Bd. IL, Abtb. 1, 8. 241). Das Dienstbetenverhältnirs
und die Vormundschaft kann Hr. Stahl schlechterdings
nicht in die Zeugung des Sohnes hineinpassen. Er
entschlifefst sich daher, ' sie der „irdischen Nothdurft"
gänzlich in die Schuhe zu schieben (Bd. 11^ Abtb. 1,
S. 242-^243), die auch schon Schuld an der Modifica-
tion der drei ersten Verhältnisse sei, z. B. der @he:
,^Die Vollkommenheit Gottes ist in dem nachgebilde-
ten. Verhältnisse der Ehe nach dem Charakter des
Mensehen an zwei Geschlechter vertheilt, welche sich
dfirch sie dann zu dem leinen vollen Menschen ergän-
zen'' (Bd. IL, Abtb. 1, S. 241—242). -Hr. StaU hat
hierbei wohl an den Arislopbanisobeä Mjthus Im Pla-
tonischen Symposium oder an Schillers ,,Geheimdifs
der Remiaiscenz" gedacht. Aber Referent scheut sich
fast hinzuschreiben^ wie Hr. Stahl dies weiter aus-'
Spinat) so gotteslästerlich klingt es: „Indem der
Meosch das Ebenbild Gottes ist, das tolle Bild des
Menaeben aber nur in beiden Geschlechtern zusamaaen
besteht, sc inufs in Gett das Urbild, nach welchem dei^
26
V
203 . Stahle PMlotophü de9 JRecJU$. 2fer Bd. 2ie Aith.
Meosoh geschaffen ist, das beider Geschtecbter in ih- die Theilung der ' Geschlechter
rer Einheit sein. Gott unterscheidet und erkennt, von
Ewigkeit sich aelbst' als den Allmächtigen, Herrlichen,
Mixest ätischen, Gerechten, a/# welcher er da» Urbild
dee Mmnnee ist: und als den Sanften, und demäthigen
Herzens voll hinopfernder Liebe, wie wir es im Sohne
gesehen haben, als welcher er das Urbild des Wei-
bes ist'' (Bd. n„ Ahth. 1, S. 243^244). Der Sohn
Gottes ist also gewissermafsen auch das Weib jn Gott!
Nor bei einig<^ der als Ketzer vemrtheilten Gnostiker
kommt eine ähnlicho , Theilung de^ Geschlechter in
Gott vor. Bei Hrn. Stahl lesen wir aber noch Aerge-
res: „Aus' der Ehe ,ist erst das Urbild wieder zu er-
kennen, welchem aUes Geschleobtsverhältnifs nachge-
bildet ist, wie es in Gott selbst eichßndet. Denn in
Gott ist kein Begehren und keine bedürflige Sehn-
204
- horabsetzte., Dodi
solches kindische^ Geschwätz verdient keine 'Widerle-
gung. Und was gewinnt Hr. Stahl durch die vermeiiit-
liobe Höhe seines Standpunkts und die hochtrabende
Anknüpfung aller rechtlichen VerkältnUse an gdttlicke
Vorbilder 1 Eine Definition der Ehe, die, ohne dafa er
es auch nur im Mindesten vermuthete, die Kantische aa
Schändlichkeit noch um Vieles ;übertrifft : „Die Ehe ist
in unserm Zustande auf den physischen Trieb gegrin-
det, der durch Wollust den. Geist bewältigt, nad hat
sich dadurch gerade im Momente ihrer höchat^i Er-
ftilliMig vom Urbild entfernt, indem das Motiv der 2iew^
gungy welches bei Gott nur die Liebe zum Sohne isf
(nach Hrn. Stahls Dogmatik war dies ja aber auch die
Liebe zum Weibe), „beim Menschen, wenigstens will-
rend derselben, in der Selbstbefriedigung der Geeohlech-
ducht, sondern du ewige Befriedigung'' (Bd. IL, Ahth. ' ter liegt** (Bd. H., Ahth. 1, S. 246). Hr. Stahl ver-
1, S. 244—245). So wird es dem Hrn. Verf. nun auch
klar, wie die Ehe ein Sinnbild der „sehnenden inbrün-
stigen Liebe'* ' Christi und seiner Gemeinde ist } und der
Urheber dieser Rechtsphilosophie würde also auch das
hohe Lied Salomonis orthodox erklären können. Auch
,^er Erzählung des alten Testaments, dafs die Frau
aus der Rippe des Mannes genommen wurde, entspricht
diese Darstellung des Urbildes der Ehe. Ja, es scheint
sogar nach jener Erzählung, dafs der Mensch, anföng-
lich audi hierin Gott ähnlich, als ein in sich vollkom-
menes Wesen geschaffen worden, und erst nachher
die Sonderung in zwei Geschlechter mit ihih vorgegan-
gen sei" (Bd. IL, Abth. 1, S. 245—246), Freilich,
wenn Gott die unendliche schaffende Wahl hatte, so
konnte er den Menschen, nach Hm. SUhls göttlichem
Urbilde, zuerst als Hermaphroditen geschaffen haben,
um dann, bei nachmaliger Reflexion, als er sich eines
Bessern besonnen, das Weib aus der Rippe heraus sn
schneiden. Wie konnte dies aber das Bessere sein,
da der Mensch durch das erste Verhältnifs dem Stahl-
sehen Gotte weit ähnlicher warf Auch hat Gott ja den
Menschen n'aeh Hrn. Stahl vollkommen gut geschaffen
(Bd. n., Abth. 1, S. 61), so dafs die UnvoUkomikien-
heit erst später durch des Menschen eigene Sünde
hereingekommen sei. Wie Hr. Stahl die Sache aber
hier darstellt, hat Gott selbst hinterdrein diese Unvoll-
kommenheit begründe^ indem er später den Menschen,
noch vor dessen Fall, vom Urbild der ursprünglichen
Sehdpfong in ein .viel creatüflkAeres Verhältnifs —
gleiche hiermit die Worte der klassis^Shen Juristen, die
doch noch nicht, wie er, von dem Lichte der ohristli-
eben Wahrheit erleuchtet waren ; und er wird gestefaäi
müssen, dafs sie eine viel christlichere Definition, ab
die seinige, aufgestellt haben :^ Nuptiae sunt viri et
mulieris eonjunctio^ indimduam vitae don)suetudinem
continensy et eonsortium omnis vitae\ divini et *^
mani juris eomniuhicatio (§. 1. J. de patr. potesti
/. 1. JD. de ntu nupt,).
Was haben nun die historUehen Juristen mk ei-
ner so unchristlichen Recbtslebre zu söhaffenf Wie
kann Hr. Stahl es wagen, sich an sie heranzudrängen f
Zwar lehrt er: „Alle Rechtsinstitute sind allein aas
ihrem geschichtlichen Ursprung zu erklären** (Bd. IL,
Abth. 1, S. 171). Die Ausfuhrung kehrt sich aber an
diesen Satz durchaus nicht. Denn statt auf die Rechts-
geschichte zurückzugehen, heftet der Hr. Verf. Alles
nur dem christliohen Dogma auf. Jener Satz ist übri-
gens dem Savigny'schen Werke über den „Beruf nnse*
rer Zeit'* entnommen, welches nicht uneben das Natur»
recht der historischen Schule genannt worden ist« Ge»
faen wir auf diese Quelle zurüek, so treffen wir daiselbst
folgende Worte an: „Jeden gegdbenen Stoff durch
historische Ergrüudung zu upterwerfen und bis n sm*
ner Wurzel zu verfolgen, ist der Charakter der histo*
rischen Methode** ($. 117, 113, 140). Als diese War-
fteln betrachtet Savigny nun „rtfmisdies Recht, gei^
manisches Recht, und neuere Modificatiokien beider
Rechte** (S. 118). Es ist ganz richtig^ dafs erst in
■ A
205
StM^ PAilö0opA$e de9 MeehU. 2ier Bd. 2ie Abth.
206
Rom das fteoht als atreDget^ eigentliches Recht, als
Privätreoht in seiner wekhiaiwrisoheo Bedeatang anftrat«
Fürä Priratrecht k^innte also ein Zurückgeben nur bis
auf rdmische Grundlagen vielleio&t binl&nglich sehet*
nen. Bis zur Wura^l ist es aber immer nicht Nim
sprach TAibaut (CiyHistische Abhandlungen, S. 433)
seine beröhmten Worte, die auch Savignj- (S. 165) ci-
tlrt': „Zehn geistvoile Vorlesnngen über die Rechtsver-
fassung der Perser und Chinesen würden in unsern
' Studierenden mehr wahren joristischen Sinn wecken,
als hundert über die jämaierlichen Pfuschereien, denen
die Intestat-Erbfolge von Augnstu^ bis Jostinian unter-
lag/* Diese vollwichtigen Worte waren es, welche
Gans den Anstofs dasu gaben, noch tiefer an die Wur-
sel des Rechts zu dringen, als die historische Schule
gefhan hatte« Gans ist selbst ein historischer Jurist
im vollsten Sinne des Worts ', er ist, 'wie mehrere der
neuesten Philosophie Zugewandte, in den Hörsälen der
hbtoriscben Schule gebildet worden, "und hat der bisto-
visdien Ansicht im Rechte einen weitem Gesichtskreis
verschafft» 'In einem gr^fseren Werke hat Referent
bermts über dieses Yerbältnifs der neuern Philosophie
xnr historischen Jurisprudenz eioigb Worte gesagt (6e-
sditcbte der letzten Systeme, Bd. IL, S. 666—668);
auch über Hm. Stahl ist daselbst im Vorbeigehen Man-
ches bemerkt worden (S* 407 Aum., 409, 415 — 416).
Ueber den ersten Punkt liefse sich hier noch Folgbn-
des hinzufügen. Fuhren wir jedes Recbtsinstitut durch
den ganzen Verlauf der Geschichte hindurch^ von sei-
nen ersten Anfängen bei dem ersten historisdien Volke
bis zu seiner Ausbildung in unsem Zeiten, so haben
wir allerdings- die Verounflb dieses Verhältnisses. Die
totale Empirie ist selbst die Speculation, aber auch nur
durch diese verständliohf Die in der Geschichte ausein-
andergelegten einseitigen Bestimmungen jedes Verhält-.,
Bisses können nur von der Speculation, mit Abstreifung
dieser Einseitigkeiten, zu Einem harmonischen Ganzen
zasammeng^fafst werden, um so mit dem Resultate der
speculativen Gedankenentwickelnng übereinzustimmen»
Der historische Weg und der specnlative gehen also
von entgegengesetzten Enden aus, um sich in Einem
Mittelpunkt zu begegnen. Die historische Juristen-
sohule ha( den Begriff der Jurisprudenz erfafst, indem
sie die Genesis , des Rechts in den Fintben der Welt-
geschichte sudite« Jurisprudenz und Geschichte bilden
fortan nur Eine Wissenschaft» Die Geschichto ist der
Geist eines Volkes,' wie ersieh in seinem Rechte, Staat
und den weitem Momenten des Volkslebens entwickeltf
Hegel setzt, ganz dem entsprechend, die Philosophie
der Weltgeschichte als den Gipfel und die Vollendung
des Re'cbtssystems. Die von Gans im AUgemeinen
begonnene Versöhnung des positiven Rechts mit der
Philosophie mufs von seinen Nachfolgern^ bis ins Ein^
zeine aller Rechtsinstitute geleitet werden.
Woriu divergiren nun also noch die neueste Phi-
hsaphie und die historische Jurisprudenz von einan-
der? Die Philosophie hat längst die Geschichte, wenn
auch nur in ihrer Totalität, gewissermafsen als die
Probe des speculativen Resultates angesehen.' Das
mit änfserer Nothwendigkeit auf historischem Wege
entstandene Recht ist uns zugleich das dttrch innere
Vemunftentwickelong gegebene, Beides ist die Mani-
festation der göttlichen Wahrheit ; und, in diesem Sinne
allein könnte das Recht als dem Willen Gottes ent-
flossen angenommen werden. Wie Gans die philoso-
phische .Natur des Erbrechts aus dem geschichtlichte
Erbrecht von China bis auf tinsere Zeiten constmiren
wollte, so suchte Referent, seiuem Beispiele folgend,
die Moral und im Criminalrecht die Lehre von dem
dolue und der culpa aus der totalen Geschichte die-
ser Verhälthisse speculativ zu erbauen. Von Seiten
der historischen Juristen bedarf es nur eines Aufiaeh-
mens oder wenigstens eines Geltenlassens der philoso-
phischen Bestrebungen, auf dafs, mit Hintansetzung
jeder Persönlichkeit, die feindliche Stellung, die durch-
aus keine nothwendige ist, aufhöre« Das Aposteriorische
der Geschichte ist ihnen das allein Vernünftige, Noth-
wendige;. und wir nehmen eine aprioristische Nothwen-
digkeit der wirklichen Geschichte an. Liefse sich nicht
von hier aus eine Vereinigung bewerkstelligen f Wenn
wir dann bei Savigoy Idäen, „Wir sehen noch täglich
Leute, die ihre juristischen Begriffe und Meinungen
Mos deshalb für rein vemttnflig halten, weil sie deren
Abstammung nicht kennra" (Vom Beruf unserer Zeit,
S« 115): so wäre dagegen zu erinnern, dafs das Be-
wnfotsein über die geschichtliche Abstammung des
Rechts gar nicht seiner Ableitung aus der Vernunft
widerspricht. Denn das Vernnnftrecht ist der letzte
Gipfel und die höchste Ausgeburt des historischen Rechts,
das eben, als« die Genesis des Vemonftrechts , nicht
selber ganz vemunftlos sein kaiin, sondern, wie die
Philosophie der Geschichte nachweisen mufs, an sich
207 ^ StM, Phih$opki§ de$ Reehts, "Her Bd: "Ite Mth*
«elbst ein stetes Vernänftiger^verdeu darstellt: so dafs dang sufHeÜen sein verde«! Diese ist es ettes^ weldbe
bei emeff bobea Gntwiokelnng des Menscbeogesehleohts, sie perborreschren, und ««s Fnreht vor derselbea lio>
wie vir sie doch unserer Zeit nicht werden absprechen ber gar keine Gesetzbücher haben wollen, weil dabei,
können, das Veranoftrecbt, wenn auch noch nicht voll- ' wie Savigny sieb in den Institntionen (1820 — ^1831} wa-
stäodig realisirt, ' doch dem scharfem Blicke des For* drückte, ,)die individuelle Vernunft das alleik Scha£>
schera aus den kräuselnden Well^i der Geschichte
schon entgegenwinkt. Nur darf, was die Verirrung
der geschichtlieben Ansi&t wäre, das Vergangene, als
ejn GesebicbtUcbess nicht fttr das Höchste gesobätzt,
noch die Gegenwart nach dem Muster der Vergaagen-
bttt umgemodelt werden. Beide Wege, der histori«'
sehe sowohl als der pbikisopbische, sind biemaob gleich
nothw^dig: der eine ist so fördwnd für d^i andern,
als dieaef für jenen \ und sie werden der Wissenschaft
«m desto erspriefslicber sein, je mehr sie sieb in jedem
Individuum vereinen, um von ihm verbunden geband-
babt zu werden.
Auch in gegenwärtigem Werke des Hrn. Stahl
konnte Mancher nun geneigt sein, eine Versöhnung
und Ausgleichung der Historie und Philosophie xu er-
blicken. Der Hr. Vf. selbst wenigstens wiU durchaus
für den Reditspbilosophen der historischen Schule gel-
ten. Aber welcher Art ist diese Ausgleichung I Die
barocken Einf&Ile des Hrn. Stahl haben weder mit der
einen noch mit der andern Richtung der Wissenschaft
das Geringste gemein, wiewohl er manches Einzelne
auch wieder von Hegel entnimmt, und die Polemik der
zwei ersten Bände gegen ihn, umgekehrt als bei Sar
vignj^ in der zweiten Abtheilung des zweiten Bandes
durch eimges Lob dämpfen will (S. 152 Anm., 319 Anm.,
365 Aum.). Statt, wie. die historischen Juristen, fardie
Auffindung des wahren Rechts, bis zum römischen
Recht zurücksi^ehen, wendet Hr. Stahl sich nicht ein*
mal an das geschichtliche Recht der christlichen Vöt
ker, das kanonische und germanische, — wohl auch an
ein ^Geschichtliches, nämlich die Begd^iAeiten und
Vorfälle in Galiläa und Jodäa. Aber die Kette der
Tradition, die diese Facta mit den juridischen Verhält-
nissen vermitteln soll, zerreifst er, da doch die bisto*
rischen Juristen auf eine continuirlicbe organische Ent-
Wickelung des Rechts aus seiner Wurzel bähen. Die
Willkür des Scbematisirens ist die witzelnde Stange,
an der er hüpfend aber den Graben springt, der das
D<»gma vom j[ttristiscben Institute trennt. Ob die bisto«
rischen Jwnsten mit so einer willkürlichen Recbtsbil-
fende ist, so dars der Emzelne allein das Recht bat
au bestimmen, was Recht sein soll«*' Gerade das Ptw»
cip der historischen Schule ist, „dafs man dem R«ebts»
zustand ein eigeues inneres Leben zuschreibt, ata eiae
innere aus der ganzen Geaehiidite bervargegaagene
Not b wendigkeit. Dann kann von einer Willkür Bieht
mehr die Rede sein," Referent bat hierbei die ungo^
druckte Fassung des Gedankens vergezogen, 'weil sie
ihm bestimipter schien, als die im „Beruf unserer Zeit?*
(S. 8 flg.) bereits abgedruckte. Wie verträgt sieh aber
mit diesen Sätzen Hm. Stahls Behauptung, dafs AHes
auch hätte anders sein kdnnenl Er sagt: „Reditc,
die durch Geschichte entstanden sind und sie voraus^
setzen, sind nicht die logisch notfawendigen'* (Bd. L,
S. 106). Gerade das sacht aber die historische Schals
au beweisen. Bei Savignj heifst es: „Die erste lEal^
stehung rechtlicher Ueberzeugungen liegt über alle Ge>
scbjcbte hinaus; ihre Entwidcelung und Verandemag
wird durch innere Nothwendigkeit bestimnrt." Jene
Wurzel, die über alle Gesebichte binausliegt, ist eben
die von der Philosophie erkannte absolute, g«ittlicbs
Vernunft, aus welcher mit eben der immanenteu Noth-
wendigkeit das Veraunftrecbt iiefst, mit welcher es
als das letzte Resultat ans der gaazen Geschiohts
hervorgehen wird. Vor jenem speculatirea ReauHat
hat die historische Schule sich also nicht zu scheuen,
da es seinerseits die Bestätigaag und die Probe der
ricbtig angewendeten historischen Methode ist. Wftb«
rend Hr. Stahl femer den Einsehen, wie wir Bähen,
als den letzten Zweck setzt, sagt Savign^ ansdruek-
licb,. dafs „die Nation eia organisches Wesen hd*
berer Art ist, als der Einzefaie;" was Hr. Stahl ge*
rade auch an Hegel, und andern ächten Pbiloao^iea
tadelte. Und so lie&e sich noch Manches anf&hVea^
wo Hr. Stabl nur s^nen Worten, nicht der Sache
nach, mit der bistorisohea Schule ftbereinsüinait
Alle Anknüpfungspunkte dieser „gescbiehtlMhen" PU-
loBophie aa die historische Jurispradeaa, die Hr.
Stabl berversuobt, sind rein künstlich, und in den
meisten Fällen behauptet e« das gerade GegentheiL
(Die Fortsetzsng; fi>l§t)
^27.
J a h r b tt c her
für
\^ i 8 8 e n 8 c h a f 1 1 i c h e Kritik.
August 1839.
w^''^'wiff^r*'^^ffffwrHff)™^fwnf^'ff'*n8yis
EBifr
Hie Phitoghpkie des RechU nach geschichtlicher
Ansicht von Friedrich Julius Stahl.
(Fortoetzung.)
SicberlMi viirde die historisohe JuristMitebale
-also mit einem solehen Genosaeo keinen Ruhm ond
Ehre eint^rndten, und darf es somit nicht dulden, dafs
räae ee Terkemnene altereechwache Philosophie sidh
an sie heransauge, um Saft und Kraft zur l^ristung
ihrer armseligen Existenz daraus zu ziehen, und ncrok
ein Paar Jahre eines gewissen Ansehns in Deutschland
zu geniefeeb. Wie die Sachen jetzt stehen, ist sie um
allen Credit gekommen :n und wßt sich mit ihr einläfst^
mufs fürchten, gleiches Sehicksal mit ihr eq haben.
Es bleibt uns nur noch die „christliche Staats»
ieArs^* des Hrn. Verfs. übrig, wie sie am Ende der
ersten Abtheihing und in der zweiten Abtheiinng des
zweiten Bandes seines Werks, aber auch noch nicht
Tollständig, dargestellt ist. Am Ende der ersten Ab-
theiluDg handelt er von der „Oemeinde, Stand und Ge-
aasstfnscbaft, als dem Elemente des Staats'* (6d. IL,
, Abth. 1, S. 29i). Die zweite Abtbeilimg bildet das
j^entUche Staatsrecht. In einer dritten Abtheiinng
aoll dann die Lehre vom Völkerrecht und der Kirche
folgep (Bd* n^ Abth. 3, Vorwort Ili)» Unserem Ver-
atorbenen Mäarbeiter -Gans war die Beurtheilung die-
aer aweiten Abtheiluog übertragen gewesen ; er wollte
die dritte Abtheiinng abwarten, und ist nun selbst dar-
fiher heimgegangen. Eine ernste Pflicht gebot Refe-
.veuten , sieh deo^ ihm gewordenen Auftrage nicht zu
antziehen, and aa die Stelle des aasgaschiedenen
Kämpfers dem Feinde mathig entgegeazntre'ten.
Zuniishst sucht nunmehr der Hr. Verf. das Herbe
seiner Ansspriohe gegen den V^rnnnftzusamyaenbang
der Well zu mildem, und bei fsrfdauemder Polemik
gegen „ein Reieh der Vernunft nnd Freiheit'' naeh der
rationalistiseheo ReehlspfailosopUe spricht er denn doch
Jahrb. /. wiigeniph. Kritik. J. 1839. II. Bd.
mssfi
S^SBZSB
beiläaCg iü einer Anmerkung von „dem hohem Roch
der wahren Veraunftherrscfaaft , d. h. der Herrschaft
Gottes und der wahren Fr^heit'* (Bd. H., AMh. 2^ S.
13) ; *-* als ob die Vernunft so doppdtes ' Mafs nnd
Gewicht hätte, und es eine gSttliobe und daneben noch
eine menschliche,' eine wahre und eine falsche Vernunft
gäbe. Vemttnfiig ist im Mensohen Etwas nur, inso-
fern es göttlich ist, das UnTeraönftige aber das Un-
gttttlicfae;; mnd Hm. Stahls Spielereien sind wahrlich
nicht OflPenbarupgeu der rechten gottliehen Vernunft,
aoch eine Auffassung der Dinge ihr gemifs.
Auch die Marotte des Schematisirens hat Hr. Stahl
noch nicht ablegen können ; sie tritt nur behutsamer,
und damit um destso gefährlicher auf. Die ^^drei
Mächte im Staate* entwickelt er folgendermafsen:
„Die« Regierang ist das eigentliche Herrscheraait; sie ;^'-
steht über Allen. Die Volksvertretung ist ein Mittler-
«
amt, ein Amt des Schutzes und der Fürsprache iiir
das Volk bei der Regierang. Die öffentliche Gesin-
nung ist eine Macht der Einigung und geistigen Ge-
meinschaft'' (Bd. U., Abth. 2, S. 66). Dies ist offen-
bar nach dem Schema yon Vater, Sohn und Geist ge-
macht. Hr. Stahl dachte wohl an die Worte Jacob
Böhmes: „Ueberall ist der Qüellbrunn der heiligen
Dreifaltigkeit.'' Wir Tsrmissen aber in diesen neuern
Nachahmungen deu" Geist des alten Theosopheo. Be-
seaders bei dem Mittleramt ^et ständischen Vertre-
tang ist dieser Parallelismus unabweisbar. Hr. Stahl
macht auch deshalb dazu die Bemerkungs „Möge man
diesen Ausdruck hier doch ja nieht ftir identisch bat
ten mit der Bedeutung' desselben in der christliobea
Dogmatik." (Auch in den frühern Bänden war das
Verhlkltails des Menschjidien zum Göttlichen imnter
nur eia analoges.) „/M wrl&ügne niekt -den Typus
gittlieher Bexiehungen iu aliem ii^isehen\ aber
gege<1^ jedes unmittelbare Anknüpfen und Ableiten, ge-
gen jede weitere P^aliele mufs ich mich auf das Fei*
27
211
Stuhly Philosophie deM lUekti. 2ter Bd. 2ie Abth.'
213
erlicbste verwahren" (Bd. IL, Abth. 2, 8. 70). Zieht
, der Hr. Vorf. aber nicht die Parallele und macht er
nicht die Beziehung* im AugenbUcke, wo er sich dage-
gen verwahren will? Hätte er Mos ven einer vermit-
telnden Thätigkeit der Stände gesprochen, so hätte
dies Niemanden befremden dürfen. Auch die Momente
der Regiemngsgewalt werden nach den Eigenschaften
Gottes sohematisirt ; wobei der Polizei die Weisheit
cngefheilt wird (Bd. IL, Abth. 2, S. 337), dem Militär
die Macht (Bd. II., Abth. 2, S. 317), der Rechtspflege
natürlich die Gerechtigkeit (Bd. IL, Abth. 2, S. 363) u.
8. £• Gerade diese beiden Punkte,, das Läugnen des
Vernunftzusammenhangs und das Schematisireu nach
der göttlichen Dreieinigkeit^ waren am meisten ange-
griffen worden, oder boten sieh -doch am ehesten dem
•Belächeln dar. Schon früher war die Furcht davor
leise in Hrn. Stahl aufgedämmert:* „Es ist dies ein
Buch von allerdings unerhörtem Inhalt fiir unser Zeit-
alter* Manche werden es als eine sonderbare Erschei-
nung betrachten'' (Bd. IL, Abth. 1, Vorrede, S. XI).
Hr. Stahl mufs also jetzt einige Conpessionen machen,
um unter ihrem Schutze seine unwissenschaftlichen
Sprünge fortsietzen zu können.
Fragen wir nun, was diejenige Verfassung sei, wel-
che der Hr. Verf. als das Ideal der Vollkommenheit
setzt, so miifsten wir dieselbe so bezeichnen : Eine auf
mittelaltriger Grundlage ruhende, von orientalischer
Theokratie durchfloohtene repräsentative Monarchie.
Dafs Hr. Stahl sich theohrtxtischen Grundisätzen
hinneige, .will er zwar nicht Wort haben. Die Behaup-
tung MohUy dafs alle Staaten, deren Zweck Vorberei-
tung für jenes Leben sei, tbeokratisch regiert werden
(Bd. IL, Abth. 2^ S. 296), bestreitet er durch das Bei-
spiel des jüdischen Volks, das „bekanntlich nicht auf
jenes Leben gerichtet war, und doch eine theokrati-
ache Verfassung hatte.'' Dies beweist aber nur, dafs
audi Völker, die nicht an die Unsterblichkeit der Seele
glaubten, wie die Juden vor der Babylonischen Gefan-
'-genschaft, doch tbeokratisch regiert sein können. Am
Unwiderleglicbsten würde sich der theokratische Stand-
punkt des Hrn. Verfs. herausstellen, wenn wir schon
die dritte Abtheilong des zweiten Bandes hätten, wo
er von der Kirche handein will. So müssen wir uns
auf einzelne Aeufserungen und beiläufige Notizen be-
iBchrAnken, die aber klar genug sprechen: 5,Es wird
nicht mehr die Alles umfassende. Alles durqhdringende
Nähe der Kirche empfunden ; sie ist auf den Terapd
beschränkt. Nur Eine Idee herrscht in den Institutio-
nen dea Zeitalters, die der. persönlichen Freiheit and
Menschenwürde; darum ist es profan. Der Priester
gilt allein als Organ des heiligen Geistes $ der geui^
liehe Stand ist der höchste* Jedes Amt im Staate
eines christlichen Volks ist ein Bischofsamt; und jedes
soll, wo es sich trifft, zur Förderung der Kirche {ge-
braucht werden.** (Auch die Anmafsungen der katlio-
lischen Geistlichkeit ge^en den' protestantischen Laa-
desfürstenl) „Die Vollkommenheit der Verfassuag; be-
steht darin, dafs Gottes Ordnung gesichert, der Staat
Gottes Einwirkung zugänglich sei" (als ob irgend eise
Verfassung ISottes Einwirkung sich mehr entziehen
könne, als die andere; es sei denn, dafs die Yenustf*
tigere die Gott zugänglichere genannt würde)* ^^Uies-
dnrch wird der Staat geeignet, Werkzeug Gottes st
sein. Die Gewalt ist nicht des Herrschenden, Sonden
des Höhern $ eine solche ist nur die Gottes über die
Menschen: kein Mensch ist höher, als der andere.
Was in jedem Momente geseheben soU^ dfs kana
nicht gewufst werden, wenn nicht dw. heilige Geist
Gottes es in jedem Momente eingibt, vfio Gott hei des
besondern Ereignissen sein besonderes Gebot an die
Könige und Propheten Israels und an sein Volk ge-
langen liefs. In diesem Sinne sagt Samuel za den
Juden: Ihr habt übel gewählt, dafs ihr einen König
wollt, — nämlich statt der unmittelbaren Fähroiig
durch Gott. Das Gesetz kann also in keiner . ViTeise
die Eingebung des Geistes Gottes, die Wahl und Auf-
forderung aus seinem freien Willen und AatbsoUnliB
ersetzen'' (Bd. U., Abth. 1, S. 192— 193, 196, dOS;
Bd. IL, Abth. 2, S. 287, fi6; Bd. 11^ Abfb.'l, S.274-,
Bd.U., Abth. 2, S. 247-248; Bd.U., Abth. 1, S. 78--
79, 220 Anm.). Der WUIe Gottes soll im Staate i«^
gieren. Das läfst sich hören. Aber nicht durch das
Organ der praktischen Vernunft des Miensdiea, —
nicht durchs Gesetz, das nur die ausgelegte Vernunft
des Volkes ist. Denn nach Hrn. Stahl ist die Ver-
nunft sogar dem christlichen Principe znwidea:^ Was
bleibt, also übrig, um den Willen Gottes zuverküadeo,
als ein Priesterstand, oder, wohin Hr. Stahl noch mehr
sich hingezogen fühlt, die wiilkürlicben Entschliisee der
Menschen, die dann für Eingebungen des göttlicben
.Geistes genommen werden. Auch einen guten Girund
gibt Hr. Stahl dafür an^ dafs das „Wohl nnd Wehe
913
SiiMy PAih49pkU des Bethts. 2ter Bd. 2ie Aiih.
214
'9mB^ Volkes in .die H&nde eines Menscbeo gelegt'' ver-
öde, DJknlioh den, dafs es ein Flach der Sünde mid de«
iseitliclien Däsetps sei, wlmaoh „die Menschlieit nicbt
in Gott ist, noob von ibm selbst beberrscht wird $ per-
.«Bnlicti herrscht Gott nur in den ewigen Verhältnissen''
(Bd. IL, Abtb. 2, S. 74, 2). Darum sagt er andere
wärt«: „Deshalb verhält sich auch die christliefae.Of-
fenbiining so gleicbgiltig gegen Recht und Staat; denn
wie bat es nnr mit dem Ewigen zu thun" (Bd. IL,
Abtii. I., S. 220). Wie kann sie dann aber noob alle
^iese irdischen Verhältnisse, die nnr Werke der Sünde
•md, bestimmen 1 Selbst die Censur über wissenscbaft<>
^cbe Werke will Hr. Stahl der Geistlichkeit überge-
Jben (Bd. II., Abth. 1, S. 284). VTas fehlte uns als*
4aiiw noch an einem römischen index Hbrorum pr^hi-.
4ßkarumf Nach Hm. Stahl ist überhaupt, wegen jäner
jtiindhafiigkeit der Menschen, der ganze Organismus
-de« Staats und der Gang der Weltgeschichte nur eine
*aiif Gegenseitigkeit nach bell^lancastriscber Methode
•gegründete göttliche Stratanstalt: „Gott gebraucht den
'Zorn der Völker als ein Mittel gegen das Unrecht der
•Könige, wie er die Tyrannei der Könige gegen das
Dnreeht der Völker gebraucht" (Bd. U., Abth. 2, S. 261).
Seine ganze Theodicee - läuft also auf den höchst tri-
vialen Satz hinaus: „Hieraus erklärt es sich auch, dafs
durch die Revolutionen Englands und Frankreichs Er-
folge für den öffentlichen Znstand bewirkt worden sind,
ilie recht und gut, daher gewifs in der Absicht Gottes
-sind, obwohl diese Revolutionen an sich durchaus un-
rechtmäfsig und sündlicb waren'' (Bd. IL, Abth. 2,
S. 26l-*262). Lassen wir diese Sätze auch gelten, so
müssen wir es doch rügen, dafs Hr. Stahl den morali-
schen Gesichtspunkt als den höchsten setzt, der* im
e'wigen Reiche Gottes allein zu seiner Vollendung
komme, während Recht und Staat nur irdische, unvoll-
kommene Mittel für diesen Endzweck des Einzelnen
seien (Bd. II., Abth: 1, S. I17i Abth. 2, S. 374).
VTas für eine Religionssecte soll nun aber als Staats-
rekgi&n die Grundlage dieses neuen Staates seini
Hr. Stahl bekennt sich zwar zum Protestantismus (Bd.
n., Abth. I^ Vorrede, S. ICV). Die religiöse Ansicht
aber, womit- er. seinen Staat beglücken will, ist ein sehr
zweideutiges, zwitterhaftes • Mittelding zwischen > Pro^
testantismus und Katbolicismus, mit einem gehörigen
Uebei^gewicht des letztern, wohin schon der grofse Einr
fittfs, den er der Priesterscbaft in dieser Theokratie
einräumte, ihn von selber fuhren mnfste« Gegen diese
geschlossene Kaste müssen wir Alle, bistorische Juri-
sten, Philosophen u. s; w.. Hm. Stahl hothwendig ala
Laien erscheinen , denen der Wille Gottes sich nicht
offenbart, sondern die, wegen ihrer 'IJnaiündigkeit, sich
den Aussprüchen der Kirche unterwerfen müssen. Sp
möchte er wohl die Zeiten der Scholastik, so gut es
geht, zurückftibren. Ja, die Scholastiker sind Hm.
Stahl noch viel zu rationalistisch.; denn „sie setzten
noch eifie üx aetema über Gott in seiner heiligen
Natur, die vor allein Entschlüsse in ihm sei," — ^wodurch
denn die abscheuliche Denknoth wendigkeit auch in das
Wesen Gottes eingedrungeu wäre (Bd. I., S. 71). Hr.
Stahl sagt nun zur nähern Bestimmung seiner Staats-
religion: „Die protestantische Kirche wird vielleicht
Manches auch vom Katbolicismus wieder aufnehmen
müssen" (Bd. I., S. 359). Was' dies sei, lehrt uns der
Verfolg det vorhin citirten Vorrede: „Es wird mir
nicht als eine Lauigkeit gegen, das Bekenntnifs meiner
Kirche ausgelegt Werden duirfen, wenn iclf mich zum
Theil von der in ihr üblich gewordenen Lebrart ent*
ferate, und ihr die altkatholiscben Begriffe von der
Autorität des kirchlichen Verständnisses der Scbrlft|
von der Ueberlieferang, Von der ununterbrochenen, seit ,
den Aposteln fortgeleiteten geistlichen Weihe, v^r
Allem von der sichtbaren als organische Anstalt wirk*
samen Kirche wieder zu gewinnen strebte^'* Da haben
wir die Bescherung ! Und wo er nun auch einzelne Be^
Stimmungen seines Staate aus dem cbristlipben Prin*
dp ableiten will, hält er sich an ganz äufserliche
Reflexionen: „Doch mufs auch freiwilliger Eintritt in
einen Staat, und freiwilliger Austritt aus demselbea
(Auswanderung) statthaft sein. Dies liegt nothwendig
in der christlichen ErkenntBifs, nach welcher die Men-
schen in emem hohem Verbände noch stehen, als dem
des iStaats" (Bd. IL, Abth. 2, S. 239). fm Procefs-
Recht wird das In^sitionsverfabren dem accnsatori-
schen vorgezogen, j,weil es ganz im Sinne des christ-
lichen Staates ist" (Bd. H., Abth. 2, S.39»). Hat Hr«
Stahl dabei etwa an die Inquisition der katholischen
Kirche gedacht! Eine der ersten Aufgaben der Staats-
kunst wäre nach Hm. Stahl auch die Purificatioa der
Beamten, besonders aber der Professoren der Philoso-
phie. Denn mit einem Stofsseufzer klagt er, „dafs
unter den christlichen Beamten selbst die Mehrzahl
jetzt nichts Anderes glaube, als was ein aufgeklärter
< I
215
Jade oder Mabataedftner glaubt'' (Bd« II., Abtb. 2, S^
287). Wer bei Hrn. Stahl 4lie8er Statistik io gewifa
gemaobtt Ana dem »^cbristUohen Pribcip der Polizei,'*
dem er eis gaozeq Kapitel widmet (Bd. IL, Abtb» 2^
Sp 349)9 soll indessen so viel flieftten: nicht jygegen^
w&rtig die gevröbnlicben rationalistischen Lehrer yom
Amte zu entfernen" (Bd. U., Abth. 2, S. 350). In ei-
nigen Jahren^ wenn die Philosophie etwa nicht mehr
ao m&ebtig wirken sollte, dann konnte es zeitgemäfser
sein, solche ,Jrrlebren niobt mehr zu gestatten" (Bd. II.,
Abth. 1, S. 285), Und das ist der einzige 'Unterschied
des Hrn. Stahl von dem Hrn. Leo, der, wie Domitian,
alle Philosophen gleich weggejagt wissen will, und mit
welchem Hr. Stahl auch sonst brüderlich harmonirt (z.
B. Bd. IL, Abth. 2^ S. 297).
Wir gehen zn den mittel^trigen Elementen über,
die Hr. Stahl in seine ideale Verfassung durchaas wie-
der aufnehmen will. So bricht er zuvöderst in eine
Bewunderung für den „ganzen Staatenbau des Mittel*
alters," für diesen *,praGht vollen Bau des weltliehen
und geistlichen Reiches" aus, und nennt ihn »^ein po-
sitiv' hohes Kunstwerk," eben „weil sioh allea dles^
auch anders denken läfst, als es hier bestand, dine
dafs deshalb der Begriff des Rechts aufhörte" (Bd.*!.,
& 195-196 \ Bd. IL, Abth. 2, S. 191;, ~ also das
leidige nur nicht nicht zu Denkende der Vernunft dabei
fortfallt. Dafs nämlich der Willkür und Particularität
4e8 Willens so grofser Spielraum im Mittelalter gelas^
aen wurde, gefiel unserem Hrn. Verf. besonders daran.
Was das Einzelne betrifft, so will Hr. Stahl unter
Anderem den Adel in seiner mittdaltrigen Macht wie-
derherstellen, — diese Macht der grofsen Vasallen,
welche durch die „Gröfse des Grundbesitzes viele von
sich Abhängige haben," damit auf diese Weise „eia
Stand stetiger Privatmacht erlialten" werde (Bd. II.,
Abtb. 1, S. 32S'~329). Hr. Stahl will zwar, dafs der
Adel nur „Vertreter der Landesinteressen" sei. Aber
wer steht uns dafür, dafs dieser Stand stetiger Privat-
jnacht, wenn man ibm das Ritterschwerdt wieder in die
Hand gegeben, nicht, wie die ganze Geschichte des
Mittelaitors gezeigt hat, noch lieber seine eigenen In-
teressen, als die des Landes verfolgen, nad sich damit
gegen die Krone in stete Opposition setzen werde?
Der Geschichte der letzten Jahrhunderte verdanken
Oitahl^ PhiUäephie des Aeekts. 2ier Bd. 2ie Aith.
2lf
wir das Erstarken der Staatsg0wall giegea diese Wül-
kiir der grofsen Vasallen $ die FVonde war, wie-ÜSf^g^
net sagt, der letzte Peldsn^ der Aristokratie gegoa
die Krone. In solche rechtlose Zostlinde und blutige
VaaalleBoFebden, aus denen wir glücklicher Weise her-
aus sind, will Hr» Stahl uns zarQckscblendeirn, weil sei-
ner beliebten Willkür dadurch Vorschub gesobftbe. Za
diesem Zwecke schlägt Hr. Stahl vor, die U'&Hgkek
des germanischen Rechts wiedereinzuführen, damit dar
Adel stets über ein wohldisdpiinirtes Corps von Mea^
neu zu gebieten habe : „Der Grundherr sehiitzt ued
färdert den Gmndholden durch seine, politische and
Vermögensmaoht, der Grundhold gewährt dem Grand-
herrn die rnhig gesicherte arbeitslose Existenz" (Bd«IL,
Abth. I, S« 330). Wenn selbst der König in ouseiB
Staaten Arbeit hat, und wahrlich niobt die kleinate^ ve-
rum soll der Adel müfsig gehen können f Versteht flr.
Stahl unter Arbeit aber nur Thätigkeit fiir die Be&ie
digung der sinnlichen Bedürfnisse, so sind auch alle
Beamten, Geistlichen, Gelehrten, Künstler u. a. w.,
derselben enthoben. „Besteht eine woh%eordiiete, be-
festigte Grundherrliebk^t, so ist die Madit des La»
des bei den Gründherrn, deren Fahne die GrundboMei^
dieser würdige Stand der Bauern^ folgen ^ wo oicfa^
80 gebt sie über an die Fabricanten und Kaufleute^
die ihre Tagelöhner bewaffnen, wie die letzte Iraiislk
sische Revolution das gezeigt hat" (Bd. IL, Abth. I,
S. 336). Es gibt wohl noch ein Drittes zwisohee die^
ser Alternative, dessen Möglicbkeit eben durch jenes
oben berührte Erstarken der Staatsgewalt herbeigefekt
ist, die zugleich das Gleichgewicht und die friedliche
Harmonie beider Stände zu bewerkstelligen im Stande
sein wird«
Hiermit ist denn nun aueb natürlich duie viroleols
Polemik gegen die neue Gestaltung der persönliehca
und Eigenthums- Verhältnisse des Bauernstände« ver-
bunden, wie sie in Frankreich zuerst durch die Stärme
der Revolution vollführt, nach beruhigter Gäbrung ab^
in Deutschland unter Preubens Vortritt ailmählig und
geräuschlos, gewährt warde. Wie die Englischen Hoch-
kirchen-Männer bei der Zebnten>Frage, sieht Br. StaU
aber in der Auflösung des Verhältnisses der Bttaen
zum Gutsherrn nur eine Ungerechtigkeit, eine Verlet-
zung des Eigenthuns (Bd. U., Abth. 1, S. 329 Amn.).
(Der Beschlafs folgt.)
J^ 28.
J ahrbiicher
f u r
iiv i 8 8 e n 8 c h a f 1 1 1 c h e Kritik.
August 1839.
«c
Die Phäosophie deg Rechts nach geschichtlicher
Ansicht von Friedrich' Julius Stahl.
(Schlaff.)
■
Er bricht sogar in die Jereiniade aas: ,,In unse-
rer Zeit ist es eine LieblingsineiDung, ja gewisserma-
feen raie politisch^ Wuth, dieses Band zu lösen. Man
blllt sieh dabei an den Klang des .W<Mrts! das Bigen-
tbum va befreien* Der. Landmann soll nicht genothigt
seiB, einen Tbeil seines Arbeitsertrags Andern abza-
geben'; (Bd. 11.^ Abth. 1, S. 331). Nun, und wäre dies
Abgeben -Müssen nicht eben die Ungerechtigkeit, über
die sich Hr. Stahl im entgegengesetzten Fall beklagt?
Uebrigens können wir ihm aus Preufsen die beruhi«
gende Nachricht mittbeilen, dafs jene^^politische Wuth/'
vie er es nennt, bei uns bereits ansgetobt hat , und
ohne Gefahr Toriibergegangen ist. Der edle Zweck
der Befreiung des Eigeothums ist hier ^um Aerger des
Hm. Stahl ziemlich aligemein erreicht .Dafür gibt
es aber auch bei uns nicht solche Obscuranten, wie
Hr. Stahl, welche 'die Zeiten des Mittelalters und der
,, Grundholden" zurückwünschen. Auch behauptet er,
dafs bei Stiftungen „die Einziehung für Staatszwecke
immer Unrecht'' sei (Bd. IL, Abth. 2, S.246). Ebenso
-«rill er die Zehiitett unangetastet wissen (Bd. II., Abth.
2, S. 332, Anm.).
Die Klage über diese neuen Einrichtungen beglei-
tet bei Hm. Stahl oft dn kindischer Mifsmuth über
das Bestehende und die geltenden Ansichten, die sei-
nen Terfinstemden Vorschlägen nicht entsprechen ; und
er glaubt Alles gethan zu haben,- wenn er sie fortwäh-
tend durch die Ansdrficke „herrschende Lehre", „Irr-
I lehre" u. s. f. mit dem- Siegel der Verwerfung gebrand-
l markt hat Namentlich ist er «auf Preufsen und das
I Preiifsiache Landrecht nicht gut zu sprechen, eben
weil jemir Staat den Fortschritten der Intelligenz und
Cif ilisation, huldigt. Wo er z. Bi Ton der Einrichtung
Jahrb. /. wiuenich. Kritik, J, 1830. II. ßd.
der Gemeinden und den neuem Genieindeordnungen
spricht (Bd. IT, Abth. 1, S. 306), ist dasr Lob, das er
ihnen im Allgemeinen zollt, ziemlich lau; und nicht im
Entferntesten erwähnt er d^r Preursischen Städteord-
nung, die doch eins der wichtigsten und TortrefFIich-
sten Gesetze über diesen Gegenstand und das Palla-
dium unserer Municipal-Freiheiten ist Ein ander Mal
trifft er das Preufsische Landrecht mit einem Seiten-
hiebe, indem er gegen das Bestreben der positiven Ge-
setzgebungen eifert, Definitionen und Begriffsbestim-
mungen aufzustellen; diese- recusirt er, zweifelsohne
weil dadurch die liebe Willkür, so weit ets geht, be^.
schränkt würde. Wo er nämlich eine gewisse Defi-
nition des geifaltsamen Diebstahls kritisirt (Bd. II,
Abth. 1, S. 215), läfst sich die ganz unverfängliche
des Preufsiscfaen Laudrecbts (Tb. U, Tit 20, §. 1163
flg.) nicht verkennen. Ja, er propfaezeiht dieser Ge-
setzgebung, dafs, wenn sie so „mit' ihren Begriffsbe-
stimmungen fortfahren" sollte, „sie zuletzt, wie die
Philosophie Hegels, bei der Definition des reinen lee-
ren Seins anlangen" werde. Solche Drohungen sind
possierlich genug« In der Hegclschen Philosophie ist
indessen unseres Wissens jene Definition nicht die letz-
te, sondern die erste. Zu solchen kindischen Kritiken
kann nur die Furcht verleiten, dafs zeitgemäfse Ge-
setzgebungen den unordentlichen, durcheinandergewmr*
feiten Wust und Kram mittelaltriger Rechtsbestimmun-
gen ersetzen, und somit die Willkür der Urtheilsfin-
dnng aufheben werden. Denn die Willkür und „das
eigene Ermessen" sind die Schlagworte, die Hr, Stahl
stets im Munde führt.
Was endlich die. sUfaisreeAtüchen Maximen die*
ses Historikers unter der Jesuitenkappe betrifft, so ist
sein Prittcip, nuter dem Scheine der Bestreitung y der
„herrschenden Lehren", es doch mit keiner der beiden
Partheien zu verderben, die iä Europa sich schroff
einander gegenttberatehen, ohne darum die vahre Mitte
28
9 1
.'
219
Stahly Philo ftophie det Reeht: 2ter Bd. 2ieA6th.
220
zu treffen, die nicht aus dorn Schematisirei, sondern
alleiu aus achter Speculation sich ergeben kann. Was
er den Absolutisten mit der rechten Hand reicht, das
niuvnt er ihnen mit der linken, um es den Liberalen
xumstecken. Daher das Schwankende und Wider-
sprechende in seinen Bestimmungen. Man könnte
seine Staatslehre, wie die Dialektik der Kantischen
Kritiken, unter das Schema Ton Thesis und Antithe-
Bis bringeB. Denn wenn er die aehaeidendsteii' G^ea-
Sätze, ganz bewnfstlos von einer Seite zur andern
übergf^hend, herausgekehrt bat, dann bricht er ab, um
sich in neue zu' stürzen. Wenige Beispiele werden
schon hinreichen, dies zu beweisen. Bd. II, Abtb. 2,
S. 91:
TketU. Antithetit,
„Der König ist über den Staat „Umgekehrt ist wieder der Staat
gesetzt, wie dite Haupt über über dem König, wie der ganze
den Leib " Leib und sein Gesetz über dem
Haupte ist."
Thßtii (S. 113). Autitkeiii (S. 115).
„Der König beruft die Perso- »Dies ist das Prin'cip der Un-
neo zu den Aemtern, und eat- entfembarkeit der Beamteu."
ferntsie nach seinem Ermessen."
Theiii (S. 171). Jntitheiii.
„Niemand zwar kann einen Be- n Allein die Stände können beim
amten wegen seiner Amtshand- Könige Anklage erheben gegen
lungen ror Gericht stellen, als den Beamten, damit er ihn
allein der König; sonst wäre er Tor Gericht stelle; und der
nicht mehr das Haupt der Re- König darf dieses nicht ver*
gierung/' weigern."
T/Um (S. 177). AntUhsiü.
„Das Verhältnis ron König und »Es sind zwei Mächte von ganz
Standschaft ist in keiner Weise verschiedener Art" (S. 178 wird
eine Theilung der Staatsge- »och sogar von „ständischer
^alt." Gewalt" gesprochen).
Die beiden letzten Gegensätze folgen unmittelbar auf
einander, und dennoch heben sie sich gerade absolut
auf. Hier ist nicht einmal Platz fiir die Entschuldi-
gung, dafs Hr. Stahl yergessen habe, was er auf einer
frühem Seite niederschrieb. Die Tinte der Thesen
war noch nicht getrocknet, als die Antithesen schon
aus der Feder flössen. In diesem Genre meist sehr
platter Lehren und Sätze treibt. die ganze politische
Weisheit des Hrn. Stahl im Strudel umher. Es ist
oft um nichts besser,, als Zeitutigs-Räsonnement, wie
er denn auch häufig, wohl um seiner Darstellung den
Reiz des Neuen und Pikanten zu Terleihen, auf die
Tagespolitik und Journalistik Rücksicht nimmt. Die
höchste Spitze des Unsinns bietet aber wohl der -Ge-
gensatz dar, dafs -Kdnig und Volk gegenseitig ihren
irrigen Meinungen nachgeben müssen (Bd.- II, Abth.2,
S. 234— 235), — als wenn es sich in derPolitikum nichts
Anderes drehte, als um das moralische Ertragen und
zu Gute Halten gegenseitiger Schwäishop, Welcber
von beiden Partheien will oder wird Hr. Stahl durch
dergleichen Redensarten gefallen 1 Ein Kapitel der
Stahlschen Staatslehre handelt auch von „Staatsstrei*
chen und Revolutionen*' (Bd. II, Abtb. 2, S. 282)^ als
ob damit nicht alles Staatsrecht au%ehobeii wftie;
und er geht in seinem Liberalismus doch so weit^ dea
aotiven Widerstand zwar fiir unerlaubt zu halten: „da-
gegen der passive Widerstand und die Verweigerung
des Gehorsams ist erlaubt und nach UmBttedea
Pflicht," — nämlich wenn „das Gebot der Obng;keil
gegen das Gebot Gottes ist,'* in Aikwendung des hh
blischen Satzes : „Du sollst Gott mehr geherehen, ab
den Menschen" (Bd. U, Abtb. 2, S. 264). Wekte
Willkür legt aber in Hrn. Stahls Staate den wiUkirii*
oben Willen seines Gottes anst
Zum Schlufs hat Ref. «noch einige Proben hintori»
scher Unrichtigkeiten und grober Unwissenheit sa lie*
fern, die sich dieser „Geschiektlicbi^'' su Schuldea ko»
men iälst Wer den Pindar liest •*- oder ciCirt, mfilale
doch wenigstens so viel Griechisch verstehen, um niebt
das Wort Kategorie drei Bände hindurch bestimdig
mit einem th zu schreiben. Auch die deutsche Gram*
matik kommt nicht unverletzt davon. Statt zu aagcn:
Es. kann nicht fehlen, kommt dftera vor: „Es kann
9itk nicht fehlen'* (z. B. Bd« U, Abth. 2, S. 177).
Spricht man so in Baiemt Ferner die tidatfioria des
Aristoteles nimmt Hr. Stahl (Bd. I, S. 25) im Sinne
der eudämonistischen Lehren des vorigen Jahrhm*
derts, während Aristoteles darunter das höchste Gnt
versieht, und dieses in der Ausübung -der Tugend fio«
det. Sodann citirt' er als Hegels Worte aua der
Rechtsphilosophie ^ 87: „Das Recht üt das Unrecdü^
der Betrugt' (Bd. I, S. 275), um zu^beweisen, dafa Ue*
gel Recht ufkd Unrecht nicht unteradieidet. Bei He-
gel heifst es aber: „Das Allgemeine von dem beson«
dem Willen zu einem nur Scheinenden «^ zunnolMt
iiH Vertrage zur nur äurserliohen Gemeinsamkeit dea
Willens — Iierabgesdfet, ist es der Betrug." Alee
wenn eine Glasperle für eine ächte Verkauft wird^ so
glaubt der Betrogene zwar im Vertn^ ^denselben
Werth zu erhalten, den er im Kaufpreise gibt; die
SütUi Fkäoköpliie de* Rseh*^ 2t^ M. Hie Bd. 222
des Willens i%t vorhanden, und Verfs. in dem Grade, dafa er moht einmal das Suvro«>
a.iif8«re
der Vertrag in ullen Formen. des 'Rechts abgeachlos*
aen. Aber dieses Recht, dieses AHg^emeine, ist yom
bea'oadem Willen <r- hier dem Betvü($er -^ zu einem
blofsen Schein herabgesetzt;, und dieser Schein des
Rechts,, die blofse Form Rechtens abgesehen von der
Substanz — nicht, wie Hr. Stahl will, das Recht, selbst
«— • iHy' nach Hegel, da^ Unrecht, der Betrog. Wie
-wurde es der historischen Jurißprudenss gefaUop, wenn
dieser Historiker ihr ihren ülpian und Papinian in
4UinJicher Weise interpretirte, wie er es hier mit/He«-
gel thut. Endlich kommt der Hr. Verf. auch auf die
Gescbworaen«- Gerichte zu sprechen (Bd. U, Abth. 2,
S. 420 flg.)* Hier verdankt er Vieles dem gehaltvol-
len Aufsätze yonOans: ,oDie Richter als Geschworne*'
in dessen „Beitragen zur Revision der Preursisoben
Gesetzgebung» (1830), Bd. I, Abth. I, S; 68— 96, der
der Ansicht beipflichtete, dafs das Institut dar Ge-
schwomen aus den Eideshelfern des Mittelalters her-
vorgegangen sei. Hr. Stahl entscheidet sich zuletzt
gegen di^ Einführung derselben in Deutschland, indem
er sagt: „So mögen sich nicht andere Völker, am we^
Digsten das deutsche, versucht fühlen, sie von jenem
mittdalttigeb Boden auf den ihrigen zu verpflauzen^
(Bd, U, Abth. 2, S. 430). Woher kommt Hrn. Stahl
luit einem Male der Abscheu vor dem Mittelalter?
Weil dies Institut der Geschwornen eben nicht meht
mittelaltrig ist, sondera ein aus der' Wurzel der Or-
dalien und Eideshelfer organisch hervorgeschossener
und mit der modernen Rechtspflege, besonders der der
Engländer, innig verwachsener * Zwei^ ist, — darum
will Hr. Stahl es nun nicht mehr. Wäre er ein ächter
historischer Jurist, so müfste er es mit ofifenen JLrmen
anoehmen, es sei denn, dafs er den ganzen Baum ab-
bauen und nur die WuraTel behalten wollte. Doch —
warum Ref. alles dieses anführt -^ Hr. Stahl, nach-
dem er das Geschwornengericht verworfen hat, und
bei tnangelndem Beweise, den es eben zu ersetzen be-
stimmt ist, uns doch nicht ger'ade das Gottesgericht
und die Tortur des Mittelalters anpreisen möchte, be-
gnügt sich, uns mit der >abtolutio ab instantia aus
dem Grunde zu trösten, weil „die menschliche Beur*
' theilung ihre Grenze hat, wo sie das non liquet aus-
sprechen mufs.'* Richtig ! Aber diese Grenze mnfs doch
so weit als möglich hinaiisgeriickt werden $ und hier
zeigt sich eben die juristische Unwissenheit des Hrn.
gat :des Geschwornengerichts kennt, welches das. Preur
fsische Landrecht apgenommen hat, da er es mit kei^
ner Silbe berührt. Referent meint die aufserordentli^
^che Strafe, wo die Richter iq der That als Geschworne
den Mangel des objectiven Beweises ersetzen, und aus
ihrem Gewissen heraus das Schuldig aussprechen. Der
Garantie der Gesellschaft ist damit genug.' gescheheD^
dafs der Schuldige nicht durchkomme. Doch^ auch das
Recht des Verbrechers ist anerkannt, und zwar in h6t
herer Weise, als durch die Geschwornen, indem bei
uns dann nie der Tod, sondern immer nur eine gerin-
gere Strafe eintritt. —
Der Hr. Verf. äufsert sich über seine Hoflbungen
für die Zukunft einmal folgendermafsen : „Kehrt der
Glaube wieder zurück, und werden in Folge davon die
festen unverrückbaren Grundlagen in jeder Wissen-
schaft gewonnen, aufweichen sodann aUe weitere Elnt-
wickelung vor sich zu gehen hat: dann ist ein neues
4^bweichen zu Irrlehren über jene Grundlagen nicht mehr
zu gestatten, in keinem Fache. Eis werden aber dann
auch nicht mehr, wie in der vergangfeueu Periode, die
besten Talente und würdigsten Männer — durch einen
wirklichen beruf für die Zukunft unbewurst getrieben. —
sich 4lem Irrthum zuwenden, sondern nur solche, wel-
che laus Schwäche des Verstandes oder Eitelkeit def
Willens ihm olTen stehen. Dafs eine solche Zeit he*
vorsteht, ist keine übertriebene Hoffnung^ da sich in
unserer Literatur bereits die ersten Anfänge derselben
kund geben'' (Bd. U., Abth. I, S. 285—286). Referent
glaubt durch die Darlegung des wissenschaftlichea
Werths der Stahlschen Rechtsphilosophie gezeigt zu
haben, dafs an depi Hrn. Verf. wenigstens diese Pro-
phezeiungen desselben noch nicht in Erfüllung gegan-
gen sind, und es sich also an ihm noch nicht bewährt
hat, wie das Talent den Abfall von der Philosophie
begehe. Hr. Stahl hat vielmehr seine Glaubensphilo-.
Sophie und darauf gegründete christliche Rechts- und
Staatslehre mit ebensowenig Talent als Wissenschaft-
liebem Gehalte vorgetragen. Mehr als einer solchen
Rechtsphilosophie, wenn sie Eingang finden könnte,
bedürfte es nicht, um das aus der neuern Philosophie
hervorgegangene, nunmehr auch unter den positiven Jur
risten wieder zu Ehren gekommene ächte Nfiturrecht
der Jugend zu verleiden und mit Stumpf und Stil aus-
zurotten. Doch die Entwickelnag der Wissenschaft
ChrütUehe Kunsi^mboUJk und Ikonographie.
Iftfftt ueh niclit «urüokdrängeii. Wir wäoschen also
Hrn. Stahl durch uoser strenges, aber wohlgemeintes
und ernstes Urtheil cur Einsicht darüber zu bringen,
dafs seine constitutionelle Mdnt;bsstadt einen ganz iso-
lirten Auswuchs deutscher Philosophie darbietet. Wäh-
rend'Or min dennoch, obgleich nur mit dem Munde Pro-
testant, seinen Zusamnienhang mit der protestantischen
Antarkie nordischer Wissenschaft festzustellen sucht:
so mufs er dadurch yieluieh^ in den grellsten Contrast
gegen dieselbe gcrathen, und somit eben Terlassen in
eeiner Blorse dastehen.
Michelet
224
XIL
ChrUtUehe Kunitsymiolik und Ikonographie. Ein
Verbuch die Deutung utid ein bessere* Verstand-
nifs der kirchliclien Bildwerke des Mittelalters xu
erleichtem. Frankfurt a. 31. 1839; J. C. Her-
mann'sche Buchhandlung. KXXVIII und 222
Seiten, gr. 8.
An gelehrten archäologiscteii Werken, wekhe uns Tollstän-
dig über die Attribute ägyptischer, indischer, griechischer und
cömischer Bildwerke belehren, haben wir keinen Mangel ; aber
solche, die Über die uns weit näher liegende christliche Kunst-
Symbolik und IkAnographie genugenden Aufschlufs gäben, fehl-
ten bis jetzt gänzlich, obgleich die Renntnifs hieion fast aus
Sem Leben ges(1i\iunden ist, und von Wenigen nur besessen wird.
ISie zu erlangen, erforderte es ein mühsames Studium in den
jtirchcfi Vätern, in altem Lef^endenbuchern und Lebensbeschrei-
bungen der Heiligen, in vielen Fällen gewann ma^ sie nur au
den uns Übrig gebliebenen in allen Landen der Christenheit zer-
streuten Monumenten. Unser Verfasser hat sich nun das gro-
fse Verdienst erworben einem sehr fühlbar gewordenen Be-
dürfnisse unserer Zeit aiff eine Weide entgegengekommen zu
«ein, die den Dank aller Freunde des kirchlkhen Aiterthums
und der KUnttler verdient. Denn -sein Werk «ntluilt^ einen sel-
tenen Reichthuni an Kenntnissen .aus den unmittelbarsten Quel-
len geschöpft und verrüth eine solche Umsicht und einen sol-
chen Geist der L'nportheilichkeit bei sich gegenüberstehenden
Ansichten, wie sie nur weltumfassende und gründliche Studien
gewähren kb'nnen. N(*ben vielen Notizen über dtis Einzelne
giebt dieser Versuch auch Interessante Nachrichten über das
Entstehen der ältesten mystischen iiymbole, berichtet,* wie ne-
ben ihnen und spätem auf das Leben der Heiligen bezüglichen
Attributen gewisse symbolische Bildei' aufgekommen, die sich
aus den bildlichen Redensarten, besonders in der Linie der
Victoriner, von dem Pseudo - Dionysius und Clemens Romanus
bis herunter zu Tauler entwickelt haben und denen viele Kunst'»
Denkmale des Mittelalters auf's genaueste entsprechen; ferner
zeigt er, wie, nachdem das rechte Verstanduifs und die ursprüng-
lich^ Bedeutung verloren gegangen, visionäre Bilder oder auch
germanische Mythen den Grand su rieUn Le|fen4en'der Heiftr
geh gebildet, die durch die früh sehr verbreitete Legenda Aurctt
des Bischofs Jacob von' Voragine. aHgemeiae Gültigkeit^ erhol-
ten. — Unser W erk zerfällt in eine, kurze Vojrrede, eine sehr
unterrichtende Einleitung und in zwei alphabetisch geordnete
Uaupttheile, deren erster die' Erklärungen der Symbole umI At-
tribute, deren zweiter ein Verzeichnifs aller im Buche vorlum-
menden Personen und Sinnbilder enthäJt Das Auflinden iker
Gegenstände wird hiedurch sehr bequem, allein es entsteht ans
dieser Anordnung der Miisstand," dafs die Angaben über die Hei-
ligen, welchen mehrere Attribute beigegeben werden, in den
Y^erke zerstreut stehen, was leicht .vermieden werden konnlep
wenn die Angaben über die Heiligen und ihre Attribute voran-
gesetzt wären, der darauf folgende Index aber die Namen der
Symbole, Attribute u. s. w. mit Hinweisung auf die Heiliges*
deneu sie beigegeben werden, enthielte. Bei einer zweiten Auf-
lage dürfte diese Anordnung zu berücksichtigen sein« Da^
nach der ersten Ausgabe eines solchen Werkes noch manches
Einzelne zu entdecken und nachzutragen bleibt; d>ifs viele Nacb-
richteu undAnsichteu eine groisere Entwicklung 'zolassen und Be»
richtigungen nicht ausbleiben werden, wird jeder entschuldigend
vorsehen, der sich in irgend einer Arbeit dieser Art versucht.
Es wird daher den von uns hochgeschätzten Vf. nicht überra-
schen, wenn schon hier beispielsweise eini^^es in dieser Bezie-
hung angedeutet wird. — Im Artikel' fJSnget* termissen wir
Notizen über deren Rangordnung und einige ihrer Bezeichaoa^
gen, da sie in mittelalterlichen Kunstwerken vorkommen, na-
mentlich in Miniaturen. Nach deu angeblichen Schriften des
Areopagiten Dionysius giebt es neun Engelordnun;;en, die in
drei Hierarchien eingetheilt sind: Die der ersten Hierarchie,
im Allgemeinen Thronen genannt, stehen in der erhabeastM
Nähe unmittelbar um Gott, und werden näher in Seraphim, Che-
rubim und Thronen eingetheilt. Erstere, deren Namen Anzün-
der oder Wärmende bedeutet, werden beständig mit s^cha Flih
geln und feuerrolh dargestellt; durch die heilige sechsfache Bil-
dung der« Flügel istj nach Dionysius, jene unendliche, hochite
Aufregung zum Göttlichen in den ersten, mittleren und letzten
Geistern angedeutet. Die Cherubim, gleichbedeutend mit: FuUe
der Kenntnils oder Ergufs der Weisheit, haben gleichfalls, sechs
Flügel und sind von blauer Farbe. — Die Engel der mittlem
Ordnung oder der zweiten Hierarchie bestehen aus Herrschaf-
ten, Mächten und Gewalten. — Die dritte Hierarchie endlich
aus Füi'stenthüniern, Erzengeln und Engeln. Letztere nur stän-
den mit Mensehen in unmittelbarer Verbindung, während die
Erzengel als Herrscher der Völker, z. B. Michael als der des
jüdVschen Volkes, angegeben werden. — Im Artikel „Aforisr
ist die in Italien vorkommende „Madonna del Soccorso" nicht
erwähnt. Sie wird mit einer Waffe, einer Keule oder einem
Speer, versehen dargestellt, indem sie auf einer Mutter Flehen
deren Kind vor dem Teufel schützt und diesen bekämpft. — JMa-
ria, einen weiten Mantel ausbreitend, unter welchem viele Bit-
tende, wird in Italien „Madonna del p^opoio" genannt. — Alf
dem Achseltbeil des blauen Mantel^ ist häufig bei italienisi^a
Madounenbildern des 14. und 15. Jahrhunderts ein goldener
Stern angebracht, wahrscheinlich in Bezug auf die In Litanetea
und Kirehengesängen öfters vorkommende Benennung der Maria
als Morgenstern. — S. Pelroniun, der Schutzpatron der Stadt
Bologna, trägt auf jieiner Hand nicht sowohl eine Kirche, als
vielmehr die von ihm wieder erbaute ganze Stadt Bologna, de-
ren Wahrzeichen der schiefe Vertheidigungsthurm la Mox»
oder Torre Garisenda genannt. — Möcixten diese wenigen An-
merkungen dem verehrten Verf. zum Beweise dienen, welche
TheUnahme sein Herk in uns geweckt, wie sehr wir wünsche«,
es zu jnoglichster Vollständigkeit ausgebildet zu sehen. Inz^ki-
sehen bekennen wir dankbar, vieles schon jetzt' dorch dasselbe
erworben zu haben, und empfehlen es mit guter Zuversicht al-
len Freunden mittelalterlicher Kunst und allen Künstlern, als
eine sehr erfreuliche und willkommene Gabe, die, ganz auf hi-
storischem Boden ruhend, höchst geeignet ist, richtige Kennte
nisse und Ansichten über unsere Vorzeit zu verbreiten und. das
Studium der christlichen Kunst zu erleichtem.
' j. D. Passavant..
wisse n
Jahrbücher
für
■
s c h a f 1 1 i c h e
K r i t i k.
August 1839.
XUL
' Ueher Goethe» Tor^ptato Taa»o. Von Dr. Frü-
drich Lewitx. Königsbergs 1S39/ beiAuguit
JFUhelm Unzer.
Befereot würde iiber 8eioe eigoe literarigcbe Thär
tigfceit den Stab breeheii, veno er nicht jedes Unteiv
iidbiii*eo grofse Kunstwerke denkend zu betrachten und
' inssenechaftlich zu be|a;reifen willkommen bieise, als ein
ZeicbeOf dafs der Geist nnabl^fsig bemüht ist^ sich
auch' in das Besondere zu vertiefen und daraus neue
AnaehauiuigeB su gewinnen. Wie sollte es nun aber
nicht besonders nahe liegen^ die Scböpfuiigen Goethes
. 'in ihrer ganzen Architektonik zu entfalten und dadurch
xngleicb) 'sowohl das Versiändnifs des grofsen Dich-
ters, ak der Knnstbetrachtung überhaupt zu erweitern«
Eine Wiedergeburt des Kunstwerks durch das Me-
dium des Gedankens^ aber getragen von dßm un-
•iohlbaren Geiste, der das Kunstwerk selbst hervor-
brachte^ noch umduftet von "'dem Hauche der Poesie,
.der Aach den reinen Gedanken noch umwebt und die
Kälte seiner abstrakten Thätigkeit mildert, ist die gro-
' fse Aufgabe, welche die wissenschaftliche Behandlung
bedeutender Biobtar werke zu h>sen hat. Dies wird der
Denker iminer am sichersten' erreichen, wenn er zu-
erst die mai^nigfaltigen Strahlen des Kunstwerks in ei-
nen Brennpunkt aammett und diesen, nachdem er seine
•volle Wirkung err^ich^ den Geist ganz und auf ein-
mal ^leuchtet zu haben, wieder entbindet Auf wel-
chem empirischen W^ge der Einzelne dazu gelangt
•ein loag^ ist gleichgültig $ genug es komnüt hierbei,
wie im Grunde bei aller acht wissenschaftlicben Thä-
tiglDeit darauf an, diese mühsam erklommenen Spros-
sen dem Auge w entziehen und gleichsam das Gerüst
hiiier sieh abzubrechen , um den Leser sogleich auf
eine Höbe sa stellen^ von wo er dann, aber freilich in
ganz anderer Weiset «uch den ganzen Kreis des Be-
Jahrb, f. wU$en$ck. KriSik. J. 1830. II. Bä. ^ ■
sondern und Einzelnen zu überschauen und in seiner
harmoiiischen Verbindung mit dem Ganzen zu begrei-
fen vermag. Wird, namentlich bei Kunstbetrachtungen,
der Leser erst durch den dornenvollen Weg der Einzeln-
heiten mühsam hiodurchgeleitet, so geht grade die volle
und wesentliche Wirkung dieser Thätijg^keit verloren,
sich sogleich in eine freie Welt des Gedankens y und
die schöne Mannigfaltijgkeit des Kunstwerks in die Ein-
fachheit der Idee erhoben zu sehn ; während der Weg, *
auf dem man sich mühsam, durch eine immer nur
äufserliche Aneinanderfügung «von Einzelnbeiten , die
freie Aussicht auf das Ganze bahnen soll, uns sogleich
ans der Region der lebendigen Kunstanschauung in die
trockene Sphäre dcfr sammelnden Thätigkeit versetzt
So werden wir unmittelbar 'aus dem Genufs an djp
mühselige und unerquickliche Arbeit ge^viesen, die uns
vielleicht späterhin durclv ein Resultat zu entschädigen
vermag ; aber vor der Hand unsem Verlast noch durch
nichts ^ersetzt. Bbi der ersteren Methode hingegen nö- '
thigt-man den Leser, indem er die schöne Lebendig-
keit eines Kunstwerks aufgiebt, durch die Anschauung
einer philosophischen Idee selbst wieder, nur in ande-
rer Weise, produktiv zu werden $ er vertauscht also
nur eine Form der Anschauung mit einer andern aus
demselben Gebiete des absoluten Geistes.
Schon indem der Hr. Verf. diese Methode vermei-
dend^ den Weg eingeschlagen hat, durch die Zusam-
menstellung der Einzelobeiten in den Charakteren sich
die GmndanschauuBg des Ganzen zu bilden, hat der-
selbe sich in seiner Darstellung derjenigen Lebendig-
keit beraubt, welche grade bei Kunstbetrajchtungen so
wohltbätig wirkt, indem sie gewissermafsen fttr den Vei'-
lust entschädigt, dem wir uns dabei, für den. Augen-
blick wenigstens, unterziehi) müssen* Diesen Eindruck
einer gewissen Trockenheit und einer bei dieser Me-
thode zugleich unvermeidlichen Breite, hat > uns daher
die ganze Darstellung des Hrn. Lewitz gemacht, in- ^
29
227
LewiiXy über GoetAes Torfuai^ Ta$s0.
dem wir uns imoier vergebens sehnteo^ die freie Luft
eines die Einz^Inheiten yerzehreuden Gedankens zu
athmen, dagegen uns aber fast durchgängig in der
atahbigen Atmosphäre eines so eben abgerissenen Pracht-
^bättdes befandeui das wir aus .den einzelnen Mate-
rialien erst wieder erbauen sollen. Wie sehr diese
ganze Weise unsers Verfs. ungeeignet ist, fiir die KuHst-
betrachtung zu erwärmen^ zeigt sich auch aus der ganz
natürlichen Folge^ dafs die Darstellung der Charaktere
durchaus den Charakter der Paraphrdlie bat, der nnle-
bendigsten und zugleich der schönen künstlerischen
Einheit widerstrebendsten Form.
Nachdem wir uns über die von Hrn. Lewitz befolgte
Methode der Kunstbetrachtung ausgesprochen, wenden
wir uns zu dem besondern Inhalt .seiner Schrift, indem
wir uns zunächst in die Darstellung der Charaktere ein-
fassen... Hier müssen wir uns sogleich in vieler Bezie-
hung als Gegner des Hm. Lewitz bekennen, der uns
bei der Auffassung der Charaktere gar sehr von sei-
ner Grnndanschauung des Ganzen^ welche derselbe erst
gc^en den Schlufs des Buches ausspricht, geleitet wor-
den zu sein scheint, und, so unbefangen sich auph seine
Untersuchung anläfst, doch fast ununterbrocheif von
vorgefi)lsten Ansichten bestimmt worden ist. Wir über-
gehn die ersten Abschnitte d6s Buchs^ das Verhältnifs
Goethes zu Schiller betreffend, weil dies durchaus in
keine (innere Beziehung zum Folgenden gesetzt ist, so
wie- das nachfolgende übrigens manche treffende Be-
merkung enthaltende Kapitel über Goethe um das Jahr
1787, und lassen uns sogleich auf die Auffassung und
Begründung der Charaktere ein, wobei wir, dem Hrn.*
Yerfi folgend, mit dem Antonio den Anfang machen«
Der Hr. Verf. spricht Jn der die Auffassung der
Charaktere einleitenden Betrachtung den Gedanken aus,
* dafs man mit Unrecht ge^gt habe, es sei im Tasso
der JnhaU' dieser Stelle, so wenig enthält sie Chardb*
teristisches für den Torquato Tmso"^ am wenigstea
shet liegt, wie der Hr. VeH; meint, das ideale Ele-
ment, welches man vorzugsweise dem Tasso zuachreibc^
hierin* In einem jeden ächten Drama ist das Stoffap*
tige überhaupt überwunden, ja selbst in jedem wahr»
haften Eistorisohen Drama wird jede Begebenheit eigent*
lidi erst als ein Produkt der handelnden Individiieo und
unabhängig voa de; geschichtlich beglaubigtea That
hervorgebracht und bildet dann zugleich ein hSb^nes
.Gesetz des Geistes ab. Eine Begebenheit, die, wie ein *
fester unbezwingbarer Pflock die Charaktere und die
Handlung zu einem anderen Laufe ndthigte, als den
ihres eigenen Gesetzes, wäre ein nnorganischer Stoff,
den alle wahr^ ^oesie ein für allemal ausscheidet« Al-
les oben Gesagte gilt von allen Shakespearschen Dni^
men, ja selbst von den geschichtlichen, während die
ganze Haltung obiger Stelle dijs, auch durch roancbe
andere Wendung des Verfs. unterstützte Vontellmig
erweckt, als dürfe es auch Dramen geben, in denen
die blofse Begebenheit eine gestaltende Madit^ gleich-
sam eine die Charaktere zwingende Gewalt ansäbte»
Die Ueberwindung des Stoffartigen, dder, was dasselbe
ist, die Verwandlung Jedes empirisch gegebenen Ele-
mentes in em organisches Glied des Ganzen, tiieUl
unser Kunstwerk mit allen klassischen Dranlfen der
antiken und der modernen Welt.
Bei der Auffassung des Antonio wird es nun in»
nächst recht klar, wie sehr sich der Hr. Verf. von ei-
ner Idee hat beherrschen lassen, die sich ihm als die
Seele des Kunstwerks dargestellt hat, und der man
freilich den Vorwurf antiquirt zu sein nicht -vrird ma-
chen können. Unserm Verf. ist^ nämlich Antonio „em
Höfling m scAlitnmsten Sinne det fForts^ dem an
Fürstengunst nnd äofserer Ehre gar viel gelegen ist,
zu wenig Handlung ^ „nur die Handlung entwickelt , der auch krumme Wege nicht scheut, wenn er darin
sich hier allein ans den Charakteren, allein aus deren
Conflikten, sie hat hier nichts Stoffartiges, nichts, was
den Dichter genöthigt hätte, seinen Charakteren diese
Odei^ jene Wendung, diese oder jene* Färbung zu ge-
ben. Es tritt hier keine Begebenheit ein, welche die
Personen zti einer bestibfimten Handlungsweise hin-
zwäng^, sondern einzig durch das Harmonirende und
Diäharmonirende, das gegenseitige Verhältnifs der Cha-
raktere entstehn die Begebenheiten, schürzt, und löst
sich der Knoten der Handlang.^^ So wahr im Ganzen
sich beeinträchtigt glaubt, den Leidenschaften und swl^
von recht gewöhnlicher Art noch in fieberhafte Rda*
barkeit versetzen können, kurz, er mag ein trefflicher
Fürstendiener, ein feiner Staatsmann sein, grofsartige
eder gar edle Elemente treten uns in ihm nicht entge-
gen.'' (p* 55) Man n^ufs es dieser, wie allen fcrfgen»
den Darstellungen der Charaktere lassen, dafs sie siok
von dem Fehler des Idealisirens' wenigstens völlig firri>
gehalten und die Wahrheit darum nicht eingebfifst hap
ben, weil sie in den Aether einer überirdischen Bmpfin-
I •
LfttiiXj Mie^ GoetAes Torfuaie Ti$$i6.
230
inng T^srfl&ditigt worden sind. lo der That tnfir^te
ihnen; atiek^ nach des. Hnit Verfs« VorstellnDg Vom
Gaosen, jene wahre Idealität entsogen werdeo, welche
wir darein eefxen^ jafs die Charaktere iH ihrer konkre«
ten Lebendigkeit angleich ebe wesentliche Seite des
Lebens abspiegeln. Wenigstens ist nns immer grade
darin der Zauber deftGoethischen Tasso erschienen)
dals wir hier mit Gattnngscharakieren der dorcbgebiU
detsten Art verkehren ^ deren jeder eine wesentliche
Lebensrichtnog abbildet tmd denen* der Dichter doch
ttgleidiy was das Schwierigste, aber auch der eigent«
liehe Prüfstein höchster poetischer Gestaltongsfahigkei.t
ist, die grdfste individnelle Lebendigkeit geliehen hat.
Antonios Auffassung setzt sich natürlich in der
Bentnng der einzelnen Züge dieses Charakters fort,
welche sieh alle darin fugcAi i^iüssen« Folgen wir dem
Hrn. Verf. darin nach. Zunächst begreift Hr. Lewitz
nicht recht, wie Antonio in der ersten Scene zu dem
hohen, vielsagenden, an direkte Beleidigung nahe an-
«tseif enden Ten gegen den Dichter kommt, der ihn
niohts weniger wie verletzt hat. „Wie ziemt es dem
Tollendeten Staatsmann, der Selbstbeherrschung als
die erste aller Eigenschaften besitzen mufs, hier, ohne
sichtbare Veranlassung so heftig, so auffallend,, ja ich
möchte sagen, so täppisch auf einen Mann loszufah-
ren, den ItaDen schon damak verehrtet'* Die Laune
mls Gmnd clafur anzunehmen, scheint auth dem Hrn«
Yerf. zn unpoetisch, er verweist uns til8# nur auf den
freilich wenig Aufschlufs bietenden Gedanlcen: „Man
wergesse ja nicht, wir befinden uns hier auf dem glat-
ten Boden eines Hofes;" eine Reflexion, welche dem
Hnu Verf. gewifs selbst die Haltung des Antonio nicht
erklftrt, wie er denn auch im Folgenden zu der zuerst
Ausgesprochenen Unbegreiflichkeit stillschweigend zu-
rückgekehrt ist, indem wir über sein erstes Auftreten
weiter nichts, vornehmen« Die Ehrlichkeit, mit der der
Hc* Vwf. hier an seiner Auffassung des Antonio, als
eines höfischen Ffirstendieners selbst Anstofs nimmt,
^hfttte wohl für ihn die Folge haben sollen, zunächst
an aeiner ganzen Auflassung dieses Charakters zu zvei-
-felii nnd die Seltsamkeit in der dichterischen Darstel-
Iniig' des erstens Erscheinens Antonios auf einen An-»
genblick als eine Folge, seiner seltsamto Auffassung
tu denken. Es ist dies eine von den Stellen, in wel-
chen sich das Unzulängliche und Schiefe einer aus fal-
schen Prämissen abgeleiteten Meinung recht klar her-
ausstellt. Versuchen wir den Gedanken, der dem er^
sten Erscheinen des Antonio zum Grunde liegt, mit
Wenigem anzudeuten.
. Antonio kündigt sich sogleich als der Manu Hen
Staats, als der Vertreter des praktischen 'Geistes an, .
dessen höchste Verwirklichung der Staat ist. AUed
hat ihm nur ViTerth und Geltung, insofern es dieses
sittliche Ganze fördert und zu seinem Gedeihen heim-
trägt. Je uümittelbarer, je sichtbarer dieses Eingrei«^
fen ist, je direkter eine Thätigkeit zur Erhaltung des
Gebäudes mitwirkt, desto anerkennenswerther ist sie
ihm, desto mehr Anspruch hat sie auf den Lohn der
Mitwelt und des Fürsten, in dem der Staat gleichsam
persönlich geworden ist.^ Diesen Maafsstab der direk*
ten Förderung des Staatszweckes überall anlegend,
tritt Antonio zugleich in den Gegensatz mit jeder an-
dern als Selbstzweck auftretenden Thätigkeit. Indem
ihm alle Kunst ubd Wissenschaft nur , als ein integri**
rendes Moment im Staatsleben erscheint, von ihm nur
als dem Staate dienend anerkannt vird,- so gilt ihm
auch die Stellung, welche die rein - ideale» Thätigkeit
künstlerischen Schaffens einnimmt, im Veirgleich mit
der unmittelbar in ^das Getriebe des praktischeU Gei-
stes eingreifenden, als eine untergeor^pete. Der hoch- •
ste Lohn darf daher auch nur dem Staatsmanne aufbe^-
halben bleiben, ihn mit dem Künstler theilep, heifst
ihm die Belohnung vergeuden und den wohlverdienten
Mann herabsetzen. Dies ist das Pathos des Antonio^
das er, eben weil «ss in seiner ganzen Schärfe und faerb^
sten Einseitigkeit von ihm vertreten wird, sogleich in .
verletzender Weise geg^n denjenigeVi äufsem mufs,
dem in seinen Augen eine Ueberschätzung von denje^
nigen zu Theil wird,' welche- zu lehnen berufen sind,
und welche die höchste Anerkennung nur dem' Staats-
mann, nach vollbrachter mühseliger Arbeit, zum Wohle
des Ganzen, zollen sollten. Die verletzende Bitterkeit
Antonios * ist der natürlichste Ausdruck eines Pathos^ -
das ihn grade in einem Momente, wo er sich des gan<>
zen Vollgehalts seiner .Thätigkeit bewufst geworden,
beherrscht. Zur Entfaltung dieses Pathos konnte kein»
Situation künstlerischer, gedacht werden, als die \er^
hällnisse,. unter denen Antonio unis zuerst erscheint»
Der Vertreter des praktischen Geistes konnte nicht
schlagender gezeichnet, die Werkstatt dieser Leben-
digkeit nicht besser enthüllt werden. Sein Pathos ist
aber auch Antonios Einseitigkeit, die ihn auch, in die-
• l
23r
LimitXy übei^ Obethst Torftutto Tmtsä.
332
«
Schuld hineinreiffit* Diese entfaltet ddb das Zusain«
inenstofsen mit Tasso im zweiten Akt, m velcbem
sich nur das im ersten Akt schon ausgesprochene Be-
wufstseia fortsetzt und dem Vertreter der entgegenge-
setzten-Richtung gegenüberbis zur schneidendsten Ver»
letzung desselben' entwickelt. Die Schuld des seiner
selbst und der Verhältnisse stets bewufsten Geistes
beruh't aber darin, den in einer selbstgeschaffenen Welt
lebenden Dichter, der an die Dinge und Menschen nur
denMaafsstab seiner Phantasie anlegt, auf die gewähl-
teste Weise bis zu einem völligen Verkennen aller
Schranken der Wirklichkeit und der objektiven Ver-
bäiltnidse fortgerissen, ihn gleichsam bis zum Hohne
gegen das Gesetz sollicitirt zu haben. Dies ist aber
auch die Genugtbuung des Antonio dem Gegner die
Kluft zwischen seiner geträumten und der wirklrchon
Welt geöffnet, und die harte JBufse für die Entfrem-
dung von der letzteren aufgezwungen zu haben. Der
besonnene, die Dinge, wie die Menschen klar anschau-
ende Geist Antonios kehrt .auch damit in sich zurück
und erkennt sich durch das mahnende Wort des Für-
sten als denjenigen, welcher yon seiner praktrschea
Ueberjogenheit.einen unmäfsigen Gebrauch gemacht und
sich selbst in der .Einseitigkeit seines Pathos verirrt
habe. Dafs sich der besonnenste Mann selbst als sol-
chen erfährt und in dem milden Ausdruck seines fürst-
lichen Freundes dessen inne wird, ist seine Bufse, die
er in den Schlufs werten des zweiten Akts, eben so
eindrfnglich, als einfach ausspricht:
f,Gar leicht gehör dU in«« einem gnien Herrn, .
Der überzeugt^ indem er uns gebietet»"
Hr. Lewitz sucht, seinem einmal aufgefafsten Bilde
treu, darin nichts als eine hdfische Wendung, die An-
tonie nur auf das Zureden des Fürsten brauche (p. 61),
wie er in der gmizeu Scene nur die unedle Benutzung
der Uebereihmg Tasso» erkennt, um einen Staatsstreich
zu spielen und ihm, „um es in baarer Prosa auszu-
drucken, ein Bein zu stellen.** Nach Hm. Lewitz be-
wegt dann freilich den Antonio,* den er eine kleine
Seele nennt (p* 64), nui* der Unmuth, ,Tasso im Besitze .
der Hofgbnst za sehn, die ihm allein gebühre. Nach
dem HrQ« Verf. treibt allein das kleinlichste Intriguen-
sptel den Antodo, dessen Bildung sogar, nateh Hm.
Lewitz eigenem Ausdrack^ (p. 73).,, nur ein Aooideu
ist, das als Vehikel selbsfsüchtiger RcguogeD gemif»
braucht, dem genaueren Blicke nur desto deutlicher
das verzerrte Bild des Egobmus enthüUf* Von 'dtm
Bubstanzielli^n Elemente, das den Antonio belebt, vai
seine Stärke, wie seine Schwäche aiismacbt, bat Hr.
Lewitz keine Ahnung. Deshalb verkehrt sich ihm aack
der tiefere Sinn der wichtigstea Momente, wovon wir
so eben eiQ auffallendes Beispid gesebn, oder ea g^
ihm, indem er das einmal gefafste Bild festhalten iriD,
der Charakter in Trivialitäten zu Grunde. Denn mir
also können wir die Reflexion unsere Yerfs. bezeich-
nen, wonach er die nach dem zweiten Akt folgendea
Schritte' des Antonio, die niobt die geringste Feindse-
ligkeit gegen Tasso athmen, d'adnrch , erklärt^ dnfs er
sich und Tassos Kräfte in dem Kampfe gemesson, wai
dabei gefunden habe, dafs der Dichter ihm weiter nicht
gefährlich sein könne ; (p., 65) dessea Entfemnng er
aber doch später begünstige, weil er sich so dieeci
unbequeAien Persönlichkeit auf die beftte Weise cntb*
digen könne, (p. 69) Dem Antonio gilt nach den
Hrn. Verf. nur sein persönlicher Zweck, die Bildnag
hat nur Werth för ihn^ insofern sie ihm und eetaea
Zwecken nutzt Doch welches sind diese Zwecke!
Aus dem Vt^treter des Staats , dem Manne , der sick
als Organ des praktischen Geistes erfafst nnd di«
Dinge, wie die Menschen allein von diesem Standpunkte
aus ^nifst, itft ein intriguanter Höfling geworden, den
es allein nm seine Stellung bei^Hofe zu thnn ist« In
der gänzlichen Verkennung seiner subs&nziellen Be-
deutung, hat er daher fiir Hrn. Lewitz aueh in^deri
Architektonik des Dramas keinen anderen Zweck^ ds
die Handlung zum Fortschreiten, die Ereignisse in die
aothwendige Gährung gebracht zu haben, (p. 66) Da
dies mit 'dem. Schlafs des zweiten -Akts geschehe» ss
ist also auch seine eigentliche Rolle zu Ende. Was
aber mit der Schluissceue des ganzen. Schauspiels nM-
eben ? Ur« Lewitz fühlt wohl, dab sie wnih seinem ^b>
fonio nicht wohl einfägen ki^nne. Die tröstspu^eelicn^
den Worte zn Tasso sieht er sich freilich genfithigt
als aufrichtig und wahr zu nehmen. Aber der entweih
fisnen Charakterzeichnimg därfen sie mich
dersprecheff. *
(Die Fortsetzsng folgt)
Ja h r b ü c h e r
Xu r ,
wissen s c h a f t liehe K r it ik
August 1839.
Vthtr Goethet Torquato Tauo. Von Dr. Frie-
drich Lewitx.
V
m ■ ■
(Fortsetzung.)
Hr. Lewits hilft sich daher mit-derfleflexioD) dafs'
klug Bein darom noch nicht heifst schlecht sein« „El-
Wkem gedehmiitfaigteii Feinde mit Schadenfreude entge-
^entreten^ das vermag nur ein gemeinfer, ein niedrig
denkender Menaeh« Das Berechnende der Gesinnung,
iias sich Steifen auf den eignen Vortbeil,« schliefst bes-^
■ere Gefühle unter 'Umständen keineswegs aus/' Man
sieht» SU welchem Mifiiverständttifs ein^einmal gefafstes
irrige« Bild eines Charakters führen kann, eine Kqu-
aeqaens,' die sich namentlich an derjenigen Scene her-
Torthon mufste, in welcher sich das Substanzielle des
Antonio ganz rein heraushebt, und die Ver85hnung der
Gegensätze vermittelt Hier reichte kein Zug der islei-
nen, intriguanten Seele zur Erklärung aus, weil Anto-
nio hier, entkleidet jeder Gegnerschaft', dem aus allen
Himmeln in den Abgrund eigner Verirrungen Gestofse-
nen« zwar die unwandelbaren Gesetze der wirklichen
"Welt stillschweigäid entgegenhält, aber zugleich dem
tief Verwundeten als ein milder, heilender Arzt zur
. Seite steht, um ihn zu der freien Anerkennung der
objektiven Mächte der Wirklichkeit zu bewegen uufl
ihm dadurch den Grimm gegen ihre Schranken, zu
nehmen. Ueber Tasso ist grade dadurch das entsetz-
lichste Verhängnifs hereingebrochen, dafs er eine Macht
in ihrer furchtbarsten Stärke an sich selbst erfahren
nafs. der er sich vollkommen entnommen wähnte^ In
diesem widerwilligen Beugen unter diese Macht liegt
MW tragisdies Geschrck, was auch Rahel an einer
4Btelle in origineller Weise also bezeichnet i „Ganz sei-
ner innersten Natur zuwider mufs Tasso sich am Ende
m X den halten, der ihm das Abscheulichste ist ) im
Kampfe mif der Seligkeit seines Herzens überwun-
den, sie fahren lassen und endliöh nm das Vemünf»
2akrk\ /. wu%€mck. Kritik. J. 1839. II» Bd.
tige zn ergreifen die Seele nach der unnatürlichsten
Lage hinrenken.^'
. So wenig wir uns mit der ganzen Fassung des
Antonio befreunden konnten,, weil sie ihm grade' sein
wahrhaftes Leben abtödtet und ihn zuletzt sogar als
Aushülfe zu einem zwischen einer nichtswürdigen und
edlen Natur schwebenden moralischen juste-milieu-Mann
macht, so wenig hat uns die Erörterung zugesagt, wo-
durch der Hr. Verf. Herders Persönlichkeit in ihrem'
Terhältnisse zu Goethe, als ganz besonders einflufs-
reich auf die Entstehung des Antonio in des Dichters
Phantasie, darstellt. Wenn der Hr. Vf. die von ihm
meh^als fmgeführten Worte Goethes: „Er habe
schon zu viel Eigenes in seinen Tasso gelegt," auch
hierbei citlrt, so scheint er uns das Eigene in viel zu
beschränktem und particulärem Sinne genonunen zu
haben, während es doch nur die grofsen Erlebnisse
und Kämpfe der Dichtematur mit der objektiven
Welt und ihren Verhältnissen bezeichnet Wir zwei-
feln sehr, ob die über Herders V,erhältnifif zu Goethe
citirten Ställen viele Leser von irgend einer Verwandt-
schaft des Antonio und Herdes überzeugen möchten.
Nicht' viel besser als dem Antonio .ist es in der
Auffassung des Hrn. Vfs. detti Fürsten Alphons ergan-
gen. Hier mischen sich wahre itnd falsche Züge durch-
einander, aber, da auch die wahren nicht rein Jierv,or-
treten, so. haben sie auch die Pbysionotnie des Für-"
sten vor einer Entstellung nicht schützen können. Al-
phons Zusammenhang, heifst es p. 92, mit den übri-
gen Personen ist sehr locker,, gleichwohl ist er für die
Handlung des Stücks so unentbehrlidi,^daf8 o\^ne sein
Eingreifen dieselbe zerfallen, öder mindestens einen
ganz andern Gang nehmen^ müfste. Schon hier mufs
die bei unserm Verf. mehrmals 'wiederkehrende Bemer-
kung auffallen, dafs ihm die dramatischen .Figoren
immer nur fiir die Handlung wichtig sind, als ob die
Handlung selbst ein letzter Zwecl^ sei, und die lodivi*
- 30
235
MJeteitXf Hier Ooithea Torqußto Tatto-
23(
/ •
duen nur dazu dienten^ ihr eine bestimmte RichtUDg
zu geben. Alpbons Bedeutang soll also nur darauf
xbenihen, dafs ohne ihn die Handlung hätte einea an-
detn Gang nehmen müssen. Es drängt sich dabei die
natürliche Frs^e auf,, ob und varum denn die Hand-
lung selbst diesen Gang habe nehmen müssen, und
'wer ihr denn das Recht zuerkenne, ^ie eine in Be-
uregüng gesetzte ])(Iaschine die Individuen für sich, wie
mechanische Kräfte, zu verwenden? Eiq nicht durch
sich selbst, d/ h. durch die Organisation des Indivi*
duums an und üir^sich und die Organisation des- Gan-
zen, d,.h.. duilch die gestaltende Idee nothwendiger und
gerechtfertigter Zug scheidet sich . als ein unorgani-
sches Element aus dem Kunstwerke aus. Die Hand-
•
lung kann schon aus dem einfachen Grunde nicht die
Gestaltung der Individualitäten bedingen, weil sie selbst
nur ^in Moment der konkreten Idee ist» Am wenig->
sten wird also ein verfehlter . Zug aus der Handlung
jemals gerechtfertigt werden dürfen, w^eil diese durch-
. aus nichts Selbstständiges ist, also auch kein Recht
bat, die Individuen für sich zu verwenden. Lenken
wir wieder auf den Alphons ein.
fb , welche den Fürsten bei seiner « HandlnoggvetN
leiten, nur äufserliche, persdnliche,^ nur selbstsüchtipr
Art seien. Aber es ist eine Selbstsucht der grofssio-
nigsten Art, von' dem Gedanken durchdrungen se!^
„dafs die Macht den eignen Yortheil Dur dann beft^
dert, indem sie das Gedeihen der Beherrschten begiii'
stigt." Denn da, denkVich, hebt sich die Selbstssckt
auf, indem sidi der Mensch in dem Gedeihen desGas^
zen geniefst und darin seine Befriedigung findet. Der
Hr. Verf. hat übrigens .bei .d^ Daratellung des il-
phpns eine richtige Bemerkung gemacht: „Er isttov
dem Dichter mit Absicht ohne bestinamten individuel-
len Charakter gezeichnet, ja er durfte keine durchgrei-
fenden Eigenschaften des Geistes oder des Herzen
haben, wenn nicht die ganze Handlung ei^e andere
werden sollte, und diese Nothwendigkeit ist wohl eine
der schwächsten Seiten des Stücks, was dessen Aa-
lage und Architektonik betrifft." Anstatt von dta e^
öten'ganz richtigen Beobachtung aus die richtige Fahrte
zum Ziele zu verfolgen, irrt der Hr. Verf. nicht oor
Toliständig ab, sondern es verleitet Um auch diese fo
m^rkung, weil er sie nicht dem Ganzen einzuordnei
Dem Hm. Vf.^ ist Alphons eine Personification der ^ vermag, zu einem kleinmeisternden Tadel des Koost'
Macht, wie sie in einem Stück dieser Art und Ten-
denz nicht fehlen durfte. Um seine Gunst bewerben
sich Alle, weil er über Alle zu herrschen die Macht
hat. Von ihm konnte daher allein die Verurtheilung
Tusso*» ausgehen, denn er allein habe die Gewalt und
die Gründe dazu (p.^ 93). Wenn Alpbons durch kein
innereis Band,, sei es der Neigung oder der Abneigung,
weder mit Tasso, noch mit Antonio zusammenhänge,-
so 'begünstige er. auch ja dem Dichter nicht die Per-
son, ja nicht einmal die Dichtkunst, sonderp schütze
-vielmehr das- Talent^ das< ihn verherrlichen solle. „Die
Macht, sagt Hr. Lewitz p. 97^. was könnte sie weiter
Ton der Dichtkunst verlangen, als gestützt, gepriesen
Werks, eine leidige Konsequenz aus dem auch hier
wieder auftauchenden Irrthum, die yon Hm« Lewiti
Torgestellte Handlung als das Ziel des Ganzen zu be*
zeichnen, von der die Gestaltung der einzelneo fa-
sonen das. äufserliche Gesetz empfange.
Aber allerdings ist Alphons weniger,, als alle ubri*
gen Figuren, mit individuellen Zügen ausgestattet, oder
vielmehr er vertritt, und dies ist der absolute Gcttod
dafür^ kein bestinuntes, ihn völlig durchdringendss Pa-
thos. Er schwebt Tielmehr, • als die alle Gegensätse
einigende und in sich vermittelnde Einheit, über isf
sich unter seinen Augen entfaltenden Handlung. Se
gewinnt Alphons gleichsam eine dem aütiken Gbonif
und verherrlicht zu werden.'^ So macht es denn, von * fast ähnliche Gestalt . und erscheint als der - geistige
diesein Standpunkte ans, derHr.Vf« dem Fürsten zum
Vorwurf, in dem Streite zwischen Antonio und Tasso
so rasch entschieden zu haben, was wieder in dem
•ben beleuchteten Sinne dadurch entschuldigt wird^
dilfs die Handlung sonst mindestens aufgehalten wor-
den wärcf deshalb mufste denn auch Alphona charak-
Wlos gezeichnet wjerden. Diese Grundzüge vor JLu-
gen darf es uns daher nicht wundem, als ein Enduf>-
theil vMi Hm. Lewitz zu vernehmen,, dafs die Moti-
Rahmen, der dem ganzen Gemälde erst dio.inneieib-
geschlossenfaeit giebt. Von ihm beschützt,, dürfen wir
behaupten,, gedeihen Antonio wie Tasso^ er i^iirdigt
ihr Verdienst, hält jede der beiden Richtungen hoeh
und strebt unablässig, ihnen die gegenseitige Anerksi^
nung abzugewinnen. Dabei fällt . also natürlioh hi
Alphons jßdes scharfe- Verfolgea ^iner einseitigen Ri<A'
tung» und also zugleich, die schasf ausgeprägte Ei^
schiedenheit des Charakters,, als Ausdionck einei^ aoi-
238
«cAliebeoden Willensrichtnng, fort Deshalb ist aber
Alphons im gewöhnlichen Sinne weder charakterlos,
noch weniger ^selbst8üchtig. Er ist das erstöre nur in
«ofem, als ihm die Einseitigkeit eines bestiniimt^ Fa^
tho8 abgeht, unter seinen Fittigen grade alle' Lebens«
nchtnngen gedeihen, nnd er die ausschliefsende Gel-
tung einer einzigen dnrch die gleiche Anerkennung dör
^Dtgegengesetzten mildert. In diesem Sinne straft er,
das Gesetz handhabend, den Dichter, der die Schran-
ken Terletzt, aber sein schönes Gemüth dämpft durch
die persAnliche Milde, mit der es die Strafe über ihn
verhängt^ die Strenge des Urtheils, wühfend er dem
Antonio zugleich den klaren Spiegel seiner Schuld mit
sanftem Ernste TOrhält. So wird uns das Bild einer
Tormgsweiiete liebenswärdigen, beschwichtigenden Per-
Bönlichkeit, in deren Strahlen sich Alle sonnen, und
welche darum so wohlthuend wirkt, weil in ihr selbst
die Barten des Lebens z^ zarten Umgränzungen ge-
worden^ welche, eben so bewufstyoU als leidenschafts-
los, einem antiken Chore gleich, nur, der Natur der
Sache nach, persönlicher, über dea sich entfaltenden
Gegensätzen waltet. ' Aber da* Pathos derselben geht
seinen ruhigoa Gang fort nnd yermag auch nicht durch
das Erscheinen des Fürttten in seiner Eatwickelung
gebannt zu werden* Alphons weist nur von Hause
ans Tersdhuend auf dio objektive Versöhnung der idea-
len nnd realen Welt hin. Mit feineip Sinne hat ihn
daher der Dichter auch zum Fürsten, also dem Re-
präsentanten des Staatsgeistes gemacht, unter dessen
Aagen alle Lebensbewegungen gedeihen und der einer
jeden von ihnen die ihr eigenthümliche Stellung anzur
weisen ventiag. Daher ist er gleichweit entfernt von
einer .Richtung, die Alles nur auf die unmittelbare,
nichste Förderung des Staatszwecks Jbezieht und da-
nach würdigt, wie von einer sich der Wirklichkeit ent-
fremdenden, die sie in -selbstgeschaifenen Gebilden
verkennt. Nnr so vermögen wir die Worte zu deuten^
welche er Akt 5 Auftritt 1 zu Antonio spricht:.
„Nicht AUei dienet vn$ auf gleiche Weite,
Wer Vielee brauchen wiü,' gebrauche Jede§^
In eeiner Art,, $o Ut er wohl beäietiL"
Yen diesem. 'Standpunkte aus ergab sieh daher sowohl
die Nothwendigkeitv ihn nicht mit einzelnen hervorste-
chenden, alsoanssefaiiersend herrschenden Eigenschaft
ten des Geistes und Herzens auszustatten^ denn dies
hätte grade jene so liebenswürdige Harmonie, aller
Kräfte des Gemüths und des Geistes gestört, als sieh
darin zugleich ein wesentlicher Vorzug für di^ Orga-
nisation des Ganzen beurkundete, das in Alphons erst
seinen geistigen Scblufsstein gewinnt.
Während sich dem Hrn. Vf« Antonio,- der Fürst
und die Gräfin Leonore nur als Egoisten der gewöhn«-
liebsten Art darstellen, die, jeder in seiner Weise, ^un»
edler Selbstsucht Löhnen,, deren Seele von. dem Roste
des gemeinen Lebens angefressen ist, so tritt ihm da-
gegen in der Prinzessin und Tasso eine höhere Ge^
sinnung entgegen, der das Leben nicht blos um seiner
glänzenden Zierratben, um seines augenfälligen Scbmuk*
kes willen Werth hat, sondern die in ihrem Innersten
immer strömende Quelle trägt, aus der alle Freuden
-und .alle Schmerzen, und darum oft doppelt quälend
emporsteigen." Freilich fliefst dem Hrn. Verf., nach
der für die Tendenz des Ganzen von ihm ausgegebe-
nen Vorstellung, der Quell nicht rein und ungetrübt
und hat aus seinen Umgebungen manche unlautere Be-
standtheile in sich au%enommen^ Demnach hat aifch
die Prinzessin moralischer Zurechtweisung nicht eni-
gehn können. j^Die Hofluft, für welche die Natur sie.
nicht bestimmte^ hat auch diese hohe Seele angeweht
und mit ihrem Hauche das edle Bild nur empfindlich
verletzt und getrübt.** Wie jEIr. Lewitz in dem ersten
Gespräche der Fürstin mit Leonoren eine kleinliche
List sieht, die Gesinnung der Freundin gegen Tasso
zn erforscheo, so macht er derselben den Vorwurf^
absichtlich den Sturm in Tasso*s Seele erregt und
äurch eine wohlberecbnete' Weq^ung zum Ausbruch
gebracht au haben. Nach der Vorstellung^. die sich
der Hr. Vf.. zur Rettung seiner Auffassung des Gan-
zen von der Prinzessin gebildet hat, darf es uns nicht
wundem, den Ausbruch der Empfindung Tasso's in
der herrltdien Unterredung mit der Prinzessin im zwei-
ten Akt als einen nicht auf dem Wege* der Natur er-
folgten, sondern mit voller Absicht von Seiten der Ffliw
stin herbeigeführten bezeichnfet zu finden. Es soll der
Ausdruck, dafs sie das Geheimnifs seines Caedes zn
verstehen glaube, der Ruhe, dem stillen Gleichmuth*
des Benehmens der Fürstin entschieden widerstreben ^
f&% hätte de» Dichters Seele hinlänglich kennen mü»-
sen, um .die Wirkung einer solchen Aeufserung auf
sein sturmbewegtes Innere zu berechnen. Diese Be-
rechnung wirft dann natürlich einen dunklen Sohattea
auS den. Charakter der Prin^essin,^ „der uns verletzt^,
239
Mer GoethtB Torquato ■Ttt*$o.
240
f m
weil , er uns plötzlich dem Kreise entreirst^ innerhalb
dessen wir eiil edles weibliches Wesen sich bewe*
gen sehn wollen^ der uns empfindlich stdrt, weil wir
nach der. Haltung und dem Charakter der Fürstin im
Stück selbst einer solchen Schwäche nicht gewärtig
waren.". Bei der Deutung der Absicht durften wir
auf den Vorwurf der Selbstsucht gefafst sein« In der
That soll sie durch diese kleinliche Tendenz ihres Be»
nehmens nu/ beabsichtigt haben, den Freund zur Ei»
nigung mit Antonio zu bewegen, um seine Entfernung
vom Hofe zu Terhindem; Wovor will sie den Freund
bewahren, fragt Hr. Lewitz (p. 134). „Vor dem Ver-
etofs gegen die konventionellen Formen des Lebens,
höchstens vor dem Verlust der Fürstengunst. Und
was will sie fihr ihn gewipnenf Er mufste sich vom
Hofe entfjßrnen, wenn er sich mit Antonio nicht eini-
gen kan'n. Das ist vorauszusehn» Allein verliert die
wahre Liebe wesentlich durch eine Entfernung, die
mifserdem am Ende doch bedingt war durch die nicht
auszufüllende* Kluft beider' Charaktek'e, wie durch die
von der Natur selbst gegebene Differenz des Dichter-
geistes mit dem Hofleben !*'* So sehn wir uns denn,
nach dem Hrn. Verf., wieder auf eine Hofaktion vor-
wiesen, die uns statt der Offenbarung eines liebenden
Herzens geboten werde (p. 130). Weil isich.der Herr
Vf. nun freilieb' selbst an dieser Auffassung das Mifs-
verbältüifs mit der ganzen Erscheinung der Fürstin
nicht verhehlen kann, so bleibt der Vorwurf dieser. Cha-
ra&terzeichnung auf der Tendenz des Ganzen haften;
dieser Mangel wird zu einem Fluche des Stoffs ge^
macht, der sich an der -SchöpfuAg selbst rächt, (p. 135)
Wir können nicht utnhin, dies ganze von uns darge-
legte Räsonneiqent unsere Verfs« als die seltsamste
.Klügelei zu bezeichnen, die zuletzt ' mit dem wunder-
lichsten Tadel gegen den Dichter endet, daCs sich hier
der Fluch des Stoffes räche, wodurch derselbe wieder
als eine Alles bezwingende Macht bezeichnet wird, der
4as Herrlichste in das Unnatürlichste verkeljire. Soll
aber mit dem Stoffe, wie es fast scheint, die Idee des
Ganzen bezeichnet sein, so erscheint uns doch dieje-
nige Tendenz gewifs als eine höchst unpoetische, wel-
che alle^ auch die edelsten Natui^en mit dem Schmutze
des Lebens befleckt und die reinsten Züge des acht
Menschlichen zur Grimasse verzerrt. Dafs auch die
Prinzessin selbst einer solchen Auffassung sich hat
ünterwiöden müssen, gilt uns als der schlagendste Be-
weis für die Zähigkeit, mit der Hr. Lewitz an aeiiier
einmal gefafsten Idee festgehalten.
\yas uns von jeher der Gestalt der Fürstin die-
sen einzigen Zauber verliehen,' ist grade jene stille
Grdfse eines tiefen Gemüths, das die intensivste Nei>
gung zu dem Dichter in sich verschliefst und sieb
durch die glühende Gewalt des Herzens so wejt hin-
durchgearbeitet hat, dafs diese nur noch wie ein mit
der Strahl das Ganze erleuchtet und erwärmt, dar mir
auf Augenblicke noch bisweilen den ganzen Schacht
des Innern erhellt. Wir erblicken nicht mehr die hd-
fscn Strahlen, welche einät diese Natur getroffen, son-
dern nur die milden Früchte, welche dieses Ringen
gezeitigt hat. Wir vernehmen zugleich jen^i unsicht-
baren Geist, der uns unablässig zuflüstert, wieviel sie
gelitten, ehe sie sich der Macht der Verhältnisse Vit-
lig ergeben, ehe sie der ehernen Wirklichkeit ihr
'Recht zugestanden, wie ihr aber auch dadurch eine
gewisse Seligkeit des Schmerzes, aus der Tiefe he^
Torgebrochen sei, die jede eitle Klage über die Klofli
welche sie für immer von dem Dichter getrennt, voV
lig verbannt hat. Dafs sie jenes Wort gesprochen,
das der Hr. Vf. der Fürstin als eine absichtliche Thst
einer kleinlichen Hofintrigue auslegt, ist grade eili uii-
endlichr tiefer Zug des Dichters. In diesem Worts
bekennt sie jene herzengewinifende Macht des Dich-
ters, der ihr völlig persönircb geworden, mit leisen Td-
nen. Dadurch hat uns der Schöpfer dieses Charak-
ters einen Blick in dies zartbesaitete Innere vergönnt,
das erst nach langer Berührung bis zu dem auch ans
vernehmlichen Laute der süfsen Empfindung verloekt
worden ist. In dem Gefühle des Kampfes, den sie ge-
rungen, uud in der Versöhnung mit der Sitte, die sie
ganz beherrscht, fordert sie von dem geliebten Freooda
die Mäfsigung und das Entbehren. Aus diesem am
dem Erzittern ihrer Seele sich immer wiederherstellee-
den Gleichgewicht ist endlich das Entsetzen, welohss
die Fürstin ergreift, erklärlich, als Tasso in wilder
sich selbst völlig vergessender Itühofhejt alle Schran-
ken nberbraust und gewaltsam das Getöude, welches
der Geist der Wirklichkeit errichtet, einzureifsen wer-
sucht, sich fand das Gemüth der Fürstin m dem Sta«be
bedeckend, den er aus dem rasenden Angriff auf das-
selbe rings aufgewirbelt.
(Der Bescbluis * folgt)
' J^ 31.
J a h r b u c h e r
für
wissenschaftliche Kritik.
j. •'
August 1839-
lieber Goethes Torquato Tmmo. Von Dr. Frie-
drich Letaitz.
(Sehlufr.)
Nachdem nnsemi Hrn. Verf. keine der bisher be-
sprocheneu Figuren für das menschliche und sittliche
Interesse Befriedigung gewährt, so bleibt auch für den
Tasso selbst venig Hoffnung, denn „auch seine edle
SimieBart ist durch die Terworreoen Verhältnisse des
Hcrfes getrübt.'* Der Hr. Verf. erkennt allerdings zu-
nflchst die wachsende Haltnngslosigkeit des Dichters
ED, gesteht ferner zu, dals hier ein edles Gemöth nicht
durdh wirkliches" Unglück, sondern durch die eigne
Verkehrtheit, dureh die krankhaften Einbildungen sei-
iier. Terdnsterfen Seel^ zerstört werde, aber er schei-
tert zugleich an dem Bekenntntfs, dafs in dem weiteren
Verlaufe der Darstellung der Charakter Tassos eine
vnervartete und in .seiner ersten Erscheinung nicht
vobl begründete Wendung nehme. Daher ergiefst sich
4er Hr. Verf. auch nur in Klagen, dafs Tasso zu ei-
ner'^ unmännlichen Schwäche der Gesinnung und des
• ^Willens herabsinke und bürdet dies wieder dem Stoffe
und der Handlung aiif, indem er es wohl als ein noth- '
Wendiges Motiv zur Losung des Ganzen betrachtet,
aber zugleich als einen Mangel in der Anlage der
Handlung, wodurch dieselbe den «Charakter einer ge-
wissen Zufälligkeit erhalte, bezeichnet (p. 148). Dafs
er aber gar die geschichtliche Wahrheit d. h. die tra-
töionell gewordenen Züge des Charakters als ein Mo-
tiv der Gestaltopg unsere Tusso ansieht, dünkt uns
eine Ansicht, welche billig der Hr. Verf. als eine aller
wahren Knnstbetracbtung ganz äufserliche längst hätte
aafgeben sollen. Aber freilich rächt sich darin nur
üe AnschttDung, welche Situationen und Churakter-
aige von dem Stoffe und der Handlong.abhängig macht.
la Tasso, wie bei allen anderen Figuren, mit Ausnah-
'me des sehr offen daliegenden Charakters der Gräfin
Jahrh, /. m$$enuk. Kritik. J. 1839. II. Bd.
Leonore, haben wir unsem Verf. immer theils init dem
Ausdruck der Unbegreiflichkeit, theils mit einem aus
dem ersteren freilich folgenden Vorwurf für den Stoff
und die Handlung enden sehn. Weil die Tiefe des
Gegensatzes, welche unser Kunstwerk enthüllt, dem
Hm. Verf. verborgen geblieben ist, mutste sich auch
die Person des Dichters in ihrer wachsenden Verstim-
mung dem Verständnifs entziehn. Tasso hörte aller-
dings, wie Hr. Lewitz bemerkt) nur auf die Stimme
seines Innern und gräbt sich in eine selbstgemachte
Welt so völlig hinein, dafs ihm mit jedem Schritt die
wirkliche Welt unter semen Füfsen versinkt, imd er
sich zuletzt in der ganzen, entsetzlichen Einsamkeit
semes ^ewufstseins dieser Wirklichkeit gegenüber er-
kennt, an deren ehernen Gewalt er gescheitert ist.
Dm dieses Pathos war es aber grade zu thnn, wie
beim Antonio um die Darstellung des praktischen Gei-
stes in seiner ganzen Schärfe und Consequenz. So
treten in den beiden Charakteren zwei Welten in den
Kampf. Der einseitige Idealismus Tasso's zerschellt
an der Kraft der nicht umzubiegenden objektiven Welt^
während seine Substanz, die frei gestaltende dichter!*
jiche Phantasie sich erhält, um den tiefgebeugten Geist
durch das lebendige Dichterwort wieder zu versöh-
nen, während uns die Gestalt des Antonio^ an dem
sich Tasso aufrichtet, die Bürgschaft fiir die objektive
Versöhnung beider Seiten des Lebens bietet und die
Aussicht auf einen tief in der Brust des Dichters zu
erarbeitenden Sieg über den einseitigen Idealismus er-
öffnet. Von dieser Andeutung der absoluten Tendenz
des Ganzen aus, können wir zuletzt noch den von dem
Hm. Verf. als die Seele des Kunstwerks ausgesproche-
nen Gedanken, aus dem alle seine Verirrungen über
die Charaktere hervo|gegangen sind, bezeichnen.
Hr. Lewitz bekämpft, ehe er äeine eigne Ansicht
vorträgt, zwei Auffassungen unsers Kunstwerks,' wel-
che wir freilich auch nicht billigen wollen. Nach der
31
243
LewÜXy Mer OoetAei Taryttaie Tas$o.
%U
eratereo sei des Dichters Absicht gewesen^ den Kaanpf
eines edlen weiblichen Herzens mit sich selbst und sei-
ner Liebe nnd den ihr entgegenstehenden Verh&Itnw-
isen SU schildern (p. 161). Wir wollen nns nicht in
die mannigfachen Bemerkungen, welche der Hr. Verf.
bei dieser Gelegenheit üb^r das nicht Tragische ein^s
solchen Schicksals macht, einlassen, obwohl wir Viel
dagegen zu erinnern hätten, sondern uns mit' der von
Hrn. Lewitz aasgesprochenen Reflexion begnügen, dars,
wllre dies die Tendenz des Dramas, dann die Prinzes-
sin als Hauptfigur herFortreten und die Entwickelung
ihres ferneren Lebens im Drama selbst zu einem be-
stimmten Ziele gelangen mufste (p. 162).
Die zweite Ton dem Hm. Verf. aufgeführte An-
weht setzt das Wesen unsers Werks in die Dar-
stellung des Dichter- und Hoflebens, ein Gegensatz, der
von Hrn. Lewitz auf den Kampf des Idealen nnd des
gemeinen nur auf den Genufs hingebenden Realismus
zurfk^Lgeföhrt wird. Auch wir weisen diesen Gedan-
ken entschieden ab, aber freilich aus ganz andern Grün-
den, als der Hr. Verfasser. Derselbe verwirft ihn, weil
weder Tasso, noch die Fürstin rein das Leben im Gei-
ste darstellen, weil der Erstere nicht in freier edler
Männlichkeit den Hofkünsten entgegenarbeite, sondern
ihnen, auf eine ungeschickte Weise trotzend, erliege,
auch die Schlufsscene nicht zu erklären sei, die Fürstin
aber, -auch in die gewöhnlidien Künste des Hoflebens
verstrickt, eine Natur sei, welche sich, so gut als es
gebn wolle, mit der Welt abzufinden suche (p. 167).
Wir dagegen erklärm uns gegen diesen Gedanken,
weil uns ein solcher Kampf kein wahrhaft in sich be-
rechtigter ist und darum auch kein tragisches Moment
darbietet. Dafs der Mensch in seinem edelsten Leben
und Wirken doch endlich der gemeinen Wirklichkeit
erliege, ist überhaupt eine eben so trostlose, als ge-
meine Vorstellung. Die Wirklichkeit^ welche hier nur
in dem rohen Sinne gefafst wird, dafs sie den irdischen
Genufs allein bezwecke und denjenigen, welche ihren
Sinn auf sie riditen, nur dep hohlen wesenlosen Schein
biete, trikgt in sich selbst so sehr den Stempel der
Nichtigkeit, 4afs die Schilderung dieses Gegensatzes
eine platte und unpoetische Aufgabe wäre, welche schon
darum ein wahrer Dichter sich nicht setzen kann, weil
er im Untergange des Siibjekts nur die trostloseste
Siege desselben aber immer noch k^ine erbebende Idee
offenbart hätte.
Nach so gespannter Erwartung giebt uns endfioh
der Hr. Verf. seine eigne Aufl^assung des Ganzen^ we^
che er dabin ansspricbt (p. 170): „Es IM nämlicU w»>
der der Konflikt des Dichter- und Hoflebens, nooh der
Widerspruch der idealen und realistischen Geistearid^
tung, iOftdem vielmehr einzig und allein dae Hoße-
Sen in seinem ganzen Umfange und in seinem HeJ^
sten IVesen^ was uns d^ Dichter schildern witt^
und dessen Darstellung die teahre im Drama ge-
loste AufgaSe bildet. Diese Absicht durchdringt das
ganze Stück und veranlafst und beherrscht seine Eü»-
zelnheiten; von diesem Gesichtspunkte aus erkiärea
sich seine Unvolikommenheiten, wie seine^ VorKuga
Auf diesem Gebiete allein ist das Eigne zu suehen, das
der Dichter in seinen Tasso niedergelegt hat, und vea
diesem Standpunkte aus ist denn auch die genetische
Entwickelung des Stücks in Goethes Seele auf «ne
richtige und naturliche Art nachzuweisen." Der Ht.
Verf. fuhrt nun weiter aus, wie der Dichter selbst im
Kleinliche und Nichtige dieser Zustände erfahren und
dadurch in sich zurückgedrängt worden sei, bis er ead-
lich sich in Italien von allen beengenden und qn&Ies-
den Gefühlen erlei<5htert habe. Demnach ist Hm« Lewiti
der Torquato Tasso „ein wirkUehes Hofstück, 4as em
lebendiges Bild giebt aller geheimen und bekaDotsn
Triebfedern, durch welche jene künstlichen, gewaltsam
-Terschränkten Lebensverhältnisse in Bewegung gesetit
werdefa, und der Charaktere, wie sie unter diesem Um-
ständen sich entwickeln kennen und müssen. ]>aker
ist in allen Personen und in allen einzelnen Zogen Sk-
rer Handlungsweise die Schwäche, die Halbbeity. ja
selbst jdie Unsittlichkeit der Gesinnung auf ganz glsi-
che Weise verhüllt und überkleidet durch Ueadendcii
Schmuck der Rede, durch zierlich und glatt ins Ohr
sich einschmeichelnde Worte.'* So sehr sich auek der
Hr. Verf., wie wir bereits gesehn, abgemüht hat, die
Charaktere und Situationen von dieser Hofluft anga-
weht zu zeigen,^ so haben sich doch gewisse Ersehci-
nungen hartnäckig geweigert, sich in diese Atmosphlfe
bannen zu lassen« VomämUch biklet Tasse's Verstim-
mung, die gänzliche Verdüstemng seines sonst klareo
Gemüths einensolchen Zustand, an dem auch alle Vm^
•Misere der menschlichen Natur dargestellt, bei dem suche> ihn als eine durch die Sonne des Hefes genni»
SMS
Lewitx^ iA§r GoeiAes T^rfuato Tusso»
%iS
€%tB Fracht ämmstellen^ sohMterii. D« aber dem Hrii*
Verf. seine Ansicht die Würde eines Dogma erhal-
ten, dem sieh aaeh ^ie Vernuaft des Dichters beugen
nufs, so bleibt ihm ifnr der einzige Ausweg dieses
tuglitokliche Bewufstsein Tasso's als eine UnvoUlLom-
menheit des 'Werks in beieichnen. Indem es sich nicht
iil das oredo des Hm. Verfs. einordnen läfst, mufs es
flieh gefallen lassen als eine httretische Ansicht aus
dem geschlossenen System berausgewiesen su werden«
MattrUdi mub grade das ganze Pathos des Tasso
aelbst in' seiner sich immer mehr und mehr in seine
eigne Welt einhausenden Tbfttigkeit, worin er die Yer*
hftMntBse, wie die Menschen gleich sehr Tcrkennt» das
▼on Hrn. L. gesponnene Nets^ der Hefintrigue gewaltsam
serreiÜBen und es als unzulänglich für diese' Natur dar-
^dion« Gleichwohl hat weder dies Mifsverhältnifs noch
so Tieie Toa uns berührte gewaltsame Deutungen die
Wirkmig ausgettbt, den Hrn. Verf. an seiner Auffa»-
sang des Ganzen zweifeln zu machen. Das Uopoeti-
sohe dieser Idee, das Werk des Dichters zu einem
Hofstück zu degradiren, bat denn auch seinen Einflufs
dahin ausüben müssen, die Charaktere alle im Lichte
mos nur auf die Selbstsucht gerichteten, unedlem
Zwecke (röhneoden Lebens erscheinen zu lassen.
Wir haben bei der Kritik der einzelnen Charak-
tere bereits anf den wesentlichen durch und durch poe«
tisohen Gehalt des Ganzen hingewiesen, einen Gehalt,
durch dessen Darstellang auch die eiszeleen Indivi-
dnini) wie ihre Zustände eben so gerechtfertigt, als
dieliteriseh erseheinen. Indem bei der oben beröhrten
«wetten Ansicht über die Tendenz des Ganzen der Ge-
gensatz des Idealen und des Realismus berührt wurde,
hatte es sich der Hr. Verf. unmöglich gemacht, die
Wahrheit des Inhalts zu erfassen, weil ihm der Rea-
lismns nur in der Gestalt der gemeinen, mithin nichti-
gen und prosaisehen Wirklichkeit erscheint. Da war
es freilich unmöglich den Kampf der freien Phantasie
mit der Wirklichkeit als die Seele des Kunstwerks
so begreifen, und darin zugleich die Versobnang beider
Elemente zu erbKekenj ein Gehalt, der so sehr das
innerste Leben Croethes und seiner Schdpfiingen bil-
det, dafs man ihn tMtk unaUässig um diese Hineinbil-
dnng des Sulijekts in die oBJektiye Welt und ihre Le-
benskreise bewegen sieht* Aussprüche, welche Antonio
dem Tusso gegenüber thut, wie etwa: „Inwendig lernt
kein Menteh sein Innerstes erkennen** und : „Es ist
wohl angenehm, sich mit sich selbst beschäftigen, wenn-
es nur so nützlich wäre,'* dri^cken so sehr die^immer wie-
derkehrende Polemik iinsers Dichters gegen alle sich
von der Welt ablösende und sich auf die Beschäfti-
gung mit sich selbst beschränkende Thätigkeit aus,
dafs wir ihn, sowohl in seinen Kunstwerken, als in,
einzelnen zerstreuten Aussprüchen, immer von der Notb-
wendigkeit erfüllt sehn, sich aus seiner Innerlichkeit
heraas, 2Um ernsten Eingebn in die vernünftige Wirk-
lichkeit zu entschliersen« Beruht doch auch der Wil-
helm Meister im tiefsten Grunde auf dieser Bewegung,
worin' das Individuum seinen einseitigen Idealismus auf-
giebt und abarbeitet, um den Sinn für das Reale und
für das freie Eingebn in die objektiven Verhältnisse
zu gewinnen. Dieser tiefste Gegensatz mnfste sich
natürlich auch in der Brust unsers Dichters durchkäm-
pfen, und dies ist das Eigenste^ wie das Allgemeinste
zugleich, worin auch unser Tasso wurzelt. Das Ei-
genste ist es, insofern er das tiefste Erlebnifs des In-
nern Goetbes selbst darstellt, indem er sich selbst,- zur
Versöhnung mit der vernünftigen, in sieh berechtigten
Wirklichkeit bmdurchringt, ohne seine Idealität einzn-
büfsen, und doch ist er auch wieder das AJIgtaieinste^
indem er zugleich den gewaltigsten Kampf unserer mo-
dernen Welt überhaupt yersinnlicht. Wie wir Wil-
helm Heister an der Hand Nataliens entlassen, mit der
Sicherheit, dafs er sich denjenigen Sinn für das Reale
gewonnen habe, der ihn von dem unstäten Treiben ei-
nes subjektiven Idealismus befreit und vor jedem Rück-
fall in denselben gesichert hat, ohne dafs derselbe den
Kern dieses Idealismus eiagebüfst, so sehn . wir dem
schmerzbewegten Dichter, selbst mitten in seinen er-
schütternden Klagen, doch mit dem Tröste nach, den
uns die Ueberzeugung bietet, dafs er sidli vermittelst
seiner idealen Kraft, der unversiegbaren- Stärke seiner
dichterischen Natur > mit der Wirklichkeit, die ihn so
herbe verletzt hat, versöhnen und sich frei machen
werde von dem Drucke, den sie bisjetzt auf ihn aus-
übte. Dadurch ist von Tasso, wie von Goethe, der sein
eigenstes Wesen darin zur Anschauung gebracht, eine
neue Stufe der Entwickhing erstiegen und in dieseni
Sinne unser Kunstwerk auch als eine der schönsten
Früchte des Aufenthalts in Italien zu preisen,* der ihn
Ja in so vielen Beziehnng^i von früheren Schwäclien und
Ebseitigkeiten befreit hat. ' H. Th.Roetscber.
247
D. SchuUy das Wesen und Treiben der Berliner eißang. KireAenxeitung. '
XIV.
218
ratioDBlistisohen Aogriffe nicht - unterliegen kann: ae
geht nun Ref. ohne Scheu an die Anzeige der TOrlie-
genden Schrift, und das Interesse, um desseot willen er
sie unternimmt, liegt für ihn eintig und allein in dtr
Untersttchang, viie das feindliche Zusammentreffen im
supranaturalistischen und der rationalistischen Seite
für beide entscheidet.
Freilich ist es nicht nur der Kampf des Suprana-
turalismus gegen seinen theologischen Widersacher,
was die evangelische Kirchenzeitung als ihre höchste
Aufgabe betraohtef, um das Theologische, sofetm ei
sich auf das reine Wissen bezieht, ist es ihr nicht u
thun, sondern wie es der berühmte Theologe ausdrück-
te, der sich zuerst von ihr lossagte, „auf ein prai'
^McA-christliches Interesse ist sie zunächst berechdiet»"
Dadurch, dafs sie in der Polemik wider ibren Gege»
satz darin, schon genug gethan zu haben glaubt, wem
Ehren zu begrürsen, so möchte dieser Umstand, allein ' sie ihn nur beschreibt, ihn an seinen Merkmalen —
Das Wesen und Treiben der Berliner erange-
lischen Kirchenzeitung beleuchtet von David
. Schult. Breslau 1839, bei Hirt. 1?9 S.
I X
V
Ref. bekam vorliegende Schrift; in die Hand, als
auch seine gegen die Theologie dies Hrn. Dr. Heng-
stenberg gerichteten Bogen im Drucke fertig und zur
Ausgabe unter das Publikum vollendet waren. Wenn
ein anerkannter und in einem dreifslgjährigen Dienste
l^ewährter Veteran, wie Hr. Dr. Schulz, und ein Jün-
gerer, der noch in der ersten Dienstzeit steht, im An-
griffe auf eine feindliche Stellung unerwartet zusam-
mentreffen, so scheint es d^m letzteren nicht zu ge-
ziemen, dafs er die Taktik und den Erfolg des älteren
Feldherrn benrtheile. Thut er es dennoch, statt den
unverhofften Bundesgenossen mit allen kriegerischen
schon verdächtig scheinen und das unangenehme Licht
einer rivalen Gesinnung auf ihn fallen lassen. Besser
^ wäre es daher wohl, stillschweigend das unpartheiische
Urtheirdes Publikums abzuwarten, als zur Meinung
Anlafs zu geben» dafs man demselben voreilig vorgrei-
fen wolle. Und wie oft ist dann nicht auch ein Feld-
zug'goscheitert, wenn diejenigen, die sogar nur zufäl-
lig in demselben Augenblick ihn unternehmen, statt
um so fester zusammenzuhalten, auch nur den gering-
sten Scheid von Uneinigkeit sehen lassen.
Von solchen und ähnlichen Bedenken müfste Ref.
sich allerdings bestimmen lassen, wenn es einerseits
. Pflicht wäre, immer den üblen Schein zu meiden, und
dann, wenn es darum zu thun wäre, dafs ' der Gegner
in jedem Falle und "^um jeden Preis gestürzt werde.
Da aber Ref. jenen Schein der Rivalität in diesem
Falle gar nicht zu fiirchten braucht, weil seinem An-
griffe ein schlechthin verschiedener Qperationsplan zu
Grunde lie^t, -^ da es ihm, wi^ jeder auf den ersten
Anblick sehen wird, unmöglich darum so dringend zu
thun sein kann, auf den Unterschied der vorliegenden
und seiner Schrift hinzuweisen — da eine Unterneh-
mung deshalb nicht glücklicher wird, wenn zufällig; zu
ihr zusammenkommende für einen Augenblick ihre Dif-
ferenz vergessen — da der Gegner in jedem Falle gar
nicht zu unterliegen braucht und sogar als der ent-
schiedenste Vorkämpfer des Supranatiiralismus dem
und das sind imuier nur äufsere — kenntlich macht
und nun blos die Laien vor ihm warnt, und die welt-
liche Obrigkeit gegen ihn in Beii^egung zu actsea
sucht, dadurch hat sie sich gegen den Rationalisnras,
dem es doch um die reine Kritik des bisherigen Giaur
bensinhalts. zu thua. ist, in Nachtheil .gebracht. Ihre
Polemik erscheint dadurch oft; als absichtlich bereoh-
net, und sie giebt ihrem Gegner, wenn er sich daxn
versteht, sie anzunehmen, eine füi sie selbst gefährli-
che Waffe in die Hand. So kann es Hr. Dr. 'Scholz
mit Recht als absichtliche Berechnung bezeichnen, wenn
die Kirchenzeitung im Maiheft des vorigen Jahi^anges
„die jüngsten Schriften des Consistorialraths und ProC
Dr. David Schulz" zur Anzeige bringt, ,und unter die*
sen „jüngsten" Schriften als die bedeutendste fin Werk
aufzählen mufs, das bereits im Jahre 1834 in zweiter
Auflage erschienen war. Setzt sich aber dadurch die
praktische Tendenz des Supranaturalismus in Naeh-
theil gegen ihren Widersacher, so wird derselbe wie-
der aufgewogen, indem sich der Gegner in denselhea
Nachtheil bringen lüfst, und die Waffen benutzt, die
sie ihm darbietet. Und er mufs sie sogar annehoieii)
da der Rationalismus dui^ch seine negirende Kritik
keinen wesentlichen Gehalt gewinnt, in dem er sich
mit vollkommner Ruhe bewegen könnte oder den er
nur zu entwickeln brauchte, um durch diese Eatwick:
lung allein jeden Angriff zurückzuweisen.
(Die Fortsetzung folgt.)
Ja h r h
f ü
32-
fi c h e r
wissenschaftliche Kritik.
August 1839.
Htfft Weun und Treiben der Berliner et^angeU-
sehen Kirckenzeäung^ beleuchtet roit David
Schulz.
(Fortsetzung.)
Klagt die Kirchenzeitung vor der Obrigkeit ihren Geg-
ner a% 80 verliert dieser die Geduld, er gewinnt in sich
«elbBt Hiebt die nötbige Fassung, und so 'ist schon das
Scbaa^piel eingetreten, dars der vor der Regierung ange-
klagte Gegner des Supranatoralisuius an diese auch
aich if endet und sie zur Hülfe anruft. Nun kann er
aigeiitlieb nicht mehr, die praktische Tendenz der Kir-
chenzeitung schelten, denn statt ihr gegenüber sich
tein in der Theorie zu halten, wird er selber prßA-
UJeA^ klagt er vor der weltlichen Obrigkeit, dafs ihm
keine Ruhe gelassen verde, als ob er sie als Wissen
weht in sich selbst so nnerschütterlich hegen müfste,
dafis kein Angriff sie stören könnte. Und so uiufs er
von der Staatsregierun^^ hören, dafs er eben so fehle
wie «ein Gegensatz, wenn er sie zur Entscheidung ei-
nea tkeplogischen Streites aufrief. Erweckt es die
kSeliste Bewunderung gegen den Standpunkt eines
Staates and dl«; Weisheit seines Oberhauptes, wenn
TOB ihm die entscheidende Einwirkung auf die Ver-
sduedenh^it dogmatischer Systeme in der Theologie
abgeldmt wird, wie tief, mofs man dann sagen, steht
raie Parthei, die wider einen theologischen Gegensatz
die Hülfe der Obrigkeit anruft, die nicht aufhört, die
gtaalaregiening zu beschwören, dafs sie in Betreff der
dogoiatischen Theorie ebschreite« Hier aber ist nicht
der Thett allein schuldig, der von seiner Seite zuerst
den Staat, dessen geistige Macht in der Erhabenheit
fiber den Gegensätzen besteht, in den Zwiespalt der
Theorie hineinzieht, sondern apch der Theil gerüth in
dieselbe Schuld, der angegriffen und provocirt zu seir
nem Schutze sidi anf d^e Weisheit der Staatsregie^
rang beruft.
Jükrh. f. winenuk, Kriäk. J. 1830.. II. fid.
Handelte es sich um die rein geschichtliche Auf-
gabe, die Haltung der evangelische;i Kirchenzeitung
darzustellen, so müfste allerdings die Beziehung, die
sie sich von Anfang an zur Obrigkeit, obwohl ohne
Erfolg, zu verschaffen gesucht hat, einer Kritik unter-
worfen werden. So könnte es Jauch,' wie Herr Dr.
Schulz in vorliegender Scbrift öfter thut, als revolu-
tionär bezeichnet werden, wenn die Kirchenzeitung es
als ein „schreiendes Unrecht" bezeichnet,^ dafs die Re-
gierung rationalistische. Professoren in evang:ell8ch-
theologischen Facnltäten anstelle, wenn sie dies Un-
recht zum öffentlichen Bewufstsein bringen will. Die
geschichtliche Darstellung, würde aus dieser Haltung
der Kirchenzeitung nicht einen Stoff der Anklage
oder des Verwurfee ziehen, sondern sie aus der inne^
ren Natur dieser Richtung erklären und zwar daraus
erklären, dafs der Supranaturalismns durch seine Ohn-
macht, weil er seinen Gegensatz nicht innerlich über-
winden konnte, endlich zu dem Versuch getrieben wer-
den mufste, ihn durch äufserliohe Gewalt zu unter-
drücken.
Eine solche geschichtliche Darstellung müfste
man erwarten, wenn Hr. Dr. Schulz „das Wesen und
Treiben der evang. Kirchenzeitung*' beleuchten will.
Und wirklich bedarf es, damit die Darstellung mög-
lich sei, nicht noch einer längeren Zeit, da die we*
sentliche Tendenz jener Zeitung als fertig bereits der
Vergangenheit angehört, 'und ihre gegenwärtigen Ver-
suche, sich durchzusetzen, nur die ermüdende Wieder-
holung desselben für die geistige Welt erfolglosen
und längst abgeschlossenen Schauspieles sind. Als
rein historische- Aufgabe kann aber Hr. Dr. Schulz
jene Darstellung nicht fassen und durchfuhren; we^en *
der Natur seines Standpunktes ist er noch zu sehr
als unmittelbarer Gegner mit seinem Gegensatze ver-
wachsen, er kann die Tendenz der Kirchenzeitung noch
nicht als eine der geistigen Vergangenheit anheün-
32
' I
251 Z>. ScAul», das fVesen und TreHetn-
gefallene betrachten und sie zum reinen GegeMtaode
der theoretischen Betrachtung machen, also auch nicht
in ihrer innersten Bestimmtheit fassen. So wenig die
Ki^henzeitung eines der Güter, die sie in Gefahr glaubt,
lur das Selbstbewufstsein gesichert hat und daher es
' äufserlicb zu sichern sich anstrengen uiufs, so wenig
bat der Rationalismus für ein einziges^ ddr, Dogipen,
die er gestürzt hat, auch nur Eine irgendwie bestimmte
AnschauuDg. geschaffen. Wie die Kircbenzeitong, um
ihren Glauben zu behalten, immer nach aufsen kämpfen
mnfs, so mufs der Rationalismus, um seine unbestimmte
Freiheit und sein reines.Licht zu bewahren, den äufse-
ren Angriff des Bestimmten, Positiven immer zurück-
schlagen, und er bedarf dieser Reaction, um zu sein.
Hr. Dr. Schulz sagt p. 22. 23 ganz richtig, wenn „für
seine Gegner kein Feind mehr anzugreifen und zu rich-
ten wäre, 80 ginge ihnen der Odem aus." Sie würden
nicht .einmal ihre Orthodoxie Jm Besitz behalten, wenn
die Heterodoxie gefallen wäre, denn jene besitzen sie
nur durch den Gegensatz und sie würden sie Terlieren,
wenn dieser nicht wäre. Aber dasselbe muts auch
Tom Rationalismus gesagt werden; denn da seinem
Licht die innere Fülle fehlt, da er, um bestimmt zu
sein, des äufseren Gegensatzes bedarf, so würde auch
er in^s Unbestimmte zer&Uen, wenn ihm der Gegner
nicht mehr gegenüber stände. Der Rationalismus hat
nur den Schein der absoluten Sulbstständigkeit, er lebt
nur durch den Widerstand gegen den äufseren Anstofs
und als dieser Widerstand* Frei kann er daher den
Gegner nicht betrachten, weil er abhängig von ihm ist
und zwar abhängig i^yofern, als er nur lebt, wenn er
angegriffen wird und deni Angriffe Widerstand leistet.
Die Schilderung seines Gegners wird bei dieser Lage
der Dinge nicht eine geschichtliche Darstellung oder
eine Orientirang, die Etwas zum Abschlufs bringt, son«
dorn nur der Wiederhall des tom Gegner ausgespro-
chenen Wortes. Klagt dieser an» so klagt er wieder
an, wendet sich jener an die Obrigkeit, so thut er es
auch, oder er bleibt wenigstens rn diesem Verhältnifs
zur .Obrigkeit insofern stehen, als er nnn zeigt, wie der
Gegner seine Pflichten gegen die Obrigkeit verletze
und zum Widerstand gegen dieselbe aufrufe. '
Wie hoch steht der Staat, der es als seine Auf-
gabe weifs, diesem Spiel mit unendlicher Geduld zuzu-
' sehen, wie nnendttch ist das Ganze, das die Gegen-
sätze in sich befefst^ ohne seine Gleichheit mit sich
der Berliner eyang. Kirchenxeiiung.
selbst zu verlieren, und wie erscheinen dagegen ib
Einzelnen, die i^s in jenes Spiel bineindehen, währeel
es selbst in setner rahigen Gediegenheit warf et ^ bis
durch seine allgemeine Bewegung der Gegen«atz ge>
lost ist.
Der Rationalismus hat es seinem Gegner oft ge-
nug zum Vorwurf gemacht, dafs er die Personen an-
greife, sie verdächtige, statt sich nur mit der Saclip
zu beschäftigen. Auch Hr. Dr. Schulz macht der evna-
gelischen Kircbenzeitong diesen Vorwurf (z. B. p* €8^
aber so innig entsprechen sich die Bewegungen beider
Seiten des Gegensatzes, der Be^wegung der einen Seite
folgt so bestimmt die gleiche der andern Seite, dafii
man glauben sollte, man sehe einen Organismna vor
sich, dessen Glieder sich in einem unwillkührlidien Pa^
rallelismus bewegen müssen. Das persönliche Selbsl-
bewcfstsein eines Mannea wird zwar immer zuglekk
geschildert, wenn man eines seiner Werke oder etnea
vollständigen Kreis derselben beurtheilt; aber gesofaü-
dert wird es dann nur soweit, als es sich in den Wer»
ken dargestellt hat. Für das geschichtliche BewnfiBl>
sein, das sich über die Kämpfe einer an sich abfpe^
schlossenen ' Periode bereits erhoben bat , kann ein
Mann, der in dieselbe ' bedeutend eingegriffen hatten
auph nach seiner besonderen Lebensstellong in Be-
tracht kommen, doch freilich nur soweit, als dieselbe
von allgemeinem Interesse ist, d. h. soweit- sie nlobt
nur private Bedeutung hat, sondern die individoteHe
Erscheinung allgemeiner geschichtlicher Verhältniase
war. Ein solches Interesse ureifs aber är.- Dr« Scbuii
seinem Gegner nicht abzugewinnen, so wenig als di^
ser im Rationalismus mehr als die WHlkähr eünnel'
ner Personen zu sehen vermag. Das Höchste, was
die Kirchenzeitung erreicht, wenn sie ihren persteik
eben Gegnern eine gröfscre Orukdlage geben will, nt
das unbestimmte Phantom eines allgemeinen revmbh
tianärers Triebes. Und so ist auch die höchste Aa>
schanung, zu der sich der Rationalismus aufschwingf^
w^nn er seinen Gegner nicht mehr blos als isolirfe Per-
son fessen will, der schreckende Hintergrund einer
„lichtscfaenen Propaganda^' p. 31, welche die Person
gehoben und zur Ausfährung ihrer geheimen Zweehe
vorgeschoben hatte. Ein anderer Pragmatishnus ist
einmal dem .Verstände auf beiden Seiten nicht si^iag-
Itch und namentlich der Rationalismus hat seit rf^te
ersten Aufgange der Aufklärung das Positive nur d$
\ -
Ik 8ei9Üiy das Wesen und Treuen
*
Mittel eiier Maeht denken kdnoeD, die in einem ge-.
keimen HmtergniBde stehen bleibe nnd es npr für ihre
iesanderen Zwecke beButze und' wirken lasse.
Ist es nan nioht dieselbe Art der Verdächtigung,
-die der Rationaiisinus der Kirchenzeitang so schwer
snurei^net, wenn Hr. Dr. Schulz auf die erste Entwick-
Imgsgescfaiehle des Hm. Dr. Hengstenberg zurückgeht,
f^ 29 berichtet, wie derselbe 9,vcin ausschweifendem
Liberalismus zu kirchgläubiger Buchstaben- und For-
■selkneehtsohaft!^ übergegangen sei und wenn er p. 30
•ebHefst, dafs „solch ptötsliehes Ueberspringen Ton
einen Extrem zum andern kein Zeugnifs tou Geistes-
gesuadheit und Charaktecstärke abgebe.*^ Selbst die
aUgomeine Erscheinung, daf^ der damalige Liberalis-
siu's die meisten seiner Anhänger in das Gegentheil
trieb, kann Hr. Dr. Schulz sich nicht anders erklären,
^ala dafs diese, „nachdem es ihnen mit dem Griffe nach
der weltlichen Gewalt nicht hat gelingen wollen, nun
Teraacbten, ob sie etwa in geistlichen Dingen einige
Herrschaft in die Hand bekommen könnten,** als ob
dieser Umschwung iioh nicht hinreichend aus der Leere
jräes Libwaliamns, die nun in ihr Gegentheil, in star-
tee Festhalten des Positiven umscblagen^mufste, erklä-
ven lieTse. Und will toian eininai durchaus, aus jenem
Ueberspringen von einem Extrem zum andern einen
SchluTs anf die IndwUkuUUat ziehen, so könnte es
wolx so geschehen, dafs die fuantiiaiive, also gleich-
gfillige BeUimmikBÜ der Energie in Betracht käme
wnd da würde jener Uebergang nur für einen hohen
-Onid der Enei^e zeugen.
Wozn kann es audi dienen, wenn Hr. Dr. Sdiulz '
e«ff die „ungewöhnlich rasche Ascensiim'* seines Geg-
»era Jn der Fakultät der Berliner Universität und dar-
wt£j dafs nicht „das Mindeste verlautbarte, wodurch
eie bezeichnet wordeb wäre** p. 90 aufmerksam macht
oad das Räthsel nur andeutend löst, wenn er p. 31
sagt, dafa sein. Gegner ,yznm Erstaunen aller Welt es
«eht T^irschmihte, den nominellen Referenten einer
Kebtaoheuen Propaganda bei dem unkundigen Haufen
PttblilnuBS abzugeben." Für den Gescbichtschrei-
r..der eine Persönlichkeit zbt schildern nuruntemeb-
BMtt kann, wenn er in ihr die lebendige Erscheinung
eines uUgemeinen Hintergrundes sieht, kann das Obige
kein Ritbsel sein, das nur so zu lösen wäre, dafs der
Herausgeber imt Kirohenzeituag ^bösartiger Anklage*
rei sam Organ, Debkmantel und Vertreter diente*' p.31.
der Berliner ewing. Kirckenxntung. 254
Ueberhanpt mufs auch hier det Rationalismus mit selr
nen Versuchen scheitern, wenn er das Aiiftreten der
Kirohenzeituag und ihres Herausgebers geschichtlich
erklären will, er müfste ja die. ungeheure Unbefangep^
beit und Sic))erbeit zugestehen, in der er zu jener Zeit
hinlebte und die jene Reaction hervorrufen mufste.
Er war Alleinherrscher und hatte sich dock mit sei- ,
nem bereits längst abgeschlossenen Sjstem überlebt,
die philosophische Richtung hatte fUr das allgemeine
Bewufstsein erst ihre Zukunft zu erleben und die mit *
dem Gefühl verbundene Kritik begann erst dch auszu-
breiten. Die Art und > Weise nun, wie die Kirchear
Zeitung anklagte, kann nicht vertheidigt werden, aber.
Aufapferutig für eine geeehiohttic/^ Coüisian mufs
man den Henoismus nennen, mit dem ihr Herausgeber
einer m sieh ffoUendeten geistigen IVelt sich entge-
genwarf und sie bis zur Vernichtung bekämpfen woll-
te. Wundert sich Hr. Dr. Schulz, dafs sein Gegner
so „rasch" gestiegen sei, so erklärt sich das hinläng^
lieh. ' Die Zeit erkannte ihren Helden, dessen sie be-
durfte, and sie . durfte nicht säumen, ihn an- den Ort
zu stellen, wo er für sQin Werk stehen mnfste,. dii
der Augenblick nicht fern war, wo eine nene Maeht -
auftreten sollte, und da deren Auftreten durch .den
letzten geschichtlichen Kampf der alten Gegensälze
fnr das allgemeine BewufBtsein vorbereitet wurde, lie-
ber seinen Gegensatz, mit dem er smfgewaehsen wai^
hatte der Rationalismus siegen können,, da« zwischen
beiden, auch fiir ihr gegenseitiges Bewufstsein zu yiel
Gemeinschaftliches war. Aber so- allein auf dem
Kampfplatze konnte ihn das wiedererwachende Selbst-
gefühl des Positiven nicht lassen, es raffte sich wi»»
der zusammen, um sich zu änfsem, und könnte es
unter den geschichtlichen Bedingungen, da ihm ein
fertiges System entgegen stand, auch nur se thun^
dafs es sich, dem eben %<> fertigen Sjstem der sym-
bolischen Lehr^ hingab< nnd mit deniselben retten woll-
te. Das war der Schaden, in dem die Kirchenzeitung
vom ersten Augenblick ihren Lebens an den Keim des
Todes trag. War sie auch hervorgerufen durch die
Zeit, so war es doch nur fiir einea Augenblick der
l^eere gesehehep, die zu viel Freude an sich selbst
erlebte, als dafs- sie nicht aus ihrem Traume vom ewi*
gen Frieden haltte gestört werden dürfen. War die
Kiichenzeitung em Resultat geschichtlicher Vermitt-
lungen^ so trug sie in sich selbst nicht den Leben»»
, >«
255 . D. ScJMzy Ms Wesen und
nm 4n$$erer Eniuiekehingj sölideni fertig, wie sie
in ihrem Systeme war^ konnte sie das Fertige der
Welt nur entgegenhalten und vas ihrem MaaCsstabe
nicht eotspraeb, nur anklagen o^er Tielmehr nur Ter>
dtaimen.
Gekämpft hat sie nun bereits genug, aber was
hat sie gewonnen) Hr. Dr. Schulz kann es ihr mit
Recht vielfach Torhalten, dafs sie es nicht einmal über
die inneren Angelegenheiten der evangelischen Kirche^
namentlich über das Unionswerk zu einer klaren Yor^
Stellung gebracht habe. Bald billigt sie das entschied
dene Festhalten am lutherischen Lehrbegriff vom Abend-
mahl und Niemand wird das tadeln, wenn man be-
denkt, dars die Union die unterschiedenen Symbole
der yereinigten Gemeinde nicht aufgehoben, sondern
nur das anerkannt hat, dafs sie* nicht mehr ein Grund
s4ien, beide Gemeinden zu trennen. Bald aber glaubt
sie die Union nnr so behaupten zu können , dafs sie
die Differenz in der Abendniahlslehre für unwichtig,
ungewifs, für blofse Theologie erklärt, die nicht zum
(glauben gehöre. Da hat Hr. Dr. Schulz eine andere
und gewifs bessere' Ansicht von der Sache, wenn er
sagt, däfs die Vereinigung der getrennten Gemeinden,
sobald sie „unter Beseitigung oder Freistellung unwe-
sentlicher Lehnneinungen'* gesch^en sei, auch „eine
wirkliehe Fortschreitung zu einem höheren Stand-
punkte'' aein müsse, und da hat er auch das Redit
bekommen zu fragen, warum dbnn die anderen Dog-
men nicht auch blofse Meinungen sein sollen.
Sie sollen es aber auch sein und sie sind nichts
Allgemeines, das zu sagen hat die Kircfaenzeitung über
sich bringen können, wenn sie ausruft: kommt und
verwerft eure particulftren Symbole I Wenn sie so
spricht^ die sonst immer die Verpflichtung auf die Sym-
bole und das nttverbrächliche Festbalten an denselben .
forderte, die sonst alles Heil an das Bestehen , der
Symbole knüpfte, was können wir in^ ihrer Aussage
denn Anderes sehen als das Geständnifs, dab sie
vergebens gearbeitet habe, was anderes als den Aue»
ruf der Verzweiflung, die der gewaltsamen Anspan-
nung folgen mufs. Dieselbe Kjrchenzeitnng, die sonst
aagty die evangelische Kirche habe qnit den Raliona-
liaten nichts gemein, begiebt sich in den Kreis des
verabscheuten Rationalismus und sie gewährt Hrn. Dr«
Sohnlz die Mittel, ihr die Anflösui^ ihres Werkes in
der Berhn&r evang^ KirehenMekung^
emem unheilbaren Widerspnicli naohzawetsen» Den»
sie ist nicht im Stande, den Widersprach wirklich sn
lösen. Wie es bei ihr nnr eine kühne, wenn suich
lange Zeit mit krampfhafter Festigkeit aufrecht erbak
tene Behauptung war, dais das kirchUche Symbol gslr
ten müsse,' so ist es auch nur eine Behauptung^ dafr
. die Symbole ^als Menschen^erk" au betrachten aeicai
Wer beide Sätie zusammenbringen will^ behält diign
weder Math noch Zeit übrig, die freie Forschung; at
yerdammen. Nicht Mutti, denn wer wirklich ilanutf
emgdit, die symbolischen Schriften als ein Seeutule
res geeehiehtlie^s Produety „als Menschenweyrk'*
einer Kritik zu unterwerfen, wird den Feind, den er
draurseu bekämpft, lebhaft genug in sich empfinden.
Aber jene beiden Sätze durchdringen sich im Bewaist-
sein der Kirchenzeitung nicht und werden nicht
schieden zu einander in Beziehung gesetat. Der
dafs die symbolischen Schriften gelten mfissen,
zu unbeweglich ftir sich fest, der andere^ dafs sio M(
schenwerk seien, ist nur der Schein grofsmttthiger Lät
beralität, die. sich sogleich wiedef verläugnen wtode^
wenn sie ernst genommen, oder zur wirklichen Tkm$
gebracht werden sollte. Das beifst über nur^ jener
erste Satz, der auch txit eine Behauptung ist, fiiUt
sich nicht so stark, dafs er sich in die gefahrdrohüpda
Nadibarschaft mit dem zweiten bringen liefse.
Das bleibt aber: Hr. Dr. Schulz kann es ata A»
erkennung seines Standpunktes betrachten, wenn nein
Gregner fiLr einen Augenblick auch nur die scheinbaiw
Miene macht, die symbolischen Schriften als Mmaehc»*
werk antusehen. Begiebt sich die Kirchenzeitnng in
das Gebiet ihres Gegners, so zeigt ea sich leicht, d«fii
anch dieser gerade, indem er sie bekämpfen will, ihre
Grundsätze zu den seinigen macht. Sie will^ dafs die
symbolischen Büeher gelten sollen^ weil sie geltess
weil sie Autorität sind. Man sollte meinen, Hr« Di^
Schulz würde nun, wenn er beweisen will, dafs
nicht gelten können, zuerst die Berechtigung der
torität bezweifeln und angjreifeiL Er yeriuoht es
wenn er sagt, „die Erbsünden- und Erlösnngslehre
nur Willktthrlehre (p.107), in den ältesten christlicheB
Jahrhunderten'* sei von ihr nirgends die Rede, sie nei
in keiner der ältesten Bekenntnifäfonnfliln der Kirake
mit einem Worte erwähnt und. der orientidischen Kir-
che sei sie zu allen Zeiten fremd geblieben'' p. 12IL
(Der BeschlniSi folgt)
wissen
Jahrbücher
für
8chaft liehe
Kritik
• I
August 1839.
JDiM Weuen und Treiben der Berliner erernffe-
lüehen Kirchenzeitung^ beleuchtet von David
Bchufzl
(Schlnffl.)
Nim, da vird ja die Autorität, wenn sie an einem
Punkte bestritten i»% doch wieder anerkannt^^ -vetin
AMsh nur an einem anderen Punkte \ aber Autorität
Uttbt Aaterität und die Zeit nur wird {geändert. Voll-
kommen identisch endlich werden beide feindliche Sei-
leo) wenn Hr. Dr. Schuk gegen jene „Willkührlehren"
einwendet, dafs die 'Frage über den Ursprung des B5-
•en wohl nie Ton einem Sterblichen zu lösen sei p. 109,
mid wenn er „snletzt' fragt p. 133: „wohin soll denn
das erfolglose Streiten über unerfQr$ehliohe Dinge
Inluren and wosu soll es dienen}" Ja wohl, in der Art
ist es wirklich erfolglos und woxn es dienen soll, wer-
den wir sogleich sehen. Erfolglos ist esi, weil beide
Smien im Nichtwissen Eins sind und wohin es führt,
ist swar für beide Seiten Tersohieden, aber in der That
fär die l^acbe gleichgilltig. Das Nichtwissen fährt den
cinea nun Symbol, den andern wendet es davon ab;
aber weil das Eine wie das Andre gleich sehr d. h.
mit dem gleichen Mangel ebjectiver Bestimmongen im
Nichtwissen be(|pröndet ist, so hängt die Entscheidung
finr beides von gleich zufälligen Anlässen, von der all-
gemeiaen Stimmung der Individualität oder von Le-
kenserfahmngen ab, in denen ohnehin jeder auch nur
aein mehr oder weniger ausgedehntes Ich erfährt.
Wellte nur jede der beiden Seiten die Kraft der
smdeni in sich aufnehmen, so wurde der Streit mehr
Erfolg haben« So aber theilen sie sich nur ihre Sohwä-
ehen mit ond sogar ohne zu wissen^ wie jede dadurch
ihre Mgeae Stärke in* Gefahr bringt.
Weza der Streit dient I Um eine Aufgabe aufrecht
za erhalten, die gegenwärtig mit dem Ernst und der
Gotschiedenheit, die ihre Lösung fordert, i^och nicht
Ukrh. /. wUuiüch. Kritik. J. 1839. II. Bd.
behandelt werden kann und noch nicht das Bedürfeifs
ihrer Lösung im allgemeinen Bewufstsein erweckt hat.
Es ist die Aufgabe, die bisherigen kirchlichen Symbole
und die Fortschritte des neueren Selbstbewufstseins mit
fliren Ansprächen und Forderungen gründlich ausein-
anderzusetzen. Die Gegensätze, die bisher sich über
das Symbol gestritten haben, können die Sache nicht
zum AbscUufs bringen, da die eine Seite das Negative
der andren sich nicht wirklich aneignet und es zur in-
neren Kritik umbildet, und die andre den Gehalt von
jener gar nicht anerkennt, also eigentlich auch nicht für
werth achten kann, ihn einer inneren Kritik zu unter-
werfen. Jene Gegensätze sind nur ein elementariecher
Procefa^ der die Spannung des Ganzen erhält, und die
Fruchtbarkeit des Bodens bedingt, aber nicht die orga-
nische Zeugungskraft selbst besitzt.
Streitet nur in^merfort I „Endlos," wie Hr. Dr.
Schulz p. 133 fürchtet, ist der Zwist nicht Hat die
Gegenwart in den biblischen Untersuchungen sich über
euch erhoben, hat sie dem eioien Theil von euch den
Inhalt entzogen, dem andren das äufsre Instrument der
Prüfung genommen, und es zur Innern Kritik umge«
schaffen, so wird es auch nicht mehr lange dauern,
dafs dasselbe in Betreff dm symbolischen Frage ge-
schehen wird.^ Ihr l^önnt euch gegenseitig nicht scha^
den, aber ihr dient dem Ganzen, wenn ihr ihm die wei-
tere Aufgabe erhaltet*
Merkwürdig ist es noch, wie beide Seiten sich zum
philosophischen Denken stellen. Nur einmal spricht
sich Hr. Dr. Schulz darüber aus: „nachdem der Haupt-
anschlag gegen die halliscben Theologen mifslungen,'*
sagt er p. 21, habe die Kirchenzeitung „kaum noch
gewufst, womit sie ihre Hefte vollmachen sollte."
„Denn was für Stoffe haben sie seitdem nicht in bun-
tester Mischung aus weiter Ferne Aerbeige%errt.^* „Die
Cholera z. B., das Hambacher Fest, das junge Deutsch-
land, die Hegeische Philosophie, Akens Menagerie."
33
259 ^ WüOer, LeArtmfA
p.22. Köstlich r Die Nachbarschaft ist herrlich I Nicht
die Nachbarschaft^ in iwelche die Kircheozeitaitg der-
gleichen stellt — denn ganz in der Art würfelt sie das
Heterogene nicht znsaouneii — sondern die^mchbar-
^chaft, in welcher Hr. Dr. Schob die Hegeische Phi-
losophie unter Dingen aufzählt, die für eine kirchliche
Zeitung fremd und gleichgültig sein müfsten und nur
mit Gewalt ,,jberbeigezerrt*\ werden könnten. Es sieht
fast so aas, als ob Hr. Dr. Schals es nicht fUr recht
halte 9 dafs eine Zeitung, die sich eigentlich nur mit
dem Rationalismus beschäftigen sollte, ihre Aufmerk-
samkeit auch einmal auf einen fremden Punkt, wie die
Hegeische Philosophie^ richte. Nunl Da steht dieKir-
ohenaeitnng doch etwas höher. Verstieg sie sieh aucA
viel zu weit^ wenn sie auch da^ philosopische Denken
in den Kreis ihrer Polemik xu ziehen suchte ^ so er^
kennt sie doch die Bedeutung desselben für die Ge*
gcinwart und für das kirchliche Bewurstsein an ; aber
sie meint nicht, dafs es für dasselbe gleichgültig sei»
B. Bauer^ Lic.
XV.
Lehrbuch der Mathematik für Gymnasien und
JRealschulen^ nebst vielen üebungsaufgaben
und Eacursen; von J. H. T. Müller^ Direc-
tor dei RealgjfmnMiums zu Ootha. Erbtet
Theüy die gesammie Arithmetik enthmltend*
Halley 1838. Verlag der Buchhandlung des
Waisenhauses. , ' ]
Obgleich sich in diesem Buche ebige nicht unbe-
deutende Mängel nachweisen lassen» so erhebt es sich
im Ganzen doch entschieden über den Rang eines ge-
wöhnlichen algebraischen Compendimns, Deshalb ent-
schlofs sich Ref. nicht ungern, in Folge erhaltener
Aufforderung, in den Jahrbüchern für wiss. Kr. einen
kurzien Bericht darüber zu erstatten. Bei ziemlich be-
trächtBdiem Umfange (35 Bogen) überschreitet das
Werk, namentlich in den Anhängen semer Abschnitte,
nm Vieler die gegenwärtigen Grenaen des. Gjmnasial-
Unterrichtes ; auch will der Vf. die Anhänge in der
Regel nicht für diesen, sondern zum Privatstudium be-
nutzt wissen; es macht aber eme wesentliche Bigen-
thümlichkeit und einen bedeutenden Vorzog des Buches
aus, dafs jene Uebersohrmtang weniger in der Anzahl
4er Mathemaiik.
der zur Sprache gebrachten Hauptgegenständh hi^
als in der umfassenden, oft nicht gewöhnliche Bäht
rang gewährenden Weise, nach welcher jeder eiDsehi
behandelt wird. Durch die^e Eigenschaft) flbetwieyij
Terbunden mit Klarheit und einer gewifs grdblenthBii
im Unterrichte selbst geprüften Planmäfsigkeit der Dv-
Stellung, welche sichtbar darauf hifizielt^ den Leier
beständig zum Zurückgehen auf das VoraJogegaDgaa
SU nöthigen, überhaupt Erinnerung oiid AnichsDUf
des bereits Gewonnehen immer lebendig zu Mhalte%^
durch diese Eigenschaften vermag daa Buch in bsdn-
tendem Grade bildend und anregend zu wirkea» nd
■ *
in seinen Lesern das Interesse des Denkens und F«^
sch^ns zu wecken, von welchem es seihst ausgegaopi
zu sein sich offenbar ankündigt.
Zu dem Inhalte des Buches ^hergehend, wirdM
sich bemühen-, das Dasein der hiermit angedtaWn
Vorzüge nachzuweisen, in so weit solches mdgCeh ii^
ohne jeden Abschnitt mit allen seinen Anhäagen pm
zergliedert darzulegen -^ wozu sich Ret nicht. soU*
achig machen kann. Was aber die MUngel aagsli^ m
ist es bei einem Buche von der Bedeptuag des.?»
liegenden n5thig, ihrer genau und mit gehötqfsr B»*
gründung des Urtheils zu erwähnen»
Die Einleitung fafst sich, in Betreff aligesMMr
Definitionen, mit vollem Rechte kurz. Die Mathemti
kann nicht mit philosophischen Speovlatiooen hflga*
neu ; sie stützt sich auf entschieden vorhandene JU*
scl^anungen, und ihre ersten Definitionen haben Mtf
diese auszusprechen. Eine solche einfache AnscbiioiV
bezeichnen die Worte gleich und ungleich ; diese «M
aber durch die hier, wie auch in anderen BücbetH) ke^
liebte Erklärung nicht ausgesprochen, sondern ventas*
kelt. . Sie heifst: „Gleichartige Grdfaeft nernit smb
gleich, wenn sich die eine statt der anderen tetMD
läfst." Umgekehrt stellt man sonst, und richtiger, te
Grundsatz auf: Gleiche Gröfsen laaseu/ sich überall fif
einander setzen, nämlich ohne etwas an ändern. Di^
ser Grundsatz nützt zu etwas, er spricht em weseotfi-
ehes Element der mathematischen Methode antt ta
Prinzip der Suistitution. Obige Definjtioii hiog^
kann schon wegen des mangelnden Beisatwa iKhert»
angefochten werden ; in vielen Fällen lassen steh i<
auch ungleiche Grofsen für einander setzen, ohne d*
was zu ändern. Denkt man sich dieee Lücke ergisst^
so bleibt es' doch nnriehtig , die eiafaohe klare Vo^
«tdloDy der OleieU^ü znrttekfiihreii sn vollen auf
die imklero einer V^rtmuMehbark^ m mlün FäUetiy
Ar welebe doeh, wieder iigeiid eb Merkmal inüfste an*'
f;egeben werdeo» Glriebheit ist Tielmehr nur Einerlei* .
Iisit, IdentitAt; swei gleiebe Zahlen sind nur dieselbe
mederliolt geaetste Zahl $ zwei , Linien sind gleich,
«enn sie sieh deckend auf einander legen lassen, so
dafs nie dann nnr eme Länie bilden; n. s. f.'
In den beiden ersten Abschnitten behandelt der
Verf. die tier ersten Speoies sunäobst in ganzen, dann
in gebroehenen Zahlen, — ^ nicht, wie in einem Rechen-
bnebe, in nnmerischen Beispielen, welche den GetNraach
irgend eines bestimmten Zahlensj^tems yoranssetzen,
wetron hier noch gar nicht die Rede sein kann, — son*
dem anf die gehörige allgemeine, Ton fremdartiger
Znthat reine Weise. Die Grundbegriffe jener Opera*
tionea werden znnttchst für ganze Zahlen aufgestellt;
dann auf die Bräche, als eine neue Art von Zahlen,
deroi Einffihmng sich im Fortgange als nothwendig
erweist, ausgedehnt« Ein Anhang über die Bildung
Yon duadrattafehi und deren Benutzung zur Mnltipll-
cation zweier Zahlen mit einander, ist eine zweckmä-
ßige Zugabe^ noch lehrreicher geworden durch An-
gabe der Formel, nach welcher Tafeln der dritten Po-
lenzeB gebraudit werden müfsten, am aus ihnen unmit-
telbar das Product ans drei Zahlen durch blofse Addi«
lioo und Sabtraction zu fioden. In solchen Zusätzen*
arigt sieh am augenfälligsten das durchgängige Stre*
bea des Yerfs* nach Vollständigkeit; Ref. wird freilich
hl der «Folge durch die* Absicht, seinen Bericht abzn-
kfirzeo, oft genöthigt sein, Hinweisnngen dieser Art z'a
aaterdrttcken, und bemerkt hier nur noch im Ailgemei-
BOD^ dafs eben die Aufnahme so vieler sonst als Ne-
bendinge behandelter Sachen die im Eingänge gerühmte
wohlbedachte Anordnung um so ndtbiger, aber auch
inn so scbwieriger machte.
Im dritten Abschuift wird die Lehre von den in*
eammeasurabeln Gr^fsen und Verhältnissen mit befrie-
digender Strenge behandelt: die Einfifibrung eines all-
gemeinen Satzes, der übrigens schon von Anderen ge-
braaobt wordea ist, beseitigt hier die sonst gewöbnii-
ahe AnhänfiBag von indirecten Beweisen, Nur hätte
mch — meint Ref. — dieser Satz (Seite 68 Artikel 36;)
noch klarer aussprechen lassen; auch heifst es in der
Aussage desselben mit Unrecht „zusammengehörige
StUeJke zweier Arten von^ veränderlichen Oröfsen;'^
der Mathematik. . 2ffil
besser: zusammengehörige fFierihe. ~ AnfsjBr den
geometrischi^n findet man auch die sogenannten bar»
monisehea Proportionen in angemessener Kürze behan-
delt. Gegen den Anhang A. lassen sich aber Ei;iwen-
dungen erheben. Die Andeutung zum Beweise ' des
Satzes „die Summe emer irrationalen und einer ratio*
naIenZahl ist irrational'* (Seite ,76 unter 2.)« verlangt
dafs man zeige, dafs jene Summe stets zwiscben zwei
rationale Grenzen fällt, die einander beliebig nahe ge*
bracht werden k6onen. Dieser Beweis fuhrt aber zu
nichts, weil sich zwischen je zwei rationale beliebig
genäherte Grenzen immer wieder rationale Zahlen ein-
schieben lassen; auch folgt die iUchtlgkeit des aufj^»'
stellten Satzes ohne Weiteres ans der unmittelbar ein«
leuchtenden Unmöglichkeit des Entgegengesetzten. Noch
fibler steht es mit dem Satze unter b. „die Summe
zweier Irrationalzahlen ist irrational.'* Dieser ist un«
richtig, denn z. B. die Summe von 1/2 und 3-*|/2,
— und das sind doch zwei irrationale Zahlen -^ ist
rational.
Der vierte Abschnitt handelt von den vier ersten
Operationen mit Aggregaten^ hierbei kommt der Verf.
auf die Lehre von den positiven und negativen Grö»
fsen, die aber etne schwache Seite des Buches aus*
macht. Um dies zu zeigen, mufs auf die* gleich im
Anfange aufgestellte Erklärung der Subtraction zurück-
gegangen werden. Dort heifst es (S. 7): ,>Der Unter-
schied zweier Zahlen ist die Zahl, welche man zur
zweiten .addiren mufs, um die erste zu erhalten." Ab-
gesehen vion der mifslichen Unbestimmtheit .der Aus-
drücke: erste und zweite Zahl, setzt die I>efinition
offenbar den Blinuendus gröfser als den Subtrahendui
voraus ; in einem anderen Falle bietet sie, weil eben
der Begriff negatirer Grdfsen noch nicht vorhanden
ist, keiiie'n klaren Sinn dar. Nun wird aber S. 92, und
ohne inzwischen jene Voraussetzung anderweitig he*
seitigt zu haben, eine negative Zahl definirt als „Üur
terscbied zwischen Null and irgend einer Zatil,'^ so
dafs — 0 so viel bedeuten soll als 0 — 0. Man weifs
aber gar nicht, was 0 — 0 heifst, oder welche ZaU
sa a addirt v^erden soll, um die Summe Null zu erhak
ten. Auf diese Art hat man das Negative nicht auf
rechtem Wege eingeführt, sondern verstohlnerweise
einschleichen lasseo, um es hernach zu bfauchen. —
Zweckmäfsig istj dafs überall nicht blofs die Gleich-
heit, sondern auch die Ungleichheit, überhaupt also die
263
MMM^ Lehrbuch der Mathematik.
Verglachutig der GfSfaen zum Gegei^staod der Un*
tersuobunff^ gemacht wird. So * gsBchah es früher
bei den Verhältnisse)!, so hier bei der Lehre von den
pil&itiven und negativen Zahlen« — Ein Anhang £e-
trifft die Zerlegung der Aggregate in Factoren, wb
einige (Inbequemlichkeit für den Vortrag dadurch ent-
steht, dafs der Verf. die Ausdrücke ganze und ge*
broehne Faotoren nicht anwendet, sondern durch Um-
achreibiingen ersetzt (S. 135, Art. 249.). Zu einer Be-
merkung des wesentlichen Inhalts, dafs ein Aggregat
nur eine letzte Zerlegung in rationale ganze Factoren
Buläfst, wenn es 'überhaupt in solche zerlegbar ist, —
wird hinzugefügt (S. 136), der strenge Beweis dieses^
Satzes könne erst spater folgen, nachdemgezeigt wor-
den, dafs jede ganze Z«hl sich nur auf eine Weise in
Primzahlen zerlegen lasse. Ref. begreift nicht, wie
dies faierher gehört. Dafs a^ — b^ sich iit#rin (a + ^)
(ff — ^) auflösen läfst, hat mit der Theorie der Prim-
zahlen nichts gemein, und wird ohne diese bewiesen.
Es herrscht wohl zwischen der algebraischen Zerle-
gung der Polynome und der arithmetischen der Zah-
len in einfache Factoren eiqe gewisse Analogie, die
aber hier unrichtig angewendet worden ist und' über-
haupt innerhalb der Elemente eher abgewehrt als zu-
gelassen zu werden verdient. Uebrigens werden über
die Hülfsmittel bei der Zerlegung in Factoren einige
gute Bemerkuogen gemacht, denen auch passende Bei-
•piele folgen ; im Ganzen aber könnte man wünschen,
diese Aufgabe mehr mit der Auflösung der Gleichun-
gen in Verbindung gebracht, und da solche^ an dieser
Stelle nicht anging, an einer anderen aufgenommen zu
«eben. Doch mufs zugestanden werden, dafs die Zer- .
legung in Factoren, blofs durch Versuche, ohne ander-
weitige Hülfsmittel, eine vortreffliche Uebung gewährt,
wenn die Beispiele den Kräften des Schülers angemes-
«en gewählt werden. Offenbar hat das Bedürfnifs die-
ser Uebuhg, und nicht der Zweck auf den Grund der
Saefae zu g^hen, hier dem Verf. vorgeschwebt; da-
duroti erscheint eine Anordnung vollkommen gerecht-
fertigt, gegen die sich etwas einwenden liefs aus dem
retnwisBenscfaaftliohen Gesichtspuncte , welcher aber
dem Bedüffiifsse des Unterrichtes nicht ausschliefsUch
genügen kann, veil der Schüler durch diesen erst zu
jenem herangebildet werden mufs. —
Ref. benutzt die hier gebotene Gelegeiiheft) änCB
Wunsch auszusprechen, den auch dieses Back leider
unbefriedigt läfst, näoilrch dafs die Lehre von der Zer-
legung algebraischer Brüche endlich . in die Lehrbö-
ober der Algebra aufgenommen und somit die, HoffDOii^
begründet werde, sie künftig aus detiLehrbüehem der
Integral-Rechnung verbannt zu sehen. 'Unter den A»-
hängen zum vie/ten Abschnitt dieses Buches behandelt
einer die Aggregate von Quotienten, also die Addifies
algebraischer Brüche ; an diese konnte die umgekehrte
Aufgabe, welche durch den Nameüs Zerlegung^ alge*
braischer Brüche für Kundige genügend bezeidmet
wird, leicht angeknüpft werden. Hierbei waren die
Factoren des Nenners ald gegeben anzusehen, damit
das bei Anwendungen allerdings oft faervortreteade,
der Aufgabe selbst aber fremdartige Bedjirfiiirs der
Auflösung von Gleichungen nicht f^intrat. Diese Zer-
legung ist eine wichtige Transformation,' auf vrelcke
zwar das Bedürfnifs der Integral-Rechnung zuerst ge-
führt hat, die aber auch in der Algebra weseotlicbe
Anwendungen findet, und ihr um so mehr ausschliefa-
lich angehört, als auch ihre Herleitung durchaus der
Differential« Rechnung nicht bedarf, wenn gleich diese
früher dazu gebraucht worden ist^
Im fünften Abschnitt gelangt der Verf. unter an-
deren auch dahin, wo der Elemeotar-Unterricht auzn-
fangen pflegt, nämlich zum Numeriren ; es wird abte
hier, wie sich versteht, eben so wohl gezeigt, wie dja-
discb oder dodckadisch« als wie dekadisch zu nuoieti-
ren ist. - Die Ueberschrift giebt am besten den Inhalt
des Absehnittes an; siebeifst: „Von den vier Grund-
operationen mit Zahlen, welche durch ein bestimmtes
Zahlensystem ausgedrückt werden.'' Besonders erwäh*
nenswerth ist die sorgfältige Bestimmung von Gren-
zen für die aus Vemacbläfsigung entfernter Decimal-
stellen entspringenden Rcchnungsfehler. Auch findet
man hier Fourier's sinnreiche Regel der geordiieten
Division, welche bei Divisionen mit grofsen Zahlen ge-
braucht werden ;kann, um durch möglichst sparsanhe'
Rechnung, die dem gewöhnlichen Verfahren keineswe»
ges eigen ist, den Quotienten gerade bis auf so viele
völlig zuverläfsige Decimalstellen zu erhalten,- als de-
ren verlaiTgt werden.
(Der Besehliifs folgt.)
' »'•
• jr 34.
J ahrbttcher
f u. r .
w i s s e n sc h af 1 1 i c h e
Kritik.
• • • •
August 1839.
Lehrbuch der MMhematik för Oymnamn un4
Mealsehnlen^ neb$t vielen Uebung$iH(fgaben und
Escursen: von J. U. T. Müller.
(Schlafs.)
Eben 90 beschr&nkt sich der sechste Abschnitt
(AnsnehuDg der Quadrat- und Cubikwurzclo) keines-
weges auf die allgemeio bekannten Regeln, sondern
giebt auch andere weniger bekaqnte, deren Gebrauch
Tortbeilhäft nnd deren Studium für angehende Mathe-
matiker bildend ist.
Der siebente^Abscbnitt enthält die Lehre von d^n
einfadien und zusamDiengesetzten Zahlen, im Anhange
einige der höheren Arithmetik angehörige S&tze. Lei-
der entspricht hier die Darstellung der zu Gninde lie-
geadeo guten Absicht durchaus nicht, indem sie er-
hebliche Mängel darbietet. Seite 247 heifst es in der
AniDcrkiuig zu einem Satze: „der y^n EttingMhauten
m, Baumgartners Zeitschrift für Physik und Mathe-
matik gegebene Beweis scheint nicht scharf genug zu'
sein.*' Nach einem Grunde dieses Scheinens sieht man*
sich Tergebens um ; in deni Beweise selbst hat ibp Ref.
nicht entdecken können ^ findet vielmehr diesen ganz
befriedigend. Hingegen scheint in der Tbat der hier
gewählte Beweis nicht scharf g^nug zu sein^ und zwar
ai^ folgenden Gründen : Erstens weil nicht naohgewie»
San, ist, wie die Induction, mit welcher der Beweis au-
ffingt, zur Allgemeinheit erhoben und namentlich die
Endformel in ihrer einfachsten Gestalt ganz allgemein
edaogt werden kann; zweitens aber bietet auch die
ladnction selbst erheblichen Anstofs dar, indem behaup-
tet wird, die Menge der Zahlen zwischen 1 und P, wel-
che durch abj ae^ ie tbeilbar sind, betragen P^^ +
/»^^ .*. P^^ — P^l,^. (Das ZeiqbeQ P^ bisdentet die
in dem Quotienten S- enthaltene ganze Zahl, oder
Jal^b, f. wUiMich. Kritik, J. 1830. II. ßä.
auch hier diesen Quotienten selbst, weil P durch a,
6^ Cf 0 . theilbar angenommen ist.) Zum Beweise wird
auf das Vorangegangene verwiesen ; Ref. hat aber diesen
Zusammenhang nicht begreifen können. Im Gegehtheil
ist die Behauptung unrichtig; denn die Menge der durch
aby ac und bc theilbaren Zahlen, unter denen von
1 bis.P, beträgt P^^ + P^^ + ^Ac-2.-Pa*c3 ^eU
effenbar in der Summe der drei ersten Glieder dieses
Ausdruckes die durch abc theilbaren Zahlen dreimal
gerechnet sind.. Nach der obigen Formel des Verfs.
betrüge die Menge der durch eine der Zahlen 6, 10, 15
theilbaren Zahlen von 1 bis 30, ^ + f? -H J^ — Jg
«8 9; IßB sind ihrer aber nur 8.* Hieraus erhellet ge-
^ nngsam, dafs die Inductidn fehlerhaft ist ; bei der Ver-
besserung will Ref* nicht verweilen. — Sehr unpas-
send ist der vom Verf. gebrauchte Ausdruck „nicht
quadratischer Rest" anstatt des gewöhnlichen : ^uadroj
tucher Nichtre%t (S. 249) ; ja man könnte aus den
\yorten ,Je nachdem der Divisions-Rest ven
a
P
em
Nichtquadrat oder ein Quadrat ist'* auf ein zn Grunde
liegendes Mifsverstüdnirs schliefsen. Denn da nach
der Natur der Sache hier allemal o kleiner als p an-
genommen werden darf, * so ist a selbst der* Divisions-
Rest, nnd mitbin käme es nach dem Verf. darauf an,
ob a ein Quadrat wäre oder nicht. Dies ist aber un-
richtig und soll vielmehr heifsen^ ob a quadratischer
Rest oder Nichtrest von p ist. Man nennt nämlich
eine Zahl a quadratischen Rost in Bezug auf eine an-
dere p^ oder kürzer : von p^ wenn sich ein Vielfaches
von p finden läfst, welches zu a addirt, eine Qmidrat-
zahl ausmacht; so ist, z. B. 3 quadratischer Rest von
11^ weil 2 « II + 3 das Quadrat von 5 ist. Hingegen
ist 6 quadratischer N'ichtrest von 11," weil man leicht
beweiset, dafs niemals ein Vielfaches von 11, vermehrt
um^, ein Quadrat ausmachen kann, oder dafs keine
34
N.
1/
267 ' Mällery Lehrhieh
Qiiadratauihl, durch 11 dividirt, den Rest 6 jassea kano.
D^b^rhaopt theilen sich djie Zahleo von 1 bis 10^ in
Bezug auf den Modul 11, in die beiden Gruppen 1, %
4^ 5, » und 2i 6^^ 7, 9, 10 \ jene enthält die ^adiati-
aablen Roste, diese die quadratischen Nichtresta von 11.
Nach der Ausdrucksweise des Vcrfs. hätte man aber
unter quadratischen Resten blos die Quadrate 1,' 4, 9
SU verstehen; die übrigen' jener Zahlen sind freilich
^i^btquadrale" und in so fem sie als Divisionareste
angesehen werden, unmittelbar auch „nichtquadratische
Reste;'* aber solche EiDtheiluog in Quadrate und Nicht-
quadrate würde hier ganz verkehrt sein.
Der Anhang E. zum siebenten Abschnitt betrifft .
die ,,Aafsuchung des gröfsten gemeinsamen Theilers
zweier Polynome/' also eine rejn algebraische Auf-
gabe, die Ref. nicht in die Mitte arühmetücher Un-
tersuehangen versetzt zu ^hen gewünscht hätte. Of-
fenbar hat sich der V£ durch die schon oben erwähnt«
Analogie zwischen der Theorie der Polynome und der
Zahlen leiten lassen $ auch bedient er sich hier man*
'eher Ausdrücke, die nur auf Zahlen, nicht anf Poly-
nome passen. Denn genan gesprochen, wird ja hier
nicht der „grofste" gemeinsame Thetler zweieir Poly-
nome gesucht , sondern der höchste , d. h. der tom
höchsten Grade unter allen vorhandenen. Wenigsten«
hätte doch gesagt werden müssen, dafs der Ausdruck
grqfser hier nioht dem Zahlenwerthe^ sondern ledig-
lich dem Grad« des Polynoms gilt. S. 257 heifst es:
„Wä«e A^ > A^ anstatt: A^ von höherem Grade
als A^^ denn die A sind Polynome. Von Faotoren,'
welche gegen ein Polynom „relative Primzahlen'* sind,
(S. 261 Z. 1 V. o. und 256 Z. 12 v. u.> kann nicht
luglich die Rede sein, sondern nur von solchen, die
mit jenem keinen gemeinsamen Theiler haben ; zu knr-.
zer Bezeichnung dieses Verhältnisses mag dann irgend
ein Ausdruck gewählt werden, der aber nicht schon
eine andere mit dieser unvei^rägliche Bedeutung ha-
ben darf. Was übrigens jene Analogie zwischen der
Theorie der Polynome und der Zahlen betrifft, so kann
sie vielleicht noch zu bedeutenden Dntersnchungen An-
lafs geben ; ob es aber gut ist, schon Anfanger darauf
hinzuweisen, läfst sich' mit Grund bezweifeln ; gewifs
aber darf solches nur mit gehöriger Erläuterung ge-
schehen, damit auch das Verschiedenartige kenntlich
der Mßtkematik. 2CB
«US einander gehalten und nicht Anlafs cn 'falschen
Vorstellungen gegeben werde. Dafa «o/lr^«' bei Abfas-
sung des Buches wrirklich obgewaltet haben, zeigt nicht
aUein die schon oben erwähnte, im vierten Abachnitl^
9l 136 befindlich« unrichtige Bemerkung, aondam auch
hoch entschiedener die Aufstellung eines völlig inthiini-
lichen Satzes im 15ten Abschnitt (untelr 23.), von wel-
cher später die Rede sein wird.
Sehr ausführlich ist die Lehr« von den periodischen
Decimalbrüchen behandelt ; fast za sehr, da da« Ganze
doch nur eine * besondere Anwendvng der Potenzen*!!^
ste ist, und nur ans diesen gehörig verstaaden ytmtdm
kann. Etwas gröfsere Allgenieinheii wäre hier wtkSt za-
läfsig und selbst der Klarheit förderlich gewesen. So
hätte z. B. der unter 56. (S. 264) aufgestellte Satz
allgemeiner ausgedrückt und zugleich kürzer bewiese«
werden können. Denn wenn Jlf und iV relative Prii«-
zahlen, und 6^ e die kleinsten Zahlen sind^ die für eni
gegebenes a (im Buche ist dieses 10) beziehungsweise
geben : a^ = Ij med. M und a^ = 1, med. ^j so
folgt fast augenblicklich, daf« das kleinste gememsnnie
Vielfache von i und e eine, und zwar die kleinstSi
der Zahlen ist, welche für 'x gesetzt, der Congruenz
«^ = 1, mod. MN^ Genüge leisten« Dies int aber
wesentlich der dortige Satz. Der Yerfasser liedicnt
sich übrigens des von Ooums eingeführten Zeichens =
(gelesen: congrucfnt) nicht, sondern führt eine
andre Sprech- und Schreibweis« ein; Ref« würde jed*
falls Uebereinstimmuttg der Zeichen mit dteen andercf
Efohriften vorgezogen haben.
Der achte Abschnitt enthftlt die allgeneitfe TImo»
rie der Potenzen, Wurzeln und Logfupithmen; der neun!«
die Gleichungen des ersten Grades, im Aahanjj^ di«
Crom^rsche Regel zur unmittelbaren Bestimmung T«n
n Gröfsen aus eben so vielen GfeicEungew ersten Gm»
des. Im sehnten Abschnitt folgt die Theone der
dratischen Gleichungen, wo der Yerf., nach seiii^
das aligemein bekannte durch werthvotte Zugehen ^we^
niger bekannten Inhalts zu würzen, auch die Fe — ^ —
sehe Methode zur Auflösung quadratischer
gen, vermittelst der schon erwähnten geordneten Di'
sion, mittheilt und weiter entwickelt* •. Ja dem Anli
über die imaginären Ausdrücke wird/ä^ 376 die F
mel (cos. 9 -f- s sin. f/ »■ cos.r9 + i «in» r^
MUllery LekrhHth der Mathematik.
fiir gebrocluie ExponenttD gültig erklärt ; besser stände
d»ch auf der reehteo Seite 2 it n + ^ statt (^, um die
VMdttitigkeit aogleieb uzweigeB, die übrigens Jiaeb-
her, bd Auflösung der zweigliedrigen Gleichmigen, zur
ßprache gebracht wird. Im llteu Abschnitt folgt eine
sehr sorgfaltig bearbeitete uad überhaupt empfehlens-
werthe Theorie der KettenbrUche« Die unabhängige
combinatorisdie Darstelhiog des iftea Näherungswe^
tkes ist für sich von Interesse; aber für den Ge-
bfauch steht sie des Sttccesaiven Bereehnang weit
nach, obgleich die Vorrede das (Segentheil andeutet*
An cfiesen sich passend anachliefsend, behandelt, der
folgende Abschnitt die unbestimmten Gleichungen er-
sten Grades.
Der dreizehnte Abschnitt enthält die Theorie der
Reihen. Die der arithmetischen« ron aUen Ordmm-
gen, ist recht gut behandeh; weniger die Binomial-
Reihe, deren Herleitung aus dem Journal for reine
und angewandte JMtathematik - entlehnt ist. Dieselbe
seigt aber nur, dafs (1 + xy gleich ist der Summe
der ersten n Glieder der bekannten Reihe 1 -f- ^;r
(welche Summe wir & nemen
"L^^^x-
• •
wollen), yermehrf um einen Rest i?, fiir welchen eia
bestimmter Ausdruck angegeben wird ; also (1 -f- xy
BEB S -f- ü. Um hieraus den binomischen Lehrsatz zu
' ♦ ' ■ •
erhalten, hätte bewiesen werden müssen, daCs R mit
wachsendem n zieh der Null nähert. Den Mangel die-
ses Beweises ersetzt nicht der später folgende Be^
wris der Convergenz der binomischen Reihe; denn aus
diesem sieht man nur, dafs die Reihe überhaupt einen
Werth hat, der aber unbekannt ist. Bezeichnet man
denselben mAf[ps^^ so convergirt das obige 8 mit
wachsendem n gegen die Grenze y(^), folglich das
•b^ R fSßg/ui die Grenze (1 -f- xf — /^C^), während
wiehMhr au beweisen war, dafs R gegen Null conyer-
girt. ^ Gegen die bi^rauf folgende Herleitung der
logarithaiiscben und der exponentieUen Reihe durch
Anwendung unbestimmter CoetPicienten gelten ähnlt
clie BrinnerBiigen. Die Form der Reihe erscheint als
«ein willkürliche Voraussetzung; dafs die aus solcher
bergeleitete Reihe auch convergirt, beweist nicht,
dafs sie gegen die Grenze log. (I -i- x) oder ^ oonver-
fprt — Das Capitel T^n der Convergenz der Reihen
ist übrigens ^ariA Binfachheit uad Klarheit der Daxu
stelhmg em^efalenswerth. Unter dea Beispielen and
Aufgaben über Reiben möchte folgendes' lieber feh«»
len: „die Summe von Primzahlen ist, Venu sie eiijie
einfache arithmetische Progression bilden, immer eine
zttsasnnengesetzte Zahl, z. B. 9 + & + 7 ■■ 3 • 5/'
Kaan 0b wohl einem Schüler einfallen sicbf zu wui^
dern^ wenn eine Smnne von Primzahlen' nicht gerade
wieder eine Primzahl ist f Solfte überhaupt ein solcbef
Satz aufgestellt werden, so konnte ja allgemein von
der Summe einer arithsietischen Reibe gssoer Zaklei
die Rede sein.
Der vierzehnte Abschnitt liefert eine sehr reiche
haltige Darstellung der Combinatlonsleh^e; unter an-
deren findet sich hier eine, wie es scheint, sonst noch
nicht gemachte gute Bemerkung über eine gewisse
Art von Combinationen, die der Verf. Combinationen
ohne Folgen nennt (S. 489 unter 34.). Der Abschnitt
zerfällt in zahlreiche .(Jnterabtheiliingen, die Ref. je-
doch nicht einzeln auflPübren wiH \ er begnügt* sich im
Attgemeinen za bemerken, dafs ihm das Ganze sehr
durchdacht und wohl angeordnet erschienen ist. Eine
im Anhange unter 26. aufgestellte Aufgabe hätte voll-
ständig gelöst, werden können, was nicht geschehen
ist. Sie betrifft diie Entwickelung gewisser symmetri-
scher Piroducte, wie (— a, + a,) [ai^ — «,), (— a,
"*•<»£+ «3) («1 — »g + Ö3) (^1 -H »g — «3)5 «• ö- ^'
Der Verf. zeigt, wie die CoefKcienten der Glieder in
der Entwickelung solcher Producte sich auf combina-
torischem Wege finden lassen, und hält sein Verfahren
für neu. Es giebt aber ein leichtes Mittel, zu der all-
gemeinen Form der gesuchten Coefficienten zu gelan-
gen, worin offenbar auch die wahre Lösung der Auf-
gabe liegt. Führt man nämlich die Summe a« + a«
■*" «3 .+ • • • + ^ü ™ * ein, so erhalten obige Producte
folgende ein&ohere Gestalt: (*— 2aJ {i^Ta^ ....
(« — 20«). Um nun den Coefficienten des Gliedes
«»
««
'3
. . •
zu finden, entwickele man je-
nes Prodnct nach Potenzen von #, und diese Poten-
aen nach dem polynomischen Satze, bezeichne noch
die Sunune der Exponenten a^, a^, a, . • • a« mit
Ol, die Summe ihrer Producte zu zweien, zu dreien
n. s. f. (ohne Wiederholungen) mit ag, ffs • • • (wobei
übrigens das Zeichen o« nur der Gleichförmigkeit we-
r ■ ,
. -■• *
271 Müller^ Lehrbuch der Mathematik.
gen BD die S.t6lle seioee Wertfaea n^ gesetzt ist); 80
findet man folgenden Ausdruck jenes Coefficienten :
l . 2 • 3 . m^^ ft -— 1 • A
272
men. Derselbe heHst xnr HMfte sot ^Wenn =^i^
1-«
(•-
1 «S« 3 •• a|'* 1.2,3« • 0^ • .« ••^•2* . •*€e
oder
keine ganzen Zahlen sind, so ist «
2^cj,
s « - 1 . » nr-2.n-\M
Diese -Ldsung erfordert Hur Mittel, die der vorange-
gangene Theil des Buches darbietet; dashalh ist es
Schade, dafs. sie nicht bemerkt worden ist.
]>er letzte Abschnitt betrifft die algebraischen
fiileichnngen. Hier findet, sich leider im Anfange ein
anoh anderwärts oft yorkomniender Mangel, nämlich
JJehergehung des Beweises vom Dasein der Wurzeln,
{lach einigen nichts beufeisenden Bemerkungen heifst
0s: „demnach darf man annehmen, dafs Jede Gleichung
.wenigstens eine reelle oder imaginäre Wurzel hat.'*
Die mathematische Strenge giebt zu dieser Annahme
keine Erlaubnifs.; auch glaubt Ref > in Rücksicht auf
die beträchtlichen an dieser Stelle des Buches schon
gewonnenen Mittel, dafs der einfachste unter den hier-
her gehörigen bekannten Beweisen, nämlich der von
Cauchjfy in gehöriger Bearbeitung sich hätte aufneh-
men lassen. Weiter folgt dann aie Budansehe Me-
thode .zur numerischen Lösung der Gleichungen. Die-
ses bekanntlich auf dem Cartesiscben Satze beruhende
Yerfahcen genügt für Gleichungen, die nur reelle Wur-
zeln habenj im Allgemeinen aber läfst es Schwierig-
keiten übrig, die nur die Feuriereche Methode befrie-
digend hebt. Die Mittheilnng dieser ist aber dem Vf.,
wie aus einer Anmerkung S. 527 herTorzugehen scheint,
zu weitläufig erschienen. Ref. glaabt' nicht, tadeln zu
dürfen, dars der Vf. bei einem Gegenstande, den er
als aufserhalb der wesentlichen Grenze seines Unter-
nehmens liegend anerkennen mufste, auf die. sonst fast
durchgängig erstrebte Vollständigkeit verzichtet hat.
Von dem nooh Uebrigen mag nur das Capitel über die
allgemeine algebraische JLösung der Gleichungen drit-
ten und Tierten Grades genannt werden, dessen Ge-
genstand dem Plane . des Verfs. viel näher lag, .auch
recht befriedigend bearbeitet ist. — Noch ist Ref. ge-
zwjmgen, auf den. unter 23. (S. 622) aufgestellten,
achon oben vorläufig ejrw&hnten Satz zurückzukom-
poeitive Wurzel der Gleichung Fx = a, Toraus^eseti^
dafs alle CcfefBcienten ganze Zahlen sind.'' Die Hit-
tbeilung der andern, die. negativen Wui^eln aogeheo-
. den Hälfte des Satzes ist überflüssig. Also wenn 0
eine positive Wurzel d^r Gleichung Fx « a mit gu-
zen Coefficienten vorstellt, so i^t -7^^ ^ oder -^-^
1-^« 1+Ä
jeine ganze Zahll Das Widersinnige — so mnfs mm
sagen — dieser Behauptung springt sogleich m die
Angen, wenn man bedenkt, dafs die Wurzel o irratio*.
nal sein kann. Zum Beweis wird auf Artikel 7. Te^
wiesei^ wo der Satz steht, dafs Fx durch x-*a tbeO-
bar ist, wenn a eine Wurzel der Gleichung fx^%
vorstellt. Offenbar ist dieser Irrthum entsprungen au
einer Verwechselung zwischen dem algebraischen and
dem arithmetischen Begriffe der Theilbarkeit, zvi-
sehen dem Begriffe des ganzen Polynomes und der
ganxen Zahl. Es wurde also vorhin nicht mit Un-
recht gesagt, dafs man sich vor der erwähnten Aaitlo-
gie fast m. hüten hat. Weitere Folgerungen irerdea
übrigens, glücklicherweise, aus diesem vernieiotüdieD
, Satze nicht gezogen.
Refer. gesteht gern, dafs einige der von ibm b^
^ rührten Mängel nicht sehr erheblich siod ; von and^
Jen aber gilt dieses nicht. Hingegen enthält das
Buch auch «0 viel Gutes, ja Vorzügliches, wovon «
anderen Lehrbüchern nicht die Rede ist, dafs das be*
kannte uhi plura nitent hier mit Recht geltend ge*
macht werden darf. Unter Leitung eines kondigea
Lehrers kann das 'Buch auch zum Privatstudium seh^
erfolgreich benutzt werden. Reichhaltige historisch
und litterarische Notizen, die den verschiedenen Ab*
achnitten beigefugt sind, erhöhen den Werth derse^
ben. — (Seite • 395, Z. 11 v. u. Jese man anstatt «dis-
qoisitiones generales circa superfic. etc."*: disqn. circa
seriein infinitam etc.)
Ferd. Mindiog.
Jlf
'^#«
Ja h r b fi c h e r
für
wissenschaftliche Kritik,
August 1839.
XYI.
Handbuch der allgemeinen Staatslunde von Eu-
ropoj ron Dr. Friedrich Wilhelm Schubert,
ard. Prof. der Geschichte und Staatskunde an
der Universität zu Königsberg. Ersten Ban-
des erster Theit: die allgemeine Einleitung und
das Russische Reich. Königsbergs 1835. bei
den Oebrudem Bornträger. "Ersten Bandes
zweiter Theil: Frankreich und das Britische
Reich. Königsb.y 1836. bei den Gebr. Bomtr.
Ersten Bandes dritter Theil: die Reiche 8pa-
nien und Portugal. Königsby 1836. bei den
Gebr. Borntr. Ersten Bandes vierter Theil;
die Italienischen. Staaten Neapel und Sicilien^
Sardinien^ der Kirchenstaat^ Toscana, Parma^
JUodenay Lucca und S. Marino. Komgtjbergy
1839. bei den Gebr. Bornträger.
Die Statistik — Staatskunde Ton Schubert ge-
nannt — hat die Anfgahe 9 em Bild yon dem gegen-
wftrtigen Znstaude eines StaatSy.deoi Leben und Trei-
ben ^er Belrohner desselben, dem ihnen in Grund und
Boden und sonst gegebenen Naturfonds, ihren Erwerbs-
>nitteln, ihrem Wohlstande, ihrer Bildung, ihren Ver-
b<nissen zurllegierung, von der Einrichtung, Orga-
jiisation und den zu Recht und factisch bestehenden
VerhAltnissep der Regierung selbst, zu entwerfen. —
^.Jcf mehr dies Bild der Wahrheit entsprechend, klar,
aicberi soTerläfsig, Tollständig und lel;endig ist, um so
.besser wird die durch die Statistik eines bestimm-
ten Staats gelieferte Darstellung ihre Aufgabe gelöst
Ilaben. — .
«
£s folgt ans diesen Umrissen , wie schwierig die
Aufgabe der Statistik sei. Wären auch alle Materia-
wiß leider wohl n^oh bei keinem' Staate der Fall
Jmhrh. f. wininick. Krifik. J. 1830. II. Bd.
ist, YoUständig yorhanden, so müfste doch, wer ans
ihnen eine genugende Darstellung liefern wollt^ jeden-
falls ein sehr allgemein und hochgebildeter Mann sein,
denn er bedarf der Kenntnisse sehr viele, er, mufs in
sehr vielen Wissenschaften wohl bewandert sein, um
seinen Zweck zu erreichen. Aus der Geognosie und ;
Geographie mufs er in seine Darstellung anfiiehuien,
alles was zur Beschreibung der natürlichen BeschalPen-
heit des Landes gehört, das in den Grenzen eines ge-
gebenen Staats liegt ; er bedarf landwirthschaftlicher,
technologischer, naturjiistorischer Kenntnifs aller Art,
sopst kann er die Quellen des Nationalwohlstandea
nicht zeichnen ; er mufs Hörr sein der politischen Oeco^
nomie nach allen ihren Verzweigungen, sonst kann er
nicht darstellen, wie die Menschen in einem 'Staate
erwerben, san^meln und verzehren; er mufs hoch ste-
hen in allgemeiner Bildung, sonst kanli er den intel-
lectuellen Zustand einer Nation nach ihren verschie-
denen Richtungen nicht übersehen; staatsrechtliche,'
überhaupt juristische Kenntnisse dürfen ihm nicht feh-
len, sonst vermag er nicht die Rechtsverhältnisse un-
ter den Menschen, die Organisation der Behörden, die
Verfassung und Verwaltung in einem Staate darzu-
.stellen. Ganz insbesondere aber mufs er Historiker
sein. Die gegenwärtigen Verhältnisse in einem Staate
haben sich nach und nach entwickelt, wie sich ge-
schichtlich der Staat gebildet; sie^ ruhen meist auf
historischer Basis ; sie sind nicht verständlich ohne ein-
zudringen in die geschichtliche Bildung and Entwicke-
lung eines gegebenen Staats; und nur zu wahr ist
Schlözers Wort: die Geschichte ist eine fortlaufende
Statistik, die Statistik eine stillstehende Geschichte.
Ist es hiernach ein Grundirrthum, wenn man meinte
statistische Darstellungen liefsen sich liefern, wenn
Jemand nur fleifsig sanvnielt> wie ehrenwerth solche
Bemühungen an sich sind, so hat die Bearbeitung der
Statistik eines Landes noch andere besondere Sohwie-
. 35
Schubert^ allgemeime Sta^tJkunde von Europa* 27f
soll Thatsaobw nsamtiesfl^ellefi» lar «s \%i^ in ein^m Octavbande aibnintliche &a«tai
275
rigkeiten, . —
Bei Darstellung der Yerfassopg und Verwaltung eines
Landes, der Bildung des Territorialbestandes sind es
geitehiehtliohe'StudJen, f^aue ^rüfui% der üj^er flie
«flHttiäliligeN. Bildung eines Ittaats öffentlich bt^kaint ge-
machten Verbandlungen und Documente, vielleicht auclip
"WO es mdglich, sorgfältige Durchsicht archivalischer
Nachrichten, die^ nach gewifs oft mflhsainer Arbeit^
zum Ziele führen. Bei vielen andern Theilen der Sta-
flMik aber erscheinen die Thatsachen als Zahlen, und
es gehört gtofee Uebong uttd Kritik dazu, die Zahlen,
"die oft mit sehr unsicher und thellweis vorhanden sind,
SU abl^rürftlti^ tfurd zu sichten. Hiernach ist es f&r
Staatsmftnni^r, denfen nach amtlicher Stauung die Nach-
Hdif&n der Behörden zugißben, eine würdige Aufgabe
des L/ebens, &(t einen einzelneli, gegebenen Staat, die
Nachrichten zu pröfen, zu sondern, ihre Berichtigung
ta veranlassen, und nach und nach die einzelnen Theiie
-der Statistik des gegebenen Landes so zu velrbessera
und zu Tc'n^nständigen, dafs fiir das allgemeine BesU
fn aller Itiüsicht darauf zbHickgegangen werdeakamij —
dafti f&t das PubK(n}im in öffentlichen Mittheilungen die
genauere Kenntnifs des gegebenen Staats immer rich-
tiger ^ieh verbreite ; dafs die numerisdien Verhältnisse,
^iese unerbittlichen Richter iti den viel bestrittenen Ver-
h&Hliisscfn der Staatswirthsohaft, wie AI. v. Humboldt sie
nennt, Immer sicherer ermittelt, immer genügender und
iclarer zusammengestellt werfleO. Für eineuGelehttcn, dcl*
In det Bauptsucbe nur aus öffentlich bekannt gemachten
'Zahlen und Documenten schöpfen kann, ist es schon
Ec/hr anerkeunenswerth, wenn ein solcher die zerstreut
liegetiden Nachrichten für einen oder den andern Staat
sotgsam sammelt, und aus ihnen mit Utpsicht, Sinn
Hfid 'Geschick das Bild eines und des andereu Staates
zu entwerfen glücklich versucht. Grofsartig aber ist
fttt einen einzelnen Gelehrten das litterarisoho Unter-
nehmen, von alten Staaten Europa*s nach einander
eine Statistik zu scbreibeti, uod in einem solchea
Wärke den gegentcärtigen Zustand aller einzelnen
Staaten Europa^s zu schildern. — Dies ist die Auf-
gäbe, die si6h Ptof. Schobert in dem oben angezeig-
ten Werke ges^t^'htit. AUcfdings erschien schon 1822.
Bassets Lehrbuch der Statistik; gleichfalls die eure-
p'äischeu Staaten umfassend, aber abgesehen davon,
dafs die dort mitgetheilten Nachrichten jetzt schon
veraltet sind, giebt dieses Lehrbuch, wie sehr sch&tz-
und enthält daher überall nur den damaligen Zustand,
•fN> weit ihn der Verf. ermittelt hatte, in einer atalisti-
sehen Uebersicht, phne 'nähere Vermittelung luid Mo-
> tivirung der obwaltenden Zustaide dureh biitpriscfte
Rückblicke auf frühere Zeiten. Freiherr von Malchas
und Prof. Schnabel haben 182$ und 1833 vergleichende
Staatskunden in Werken von einem oder zwei 'Octav-
bänden herausgegeben, und in diesen die versobiedd-
nen Zustände in Europa verglichen; aber die Vergfci-
chung beschränkt sich am Ende- auf mehrere, aller-
dings wesentliche statistische Verhältnisse und nur auf
die wichtigsten Staaten in Europa« ' Viele VeilialtnMse
bleiben uuberührt, — wie iDteressant manche 2^i
'mcnstellung, ist das Ganze doch mehr ein B3d
zelner Momente im Staatsleben, die gegenwirtSgaa Zu-
«tände eind niolit aus früheren entwickek. es ist kern
Aufbauen und volbtändiges DarMdlen des gPgia^
wärtigeii Zustandes der verschiedenen Staaten. — Dias
. soll nicht zum Nachtheil jener verdienstlichen Werifce
gesagt sein, sondern nur den Standpunkt bezeicb*
neu, von welchem aus sie geschrieben sind. Hr. Sclui-
foert giebt in den vorliegenden vier Octavbftnden
«Statistik von Kufslaod, Frankreich, Groi^bri
Spanien, Portugal und den verschiedenen ilalienMciieB
Staaten. Er constroirt Von einem jeden diese« Staa-
ten die gegenwärtigen Zustände nach den verscUoie-
nen Ricbtungea und Gesichtspuncten, die in der 8ta-'
tistik gefordert werden ; er bemüht sich vpu einent je-
-den Staat das UM m«g(idhst ToUstftndig und' Wsei-
tig zu entweifen; konnte der Vtsvf«, inebesondelpe bei
Mittheiiung von Zahlen, solche meist auch nicht
neuen und ungedruckten Quellen schöpfen, war w
also nicht seines Amtes und nicht in' seiner SttfUtmg^
r^eue Resultate ans noch ungenutztem Material xn fie»
fern, so hat er doch mit aufserordeatlichem Fletfa nai
<mit Kritik die Zahlen aus den verschiedensten Selirtf^
teu uud Nachrichten zusammengebracht, g^erdnel and
Itiur und geschickt mitgetheilt; die mühsame Saaaa^
lung, die lichtvolle Darstellung ftind turin VardiettiBl;
und es gelang ihm, diese eines Theils dareh gll^U^
che Durcharbeitung des hie und da, wie in EngUalJ
und Frankreich, überwältigenden Stoffes; -^ aaltof^rJ
seits durch ämsiges Aufsuchen 'und rasttesea, nner«
müdliches Erforschen und Ermitteltt und PrMta iec
oft spärlichen Quellen, die {B^ Statistik ^iii Portugal^
:
977
^MtAett; ^fgmetM Stiuitikmkh 000^ £mropa.
ans
-dern iUSeeMkek Staaten Atefsen. HödiBt iiitereMaiit
^md wMiti|^, ttnd in dieser Art der Aiiffafistaii^ oiid
'JLnsBHiniPg nem vad tin ^eeonderes Verdictifit dcto Vfii.
"iat^- dafii dersenife aicbt bloa ibi AligenieiBeii, sondeHi
4iMt bei eiaeai Mea eiaM^ben Abschoitt der Statifilik,
Aar Bildaag des TerritorialbestaadeB) dem Zjustaad^
ier ManafaetbtiNi } Pabrikea und dem ge^erUuAM
Leben, den Fiaanxen, der Yeifasfluag und VerwaHmig
den degenatand hiitoriack auffafat, md die früheren
gescbichtlioben Verhältnisse, welche den gegenwäfti-
gan »ZtfBtand herbeigeftihrt haben ^ überaichtlioh an-^
mgt Eine giftiane Litteratnr giebt jedem Leser dfo
Hf^ri, dnaeloe Gegenatinde veiter su yerfolgen. Der
CManke: in einer solpben Weise die Siatistik der
{Staaten Eoropa^s snsammenzustellen, war BedörfuHb
der gebildeten Welt, und wir jFreuen uns, dafs sron
dem längst als Historiker rüfamliobst bekannten VeHl,
iffieaea Bedärfiiifs ansaufillen, mit so vielem Eifer und
mo^ Tielem Glnok unternommen ist. -—
In dem ersten der oben bezeichneten vier fi&nde
f^ebt Schobert aanäcfast/aaf 120 Seiten eine allge-
tnmie Einleitung in die Statistik überhaupt, die «iH
Saehkeantnifs, Belesenheit und Gelehrsamlc^it gearbei-
tet ist. ^Elr entwickelt zuerst. den BegriiF der Wissea-
mchaft, spricht sodann von ihren Hülfswissensohaftea,
-den Theilen^ dem Ntttzen, den Quellen dersetben, und
g^ebt hierauf in einer längeren Auäfiihrnng die Oe-
8«^tdite, der Statistik als Wissenschaft. Es foflgen
-sodann aügemeine Bemericungen über das Verhältnis
ISfuropft's zu den Übrigen Erdtheilen, namentlich in Be-
treff der BcTAkerung, worauf der Yf* tou den Staa-
i:en Europa's nach dem Alter ihrer souveraineu Selbst-
atändigk^y nach ihrem Range, nach ihrer Regierunga-
forra, ihren finanziellen Verhältnissen, ihrer Land- und
ISteemacht spricht. — Der Vf. sagt, man unterscheide
^ew^hnlich vier Rangklassen -der Staaten: 1. Staaten
enrten Ranges, welche bei allen wichtigen 'Ereignissen
'die entscheidende Stimme fiibren, entweder ganz allein
-jBe VerhäKnisse regeln, oder doch einen solchen iEin-
■fltjrfs auf die Beiftimmting derselben ausüben, dals kern
Widerstreben gegen denselben gedacht werden kann.
Der Verf. berührt geschicfatircb, %ie Frankreich und'
Oeaterrerob diese Bedeutsamkeit seitdem politischen Zu-
aammentreten der Staaten im Mittelalter stets behaup-
tet^ das Britische Reich durch diä Königin Elisabeth^
Itursländ Mit Peter, Pranfsen seit Friedrich dem €^
fsen in *^se Reibe efttf^aten seieiir Spanien^ din
Osmanisßhe Pförta, die Niederlande, Schweden haben
in friiherer Zeit a« diesen Rei<diett ersten' Rsnges ge-
biert, sind aber darch die geschioUliche Entwickelung.
der Verhältnisse jetzt Reiche «weiteo Randes gewor-
den^ welche twar Aicht einen gebietenden Einspruch,
wie RuAland, Oesterreieh, Frankreich, England, Preu-
fsen, abi^ doch eine so gewiehtVolle Macht besitzen,
dafe sie jedenfalls in der Clesammtheit, oft aber auch
•einzeln an der Leitung und Berathnng der mUgemm^
nen Europäischen Angelegenheiten Theil nehmen« Ea
gehören nach dem Vf. hierher aufeer den in diese Ka-
tegorie zuriickgetretenen, oben genanntea TierReicfaen
tioch Portugal, Neapel und Sicilien, ^rdinien, Däne-
mark, Belgien, die Schweiz, Bayern. ^— Zur ill. Classe
Technet der Verf. den Kirchenstaat, die übrigen deut-
schen Königreiche,' Griechenland, Toscana, die deut-
schen Orofsherzogthihner sammt Kuthessen, BraunF-
schweig, Nassau, . Parma und Piaoenza und Ifedena«
Er beseicfaaet diese Staaten als sdcbe, die nach dem
Umfang ihres Territoriums und der Gröfse ihrer. Be-
TÖlkerung auf eine gröfsere Selbstständigkeit A^pruch
machen können, und wirft alle übrigen in die IV. Classe«
Es ist zwar richtig, dafs yon diesen Staaten die mei-
sten "kaum 20 bis 30 Quad. Meilen, keiner über 50 Q.
M. umfafst, während — mit Ausschlufs des nur 36
Q. M. umfassenden Meklenburg-Strelifz — alle übri-
gen ad m. genannten doch bis 70 oder 100 Q. M. in
minimo haben. Indessen sind wir mit dem Verf. ganz
einverstanden, dafs die Unterscheidung der Classen III.
und IV. von dem Zufall augenblicklicher Ereignisse
abhängig ist, und die generellere Unterscheidung in
gröfsere, mittlere, kleinere Staaten vielleicht richtiger
ist. Interessant ist die S. 108 gegebene Zusammen-
s
Stellung, die In Zahlen 'beweist, dafa die 5 grofsen
'Mächte Europa's .mehr als f an Ar^sal und Bevölkd-
rung Europa's umschliefscn; die Staaten 11. Ranges
liaben etwa ^ des Areals und der Bevölkerung; die
Staaten III. und IV. Ranges' zusammen genommen
no<$h nicht ^ in 'beiden Beziehungen. Die Einleitung
enthält femer sehr wichtige Angaben über die Fort-
schritte der Bevölkerung in Europa S. 79, 80. Es ist-
hier sowohl, wie im ganzen Buch, in der Regel ein-
fach so gerechnet, 'dafs dieDiflferenz zwischen der frü-
heren, und späteren Bevölkerung dturch die Anzahl der
279
Sehubert^ mllgemaine StaaiäJkumde tfon EürßjHL
an
• •
t •
dazvtsobeii übenden Jabre dividü^, der Quotient als
eiojftbriger Fortschritt gwommetty and nach dieeem
der Prooeotsatas im Verbältair« zum Anfangsjabre er-
mittelt ist. So X. B. ist (II9 349) gerecboet: die l^e-
Teikening GroTsbrifanDieDs war 1811: 12596803^ 1821:
14391631$ der Zuwachs beträgt also 1794828 ia zebu
Jahren, mitbin in 1 Jahr 179482, oder If Procent.
(12596803 + 179482 » 12776285. Es ist abear
12596803 : 12776285 » 100 : 101^ oder genauer 100
: 101,424.) Streng genommen kann so nicht gerech-
net werden. Nach den angegebenen, Zahlen ist nicht
zu sagen:, Die Bevölkerung Grofsbritaaniens mehrte
sich Ton 1811: 1812 um 179482; die Vermehrung mufs
1811 : 1812 geringer, dagegen 1820 : 1821 höher als
179482 eingenommen werden. Sie steigt jn geometri-
scher Progression. Ist m der Theil des Mensobenca-
-pitals, um den solches j&brlich wächst, C die Anfangs-
grMse, If^ die Endgröfse desselben, n die Zeit des.
-Wachsens, also im vorliegenden Falle C sa 12596803,
IFa 14391631; ^ » 10, so berechnet, sich nach der
Formel fV ^ C Ct^SY die Zahl m auf 72,9927:
d. h. auf Procente reducirt, die Bevölkerung wuchs
wie 100 : 101,37, nicbt wie 100 : 101,42. — Für gewöhn-
liehe kleinere Ueberscibläge und kürzere Perioden ist
diese gröfsete Genauigkeit freilich ^icht nötbig, und
konnte daher von dem Verf. in solchen unbedeutenden
Fällen wohl unberücksichtigt gelassen werden ; — nur
für Igröfsere Perioden und insbesondere zur Yerglei-
chung, ob und in wie fern bei einer bestimmten Zäh-
lung der Fortschritt der Bevölkerung im Progressions-
satze geblieben, oder ob und wieviel er davon abge-
wichen ist, wird die geoauere Berechnung doch wichtig.
Der Verf. giebt höchst interessante Resultate über
die Geburten, die Todesfälle, die Trauungen in den
yerscbiedenen Staaten Europa's, die Anzahl der un-^
ehelichen Kinder. Wir halten den statistischen Durch-
schnitt: auf 13 eheliche Kinder komme ,1 uneheliches
für Prieufsen, Frankreich^ Schweden für richtig, wäh-
rend in England ein viel geringeres Verhältnifs (meist
nur ^), im südlichen Deutschland, namentlich in ganx
Bajern, ein viel höheres eintritt (wie 1:4); in Mün-
chen selbst wie 1:1; — so dafs wir doch bedenklich
sind 13 : 1 als allgemeinen Durchschnitt für Europa
mit einiger Zuverlässigkeit auszusprechen- ' Wir über-
(Die Fortsetzung folgt)
gehen die änderweit auf den eratea 129 Seiten dei
Werks besprochenen^ aDKiehend snaanunengesteUtes
statistischen Momente, verweisen den geneigten Leier
nur noch iiuf die S* 112 und folgende gegebene, ui»
nige Zusammenstellung der finansiellesi Verbältnii^
namentlich der Staatss^buldenlast 10 gans Eloropi,
und behalten uns vor, bei der Eintheilang der statisti-
schen Darstellung, die für alle Staaten gleichartig an*
genommen ist, au( Einzelnes in der, wie wir wiedeibo-
.len, sehr zweckmäfsig gehaltenen Einleitung zurück-
zuweisen. -^
Der Yf. giebt zunächst bei der Statistik emes J^
den Staats die allgemeinen Quellen und Hälfsmittd
an, d. b. die bessern Landkarten und die für die Sta-
tistik des Lanfies im Ganzen wichtigen Schriften, b'
|io fem letztere für gewisse Abschnitte nor von Widi-
tigkeit sind, finden sie sich bei diesen aufgeführt..—
Die Angaben zeichnen sich durch Sorgsamkeit ooj
Vollständigkeit aus. Es ist in Betreff des britisch«
Reichs eine interessante Bemerkung, dafs erst in der
Gegenwart unter Leitung der Ordnance Survej (das
.Feldzeugmeisteramts) eine mosterhafte grdfsere Karta
der drei Königreiche bearbeitet whrd ; — sonst akr
.wir in Bezug auf genaue Karten Englands weniger
.versorgt sind, als bei andern Ländern^ da das Gao-
vernement, weil Grofsbritannien in. den letzten Jahr-
hunderten keioen länger, dauernden Kriegsschaoplalz
abgab, auch hier der Generalstab nicht so, wie in den
bedeutenderen Staaten des Continents, zu.topograpU-
scher Aufnahme benutzt wurde, die Herausgabe tob
Karten lediglich der Privatunternehmung überliefs. Es
is^ gut, dafs auch auf die früheren Karten mit ßezn{
auf die früheren politischen Eintheilungen zurfickgegaa-
^en ist; wie uns auch in dieser Beziehung die Erväii-
mung des historisch -politischen Atlasses von Bru^ond
Gnadet bei Frankreich willkommen war« — Die Lite-
ratur, die im Druck vielleicht noch etwas schärfer tod
den Karten als besondere Rubrik, zu scheiden und xs
bezeichoen i^äre, ist fleifsig zusammengestellt; sie i9t
.fireilich bei manchen Staaten nur noch schwach, wies*
B. für Rufsland ; — für Portugal ist Links 'Reise nach
immer für .viele Zustände und auch statistisch. wichtige
Verhältnisse eine der besten Quellen und voio ^^^"*
.auch gebührend hervorgehoben.
wissen
jahrbttche
für
Schaft lieh
e Kritik.
Auglist 1839.
Hanikmeh der aUgememen Bi€tataktmde «on Eu-
rapoy von Dr. Friedrich fFilhebn Schubert.
\ '
(ForUetzuB^)
Nach den allgemeben Quellen and Halfsmittela ist
d^8 gesammte statiatisehe Material jedes Staats in vier
Abtheilftngen bebaodek: GrandiBaoht^ Cultur, Verfas-
aung mid Vwwaltiing. Man kann rechten über die*
' Eintbeilung einer statistischen Darstellung; man kann
Tielleicbt der eiofiaeheD : Land, Leute, Regierung -^ den
VorEUg geben ; — immer kommt e^ nnr darauf an, ob
das Bild einee Staates ^ welches nach der gewählten
Form geHefiMrt wird, mnd, vollständig, klar hervor*
tritt i und wir werden sehen, in wie vorzüglichem Grade
Sohab^rt diesen Zweck bei der von ihm gewählten Dar-
stelluag allerdings erreicht. —
Bei der A. GrundmaeAt behfuidelt Schidbert su*
nächat das Grundgebiet (Territorium) nach seiner Aus-
dehonng und Eintheilang, und dann .die Bevölkerung,
nadi ihrer Ansahl nnd ihrer Verschiedenheit nach Stäm«
aen, Ständen und Religionsbekenntnifs. — Die Dar«
ateUung des Länderumfi)ngs beginnt Schubert bei allen
Staaten mit einer geschichtlichen Einleitung über den
nllmäbligra Anwachs und hieraus jetzt sich ergeben^
den Länderbestand. Diese tibemll gründlich, nnd doch
klar und übersichtlich gehaltenen historischen Einlei-
fangen sind vom höchsten Interesse, und wir halten
die hier zusammmigestelkett Uebersichten für eine vor*
ZBgliche Seite des Buchs nnd eine Bereicherung der
Wissenschaft. Von den bis jetst beschriebenen Staa*
te&' sind Portugal (bei welchem angemerkt ist, dafs die
Verbindnng mit England schon bis au den Jahren 1294
mil 1306 zurückgeht) und der Kirchenstaat sdt dem
12. nnd 13. Jahrhundert siemlich gleich in ihrer Aus«
dehmmg geblieben; — andi Grobbritannien hat sich
a^t der Vermaignng mit Schotthind 1603 in Europa
nicht -im Länderumfang erheblich geändert. Dagegen
.Jmhrb. /. wuitnieh. Kritik. J. 1639. 11. Bd.
wird für Portugal und England die JGescbichte der
aufsereuropäischen Erwerbungen verwiekelt nnd wich-
tig. — Wir übergeben die zweckipärsig gefafsten hi-
storischen Einleitungen bei Spanien, den verschiedenen
italienischen Staaten. Bei Rufsland wird die Bildung
des Reichs bis auf Iwan h Wasiljewitsch 1462, bis stt
der Vereinigung der Grofsfarstentluimer Wladimir und
Moskwa surückgefiihrt; — schwierig war und geschickt
behandelt ist der Anwachs . Ffankreichs $ bei webbem^
Staate die Territorialgeschichte in der Haoptsacbe Ton
Ludwig XI. ab gegeben, wird. — " Der Umfang der ein*^
seinen Vergröfserungen ist wohl nach' alten Karten,
da in der Regel die Angaben in Qnadratm^en in frü-
heren histotischen Werken fehlen, gemessen. Für
Frankreich bemerken wir, dafs der Ländereomplexus,
den Heinrich II. mit Frankreich vereinigte, wohl grdfser
war, als 72 Q. M., die Schnbert angiebt. -* Zu den
Erbländern des Königreichs Navarra gehörten anfser
UttterN^varra und Beam, noch Scale, BigOrre, Foix;
und diese mit Navarra and Beam mögen wohl 300—
350 geogr. Q. M. umGafst haben. Hierzu treten aber
noch Albret, P^rigord, Limoges, Besitzungen des Hau^
■es Albret, die freilich wohl nicht ganz so souveraine
Besitzungen mögen gewesen sein, aber doch selbststän-
dig von dem Hanse .Bonrbon -.— Atbret -^ Navarra '
besessen wurden, und gleichfalls etwas über 300 Q. M.
omfafsten. — Ebenso ist S. 11 das Fnrstentham Orange
auf 18^ Q. M. angegeben; «^ nach 'de >la Pise nnd
der in diesem gröberen historiscbed Werke enthalte«
neu Karte war aber OrangCi als ForstGOlhum, nicht
gföber als S^ bis 6 Q. M.
Nach dieser Terrttorialgeschichte eines jeden Staats
folgt die palüiseJke Eintheilong. Auch hier ist zweck-^
mäfsig meist die frühere Eintheünng gegeben, welchem
sodann die jetzige folgt. Sehr merkwürdig ist in Eng-
land diese Eintbeilung seit Jahrhunderten sich gleich
geblieben. — Bei Frankreich insbesondere giebt dia
' 36
283
SeAuStrtf attgemeifia SUMtkimde von Europa.
284
AosfübniDg der frfiheren politischen Eintheiliing gegen
die jetzt beatehende zu infereasanten Vergleicbungen
Yeranlaaaung.» Bei Portugal fallt die politiache Ein-
theiluDg genau mit geograpbiacher BegränzuDg zuaain-
inen. Die aufaereoropäiachen Beaitzangeii Portagala,
Englands., sind meist von ?iel gröfaerem Umfapg,
"als das Mutterland; nnd die ganz besonderen Ver«
hältnisso derselben, die grofse Verscbiedenbeit in
Betreff der Bevölkerung, des Klima's, der natörliohen
. Qeschaffenbeit des Bodens, lassen in der Regel Ver-
gleiöbung^n zwischen ihren und den Districten undBe«
zirken des Mutterlandes nach dessen politischer Ein«
theilung gar isicht zu.
Es folgt sodann im §. A. bei den einzelnen Staa-
ten: Physische Beschaffenheit des Bodens, klimatische^
Verhältnisse, Gebirge, Flusse, Kanäle, Landstrafsen,
« Brückenbau. — * Es sind hier zunächst immer die geo-
gnostisehen Verhältnisse angegeben. Nach dem Ural
und den Gebirgen sind die vielfachen Wasserve^bin-
düngen Rufslands, aber auch die Stellen, tro solche
fehlen, wohl hervorgehoben. Die aufgenommene An«
•gäbe Herrmanns, dafs | der Oberßäche Rufslands Un«
land und unbebaut sei, veranschaulicht die Verhältnisse,
so wie die hierher gehörigen, hervorgehobenen grofsen
Steppen. Es ist übrigens sehr schwierig, von dem un-
geheuren Reiche geognostisch nnd nach der natürlichen
Beschaffenheit eine Darstellung zu liefern ; denn es ist
S. 143 Th. 1. der Umfang des Staats durch die An-
gabe gut erläutert, dafs ^enn es in Petersburg 1 Uhr
8 Minuten Nachmittag ist, in demselben Reiche am
O^tcap 11 Uhr 4M) Minuten ist. — In Frankreich ist
bei der richtigen Darstellung der Gehirge die statistisch
interessante Notia mitgetheilt, dafs jetzt 17000 Fuhr-
werke und 46000 Saamthiere jährlich den Mont Cenis
übersteigen $ — wie überhaupt Frankreich durch seine
Chansseen sich' auszeichnet — Mehr sind derselben
wohl' noch in England , woselbst man fast gar nicht
unchaussirte Wege sieht. Die Ausdehnung der Chaus-
seen ist von dem Verf. S. 340 bei Grofsbritannien in
Zahlen nachgewiesen. — England* ist aber nicht so
flach, als es S. 321 geschildert wird. Es macht den
sehr eigenthomlichen Eindruck eines fast durchweg
hügligen, i wellenförmigen Terrains, welches für die
Verhältnisse der Agrieukor, wie auch der Benutzung,
der Wasserkraft bei Vielen Bächen u. s. w., für
die Industrie überaus wichtig ist. Bei den Ketten-
knicken hätte S. 344 die Menajbridge wohl noch be*
sonders hervorgehoben werden sollen. Spanien hat
nach dem Verf. an Kunststrafsen jetzt 416 Meilen ^^>
Spanien hat 8447 Q. M.; — Preufsen etwas ülm
5000 Quadratmeilen und jetzt mehr als 1200 Meüaa
Chaussee. — In Portugal fehlen heute noch die Chau»-
s^en fast ganzi
Zur Grupidmacht rechnet der yerf. nun ferner die
Bevdlkemngsverhältnisse. Es ist vollkommen richtiji^
zur Grundmacht aurser dem Grundgebiet die Bevölk^
rung zu zählen \ ja letztere ist wichtiger und bedeuleo-
der zur Constitüirung des Begriffs Grundmacbt, ab
ersteres. Es sind Menschen^ die in Staaten leben, fär
welche die Regierung zu soi>gen bat, nicht da« an sidi
todte Areal. Ein kleiner Staat mit dichter, woblba*
bender und gebildeter Bevölkerung ist wichtiger aii
ein grofses Reich mit weiten Flächen aber obtis
Menschen.
Der Verf. giebt die allgemeinen Bevölkeruogpivei^
hältaisse im §. ,5. bei den verschiedenen Staaten $ er
zeigt auch hier in historischem Wege, wann ZSblnB-
gen beg^nen in *den verschiedenen Ländern, wie ridi
die Bevölkerungen nach und nach vermehrt haben^ er
giebt den jetzigen Bestand, nach Geschlecht und Alter^
so weit die Nachrichten vorhanden sind, getrennt) dis
durchschnittliche Zahl der Geburtoi, der TrauungeB,
der Todesfälle, und sciiliefst danach auf die Bewegung
der Bevölkerung; er giebt die Dichtigkeit der Bev4rt«
kerung, zeigt solche auch nach Provinzen und Diatrie-
ten. Er scheidet bei den Geburten Knaben und Ml4*
chen; giebt auch bei mehrer<^n Staaten die Anzahl nnÜ
das Verhältnifs der unehelichen Kinder; er seigt^
wo es sich thun liefs, die Anzahl der Familien, nnd wie
viel Köpfe und Kinder auf die Familie zu reebnen f
bei manchep Ländern, wie z. B. Grofsbritannien ist
nach der Häuserangabe berechnet, wie viel Menaobes
durchschnittlich auf ein Haus kommen; er zeigt die
V^rtheilung der ländlidien und städtischen Bevdlb^
rung, und filhrt in letzterer Beziehung die VolkasaU
der wichtigsten Städte zuip Theil auch mit Rückblickett
auf frühere Jahre an. Im ^ 6. folgt die Verschiede»»
beit der Bevölkerung jedes Landes nach den Vott!^
Stämmen, wobei in der Regel die Zahlen nnr ungeAlbr
geschätzt werden können; diesen Betrachtungen acbiie-
fsen sich im §. 7. die Verschiedenheitea der Stände
an^ bei denen auch, so viel es ging, Zahlen milge»
SeAuiert^ mllgememe Staaiskmuh v&n A^r^pk*
tbeOt^ nmä bei welebein Abschnitt die AbstafongeB des
Adels tt» flk w. meist recht ^aasf ährlich angegeben
aiiMl ; es tfcbliefsen die Bev5lk:eningsangaben nach der
Reügionsverschtedenheit iind den allgemeinen kirob-
lidi^n * V^rUHtnissen. Man siebte wie rielseitig der
Gcg^eastsnd anfgefiifst ist, nnd wie die bemerliten mehr*
'fiachen Beziehnugen wohl geeignet sind, ein ungefäh-
re« Bild -des Lehms in einem Staate anzudeuten. — — -
Im britischen. Reich ist der Nachweis des Anwachses
der ^ipaelnen Städte ,Tom besonderen Interesse. Für
Fraakieioh hätten wir die merkwürdige Erscheinung
WMS8 im Allgemeinen langsameren Forttschritts der
Bevölkerung, der erst in aller neuester Zeit rascher
wird, gern etwas näher ausgeführt gesehen. In Spa*
oieii ist der 65ste Mensch ein Geistlicher, im Kirchen*
■taälder 48stel Portugal ist diohter bevölkert alsSpa-
BieD* Ist gleich Lissabon bcTölkerter als Madrid, so
ist rerhältnifsmärsig doch in Spanien eine stärkere
atadtiache Be?ölkerung als. in Portugal; und dies ist
iHD so merkwürdiger, als Portugal im Handel seine
eigeBtliche'BedeutuDg hat, und f des Landes unbebaot
Hegt. Ueberans grofs ist die Klasse der Diener nnd
Battier in Spanien; eben so arg ist dies in Neapel und
SicHien, woselbst (S. 48 Bd« 4.) der Ste Mensch als
Bettler . bexeichnct wird. In Neapel und Sicilien ist die
greise Wichtigkeit des Adels und der Geistlichkeit, so
irie des Bürgerstandes in den Städten, g^gen die toU-
kcNiiiiiiie Unbedeutendheit des durch Herrendienst und
Abgabenlast ganz niiedergedrückten, und ohne alle ei-
genthflmliche Entwiokelung in gröfsester Dürftigkeit
lebenden Bauernstandes hervorgehoben $ im Kirchen-
staat ist der Adel und die Geistlichkeit sehr wohlha»
beaid) und der beste Abnehmer für den Bdrger^tand,
ee dafs swischea diesen Ständen keine Animosität
.Statt findet; auch hier aber ist der Bauer blos Päch«
ter> und lebt in den beschränktesten Verhältnissen i —
Tiel besser und der glänzendste Strich Italiens für die
Entwickelnng der Gesammtbe?5lkemng ist Toscana,
ireaelbst schon seit 1775 die Frobndienste . au^ehobea
mmdy in ReligionsTerhältnissen nicht gleiche Strenge
ist, als in Neapel und Sicilien, Rom und Sardinien^
überall eine freiere und glücklichere Existenz aller
Klassen s^it längerer Zeit tbegründet* ward.
£s dem Abschnitt B. Cuitur hat der Verf. in den
bei allen gröfseren Staaten correspondirenden fünf Pa*
ragrapben 9. 10. IL 12.' 13. nach einander geschildert:
a) -Productipnsverhältttisse und landwirthschaClIiche In-
dustrie, 6) technische Cultur, d. h. die Fabricationsr
Verhältnisse, e) Handel, und zwar, innerer Verkehr und-
äufsere Handelsverbältoisse, d) geistige Cultur in Un-
terricbtsanatalteo, Bibliotheken, Sammlungen, «) gei-
4
stige Cultur in anderweit statistisch wichtigen Ergeb*
nissen, d. i. Leistungen und berühmte Männer inKün«.
sten und Wissenschaften, Buchhandel, Zeitschri^
ten u. s. w.
Wir können im Ganzen über diese Art der Anf-
fassung der Cultnnrerhältnisse in einer Nation, der
äufsereiii und inneren« dem Verf. nur die vollste Aner-
kennung gewähren. Sie ist vielseitig, und läfet äbnli«
che Darstellungen in anderen statistischen Schriften
weit hinter sich zurüde« Mit grofsem Fleils sind die
hieher gehörigen Materialien zusammengebracht, und
geschickt unter zweckmäfsige Gesichtspunkte gestellt.
Einzelnes, wesentlich zum Beweise, wie glücklich ge- .
sehen, nnd das Wichtige herrorgehoben ist, zum Theil
zur Andeutung, wie, wenn schon viel gefunden, noch
durch andere Auffassung und Ermittelung das Bild des '
Ganzen in der Folge vielleicht hie und da noch ver-
vollständigt, und klarer hingestellt werden könnte^ lasr
sen wir Paragrapenwhei» folgen.^ —
Im §. 9. — der von dem Verf. sehr richtig genauet
so bezeichnet ist : die verschiedenen Zweige der phy«
sischen Cultur, Ackerbau und Gartenbau f Viehzucht^.
Seidenbau und Bienenzucht; Forstzucht und Jagd; Fu
scherei, Bergbau; — steht bei dem Ackerbau bei Rufs-
land die interessante Bemerkung oben an, dafs der*
selbe hier meist noch auf seiner ersten Stufe steht, und
fast keine Provinz^ nur halb so viel Ertrag gewährt,
als sie liefern konnte f wWhalb es in Rulsland meist
nicht sowohl auf die Grofse des- Guts, ids auf die
männlichi^n Seelen ankommt, die den Acker bestel-
len. — Bei dem britischen Reiche findet sich emcf sehr
gelungene speciellere Ausführung über die Komge-
setze. Bei Spanien, Portugal, ist hervorgehoben, dafa
das Ausdreschen des Getreides meist durch das Aus-
treten von Pferden und Rmdem auf daau im offenen
Felde eingerichteten Tennen geschieht. In Sicilien,
wo 10 und 20facher, ja 4Dfacher Ertrag und mehr ge>
Wonnen wird, ist wegen strenger Feudal- Verhältnisse
und de» hemmenden Besitzes der Communen (worüber
auch in den Waoderungen durch Sicilien und die Le-
vante. Berlin 1834. — > (von Parthei) sich iuterressante
287
Scititerty aßgememe Stmattktmd» v«n Emrtftä.
»
Dat«^ Jndett) die Hälfte des Landes nicht uut^r dem «ngefiihrt Bei FranicreiGh ist bemerkt, data der mit
Pflug. Der so froclitbare Kircheast aat, bei dem die
Landwictbsdiaft iu de> Uoigegend Roms sehr Teniachi
läfsigt ist, erhält eine Menge Getreidesufuhr aus Odessa.
So aaph bedarf das Königreich Sardinien grofser Go«
treidesnfiihr. Um den Ackerbau, den Getreidegewinn,
. mSgliohat in Zahlen damisteUen, sind Tielfach die Re«
sultate der Eirdr uschtabdlen angegeben. Wir sind be?
. denklieb, da, wo solche Tabellen noch geliefert wer*
<deo^ ihren Ergebnissen zu folgen.' Allerdings ist es
Pflicht des Statistikers, and Ton diesem Gesichtspunkte,
oosv wollen wir für diese Mittheilungen den Verf. in
keincar Ait tadeln, solche Nachrichten aufzuführen; —
wir könnten ihnen allein aber nicht wohl Vertrauen ge-
ben. Im Preufsischen Staate bat in früherer Zeit eine
vie^äbrige Erfahrung^ gelehrt, dafs sie durchaus un-
richtig waren. -^ Wenigstens ist su wünschen , dafs
gegen die aus den Erdruschtabellcn gefundenen Restd-
tate ähnliche ans andern Verhältnissen entnommene
yerglichen werden. Wo die Consumtionen von Brod,
Mebl, Getreide besteuert werden, geben diese. Steuer«
listen bisweilen Vörgleichnugspunkte. Der Verf. lie«
rechnet aus den Einsaat- und Ertragtabellen Tb. I. S«
213 für flufsland eine Consumtion von 15 oder nacb
Abzug der Ausfuhr doch eine Verzehrung von 10 Schef-
feln Getreide pro Kopf. Das ist 2 bis 3 Schefi^el mehr
i^ls in England wid Frankreich, und 6 bis 7 Scheffel
mehr als in Preufsen^ und wenn auch der Kartefiel-
bau in Rafsland noch nicht so eingreifen mag, ah in
Prenfsen, so bezweifeln, wir doch die blos aus den
Erdruscbtabeilen gezogene Folgerung, dafs 10 Schef-
iel in Rufsland pro Kopf an Getreide yerzehrt werden. -^
Den übrigen Tegetabilischen Erzeugnissen des Acker-
bans, Kartoffeb, Wein, Hopfen, Hanf nnd Flachs,
Tabak, in den italischen Staaten Reifs und in Neapel
nnd Sicüien auch Baumwolle n. s. w. ist nun ferner
bei den verschiedenen Staaten die nöthige Ausführung
gewidmet. Kastanien sind auch in Piemont, wie der
Verf. Tom südlichen Frankreich angiebt, ein Hauptnah-
mngsmittel des gemeinen Mannes. Dem Weinbau ist
von dem Verf. mit Recht besondere Aufmerksamkeit
geschenkt. Es smd fast überall die Ertragssummen
Wein bestellte Flächenraum jetzt über 2 MilL Hecta-
rte betlägt, d. i. über 300 a M. ~ Es wäre wichtig,
das mit V^ein bepflanzte Areal in allen Lftadem in
Quadratmeilen vergleichen zu können. letelressant siad
die Angaben des Verfs. über die Vernacblafsiguag des
Weinbaus im Kirchenstaat; über die Art, wie deraelbe
in Portugal betrieben, und im Portwein lieinen geirie>
senen Absatz in England bat; u. dglm. Der FtJ^
Mtand gehört zu den allerwicbtigsten KennseicheD dsr
Prodttctionsverfaältnisse in einem Liande. Der Vct£
giebt für jeden Staat die Zahl der Pferde, Esel, MmA
tbiere, des Rindviehs, der Schaafe, der Ziegen, der
Sdiweine. Es sind diese Zahlen in der Regd oar in'
Ganzen angegeben; da für viele Staaten z. B. Spa-
nien, Portugal n. s. w. schon diese zu erhalteD, gevifi
4iehr schwierig war. Bei Frankreicfa ist specieUev aa*
gegeben die Anzahl der Stiere und Ochsen, derKübi^
des Jungviehs« ««<- Hier 'ist berechnet, dafs ta Ftank-
ifAch auf 1000 Menschen 213 Stück Rindvieh konsiMBi
also auf je 5 Menschen d. i. eine Familie 1 StAek
Vieh. In Spanien sind auf 12,087991 Einwohner IfiGSO»
Stück Rmdvieh, d. h. auf 1000 Menseben 88 Stfiflk
Vieh; also auf 11 oder 12 Menschen erst 1 Stnok
Vieh. Es ist eine ganz andere Exist«as unter dsa
Menschen, wenn die Milch gebende Kuh fiir jede Fsp
milie verbanden ist, als wenn für 2 oder 3 Famüsoa
erst 1 Kuh sich berechnet; und traurig bleibt das Be*
sultat för ^anien, wenn auch die Ziege und die
genmilch, wie der Vf. richtig hervorhebt, emigen
dem gemeinen Mann gewährt. — Im britischen Reiclis
sind 11,200000 Stück Rindvieh; d. i. bei 24,306719
Einwohnern auf 1000 Menschen 460 Stück, d. b. mtf 1
Familie zu 5 Personen 2 bis 3 Stück Viebl Und di
kommt die sehr richtige Anmerkung (II. 422), dafs
gute Kuh englischer Race taglich bis SOBerliner'Qiunrt
Milch giebt. — Kleines Landvieh in hiesiger Gegend
giebt oft nur 5 bisweilen kaum 3 daart. Mit ReaU
sagt der Verf. vom britischen Reich, dafs in Betieff
der Viehzucht dieser Staat keinen ihm vSHig gleiehcn
Nebenbuhler finden dürfte I
(Der Beschlois folgt.)
• I-
wisse
• J^ 37.
J a h r b tt c h er
I u r
n s c h a f t liehe Kritik
August 1839*
HiMmümch der allgememen StaaUhinde non Em-'
ropay ton Dr. Friedrich Wühelm Schubert
(Sehlafs.)
Der Verf. sagt io der EinleitUDg, dara die Vieh-
elaadstabellen in dem Verdacht der Unriohtigkeit stän«
den, weil die Yiebbeeitzer besnrgteD^ bei st&rkenn Vieh-
et«n4 mehr zu den Sffentlichen Lasten heraiigeaogen
MU werden^ dafs aber diese Fehler doch schwerlieh 5
Proeent übersteigen dürften. Wären es auch 10 Pro«
eenft nnd mehr^ wie bei dem kleinen Vieh namentlich
vohl mdgliMi isty so kann das doch durehaua nicht hin-
detti, fortdauernd den Resultaten der Viehstandstabel*
lea die gröfseste Aufmerksamkeit zu widmen. Man ist
ftiaiDlioh sicher 9 dafs nicht zuwenig angegeben sei;
md es ist ein grofser Unterschied von. einem Manne
Uns zu wissen, er sei reich, oder er besitze 80 — 100000
Thaler; eine Familie sei wohlhabend, lebe sorglos, oder
tte Terzebre zwischen 2 nnd 3000 Thlr. jährlich. Nichts
Mhcfint nns, zeichnet die Agricaltunrerhältnisse eines'Lan-
^8 bestimmter, als der Viehstand, weshalb wir sogar
sweckmäfsig halten würden, wenn der Viehstand tabel«
lariaoh nach den Provinzen jler Staaten, wo solches
siöglich ist, aufgeführt wäre. Es giebt wichtige An«
limlts- nnd Vergleiobungspnnkte, wenn man übersieht
gegen Areal und Bevölkeruug, in welchen Gegenden
eines Landes das meiste Rindvieh gehalten wird,' wo
die stärkste Pferdezucht, wo der gröfseste Schaafstand
. ist. Hiezn kommt,^ dafs, wo das Vieh dicht ist, wo
Tiel Rindvieh gehalten wird, dassdbe in der Regel
anoh besser ist, als in Gegenden, in denen ein gerin«
ger Viehstand sich zeigt. Man muHs in solchen Dar*
stellnagen versnchen» so weit zu kommen, als es irgend
geht In Spanien wird sich freilich der Schaafstand
provinzenweis, nicht scheiden lassen, wie -aus der an-
siehenden Beschreibung des Verfis. der aus einer Ge-
gend in die andere gehenden Trashuroantes (Th. 3. S.
^61) hervorgeht. *—
JMkrb. f. wüunick. Kritik. J. 1839. II. Bd.
Nach dem .Viehstand bebandelt der Vf. — Seiden
bau -und Bienenzucht $ ersterer für die südlichen Staa-
ten v,on grofser Wichtigkeit; dann Forstzocbt und
Jagd. '— Letztere ist staatswirthsohaftlicb, und fiir die
Nahrung der Einwohner fast in keiuem Staate ein er-
hebliches Object; indessen knüpfen sich doch an die-
selbe manche wichtige Bemerkungen für das Leben
und den Culturzustand der V5lker. Das Königreich
Sardinien bnt noch mit Wölfen zu kämpfen; Jm Kir-
chenstaat ist für Italien die reichlichste Jagd ; in Rufs-
land ist die Jagd wegen der Pelze auch von staats-
wirthschaftlicher Wichtigkeit. Bei der ForstxucAt ist
in allgemeiner Beschreibung bemerkt, wie iai Spanien
und Portugal selbst Holzmangel zn besorgen ist; wie
im britischen Reiche, mit Ausnahme Schottlands, der
Hobbestand wegen des Ueberflnsses an Steinkohlen
zu einem groTsen Theiloi in Waldungen verschwunden
ist ; bei Frankreich ist bemerkt, dafs 25^ Million Pren»
fsischer Morgen, etwa ^ oder ^^ der ganzen Bodeuflä*
che Jes Landes, mit Holz bestanden sei. — Dei^Verf.
spricht sodann über die in vielen Ländern wichtige
Fischerei^ und schliefst mit dem Bergbau'^ bei wel-
chem die verschiedenen Mineralien aufgezählt und die
Fundorte bezeichnet werden; — auch sich Angabep '
über den Ertrag und Werth der Producte der anorga-
nischen Natur finden, welche zu der wichtigen Frage
über die relative Bedeutsamkeit der einzelnen Producte
des Bergbaus schätzbare Materialien liefern. ,
Der 4« 10* spricht bei den verschiedenen Ländern
von der. techniMchen Cuitur. Nach der Einleitung soll-
ten die Hauptabschnitte sein: Leinen-, Wolle-, Baum«»
wolle-, Seiden-Manufecturen, Metali-, Thon- und Glas-
waaren, Papier-, Oel-^ühleuy gröfsere Mahlwerke $
gröfsere Gewerbe im Brennen, Brauen, Sieden,^ Schiffbau.
Diese Unterabtheilungen sind auch im Ganzen .gehalten;
indessen ist es richtig, dafs diese Kategorieen hier und
da erweitert smd; wie denn Gerbereien und Lederfa-
^ ^ 37
291
SeAuierty aligemeine Staatekunde von Europa..
brioatioD in sefas tieleQ Ländern unzweifelhaft zu Hanpt-
abtheilupgen der technischen Cultnr gehören dürften.
Es ist bei diesem ganzen Abschnitt ein besond«-
re^Vecdiemst des Verfs., den gescbickilichen Weg ler-
folgt ~ZQ haben. Er bemüht sich liberall zu zeigen, Vie
die verschiedenen Gewerbe und Mräufacturen in die-
sem oder jenem Staate nach und nach sich entwiciielt^
welche Veranlassungen sie her?orgerofen und befördert
haben. Er zeigt^ wie die Seidenmanufacturen in ^rank-
ireich erst seit dem 17. Jahrhundert recht gestiegen
sind, wie das englische Tuck schon seit dem 14. Jahr-
hundert ni Europa geachtet war/ wie die Industrie im
Kiröhenstaate wegen des Zusammenflussesr reicfaer
Leute in Rom seit dem Miftelalter die eigenthümliche
Riehtung auf Schmuck und Kostbarkeiten in Kunst*
Werkstätten, welohe. die Päpste begünstigten, genom-
men hat, u. dgim. — Bei der französischen Industrie
hätte vielleicht noch etwas nähere« von der dort ia
neuester Zeit gestiegenen RuDkelräbenzuckerfkbr!cation
g^agt werden können.' Um die YerhäUnisse in Zah-
len klar zu machen^ ist der Werth der Fabricate, die
Anzahl der in den Fabriken beschäftigten Menschen^
auch sind bei England und Frankreich die Stühle, wel-
che in Baumwolle und Seide gehen, angegeben. Bei
einzahlen Fabriken sind auch die Orte .und Gegenden
namhaft gemacht, in denen solche blühen« Noch' üb«v
sichtlicher itfürden diese Verhältnisse sich erkennen las-
.aen, wenn in Tabellenform die Anzahl der Stühle in
Wolhe^ Baumwolle, Leinen, die Gerberei^ die Müh.
len nach ihrer tersehiedenen Bestimmung nach Distrio-
ten und Provinzen hätten zusammengestellt werden kön-
nen. — Wäre diese Tabellenform gewählt, so hätte
aich auch da, wo Notizen darüber vorhanden sind, eine
fibersichtliche Anschauung der gewerblichen Thätigkeit
in den eigentlichen Handwerken geben lassen. ' Die An*
nahl der Maurer und Zimmerleute, Tischler, Schuster,
Schneider, n. s. w. u. s. w. giebt für ein Land ein aller»
dingd wichtiges statistisehes Moment der gewerblichen
Thätigkeit Es kann ein Land, eine Provinz, eine Stadt
gröfsere Fabriken entbehren, und doch in demselbeo
viel Handwerker feiierer Art gegen die. weniger kfiaatl^
eben vorhanden sind, zeigen sich bisweilen interessante
Besulti^te. Wie hoch wir Fabriken als.sölche, die gvo«
Cse Fabrication überhaupt anschlagen, wie sehr wir über.
zeugt sind, dafs ohne solche viele Bedür&issa des Li^-
bens gar nidit gewährt werden könnten, die wir jetxt;
zu den wohlfeilsten Preisen ankaufen, wie sehr wir Am^
her einverstanden sind, dafs die Anzahl der gröfeerea
Fabriken, der in Bezug auf solche direct oder indirect
beschäftigten Arbeiter u. s. w. sehr hervorzuheben aio^
so scheint' uns dies fiir die gewerbliche Thätigkeit ei-
ner Nation dach noch nicht erschöpfend, und wir wiinach-'
ten dem eigentlichen HandwerkefBtand in •statietiacheii
Schriften mehr Aufmerksamkeit zugewandt^ ala^gewöluip
lieh za geschehen scheint.
Im ^. 11. ist bei deü\yersbhiedenen Zweien .def
Handel» gleichfalls sehr zi^eckniäfsig. in geacbiohtlii^
eher Auffassung verfahren undvgezeigt, wie der Hau»
del des betreffenden Staates näish seinen verachiede*
neu Kategorieen nach und nach, sl^h entwickelt, und
welclie Stadien er durchlaufen hat. Itoi dem inneram
Verkehr sind die Postverbindungen nnd^ldid Mittel der
Communication, die bedeutendsten Städtte uud Plätae
des Handels, das Wichtigste in Betreff d^s Geldum»
laufa, namentlich der Banken, die Messen uind gröfae»
ren Märkte in übersichtlicher Beschreibung dargestellt.
Es ist zu einer Schätzung des eircuIirenden\Creldee
bei einzehien Staaten der Betrag der letzfea iBuqprl&*
gungen in Gold-, und Silbermflnzea angegeben \ m ^^^bJ^
voa' dem inneren Handelsleben der Nation wohlV ^eh
ein Bild herausstellt. Wir würden fiir gut hal
wenn bei diesem Abschnitte kurz über Maaüs, J^
und Gewicht das Nöthige im Vergleich zu den
fsischen Einheiten angeführt, und aufserdem dij
«euester Zeit für den kleinen Verkehr und denl
stand des gemeinen Mannes so sehr hedeutufigs^
Spareaseen näher erwähnt wären. Das inmittelsj
dem Freih. v. Malchus erschienene fleifsige
die Sparkassen in Europa wird hier^ binreichenj
terialien liefern. — Bei dem auswärtigen Hai
gerade In den Arbeiten der Handwerker ein grolbes, . zunächst in den gröfaeren Staaten die > Ges^
gewerbliches Leben und Treiben sein. Vergleicht man
die Anzahl der Mensehen, die in eunem Staate als ei*
gentliche Handwerker beschäftigt smd, gegen die, wel*
ehe in Fabriken arbeiten, so wird meistentheils jene
bei weitem überwiegen. Audi in der Vergleichung, wia
fuhr gegen die Gesammtaüsfuhr berechnet, und
das Resultat der Handelsbalance gezeigt Be7
land ist eisv Ueberschufs von^etwa 11 Mill, Thli
England von betnahe 20 Mill. Thfarn. Seitens '
fuhr über die Einfuhr berechnet; — bei Poi*
gpgBo flbenteigt die Binfitlir um das Drei- und Tier«
bohe die Aoiifuhr; eben so Ist in Spanien ein bedeu«
tettder Uebersohub der Einfuhr; imd auch bei Franic«
reiob übersteigt die Einfiibr um 4| Mill. Tl^r. etw»
nach dem Dnrehschnitt der letzteren Jahre die Ausfuhr
alljihrlich. Wir haben nun zwar gegen diese genaue«
wo Bereehnungen einer solchen Handersbabmoe man«
eherlei Bedenicen. Ein Staat, der andauernd eine
solche schlechte flandelsbalance hätte^ inüfste ja noth«
wendig alle Jahre bedeotende Schulden machen, um
■or existiren su können. Womit will denn Frankreich
1. B. das Deficit tou 4^ Mill. Thlrn. decken, die es
jährlich mehr aa das> Ausland abgiebt, als es von dem»
selbes erhält! Nach Schuberts eigenen Angaben ge^
winnt Frankreich an Gold so gut als nichts, aa Silber
etwa 70000 Thir. Dieser Ertrag deckt doch bei wci-
tem nicht 4^ Mill. Tbaler; und wenn er ausgefiihrt
wird, steckt er ja schon unter dem Ansfuhrwerthe.
Die Berechnungen sind nach den Quantitäten und ganz
besonders nach den Werthen der Artikel viel zu
sdftwankend, als dafs sich daraus sichere Schlüsse
ziehen liefsen. Ein Staat gleicht, Was er vom Aus-
lände erhält, durch Waaren des Inlandes aus, und
in der Hauptsache mufs in gröfseren Zeitabschoit-
ten Einfnbr und Ausfuhr flbereinstimmen, wobei Gold
und Silber bei Einfuhr und Ausfolir als fVaare sich
b«ecluiet. Nicht ' an d^r günstigen Handelsbalance,
sendam am Fortschritt der Befölkeruog und besseren
Exietenz der Bewohner erkennt man das Gedeihen der
Nation. — Dieser allgemeinen Einwendungen ungeach-
tet, wollen wir aber die Mittheilongen solcher Handels-
»balaneen Seitens des Yfs. keinesweges tadeln. Es war
nicht Oir ihn, sie zusammenzustellen, denn sie haben
TisIFach officiellen Charakter. In grofsen Zügen läfst
sich andi sagen, dafs wenn bei Nationen, wie Spanien
und Portugal, eine längere Reihe Ton -Jahren sich
iWrausstellt, dafs sie in ^nz entschiedener Weise
iiem Auslande Tiel mehr empfangen, als sie zurüokge-
l^n, so yiel immer folgen wird, dafs eine solche Na-
|{on sich im Rückschritte befiuden mufs, ni^d entweder
^nch zusammennehmen mufs, um viel mehr als bisher
:hnrch Pieifs aus dem ihm gegebenen Naturfonds Wer^
^lie herauszuschaffen, od^r sie mufs an Perölkcirung
jiod Wohlstand abnehmen. Ferner aber lassen sich
Lina diesen Listen der Einfuhr und Ausfuhr, ^und dies
L st Ton dem Verf. sehr fleifsig und' umsichtig gesche-
291
heu, die eanztlnen Objecte der Einfuhr und AusfiilMr
erkeauen, und ^es ergiebt sich, darch welche Waaren
bauptaächlich ein Land die Bedürfnisse des Auslandes
deckt, und, weicht diese Bedürfnisse vorzugsweise
sind. Ebenso hat der Ver& zweckmäßig gezeigt, mit
welchen Ländern jeder Staat vorzugsweise nach den
Einfuhr- und Auafubriisten in Verkehr 'steht, und dien
auch durch die Angabe der Handelsmarine, der See-
schiffe jedes Staats; der Anzahl und Tonnenlast > der
in die verschiedenen Häfen eines Staats eingebenden
und fius ihnen außgehenden Schiffe erläutert, aus. sei*
oben Zahlenangaben auch die Wichtigkeit der .ver*
schiedenen Häfen eines Staats nach ihrer relativen Be-
deutung in auzieheuden Resultaten anscbaulish gemacht«
Der §• 12. behandelt die geistige Cultur der Staai«
ten in ihren UnterricAt9an$taliM\ die Universitäten,
Gynmasien und Lyceeu, die Specialschulsn und den
Elementarunterricht. — - Auch übet Bibliotheken, Mu-
seen, Gemäidesamniiungeu sind die udthigen Notizea
gegeben« Der §. Vi. enthält die geistige Ci^ltur in ih-
ren statistisch bemerkenswertben Ergebnissed fär den
Staat; d.h. es ist geschichtlich gezeigt, wie bei einem
jeden der verschiedenen Staaten die schönen Künste
sich entwickelt habett, welche Perioden Malercfi, Bild-
hauerkunst, Musik in diesem oder jenem Staat durch-
laufen' haben, welche bedeutende Männer in diesen
Künsten aufgetreten sind, welchen Einflufs sie durch
ihre Werke auf die. Nation gehabt haben; eben so ist
die Dichtkunst, und sind dann die Üauptkategorieen
der Wissenschaft, politische Beredsamkeit und politi»
sehe St;udien, Theologie, Jurisprudenz Medicin, rhilo- '
Sophie, wie wir die l<acultäten theilen, und jede den-
sefben nach ihren vielfachen, verschiedenartigsten Un-
terabtheiluqgen gründlich und immer mit Hervorbe-«
bung der in den einzeben Staaten wichtigsten litera-
rischen Richtungen und Erscheinungen darcbe;efii^rt.
Es folgen sodann statistische Nachrichten über die
gesammte literarische Ausbeute piner Nation,' d. h.
die Zahl der erscheinenden Bücher und Kunstwerke,
ferner die Resultate der Tagesliteratur, d. i. die An-
zahl der Zeitschriften, und, wo es möglich war, deren .
Absatz. Wenn in diesen Darstellungen der Verf. über^
all als der gebildete Mann auftritt, der die Linien und
Punkte kennt, an denen die CiviKsation und geistige
Entwickclang einer Nation sich anlegt, von denen sie
gehoben worden und ihren Aufschwung genommen hatf
so führen die Zahlenverhältnisse zu überraschenden
Resultaten. In Rufsland erschienen 180^ durchschnitt*
lieh 261 Werke jährlich ) 1831 724} 1832 694$ 183a
758s Die Einfuhr ireinder Werke ist im letzten De-
cennio gegen die ersten 20 Jahre. dieses Jahrhunderts
geradehin auf das Doppelte gestiegen. In England er^
scheinen weniger ntv^e Bücher alljährlich als in Deutsch*
land ; aber von denen, die erscheinen^ erleben verhält*
nifsmäfsig in England viel mehr neue Auflagen als in
Deutschland} uqü dergl. mehr. Besonders wichtig sind
die Resultate des Elementarunterrichts. Während in
Frankreich und Engbrnd für die Bildung des Volks
in neuester Zeit sehr viel geschehen ist, hegt der Ele*
295
JSciMertf aUgemtiiM • St«flttJkunde V9n Ewf^ptt.
I <
Dientariinterricht in Spanien und Portugal und' den mei*
tten italienifloben Staaten ganz danieder. Im Kircben*
Staat geht von den achnlfähigen Kindern ^ den Kin-*
dem zwisdieo dem 7. und 14. Lebensjahre, wie Sehn-
ber( reebnet, nai^ das 5. auir Scbuje; so dafsinan im
Kircbenstaat ^ der Einwobner, als ohne alle Bildung
aufwachsend, beseiebnen kannll -**
Die Resultate des Elementarunterrichts geben den
wichtigsten Einblick in den Biidungszu^tand des Volks.
Sie zeigen ini grofsen üthrissen, ob die Sorge ^ler Re-
gierung fär den Unterricht der Nation Ton Erfolg ist^
Es giiebt ein iebendiges Bild von dem Zustand des ge*
meinen Mannes, wenn sich zeigt der 6., 7., 8. Mcnscb
oder nur der 15., 20., 50. geht zur Schule; 7— a/A? kön-
nen lesen, schreiben^ rechnen, oder sehr wenige. —
Läfst sich nach der Anzahl der Trauungen, der Kin-
der in der Ehe, der uneheliehen Kinder, der Sinn für
Faifiilienleben schildern, nimmt man hierzu die Anzahl
der Verbrechen, namentlich ob grobe Verbrechen ab-
nehmen u. dgim., so ergeben sich daraus Anhaltspunkte
fiir die Sittlichkeit in der Nation. Die Verzehrungs-
«nd Verbranchsrerhältnisse, wie viel Getreide, Fleisch,
Wein, Bier, Branntwein, Tabak, Gewebe und Kleidung
aller Art o. s. w«u. s. w« berechnet sich durchschnitt-
lich auf den Kopf, geben die wesentlichsten Anhalts-
{lunkte fär die äufsercn Existenzmittel einer Nation«
st es indglith, unter Angabe der Preise der wichtig-
sten Lebensbedürfnisse, zu zeigen, wie viel die Familie
des gemeinen Mannes notbwendig bedarf, und ob und
in wie weit diese Summe der Taglöhuer n. s. w. jähr-
lich verdient^ so rundet dies die Darstellung noch mehr.
Vieles der hieher gehörigen Verhältnisse hat der flei-
fsige Vf. in den so vielseitig und umsichtig behandel-
ten Cutturverhältnissea und anderweit angeführt und
eingestreut. Viellefieht gelingt es in ferneren Darstel-
lungen die Resultate der hier bezeichneten Art zusam-
iiten zu fassen, wie die Engländer in statistischen Wer-
ken wohl eine (Jeberschrift lieben : Food, dress and
babits of the Bulk of 4he people, — .Nahrungsmittel,
Kleidung, Sitten und Gewohnheiten > der Masse des
Volks. Die Wohlhabenden und Gebildet;en iebeu in den
verschiedenen Staaten Europa's in ziemlich ähnlicher
Weise; -^ bei dem gemeinen Mann, der überwiegeiN
den Mehrzahl der Nation, treten die .Verschiedenheiten
hervor; Die Statistik hat vorzugsweise die Aufgabe:
das Volksleben zu zeichnen; — damit die Regenten
und ihre Verwaltung ihre wichtigste und schwierigste
Bestimmung Erfüllen -können, den Zustand des FeiAs,
in aller Weise zu verbessern.
Die Abschnitte Q. und D. in der Schubertschen
Staatskunde umfassen die Regierungsverhältnisse der
einzelnen Staaten. Unter C. der Verfassung sind ge-
geben: erstlich die Grundgesetze (in den meisten Staa-
ten §. 14.)^ in England beginnend mit der magna qliarta
von 1215, in (Portugal mit dem Reichsgrundgesetz von
1143 und dann fortgeführt bis zur neuesten Zeit', in
allen Staaten die Angabe der die Verfassung in we«
sentlicbst^r Beziehung begründenden Verbältnisse; -^
dann folgen (^. 15«) Staatsforui) Rechte der höchsten
,296
Staatsgewalt und der Iregierende^ Dynastie, Titel, Wap-
pen, Hofstaat* Orden, f. 16. Die Rechte der Stände -^ —
§. 17. das Verbältnifs der Kirche zum StUat. — Un-
ter, dem Abschnitt D. is^ die Verunsltung behandelt;
aäjnlicb 1. innere Verbältnisse: 0) CentralbehördeB (4
18.) die Minister, das Cahinet, der' Staat srath $ b) dw
innere Provinzial- und Polizei* Verwaltung (§. 19.); die
Organisation der Verwaltungsbehörden in den Provin-
zen, Districten, Cdinniunen. c) Die Rechtspflege (§. 20.]^
worin eine Uebersicht der im Lande gültigen- Kechls,
und Rechtsbücher, nebst Darstellung der Gerichtsbe^
hörden und deren Verfahren ; und ist bei der Criminal-
justiz die statistisch wichtige Angabe der VerbretAen
nach ihren verschiedenen Kategorieen sehr sorgfältig
behandelt. Wie wichtig die Verbrecberstatistik sei^ ha-
ben wir schon' oben angedeutet. Man möge aber ja
nicht hier sich mit der blofsen Zahl begnügen; -^ wenn
Morde abnehmen, kleine Diebstähle sich eti^as yermeh«
rptt ; und wegen letzterer die Gesammtzabl der Verbre*
eben gröfser erscheint, so geht der sittliche Zustand
der Nation noch nicht zurück. — Die 'Verbrecbersta-
tistik. will mit grofser Vorsicht behandelt sein ; richtig
aufgefafst, giebt sie aber die wichtigsten Andeutungea
über den sittlichen Zustand in einem Volke. Der VL
behandelt, sodann d) die Finanzverwaltung (§. 21.).
Hier findet sich bei den bisher bearbeiteten (Staaten
eine sehr interessante Darstellung der Staatsschulden;
ßodann sind die Budgets erläuternd mitgetheilt e\ INe
Kriegsverwaltuug ; Landheere uud Seemacht (§. 22.) IL
Auswärtige Verhältnisse. Hier ist unter der Ueberscbrift
des politischen Verkehrs mit andern Staaten (§• 23^)
geschichtlich das Veirhältnifs des betreffenden Staates
zu dem übrigen Europa geschildert, und danach der
politische Standpunct jedes Staates festgestellt. Heut'
nächst sind (§. 24.3 ^^^ wichtigsten jetzt gültigen Staats«
Verträge und Bündnisse angegeben. Wir halten die Bear*
beltung dieser beiden Abschnitte C. und D. für besonders
gelungen. Der Vf. war hier auf dem Gebiete der Historie
uod^ des Staatsrechts, denen er längst befreundet war. ~
X Das Werk empfiehlt sich auch in typographischer
Hinsicht. Einige, jedoch nicht wichtige Fehler^ sind im
Druck trotz der grofsen Sorgfalt des Vfs. stehen ge-
blieben, wie bei einem Buche so voller Zahlen gar woU
zu entschuldigen ist. So giebt die Addition I. S. 130 voa
nr. 6-24 nicht 21,452000, sondern 20,052000 ; IL S. 109
statt 74,^040000 Fr. und 21,99ü808Thlr., — 74,070000 Fr.
und 19,990800 Thlr. ; II. S. 354 mufs es statt 3,351396
beifsen 3,331398; III. S. 21 giebt die Summe 3,717433,
nicht 3,707643; IV. 8. 563 mufs es statt 41243 «iimI
41489 beifsen 41242 und 41759.
Für die Hauptresultate sind diese Unrichtig,keitea
in einigen Zahlen von keinem bedeutenden EinOufs, und
ftir die Darstelhmg des Ganzen durchaus unerbeblidi;
wir glaubten aber dem sehr geachteten Hrn. Vf.^ <lcr
durch diese, seine Schrift ein wahrhaftes Verdienst on
die Statistik sich erworben hat, solche für den Fall ei-
ner zweiten Auflage, die einem so wichtigen Werk ge-
wifs nicht, fehlen irird, nicht vorenthalten zu dürfeD«
. Dieterici.
J a h r b fi c h e
I u-r
i;v i 8 8 e n s c h a f 1 1 i c h e Kritik.
August 1839.
XVIL
Semswn der Lehre vom Oahano-Voltaismui.
Van Dr. C. H. Ff äff, Köntgl Dan. Etat^
rathy Prof zu Kiel u. s. w. Altona^ 1837.
Wenn eine SchrifV, wie die vorliegende, eine Ue*
fcamiobt der gegenwärtigen Beschaffenheit der LeVe
wom Galvanisnuns qntev yergleichendeui Rückblick auf.
den Zustand dieser Disciplin in ihrer früheren Ent«
Wickelung zu geben verhelfst, während ihr Verfasser,
so wie Herr 'Etatsrath Pfaff, ein anerkanntes Recht
liat^ fast yon der ersten Zeit der Entwickelung die-
ses bedeutungsvollen Zweiges der Naturwissenschaft
an sn den eifrigsten und verdieustvollsten Pflegern
desselben gezählt su werden: so kana'sie ohne Zwei-
fel nicht nur die Theilnahma der eigentlichen Physi-
ker. sondern selbst auch die Aufmerksamkeit derer in
Asspmcb nehmen, die, wenn auch in andern Richtun-
gen begriffen und den Gegenstand nfcht mit dem Blicke
des Kenners nach äHen Einzelnheiten verfolgend, ihn
denfoch in seinen wesentlichen Grundbeziehun^en zur
Naturwissenschaft wie zur Geistesentwickluag der Zeit
fiberhaupt ins Auge zu fsssen geneigt sind.
Pas Wort Galvanismus hat bereits an sich mit
eeiser Entstehung die Physiognomie einer als eigen-
thumlich gebeimnifsvoll bezeichneten Welt der Erschei-
Busgen gewonnen,« mit deren Darlegung die Natur ihre
verborgensten Tiefen, aufgeschlosseu und dem forschen-
den Geiste den Zugang zu ihren Wundem auf eine
firüher ungeahnte Weise eröffnet habe. Schon darum
Verden alle, die von lebendigem Interesse für den all-
gemeinen Fortschritt des Wissens erfüllt sind, mit
grofser^r Spannung auf die Geschichte der Hauptef-
gehoisse dieser unergründlich reichen Offenbarungs-
Mfttte binblicken und nicht leicht wird einer unter ihnen
gtnzlich unberührt geblieben sein von der Reihe grofs-
artiger Entdeckungen v der neuesten Zeit, welche auf
jQkrh.f. mueuMch. Kriük. J. 1830. II. Bd.
die seit Jahrtausenden in Dunkel gehüllten Rätksel der
Erde ein Licht warfen, das schon in ilrenigen Decen»
nien Richtung uud Umfong bisheriger Ansichten und
Grundlagen des Wissens nach allen Seiten hin zu er-
weitern und umzugestalten vermochte.
Doch schon bei diesem ersten Hinblick auf den
Gegenstand, dessen sachgemärse Darstellaxig von der
vorliegenden Schrift zu erwarten wäre, mufs der Refe^
reut, fern von jedem Gefühl eines partbeiischen Ent-
gegen treten^, den Unterschied des Standpunctes zu
erkennen gebe% der zwischen dem Verfasser und ihm
in der Würdigung des Feldes der Erscheinungen und
der Beschaffenlieit seiner Früchte obwaltet. Für Herrn
Pfaff . sind gewissermafsen die grofsen Offenbarungen
der nächsten Vergangenheit im Gebiete des Elektro-
magnetismus und der Magnetelektricität nicht da ge-
wesen; es ist als leugnete er sie, in^ so fem er allen
durch sie nothwcndig bedingten Bestrebungen einer
Umgestaltung des wissenschaftlichen Bodens zu einer
den mahnenden Thatsachen angemesseneren Auffas-
sung seine Anerkennung verweigert'. Die uranföngli-
.che Ansicht der Volta'sohen Zeit, die alle galvanischen
Erscheinungen nur. auf die kleinen elektrischeo Pulse
zurückführte, welche durch Volta in der von ihm ent-
deckten Contactelektricität auf{^efunden und nachge-
wiesen wurden', das ist der Standpunkt, auf dem allein
Herr Pfaff auch ferner noch fufsen zu müssen wähnt
und den er auch jetzt noch, so wie ehemals, als Ba-
sis aller der grofsartigen und mannigfaltigen Phüntj^
mene geltend zu machen trachtet , welche die Ent-
deckungen neuerer Zeit uns ' gebracht haben. . Sein
Buch, so wenig daran das Verdienst schätzbarer, be-
lehrender und scharfsinniger Mittheiluoigen für äie Wis^-
senschaft bestritten werden mag, erfüllt daher nicht
den in der Ueberschrift angedeuteten Zweck ein#r un-,
partfaeiischen Darlegung des Gegenstandes, es trägt
vielmehr durchgeheuds des Charakter einer subjecti-
38
N .
\ ».
299 Pßfß^^ Revision der Lehre
iTen Polemik, die gegen ilas Bedürfnifs des Fortschrittes
einer freieren EntwickeloDg ifirisseDschaftlicher Grund«
ansichten gerichtet und fast überall nur yon Parthei-
lichkeit fOr die Stabilität- einer den Thatsachen and
Ergebnissen der Zeit nicht mehr entsprechenden Hy-
pothese der frühereit Voltasohen Periode erfüllt ist.
Selbst schon auf dem Titelblatte begegnen wir
dieser Partheilichkeit des tierrn Verfassers (Ur Yotta
und dessen Ansichten in sehr bestimmtem Gepräge.
' Voltagilt ihm in solchem Girade als eigentlicher Be-
gründer der Kenntnifs des ganzen Erscheinungsgebie-
tes, dafs er dem ursprünglichen Entdecker Galyani
die Ehre, es nach seinetn Namen zu nennen, nicht
anbedingt zn Theil werden läfst, sondern, dem Rechte
des längst befestigten^ Sprachgebranchbs entgegen, statt
des Wortes OalvanismuM die, schon durch ihre Länge
widerstrebende Form : Galvano^ Fohoiemus zum Ter-
minus der Bezeichnung seines Gegenstandes erwählt
hat. So werden wir denn auch hier im Drange einer
zu gröndlic^her Reform empor strebenden Periode der
Wissensdiaft dasselbe gewahr, was sich auf anderen
Feldern der Entwicklung zuträgt; wir sehen auch hier
von neuem bestätigt, dafs die Geschichte des Wissens
und .die Normen ih|res geistigen Verlaufs überall die-
selben sind, dafs sie zugleich den Typus aller übrigen
Arten von Entwickelungen und Umgestaltungen darbie-
ten^ welche in der culturgeschichtlichen Welt des Men-
schen wie in der grofsen Offenbarungswelt der Natur
als gleichzeitige Momente ihres zastlosen Fortschrit-
tes begrülidet sind. Von der einen Seite ein Streben,
welches die von der Gegenwart ^bgestofsenen Inter-
essen einer früheren Zeit noch mit einem Eifer ver-
theidigt, der selbst in Nebendingen und Namen das-
jenige noch fest zu halten trachtet, was dem Wesen':
und der Sache nach kaum mehr an den letzten Ter- .
dorrten Fäd^n seiner yormaligen Bedeutung haftet.-
Von der anderetf Seite dagegen eine Vemichtungsten-
denz, die mit den unbrauchbar gewordenen Formen
« and Beziehungen der früheren Entirickelung auch den
wesentlichen Gehalt derselben verdrängen will, der
Tielmehr, statt aufgegeben zu werden, im Kampfe des
Länterungsprocesses nur vollständigere und höhere Gel-
tung gewinnen soU.
Diese Kehrseite am wissenschaftlichen Gepräge,
dessen G^sammtbild wir auf Veranlassung des H^rm
Verfassers zu würdigen haben, stellt sich uns hier zu-
vom Oalvano*VoUaiimu$i '
•
erst dar in den, Arbeiten and Belianptoi^a rinas
deren Physikers, des Herrn de la {live inr Genf, der
die Effecte der Volta'schen Contactelektridtit itieht
nur als unznlängliche Motive der galvanischen EracM-
nuogen betrachtet, sondern selbst die- fiiktisbbe, Wi
chemischen Erfolgen unabhängige Existenz derseilMi
gänzlich leugnet. Gegen ^diese Vefnichtangstendett
ist der erste Abschnitt der vorliegenden Schrift geridi-
tet und, wie Referent ohne Weiteres versichern n
dürfen glaubt, mit so siegreichem Erfolg, dafs Ce
Uebereilung und Grundlosigkeit der vwsncfaten Nega*
tion dadurch in aller Entschiedenheit nachgewiesen wer-
den ist. In den drei folgenden Abschnitten besehlf-
tigt sich Herr Etätsrath Pfaff noch femer mit Bestiah
mnngen, die sich auf Contactelektricität, und ini drit-
ten Abschnitt namentlich auf das Verhalten swieoitf
Metallen und Flüssigkeiten bei. gegenseitiger . Berik-
rung, beziehen. Wir können auch hier im Ganzen das
Verdienst d^s Herrn Verfassers, sowohl in der wieder-
*
holten Constatirung von Thatsachen, als in der Be-
richtigung mancher dahin gehörigen, wiewohl minder
erheblichen Ansichten einiger andern Physiker, um se
bereitwilliger anerkennen, als wir hinsichtlich einet
ner, bei dieser Gelegenheit ausgesprochener Meinoa-
gen des Verfassers, mit denen wir nidit einrerstandea
sein können, im Folgenden noch hinreichende Veranlas-
sung zu Gegenänfserungen in einem gröfser^a Zon»-
inenhange erhalten werden.
Ein Hauptpunkt der Entscheidung, auf den eick
auch bei weitem der gröfseste Theil des Inhnitn der
übrigen Abschnitte in der vorliegenden S<!brtft iienelit,
ist jedoch nun der, dafs der Volta*schen Contactelek-
tricität, auch wenn sie als ein von chemischen Wir*
kungen unabhängiges Factum an und für sich in Gif-
tigkeit bleibt, dennoch nicht der Antheil an den Erfbl-
gen des Galvauismus zugestanden wird, den die Vol-
taisten, und mit ihnen gan^ besonders unser Anter,
ihr zuschreiben. Dem von der Theorie unbestodienea
^Beobachter dringt sich überall gewaltsam die Frage
auf, wie die geringfügigen elektrischen Erregongea,
welche im Contact der Glieder einer galvanisdien
Kette hervorgerufen wcrdeti, ohne Rnckwirkuog «kr
chemischen Function zu der in glänzenden Fnnkcn
ausbrechenden Spannung gesteigert Werden können,
wie sie (ur sich allein den kraftvollen chemisohen P^i-
cefs, die partielle Glut nnd die intensive magnetische
ML
Pßtffs Jt^ffisU^ der Lehre pHk Oahmne-Voliaunme.
ao3
firr^gttiig 4^ fesdUosseoen Kette vx bewirken yeraid-
Ben. Dasa kiHomt, dafa die Volta'sobe Theorie den
ZaaammenhaDg der xaletrt genannten EracheiaaDgen
aik der Elektrieität jeder Zeit aar als ^ein Räthsel zu
behandeln vermoobt bat> das sie in Bezng auf die ohemf-
•eben Wirknngenr nnr dnrcb neue HülfabypotbeseD, de-
mea xugleitib die Elektrocbemie ibr precärea Dasein
Terdankt, aaf eine gezwungene^ rein formale Weise zu
Ideen Tersncbti und in Bezng auf die magnetiscben
Bifaote bat sie niobt einmal* den Tersncb einer soloben
-blofs formalen Ldsnng aufzuweisen. Sie entbält aufser
4er factiecb ^>enstatirten Contacteiektricität nicbts zu-
TerUUs^esy was dem gesucbten Verständnisse der Er-
•ebeinnngen als ein baltbarer Stützpunkt sieb darbfite,
»Dafs die im Contact bervörgerufenen elektriscben £r-
«egnngen^ gleiob Strömen, dnrcb den gescblossenen
'Kreis der galf aniseben Kette sieb ergiefsen, dafs diese
del^triscben Strdme den cbemischen Prooefs der Kette
bewurken, dafs sie nicbt wieder ' die partiellen Effecte
dhMi £rgl&bens und den Magnetismus der Kette erzeu-
fjen oder identiscb mit ibm seien, das alles sind Hy-
pothesen, die durch nicbts erwiesen werden und bei
denen der naebzuweisende Zusammenhang von Wirkung
•uid {Irsache dennoob wiederum eine Vermittelung durch
^ene abermaligen elektroobemiscben Bjpotbesen er-
'heieekt, in denen aogenommen werden raufs, dafs die^
sogenannten Atome der Substanzen, welche im/gescblos-
'.senen, Kreise der Kette die chemischen Veränderuogen
eri^den, ursprünglich bereits mit elektriscben Erre-
gungen behaftet seien, vermöge welcher sie Ton den
hypothetischen elektriscben Strömen der Kette ergrif-
fen, fortgefiihrt, abgestofsen und dergestalt tbeils aus-
cbiattder, tbeils zusammen getrieben werden, 'Wieesden
-bewirkten cbemisoben Zersetzungen und Verbindungen
gem&fs ist, wenn diese, was jedoch wiederum ^uf keine
•Weise Befriedigung gewährt, als formale Resultate ei-
ner blofs änfserlfcben ' Trennung oder Vereinigung der
ateaustisch gesetzten Bestandtbeile betrachtet werden.
Es ist eine starke Zumutbung fiir den denkenden
Gmt» bei'so bedeutungsvollen Erscheinungen das rege
Bedflrfnifs nach ^Q^^Utativen Bestimmnugen ibres Zu-
aammenbanges mit nicbtigen Hypotbesen binzubalten,
^e niobt einmal den formalen Schein einer Verknüpfung
anders, ah durch abermalige npcb gruodlosere Fictio-
nen zu gewähren vermögen, und es bleibt unter solchen
Umstände eine nnbegreifliche Aeufserung des Hrn. Vfs.,
wenn er in der Eiuleitung, S. 6, die Volta'sohe Theorie
als eine solche cbarakterisirt, die aus dem Fundamen-
talfactum der Contacteiektricität ein einfaches Erklä-
mngsprincip abgeleitet habe, aus .welchem sich alle be-
aonderen, selbst die <|em Anschein nach böphst vier-
wickelten Fälle' leicht ableiten und voraus bestitaunea
lassen. Aber selbst dann, wenn dieser Theorie auch
die NachweisuDg des qualitativen Zusammenhanges zwi-
schen ihrem so hoch veranschlagten Fundamentalfootum
der C.ontaotelektrioität mit den übrigen Erscheinungen
der galvanischen Kette einen Augenblick erlassen bleibt,
fao ergiebt schon die blofse quantitative Yergleicbung
der leisen, kaum in die Sinne fallenden Regungen die-
ser Contacteiektricität mit den mächtigen Wirkungen
des Chemismus und Magnetismus der Kette, wenn diese
als die prädicirten Ergebnisse von jenen ins Auge ge-.
fafst werden, ein so schreiendes Atirsverbältnifs, dafs
ein vorurtbeilsfreier Erkenntnifstrieb die Unangemessen-
heit der Volta'scben Theorie darm notbwendiger Weise
ergreifen und das Bedürfnifs nach einer solideren
Grundlage der Verknüpfung der Erscheinungen auf
das «lebhafteste empfinden mu/s. ,
So bat sich denn in Folge dieses unabweislicben
Bedürfnisses, gegenüber der Volta'schen Contactth^o-
rie eine andere, die sogenannte chemische Theorie des
Cralvanisnius gebildet^ welche den Chemismus^ selbst
als die Fundamentalqnelle der im Galvaniamus com-
binirten Erscheinungen betrachtet; und als vornehm-
ster StimmfttbreJr dieser Lehre erscheint Faraday, der
berühnite Entdecker der Magnetelektricität, gegen den
daher auch vorzugsweise unser Verfasser als Verfecb-*
ter des Voltaismus, bei sonst gerechter Würdigung
der verdienstlichen Leistungen seines Gegners, in, die
Schranken getreten ist, wenn gleich keineswegs mit
so sicherer und siegreicher Waffe, als sie Herr de la
Rive bat erfahren müssen.
Hätte Faraday von einem höher gelegenen Ge-
sichtspunkte aus die Angemessenheit des Feldes, wel-
ches er als neue .Grundlage der Theorie erwählt bat,
in diesem Bezüge nach seiner wahren Bedeutung ei^
kannt, so könnte Referent hier sich auf die Priorität
berufen, mit der er bereits vor dreizehn Jahren syste-
matisch aus einander gesetzt hat (derPrpcefs der gal-
vanischen Kette von G^F. Pohl. Leipzig, 1826.), dafs die
Physik, in ihrei: bisherigen Betrachtungsweise des Pro-
cesses der galvanischen Kette, nach der Cöntactelek-
y
aod
Pßfjf^^ JUeviswM der L$hre mm Galvmm^ •VeHaümuf.
n
ttkit&t der Metalle nur so wie eia Kind naoh dem,
was bUtoend in die Augen ftllf, gegriffeii und die we-
Mntlicheren Q'ttalit&ten in der Relation der Flüssige
keit zu den Metallen, wenn niobt übersehen^ doch fast
gftnzSich Temachlässigt habe. Aber Faraday^ noch
• ftm davon, doreh «100 klare Anscbaunng des innem
Zusammenhanges der Ersobeinungen geleitet zu weiv
iden, ist vielinehr nur in Folge der Ton Aufsen her
toiob anfdringenden Präsumtion der' Unzulänglichkeit
des bisherigen Volta'schen Standpunktes von diesem
zu dem seinigen äbergegangen ; er hat den Vortheil
der naturgemäfseren Stellung voraus, ohne ihn weder
gehörig zu kennen, noch zu benutzen; er stützt sieh
auf eine Identität des Chemismus und der Elektricität,
ohne den eigentlichen Punkt der Gemeinschaft ' und
Versdiiedenheit beider auf eine' positive. Weise vor
Augen zu haben; diese Faradajsöhe Identität ist eine
unbegreifliche, in allen Punkten congruirende, Einerlei-
lieit dessen, was vielmehr nur in einer Beziehung zu-
sainmenfullty.in allen übrigen aus einander liegte die
Elektricität ist und bleibt auch ihm .das bisherige ge-
heimnifsvolle, unerklärliche Agens und der Unterschied
zwischen ihm und dem Volta'schen Antagonisten kommt
lediglich darauf zurück, dafs der eine nach seiner
Behauptung die Elektricität aus däm Chemismus, der
andere dagegen den Chemismus ^ aus der Elektricität
hervoi*gehen läfst, während auf keiner von beiden Sei-
ten ein deotiiehes Bewufstsein über die Beschaffenheit
dieses Zusammenhaoges der beiden Momente unter
sich und über ihren Zusammenhang mit dem Magne-
tismus obwaltet. J .
So stehen beide Partheien wie zwei Kämpfer mit
verbundenen Augen sich gegenüber, die nicht nur über
die Richtung d^r einzelnen auf einander geführten
Streiche, sondern selbst auch über die Natur ihres
Kampfs im Ganzen in Ungewifsheit sind. Denn in
der That ist dieser Kdtnpf, den Herr Pfaff noch auf
der vorletzten Seite seiner Schrift als die grofse Streit-
frage zwischen der Volta'schen und chemischen Theo-
rie bezeichnet, nicht minder wie so viele andere Käm-
pfe, die nur grofs zu nennen sind in Bezug auf die
grofse Befangenheit^ durch welche allein sie genährt
worden, ein an sich nichtiger und vollkommen niüfti-
ger Streit. « Dasjenige nämlich, was als Entscheidungs-
punkt darin festgehalten wird, sohliefst der Natur der
Sache nach schon eine anverraeidlielie Dopptlgtiti|.
keit jn sich, von derselben Art, wie sie x. B« ein Streit
ober die Frage mit sich fährte^ ob die Pflanze •»
dem Saamea oder ob der Saame ans der Pflanze $1»
lEeugt werde. Wenn Saame und Pflanze yon vorn ke^
ein nicht anders, wie in den t>bigen Theorieen Elet
tricität und Chemismus, in einer gäns be8limmQDgBle^
reu Causalitätsverknttpiung nur so 4>benbin^aB ma»
der gehalten werden, so ist filr sich klar, dafs aas 1»
zähligen Erfahrungen . eben so wohl fite die csosale
Priorität auf der Seite des Saamens als auf Seiten der
Pflanze entschieden werden kanii. Die Wahrheit iä
aber nur vollständig vorhanden, wenn man die E»
-seitigkeit der Alternative ganz fallen läfst, und beide
Seiten vielmehr in dem concreten Begriffe der Pflaitt
zusammenfafst, kraft dessen die Realität des eisei
Moments gar nicht ohne die identische Realität, dei
andern gedacht werden kann, während doch zAgteiek
beide und zwar eben damit in der bestimmtesten Ve^
schiedeaheit aus einander gehalten sind, dergestik
dafs der Saame als die noch unentwickelte Pfiaase^
als Tendenz derselben, jlie Pflanze hingegen, als ea^
wickelter Saame, als eigentliche Vollendung ihres B^
griffes erscheint. Völlig gleiche Bewandnifs hat ei
mit dei: angemessenen Auffassung des VeriiältiiiiMe
•der Elektricität und des Chemismus, Es fehlt fir
w
keine der beiden .obigen Theorieen an Thatsadm^
durch welche eine jede vcn ihnen das abstracto Caap
salitätsverhältnifs, das sie in ihrem Sinne im Giqpe»
satz der andern für das richtige hält, rechtfertiges it
können wähnt. Aber die auf keiner von beiden Set
ten ungetrübt vorhandene Wahrheit tritt nur Jn volles
Licht, wenn der Chemismus, in bestimmter Ansehsi^
upg seines Begriffs, als eine allgemeine Fanetion dci
•Naturlebens, und die Elektricität als eine beseadeNf
Aeudserungsform desselben, als seine gleichzeitige vi
ihm identische That, jedoch eben damit zugleich aiiik
nach ihrer Verschiedenheit von ihm als diejenige Seite
sriner Wirksamkeit gefafst wird, nach welcher er eieh
vorzugsweise nur als Tendenz änrsert^ sei es un Bir
^ne ttnd Uebergange zum vollständig entwickilti>
chemischen Procefs, oder im Nachlassen und bei «»*
tretender Upterbrechung desselben*
(Die FortsetzsDg folgt)
wissen
jr 39.
J a h r b tt c h e
f ü r
js c b a ft lieh
e Kritik.
August 1839.
HfTMMM dtr Lekte «•» Qtdvmnn - Voltaumu».
Vit Dr. C. B. Pf äff.
(PorfMtemig.)
Diese bereite in der obeo erwäbiiteii Schrift auf«
gestellte AttBicht des Hefereatea macht die Graedlage
aifter Theerie^ derea Bestandtheile die Gewährleistang
«ioer objeetiTen- Reslitit mit sich führen, wie sie bei
Foimattheorieen nach. Art der Voite'schen nnd chemi^
mdma nicht Tcirhanden sein kann, denen der Vorwurf
flieh ans Bypoiheseni ans subjecü?en GesiohtspnnkteHy
ohne Hingebong an die Natnr nnd ohne unnfiissende
«hjeetiTe Orientirnng begründen au weilen, schon ^Ton
▼om herein anabweisUeh aar Last fiUlt. Referent mufs
hier die weitere MetivirnDg seines Urtheils über die
ireriiegeDde Sohiift einige Augenblicke verschieben,
«m teiv0cderat die Ormidzüge dieser seiner gaWanip*
acben Theorie in wenigen Sitaen dersnlegen« Bs ge^
wA^^ saaftchst nm der Sache selbst willen^ da di^
Hanptpnnkte^ die augleich iiir jedes künftige System
der chemischen Physik überhaupt, das anf Wahrheit
4napruoh machen soli^ nnerlüfslighe Fundamentalbcr
atioumuigen biUen^ noch nirgend in der Abgeschloi^
aenbeit nnd Entsidnedenheit wie hier vorliegen, nnd es
geaehieht zagleich aaC die geeignetete Veranhssuog,
nns die nntea weiter su yerfolgeade.Beurtheilang, mit^
lebt einüacher Zurückweisung auf* die nädist folgei^
den Paragrapiien^ dttieh die Beseitigung nmstipdUohe^
res Ansf inandersetsuag^n an den betreffenden St»
lea mogUchst abankniaen«
§• 1. In allem Leben ist sewoU ein Trieb yeii*
hMiden, siriae Entwiekeinng weiter an führen, als auch
eitt Trieb, sie au hsnmen oder an besohräf kon. Diese
mttim im Begt^ enthaltene ttrsprüngKcbe Pohirifftt
ward augkieh vem teleolegiseken Gesichtspunkte au$
gaCoidert. Was aaa medeter Stufe der Entwiekehtog
an einer hdbeien fiiitecfareitet, ist eben se«wobl gend*
tiugt, durch bestitfinite Faectienen aeinen Zusaamen^
Jmkrh. f. vüi€n$€h. Kritik. J. 1830. U. Bd.
haag mit dem tiefer liegenden Standpunkte, nach Mars«,
gäbe der mehr oder minder Torgeschrittenen Bntwickei-
lung, noch fest an halten, als es darch aodere Funkv
tionen der Reife des höheren theilhafby zu werden
trachten mnfs.
§w 2: Daher in der Einheit des Gesammtlebens
die polare Doppelseite desselben als Leben <des Gef-
ates nnd der Natur. In der Natur wiederum der Ge-
gensata organischer und nnorgasischer Wirksamkeit;
Im uttorganischen ferner die polaren Functionen chemi*^
scher und mechanischer Thütigkeit.^ Endlich ini Chemis-
mus der polare Gegensatz der Oxydation und Desoxyda-
tion, wie im mechanischen der durchgreiftnde Gegensatz
peripherisch centrifogaler und centripetaler Bewegnog.
4. 3. Der Chemismus, als die grofse rermittelnde
Function zwischen der unorgani'scbeti und organisch'en
Natur, wirkt in der Richtung der letzteren und zu ih*-
reu Gunsten mittelst der Oxydation. Die Oxydation
bereitet, durch Verwandlung des Metalls in keimf&hige
Erde, der Vegetation nnd Animulisation den j^oden,
sie vergeistigt die organischen Bildungen du^ch immeir
entschiedeaere Zurfickdrüsgong und Ueberwindung deft
Metalls, welches dem Uriiustande der Materie^ dem
lauern der Brdmasse noch in der tiefsten, UDäilfge-
achlossensten Daeeinsweise angehört. Der polare 6e-
geneffect der Desoxydation und Reduction erhftlt da^
Gleichgewicht und bedhigt den gentftftigten Entwicke-
lungsrerlauf awiscben den beiden Sphären des orgd^
nisohen und unorganischen Natttriebens«
4'' 4. Mit jedem besondercD cbetnisohen. Procefs
der jetzi|;en Epoche der Eiltwickehing wird das obige
GruHdgeseta der polaren chemischen Wirksanfkeit auf
awiefiicbe Weise erftiHt. Erstens * dadurch, dafs der
Procefs nater der Wechselwirkung zweier differenteU
Stoffe erfolgt, die in den eotgegengesetzten Polaritftt8«>
lichluttgea gegen einander thfltig sind. Der ehe ron
beiden, der Oxydatiensfactor, wirkt rorzugsweise oiy<*
39
^ I
307. Ppff'i ^i^ Lehre mm
direod anf den andern eib, wählend- er selbst desoary-
dirt wird ; der andere als Desoxydationsfactor wirkt '
. Torzugsweiso desoxydirend auf jench zurück, während
er ,8elbjBt oxydirt wird. . Indem so der eine auf eine nie-
dere' Oxjdatiossstufe zurück geht und gleichzeitig der
andere auf eine höhere hinauf nickt, begegnen sich beide
anf gleicher Stufe der Metamorphose und bilden das '
chemische Product, das nun weder den einen noch den
andern Factor in froherer Gestalt enthält, sondern ei-
iien dritten, von beiden Töllig verschiedenen, in sich
durchgehends gleichartigen Stoff darstellt, der jedoch
üuch unter geeigneter Einwirkung anderer Stoffe von
neuekn die entgegengesetzte rückgängige Metamorphose
erleiden und in die früheren Formen der anfänglichen
Faktoren nach beiden Seiten hin wiederum auseinander
treten kann»
^ 5. Die andere Weise, nach welcher sieh die
chemische Polarität in jedem einzelnen Procefs realisirt,
besteht darin, dafs der Gegensatz- nicht nur in 'beiden
Factoren, sondern auch in jedem einzelnen für sich auf-
tritt, dergestalt, dafs aufser ^er in jedem Factor vor^
zugsweise herrschenden Thätigkeitsrichtung auch eine
zweite Seite seines Verhaltens nach entgegengesetzter
Jlichtung in ihm vorhanden ist. Der Oxydationsfactor
ist in geringerem Grade zugleich als Desoxydationsfao-
ior und eben so der Desoxydationsfactor in geringe-
rem Grade ancK. als Oxjdationsf^ctor wirksam. Die
aolchergestalt vorhandenen secundären Gegenthätigkei-
;teo begegnen sich eben so wie die ursprünglichen, sie
•haben auf den Verlauf und das Resultat des Processes
einen nicht miqder entscheidenden Einflofs als jene^
denn die ursprünglichen Polärwirkougen können nur in
sofern zu thätigem Verhalten gelangen, als auch' diese
secundären im mehr oder weniger reellen Austäusch
ihrer angeregten Tendenzen gleichzeitige Beschäftigung
£nden* Die Krq^t und EnUchiedenheit deM ganzen
JPraee^tse Aeruht uuf der TAätigieitserAöAung, wel-
ehe aus der gegenseitig gesteigerten Wechsehvir^
kutig der ursprünglichen und secundären Pelari^
iäisrichtungen hervorgeht.
4^ 6» "Wenn die obigen seeundäi'en Tendensen im
ebemiscben Procefs einen solchen Grad der Wirksam-
keit gewinnen^ dafa in Folge derselben ein besonderes
zweites Product neben dem duroh die ursprüngliche Po*
laritätsriohtung erzeugten entsteht, so gehdrt der Pro-
cefs in die Claas« derjenigen» welche als l^rfolge der
Galvano 'Foltaifsnus*
sogenannten -doppriten Wahlverwandtschaft bezeietnet
zu Jwerden pflegen. Kommt das zweite Prodnct nicht sa
Stande, sondern nur auf dein Wege zur Bildung des-
selben ein so genanntes Educt, so ^bört der Ptoteh
zu den Erfolgen' einfacher Wahlverwandtschaft* Aber
auch in allen übrigen Fällen, in denen weder ein zwei-
tes Product, noch ein solches Educt entsteht, sind dock
die Tendenzen zur Bildung eraes zweiten Prodoots in
den secundären Polaritätsrichtungen mit dem ang^[S-
benen Einflüsse auf das Verhalten demrsprfingfiohsi
Pola^wirkungen vollständig vorhanden. Jeder cihami
sehe Procefs ohne Unterschied inu/s daher stete nach
dem Typus eines solchen^ der einen Erfolg do/^seltmr
Wahlverwandtschaft darbietet^ von etatten gshnm
- §• 7. Mit dem obigen Satze ist zugleich die
liehe Nonn aller sowohl chemischen, als aneh gal
sehen und elektrischen Wirksamkeit, ansgesprodie»;
aneh beruht auf ihm das Gesetz der ProportioneB* öder
Aequivalente in den ci|emischen Erfolgen. Denn sawie
zwei Stoffe,^ die einen Erfolg doppelter Wahlverwaadt-
sohaft bewirken, diesen nur nach, Mafsgabe des 0egnh
s^itigen Austausches hervorbringen, so dafs jedes di^
sen Bedarf übersteigende Quantum auf der einen oder
andern Seite für den Prorcefs unbenutzt bleibt: so snd
nicht anders mufs auch bei jedem eigeatiichen chenu-
sehen Procefs ohne Unterschied eine gleiche Gesetzlieb-
keit obwalten, eben weil der Procefs jeder Zeit nor mh
ter dem Typus eines Erfolgs doppelter Wahlverwaadl-
schaft zu Stande kommt.
§. 8. Der galvanische Procefs ist nur eine Modili-
cafion des chemischen Processes ; er enthält dieselben
Momente, welche dem letzteren aiigeh6ren* W«ui sohw#>
felsäürehaltiges Wasser und Zink anf einander ^wirken,
so entsteht ein chemischer Procefs, in welchem die Flüs-
sigkeit vorzugsweise der Oxydationsfactor und das Bie-
tall den Desoxydationsfactor bildet. Die Flüssigkeit
wirkt aber zugleich nach beiden Richtungen auf das
Zink ; (§. 5.) in der Oxjdationsriehtung tritt sie 'ihai
als Sauerstoff, in der Desoxydationsriohtung als Was-
serstoff entgegen und das Zink begegnet lieideB ilicb>
tnngen durch die Tendenz zur Oxydation, die es wirk-
lich erleidet, niid durch die nicht realisirte Tendens aar
Desoxydation, der gegenüber der Wasserstoff als ein
keineswegs blofs accidentelles Educt erscheint. - So we^
ist der Procefs ein rqin chemiseher, als diePankta, in
welchen die beiderseitigen Thätigkeüarachtongsa in
■. I
Pfe^^ die Ij0hr9 V9m
ander groifen, über d» ganlte io Wirkfamkeit begrif- '
fsne Oberfläohe des Zinks und d^ r Flässigkeit gleiefa-
SDftfsig darch eioander vertheiit sind.
§. 9. Dagegen wird derselbe Prooefs dadurch be-
mls xatn gaWanisoliea , dafs am Metall oder an der
Flässigkeit irgend wo ei^ locales Uebergewicht in der
Smpfängliehkeit oder Thätigkeit der einen oder andern
PolarwirkuDg statt findet. Dieses gescbie|it schon, wenn
das Metall anf einisr Seite mit geringerer Fläohengröfse
als auf der andern in die Flüssigkeit taucht, oder wenn
as an einer Stelle darch eine minder glatte Oberfläche
fiv den OzydationsefFect empfänglicher ist, als an eine^
andern ; am entschiedensten jedoch, wenn es im Contact
mit einem minder ozjdabeln Metall, wie z. B. Kupfer,
der Fiftssigkeit ^dargeboten wird, wo alsdann der Sauer-
stoff äberwiegend anf dmr Zinkseite, dagegen der Was-
serstoff ansschliefslicb an der Kupferseite auftritt.
. \^ 10. Das hiemit in der so gegebenen galvanischen
Kette^ offen herrortretende polare Verhalten des Che*-
fttismus ist es nnn, was von den Formaltheorieen nach
Volta, Faraday u. a. anf ihre Weise gedeutet wird.
•Weil sie den Chemismus nicht als eine vom Gesammt-
leben getragene Funetion und seine Polarität, so wie
die Macht seiner Metamorphose, nicht als eine ihm mit
dem Leben äberhaupt zugetheilte Bestimmung ton vorn
beretn erkepnen, so^ glauben sie es anderswo suchen zu
afissen und setzen die Polarität fälschlich auf RocIk
ming der Elektricität^ die im Contact der Glieder dejp
Kette entsteht, oder die sie, sofern sie damit noch nicht
anaznreichen' wähnen, ganz willkührlich aus dem che«
mischen Proeefs- entstehen lassen. In seinen wesentli«
«hen Momenten tritt aber der Chemismus, so wie er
•sich in der galvanischen Kette äursert, durch seine ihm
zugehörigen Bestimmungen nicht anders wie in jedem
andern chemischen Peocesse, ohne irgend eine äufser-
jiche Abhängigkeit von der Elektricität anf; die beiden
'Metalle., sind nicht sowohl als zwei verschiedene Glie-
ds der Kette, sondern nur als die beideux differenten
Seiten. eines und desselbenvmetallischen Factors zu be-
trachten und der Procefs würde, wenn gleich keines-
vages quabtitativ, doch qualitativ völlig derselbe sein, ,
aochohne alle dufch den Goataet oder sonst irgend
-wie 'bewirkte elektrisdie Nebenerr^ung«
\. 11« Alle elektrische Erregung ist al& solche eine
Anregung, zn cbemiseher Tbattgkeit» Der positiv elek-
trisch «rregte Körper spricht als solcher die Tendenz
Gabimü^Foliaümfu. 310
aus, sich zu oxydiren, der negative eben so die Ten-
denz sich zu desoxydiren.. Bei einem angemessenen
Grade dieser Erregung geht unter den erforderlichen
Bedingungen diese Tendenz m einen ihr entsprecbea**
den, mehr oder ^minder vollständigen chemischen Effect
über, mit welchem die bisherige Erregung augenblick-
lich erlischt, sofern sie nicht durch fortda^iemde Erre^
gungsbedingung von neuem hervorgerufen wird*.
^. 12. Wie und aufweiche Weise indefs irgend eine
elektrische Erregung auch zu Stande kommen möge, so
geschieht dies niemals unter so eingeschränkten Um*
ständen, als ee nach den herrschenden Ansichten dar-
über gewöhnlieh .vorgestellt wird; sondern J^ite auch
die leüeste elektrische Erregung tritt ütets nur u«-
ter Anlage aller Momente nach dem vollständigen
Typus des chemiselien Processes (^, 5.^. 7.) hervor^
dergestalt, dafs die ursprünglichen und secundären Po-
laritätsrichtungen der Tendenz nach immer gleichzeitig,
mit einander ausgesprochen sind^ und dafs, beim üeber- ^
gange zum reellen chemischen Effect, dem Procefs auf
der Seite der ursprängliehen Thätigkeitsrichtungen nur
durch eine gleichzeitige Realisirung der secundären Ten^
denzen Genüge geschehen kann. Der elektrische Funke
ist immer nur eine solche partielle meistens mit Hülfe
der Lufi; in der Form ekiefr momentanen unvollkomme-
nen Verbrennuogsprocesses und zwar lediglich auJfSei*
ten der secundären Tendenzen erfol|;ende Realisirung
des nach allen seinen Momenten zugleich angeregten
und in Wirksamkeit tretenden Processes überhaupt.
§. 13.. Das Obige läfst sich gerade da, wo es bis-
jetzt noch am wenigsten erkai^nt ist, bei der Reibnngs-
und Maschinenelektricität auf das Bestimmteste nach-
weisen. Die Wirkung, welche das metallische Amal-
gam des Reibzeuges durch die Reibung am Glase er-
leidet, ist ein entschiedener Oxjdationserfolg, der nur
in. sofern in der Bedeutung der ursprünglichen wechsel-
seitigen Thätigkeitsrichtungen beider Factoren zu Stande '
kommt, als die gleichzeitigen elektrischen Tendenzen
des Reibzeuges und Glases in der Bedeutung secondä-
rer Gegenerregungen ihre Befriedigung erhalten« Die
negative Elektricität des ReiAsieuges und die positive
Elektridtut des Glases treten also nicht im Sinne
der eigefitliehen durch die AeiAung angeregten 744-
tigkeitsticAtungen^ als gleidhartig mit ihnen hervor^
sondern es sind nur die ihnen, gerade entgegengesetsr
te» . secundären Polariffecte. Wäre die elektrische
311
Pfaffe RetMön der Lekr^ fWfn Galvano' V^Uauumi*
3ia
ErwgttBg des ReibEeuges^ die ohnedies mtob Aufeeo Us,
ia einer Riehtimg auftritt, velehe der TluUigkeitarioi^
lang des Beibseiiges ztun Glase gerade entgegetigesetfit
ist, gleichartig mit jener Thätigiceit, so miirste sie, da
der Oxjdationseffect auf der Seite des Reibs^uges volir
xogeo wird, poüti?^ . nicht aber, vie . sie sieb wiriciieh
> seigt, negativ sein. Das Umgekehrte gilt in Beziehung
auf die £rregaog und das Verhalten des Glases. *-*
fis miteriiegt keiaem Zweifel, dafs die elektrischen Er-
mgungen und Ergiefsuogeo der Atmosphäre im Grofsen
eben so nur als secuadäre Reactionen von /Thätigkei*
ten naftreten« die in der üninittelbareii Berührung und
nrsprüaglicben Wechselwirkung zwischen der Atmo^
spb&re oad Erdmasse selbst begründet sind*
§• 14. Die faktischen Erregungen der Volta'schen
Contaotelektricität sind eben so nur die secundären
nach Attfsen geworfenen Tendenzen von ursprünglichen
^nach Innen gekehrten entgegengesetzten Thätigkeits*
richtnngCQt Das Kupfer ist gegen das Zink, so wie
das Reibzeug gegen das Glas, ursprünglich positiv und
als secun^äre Gegenerreguog zeigt es nach Aufsen die
negative Erregung* Das Umgekehrte gilt vom Zink*.
Dieses tritt ursprünglich dem Kupfer im Sinne eines
Ozydationsfaetors entgegen, in der Tendenz jenes zn
oxjrdiren, sich selbst, als das bereits oxydirtere, zu des*
oxydiren, also im Sinne der negativen Erregung und
seine nach Aufsen hin versichtbarte secundäre Gegener^
regung ist die erfabrungsmäfsige positive.
A$mtrk' Die Bestimmupgen dieses Paragraphen sind in der
früheren Darlegung der galvanischen Theorie des Uef. ver-
' fehlt ; derselbe ist vielmehr dadurch, dals er in diesem Punkte
VOM den herrschenden Vorstellungen des Volta'schen Systems
sich damals noch nicht völlig frei gemacht hatte, zu falschen
Conseqsenzea verleitet worden, die er jedoch bereits in seir
ner: „commentatio principiorum tarn in physice uni versa quam
praesertim in eiusaem parte cheQiica adhuc desideratorumi
. VratifilaT. 1837." vollstftndi|^ xuruckgenOmmen hat
4. 15. Wird dagegen das Zink mit gesäuertem Was-
ser ^oder einer Salzlösung inContact gebracht, so- tritt
demselben die Flüssigkeit als Oxydationsfaotor entge-
ged'; die ursprOngliehe Erregung auf Seiten der letzte-
ren ist negativ, auf Seiten des Zinks positiv und die
seeundäre Gegenerregnng desselben nach Auben ist die
negative, eben diejenige in d^ren Sinne, das Zink dem
Kupfer im Contaete, seiner urspri^nglichen Thätigkeits^
riohtung nach, begegnet. Wenn femer dem Zink ge*
genttber mit' derselbea Flüssigkeit Kupfer in Berührung
gesetxi vrird, so ist die ursprüngliche Tbätigkeitsricb-
tiiilg der Flüssigkeit, vdohe gegen das Zink negativ
war, gegen das Kupfer positiv und die gegenseitige des
letzteren negativ. Seine secundäre Gegenerregung nach
Aufsen ist mithin^ die positive, die nehmliche, in deren
Sinn es dem Zink beim Contact nach seiner uraprün^
liehen Thätigkeitsrichtung .begegnet«
§. 16. Werden also Kupfer und Zbk, während sie
mit der Flüssigkeit in Berührung bleiben, zligleicb nn*
ter sich in Contact gesetzt, so greifen die elektrischen
Erregnngen sowohl von Seiten der Volta'schen Cootaolr
elektricität der Metalle, als auch von Seiten der un
Contaiit der Metalle mit der Flüssigkeit hervorgerafi^
nen Blektricität, , überall mit den chemisch^i Effecten
der geschlossenen galvanischen Kette unter überein»
stimmigen Thätigkeitsriohtungen in einander. Die von
der Gesammtwirkung aufgenommenen Partialtendemen
werden so zu reellen EiFeeten verstärkt und durch diese
wiederum die Gesammt^hätigkeit deiT Kette zu • dem er-
höhten Grade ihrer Wirksamkeit gekräftigt.
§. 17. Die elektrischen Erregungen der galvani*
sehen Kette sind mithin durchgebends nur die gleich»
namigen Tendenzen derselben chemischen Effecte^ wel*
che bereits durch den Chemismus und seine ihm ni^
sprünglich zugehörige Polarität bestimmt siud. Indem
also mit der ursprüngKcfaen chemischen Wirksamkeit
auch jene Tendenzen zum reellen chemischen Effect
gesteigert werden, so geschieht damit durchana nichts
solcher Art, was die Vorstellung von elektrischen Sti^
men zu postuliren, geschweige' zn recht&rtigen Ter*
möchte. Die Elektricität ist weder ein sogenanntes
I^luidum noch überhaupt jetes r&thselhafte Agens der
gewöhnlichen Vorstellung, das ftir sich in selbststandip
ger Bewegung begriifen wäre und damit dem cbemt
9chen Procefs der Kette erst seine Entstehung, Fenn
und Energie gäbe, sie ist vielmehr nur eine besondere
Form und Aeufsernngsweise des chemischen Preceasei
an nndfär sich selbst. Die im tScbliefsungsmomeat der
Kette sich äufserude Elektricität ist nicfata anders als
derselbe, in allen übrigen Elementen der Kette her^
achende chemische Procefs^ nur mit dem Unterschiede^
dafs wie er dort zwisdien Flüsugkeit und Metall ia der
entsprechenden Form der Polareffecte erscheint, de»>
selbe hier zwischen Luft und den sehliefsenden Glie>
dem in der minder vollkommenen Gestalt des meistens
nur -momentanen Verbrennttnjgsprocesses sich änfimt«
(Der Beichlsfii folgt.)
f .
• l 1
J ah r b fi e h
für
e r
w i s s e n s c h af 1 1 i c h e Kritik.
August 1839.
JRtvüum der Lehre vom Oafvano-Voltaümut.
Vorn Dr. C. H. Pf off.
%. 18. Der sogenannte elektrische Strom bat also
keine objectire Realität \ er ist nur das Erzengnifs uih
stattlialler Voransoetaimgen und dasjenige, was an seine
Stelle zu setzen ist, kann ohne Willkilhr und Inconse-
^ena nicht mit seinem Namen bezeichnet werden. Die
(oheoDisoben. PoUreffede» die im elektrischen Funken
oder aaf irgend eine andere Weise an swei entgegmi-
gesetzten Seiten eines Theils der geschlossenen Kette
j^ajisirt werden^ erstrecken sich nur bis auf seine Ober*
flicfaei . in der dazwischen liegenden Masse geschieht
snchts, A^, eine gegen diese Effecte gerichtete Reao-
tiott. Wenn dadurch gleich einerseits dieselben Effect^
sn der Oberfläobef auf welche sie beschränkt bleiben^
.woBk SO mehr gesteigert werden, so ist dafür im Innern
daa Widerstreben, mit welchem die Masse der Einwir-
kung Yon Auben, statt sie als ein gleichartiges 'aufzu-
aehnien nad fortznleiten, vielmehr zn entfliehen strebt,
so heftig, dafs der Znsammenhang der Masse durch
Zerplatzen und Zerstieben darüber verloren gehen konn,
oder dafs im Metall, welches vorzugsweise durch die.
Gediegenheit der Masse solcher Wirkung widersteht^
die Tendenz dazu sich auch vorzugsweise in seinem
Transversalmagnetismus äufsert \ und auch hier wird,
wenn die Heftigkeit der Reaction, bei localer Beschrän-
kong der Masse, 4lich in dieser zur Glat steigert, mit
der Schmelzung und YerfliichtiguDg der reagirende Cha-
rakter des Verhalteos durch eine noch vollständigere
Zorsturnng des Znsammenhanges der Masse nur um
so entschiedener ausgcsprocheu.
Wir werden jetzt, nach dieser Durlegung und mit
Bezug auf sie, die wesentlichsten EinzelAbeiten, wol-
•che in der vorliegenden Schrift noch unsere Berück-
sichtigung fordern, um so leichter auf die zugehörigen
Johrh. /. wu$€nuk. KrUik. J. 1830. II. Bl
Gesichtspunkte znröckftihren können. Im 5. nnd 6; Ab-
schnitt bat der Vf. ganz besonders Faradays Einwar-
fen gegen die Volta*sche Theorie nnd dessen Aeufse-
mngen und Ansichten Ober die chemfscfae Theorie zu
hegegnen gesucht. Die Controverse beginnt nach ei-
ner kurzen Einleitung mit einem Zugeständnifs in der«
Weise eber gerechten Vertheidignng. Es heifst S.78:
„die Volta>che Theorie habe niemals behauptet, ^ah
die Contactelektricität Blofs von der wechselseitigen
Berührung der Metalle abhänge, sondern sie habe von
Anfang an gelehrt, dafs eine gleiche Elektricitätserre-
gung in Folge der Berflhmog der Metalle mit den
Flüssigkeiten eintrete*^' Der Gegner wird nnd kann
dies nicht einränmen, sondern nur so viel, dafs die
Yolta'sche Theorie das letztere wohl beiläufig bemerkt,
niemals aber eigentlich gelehrt^ d* h. als ein Begrfin-
dungsmoment der Theorie irgendwo benutzt und in
sieh anfgenomsMn habe. Es ist vielmehr jn allen Fäl«
len, wo des elektrischen ContactefFectes der Flüssig-'
keit bei Yolta gedacht ist, die Contactelektricität * der
Metalle gerade um so . entschiedener als das einsige
Princip der galvanischen' Wirkung geltend gemacht
worden, wie es f&glich auch nicht anders sein konnte^
da jene Effecte denjenigen des Metallcontacts entge-
gengesetzt, nnd somit der Theorie mehr hinderlich als
förderlich sich zeigton, und weil sie überdies, nach
obenbin geuiacbten Beobachtungen, fiir viel schwächer
als die Effecte des Metallcontacts gelten« Dafs nun
hier dieselben Effecte nichts desto weniger nnd unter
dem Schein eines der Theorie von je her zugehörigen
Bestandtheils zn Gunsten derselben in Anspruch ge-
nommen werden, ist in der That fäc nichts anderes,
als ein verdecktes Zugeständnifs ihrer bisherigen man-
gelhaften Begründung anzusehen, uud es ist aufserdem
nichts damit gewonnen, wie es überall um jede ^14er-
theidigung, die zur Coalition mit einem ihr fremdarti-
gen Princip getrieben wird, schon sehr mifslicb steht.
40
315
JfUvüiSn der Jb^kre iom Galvano ^Föltidimug,
Faraday hat nämlich den, Funkw, welcli4r ^wisctte
Zink und Kupfer einer einfacheif gaKanfechen' KMfe
beim Schliefsen noch vor dem Contacte.der MetaUe
entsteh^ als eine Instanz gegen die Volta'sclie Coti-"
ta^th^ori^ he|vor«ebobeii und der Yf« will di^en Ein-
^iMrf aben durch Jena Berufung auf jtien i^leltris^ien .
Contacteffeet der JgJüssigkeit mit dem Metall und durch
die Ableitung des Funkens aus dieser Erreguugsqiielle
entkräften. Wenn nun aber auch dem Voltaismus eine
solche Berufung auf ein nicht zu seiner Begründung
gehöriges Moment zugestanden vlfd, so kann ate ihm
dennoch als Sohutzmiltel nichts fruchten, da die elek-
trisciie Erregung der Metalle, weun sie in die Flüssig-
keit getaucht siud, höchstens etwa nui- derjenigen ihres
ContacteB unter sich an Starke gleich kommt; wer aller
hat jemals die letztere bei irgend einer noch ao gra-
faen Berührungsfläche ohne Condensation oderVerviet
fältignng in Gestalt, eines Funkens wahrgeuommcul
Wie soll afeo der fragliche Funke durch 4lie Voka\
sehe Theorie nuch unter der zu Hülfe gerufenen' fle-
ziebuog gerechtfertigt werden f . ^ ^ - \
Auf der andern Seite fehlt es jcdot^h eben so auch
der chemischen Theorie an deutlichen Bestimmungen
zirr genügenden' Aufkiärung des in Rede stehenden
Fäotuiiis und wir müssen in dieser Hinsicht selbst zum
«ofsen Theil dasjenige bekräftigen, was der >f. als
•Vorwurf der Unklarheit darüber seinem Gegner zurück
triebt. Denn wenn dieser Im Wesentlichen nichts wei-
ter für die innere Begründung diesea Faetus» yorau-
bringen weifs, als data es die directe Erzeuffung etnea
elektrischen Funkens durch rein chemische Kräfte be-
weise, 80 kann diese blorse Berufung auf einen ohne
weifcfe Angabe der Momente des Zusammenhanges
ganz im Dunrkeln Äelassenen Begriff s«^ wenig auf seir
nor Seite» wie die blofse Berufung auf die Coutactelek-
tricität von^ Seiten des angegrifteuen Theils, als eine
Behauptung des tStandpubkteä gelten.
• " Die Schwierigkeit einer befriedigenden Deutung
des Erfolgs wird aber für beide Theile noch viel ent-
achiedener durch einen Umatand, den jeder von ihnen
übersehen hat. Ref. hat bereits viel früher als Farä-
day denselben räthselhaften Schliefsnngsfunken der
einfachen- Kette dem Voltdismus zur Lösung vorge-
führt (Poggend. Ann. J. 1829. S. 102) 5 aber mit der
. seiner Erfahrung und Ansicht gemäfseu Beschränkung,
dafs der Fnnke nur unter der Bedingung eines bereits
yorhandehenCJontacts differenter Metalle entstehe,- wenn
nftmlich die einander genäherten Extrlsme des Kupfers
und Zinks mit dÜTeretttcn metallischen Anhängseln, z.
B. Platiudräthen oder dcrgl., verbunden siud. Auch ia
den von Faraday und dem Vf. angegebenen Versuchen
findet diese Bedingung statt, mittelst eines auf der
Zinkplatte befindlicnen Quecksilbertropfens, über wel-
chem der Funke erscheint. Die Volta'sche wie die
chemische Theorie gerathen nun mit ihrer Rechenschaft
über das Phänomen no6h, mehr in Röckstand, soferti
sie zugleich bestimmte Gründe fiir die Verknüpfung des-
selben mit der angegebenen Bedingung vorzulegen ha*
ben. Für die Volta'sche Theorie wird durch ihre obl-
ie Berufffng auf Ae negative Errenng dea'Ziaka in
fieinem 6«ntmst nftT der Flttasigkett die BedriüigMfii '
jetzt gerade noch vergrMsert, da das Zink im g:leidH
zeitigen Oontact mit dem Quecksilber auch poaitilr ms
r^gt wird, iftd dar E^rfolg aDnach in.ibre^i,Siiftie luil«
den gageawärtigan (Jiiistliilden ^iehnehit (unlprdrictt
als, begünstigt werden mfifste. Dagegen bat sich eben
so auch das Ungenügende der blofsen Berufnnjg aal
rein chemische Kräfte von Seiten der chemischen The#i>
rie durch den unverkennbaren Einflufa der Coota«^
clektricifUt auf tlTe Hervorbringtil^ dOl P1IIII9IMM ^IM
so entschiedener beransgestfellt. - . .
Die befriedigende Constrnction des ßrfolga enri^
9ich nur auf der Grundlage der in uaserer obigeii Theo*
rie dargelegten Momente. Es ist das ZusammenfaHca
der Wirkung des Confacta, sowohl der Metalle unter
sich als in ihrem' elektrischen Effect mit «der/ Flüssig-
keit, welches nach den Momenten der ursprfingliebep
und secundären Tendenzen (§. 14 — 16) eine aoicte
durch gegenseitige 8teigcrnng bewirkte ErbHiiQng der
xlektriachen Erregung zur Foiger hat, dafs diese^ b% .
vor noch die eigentliche chemische Thätigkeit bcuroi
neu hat, mit ihrem Eiutritt bereits im elektrischen Pol
ken sich äufsert. Die Entstehung des letzteren mnh
4aher wohl, in sofern auch die Elttktrioitit eiM FoM»
tiep des Chemismus ist, diesem im All^jemeinen .beige-
messen werden; aber in sofern Elektricität und Chi^
mismns beide auch durch völlig bestimmte Moihentb
ties Unterschiedes ans einander liegen, ist ea^'nidit al>
lein unaureiobend, sondern a^ch unklar und ttoriohfqf^
wenn mau mit Faraday den Funken aus einer prfc-
existirenden chemischen Kraft^, . aus emer in der *Biil>
femung sich äufsernden Art von Sp^ming d^ _
lieben cbemi8die& Thärigkeit berIcMen 'will. Ea nnifa
vielmehr im Sinne exacter Auffassung mit Eotschiedei^
beit gesagt werden, dafs der Funke nicht dem cbemi*
scheu Processo der Kette, sondern zunächst der aobon
vor seinem Beginne in -Regsamkeit beffriffenen Contäel-
elektricität, jedoch nach den dargclegteD MMnentep
ihrer durch wechselseitige Steigerung newirkten Vei^
Stärkung^ angehöre.
Wenn Faradajs Verstellungen nicht -zur Beatin»»
mung des ersten Anfanges des {^roceaaes der (^alraat-
schen Kette ausreichen^ so könuen sie sich noch v^
niger zur Deutung des weiteren Verlaufs diesea Pr^
ccsses genügend erweisen. Er hat die entschiededa
Ansicht, dal's es mit der, Volta^schen Cootactcieh%rieit>
tat und der bisherigen elektrochemischen At^uibtik
nicht gethan sei; aber er ist über diese Negatioo- ii
keinem wesentlichen Erkenntnifspunkt hinausgeg^anga
und zu irgend' einem positiven Ersatz ftlr das Au%^
gebene gelangt. Er nngt in. tausend durch- CombnMk
tion und' Erfolg anerkenhungswertben Versuchen und
noch sichtbarer in einer Menge entbehrlicher Tertiiino*
logieen nach neuen Gesichtspunkteu einer angemeaae*
neren Auffassung; aber der* feste Boden zu klarer Att-
sch'auung und consequenter Deutung 'der Braobeiaanges
will sich ihm nicht darbieten, kr kennt weder daa<
Gesetz der Bipolarität der ^shemiscben Factoreii {§. 5),
\ ,
•.
UM
JV^ M^vi$i0H4hr l^t^hßik €ülvmMtt'^FitiaigmHit
fliMAi er^M' 6nifi^^ler und tttt«Miihift«rii«Km Ti^-
g«r ^aUer db^nfiisck galvan}fceli«ii Encbeidungeii, -Hoob
Sie Art intd Wetoe, wie* dto Contactelektrioität nach
#beii dieAemGeset« (4. 7» 12«) thiHrfi 'ibre'Veffichmel-
miQg itfil der * eigenttiebeQ oheaiiAcliea Thätigkeit «a
%bieiii Venrtärlmiigsbebel der Wlrkmigen ^ird (f. 14.
1&. 16.)9 dttreh veloben Zerectzangserfolge von solcber
Intensität «dd Ponit rermltfelt- werden, wie sie aus dea
«laagelbaftetl Begriffen voo ehemiaeher Verwandtsehafly
ailf wdebe Faraday besobrankt bleibt^ imd aus den vm-
^eo ViBrati986tisüttgen • von gegeBseitig in elektrisober
Gestalt ubertrageoen AffioitAteja jemals eben so ve-
«ig als ans h^end einer blofsen Reflexionstbeerie des
Momratisühen 4iud matbematisehen Formalisnins auf doe
IbefHedigende Weise abzuleiten sein werden.
Es wurde kq weittftuftig aein, in das Detail d«r
Conliete einer solchen Reformtenden« von der einen^
Wid der conservativen Tenacität des Autors von der
smder;! Seite umstftndlicber einzugehen und die verfehl-
ten Beziebtingen überall naebia weisen^ Statt der er-
HiQdenden Auseinandersetzungen, mit denen wir so bald
-dem einen, bald dem andern der beiden Theile mehr
edler weniger beipflichten oder widersprechen müfsten,
warfen wir uns hier, nnr auf die Bemerkung bßschrän-
icen, dafs wir bei lüler Anerkennung von Faradays Ta-
lent und Verdienst doch nicht in das Uebermaars dos
l:<obes mit einstimmen köunen, welches ihm unter aa-
dem taeb vom Vf« über die dargelegte Gesetzmäfsig-
-ftint der .den ebemisehen Aeuuiyaienten entsprechenden
galvanisobet» Zersetz^ngsetf olge so reioUicb gespendet
ittrd. Wenn man freilich die Erscheinungen nur nach
#^ Maafsstabe der VQlta'scben oder irgend einer «lek-
trocfaemisehen Fomaltheorie beurtheilt und Kategorieeo
solfsher Att^ in denen vom elektrischen Strom, vom
Ijfeihmgswiderstande, von- der durch die Substanzen
UndurchstrdttKinden Quantität der Elektricitftt und der-
e eichen gesprocbeti wird, nicht hinter sich gebracht
\t : 0O kann es allerdings als ein miraculösea Ereig-
Difs angesehen w'erden, dafs hier unter dem verpieinten
Etnflafs des^ elektrischen Stroms eben dasjenige sich
sntrUgt, was anderswo in der Sphäre des gemeinen
ehemiseben Proeesses zur Tagesordnung gehört. Weifs
man hingegen bereits, dafo die galvanische Action keine
andere als die unter ihren verstärkten Polareffecten
Bwr nm so entschiedener auftretende Thätigkeit des
Cbemtsums selbst ist, so müfste es vielmehr fär ein
W^uader gelten, wenn im geschlossenen Kreise der
Kette nicht eine gleiche Gesetzlichkeit wie überall in
jedem Kreise chemiseber Wirksamkeit bestehenr sollte.
"Was lehren denn jene Faraday'schen Versuche anders,
ahi was wir schon mit jed^. einfachen Wasserzersetzong
diiteh die golvi^ische Kette erfitbreo, dafs ein Bestand*
tbeil immer nur unter gesetzlieh bestimmter Quantität
im Verhältttifs zum andern hervortritt. Es ist ein vor-
dieostliches Unternebmioi, dieselbe Getsetzlichkeit in
einer grofeen- Zahl anderer Fülle zu constaliren; aber
eine solche Leistung als eine bewunderungswürdige
Xeht entziehen, om es im Dunkeln ' d«^di )ien eiaaoi^
gen Schimmer einer- Kerze zu blenden. — Eine enifc-
sehiedene Ungerechtigkeit läfst sich der Vf. zu Sohni-
den kommen, wenn er S. 89 die Anhebten Faradays^
„dafs nicht die elektrochemischen Polarwirkungen, aoiv
dorn die Affinitäten der kleinsten Tlieilcben die ga^
vanisoh-cbemischen Wirkungen entscheiden,'* als ganz
nreoe, an welche alle frühere Erklärungen nicht ge.
dacht hätten, darstellt. Späterbin hat er einmal 8. 22$
zu unbe^ufster Selbstrüge bereits neben Faraday auch
V. Grotthttfs in gleicher Beziehung genannt; wer aber
nicht nur im wesentlichen dieselbe Ansiebt gehabt, sotf-
dera üp zugleich anf einer solideren Grundlage ats'
Famday, froher und viel weiter als er, verfolgt hat, ist
Ref. setfest, der in seiner oben genannten Scbrifk übdr
den Procefs der galvanischen Kette schon den innem
Hergang bei der Krjstallbildung (a. O. 8. 421 fp.)
nach 'gleichen Gesicbtspuuktcn betrachtet und auf sol-
che Bestimmungen zurückgeführt bat, die er noch jetzt,
eben so wie damals, für die naturgemäfsen Ausgangs-
nnnkte zn weiterer Verfolgung nnd Begründung dea
Gegenstandes erkennen mufs.
Der Vergieichung des Details in BetreiF der gal-
vanischen Theorie des Hrn. de la Rivsf, welche der Vf.
im folgenden 7. Abschnitt zur Sprache gebracht hat,
können wir ans um so mehr bei der Kürze des Rau-
mes überhoben halten, da der Genfer Physiker durch
giinzliebe Vernaohlässigungder Contactelektricitätnicht«
anders als die Einseitigkeit des Volta*schen Prlncipa
Dur nach seiner diametralen Entgegensetzung repräsen-
tirt und schon damit einer Mangelhaftigkeit der Ef-
Boheinungsdeutung verfallen ist, die, wie der Hr. Verf.
mehrmals trelfend gezeigt hat, durch manche Ünange-
^messenbeit in der Wahl und Anordnung der Versuche
nur noch vermehrt wird.
Wichtiger ist die Berüoksicbtigiiog der galvanischen
Theorie des Hrn. C. J. B. Karsten, welche den Gegen-
stand des 8. Abschnittes ausipacht. Sie bietet die in-
t^essänte Seite dar, dafs" sie in dem Punkte, welcher
die Bestimmung der elektrischen Erregung des Mefalla
im Cootact mit der Flüssigkeit betriflPt, uusenn obigen
Grundgesetz der cbemisclien Bipolaritüt der Faotoren
(4. 5^ 15.) oonform ist. Hr. K. setzt sehr richtig di^
Erregung der Ziukseite der Kette nicht allein von der
Flüssigkeit abwärts negativ, sondern gleichzeitig auch
in ihrem Contaet mit der Flüssigkeit* positiv und die
let'/tere selbst dagegen wiederam negativ und betrach^
tet,. während das Verhalten auf der Knpferseite durch
die eiitsprecbcndeo Gegenerregungeu bestimmt ist, die
chemischen ETfecte auf beiden Seiten als Erfolge,' wel-
che unter der Ausgleichung der elektrischen entgegen^
gesetzten Erregungen zwischen der Flüssigkeit und
fien unter sich verbundenen Metallen stattbab^, —
Das Uaoptargument, welches Hr. Etatsrath Pfaff dieset
Ansiebt entgegenstellt, ist solcher A^t, dafs, wenn
nicht auf Recbniing seines unbegrähsten Eifers fiir die
Aufrechthaltung des VoitaTsmus geschrieben/ es zwei-
Entdeckung, als ein ganz neues der Erkenntnifs ange»- Mbaft bleiben kpnnte, ob es ihm damit Ernst gewe-
attndetes Licht bezeichiion, beifst das Auge dem Tageui- sen sei* Er sagt näinlicb, da bei den obigen Ausglei-
319
/yiyf, iMMöM der Lekre v9m 43tihMm» - y$ft0i§mmi.
m
chmif seiTeiteii die Electricitftt» von der Flüeeigkeit aun^
ihren Weg an der Oberftäche des Metalls nach dem
entfemtereo Extrem hin nehmen müsse» eine Fimifslage
aber, mit der er, am dem prddieirtien Forfffanffe ^er
Elektrioität den Weg aUascbneiden, das Metall um-
febea habe, in .den Erscbeinnngen keine Aenderung
erYorbringe, so sei damit die Theorie viderlegt. Wir
haben nichts weiter nothig, als uns nur, auf die G^
genfrage zo beschränken, wanim Hr. PfaiF,' m Folge
der ungestörten Fortdauer des Processes der Kette,
.hei der Umgehung eines Theils ihrer metallischen Lei-
tung mit einer isolirenden Hülle, die den elektrischen
Strom der Yolta'schen doch so gut wie den einer je-
den andern Theorie aufhalten müfste, niobt auch die
Volta*sche Theorie für widerlegt ansieht Hr. K, bat
aeine Ansicht innerhalb der durch sie selbst gesetzten
Schranken an einer grofsen Zahl galvanischer Combi-
natiooen in solcher Weise durchgeführt, dafs das Ganae
xur Fixirung geregelter Gesichtspunkte geg^ die ex-
travaganten Richtungen .neuerer Reformtbeorieen jeden-
falls einen schättbaren Beitrag bildet. Die bipolare
Erregung der Metalle in ihrem ge^^enseiligen Contact,
ao- wie die bipolare Erregung der Massigkeit, das Ver-
hält nifs dieser elektrischen Erregungen zum chemischen
Procefs, die Natur des letzteren als universelle Func-
tion nach dem Grundgesetz seiner polaren Thätigkeit,
das gegliederte Ineinandergreifen dieser Tbfttigkeiten
tar Einheit des Gestfmmtprocesses, das alles sind Mo-
mente, welche aufserhalb des Umfanges seiner Dar-
stellung liegen, die durch diesen Mangel zwar^ wie es
nicht anders sein kann, vielfältig getrübt ist, aber
schön von Seiten ihres positiven, in dem bezeichneten
Punkte der Natur adftquaten Gehaltes, gröfseren Werth
aU die Volta'spbe und alle teueren Formaltheorieen
des Galvanismus in sich schliefst.
Im folgenden 9. Ab^cbhilt werden die Ansichten
der Hu. Faraday und de la Rive über die Intensität der
-Wirkung der galvanischen Kette vom Yf .zur Rechen-
aehaft gezogen. Ref. hat sich bereits hinlänglich ge-
Sen die Kategorieen erklärt, nach welchen der Verf.
ie hieher gehörigen Bestimmungen lediglich in Bezug
auf einen hypothetischen elektrischen Strom zu geben
versucht; ist aber darin vollkommen mit ihm einver-
alanden, dafs F. in einem einzelnen Fall, auf eine in-
nere specifische Verschiedenheit der Thätigkeit, aus
der Unveränderlichkeit> der Quantität der Wirkung, da
mit Unrecht geschlossen hat, wo diese Unveränderlich-
keit lediglich in einem zufälligen äufseren Umstände,
nämlich- in der unverbältnifsmärsigon Grofse der Zink-
fläche zur Kupferfiäcbe der Kette ihren Grund hatte;
und was die specifischen Unterschiede des sogenann-
ten elektrischen Stroms nach den Vorstellungen des
Hrn. de la Rive anbelangt, so sind jedenfalls die Tbat-
aachen noch erst w erwarten, aus denen sie gefolgert
werden könnten.
Hinsichtlich des 10. Abschoittesj ii elcher eine vom
^Ref. seUkst vor gevaumer Zeit migwAtU Chaaa vep
Slvanisehen Erscbeinnngen betrifft, welcbe der Vec€
iber gänzlich in Abrede gestellt« hier aber bedingignga-
wei^e anerkannt Jiat, mnfs ,Re/. auf eine Abbandloag
in Poggendorfs Annaleo Bd.*46. S. 595 verweisoB« wäi^
in er den Gegenstand ausführlicher, als es hier im
Raum gestattet haben würde, zur Sprache gebracht
und die anbedingte Gültigkeit der Erfolge durch Ana-
logie und innere Nethwendigkeit derselben jMM^h neMM
und erweiterten Gesichtspunkten dargethan bat.
Auch bei dem II. Abschnitt, der* in einem van Fa-
raday aogegebeneU) zu bequemem Gebrauch eiagerich»
teten gaivanisehen Zellenapparat, t>hne feste Qne^
wände, einen zwar an Veranlassungen zu wissenacbaft-
lichen Erörterungen sehr ergiebigen. Jedoch zunächst
mehr einem praktischen als theoretischen Intereaae an-
gehörigen Gegenstand umfafst, sieht Ref. durch den be-
•schräuKten mum sich genötfaigt, hier auf umstäadU-
chere Bemerkungen darüber zu verzichten.
Endlich ist noch im letzten Abschnitte ganz besoi»-
dcrs die elektrochemisch-galvanische Theorie des Bra.
Beci|uerel vor das Forum Volta'scber Urtheilsprindpien
Sebracbt worden. Der Vf. fuhrt die Eutscbeidunff. ob
ieser Theorie Haltbarkeit zukomme, denn nur Halt-
barkeit, nicht Wahrheit j wird zu diesen suhiectiven Bjr
pothesengeweben erfordert, auf die oben besprochene
• Frage, ob die Elektricität aus dem Cbemismua oder
dieser aas jener entstehe, iturück und sonach wäi«, mit
dem Zerfallen dieser Frage in Nichts, auch jenen Ei^
Zeugnissen das Prognosticon gestellt worden. Es sind
Gespinnste, mit denen der Geist des Erkennens ia UcliA>
losen Uebergangsperioden' sich umbaut, um^ sie,- weaa
Auge und Flügel gewachsen sind, nur su durchbrechea
und tief unter sich zurück zu lassen. ^ Für den Vf« ist
ein solches allgemeines Entwickelungsmotiv in allen der
Reihe nach augeführten, von ihm eben deshalb andh
ganz unzusammenhängend ' behandelten , Materien der
za'ölf Abschnitte seiner Schrift nicht vorhanden« Ihm
sind sie nichts als so viel gesonderte, nur von der Sehe
ihres Antagonismus gegen den Voltaschen Standpunkt
ins Auge gefafste Tendenzen, denen er zur Bebaai^
4ung seines für allein richtig gehaltenen Principa vüit
Eifer entgegen zu arbeiten gesucht bat.- Vom objecto
ven Standpuncte aus ist. es dagegen entschieden, ddb
man den beiderseitigen Conflicten und ferneren etwaai-
gen Metamorphosen der Volta'schen wie der nßuerea
chemischen Theorie in allen ihren >Nüancen mit Glcidh
muth zusehen und sie gewähren lassen könne, da die
Umrisse und Fundanientalbestimmungen bereits vorU^>
gen, auf welche eine neue' wissenschaftliche Uma;estai-
tuog der Lehre vom Galvaäismus, an der Stelle je-
ner beiden sich gegenseitig negirenden Richtangea
nothwendig zurückkommen mufs, wenii der Zeitpunkt
der Reife und des allseitigen Durchbruchs erschienen
sein wird.
G. F. Pohl.
J a h
Jlf 41.
r b fi c h
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e r
für
wissenschaftliche Kritik.
September 1839.
xvur.
Oe$chtchte der Rrformation in der Marh Brän- '
denburg mm Doctor Adolph Müller, Pro-
fessor. Berlin, 1839. Verlag von Hermann^
SchuUze. VIII. 340 S. •
J
f
Je grdfiier der Segen ist, deir die, vrenn auch nicht
VOD Lnther henrorgerufeDO, doch durch ihn gezeitigte
und in den Gang ihrer Entwicidang geführte Reforma-
tioD der Kirche den folgenden Jahrhunderten gebracht
bat ; ale desto bedeutender müssen die einzelnen Mo-
Diente erscheinen, in denen die Hemmnisse, ii'eLcbe sich
ibre^ weiteren Verbreitung entgegenstellten, zurücktrar
ten oder überwunden wurden, dest<^ tbearer mufs das
Andenken an, dieselben den kommenden Geschlechtern
sein. Selbst in der bewegten Zeit des dreifsigjiihrigen
Krieges ging daher das Jubelfest der durch Joachim IL
bewerkstelligten Einfülirung der Reformation in die
Mark Brandenburg nicht ungefeiert vorüber *), und wie
es in dem folgenden Jahrhunderte die lebendigste Theil-
nabme fand, so bürjg;t schon jetzt die allgemeine Auf-,
merksamkeit, die sich der Erinnerung an jenes wich-
tige Ereignifs zuwendet, für eine angemessene Feier
seiner Wiederkehr.
Zwar ist das Jahr 1S34, das an die Zeit erinnerte,
da- anf dem mit dem 13. Sec^mber 1534 beginnend^t
Landtage zu Treptow an der Rega die Einführung de^
Kirobenverbesserung in Pommeni beschlossen wurde,
in dieser Provinz ungefeiert und fast npheacMet yor-
fibergegangen ; denn die von Fr. jC« B. v« Aledem ge-
schi:iebene Geschichte der Einführung der evangelischen
L^ehre im Herzogthuoi Poumiern ^*\ die an diese Zeit
«) SeckeAdorf. Historia Lutheranismi III. LXXV. 3. '
**) Geschichte der Einführung der' eraAgelischen Lehre im
Hersogth. Pommers. Nebet einer Sanmlang ' eriftutemder
Beilagen. Greifswaid 1837. Die Darstellung ist der Chro-
i^k KantaoWs entlehnt,, ja eigentlich nur ein diesen Gegen-
Jahrb. J. wUitnich. Krüik. J. 18?0. \l. Bd.
zu mahnen bestimmt war, erschien leider zu spät, um
diese besondere Absiebt zu erreichen. Doch die rege
Tbeilnahme, welche die am 19; Mai dieses Jahres (am
Piingstfeste) in' Leipzig veranstaltete Feier des Tages
(25. Mai 1539 am Pfingstfeste), an welchem Herzog
Heinrich dort die Kirchenverbesserung begann, gefun-
den bat, liefert den Beweis dafür, dafs das Andenken
an jene wichtigen Tage nicht überall auf gleiche Weise
zurückgetreten ist. Allerdings hatte dieser Tag für
die Länder des Herzogs damals eine besonders grofse
Bedeptuog. Das allgemein und lebendig hervortre-
tende, aber gewaltsam zurückgewiesene Verlangen nach
einer Kirchenverbesserung wurde Aoxt plötzlich befrie«
digt, und die Einführung ' der Reformation ooncentrir--
te sich deshalb gleichsam auf einen Tag, der dadurch
bestimmter hervortritt, während in der Mark Branden«
bürg schon Joachim I. den Mifsbräucheu' entgegenge-
arbeitet, Joachim IL aber die Einführung des evang^
lischen Gottesdienstes in vielen Orten seiner Länder*
bereits stillschweigend geduldet hatte ; so dafs der 1.
November 1539 nur der Tag war, an welchem er selbst
seinen. Beitritt zu der neuen Lehre -^fTfotlich erklärtet,-
nnd demnach das Werk vollendete, dessen Grund be-
reits früher gelegt worden war. Nichts desto weniger
war dieser Schritt von der gröfsten Bedeutung; denn
nun erst konnten durchgreifende Mafsr^geln'genommen^
überall den Mifsbräuchen enei^scb entgegengetreten,
der im weitlichen Interesse begründete Widerstand be-
seitigt nnd solche Mafsregeln ergriffen . werden, die,
indem sie einen neuen Rechttzustand begründeten, die
Rückkehr zu dem alten Zustande unmöglich machten.
Mit lebhafter Freude begrüfsen wir daher ein Wer^,
stand betreffender Abschnitt aus derselben. Höchst interes-
sant und wichtig sind dagegen die beigefügten Urkunden,
durch deren Aufsuchung und Mittheilung sich ^er Heraus-
geber ein Verdienst erworben hat^ das die dankbarste An-
ericennung verdient.
41
323
Müller^ Oeseliiehte der Refwma^ion in äer Mark Brandenburg.
das bei der Annäherung des dreihondertjährigea Jubel-
festes'der Einführung der Reformation in die Mark
Brandenburg die Erinnerung an diese merkwürdige B«-
gebenheit zn beleben ond das Bewufstsein des hoben
Werthes der in jener grofsen Zeit in achwerem Kampfe
' erworbenen .Güter zu wecken bestimmt ist; um so mebi^t
da dasselbe nicht nur durch eine licht und lebenyolie
Darstellung diesem Zwecke entspricht, sondern auch
in wissensohifftlicher Beziehung allen. Anforderungen
genügt, die an ein Werk dieser Art, das nicht für den
Gelehrten von Fach . ausschliefslich bestimmt ist, ge-
macht verdän dürfen. Nicht nur sind die reichhalti-
gen , gedruckten Quellen über jene Zeiten und Bege-
benheiten mit grofsein Fieifi9e und iwar vollständiger,
als es aus den Gitaten sich ergiebt, ja was Tiel wich-
tiger ist, mit Sorgfalt benutzt worden; sondern der Vf.
bat auch durch Benutzung des ihm geöffneten König-
lichen Geheimen Staats-Archivs ^o wie der Magistrats-
Arohive vieler Mürkischen Städte einen reichen Schatz
bisher uubj^kannter Daten an*s Licht gebracht. Was
aber dem vorliegenden Werke einen entschiedenen
Werth giebt, das^ ist der wahrhaft christliche Sinn^
der uns überall aus demselben entgegen weht, der Ernst
und zugleich die Wärme, , mit der der Gegenstand be-
hanjlelt worden, die richtige Auffassung der vorhan-
denen, Zustände und der Art^ wie sie sich natürlich
gebildet haben, und die Unparteilichkeit, mit der sie
beurtbeilt werden. Der Verf. hat es sich nicht zur
Aufgabe gestellt, durch Mittbeiiuug .der pikantesten
Data uns in dem Zustande der Kirche vor der Refor-
mation ein Zerrbild aufzustellen, dessen Dasein man
nicht bf greift und' imnier von Neuem ^u bezweiflen sieh
' gedrungen fühlt \ und dann wieder einen kühnen Recken,
der das Ungethüm, das, so entsetzlich es aussreht,
doch bei der leisesten Erschütterung v^n selbst zusam-
«inenfallen zu müdsen scheint, mit Ueldeumuth bekämpft
und überwindet; sondern er zeigt uns ^ie natürliche
Entstehung einelr furchtbaren Krankheit in einem an-
fangs gesunden Körper, zeigt uns, wie das Gift durch
die Adern läuft, alle Säfte verderbt und in den ein-
zelnen Glieilern in ekelhaften Geschwüren hervorbricht,
qnd dann den Arzt, der homöopathisch die in dem Kör-
,p^r vorhandene gesunde Kraft zur Thätigkeit reizt,
/damit sie selbst den Stoff der Krankkeit überwältige.
Er läfst uns^sehen, wie Lehre und Leben überall Hand
in Hand geht, und wie die L^hre Luthers von der
.Rechtfertigung dür6h den Glauben das beselende Prin-
zip ist, das die Reformation bewerkstelligt. Eine aol-
cbe Darstellung niindert freilich das stupide AnstauDOi
der Albernheiten und Verkehrtheiten einer früherca
Zeit, indem sie diese Erscheinungen begreiflich macU^
und verschmäht das während des Kampfes so nafürli-
che, später aber unverzeihliche^Verfahren derjenigen»
die die Aufgabe des Geschichtschreibers so gänxUch
verkennen, däfs sie statt das Verständnifs der Zeiten
tu öffnen, nur^das Staunen zu vermehren suchen, das
den, der in einer anderen Zeit lebend^ auf- ganx ande-
rem Grund und Boden fufst, bei dem Anblick der Ver^
gangenbeit von selbst befällt. AbAr eine 'solche W^se
der Darstellung, die deu^ Beschauer die Möglichkeit
einer gleichen Verirrung in sich selbst zeigt^ weit ent«
fernt, den.Abseheu vor dein vorhandenen Verderben
zu verringern und den Eindruck su ttchwäoben, lelyit
uns vielmehr erst . in die Tiefen desselben hinabsusrtei*
gen und den Abgrund desselben zu ermessen ; nnd
während sie auf der anderen l^eite die Rolle dea Help
fers dem Individuum abnimmt, um sie auf den in der
Menschheit waltenden göttlichen Geist zu übertrugen,
läfst sie die erhabenen Gestalten, deren lieh dieser
Geist als Werkzeuge bedient, in desto hellerem Glanxe
erscheinen.
Das Werk zerfallt in vier Abschnitte. Der erste
bandelt von dem Zustande des kirchlichen Lebens in
der Mark vor der Reformationr. S. 1-^-^. Nach ei-
ner kurzen Uebersicht der Brandenburgischen Ge*
schichte vor der Reformation und einer Darstellung
der Form, in welcher das Christenthum in die Mnrk
gekommeoi' zeigt der Verf. nicht nur, wrö „die Bieniw
chib mit ihren eigenthümlichen Instituten und ihrem
unermefslichen Einflüsse auf alle sowohl weltliche,
wie geistliche Lebensverhältnisse des Abendlandes sieh
nur deshalb zu solcher Macht und Höhe entwicketfe^
weil diese Entwicklung der christlichen Menschheit J»
aer Zeit in Folge früherer Zustände wahrhaft nothwen»
dig und förderlich war;" -sondern auch, wie gerade
diese Form am entschiedensten geeignet war, einen
wohlthätigen Einflufs auf das Märkische Volk anszn*
üben. Das noch rohe, zu einer geistigen Auffassung
des Christenthums noch wenig gereifte Volk bedurfte
zunächst einer strengen Zucht^ einer Anleitung sn ei-
nem gesetzlich geordneten Leben, und ^er- pmchtirolle
Kultus der Kirche war ganz geeignet^ ihr die sohwie-
MülUffy OsseÄicite der Jts/brmäfißn in der Mark Brandeniurg.
32<r
iAg% Aufgabe»' die ihr (jeworden, su erleichtevn. Dabei
waltete aber damals iu deraelben und Ju allen ihren
Inelitaten der ehristliebe Geist, aus dem sie'hervorge-
§;aBgeo, und mufste deskiilb, wenn anob die Völker
nooh nieht zum lebendigen Bewofstsein desselben ge-
langtea, seinen trehlthfttigen Einfiufs auf die Gemütber
ftnfoem. ,,G8 war die Zeit^ in der die abendländische
Christenheit voll religiöser unB ritterlieber Begeiste-
rung gegen den Orient stürmte, um das Land zu er«
ober», auf dem der Fufs des Herrn gewandelt, in der
die mächtigen und wunderbaren Dome und^ Münster,
tn&efatig und wunderbar wie die Thaten der Kreuzhel«
ideo zum Himmel aitfstiegen, indem das ganze Kirchen-
tknni, wie Ton einem neuen Geiste eriiillt, sieh ver«
jftogte und neue eigentbümliche Gestalten herYorbracb-
te.''' Die Geistlichen waren die Träger der Wisseu-
aeliaft und Bildung. Bisthümcr, Domstifter, Abteien,
Kl^ter, geistliehe Ritterorden waren nicht mtifsige
faetitate, sondern entsprachen einem yorhaudenen Be-
di&rfnisse und wurden von dem Geiste erzeugt, der in
der Kirche waltete. Die Mouche wurden in jeder Be-
tidmiig Lehrer des Volkes $ Ackerbau und Gewerbe
bekansen durch sie einen neuen Aufschwung, ja zum
Theil die erste Grundlage. „Die.Odkonomie der Cister«
cienser war eine Art Musterwirthschaft für den Land«
bau des Mittelalters — und oft berief der Adel Cister-
eienser Mönche, um seine verfallenen Güter wieder in
Aufnahme zn bringen.**
Aber die Kirche in ihren Instituten trug schon den
Keim des Yerderbens in sich. Das Streben nach Herr-
schaft, das ihr beigemischt war, machte sich immer
mebr, ja fast ausschliefslioh geltend; der Geist wich
allaiftlig ans der Form, die ihre BestiminuDg erfüllt'
hatte und dennoch festgehalten wurde. Dieses Fest-
halteB der Form, die nicht mehr ein Produkt des Gel-
stes ist, tritt recht anschaulich hervor in den hohlen
Ausdrücken und Bildern, deren sich die Päpste noch
immer bedienen,' wofür ein passendes Beispiel in dem
Sdumben Boirifaoius VHI vom Jahre 1303 an den r&-
miflofaea Kdnig Albrecbt I. geliefert ist.
Der Verf.' giebt .nun eine -kurze Andeutung des
Verderbnisses der Päpste und der Kirche und dann
eiae - ausführlichere Darstellung des verderbten Zu-
etandes der märkischen Bisthümerj Domkapitel, nie-
deren Geistlichkeit, Schulen u. s. w. Von Alexander
VL wird das Verhältnifs angegeben, an welches das -^
so vielfach in joner Zeit citirte Distichon dea Sjnoerus
Sannazarus *) erinnert: Hie jacet in.tumulo Lucretia
nomine, sed re Thaif : Alexandri filla, sponsa, nurus.
Refer. erscheint dies nicht genügend, um eine nichtige
Vorstellung tou dem Verderbbirs des Papsttbums zu
geben. Gegen das, was nach unverdächtigen Zeugnis*
sen an dem Hofe dieses Papstes vorgegangen, erscheint
Jenes entsetzlicbe Verhältnifs fest nur ab eine Verir*
ruug der Natur und zwar in einem Individnum, auf das
auch das Verbrechen, das seinen Tod herbeiführte^ -
zurückrällt, während das, was Job. Burohardus von
den von Alexander veranstalteten Festlichkeiten er«
zählt, den Geist des Papsttbums im Allgemeinen sobil- '
dort; denn einem Einzelnen wäre dergleichen uamüg«
lieh gewesen. Freilioh hätte es nur angedeutet wer-
den können ; denn wir sind, zu weit entfernt von jener
Zeit, als dars unser (Jnwille lebhaft genug sein könnte^
uui unsere Sobaam zu fiberwältigen. Dafs es mit den
Bischöfen ^ind der niederen Geistlichkeit nicht, besse? -
werde gestanden haben, läfst sich erwarten. Der Mehr*
zahl der märkisclien Bischöfe wird indessen das Lob
zugestanden, dafs sie zu den Besseren ihres Standes
gehörten. „Kriegslust und Theilnabine an weltlicheQ
Geschäften sind ihre Hauptfehler, aber diese sind es
auch gerade, die von den herrschenden Ansichten be*
schönigt werden.'' So billig indessen dieses Lob auch .
ist, so darf es doch nur sehr relativ genommen. wer*
den. Mit der Kriegslust hängt Manches zusammen)
und wenn ihre Zeitgenossen nidit viel Anderes zu ihrem
Nachtheile berichten, so liegt dies wohl zum Theil
darin, dafs man zu sehr an gewisse Fehler gewöhnt
war, um sie auffallend zu finden. Qühmt doch segar
Angelus dem gewifs unter die Zahl der besseren Bi-
schöfe zn rechnenden Hieronyipus Scaltetus naoh, dafs
er „nicht allein, wenn ^r nüchtern gewesen, sondern
auch, wenn er ^inen guten Rausch gehabt, die herrlich*
sten Orationes, bisweilen drei Stundea lang, habe hal-
ten können, in des Kaisers und vieler anderen Poten*
taten Gegenwart.'* Die niedere Geistlichkeit und vor
Allem die Mönche erscheinen leider nicht in so günsti-
gem Lichte. Sehr zu loben ist es, dafs der Verf. bei
der Darstellung des sittlichen Zustandes derselben den
^) Wolff lect. memoriib. et recond. 1. I. 935.
327 Mütter^ Geschichte der Reformation^ in der M^rf: Bran^hniurg.
- *
gewöhnlichen Weg, einzelne Ton gleichzeitigen oder* man betrede ^ ^jnen papen oyel tu donde inet synen
/ '
doch der Zeit näheren Schriftstellern beigebrachte That-
Bacfaen und Urtheile aufzutischen^ gänzlich verläfstl
Dergleichen Anekdoten erhalten^ wenn man ihnen auch
▼ollen Glauben beizumessen berechtigt wäre, doch nur
durcb ihre Masse überzeugendes Gewicht und siud
einzeln von gar keiner Bedeutung. Wie sehr aber das
llrtheil der Zeitgeqossen durch die polemische Rich-
tung gegen die katholische Kirche bestochen war, das
weifs Jeder, der mit jener Zeit' einigermafsen bekandt
ist.. Man denke nur an die abgeschmackten, aber all*
gemein verbreiteten Gerüchte über Paul III., der nicht
nur Nordbrenner, sondern sogar Brunnenvergifter nach
Sachsen geschickt haben soHte, so wie an die schänd-
lichen Heschuldigungen, die eine unter dem Namen
des Bernhard Ochinus, vielleicht von Vergerius ver-
fafste Schrift bei seinem Tode gegen ihn erhob *);
eder auch auf der anderen Seite an die lächerlichen
Fabeln über Luther und . seine Anhänger, die damals
von seinen Gegnern verbreitet und öhoe Zweifel von
der anderen Partei- geglaubt wurden. Ref. kann na«
türlicb nicht meinen, dafs jene' Urtheile über den Zu«
stand des Clerus im Allgemeinen unbegründet seien;
aber er ist geneigt, jedes einzelne Faktum mit Mifs-
trauen zu betrachten, und mufs es lobenswerth finden,
wenn sich der Verf. theils auf Zeugnisse der' Gegner
beschränkt, theils Verordaungen und Verträge reden
läfst. So'^die VerorddUDg, dafs derjenige, welcher be-
trunken zu den kanonischen Stunden kommen würde, ' ten ist die nun folgende Darstellung des Znstandes
drei Groschen als Strafe erlegen sollte; ferner ein der Märkischen Schulen, Klöster und geistlichen BiH-
Vertrag vom *Jahre 1435 zwischen dem Probst und derßchaften, so wie der Reliquien- und Heiligen- Vereb-
Rath zu Berlin und Cöln und ein Gesuch des Rathes rung und der Wallfahrtsörter in der Mark. Der Abo«
an den Probst um Abstellung mancbelr Mifsbräuche. glauben, der sich-^ in diesen Dingen zeigt, überatog^
Wir wünschten nur, dergleichen Zeugnisse in etwas v jedes Maafs. 99 Wie tief, sagt der Verf.^ und bis is*s
'gröfserer Zahl zu finden. Das Material dazu ist reich-, innerste Leben hinein sich dieser Schaden gefressen
echten wive in eyner hejmeliken ateden, sluge^he en
O
dot oder wunde he en sere, he lede darvmme en g^-
nen ban. — Grepe eyn pape ejne frouwe vnhonescheB
an met tasten, und wolde he sj ovei tu wiakelwaiC
bringen met gewalt, und die frouwe sich werde and
sluge en und wunde en, die frouwe lidet darvmme noch
ban noch geistlich recht, wen sy ore ere hat gewe-
ret" *). Was setzen nicht solche Bestimmungen vor-
aus, und welch ein ungeheures Gewicht haben sie nicht
gegen hundert einzelne Tbatsachen. Wie mifalich es
überhaupt um diese steht, und wie leicht sie auf Mifs-
Verständnissen beruhen können, mag folgendes Beispiel
zeigen, das der Verf» auch zum Beweise der Unwis-
senheit des Clerus erzählt.' 9,Ein Bischof, der in einer
Herberge das neue Testainent fand und die Worte las:
So halten wir nun, dafs der Mensch gerecht werde
ohiie des Gesetzes Werk, allein durch den Grlanbe%
rief unwillig aus : Siehe da, Paule,- bist du auch loihe*
risch geworden ! " Wie, wenn nun der Bischoif seiDcn
Text sehr wohl gekannt und gewufst hätte, dafs die
Worte: „allein durch den Glauben." (ein Zusatz Lxk
tbers, der ihm so viele, gewifs unverdiente Vorwurfe
selbst in neuerer Zeit zugezogen hat) darin nicht ste*
ben % In diesem Falle bekäme die Anekdote eine u-
dere, gewifs kein ungünstiges Vorurtheil für Um er-
weckende Bedeutung.
Höchst ansprechend und reich an interessanten
lieh vorhanden« Wir fähren aus dem alten Schöffen-
recht der dem Verf. so genau bekannten historisch*
diplomatischen Beiträge zur Geschichte der Stadt Ber-
lin von Fididn nur eine Stelle an: „Weretj dat eyn
hatte, sieht man daraus, dafs selbst noch im Jahre
1552, als bereiis dreizehn Jahre öffentlich für -die Kir-
chenverbesserung in der Mark gewirkt worden, die
WegschafTung des Wunderblutes (in Wilsnack) nicht
ohne Gefahr versucht worden.''
*) Sleidan de statu rel. et reip.' Carcio V. Caesare im 18. n.
:Jl. Buche.
0 Theil I. S. 148.
(Die Fortsetzung folgt.)
J a
J^ 42.
h r b ü c
her
für
MV iH Ä e Ja s c ha ti 1 i c h e K r itl k.
September 1839.
Geackichte der ' Reformation in der Mari Bran-
denburg von Doctor Adolph Mit II er.
(Fortsetzung.)
Es mnfs indessen .bemerkt werden, dafs die ge-
l&ngliehe Einuehung der betheiligten Personen Ton dem
Domkapitel ra Havelberg ausging, das noch in dem
alten Interesse bandelte *); auch darf nicht verschwie-
gen werden, dafs .bereits 1450 der Bischof Arnold xn
Liubedc auf Befehl und Anhalten des Papstes Nikolaus
Y« eine* Untersuchung veranstaltete und an den Bischof
Conrad xu Havelberg schrieb: Sanctifati sojae a non-
Bullia magaae, autoritatis viris significatnm fuisse, jn-
iramerabiles committi errores atque populi deceptiones
ni Wilsnacco ^. Uebrigens dauerte derselbe Aber^
glaobe noch lange fort, nahm sehr allmälig ab und ist
im Volke leider noch jetzt viel be<lentender, als n^an
gewdhnlidi glaubt/ Im secbszehntcn Jahrhundert war
aber nichts so abenteuerlich^ dafs die gelehrtesten Man«
ner es nicht geglaubt hfttten. Angelds tragt gar kein
Bedenken, die/selbeu Geschichten, die er, sobald es
den Gegensatz gegen den Papismus gilt, Aberglauben
nennt,- seinen Lesern als Wahrheit zu erzählen, wo
4peeer Gegensatz fehlt Ja es ist ihm jrecht eigentlich
um dergleichen zütbun. Unter den unzähligen Proben,
die er liefert, kann Ref. nicht umhin, einige wegen
ihrer naiven Ausdruoksweise herzusetzen; In diesem
Jabre hat man Raben und andere Vögel in der Luft
fliegen gesehen, welche glühende Kohlen in ihren
Schnäbeln geführet und damit Häuser, Scheunen und
Ställe angesteckt haben. Diese Raben und Vögel wer-
den ebne Zweifel nichts anderes, denn lebendige Teu-
fel gewesen sein,, die u. s. w« ****) oder: Es hat Blut
*) Angdtts Aanales Marphise Brandenburgica^.
•♦) ibid. 8. aai.
♦•*) i)bid. S. IW.
Jmhrh. /. wintwK KriHh, h 1839. II. Bd.
S. 3i5.
geregnet, also ,dafs nian's eigentlich auf den Blättern
der Bäume und Kräuter bat sehen kennen. Ob man
aber wohl pbjsicas causas solches wunderbaren Blut-
regens hervorbringen kann (wie denn dieselben von
Gelehrten in libris meteorologicis erzählt werden) \ je*
doch theologischer Weise davon zu reden, müssen wir
bekennen u. s. w. ^). Wie besonnen Luther, den wir
fibrigens von dieser eigenthümlichen Richtung meiner
Zeit 'nicht freisprechen wollen, doch in der B^nrtbei-
long solcher Dinge und in der Behandlung derselben
verfuhr, zeigt die merkwürdige von Vielen (Jostus, An-
gelus, Seckendorf, der sie aus Angelus entlehnt bat)
beriditete, ursprünglich aber des CbristQpb. Stjmnielii
tractatua de miraculis entlehnte Erzählung von der
Magd, in Frankfurt a. d. 0., die 1536 mit dem Teufel
ein Bündnifs geschlossen, und der er versprochen, er
wolle ihr so viel Geld geben, dafs sie es fressen möch-
te, und die nun, wohin sie griff, Geld fafste und es
vcTf cblang« Nach vielfachen vergeblichen Beschwörun-
gen von Seiten der Papisten, fragte der evangelische
Prediger Ebert Luther um Rath, und dieser zi^igt sich
zwar nun geneigt, die Sache zu glauben ^ ßigt aber*
doch hinzu : Rogo te, omnia velis certissime explorate,
ne subsit aliquid doli, et imprimis, an moneta iieu
nummi isti, quos pnella rapit et vorat, sint^veri nummi
et usum fori sustineant. Nam ego tot facis, dolis,
technis, mendaciis, artibus ^tc« haCteniui siun exagita-'
tus, ut cogar difficilis esse ad credendnm ^— • Quare
vide et prospice tibi, ne quoque üsllare et ego perlte
fallar ^). Als Mittel räth er zu nichts Anderem als
zum Gebet, das denn auch geholfen haben solL
•; ibid. 8. 400.
'^*) Luthen Briefe rob de Wette 5, 13. Da Seckendorf An-
gelus alB seinen Geufihrsmann angiebt, so hätte de Wette
wohl jenen nachsehen sollen, wodurch sich ergeben haben
. würdet dais die Lesart rideat statt rideat und die Auslas-
sung der Worte quos puella rapit, die Angdus hat, aaf
'42
331
Müller j Ge9fihichte der Reformation in der Mark "Brandenburg.
Der Verf. redet- dann von der EuistehuDg des Ab-
lafswesens uod von dem üufuge, der alluiälig damit
getrieben wurde* Dieses Unwesen ist ihm nicht eine
zufttilige Ersckeinung, sondern entwickelt sich ganz
natürlich aus dem Yejrfail der Lehre und dem Vfsr-
schwinden christlicher Gesinnung. Treffend sagt der
Verf.: ^,,Für die augenblickliche Versöhnung des Sün-
ders mit Christus, für augenblickliche Beseligung und
innere Rechtfertigung versprach der Priester nichts,
und der Laie erwartete niclits dafür. Das Reich Got-
tes, das Himmelreicfa war über die Erde hinausgesetzt,
in eine Zukunft nach dem Tode gerückt; und wie es
für den Menschen, keinen Himniel mehr auf Erden gab,
fio wurde au<sh ^ jede Heimsuchung Gottes für seine
Sünden und Missethaten in ein Jenseits nach dem Tode
fainausgeschoben. Durch diesen heillosen Wechsel der
Ansichten vwrde die Indulgenz oder der Nachlafs der
Kirchenbvfsen in einen völligen Brlafs der Sünden ver-
kehrt, und der Süiider suchte in Folge dieser weltli-
chen Attffassungsweise sich nicht mit seinem Qewissen
auszusöhnen, sondern nur diesen äufseren Aufovderun-
gea 2tt genüjgen.'' Die Habsuclit der Päpste und Geist-
lichen voUendete das Werk, und so wurde der Verkauf
des Ablasses eine Quelle reichen Gewinnstes, Unge-
heuer sind die Summen, die daraus gelös't werden.
Wenn der, Verf. indessen, um ihre Gröfse zu zeigen,
zur Beurtheilung des damaligen Geldwerthes ans Möh-
sens Geschichte der Wissenschaften anfuhrt, dafs 1507
der Wispel Roggen 33 Groschen 9 Pfennige, ein Schef-
fel Hafer 12 Pfennige u. s. w. ^ und 1512 zu Gardele-
gen der Scheffel Roggen nur 20 Pfennige, die Mander
Eier 3 Pfennige kosteten^" so mufs Ref. hiezu bemer-
ken, dafs solche einzelne- Angaben nur . dazn dienen,
^as Urtheil irre zu leiten. Der Preis der Naturprodukte
war damals begreiffioher Wsise viel gröfseren Schwan-
kungen unteriYorfen als jetzt Mit Möhsens Angaben
stiiiimen .die von Angelos in demselben Jahre überein,
sonst kommen- sogar noch niedrigere bei ihm ^or.
Aber Angelas bemerkt ausdrückiioh, dafs es sehr wohl-
feile Zeit gewesen. In theurer Zeitdagegen 1546 giebt
er den Preis des Scheffels Roggen auf einen Thaler
an und dasselbe ist auch in nndereu Chronikenschrei-
RechnuQg der Flüchtigkeit Secke^dorfs za setzen sind und
also nicht ids Varianten angeführt werden dürften. Nun
hat aber Angelus wieder aus Stymmelius gesehöpfti und so
kommt Altes aa( eine Quelle zurück.
* —
bern zu finden. Femer ist bei den früheren Angabe«
zu ermitteln, was für Groschen gemeint seien« Die
böhmischen Groschen hatten einen Werth von mehr
als 7 Groschen nach unserem Gelde; die märkisdieii
galten ^öch mehr als andertbalb.
In dem zweiten Abschnitte : Einwirkung der Be-
formMion auf die Mark während Joacbim's I. Regie-
gierung S. 89 — 151 erhalten wir eine h!>ohst anziehende
Schilderung Joachim's. Sie ist- mit Wärme, -ja man
kann sagen, mit Vorliebe für diesen ' ansgeteichiieteB
Kurfürsten, aber zugleich mit UnparteillchkcSt und
Wahrheit ge9chrieben. Wir sehen, wie Joachim dordi
Erziehung, ' durch sejne ganze Stellung und aus iniief-
ater Ueberzeuguog ein Gegner dpr neuen Lehre war
und sein mufste, und' wie das Verhältnifs zu seinem
Bruder nicht geeignet war, eine andere Ricbtuii^ zu
begünstigen. Wir stimmen dem Verf. vollkomnneii bei,
wenn er sagt; „Es träre zu wünschen, dafs jeder ap
allen Zeiten sich so entschieden und fest für eeiae
Meinung aussprechen möchte, wie er. Wii'd für den
Augenblick daun auch die Wahrheit zurückgedrängt,
80 wird sie doch ebenso , durch den erregten Gegen-
satz. baUl nachher mit verdoppelter Gewalt sich Balm
brechen und schneller zu dem Zi^le allgemeiner. Auei^
kennung und GeltuiTg gelangen, als es aiif dem Wege
der Indifferenz, der Lauigkeit und der Schwäche ge>
schehen kann.'* Das 'milde Urtheil über den Erzbisehef
Albrecht können wir indessen schon um dieser Worte
willen nicht gerechtfertigt linden« Seine weniger feind-
selige. Stellung gegen die. neue Lehre ist aicfata ab
Gleichgültigkeit und Schwäche« Was an ihm war,
darüber bedarf es kaum eines andern Zeugnissee ah'
der höchst interessanten Urkunde in Gei^ken'a CJedez
diplomaticus *) v. Jahre J1509, aus weleher sich er*
giebt, dal^ er in diesem Jahre, also doch sehen 19
Jahre alt, und nachdem er bereits für fähig' geballca
worden war, das Bisthum Utreeht zu Terwattea **),
als iDomherr in Mainz förmlich upter die.Aufsidit «•
nes Hofmeisters ' des Dr« Ditrich von Diskou gestelil
werden mufste. Der Kurfürst, sein Bruder, bezabil
seine Schulden und gie1)t ihm die nötbige Summe <9
seiner Residenz in Mainz s doch das Geld wird ditt
nioht anvertraut, sondern in die Hände des Diskou ge-
*) Gerken, Codex diplomaticus BrBndeAburgeiuu Tll« No. 96&
»♦) Gerken, Cod. dipL VII. No. 207.
333
Müli^Ty OescJiiehte der Reformation inßerMark Brandenhurg.
334
legt, ohne dessen Wissen und Willen er nichts kaufen
~-eder sonst ansgeben soll; ja diesem sogiir das Recht
sogesprochen, Diener^ Edel oder unedel, abzuschaffen
und zu verändern, ,,dabei es auch sein Gnad bleiben
sollen lassen«" Fär weitere Schulden irill der-Kur-
Itlrst nicht haften. Auch die mehr als ^^freundliche und
' nadigiebige" Antwort, welche er Luthern auf dessen
Dlrohung, sein Büchlein wider deo Abgott zu Halle
tuisgehen zu lassen und aller Welt anzuzeigen Unter-
' 8€bied zwischen einem Bischof und einem Wolf^ er-
theilte, sind ebenso wie Luthers Schreiben an ihn nur
ein Beweis Air des Erzbisohofs charakterlose Schwä-
isiie und unedle Gesinnung.
Mit Yergnligen folgeii wir dem Verf. durch die ge-
drängte und doch reiche und lebensyolfe Darstellung
der Begebenheiten der Reformation bis auf den Reichs*
tag zn Worms, üeberall nimmt der Verf. Rücksicht
auf die Verhältnisse und Ereignisse in der Mark. In
Tetzel finden wir zwar, den unTerschämtenAblafshänd-
ler wieder, lernen aber auch zugleich den talentvollen,
für sein Geschäft ganz geeigneten Ablafs/ir^e/ig'er ken-
: nen, der die Gemüther des Volkes wohl zu beunruhi-
gen und zu ergreifen vermochte. Ein Ablafsbrief in
deotscher Uebersetzung ist eine willkommene Zugabe.
Tetzel absolvirt einen gewissen THImann von Köpnick^
der eine San schlagen wollte, aber seinen Knecht traf
und toiltete. Wir machen den Verf., der Angelus 285
.titirt, darauf aufmerksam, dafs dort zwar delr Brief
selbst, aber' ohne Namen steht. Marheineke, Geschichte
der teotsohen Reformation I, 57, der den Inhalt dieses
AMafsbriefes nach SeideFs Hist. und Gesch. Dr. M.
LiUtheri S. 14 angtebt, spricht von einem Edelmann.
Angelus, Cramer (Pommersche Kirchen-Chronik) und
'Andere sagen nur: N. N. von N. Brafudenburgensis
dioeoesis. Es wäre lustig, wenn man deshalb diesen
vrilknann von Kdpnick für einen Hrn. v. Köpnick an-
gesehen hätte.
Doch Luthers Thesen fanden in ganz Dentsdi-
lalid Anklang und Widerhall ; und was auch die Freunde
dw FJnstemiCs thun mochten, Tetzel und seine Sache
jEti . schützen : sie war gerichtet und unwiderbringlich
TerlorM; nod Tetzel, obgleich durch die Würde eines
I>ecti>f8 der Theologie, die ihm die Universitiit Frank-
^ fnrt nach der von ihm dort gehaltenen Disputation
gleichsam ,als Zeichen des Sjleges ertheilte, aufs höch-
ste geehrt, starb verachtet in eineni' Kloster zli Leip«
zig. Vergebens sehleudert der Vatikan seine BKtze;
vergebens nimmt er die Hülfe des Kaisers und des Rei-
ches in Anspruch. Der Reichstag zu -Worms verov-
tliiBilt zwar die Sache des Refonnators, wird aber zu-
gleich der Höhepunkt seines Glanzes. Unaufhaltsam
sind die Fortschritte des einmal begonnenen Werkes,
das nicht mehr die Sache eines Einzelnen ist,- sondern
ein allgemeiner Kampf des Lichtes gegen die Finster-
nifs. Jeder neue Versuch, die mächtigen Wogen zu
dämmen, zeigt von Neuem die Kraft des Elementes,
das die Schranken niederwirft:, die Menschenhaad ihm
setzen will Auf dem Reichstag zn Augsburg trügt
die katholische Partei den Sieg der Form nach, die
protestantische der Sache nach davon.
Auch die Mark konnte der neuen Lehre nicht ver-
schlossen bleiben. Zwar trat Joachim L, der sich auf
dem Reichstage zu Worms durch eine kurze Unterre-
dung mit Luther leicht, davon überzeugt hatte, dafs
an eine gütliche Vergleiohnng der obwaltenden Gegen-
sätze nicht zu denken sei,^ als entschiedener Gegner
des Lutherthums auf. Aber abgesehen davon, dafs er
die herrschenden Mifsbräuche erkamite und ihnen cnt-
gegenarbeitete und dem einmal erwachten BedürfniCs
einer lebendigeren Erkeuntdifs des Evangeliums durch
die Erlaubnifs, jede Uebersetzung der Bibel, nnr nicht
die lutherische; zu gebrauchen, abzuhelfen suchte; so
lag es in der Natur der Sachcj^ dafs alle hemmenden
Verordnungen ihren Zweck nicht erreichten, und die fast
einjährige Abwesenheit Joachim^s aiis seinen Ländern
1531 begünstigte die allmälige Ausbreitung der evangeli-
schen Lehre. Ja selbst in -sein eignes Haus fisnd sie
den Weg. Seine fromme Gemahlin wandte sich der-
selben zu, trennte sich 1528 von ihm und flüchtete
nath Sachsen zu ihrem Oheim dem Kurfürsten Johann*
Joachim beunruhigte sie deshalb nicht und gestattet«
selbst .später seinen Kindern, die Mutter zu besuchen
und oft Monate lang bei. ihr zn verweilen. — ' Vor Al-
lem aber gedenkt der Vf. ntft Recht der grofsen Ver-
clienste, welche sich Mathias von Jagow, Domprobst
in Spandau, und seit 1526 Bischof von Brandenburg,
um die Einführung der Reformation in die Mark schon
dfiunals erwarb. >
Der dritte Abschnitt enthält die Einführung der
Reformation in der Mark durch Joachim II. und Jo-
hann V. S. 151-279.
Joachim L starb am 11. Juli 153$ und nun erhielt
335
Maller j GeMcluißkle der Befyrmation in der Mark Branäeniurg.
336
der Korprinx Joachim II. die Kurmark sauimt der Kpr-
vürde, der Markgraf Johann aber die Neumark. Der
, webltbatige Eipflufs ihf*er frommen Mutter iiud die
durch diese herbeigeführte Bekanntschaft mit dem Re-
formator selbst^ dessen' S^brlftea Joachim U. eifrig
las', ma'cbtbn sie schon früh der Sacbe des Evange-
liums geneigt. Auch fand die Wahrheit um so leich-
ter den Eingang in ihre Herzen, da sie in der Zeit je-
ner grofsen Ereignisse und Bewegungen in einem Alter
standen^ in velcbem noch nicht eingewurzelte Vorur-
theilD sie Terblendetea. Das heldenmüthige, gottbe-
geisterte Bckenntnifs Luthers auf dem Reichstage xu
Worms, die einfache und klare Darlegung der wieder-
gewonnenen Wahrheit auf dem Reichstage zu Augs-
burg müfsten einen tiefen Eindruck in ihnen zurücklassen.
Nach dem Todq des Vaters trat der Markgraf Jo-
bann offen mit seinem Bekeiintnifs hervor. Er wollte
das Reformatiönswerk ohne Rücksicht und Bedingung
cSfFentlicb betreiben und sogleich für einen evangelischen
Fürsten gelten. Der Ruf seiner Gesinnung gmg ihm
voran und ebnete ihm den l^eg. ' Doch trotz seiner
entschiedenen Gesinnung und seines heftigen und stren-
gen Charakters verfuhr er nirgends gewaltsam, sondern
wandte überall die gröfste Besonnenheit und Umsicht
an und reformii*te nur, wo sich das Verlangen dafür
aussprach, oder wo offenbare Mifsbräuche sein Ein-
schreiten nöthwendig mächten. Im Jahre 1538 feierte
Johann zum ersten Male das Abendmahl auf evangjeli-
sch^ Weise öffentlich in Cfistrin, uhd richtete bald
darauf seine Hofkircfae und den Gottesdienst nadi der
Nümbergiscbeil» und Anspachischen Kirchenagenäe era.
Anders verfuhr Joachim Ü. Nachdem er den ron
ihm beschlossenen Schritt durch ein Schreiben an sei-
nen Schwiegervater und an den Kaiser vor diesen ge-
rechtfertigt hatte, trat er mit seinem Bekenntnisse df-
fentlich heryor, und empfing am I.November in Span-
dau, dem Wittwensitze setner Mutter, zuerst das
Abendmahl nach evangelischer Weise in beiden Ge-
stalten. Hier nun ist es uns aufgefallen, dafs der Vf.
der Unsicherheit, welche nicht iiur über den Ort, son-
dern auch über die Zeit obwaltet, gar nicht erwähnt.
Ref. hat liberall da, wo ßs ihm gestattet war, die An-
gaben des Vfs.'zu prüfen, ihn so zuverlässig gefni>-
den, und die Erwähnung einzelner Umstände lafs> so
zuversichtlich auf bestiomit vorliegende Data sehlie-
fsen, dafs er den Angaben de^ Vfs. unbedingt za tränen
geneigt ist. Auch erwähnt der^elbb ja einiger Rechnungen
in dem Archive. der Kämmereikasse, die diesen Ge-
genstand betreffen. Da der Vf. indessen selbst über
Mangel an umständlichen Nachrichten sowohl in dem
rathhäuslicben als auch indeni Kirchen- und Inspeo-
tions- Archive zu Spandau klagt, so hätte er die io
dieser Beziehung obwaltenden Zweifel billiger Weise
berücksichtigen und lösen sollen. Die Frage ist; eh
Joachim IH das Abendmahl zuerst zu Spandau oder
zu Berlin, und ob am 31. October oder am 1. Novbr.
gefeiert habe. Seckendorf ist über die Zeit zweifek
haf)^. Er sagt am 1. November oder, ut in conciouibns
Jubilaeis, Berolini anno 1640 excnsis, refertur, den 31.
October. Als Ort wird .von ihm, wie fast übend^
Cöln an der Spree genannt. Am folgenden Tage ge-
schah dasselbe a senatu magnaque civium parte. Zu-
nächst steht nun fest, dafs die Feier des Abendmahls
von Seiten des Magistrats, der Stadtverordneten imd
der Bürgerschaft am 2. November stattfiemd \ denn der
% November 1539 war ein Sonntag, und dafs man n
einer solchen Feier den Sonntag gewählt habe, ist
nicht nur an und för sich wahrscheinlich, senden
wird auch übereinstimmend behauptet- Wenn noa,
worüber der Vf. mit den übrigen AnjE|;aben (siehe auch
Seckendorf) nicht in Streit ist, der Kurfürst das
Abendmahl am Tage zuvor feierte, so könnte dieacf
T(^ kein anderer als, der 1. November gewesen sein.
Aber . auch für diese Feier wird fast überall Berim
(oder vielmehr CSln an der Spree) als Ort angegeben.
Wenn nun der Vf. Spandau nennt, und zugleich die
conciones Jubilaeae, von denen Seckendorf spricht uml
die der. Zeit so bedeutend näher standen, den 31. Oe-
tober angeben, so liefse sich der Widerspruch dureh
die Annahme lösen, dafs der Kurfürst aus Pietät ge-
gen seine Mutter diese Feier am 31. October in Span-
dau begangen, am 1* .November aber in Berlin wie-
derholt habe. Jene von Seckendorf erwähnten Reden
möchten am leichtesten die Sache ins Klare bringen. *)
•) Nach No. 144 der Preufsischen Staatszeitung hat Hr. PigL
Pjschon in der Versaminliing des Vereins für Geschieh««
der Mark Brasdenburg die Streitfrage, ob JoacbiM II. «e
erste lutherische CommuDion in Spandau oder Qerlin -n-
nonimen habe, behandelt; doch ist das Resultat leider nl^t
angedeutet. Kef. erhält so eben die Gesehkht» der Bia-
führung der Reformation in die Mark Brandenburg vos
Spieker, die aber den Streitpunkt gar nicht berfihrt.
(Der Beschlnib folgt.)
J a b r b ü c her
September 1839.
beschickte der Beformation in der Mark Bran-
deniurg von Doctor Adolpk Müller.
ä 9
(Scbinfs.)
Der t^f. giel^t non Nachricht Ober die Entstehang
imd den Inhalt der ,,KirchenordniHjg im^ Kurfürsten-
thmn der Marken xn Brandenbarg, wie man aidb beide,
mit d«r Lehre nnd Ceremonien halten solle, von 1540.''
Sie serfiUh schon dem Titel nach in zwei Hanpttheile,
deren Inhalt und Beschaffenheit genauer angegeben
wird« Der erste Theil stimmt mit dem Angsburgi-
ncheD Bekenntnifs in der Jl^ehre übereia, und die Recht-
fertigang dnrch den Glauben tritt nach dem Sinne Lu-
thers überall als . Grundgedanke hervor. Von dem
swejten Abschnitt, welcher über die Ceremonien beim
Gottesdienste und den Coltus überhaupt handelt, sagt
^r yerf.: »,)Br gleicht dem ersten sehr wenig, und
wäre er von der ganzen Kirchenordnung allein auf uns
f;ekommen, wir würden uns von den Rdigionsansich-
ten und der reformatorischen Thätigkeit Joachims
keine grofae Vorstellung machen können, wiewohl da-
bei nicht zu verkennen ist, dafs ihm in Folge . der po-
Utiscben Verhältnisse Vieles dem alten Kirchenglauben
Angehörige als geheiligt und unantastbar erscheinen
Bittfste..*' Ref. will dies nicht verkennen, möchte aber
Aoch^hinzufägen, dafs auch Befangenheit der religio«
sen Ansicht nicht ohne EinfluCs dabei gewesen sein
dürfte. Dieses Festhalten an den alten C^emonien
erscheint dem Vf. auch wohl zuweilen auffallender, als
€8 in der That ist Luthers Taufbüchlein von 1523
•tinunt fast ganz mit den Bestimmungen der Branden-
bnrgischen Kirchenordxtung überein. Auch hier findet
ttch die Salbung auf der Brust nnd zwischen den
Schultern, die BeKleideng mit dem Westerbäublein,
das Salz nnd die brennende Kerze, sowie der wieder-
holte Ezorcismus und zwar fast mit denselben Wor-
ten. Das Taufbüchlein von 1526 kennt freilich einige
Jührh. /. wuienKli. KriHk. J. 1B39. U. Bd« *
dieser Ceremonien nicht mehr und ist sparsamer mit
dem Exorcismus. Manche Geistliche nahmen an die-
sen Ceremonien Anstofs, und auch der Probst Buch-
liolzer trug Luther seine Bedenken vor, der sich aber
in einem nach de Wetters Sammlung mitgetfaeilten
Bri^e ganz seiner würdig über diesen Gegenstanfd
aussprfich nnd dadurch Bochholzer zufrieden stellte.
Der Kurfürst ordnete darauf -eine allgemeine Kir-^
chen-Yisitation an, um die neuen kirchlichen Bestim-
mungen im ganzen Lande einzuführen^ und wählte da-
zu den Bischof Mathias -.von Brandenburg, den Gene-
ral-Superintendenten Jakob Stratner, den Kanzler
Weinleben und einige Deputirte der Landst&nde. Die
Visitatoren begannen ihre Wirksamkeit in Berlin und
Cöln nnd breiteten sich nach und nach über die sämmt-
liohen Länder des Kurfürsten aus. Der Vf. giebt von
S. 210—278 einen ausführlichen Bericht über ihre^
ThätigkiBit, schildert die Zustände, die sie vorfanden,
so wie die Mittel zur Abhülfe, die sie anwandten, und
berichtet über die Veränderungen imd neuen Einrieb-
tungen, die sie hervorriefen. Ans dem reichen Mate-
rial, das dem Verf. zu Gebote stand, ist die Auswahl
mit Umsicht getroffen, ^ermüdende Wiederholungen
sind vermieden - und ein lebendiges - Bild dem LeseV
vorgeführt worden, das zugleich interessirt und belehrt.
Umsicht und Besonnenheit leiteten die Visitatoren'
überall, und gewaltcmme Mittel wurden nach Möglich-
keit vermieden, weshalb denn auch bei dem hartnäcki-
gen iPeatfaalten des Bischofs von Havelberg an dem
Papstthum die ganze Priegnitz für jetzt der Wirksam-
keit der Visitations-Commission unzugänglich blieb.
Der vierte Abschnitt giebt die Vollendung der Re-
formatio in der Mark S. 280—340. Nach einer kur-
zen Darstellung deräufseren Verhältnisse und Schick-
sale der protestantischen Fürsten bis zum Augsburger
BeUgionsfrieden kehrt der Vf. zu der reformatorischen
Thätigkeit Joachims 11. Kurück. Durch die Refonoa-
43
33§
Mf^l^i Getehiehte der R^/tufm^io» in der Mark Brandeuburg.<
310
• N
tion waren die kirchlichen Zusflhide töII^' Terändert,
und es bedurfte deshalb einer neaen Verfassung der
Kirche,' Da bald nach des Bischofs Mathias von Ja-
gow Tode 1544 auch die Kirchenvisitation ToUendet
wurde, so trat dieses Bedürfnifs um so mehr hervor
und^ fand seine Befriedigung in der Einrichtung des
Consistoripms« Die von dem Probst Georg Buchhol-
zer aus Wittenberg herübergebolte Consistorial- Ord-
nung ist durchaus die 1542 iu Wittenberg verfafste.
Als Directop wurde derselben zunäctist der General-
Superintendent und Hofprediger Agricola yorgesetst.
Diirch die Umgestaltung der VerhMtnisse war ferner
die Säkularisation der Bisthümer liothwendig gewor-
den. Der Kurfärst verfuhr in dieser so Siufserst schwie-
rigen Angelegenheit mit besonnener Schonung und Klug-
heit. In dem Brandenburgiscben Sprengel * hatte dies
geringere Schwierigkeit; die beiden anderen Bischöfe
blieben bis* zu ihrem Tode im Amte und im Genüsse
ihrer Einkünfte. Durch die Wahl von Prinzen aus
denv Kurforstlichen Hause tVL Bischöfen wurden die
Bischofssitze, später dem Landesherrn näher gebracht^
und so die Uebertragung der Einkünfte und Rechte
derselben an diesen vermittelt. Erst dadurch aber
wurde der papistische Einflufs, der sich noch immer
geltend zu machen suchte^ aufgehoben und die Refor«
ination vollendet.
Eine Veränderung wie diejenige, welche die Refor-
mation in den kirchlichen Verhältnissen hervorrief, bat
das 'Eigenthümliche, dafs sie der rechtlichen Basis zur
Gestaltung der neuen Zustände entbehrt, und kann
daher ohne scheinbare« vielleicht auch ohne wirkliche
Verletzung positiver Rechte nicht vor sich gehep. Sie
gründet ihre Ansprüche auf die Billigkeit, kann aber
dieser Ansprüche sich um so weniger entschlagen, da
in der Billigkeit Rechte verborgen liegen. Denn die
Billigkeit ist nichts anderes, -als ein der positiven
Begründung entbehrendes^ oder selbst dem Buchstaben
des Rechtes widerstreitendes Recht. Die Nothwendig-
keit solcher Collisionen gründet sich, auf die Unmög-
lichkeit, sie vorauszusehen und also Voraus zu berück-
sichtigen. Wie weit nun die Billigkeit befugt *.nnd ver-.
bunden ist, sich als Recht geltend zu machen, mufs
dem eigenthümlichea Verhältnifs und dem hioralischen
Bewufstsein überlassen bleiben. Dafs es indessen in
solchen Falten an Mifsgriffen und Verletzungen des
Rechtes nicht fehlen werde, ist eben so düirch die Na-
für des Menschen . überhajapt bedingt , wie durch die
eigeothümliche Schwierigkeit solcher Verhältnisse«
bei der Einführung der, Reformation in die Mark
. denburg fanden derg^leicfaen Mifsgriffe nnd RecJitsv^^*
letzungen. statt; ihre Bedeutung darf aber nieh
den jetzigen Verhältnissen und nach den Gefühlen
serer Zeit beurtheilt werden. Deshalb hätte- Ref. wold
gewünscht, dafs der Verf. sich die Aufgabe gestrik
hätte, nachzuweisen, wie sich die Anordnungen Jo»
ohims bei Einfiihrung der neuen .Lehr^ überhanp^ be-
sonders' aber in Rücksicht auf die SäkularisatioB der
Bisthümer und geistlichen Stifter nicht nur sa den
Rechtszustande, sondern auch ;eu dem Rechtsbewofst*
sein der Zeit verhielten. Ein solches Verfahren, be-
scnncn durchgeführt, müfste sowohl auf der einen Seüs
die übertriebenen Vorwürfe und Klagen über adiHien-
des Unrecht zum Schweigen bringen, als auch auf de»
anderen Seite die lelclitfertige Entschuldigung mit der
vorhandenen Nothwendigkeit überflüssig machen, und
das im Allgemeinen begründete Recht, auf dem das
eingeschlagene Verfahren beruhete, aufser Zweifel sei-
zen. Durch eine solche Erörterung möchte fuich die
allerdings im ersten Augenblick frappirende, auch in
der neuesten Zeit hervortretende Erscheinung sich ci^
^klären, dafs häufig gerade Juristen mit TheHnabme mid
l^ebbaftigkeit die Rechte dieser oder jener Richtang
vertheidigen, für die sie sich auf keine Weise interes-
siren, ja die sie für völlig irrig halten, und so die
„rechtliehen Gutachten eines Juristen,*' auf die man
oft ein so grofses Gewicht gelegt hat, bedeutend im
Werthe sinken«
Was noch von den Ceremonien des katholisebea
Gottesdienstes in der Kirchenordoung Joachims zmüolc^'
geblieben war, das wurde nach seinem Tode 1571 von
seinem Nachfolger Johann Georg aus derselben est»
fernt. Durch die neue Kirchenordnung, die, da naek
des Markgrafen Johann Tode auch die Neumark aa
Johann Georg gekommen war, für alle Marken Gieltmig
erhielt, wurde der ganze Coltus dem durch Lntber ia'
Wittenberg festgestellten gleichfSrmtg gemacht. Hieran
schlofs sich eine. General -Visitation an^ die alle
Jahre erneuert werden sollte. Vorzüglich wichtig
ren die. Bestimmungen, welche tiber das Schulweaea
gemacht wurden. Ihr verdankt das Berlinische Gjn^
nasium zum grauen Kloster seine Gründung und Bin»
richtung 1574. / , *
an
Ref. bat «ch im Allg<
jBftiseD^ den Faden an zeigen^ an dem die dargeetell«*
ten Begebenheiten sieh-ieiben^olme'avf da« Einaeln»
nftker einxngebeny was die leicbe FikUe des Gegebenen
ttwaSglieb macht Für den» der eiob genaaer nnterriob-
ten wiiL und ein Interesse hat, die einselnen Data au
inrofen, sind die beigefugten Hinweisnngen auf die Quel-
len, ans denen geschöpft wurde» Ton grofsem Werthe \
auch liefern sie den Beweis, dafs der Verf. dieselben
mit Fleifs und Trene hmintst hat, und erfiiUen mit Ver-
Iniiea da, wo eine Prüfung nieht thunlich ist Die le*
lUUeeky Jns9lmi ihetrmm d$ SMeto S^rüu. 312
darauf besehriaken sehen geradeau entgegengesetit ist. Gleich im An-'
&nge nämlich (S. 5 und 6); so wie später' noch, öfters
(besonders S. 18), .erldärt der Yerf. sich im vollkom*
mensten Widerspruche mit dem Grundprincip Anselms
zu befinden* Es sei unmdglich, dafs eine philosophia
tamtummodo rationalis in christianarum idearum coe-^
Inm negata tentet iter via. Zwar giebt der Verf. zu :
si consummatas aliquando in terris fore ecdesiam et
pbilosophiam imaginemur, non possumus non perfe*
ctum simul ambarum eons'ensum nobis imaginari. Al-
lein per temporis decursum sei dieser consensus nicht
händige Frische der Darstellnng würd dadurch auf Iceine * zu erreichen ; die Religion habe ,,Pacta . und
Weise gefilhrdet.
Wir scheiden ' von dem Verf. mit dem Wunsche,
daCs seine Schrift nicht nur die Anerkennung finden
mSge, auf die sie Anspruch hat, sondern auch eine
Verbleitang, die ihrem Zwecke entspricht.
Mehring.
XIX.
Anselmi CantuarietMÜ doctrina de Sancto iSp»-
ritu* Dias, inaug.y quam pro summü m
tkeol. hanoribus rite ohtinetidü Ven. Küiensium
TheolL Ordini obtulit D. Aug. Ferd. Ribbech^
Oymnasii BeroL Leucophaet Director. Bero-
lm$y 1838. 4.
Je grdfser die Ungunst ist, in der die Scholastiker
iismer noch bei den Theologen stehn, so dafs diese
nur selten sich etwas genauer mit ihnen befassen^ um
ao fibemlschender ist es, hier einen SeAulmann mit
Studien dieser Art beschäftigt zu finden, und wenn
aocb Torliegende Dissertation (nach Vcrr. S. III) nur
dveh eine Bestimmung der Streit'schen Stiftung yer-
aiihfst worden ist^ nach welcher der Jedesmalige Di-
reetor des grauen> Klosters Doctor der Theologie sein
moGi, so zeugt sie doch jedenfalls von einer ehrenwer»
then Gelehrsamkeit auf dem entlegenen Felde.
Nichtsdestoweniger mufs Ref. gestehn, d^fs er
dnroh die Abhandlnng selbst nicht ganz befriedigt
weiden ist. Er erwartete zunächst und vor Allem
eine rein historische Darste/iung der betreiFenden
Ljebre Anselms. Statt dessen giebt uns der Verf.
vielmehr eine dogmatisirende ÜTr^Tf^^ derselben, und
xwar von einem. Standpunkte aus, welcher dem Aaselmi«
nen,*' die Philosophie „allgemeine Begriffe'' zum Ge-
genstande, und defshalb könne es zu keiner Einheit
beider kommen. Die ganze Abhandlnng hat nun den
Zweek, diesen Satz an der Trinitätstbeorie Anselms
und insonderheit an der Lehre desselben voin hdligen
Geiste zu erweisen, nämlich zu zeigen, dafs diese we*
der der Vernunft, noch dem Glauben Genüge leiste^
indirect also die Unmdglicbkeit einer Durchführung
des Anseimischen Princips (fides qnaerens intellectum)
dairthue. Das Verftihren des Verfs. ist dabei dieses,
dafs er zuerst die Anseimischen Bestinmiungen (ganz
in der Ordnung und fast nur mit den Worten, wie
diese im monologium aufgefiihrt' werden — das Buch
adv. Graecos beriihrt er blers in der Kurze S. 20^
24),' — angiebt, hierauf kritisch dieselben durchgeht
nnd dann sagt, wie er die betreffenden Punkte erör-
tert haben würde.
Wir wollen nun gar nicht darauf aufmerksam
machen , dafs , wenn es . dereinst zu der Einheit von
Religion und Philosophie kommen #o//, es auch dazu
mufs -kommen können^ dafs also nicht ipsum itineris
consilium et natura (S. 5) das Streben darnach ver«
bietet. Nur müssen wir unsre Verwunderung änrsern,
dafs der Verf. bei seiner Ansicht von der Unmöglich-
keit eines iutellectus fidei sich nicht mit der negativen
Kritik der Anselmiächen Trinitätstbeorie begnügt hat,
sondern ihr seine eigne entgegenstellt, die doch jeden-
falls wenn aucSh nur ein Versuch ist das -Dogma zu
begreifen* Die Grundzüge dieser Ribbeck'schen Tri-
nitätstbeorie, welcher die Anseimische gleichsam zur
Jolie dienrep mufs, sind folgende: Gott der Vater ist
nach ihr die divina cogitatio, quae se cogitando aeter-
nam humanae {J) conscienttae veritatem cogifat et
cogitando gignit; er ist das aeternum humanae con-
343
ItaieeJky Anseimi dBCiritm de Saneto S/rirku.
34A
scteDfiae «principiam emuaiwum , der* Sohn dagegen
^usdeni consdentiae principinm nmnedüriümm (/), nain
in Deo Filio Homo aeteroa ratione est b. e* iQime-
diate ani ipsios est, in Dei Patris contcientia aeterna
ratione gigniiur\ der Geiat endlieh ist die gegensei-
tige Liebesbeziebung inter aeteraam Conscientiam orf-
ginantem sen causativam divbae imaginis (h. e. eon-
scientiae bnmanae) et ipsam divinam imaginem (origi<<
nataiu, sen immediativnui bnmanae conseientiae prin-
cipinm). S. II und 14. Von selbst erbellt, wie nach
dieser Theorie, der die Trioität gar kein inneres (im*
manentes) Yerbältnirs Gottes' in und xu^ eieh telber
ist, sondern das Yerb<nifs, in welchem Gott zum IMTen-
achen und dieser zu Gott steht, das Urtbeil fiber An-
selm ausfällt.
Aber weder auf eine Apologie Ansefms, noch auf
eine nftbere PrQfnng der Ribbeck'scben Ansichten kann
es hier abgesehn sein. Was allein auffallend ist, das
ist ffunRcfast fiberhanpt diese ganze Bebandlongsweise
des Gegenstands, diefs dogmatische Interesse, mit dem
der Verf. an eine geicAicAilicAe .Aufgabe g^angen
ist^ dieses Kritisiren und Recensiren, wo es yor Allem
au interpretiren und expliciren galt, dieses Aburthei-
len über einen Scholastiker des elften Jahrhunderts
Ton Standpunkten des neunzehnten, kurz dieses un*
historische Verfahren. Natürlich steht es Jedem frei,
die Geschichte zu benutzen, wie er will, also hier s«
B. die Lehre Anselms zum Erweise des Satzes, dafs
,,der Philosophie der Himmel der christlichen Ideen
verschlossen ist,*' wie man sonst wohl fiir Sätze der
Moral u. s. w. die Geschichte braucht. Aber fiir die
wirkliche Sacherkehntnifs ^ ffir die historische fViS"
senschaft wird" damit nichts geleistet. Denn dieser
mufs die Geschichte Belbstxweck sein. Dem Histori-
ker mnfs es z. B. nur um die Lehre Anselms aelbst
zu thnn sein, will er sie wahrhaft verstehen und re-
produciren lernen. Jedes andere Interesse bringt ein
fremdartiges Motiv in die Forschung« Und kann man
glai^ben nnn in der That seinen Satz ersffiesen zu ha-
ben? mufs diefs xAchi mi phit6sophisch^og$niUischem
Wege gesehehn f Wozu also erst den alten Scholasticns
defsbalb vornehmen t Eben so, wenn es d^ni Vf. um die
Darlegung seiner eigenen Trinitätstbeorie zu thun war^
warum die Anseimische dafiir bftfsen lasten, *wäroa
nicht sofort eine Abhandlnng fkheijene schreiben! Und
dann — was soll doch mit einer solchen Kritik^ wje
sie der Verf. über Anselm ergehen I&fst, för die Wis-
senschaft gewonnen seinf DaCs Anselm kein Schleien
macherianer, oder Hegelianer ist, wird wohl Jeder vöa
vom herein zugestebn. Wozu also diefs wotlftofig
beweisen f Es giebt nur me einzige Kritik, welche hsi
geschichtlichen Dingen suläfsig ist, und diese besteht
in der Aufzeigntig der Stelie, welche die einzelne &
scfaeinung in dem Ganzen der Entwicklm^gareihe ei»»
nimmt, zu der sie gehdrt. So ist^s. B. die Lebe
Anselms vom heiligen Geiste ein Moment der Geachiebte
dieses Dogma's überhaopt, n&her ein Moment der Enir
Wicklung, die dieses Dogma im Mittelalter dnrohlanfea
hat; sie beurtheilen heifst nun zeigeb, ob sie ein w^
sentlicbes oder unwesentliches Moment in dieser Be-
wicklung gewesen ist, und worin diese ihre Bedeutung
besteht. Wollte also der Verf. sich nicht mit der eii^
fachen Darstellung derselben begnügen, was bei einer
so speciellen Monographie das Beste gewesen wäre,
so mufste er sie etwa mit der Lehre Lanfranca (all
des nächsten Vorgängers Ansehnk) und der Lehre Ablr
lards, des Lombarden u. s. w. (als der nächsten Nack»
folger Anselms) vergleichen, um auszümitteln , inwi»
fem sie ein J^ortschritt gewesen sei, oder nicht. Diese
Nacbweisung ihrer geschichtlichen Stellung wäre alleia
das rechte ürtheü über sie gewesen d. h« ein Urtheil,
welches wissenschaftlichen Werth hätte.
Es fragt sich nun abeif weiter, ob denn der Verf.
die Lehre Ansehns wemgstens richtig auf^efu/kt tsnd
verstanden hati Bekanntlich ist die Trinität nach Ab*
selm nichts anderes ab die SelbstentfiEtltung Gottes
als absoluten Geistes, der innere Lebensproeefs, ia
welchem er diefte sein iV^esen bethätigt und anawhrkt.
Gott ist zunächst absoluter Geist, und in dieser rei*
nen Unmittelbarkeit ist er Grund seiner selbst oder
Vater. Indem« er nnn aber Geist d. i. Selbstbewäfgt*
sein ist, mufs er sich auch mit sich vermitteln d. h.
sein Wesen auch für AtAi vergegenständlichen („aoa-
sprechen," „denken," zeugen), und in dieser Gegen-
ständlichkeit für sich selbst ist er Wort oder Soliii.
^er BescUafs folgt)
•»t
^ u.
Jahrbücher
für
i;v i s 8 e n s c h a f 1 1 i ch e Kritik.
September 1839.
9!
At^selaiß (JanbfarienBMS doctrina de Sancto 8pi-
. . rt%f. /Mtf. moHg., quam pro summü m theoL
hanäfibui rite obtinend$9 Ven. Kiliemium TheolL
Ordini oitulit D. Aug. Ferd. Bibbeck. .
1 (Schiufa.)
Unterschieden jedoch in ein Ich und Du, ohne auf-
ukören^ der Eine und selbe Geist zu sein, uiüfs er
mch anob als diese Einheit in der Zveiheit verwirkli-
chen oder Geist nicht als reine Subjectivität nur und
reiae Objectivitäjt^ sondern auch als das in beiden iden-
tische Selbst sein, und diese comniunio Fatris et Filii
ist der Geist im persönlicAeu Sinne des Worts« Zwar
der Vater ist Geist, und der Sohn ist Geist, aber für
einander sind sie diefs erst in der dritten Person der
Gottheit, die defsbalb proprio nomine Geist heifst ^uio-
Bol. G. 57). Anselm bezeichnet diese Verhältnisse (re*
lationes) ' nach dem' Vorgange Augustins' in der Kürze
so, dafs er den Vater die memoria, den Sohn die iA*
telligentia, den Geist den auior der Gottheit nennt
Nun fällt es schon auf, dafs der Verf. memoria hier in
,dem Sinne Yon „Gedächtnifs'' nimmt und dagegen be-
jnerfct^ nicht die* intelligentia entspringe aus der. me-
moria, sondern umgehehrt die memoria aus der idtelli-
.genti«, siquid^m jiullius rei memiaimus, nisi antea quo»
4ampiodo inteUectaej deinde memoria ab intelligentia
BOA differt nisi diuturnitate idearum, aut minore ima-
j^nm.claritati^ aut eo demum disorimine, quod iqter
Botiones et assertiones intercedit (S. IJ). Schon Ten-
Bemann (B^ VIU.^ S. 132} hat memoria ganz richtig
dii^ch ^yBewu/sUein^^ übersetzt ; denn es soll nar die •
tiefe Innerlicfak(Bit des Geistes bezeichnen, nach der er
sich selber der Schacht ist, aus welchem er Alles za
Tage fördert, was in der intelligentia objectiver Ge-
danke wird; und dafs es geradezu ^^Selbetbewu/tUeinP
ist, zeigt besonders monoL c. 48., wo Anselm u. a.
* sagt : Qoippe~ nou in e$, quod süi memor est (summus
/«Ar6^ /.. tPtmjTicA. Kri^h. /. 1839. II. B4.
Spiritus), sie est in sna 'memoria, velut aliares in alia,
quemadmodum ea, quae sie ^unt Jn humaaae mentis
memoria, ut non sint ipsa nostra memoria, sed sie est
memor sui, nt ipte memoria eua eit (S. ^ ed. Ven.).
An 4er weitern Bestimmung Anseims, dafs das Wort
die intelligentia (Selbstobjectivirung) ^dieser' memoria
sei, wird getadelt, dafs sie nicht das Moment d,er com-
municatio (an die Creatur) in sich schliefse (S. 8). Als
ob nicht Anselm c. 29 — 31. ausdrücklich das Wort als -
Princip der Schöpfung bestimmte, es Mensch werden
liefse u»' s. w.I In der Lehre Tom h, Geiste endiiob ,*
meint der Vf., Anselm lasse djesen abstract au9 dem
Wesen der Gottheit, neque ulla distinctae suiyectiyita*
tis (Fatris et Filii) ^ raticoie habita heryorgehn (S. 13)«
Es ist schwer zu sagen, wie der Verf. diese Ansicht .
rechtfertigen will, da er S. 15 ganz richtig als Lehre
Anseims angiebt, dafs der Himior summi spiritns (wel-
cher-eben der h. Geist ist) daraus hervorgebe, quod:
sui meminit et se i^Uelligit (summus spiritus), also
aus dieser Subject-Objectivität d^selben, vermöge de-
ren er sich als Vater und Sohn in sich unterscheidet«
Bedenkt man nun vollends, dafs Anselm monol. c. 51.
ausdrücklich die Gegenßeüigkeit dieser Liebe. behaup-
tet, so ist es noch schwerer zu fassen, wie )ler Verf. \
sa^en kann S. 14, „weit dialektischer'' hätte Anselm
die processio< Spiritus Sancti deduciren. können, wenn
er gesagt hätte: si in Summo Numine distinguantur
memoria et intelligentia, ek invicem sibi tanquam rela-
tiones reales opponantur, haue ipsam oppositiouem
propter esseutial^m oppositeruni unitatem esse non
posse nisi compositionem (h. e* ex dive^gentia conver-
gentem relationem) am^orum et eificacem mutuae ail-
unationis nisum, qui cum in hominibus amor dicatur,
ideln in Doo nomen imerita#accipiat* Nichts anderes
lehrt eben Anselm. Dasselbe wiederhohlt sich S. 21,
wo der Vecf; dem Buche adv. Graecos den Vorwurf
macht, quod ouUo modo ad motuam inter Patrem et
44
.. N
^ '
347
Jtibbeek'^ Ahtelmt doctriaa de Saneto Spiritu.
3«
Filinm relationem S. Spiritus proeesaionetii^ pertinere
Btatai^/ sed unioe ad eoruin communem esaeotiain, -Dei-
tatein,' refert. - Allerdingg bebauptet nämlich . Ansebn
c. 7., dafs( der h. Geist nieht toiq Vat<^ als Vater aus-
gehe, sondern vom Vater^ viefem er der Eine und sei«
bige Gott mit dem Sobne sei^ und dafs eben defsbalb
die spiratio nicht der einieitig bypostatiscbe Act des
Vaters sein iiönne, wie die Griechen lehren, tiondem
zugleich auch der hjp'ostatiscbe Act des Sohnes sein
müsse. Als Grund davon giebt er an, dafs die Rela-
tion in Gott, verntöge deren er Vater ist, ihr entspre-
chendes Correlat einzig und allein im Sohne hat. Der
h. Geist^ schliefst alsb Anselm, procedirt non de hoc,
quod I^us Pater est, i. e. de hoc, unde refertur ad Fi»
lium, sed de hoc, quod Pater est Deus, seu de divina
essentia. (Die entgegengesetzte Meinung, sagt er o.
15. etwas derb, sua se patenti fatuitat« suffocat). Diese
Sitelle nun ist es unstreitig, die den Verf. zu der An-
nahipe verleitet hat, als ob Anselm in der Lehre vom
h. ^Geiste „durchaps keine Rucksicht auf das gegen-
seitige Yerhältnifs des Vaters und des Sohnes nehme."
Eben weil sich die Eine Gottheitin diefs doppelte Selbst
unterschieden hat, eben darum mufs sie sich nach An-
selm auch aus diesem Unterschiede wieder in die JBin-
heit zurücknehmen d. h. als Geist Verwirklichen. Grund
des Geistes ist also nach ihm allerdings nicht der Va-
ter als Vater, der Sohn als Sohn, sondern die in bei-
den identische Gottheit; diefs heifst aber nicht, als ob
nur die Gottheit aöstract als Gottheit der Grund des
Geistes s€)i, denn als solche hat sie ja gar keine by-
postatische Realität, vielmehr eben die Gottheit, wie'
fem sie in Vater und Sohn eich reell dirimirt haty
ohne doch in dieser Diremtion aufzuhören die Eine und
selbe zu sein. Oder, wie Anselm monol. a.54. sagt,
~iste Amor non ex eo procedit, in quo plures sunt Pa-
ter et Filius, sed ex eo, in quo unum sunt, aber darum
doch (vgl. c. 50.) ex Patre Filioque.
Wir habeü natürlich hier nur die Hauptpunkte in
der Ribbeck'scben Auffassung der Aiiselmischen Trtni-
tätstheorie berühren können^ geringere fibergehen wir.
Dafs es übrigens auch an treffenden Bemerkungen nicht
fehlt, versteht sich von selbst^ und wie wenig wir auch
mit der Theologie des Vfs. übereinstimmen ' können,
so hat uns doch die innige Frömmigkeit^ die an meh-
reren Stellen sich ausspricht, wahrhaft erfreut. Trotz
ttnsver wissenschaftlichen Gegnerschaft aoheidcn'
daher von dem Verf* mit Hochachtimg«
'F. ft.Ha88e«
Die beiden Erzbischöfe. Ein Fragment aus der
neuesten Kircheng£schichte ^ von Dr. Karl
Hase. Leipzigs 1839. 8.
Das Auflehnen der erzbischdflichen Kircbengewdl
gegen die weltliche Macht, begonnen in den westliohm
Provinzen der preufsischen Monarchie (nicht ia West»
preufsen, wie es p. 34 der vorliegenden Schrift h^st)
und sich fortspinnend in der Provinz Posen, ist ra
Ereignifs der neueren Geschichte, dessen höchste Widh
tigkeit Niemand bezweifeln darf. Darin aber geliea
die Ansichten weit auseinander, was es denn eigentlieh
sei, wodurch die Sache so wichtig, so viel und allge-
niein besprochen, so fast augenblicklich^ dem
sprach gleich, mit zahllosen Schriften und
überfluthet worden? Dafs letztere Erscheinung sich
leicht erklären lüfst durch das tief Eingreifende des
Gegenstandes in' das sociale Leben eines in stark ge-
mischter Einwohnerschaft be'stebenden soüverainen Staa-
tes, des ersten und m'ächtigstto ilnter christlicher nidi^
Icatholiscber Obergewalt, das erschöpft die Frage na6k
nicht, und hat solches nur zu dem geführt, dafs aus
dem vielfachen Hin« und Herreden und Schreiben Doeh
kl^in klares Resultat ersichtlich gewesen« Diefs hat
auch der Vf. der vorliegenden Schrift erkannt, iind ee
liat ihn veranlafst, es zu unternehmen, „den Parlhf»-
und Streitschriften eine ruhige geschichtliche Anschaa-
ung nachfolgen zu lassen." — So zeichnet sich Miae
Schrift allerdings vor den früheren aus. Er bat aioh
— nach seinem Vorwort — die Aufgabe- gestellt; jene
Begebenheiten als Kirchenhistoriker zu bescfateibeaii
mit der ernsten Ünpartheilichkeit, als wenn sie tor
hundert oder tausend Jahren geschehen wftro; deeh
ohne die Betrachtungen zu verbergen, die sich y»
dabei aufdrangen, nud welche theils |ier Gescbic^taer»
Zählung untermischt, th<^ils in einen! letzten Kapitel
hinzugefügt si;id. Eben hierdurch sind die beiden Sei»
ten berührt, vou/ welchen aus man das Gewiditnad
die Folgen der Ereignisse zu betrachten und zu bewv
t heilen hat. Sind es die Begebenheiten selbst, welche
\
/ .
819
fass^ die beiden Er%tisehSfe.
die Erhebliclikeit der Sacbe autmaoben, deren histori-
sche Eimeinheiten vor Allem der kfinft^eo Weltge-
schichte bewahrt bleiben mfissen; — oder liegt nicht
' vielmehr das eigentlich Gewichtige und Folgenreiche
därin^ da/e (nicht wie?) es sich begeben hat; — dafs
nach langem Sehlnmmer die Confcssionsspaltttogen in
der christlichen Welt wieder zor lebendigen Frage ge*
Icotnmen^ dadurch das religidse Gefiihl aufgeregt^ der
niminer endende Kampf emeoert, nnd die Nothwendig-
keit in erhöhter Kraft gegeben ist, die Grenzen der'
'geistlichen nnd der weltlichen Macht zum 'Heil der
Seele wie des Erdenlebens zn ordnen und festzuhal-
ten f Erstenfalls wäre die factische und rechtliche
^Beleuchtung der äufscm Begebenheiten, letztenfalles
aber die dnrch sieveranlafste Erörteinibg der allgemeinen
Staat- nnd kirchlichen Verhältnisse die Hauptsache,
nnd es würden dann mehr die Folgen und weniger die
'Zeitereignisse selbst in dem grorsen Geschichtsbuche
henrortreten. Der Verf. hat auch dieses erkannt uod
selbst ausgesprochen, indem er (p. 223) das Schicksal
und die Schuld der beiden Erzbischöfe (man darf hin-
zusetzen: das ganze Detail der Begebenheiten) als
Ton noteirgeordneter Bedeutung erklärt. Gleichwohl
luit er das Detail der Gegenwart zum Hauptgegen-
%taiid seines Buchs gemacht, und, wie er sagt, nur
Betrachtungen geringerer Art über Einzelnes^ bestimmt
Vorliegendes, zu entscheiden dringend Nöthiges und
^zn Tcreinigen Mögliches hinzugefugt.
Das Geschichtliche, in Beziehung sowohl des Erz-
bischofs Yon Cöln als auch des yon Posen ist meist
'ans dfientlich bekannt gewordenen urkundlichen Dar-
stellungen mit Sorgfalt, Ordnung und Klarheit zusam-
mengestellt) nnd es ist wenigstens das ehrenwertfae
-Streben ersichtlich, ein gegebenes Versprechen der
Dnpartheilichkeit zu erfüllen. Wenn hier und da eine
ans minder zulässiger, ans unbekannter Quelle, ans
blofö^r Argumentation entuonunene Thatsache einer
Berichtigung bedarf, so wird ihr das zu Theil werden,
«was der Verf. selbst wünscht und erwartet; nnd was
die. Unpartheilichkeit betriflFt, so ist zu erinnern, dafs
iB Oegenstädden der Religion und deren Eingreifen in
das Leben und die Gesellschaft kein Mensch und in
den ' ehristlichen Confessionsstreitigkeiten kein Christ
yennßg, den ethischen Standpunkt einer Yölligen Un-
partheilichkeit einzunehmen — und die vorliegenden
Thatbestäade sc zuv rechtlichen Entscheidung zu zie-
hen, dafs es einem Richf^ransspruch gleich gelten
kannte. Mehr oder weniger ist alles darüber Verhan-
delte Streitschrift, nnd nur dadurch wird sich eine
quasi -uapartbeiische Erörterung von einer völlig eii^
seitigen Advokatenschrift unterscheiden, dafs auch
Blicke auf die Lage und den confessionellen Stand
des Geyers zu dem Zweck hinübergesendeit werden^
um Momente 'seiner Rechtfertigung heraus zu finden,
nnd entweder gelten fcu lassen oder zu widerlegen.
Ein völliges Versetzen aber- in die genetische Kraft
seines inneren Glaubens kann nicht, geschehen, ohne
denselben sich selbst so anzueignen, dafe ein änderet
daneben nicht mehr Platz finden kann« Wer diefs nicht
beherzigt, kann in dem Uebermaafs der Unpartheilich-
keit leicht in den entgegengesetzten Fehler der Ünge-
.recbtigkeit 'gegen die eigene Parthei Terfallen, und
auch so die beabsichtigte Stellung verfehlen.
Wie der hauptsächliche Werth der an sich zei<>
gemäfs interessanten Schrift nach des Verfs. eigener
Absicht in der mühsam aus viel zerstreuten Notizen
gesammelten rein geschichtlichen Darstellung liegt, so
sehr erscheint der Werth der Reflexionen über das
Tbatsächliche und der Ansicht und Vorschläge fiber
ergrifl^ene und. zu ergreifenge* Maafsregeln als ein so-
tergeordneter. Es liefs sich diefs auch nicht, wohl an-
ders erwarten, wenn erwogen wird, dafs, um tiefer
einzudringen in den grofsen «Gang der religiösen und
staatsrechtlichen Entwickelung und zu solchei^ Art der
Verarbeitung der Materialien, es euier andern als „nur
kleinen Ferienarbeit" bedarf; und dafs, was splcbe
Entwickelung in dem prenfsischen Staate betrifft, wohl
nur dem eine .competeute Stimme beigemessen wlrd^
welcher ihm selbst rägehövt und ein Leben der Erfah-'
rung und eigenen Anschauung hinter sich hat. Eine
einzige Lücke' hierin, wenn auch dem sonst acht-
baren und tüchtigen Fremden zu verzeihen, kann dem
ganzen Bau das Fundainent nehmen. Der Vf. hat in
seinen Betrachtungen und Vorschlägen absichtlich das
vermeiden zu müssen geglaubt, „worüber die Mensch-
heit seil Jahrhunderten nachgesonnen hat nnd noch
Jahrhunderte nachsinnen -wird, den Streit des Katho-
licismus und Protestantismus, des Staates nnd der
Krche überhaupt^'* und er ist dadurch 9U der Ansiebt
gezogen worden, dafs es . für jetzt nur Noth thüe, zu
temporisiren, und solche Vorkehrungen, ja .Einlenkun-^
gen vorzunehmen, welche^ diejenige Ruhe in de|i äu-
351
Sa$s^ die beÜen ErziücAoJi,
352
^aehi VarbältnitsoD wieder sa gewinocn und binzuW-
ten gocigoet seiee, die bis dabiu BtattgefiiDden hat.
Daran kDüpft sieb freilich die se yieifacb auageapre-
^eDe Meinmig) dafs das- Ereignifs zu» C$1d, vo die
Streitigkeiteu aUBgebrechen, ein beklagenswerfbes sei.
Wie ganz anders aber stellt es sieh dar, ^enu man
gerade- den h<^bem Standpunkt des nnanflialtaanie&
Vernichtangskampfes der diametraliscb sieh entgegen-
gesetzten christlichen Confessionen einnimmt^ Da kann
nur das endliche Ziel der Vereinignog vorleuchteo, da
kann eine träge uioderdeckende Rohe nicht erwünscht
seio, da kann jede neue Anregung fiir die kämpfende
Zeit, welches Licht oder welcbeü Schatten auch die
Einzelnheiten zeigen, wenn nur die Anregung überhaupt
kräftig ist, mit niohten beklagenswerth, sondern viel-
mehr in derselben Weise im loteresse gegen die
päpstliche Hierari^hie ein Glück, eine Gottesgabe ge-
nannt werden, wie Görres in seinem Curial- Glaubens-
Beruf den Triumpfgesang anstimmt über das Mifsge-
sebiisk seines modernen Atbanasius. .Di^fs durfte aber
«ucb das Einzige sein, worin man, im Gebot der Ge-
jgenseitigkeit, einem Görres Recht zusprechen kann,
phne in das Lob einzustimmen, welches ihm hier, wie
•Ol mancher Orten überschwenglich gespendet wird«
üeberbaupt ein bemerkenswert her Beweis, wie
weit der Mangel am Erkennen, Vertrauen und Hoch-
stellen der religiösen Wahrheit und des Wetens der
Sache führen kann, ist die Entrüstung gegen den Gör«*
resacben Aibanasins und gleiobzeitig scheue Lobprei-
sung seines Verfs. Man lälat den Gegnern Gerech-
tlgkett widerfahren, hält sie aber der gewaltigen, was-
serfallgleicben Sprache des Vorfechters des Papstthums
nicht gewachsen. Was ist damit gesagt? -— Ist Mar-
lieineke's würdige Entwickelung der Wahrheit nichts?
Ist jLao und Gutzkow, nicht geifselnd, Ellendorff nicht
keuleaschlagend genug,' um noch den Atbanasius als
ein Volksbuch (im Unverständlichen „der Bibel" ver-
glichen, pag. 145) fürchten zu müssen; und werden
eich die Gegner von Gürres, Ver.es auch sei, gern
seine 4,eb«[ibürtigen'' nennen lassen? Aber die Poesie,
die.hinreifsende Bildersprache, wer kann ihm die ge-
genUbevsf eilen ! In der That, es finden ^ieb (em un-
bewufBtes Regen des: similia similibus) hin und wie-
der Spuren, der Rade einen hSbern Schwung %n ge*
ben, wenn gegen Görres geschrieben wird. Aber ist
dazu dar eigentlicbe wahre Beruf da? Sind daa aach
so herrliche Bilder, bei welchen man nacb allem Riib*
men des Genius doch nicht den Aasdruck des: Elkel-
erregens — vergessen darfj und es gegen gute Sitte
finden inufs, derglfiehen auch nur als Beispiele nacb-
zuspreohen* Ein prosaisches Gleichnifs anderer Ait
wäre diefs; dafs^-vrenn ein Meister der Pöaanne in
Wahnsinn verfällt, und aüt seinem Instrument im wo-
tbigon Paröxjsmns — nicht hinreifst, sondern Heiz
nnd Obren zerreifst, — es wohl nicht . ein ähnliches
Lärihen sein kann, w^a ihn^ und die Umgebiing zar
Ordnung und Ruhe bringen solL — „Sollten (p* 132}
Katholiken nachfragen, ob der Protestantismus auch
wohl dergleichen Schriften (wie der Atbanasius) habe?"
so wollen wir doch nicht antworten: „Er hat sie noch
viel gewaltiger, lest nur etwa Luther's Schrift an dca
cbristiicben Adel deutscher Nation," Diese Schrifl^
wo einen das Gefühl der Klarheit und der ewigca
Wahrheit durch alle Derbheiten hindurch begleitel^
und dieselben, wo nicht immer rechtfertigt, doch me>
tivirt und eutschuldigt, — würde selbst als materiel-
ler Gegensatz, herabgewürdigt scin^ wenn man auch
nur hiDsichts des Effects sie mit einem Gorrea'achen
Athanasius in Vergleich stellen wollte.
Uebrigeas gehört Luther einer ganz andern Zeit
an, einer Zeit, die das ihrigb gethan und der Foit-
schreitong hingegeben hat, und nicht wiederkehrt. Wir
haben es jetzt nicht wie damals mit einer einzijgen eaU
arteten Confessiou zu thun, aus welcher erst- die reh
nere d^ Evangeliums erobert werden mufste. Letz-
tere, unser evangelischer Glaube, ist in die oonfesaio-
u^lle Wirklichkeit getreten, und steht thatsachlieh,
und so in eigener Kraft der unbesiegbaren Wahrheit
da, dafs er der Hülfe des einzelnen Mannes nicht mehr
bedarf, um im alleinigen Bunde mit der schaffendca
Zeit zum Ziele der Reformationsvollendung fortso-
scbreiten. Wir, die eyangelischen Giaubensgenoaaeo,
haben nichts weiter zu thun, als uns selbst nur tiea
zu bleiben und im öffentlichen wie im Privatleben nvr
,8o zu verfahren, wie unser Ghinbe gebietet $ und d|us
ist Ji^t und duldsam zugleich.
(Der Beschlafs folgt.)
wissen
vi? 4ö.
J a h r b fi c h e
tut
Schaft lieh
e Kritik.
September 1839.
Die beiden Srzbischöfe. Min Fragment a$is der
ne9$e$ten Kürchengesckichte y von Dr. Karl
Ha$e.
(Schlufs.)
Bd der weDigstens aus den Tbatsachen conse-
qaent gebaltenen Charakteristik des Erzbiscbofs Dro-
Bte nnd den Betraobtaogen über dessen Zurecbauags-^
fahigkeit hat den Verf. eio richtiges Gefühl der ün-
parthöilicbkeit dahin -geleitet, dafs die unbedentende
Person des Mannes getrennt gebalten werdeo ' mufs
Ton der bedeutenderen des Erzbischofs, und dafs was
jenem nach dem Moralprinzip — selbst Wortuntreue
— - zum Yorwrirf gereicht^ diesem den Segen der Kir-
die bis zur Heiligsprechung erwerben kann ; dafs auch
selbst bei der veitlich-rechtlichen Beortbeilung der
ftufsem Handlungen dieser Conflict doppelter Persön-
lichkeit zur Milderung, wo nicht zur Entschuldigung
dienen mufo. Viel gröfser indessen ist der Schatten,
der auf den menspblichen Charakter fallt, wenn, was
mehr hiilte herausgehoben werden können, die katho-
lischer Seita yerbreitete Voraussetzung eine falsche
ist,^alfl hätte der Freih. yon Droste die Instruction yon
1831 nur in so weit angenommen, als sie mit dem
päpstlichen Breve übereinstimme; da er doch yielmebr^
sei es in wahrer oder . in nachträglich Torgespiegelter
Unwissenheit und Uebereilung, jene Debereinstimmung
als ein Factum aufgestellt, also anerkannt, ' und die
Annahme unbedingt erklärt hatte.
Es ist so etwas Gewöhnliches, die Religionen im
Staate -— die verschiedenen Confessionen — als ideale
Rechtspersonen aufzustellen, was sie doch nicht sind
und nicht sein können. ' Diefs führt ' auf die falschen
WegBy einen Ciyilstaat gänzlich yon einem kirchlichen
zu trennen, Berechtigungen und Verpflichtungen der Con«
fessionen dem Staat gegenüber oder anderen Confes-
sionen gegenüber anzunehmen, und dem Staat als höch-
Jahrb. f. wüienteh. Kritik. J. 1839. 11. Bd.
4
ste Unpartheilichkeit eine yöllige Irreligiosität znzu-
muthen* So entwickelt, nährt nnd yerwirrt sich frei-
lich der ewige Conflict der Anmafsungen und Zuge-
ständnisse $ welcher nur durch das Wahre der Sache
gelähmt und früh odeir spät beseitigt Werden kann,
dafs der Staat in positiven Rechten es nicht mit den
Confessionen, sondern mit den Unterthanen, .den Ein-
seinen, oder den äufserlioA abgegrenzten Gemeinden^
zu thun und nur in nnd mit dicTsen die Confe^ionsver-
hältnisse in Betracht zu nahmen hat; — dafs wenig-
stens ein monarchischer Staat wie Preufsen, wo sieb
die .weltliche Gewalt in einem einzigen Oberhaupte yer:-
einigt, eben so wenig religiös-partbeilos sein kann, als
das Individuum, und dafs, wenn nur von den Grund?
Sätzen der Religion des evangelischen Herrschers aus,
d. b. yon der herrschenden Staatsreligion aus, regiert
wird, der Grad der nnpartheiischen Gerechtigkeit itt
dem Staatsschutz oder der Duldung anderer Confes-
sionen wird erreicht sein, welcher nur immer mit dem
Wohl eines evangelischen . Staates sich verträgt ; und
ein Mehreres kann und soll nicht erwartet werden*
Nicht einverstanden also kann man sein, wenn (p.
V des Vorworts) der Katholicismus •— auch an sich
etwas unverständlich <— „eine unlengbaVe .und durch
. den Glauben jon Millionen berechtigte Thatta&he^^
genannt wird, welche ein protestantischer Staat aner-
kennen müsse j und hiermit nicht wohl zu vereinigen
ist es wieder, wenn gleich im Eingang der Schrift;
selbst bemerkt wird, seit dem Untergang der geistli-
chen Fürstenthümer habe es in Deutschland keinen
ausschliefslicb katholischen Staat gegeben, und als
Regel gelte die gleiche Berechtigung der katholischen
und evangelischen Kirche. Was soll nun noch (p. 9)
durch den Ausdruck: weeentlich protestantiicher
Staat angedeutet werden!. — Doch immer nichts an-
ders als das, was nicht umgangen werden kann und
nicht verschleiert zu werden braucht : ein Staat, wol-
43
355 HoMi die MJen £rziueA3ßt.
eher die protestantische (eTangelnebe) ReUgion sa sei- dem rein Weltlichen «cheidet, oder wo beiden in da
Der herrschenden gemacht hat, — ein allein und aus* äiifsern Erscheinung einen gemeinschaftlichen nnthtit
schiiefslich protestantischer (eyangelischer) Staat. Das baren Boden hat. Diefs kann nur durch eigene Er^
ist verschieden von dem, vas das Land ist. Preufien kenntniOs und Machtvollkommenheit gehandhabt^ moht
ist ein evangelischer Staat mit einem gemischt evan*' aber durch Staats« Verträge für. ewig bindend« Zeiten
gelischen und katholischen Land. Sachsen z» B. ist^ geordnet werden; — mid wenn (p. 6) die päpstliche
weil die Souverainetät constitutionsipäfsig beschränkt
und insbesondere das jus, circa sacra evangelicorum
in andere Hand gelegt ist, ein überwiegend evangeli-
scher, zum Theil auch katholischer Staat mit eben so
gemischtem Land. Eine bedeutende Verschiedenheit
der Verhältnisse in der Verwaltungsweise beider Staa-
ten mufs sich hieraus ableiten und erklären.
Weiter soll nun der Ordnung des Buches selbst
gefolgt werden, um das noch zum Theil als Belag-
stQcke des Vorausgeschickten kürzlich anzudeuten, was
bei aufmerksamer Durchlesung desselben bemerkens-
werth erschienen.
P. 5. „Gesetzlich galt (in den rheinischen und
westpbälischen Provinzen) für die Kirchenverfassung
noch 'das französische Concordat von 1801 u. s.w.'' —
Diefs würde schon da nicht passen, w6 — z. B. in
dem Herzogthum Westphalen — die französischen Ge-
setze niemals gegolten haben;- aber überhaupt auch ist
in der CivilverwaltuDg der religiösen Verbältnisse (die
interimistisch noch bestehenden JudenverfassuDgen aus-
genommen) niemals einer örtlich-legislatorischen Ver-
schiedenheit statt gegeben ^E^orden.
Pag. 5. — wird auch, der Hemmungen gedacht, wel-
che die diplomatischen Verhandlungen mit dem römi-
schen Stuhle erfahren, und welche, -— „um sicher ge-
gen jeden innem Gegensatz den politischen Zweck zu
erreichen,** — leicht und schnell durch die dem Staats-
Kanzler in den Mund gelegten Worte beseitigt wurden.
Die Schwierigkeiten aber liegen in dem Wesen der
Bulle: de aalute animarum — ein Vertrag genannt wird,
so widersprechen wir dem, nnd legen einzig und aUem
der Königlichen Sanctioa die Wirkung eines einseiti-
gen innem Landesgesetzoa bei, wodurch indessen anek
das Fortschreiten der Leg^lation nicht .geht|idinrt>w«rd«
Pag. 7. — wird auf den ReichsdeputatioBsbaopt*
sohlufs Bezug genommen und daraus den Rheinländern
im allgemeinen, d. h. der römisch-katholischen Kirche
in ier Rheinprovinz, irgend ein Recht auf di6 I&ngat
unter der Zwischenherrschaft eingezogenen Kirchengi-
ter und Schulfonds eingeräumt. Dem kann nur nacb
den Grundsätzen des Staats- und Völkerrechts und
selbst nach allen Regeln des bürgerlichen Gesetzes wk
dersprochen werden. Soll aber das Recht filr Billig-
keit gelten, so fallt diefs der Verwaltung anheim, wet*
che stets würdig und zeitgemäfs fortschreiten mufs.
Sehr gut und wahr ist es, und die (p. 227) gefio*
fserte Furcht vor vermeintlich kühnem und gefahrvol-
lem Weg zu einem katholischen Schisma leicht besei-
tigend, was (p. 8) zur Unterscheidung des romanischen
nnd des^nationalenKatholicismus gesagt; — nicht nbel
auch, was (p. 14) über die Motive der Wahl des neuea
Erzbischofs gemuthmafst wird ; — aber gewagt, beson-
ders in Verbindung mit dem, was . (p. 226) in Bemg
auf unsern Kronprinzen sich geäufsert findet.
. P. 60 u. s. w. — werden die Verhandlungen wegeo
des Zusammenhangs des päpstlichen Breve in Betreff
der gemischten Ehe und der darauf erfolgten InstraO'
tion, defsgleichen wegen des Widerrufs des Biddiofii
Sache, die kein Wort nnd kern Vertrag je ändern kann. ' Hemmer vorgetragen. Diefs alles sind schwache Sei-
Wenn gesagt sein soll: Alles was die Kirche betriflFit,
iiberläfst der König dem Papst — so wäre entweder
das ganze, seinei: Natur nach doch unveräufserliche,
landesherrliche ins circa sacra hingegeben, oder, da
der Staätsscbutr der römisch-katholischen Religion und
die Glaubens- und Gewissensfreiheit nicht in Zweifel
steht, es wäre etwas gei^agt, was auch heute nicht und
niemals bestritten wird, die Schwierigkeiten aber nicht
hebt, da alle Streitigkeiten eben nur die Grenzen be-
treffen, wo das' rein Kirchliche und Geistige sich von
ten, welche als Nebensachen von der gewaltigen Ma-
terie der Hauptsache verschlungen werden mögen; und
nur beweisen, dafs Religionssachen und Diplomatie
sich schlecht vertragen. ^
Den Hermesschen Streitigkeiten ,wird (p. 71 — 99)
ein eigenes Kapitel gewidmet, welches ein zur allge-
meinen Kenntnifs vollständiges und treues BHd ge*
währt.« Ist den Lehrern zu Bonn von Staatswegen ver*
boten worden, den Namen: Hermes «— zu nennen, so
war es ein Mifsgriff; und haben die Lehrer gleichwohl
897
Hßte^ 4ie 6Hdm ErsM$eA8jk
fbrtgeft&reii) seine AnsiprBche vorzutragen, und tfür
seinem Namen die Bezeichnoog : — »»der grofse Den-
ker'' — substitiiirt^ so sind sie irenigstens in dieser
Mattier dem Girialwesen nicht abtrünnig, geworden/
Pag. 100 — wird erzählt, dem Erzbischöf Droste
sei ftir den Fall freiwilligen Rücktritts sein Teiles Ge-
halt, 12000 Thlr« , als- Rahegebalt zugesagt worden,
wroranf er geantwortet: ^— ,,Ich will lieber vom Almo-
seil der (Slaobigen leben wie die alten Bischöfe, und
meine Pflicht erfüllen/' — Wenn hinzugefügt wird, dafo
die Quelle nioht sicher sei, so war um so weniger Grund
Torhanden« die Sache selbst für wahrscheinlich zu
erklären. '
Eben so wenig spricht auch daAir die innere Wahr-
seheinliohkeit, dafs (p. 104) ein Ausruf des Erzbischofs
bei deiner Abführung: — 9,G(^tt sei Dank! ttnn geschiebt
Gewalt** — hatte unbeachtet bleiben kdnnen,<
Ueberhaupt beruht es auf Mangel an scharfer Un-
terscheidung und richtiger Beachtung der weltlichen und
rein kirchlichen Macht, so wie auf Unkenntnifs des
Prenfsiscben allgememen Justiz- und Verwalttings-Orga-
nisuiss, wenn man in so vielen Schriften, und auch in
der Yorliegenden vielfach wiederholt, Beklagen und Be-
denken erhoben findet, dafs der Erzbischof von Cola
gewaltsam entsetzt worden, und in Gefangenschaft ge-
halten werde, ohne ihn Tor Gericht zu stellen; und
dafs bei gleichen Verhältnissen ein ungleiches Verfah-
ren hinsichfs des Erzbischofs von^ Posen beobachtet
werde. CKe Rechtsform verletzend ist keiner von bei-
den Erzbischdfen behandelt worden, rücksichtsvoll aber
wunden es beide, und mit sehr bedeutender Anwendung
des in der Hand der höchstta Staatsgewalt ruhenden,
nach Art und Grenze keiner Discnssion unterliegenden
Begnadigungs-Rechtes. Danach hat jeder der beiden
Ersbis<$höfe das, was ihn bis jetzt betroffen hat, nach ei-
gener ihm sorgsam verstatteter Wahl — auf Seiten
des Staats in' gebieterischer Consequenz und Noth wen-
digkeit -* herbeigeführt, — übereinstimmend das Re-
sultat, dafs, indem sie sich nicht dazu verstehen woll-
ten, ihr geistliches Amt mit dem Staatswohl vertrag-
lich auszuüben, die oberste Stsatsgewalt ihnen die Aus-
ibnng desselben ^ uHberükrend ihre kirchliche Digni-
tat — nicht ^ter geitatten durfte, und, no weit sie
nieht persönlich Garantie oder auch nur Versprechen
kisten wollten, sich der Amtsaüsübung zu enthalten,
dieselbe, sei es im Wege der Siraf-Justiz oder nur im
staatspolizeilichen Bxecutiv-Wege, namSgli^A machen
mufste. Wenn und wo auch letzteres nicht anders als
mit physischer Freiheitsbeschränkung geschehen konnte
so wird in der That dieses doch unrichtig, wenigstens
uneigentlich, im Sinne der innem Rechtspflege eine Ge-
fangenschaft genannt, und es kann dem. nicht so leicht-
hin widersprochen werden, wie es (p. 150) gesdiieht..
Gl^cherweise erfordert es eine in die Begrenflmg
und Vereinigung der kirchlichen und weltlichen Rechte
viel tiefer eingehende Beleuchtung als die ist, mit wel-
cher der Verf. in der Verurung- seines Strebens nach
Unpurtheilichkeit nicht Anstand nimmt,' der Prenfsiscben
Regierung den Vorwurf der Nichtgrofsmüthigkeit (p.
144) und der Wortuntreue (p. 193) zu machen»
Preufsen ist, wie man es betrachten mag^ die rein-
ste Monarchie der cliristlich-civilisirten Welt ; der ganze
Organismus aller Verwaltungszweige geht aus dem
stets freien Willen des königlichen Oberhauptes her-
vor $ und es kann dem wahren Patrioten nur anstdfsig
sein, wenn er' (p. 120) lies^t: — ' ,^^e^fsen ist, ab-
stract (I) betrachtet, eine unbeschränkte Monarchie,
eher bekanntlich hat sich der königliche Wille nach
einer sdion vor Jahrhunderten begonnenen Bildung mehr
und mehr in einer Reihe rechtsbeständiger Institutio-
nen begrenzt, welche im wesentlichen .(') ^^^ '^ ^^^t
stehen, als ii^nd eine liberale Constitution (1). Nächst
diesen Rechtsformen stehen dermalen in Berlin einige
Lebensansiohten,, Systeme und ausgezeichnete Indivi-
dualitäten neben und theilweise wider einander, welche^
bald jede in ihrem angewiesenen Bereiche, bald einan-»
der gegenseitig bedingend und vermittelnd, dasjenfge
vollbringen,' was man so in's Allgemeine bin die Re-
gierung nennt."
Was will insi^esondere auch der letzte Satz be-
deuten, und wie pafst das : „dermalen f *' Sind das nicht
vielmehr Erscheinungen, welche zu allen Zeiten und
bei allen Regierungs-Fonnen vorkommen und vorkom-
men müssen, so lange ein menschlicher Geist nicht mit
Allwissenheit und .Allmacht an das Ruder treten
kann! —
Wenn (p. 125) ein nach den unruhigen Auftritten
zu Münster in Umlauf gekommenes Geschichtchen er-
zählt wird, dafs ein vom dortigen MiUtair bedrängter
Tumultuant zu seiner augenblicklichen Verschonung
sioh erboten habe, evangelisch zu werden; so hätte,
um ^,den ernsten Blick** in die Volksstimmung zu
359
Hau^ die beiden Eii^iiehSfe.
bericfatigen , vohl auch der Zntats' gemaolit verdea
k^ooen; dafs der treue Soldat bei fortgesetzter Hand-
habung der' öffentlichen Ordnung erwidert haben soll:
er sei selbst ein Katholik.
\ Der Sats: (p. 130) ,^da8 mächtigste Mittel der
Geistlichkeit, auf die Gemüther zu virKen, der Ueicht-
stuhl, liej^ jenseits, alle^ Polizei und aller Gerichte" —
ist nur i^ahr, wenn Beichtvater und Beichtkind in Ge-
sinnung und Handlung Töllig einig sind, und ihr»Ge-
beimnih, sorgfältig bewahren. Tritt dasselbe aber
-Irgendwie an den Tag» so ist es dem Gesetz und nach
den Umständen dem polizeilich administrativen oder
dem richterlichen Verfahren anheim gegeben ; und es
ist wohl zu merken, dafs unsere Gesetze (allg. Land-
Recht TIk U. Tit. l\. §§. 8(K-82) bei aller Achtung
des Beichtgeheimnisses doch selbst von dem Priester
die amtliche 'Anzeige da fordern, wo ^s darauf an-
kommtp eine dem Staat drohende Gefahr abzuwenden,
oder em Verbrec&en zu verhüten, oder den schädli-
chen Folgen eines schon begangenen Verbrechens ab-
zuhelfen, oder ihnen vorzubeugen. Ein Geistlicher also,
welcher auch diese Pflicht gegen den Staat und das
Cresetz' aus den Augen setzt, darf nicht durchaus sei-
nem Geheimnifs vertrauen und sich darum der Beru-
higung hingeben, hat vielmehr Amtsentsetzun^ und
doppelte Ahndung zu erwarten, wenn sein Vertahren
im Beichtstuhl durch andere Betheiligte, ja vielleicht
selbst durch andere ffesetzestreoe Geistliche zur Kennt-
uifs der weltlichen Obriffkeit gebracht wird.
Was (p. 225) der Verf. i» gerechter Würdigung
der Verdienste unseres Königs um Staat und Kirche
tinftthrt, wer mäfste ihm hierin nicht von Herzen Bei-
fall geben; — er fugt aber hinzu: ,>ünd was hat der
König daflir gehabt? Gerade nach der Zeit glorrei-
cher Siege, als der Staat seine liohe Blüthe entfaltete,
erst den Agendenstreit, ^ann die TVjdersetzlichkeiten
4er Alt- Lutheraner,, nun, näher dem Feierabende sei-
nes ruhmgekrönten Lebens, den .katholischen Streit.'^
— Was unser König dafür gehabt bat^ dafs er, ein
. wahrhaft christliches Haupt, zur Duldung und Verei-
nigung der Confessionen strebt und wirfst, so rein im
Geist des ETangeliums wie \es vordem nie geschehen ;
— was er dafür gehabt hat? — so ist die I< rage nicht
zu stellen.' Was er dafür hat und haben wirdi — So
ist sio leicht zu beantworten, und von Jahrhundert zu
Jahrhundert -wird sich die Antwort in wachsender Kraft
wiederholen.
Bei der auch in der vorliegenden Schrift aufgefafsi-
ten Tendenz, nur temporairen Frieden zu stiften, und
die Sache in die zweitelhaft ruhige Lage zurückzufüh-
ren, worin sie sich vor dem erhouencn Streite befand,
konnte es nielit fehlen, dafs hiezu auch solche Vor-
schläge gemacht wurden, welche sich mit dem nicht
▼ertragen, was, tief begründet in dem Wesen der
Staats- und Kirchenverhältuisse, eine feste *^'orm für
^IJle Zeiten scdn soll. — Es ist hier nicht der Ort,
diefs weiter auszuführen; daher nur Folgeudes:
P. 231 werden in Besug auf geniisdite Ehamy
zwei Gegensätze an|[;enommen: entweder sie gäniU
zu verbieten, oder sie zu gestatten und dann auch toi
Staatswegen i^afur zu sorgen, dafs sie kireblich oitii
delhaft bestehen können. Die Wahrheit aber littt k
der Milte« Gänzliches Verbot ist eben so noaimk>
bar, als aus weltlicher Macht jedes schwache Geiii*
sen in Curatel zu nehmen ; daher lasse es die Staate
1;ewalt dabei bewenden, den- gemischten Ehen bfiigcN
iche Gültigkeit tu gewähren, und die GewisBen m
80 ' viel als es sich ohne allgemeinen Glaubeowraiif
thun läfst, gegen aufregende Beängätigung zu tie^
schützeil.
Was die, Kindererziebung- betrifft (p. 236 11.1. w.]^
so hat die unrichtige Idee: eine Religion, eineCoöf»
sion, eine Kirche in genere sei etwas einer joristisditt
Person Gleiches, welcher Ansprüche und Rechte »
stehen, und Pflichten ^egen andere obliegen kSoiHSy
zu der eben so unrichtigen Meinung geführt, als sein
Kinder der Religion der Eltern verpfändet, ond all
könne und müsse bei einem Conflict solcher auch m^
erst in Aussicht liegender Ansprüche der Kircbes m
rechtliche Ausgleichung vorgenouimen werden. Dm
Wahre ist, dafs jede.r Mensch einer bestimuiten M
^ion nur aus eigener Erkenntnifs und aus eigeocs
Willen angehören kann, und bis dieser im Stande Ü^
sich geltend zu machen, der Staat nur darauf zs w
faen hat, dafs bei der i^rziebung nichts geschehe, in
den in ihm als herrschend oder als geschützt li^i
stehenden Confessionen im Allgemeinen widerstretar
würde.
Gut und richtig ist es, was (o. 246, 247) hifliieUi
.der päpstlichen Verordnungen über die P'ublicatioi»
weise und über das landesherrliche Placet gesagt viii
Nur auf die* Bemerkung: „die Krone Preufsea kai
sich getrost darauf berufen, dafs, so ÜEinge nodi irgcil
ein streng katholischer Staat, namentlich Oesterrdck
dieses Placet für ein nothwendiges iStaatsrecbt achtel
es nicht aufgegeben werden könne** — mTSgte man ö^
widern, dafs solche firklärung das auf seinen' eigdtt
FüTsen stehende Prenfseu wohl nie zu geben sich fl^
anlafst finden wird.
Wenn endlich (p. 250) die Errichtung eines p'
mischt geistlichen und welth'chen hohen Rirchesg^
richtshofes empfohlen wird, um einen unpartheiisoMi
Rechtsspruch in letzter Instanz zu erlangen, ,}V0 k
Regierung wegen Verletzung eines Staatsgesetzes klaci;
d der Bischof sich auf eine kirchliche Amfspfli^
uu
beruft'* — so wollen wir doch ja lieber an unserer k^
atehenden Verfassung halten, und nur stets. darauf k^
dacht sein, dafs da, wo das rein Kirchliche und dtf
rein Weltliche sich trennen läfst, jenes den geistlieta
Oberen überlassen, da aber, wo diefs nicht gcscbiej
kann, nur das weltliche Gesetz vor dem für Allo gi^
geordneten Richter geltend gemacht werde;
U Wolfart.
^ 46.
Jahrbücher
f ü r ^
wissenschaftliche Kritik
September 1839*
XXI.
JDie Wissenschaft der römischen Rechtsgeschichte
im Grundrisse. Von D. J. Christiansen^
Privatdocenten an der Universität zu Kiel.
Erster Band. J/toita, 1838. bei Hammerich. 8.
Sehr mit Unrecht wärde man bei der Beurtheilnng
des Torliegenden Werke euie beliebte ReceBfieDteii-
floakel gebmachen, es fülle eioe Lüeke in der Litern-
tar ans \ es ist eine za neue eigenthümliche ErBchei-
SQOg, als dafs es %vm Lückenbäfser tauge. Der Verf.
konnte deshalb erwarten, daCs er starken Widerspruch
finden wurde, besonders bei denen, die das gute Alte
als solches hoch in Ehren - halten. Er spricht sich
auch eigends darüber ans in einer Vorrede, die gar
sehr eriqnert an Shjloks : There is no power in tfae ^
fonque of men to alter nie. Hr. Chr. wird. aber nicht
hri den bisherigen Beurtheilungen seines Werks aus-
gerufen haben: O noble judge! Most rightfol judgel
Die Recensenten haben es fär ihre Pflicht gehalten,
die fibermiithigen Tiraden einer nicht feinen Polemik
n perfaorresciren ; mufsten sie aber dabei «tehen blei-
ben 1 Es ist em kindliches Vergnügen, beim Aufgang
der Sonne nur die dunkeln seltsam geformten Nebel-
streifen xu betrachten, die der Sonne Glanx noch nicht
bewiütigt hat. Dafs das vfNrliegende \Yerk glänzende
Seiten bat, mflssen die Kundigen wissen und selbst
die Unmündigen ahnden, Alle aber iterden sebep, dafs
ea Bchfrarze Flecke bat, wunderlich geformt und cnrios
sa aeben. Sie sind ao augenfällig, dafs es einer Hin-
weisung auf sie für keinen Leser bedarf: denn wer in
luodfichem Sinn sich nur an ihnen ergötzen will, für
den iat das iBHch am wenigsten gesehrielben ; die Wis-
Bens^baftsmänner werden nicht mit Wohlbehagen bei
iho«m verweilen. Referent glaubt der Aufzählung sol-
eher Aus wachse fiberboben zu sein, da schon einige
Recensenten und Ausrufer dabei ihre besten Kräifte
Jmhrh. f. wmeMch. KriHk. J. 1B30. II. Bd.
Tersehweudet haben. Es ist übrigens nicht zu yerwun-
dem, dafs Hi. Chr., ein denkender Mann, unzufrieden
ist mit dem Treiben vieler unsrer Rechtshistoriker, die
das Ansehn haben, als hätten sie ein Antiquitätenca-
binet zu conserviren und zu completiren, in welcheln
die Gegenstände nur in ungefährer Ordnung nach Jahr,
hunderten ihres Alters geordnet sind, ohne eine Ein-
heit zu bilden. Der Unwille über dieses Treiben an-
fsert sich verschieden, bei- Einigen deprimirt zu ver-
bissenem Aerger, bei Anderen, wie bei Hrn. Chr., sich
Luft machend und frei und derb hervortretend, wie es
Sitte ist der Menschen, die, in jugendlicher Kraft,
nicht gelernt haben, die Wunderlichkeiten der Welt
au ertragen. Dafs der Verf. sich erhaben fiililt^ man-
nen Rechtehistorikem gegenüber, die diesen Namen
Bur.usurpirt haben und Mikrologie fär historische
Gründlichkeit ausgeben, Geschichte und Philosophie
als Gegensätze bezeichnen, ist wol begreiflich; dafs
eigner Aussprueh dieser Erhabenheit keinen Beifall
findet, ist bekannt. Das' unbegrenzte Selbstvertrauen
jedoch, was manche Aeufserungen des Verfs. zu ver-
rathen scheinen, zeigt sich nicht sd sehr in der Aus-
führung des behandelten Gegenstandes \ der Verf. kennt
zu rechter Zeit den Grundsatz, den man am wenig-
sten bei dem Studium der alten Geschichte vergessen
seilte: bis bieher und nicht weiter! Der Forscher in
der ältesten Geschichte Roms wurde wenig historisches
Talent verrathen, wenn er durch seine Untersuchun-
gen ausgemachte Wahrheiten zu erreichen glaubte und
mehr als Hypothesen zu geben wähnte. Hr. Chr. wie-
derholt diefs nicht auf JMer Seite, spricht es aber ent-
schieden an mehreren Stellen aus, und darnach mufs
man manche Parthieen benrtheilen, die dem .flüchtigen ^
Betrachter als bodenlose Hypothesen erscheinen wer-
den. Es setzt schon nicht geringe Befähigung voraus,
Hypothesen richtig zn beulrtheilen, daher finden wir^
hier eben so häußg gänzliches Verwerfen als ' gänzli- '
46
1
363
C^riitianMefty die WüsemeAmfi der ramiiehen Beehiegesekiehte.
»
öbed Hiogeben aB unrechter Statt* Den richtigeti
Standpunkt fiir die Beurtheilung historiscber Hjpotfae-
sep gibt Hr. Chr. in folgenden Worten an : ^^Der Werth
einer historischen Hypothese besteht nicht in ihrer
Verträglichlveit mit ihrer unmittelharen nächsten Um-
gebung; sie kann sich allein dadurch legitimiren^ dafs
sie unbedingt jede Probe aushält, find nirgends sich
ein einziges Hindernifs dem Fortschreiten ihrer noth-
ireodigen Conseqnenzen in den Weg stellly denn eine
einzige wirkliche Unmöglichkeit überwiegt hier hundert
der schönsten Möglichkeiten.'* Legen wir, wie es Pflicht
ist, diesen Maafsstab an das Toriiegende Werk, so ist
das Resultat nicht ungünstig für den Verf., denn ein
Hanptvorzug desselben ist sicher dife Gonseqnenz der
Hypothesen und die Darlegung der inneren Nothwen-
digkeit; der Verf. ist immer bedacht gewesen, ein
zusammenhängendes geschlossenes Ganze zu geben.
Wenn um dieses Ziel zu erreichen uns bisweilen Ge«
walt angewendet scheint, so ist sehr zu beachten der
Zustand der Quellen römischer Geschichte und römi»
sehen Rechts, über den ^ sich neulich ein grofser Jurist
in einer Beziehung ausgesprochen hat. Die Mangel-*
baftigkeit und Dürftigkeit der Quellen zeigt sich aber
nicht so sehr in der Unvollständigkeit des Details,
mehr tritt sie hervor in dem Deficit alleü historischen
Seins, besonders bei Dionys, Halic, Aßt bei seiner Mi-
krologie, bei seinem sorgfältigen Anreihen der Einzel-
heiten nach dem äufseren Causalnexus, nie die yolks«
thümliche organische Rechtsbildung in Rom erkannt
bat, nie verstanden hat, dafs desselben Geistes Bewe-
gung sich zeigte, wenn der römische populus wichtige
Staatsfragen entschied und wenn die Römer das Pri«
Tatrecht handhabten. Er hat eine Art Pragmatie; aber
dem Fufs in seiner Bewegung folgen, heifst noch nicht
wissen, warum der Geist den Fufs also leite, sagte ein
geistreicher Mann bei ähnlicher Gelegenheit. Die Schrift-
steller röm. Geschichte zeigen uns eine „verworrene
Trümmermasse," ohne uns ein Bild zu geben vom Ge-
bäude in seiner Ganz- und Vielheit, ohne den freien schaf-
fenden Geist des Baumeisters zu erkennen. Bei Män-
geln der genannten Art mufs sich das Resultat erge-
ben, dafs manche Rechtsinstitute sich nicht in ihren
Verzweigungen erkenneu lassen, dafs «ur rechten Zeit
-mahche Untersuchung aufhören mufs, wenn sie nicht
in vage Grübelei ausarten soll. Das Erste und das
r
ist den riebt igen Standpunkt zu den TOrUegmdeQQiNli
len zu wählen, eben darin ^ zeigt er seine Befabigiag,
dadurch richtet er sich selbst. Niebuhr. hat "neben gr».
fsen anderen Verdiensten vorzüglich das durch «du
kritische Geschichte sich erworben, dafs er den K4
lerglauben yerjagt hat und es ist ein trauriges Zei*
eben, dafs so Viele' nicht diesem Vorbilde gefolgt nod.
Es wäre eine „ruchlose Vermessenheit" gewesen, wem
in vorniebuhrscher Zeit ein Anderer tou den alten
Schriftstellern gesprochen hätte, wie Niebuhr: „WoU
dürfen wir denken, dafs unsre Zeit, treffender als di
ihrige, Fabel von Wirklichkeit unterscheidet: aochiit
es kein vermessenes Unternehmen in den Erzählungoi
der Geschichtschreiber erkennen zu wollen, was ihm
Mifsverständnissen, Vorurtheilen oder witlköhriiclier
Darstellung gehört, was urkundlich ist" Niebuhr tat
sein Wort durch die That bewahrheitet; zu]|^Ieich leigt
aber auch Niebubr's Beispiel, wie grofs diese Aa%ik6
der Quellenkritik ist, , denn selbst dieser Meister dec
Geschichte geräth nicht selten in Widerspruch mit siek
selbst bei der Beurtheilung der alten Schriftsteller. Hr.
Chr. hat Vieles von Niebuhr gelernt, er sucht auch w
Niebuhr vor Allem einen festen Standpunkt fiir &
Beurtheilung der Quellen; seip Urtheii über die Qaet
len der politischen Geschichte Roms und der Recfcti-
g^schrchte ist noch ungünstiger als Niebuhrs, es ist
wol das härteste Drtheil, das gesprochen ist, Absonü»
täten abgerechnet, wie sie sich z. B. finden in Müller^
„Ansicht der Geschichte." Die subjective BeftbiguBg
des Hrn. Chr. zur Behandlung seines Gegenstandes
und die Ausführung mufs seine Urtheile über G^os,
Ulpian, Gellius u. A. richten und darauf soll unser
Augenmerk im Folgenden gerichtet sein. Manche Pbi-'
lologen werden ein Kreuz . schlagen ob des Unglao*
bens des Verfs., allein die Philologen müssen schon
deshalb am besten einsehen, dafs nicht Alles Wahr-
heit ist, was uns 4lie alten Schriftsteller beriobteD) '*
sie wissen, wie die Alten etjmologisiren und wie m
häufig die Etymologien die . alleinige Basis einsebtf
Untersuchungen sind, die dann einem Gebäude asi
Flugsand gebaut gleichen. Im Voraus mufs ich hier
bemerken, dafs Hr. Chr. unpassender Weise an meb*
reren Stellen als vorläufigen Beleg für die „Shipi^ittt
und Ignoranz" des Gajus u.A. ein und dasselbe Ber-
spiel vorführt, die Darste|llung und Vorstellttog der
Eine aber, das ein Geschichtsforscher erstreben mufs,. alten juristischen Schriftsteller tou der mancipatio
. Citri$tiim$eny die Wi$9en$eki^
iamit gemiii soflamnienliAogeDden Dingen, was nm so
«Blassender ist, da auf diese Gegenstände sich die
Hauptonfersaehnng des Yerfs. in diesem Theil der
bezieht. Wenn überhaopt Hr.~ Chr.
gelegentliche Bemerleungen fiir nothwendig
eraofatete, so hätte er andere solche Belege wählen
aolleb, die aof den ersten Blick schlagend sind und
an denen es nicht fehlt
TVie der Titel dieser tVÜMensehqft der Reobts-
geadiichte sich durch einen wesentlichen Zusatz unter«
aobeidet von denen anderer Werke der Art, eben so
auch das ganze Werk. Die allgemeine Einleitung ist
ao Commentar zu diesem Titel. Die ReeAtswisM^n'
9ekaft hat ihren Ausgangspunkt in der absoluten Wis-
senschaft der Philosophie. Die Rechtsphilosophie ist
aäeh Rechtsgescbichte und umgekehrt, Rechtsphi-
Josopbie und Rechtsgeschichte haben in ^ ihrer Ge-
treHBtheit so wenig Realität, als Seele und Leib,
die Reohtsgesohichte ist nichts Anderes, als die zur
|daatischen Klarheit concreter Wirklichkeit gelangte
Reditspfiilosophie, die Rechtsphilosophie nichts Ande-
res, als das wirkliche Begreifen des concreten Rechts.
Das sind Sätze dtes4$r Einleitung, deren Wahrheit un-
bestreitbar ist und der Verf. ist sich derselben immer
bewnfst gewesen; nur möchte es uds bedanken, dafs
er nicht immer den richtigen Weg eingeschlagen, um
die postulirte Vereinigung und Durchdringung dieser
Tlieile zu erreichen, wenn er grofse sogenannte rein
historische Parthieen, wie z. B. die historische Einlei-
taa^'i nnd speculative Erörterungen, wie sie den ein-
sebien grßfseren Abschnitten vorangeschickt werden,
so getrennt yon einander gibt. Wer die geschichtliche
Einlritong, die eine Urgeschichte Roms enthält, gele-
sen hat, wird sich keine Vorstellung machen köoiken
yen der phtlösephisthen Rechtsgescbichte, die der Vf.
zam Ziel hat) sondern nur in Hrn. Chr. eipen Schüler
Niebohrs seben.^ Die ganze Anlage derselben wie die
Resultate, selbst die, welche den Niebuhr^schen entge-
gea stehlen, zeigen, dafs Niebuhr hier Vorbild gewe-
sen. Wir wollen daher nicht lange verweilen bei die-
8^. Einleitung, um bald zu den TheUen des Werkes
so gelangen, in denen der Verf. Original ist. Mit Nicr
buhr nimmt Hr. Chr. an, das älteste Rom sei entstan- .
den ans der Vereinigung einer griechischartigen Stadt
njtd einer ungriechisohen. Den griechischen Ursprung
des Volks auf dem Palatinus bewds't er durch Spra-
der rdmücA&n ReehiigesekieAte. , 3M
che^ Religion und Verfassung. Hinsichtlich der Reli-
gion läugnet er gänzlich, dafs die griechischen Götter,
die wir in historischer Zeit in Rom finden, durch spä-
tere Reception dahin gekommen. Wenn ich diesen
Satz fiir falsch erkläre, so folgt daraus keinesweges,
dafs ich nicht griechischartigen Religionscultus im älte^
Hen Rom annehme. Eben bei einer solchen Basis
konnten am leichtesten griechische Götter später reti«
pirt werden. Der Polytheismus hat Toleranz, die Rö-^
mer sind nie als nur aus politischen Gründen intole-^
Irant in Religionssachen gewesen-, , im höchsten Grade
tolerant waren sie wenn es der Nutzen gebot. Die
Verehrung der Götter brachte Nutzen, schon die vie-
len prosaischen Beinamen der Götter zeigen diefs an.
Die Schutzgottheiten belagerter Städte- wurden daher
herausbeschworen und ihnen besserer Dienst zu Rom
Terheifsen, die Götter besiegter und' verbttndeter Völ-
ker wurden mit in den Bnnd aufgenommen. Das war
ein Zuwachs nutzlicher Götter, den Unterschied zwi-
schen wahren und falschen Göttern statuirten sie nicht
Es ist bekannt, wie geschickt sie waren fremide Göt-
ter und fremde Mythen mit den ihrigen zu identifici-
ren; zufällige unbedeutende Namensähnlichkeiten, Ue-
bereinstimmung von Attributen reichten dazu bin. Wie
es ja nicht selten ist, dafs ein siegreiches Volk von
der höheren Cultur des besiegten unterjocht ward, so
die Römer von den Griechen. Durch die Kunst- und
Schriftwerke der Griechen lernten die Römer auch den
griechischen Götterbimmel kennen, es War ein lächeln*
der Himmel und sie borgten von seinen Reizen fiir
ihren Götterstaat. Daher die griechische Gestalt man-
cher römischer Götter, sie sind recipirt in der histori-
schen Zeit, ^n vortrefflich durchgeführter Hauptsatz
dieser geschichtlichen Einleitung ist, dafs die Curien
ein Institut der Sabinüehen Stadt auf dem Agoni-
sehen Bügel sind und dafs nach der Vereinigung bei-
der Städte durch den Sabinerkönig Nnma die Römer
in die Curien d. h. in die Gemeinschafl. des Sabinl--
sehen Cultus und des theokratischen Staates aufge-,
nommen wurden, nachdem die Rötner im Kampfe erle-
gen. Um manchen biegten leicht zu erhebenden Wi-
derspruch zu beseitigen, spricht der Verf. S. 50 von
einem „theils bewufsteU} theils unbewufsten Streben
der Römer, jene capitis deminutio, die in der sabini-
schen Arrogation lag, um jeden Preie zu verdecken'*
und S. 47 heifst es: „Es ist eid reiner Zufall, oder
as7
CArüiums0n^ Jis ff^üsenscArnft der rSmüek&m BechUgeieMeiis.
das Resultat der — spätem Dicbtnog und ErdichtaDf^
dafs der Name Roma wieder auflebte^ um so mehr, da
die jelst entstaudeiie offisielle Bezeiobnuog fiir seine
Bürger vährend der ganzep Zejt der Republik Quiri^
ie$ blieb." Da waren jedenfidls die siegenden Sabiner
sehr gütig 9 sich dergleichen gefallen tu lassen, oder
waren sie blors rohe Krieger, die Literaten Roms nur
'aus dem ursprünglichen grieebisohartigen Rom abstam-
mend? Eine scheinbare Analogie würde dafür nur in
deiu XU 'finden sein, was Ton den Pelasgem und Hei-
kaien efzühlt wird. Uns scheinen solche Aushülfen
keine Stützen der schonen Gebilde zu sein, eben so
wenig wenn Hr. Chr. es wiedemm für eine reine Zu-
fälligkeit erklärt^ dafs in dem combiuirten Staat, in
welchem der sabiniscbe Theil ganz die Oberhand hatte,
der allgemeine Name für die Genosseoscbafteu (gen-
tes) ursprünglich dem griechisc^ien Theil angehörte,
dagegen die Curien, die keine midere Unterabtheihing
als die in gente^' hatten, dem Ursprung und* dem Na-
men nach sabinisch sind. Wenn auch vielleicht mit
Recht der Ver£ einen Kampf der Sprache und der
rechtlichen Gebräuche in deüi ältesten geminirten Rom
annimmt, so ist dieb doch zu weit ausgedehnt auf die
Grundeinfichtungen..
Auf die Urgeschichte Roms folgt -^ydie OeicAicAie^
des RecAis der Res^ Quiritüitn.*^ Hier berührt dei*
Verf. im Eingange das Hinzakommen der Etrusker
(Luceres) zu den JH/tamnet und Titiesy beflejfsigt sich
* aber bei diesem bekanntlich nicht unbestrittenem Gegen-
stande einer so magern Kürze, wie sie für den dürr-
sfen Grundr^fs Jcaiim iiinreichen würde. Wenn er
hier sich rechtfertigend bemerkt, die genauere Rechen-
schaft gehöre nicht in eine Recbtsgesci^chte, so läfst
sich erinnern, dafs die historische Einleitung ein sehr
passender Ort dazu gew.esen wäre und dafs er dem
Nichtdahingehoren durch die Ubertät mancher ähnlicher
Parthieen widerspricht. Das in der Einleitung über
den für das Werk gewlUilten Namen Grundrifs Be-
merkte kann hier und an einigen anderen Stellen nicht
als Entschuldigung dienen« HinsiebtUch des Namens
' der ethnischen Theile Roms erklärt Hr. Chr. sich ge-
gen die Annahme, dais tribuM ein Drittheil bedeute.
Schwach ist aber der Zusatz, wenn er beweisen soll:
„Es bedebtet das so wenig als* ea\xwei\ivec\iea immer
' ^ (Die- Fortsetzung folgt.)
988
beifst; in zwei Stücke brechen.". Das Ricbtige Über
das Wort Triiu$ hat genau angegeben -P. ran .dev
Vslden disq. de Romanormn oomitiis I. p. 31 sq^«
Abgesehen von dei'gleichen Kleinigkeiten hat dieser
Abschnitt manche schone historische Untersuehungen
Über die gentes,. das Clientelverbiltnifs n. A., über die
sich nicht kurz referiren Jäfst wegen des «ngen inner-
lichen Zusammenhanges mit dem Gänsen. Wichtig iit
für die Beurtheilung dieser Periode der römischen' Ge*
schichte die Beni^rkung, dafs. sie die Periode der h^
Tolution der Gegens&tse ist, dafs es hier keinen 6e-
gensata des öffentlichen und . des Privatrecbts gibt,
denn der Charakter des politischen Anfangs ist die
Identität der öffentlichen und Privateigenschaft. Der
Vermögensverkehr war gering im patrisischcö Rmd,
aber die Natur brachte durch Geburt und Tod Bewe-
gung, ein EAe* und ErbreeAt mnCs es geben. Als
Form ziir Eingehung der Ehe gehört dieser Urzeit an
die Confarreatio^ sabinischen Ursprungs. Es ist nicht
einzusehen, warum der Verf. in seinem tbeokratis^lien
Staat diese Form nicht fiir die einzige nimdit und so-
gar hinzufugt s „diese scheint durch ihre hervorragende
Splemnitüt und' did Nobilität ihres Ursprungs beliebt,
früh die übrigen Formen verdrängt zu haben." Wo
sind denn Spuren von diesen verdrüngten übrigen For»
men ! Grundlos ist der Zweifel des Yerfs. an der D^
ßtrreatio^ als Aoflösuogsform, für welchen Zweifel er
den Grund anführt, das Gefühl (f) scheine sich gegen
eine solche religiöse Solemnitüt zum Zweck der Auf-
lösung zu erklären. £v nimmt sogar an, die Erklärung
der Diffarreatio bei Festus sei entstanden nach dens
Typus: „quibuscunque rebus obUgamur, hisdem in
coutrarium actis liberamur." Festus und Consorten
haben manche rein erfundene Erklärungen, aber das
Wort Diffarreatio haben sie nicht erfunden. Eine In-
schrift in Orelli's Coli. Inscr. n. 2648 spricht von ei-
nein äacerdos confarreationnm ^et diffarreationnm und
was kann, wenn das Wort feststeht, diffarreatio An-
deres bedeuten, als was Festus angibt? Das Intestat-
erbrecht der 12 Tafeln, bemerkf Hr. Chr., ist nicht in
diese Zeit des Geschlechterstaats zu verlegen, denn
das Fundament der gesetzlichen Successiop der 12 Ta-
feb, die röm. Familie, die Suität und die Agnation
existiren noch nicht.
w 1 s s e u
J a h r b ü c h e
für
s c ha f 1 1 i c h
e Kritik.
September 1859.
9.
1
Die WisMemehqft der römüchen Beehtsgeschtchte
m$ Onmdtüse. Von D. J. Christiansen*
(Fortsetzung.)
Die. Frage ob uoe wie weit auf den Todesfall dis-
poüirt werden konnte, beantwortet er dahin» dafs Tor
deafäUe von Familienhilnptern Thätigkeit in den Curien
zur Folge hattoj zur Aufiiahnie dessen der an die.
Stelle des TOrstorbenen Fauiilienhaüptes rückt, zur Ein-
föhruAg in. die Curionia Sacra« Darauf bezieht der
Verf. die deiestatio sacrorum and glaubt hieraus sei
durch falsche Interpretation und Etjmologisiren von
dev späteren Schriftstellern ein teUamentum in comü
ÜSM ealatis heraqsgeklü|selt Diese Parthie ist voll
WiUkühr und Spitzfindigkeit und wird nicht dazu bei-
tragen, die hier obwaltenden Streitfragen zu besti^igCQ
(▼gl. Gans Erbrecht U. p. 37 if.) — Starken Zweifel
kann ich nicht unterdrücken über des Yerfs. Erklärung
TOD kerediumy ?on deren Richtigkeit er ,,unabänder-
jjch überzeugt'* ist. Herediuui soll sein das Ackerloos
(^ iogera), welches auf den einzelnem Soläatefä von
dem Aekerlande (ager centuriatus) kam, das der Staat
niedergelegt hatte für die Soldaten, die sich selbst equi-
.piren mufsten. Das .heredium war sein UElveräufserli-
chea, aber ausschlierslicbes Eigenthum, er war henis,
trat er aus, so bekam es sein Nachfolger. Einen
Haaptbeweis für seine Behauptung, dafs die bina ju-
gera den Soldaten« nicht an Familien und Hausgesinde
g^eben, entnimmt der Yer£ aus den Erzählungen von
den alten Cplonien Roms. „Die Uaoptsache ist, dafs
die Colonen der alten Colonien, welche entschieden
S4>ldaten sind, aufser dem Grundbesitz, der ihnen aus
dem eroberten Lande als eigentliches Vermögen ange-
wiesen wird, desgleichen bekommen nodi zwar grade
den alten Satz von 2 Jugern, so die Colonen von Anxur.''
Wober Hr. Chr. es weife, dafs der den Besiegten ge-
nommene Theil des Gebiets den gesammtea Colonisten
Jahrb. f. wi$9en$cK Knük. J. 183d. II. ßd.
(mit Inbegriff der Weiber, Kinder und Alten) yertheilt
sei, die Soldaten aber, die eigentlichen Colonisten, für
ihre Dienstlast noch 2 iogeri^ bekamen, ist nicht ein- ^
zusehen und mehr als unwahrscheinlich. Nach Lavici
(Liy. IV, 47.) kamen 1500 Colonisten, deren jeder
nach Liyius 2 iugera bekam, also nach Chr. wurde
vom ager Lavicanus aufser der für alle Colonisten ein-
gezogenen Quote, noch die kleine Zahl von 3000 iugera
für die Soldaten genommen I Der alte Satz von 2 .
iugera steht auch nicht fest. Hr. Chr. führt an 2 ver-
schiedenen Orten nur an Liv. IV, 47. und VIII, 21.
Nach Liv. IV, 16. bekam jeder 2000 nach Satricum
gezogenen Colonisten 2^ iugera, also nach Chr. kamen
5000 iugera blofs auf die Soldaten vgl. Liv« V, 24.
(3^ X ßOOO) und XXXIX., 55. Üeber die Aussendung
und Gründung der Colonien finden sich gute Bemer-
kungen bei Hm. Chr., die aber zum Theil nicl^t neu
sind; hätte er Madvigs meisterhafte Abhandlung ge-
kannt, oder benutzt, so wäre manche Einzelheit .besser^
gesagt. Er macht sich lustig über die Annahme, dafs
die Zahl der Besatziing der C!olonien in allen Fällen
eine gleiche und bestimmte gewesen. Es ist wahr, man- ^
che Zeugnisse beweisen das Gegentheil, aber 300, die
Hr.. Chr. für eine Wachtparad^ zu viel erklärt, war
doch eine sehr gewöhnliche Zahl,. wie di'e Beispiele bei
Niebuhr und Madvig zeigen; zur Besetzung kleiner
Städte und Gebiete rcgelmäfsig, und der Bemerkung
des Verfs. gegenüber, dafs Zablensjmmetrie nirgends
übler angebracht werden könne^ als bei den Colonisten,
kann ich nicht umhin zu glauben, dafs dieser Fall zu
den wenigen gehöht, wo sie reöht angebracht ist. Die
uns von den alten Schriftstellern mitgetheilten Zahlen
der Colonisten für einzelne Fälle zeigten eine gewisse
Norm (300, 1§00, 2000) die Verschiedenheit derselben
lätßt sich in den meisten Fällen aus den Umständen
leicht erklären, die runden Zahlen aber j|nd die Ueber-
einstiinnmng daraus^ dafs die Colonisten als Besatzung
47
N
/
371 CAristiansen^ die Wi$$enMehqft
dienen sollten« Seldaten waren, daher wurden kleine
Regimenter hingesphickt, -die den Abtheilungen der
rdin« Armee entsprachen und Hr. Chn bemerkt S. 93;
y^wie Alles fest und bestimmt ist, so hatte auch das
Heer von jeher eine bestimmte Zahl u. s. w." Hier-
ans erklärt sich die Zahl 300 sehr leicht. In ähnlicher
Weise erklärt sich Chr. an andern Stellen gegen die
Annahme Yon Zahlensjmmetrie n. dgl., wie z. B. bei
Gelegenheit der 5 Mancipationszeugen und indem er
das eine Extrem verdammt, geräth er . in das entge-
gengesetzte. Man mufs entschieden dem Suchen nach
mystischen Fatalzahlen und der Zahlengeheimnifskrä-
merei, die in der römischen Geschichte jetzt spukt,
entgegentreten; der Haupturheber dieses Spuks, Dio-
Djs. Halic, der sich in Zahlenspielereien gefallt, bat
in neuerer Zeit Nachahmer gefunden, die den Meister
übertreffen, HüUraann und Huscbke sind weit darin
vprgeschritten, die böse Sieben im Servius Tullius ist
eid Produkt der höchsten Intuition. Auch Niebuhr trägt
einen Theil der Schuld, sein perpetuirliches Nachjagen
der Dreizahl in Roms ältester Geschiebte hat die sum-
ma trinit^s hier fizirt und die gläubigen Nachahmer
Niebuhr*s haben mit dieser mysttscheu Zahl Wunder-
^ dinge entdeckt, Hr. Chr. ist dagegen mit dem Ver-
werfen alter Zablenmjstification zum Verwerfen al-
ler Zahlenuniformität gekommen. Allein eine Stabi-
lität im Gebrauch gewisser Zahlen fiir Eintheilungen,
Termine u. dgl. läfst sich weder'bei den Röiifern noch
bef anderen Völkern verkennen und für manche ein-
zelne Fälle lassen sich genügende Erklärungen des'
' Gebrauchs gewisser Zahlen vorbringen, während für
andre Fällfe eine solche Erklärung nicht zur Hand ist
und die Annahme eines Mechanismus nicht unpassend
scheint. — Niebuhrs gröfster Entdeckung über den Ur-
sprung und die Bildung der ple6$ schliefst sich der Vf.
an und macht vortreffliche Bemerkungen über ihren
Zustand vor Servius Tullius und über ihr staatsbür-
gerliches Aufkommen. Ebenfalls werden die Prinzipien
der Servianischen Reform sehr richtig angegebeui bes-
ser als von Niebuhr, der in seiner Betrachtung derCon-
stituiruDg und Emancipation der ptebs das derselben
von Servius,Gegebene viel zu hoch anschlägt und darin
liegt unserer Meinung nach emer der Hauptfehler von
Niebuhr*s Gesckrchtswerk. Hinsichtlich der Einzelhei-
ten der Servianischen Verfassung wirj) man Manches
in Christiansen's Vl^erk vermissen und bezweifeln, doch
der romüeien BeeAiegeseAieAte. 372
wir können darüber um so weniger mit ihm rechteo,
da wir neuerdings aus Huschke's Schrift gesehen b&-
ben, welche Schwierigkeiten hier obwalten und bis jetacC
keinesweges überwunden sind. Das gröfste Lob ver-
dient des Verfs. Bemerkung, dafs man die Verfasanag
des Servius nur eervianücA nctanen könne, dafs sie
durch einen terminus der griechischen Politik sich niebt
erschöpfend bezeichnen lasse. Au^ diesem Bestreben
ist mancher Irrthum in die römische Geschichte ge-
kommen. Nach den herkömmlichen Begriffsbestiminitii-
gen, von Monarchie, Aristocratie und Demoeratie pas*
Ben diese Namen fast zu keiner Zeit für die römischen
Staatsformen ; die^ Königszeit hat nur deti Schein der
Monarchie, und flir die Republik hat Pdjbios die Mi-
schung der verschiedenen Staatsformen in Rom • sehr
richtig eingesehen und durch diese seine Sohildemns
gezeigt, wie er in den Geist des. römischen Staats eiu-
gedrungen.
Wir gehen über zu der ^OescAicAte der reepu^
blica Momanorum Quiritium.** Dieser Abschnitt um-
fafst die Zeit der Republik i^rährend des noch unent-
schiedenen Kampfes der Patrizier und Plebejer bis zu
der ^ Zwölftafelgesetzgebung. Der Geschlechterstaat
wird aufgelöst, als einer seiner 3 integrirenden Factor
ren, dasRegnum, fällt. Sehr richtig bemerkt der Vf.,
dafs bei dem Kampf der Stände nicht die Frage sein
kann nach Recht und Unreeht, wir sehen eine rein po-
litische Stellung der Patrizier und- Plebejer, wie zweier
Staaten. Hr. Chr. hätt^ hier die Form des Bündnis-
ses hervorheben können, das nach der Secessio m
Stande kam und das sich gar nicht unterscheidet von
den Bündnissen wie sie die Römer nach Beendigung
eines iustum bellum mit fremden Völkern schlössen
(Dionys. Hai. VI, 89.) Zu sehr ereifert sich ubrigeaa
der Verf. gegen jene jetzt doch wol antiqnirto Ansicht,
als könne bei Betrachtung des Kampfes um die Exi-
stenz von Recht und Unrecht die Red6 sein. Es ist,
wie der Verf. richtig angibt, nicht blofs ein Streit ttbw
Rechte, sondern zugleich über das Wesen des Rechts
und der Gesetze. Es beginnt jetzt 'der Gegensatz tfon
pjffentlicAem und PrivatrecAty im patriziSchen.Rom
war beides identisch, mit und durch die Plebejer wird
das Privatrecbt wirklich und das ganze r^miscAe Prü
tfatrecAtywie es auf uns gekommen^ ist plebeßüeAen
Ursprungs. Bei diesem Satz läugnet der Verf. nicht,
dafs wesentlich plebejische Rechtinstitute Modificatio*
373 . CMtHmtMni ttt»
Ben «rfUiMn liaben dareb patrhiache« Recht, aber dem
ÜrBprting nach ist ibiti alles röm. Pvitatrecht abfitain-
■Mod Ton den Plebcjem, deren Wesen es war nnr ein
Privatrecht sn haben , wie das Wesen der Patriaier
war nnr ein dfrentliohes Recht zli' haben« Um Riesen
Sats richtig ttnffassen sn kennen, ist es ndfhig anzu-
geb^n, aas welcher Waraei sich der Verf. das ganze
spftter sc ansgebildetePrivatrecbt henrorgegangen denkt.
Ich trage kein Bedenken^ die hierauf sich «beziehende
Haaptuntersuohung des vorliegenden Werkes für eine
der glänzendsten Forschungen neuerer Zeit anf dem
vechtshistorischen Gebiete zu erklären und sie verdient
eine ähnliche Anerkennung wie sie Albrechts Lehre
Ton der Gewehre gefunden hat. Ich will versuchen die
Ansicht des Hrn. Chr. über den Keim und Ursprung
4es rGmischen Privatrecbts kurz und klar darzulegen,
die >* obgleich «ehr einfacher Natur, doch schon jetzt
Mifsdentung und gänzlich verfehlte Auffassung erfah-
ren hat, wie ich mehrfach Gelegenheit gehabt aus miindr
lieber Unterredung zn Tcrnehmen und* wie es jetzt
auch gedruckt zu lesen ist (s. unten.) Daran wenig-
■tenff ist der Verf. unschuldig. Der plebejische Pater-
familia9 beherrscht diejumilia mit absoluter Willktthr.
Die famüia, die das ganze leblose und lebendige Yer-
mtTgen umfafst, Grundstficke, Thiere, Sclav^n, Sohn
nnd Enkel, Tochter und Frau, ist absolut Object des
Mttfit.ilechts des Päterfamilias, das unbeschränkt und
nngetheilt ist. Der Wille des Paterfamiliaa absorbirt
die Sache, annihilirt sie fiir die übrige Welt, gibt den
fibrigen Patresfamilias eine absolut negative Stellung,
nur der Päterfamilias bat das Recht auf dis Saehe^
das tUnglicAe Recht. Es gibt weder dem Begriff noch
dem Namen nach verschiedene Rechte |n dieser Zeit,
ids dem absoluten HerrscBer «einer Familie zustän-
dig *— ; er hat die Manu9^ Diese Bezeichnung des ding-
liehen Rechts erklärt sich aus der innersten, substan-
tiellsten Eigenschaft der Hand, dafs sie jirir£/i>^^ Kraft
int. Die wirkliche absolute^ Willkübr des Paterfami«
liae uMifs aber auch ihre Gebundenheit wollen können,
aoeh die Persdnlichkeit des Päterfamilias kann Object
neioer Willknhr werden, aber die Persönlichkeit kann
nicht ganz fremder Willkübr unterworfen werden, son-
dern nur ein Theil und nur so wie es der Päterfami-
lias will, jenes würde das integrirende Moment des
wiUküfarlichen Herrschens läugnen. Die Uch gebunden
habende Willkübr ist das Nexum. Also neben dem
der rSmuehen Reehtigeschichte. 374
dinglichen Recht der Manns ist das persönliche Recht
desNexum. Manns nndNexum sind der effective An-
fang des römischen Rechtsl Die auf Zweckmäfsigkeit
basirte Sitte entsefaied, ob Veritiögensobjecte durch dn
dingliches oder durch em persönliches Recht mit ^ir
ner Person yerkniipft werden sollten. Die manne konnte
nur bei 6estim$nien praktischen Objecten juristisch
Statt finden, es muTste eine Verfolgbarkeit der be-
stimmten Sache (species) gegen Jeden eintreten kön-.
neu f es mufste ein sicherer Besitz an der Sache mög-
lich sein. Es sind dah^r von den Sachen der manas
ausgeschlossen die res quae pondere, numere, mensura
constant, diese sind die praktische Sphäre des nexuni^-
in Beziehung auf diese Sachen kann nur die Person
sich gebunden (nectirt) haben* ' Aus demselben Grunde
sind von den Sachen der manus ausgeschlossen die
wilden Thiere ; in der lV|itte steht das Vieh, daa Heer^
denweise gebalten wurde, überhaupt ist eine, scharfe
Begriffsgrenze nicht zu denke.nr Das Ueerdenvieb war
in ältester 'Zeit zum Theil fungibel z. B» hei den mut
tae, der Gebrauch des Geldee hatte aber < die Folge,
alles Andere mehr individuell zu machen. Es erwet*
terte sich also der Kreis der mamisrähigen Sachen^
die Praxis entschied hier und daraus sind die Abwei-
chungen zu erklären bei den Juristen, die uns Verzeich-
nisse uiittheilen von den Sachen, die mancipirt zu wer-
den (mancipi) pflegen. Der juristische Kunstausdruck
res mancipi (Sachen die mancipirt werden, Mancipir-
sachen) und res nee mancipi hat sich erst gebildet bei
Entstehung des dominium ex iure Quiritium aus^.der
manus, die Zahl der res mancipi ist verschieden von
den von d^n manusfähigen Sachen der ältesten Zeit.
Mancipi ist in dieser Zusammensetzung der Infinitiv,
nicht, wie man nach Niebuhr annimmt, Abkürzung des
Genitive mancipii. VITir erhalten hier also eine Ansicht
-über das Wesen des vielbesprochenen Unterschiedes
der res mancipi und nee mancipi, die nur verständlich
ist dadurch, dafs man sich die Natur des ganzen alt*
römischen Privatrechts klar macht und eben darin liegt
ihre hauptsächliche iBmpfeblung, dafe sie in enger Be-
ziehung zum Ganzen steht,, nicht isplirt blofs auf eine
Spitzfindigkeit der Römer hinausgeht. Der Raisonne«
ments nicht zu gedenken, die Jeder, der römisches
Recht utfd römisches Volk kennt, auf den ersten Blick
verwirft (Hommel, Gibbon, Vico, Mauhayn, Eisende-
cher), die sonstigen Erklärungen haben meistens etwas
375 CArütufnsMy du H^i$$enseAnjft:
\yahr68, aber dieses Wabre hat ei^weder eioe n
TagejGestalt (Cujacins, Bynkcrshoek, MeermaDii^ Trer
4ell^ Zacfaariae) Rossmanit, Bugo, Sayigoy) oder eia
imwesebtliches Merkmal und. ein aus der praktischen
Anwendung entDommenes nicht durchweg gültiges Kenn-
zeichen ist faerTorgehoben, wie von denen^ die bei Er-
klärung der res maucipi den Census herbeiziebeii (Pu-
fendorf^ Niebuhr, Yuogerow). Worin übrigens die „aus
inehreren Rücksichten stattfindende sprachliche Un*
moglicfakeit" der Niebuhrschen Worterklärong liegen
soll, habe ich nicht fassen können. Da es bekannt ist,
dafs Ton den Wörtern der zweiten Declination auf ius
und ium bis zu Augüstus Zeit die zusammengezogene
'Form (fili statt filii) auMächliefilich im Gebrauch war;
so kann darin die Unmöglichkeit nicht enthalten sein,
Ist dfe Erkl&rung des Worts maucipi als Infinitiv rich-
tig, so war Cicero sehr einfaltig, wenn er pro Mqr. 2
sagt: res quac maucipi sunt vgl* Top. 5. Ebensowe-
nig können wir mit dem Verf. hinsichtlich der späten
Entstehung der Bezeichnung res maucipi und res nee
inancipi einverstanden sein, nee für non gehört der
'ganz alten Zeit an, das einzigste sichere Beispiel ist
furtum nee manifestum in der Sprache der 12 Tafela
X-in necopinans und necopinatus ist das c wol nur des
liiatns wegen" eingesrchobjen). Femer scheint nach 6a-
juB n. §. 43. der Ausdruck nee maucipi schon in den
12 Tafeln vorgekommen zu sein, wie Schilling (Bemer-
kungen p. 153) gegen Hngo wahrscheinlich macht»
Kennen wir aber mit Sicherheit das neo statt non In
solchen Zusamme^isetzungen nicht einher jüngeren' Zeit
vindiciren, sro spricht das gegen Chr«, der den Gegen-
satz res maucipi und nee maucipi erst nach Entstehung
des dominium ex iure Quir. entstehen läfst, dieses aber
für die Zeit der 12 Tafeln . nicht statuirt Eben so
imwahrscheinlich ist es^ wenn Hr. Chr. von manci-
piwn sagt, es habe ursprünglich den Act der Ueber^
tragung der manus bezeichnet, dafür sei mancipatio
in. Gebrauch gekommen, und mancipium habe dann
später das Object bezeichnet, die Sache die in manum
erworben ward und auch jede Sache, die s|ch darin
befand oder befinden konnte. Spätere Zeit ist ein
sehr unbestimmter Ausdruck, in unseren Quellen ist
der rSmüeAen JReeAfsgeeeMeAte. ' ^ 37fl
bekanntlich m^eißnum nie eine allgeneine Bezeieb*
nung,' sondern nur ^ für Sciaven gebraucht. Es ist rahr
daher bei dem altertbümlH>hen Gepräge des Ausdrucks
res maucipi und nee maucipi mehr wie wahracheiDliobi
dafs die Römer nie mancjpiuin für res^ mancipi gesagt
Die doppelte Bedeutung von mancipium zu derselben
Zeit ist auch nicht eben wahrscheinliph. Mit den alten
F<»men auf üim für die späteren auf so hat der VerC
sich manche Willkühr erlaubt, wenn er s. B. im
Gegensatz voa nezum das Geschäft, durch welches '
solvirt wird, eoluium nennt, ferner ueuetgmim statt
iisncapio. Doch das sind Kleinigkeiten, die der Vor-
trcfFlicbkeit des Ganzen keinen Abbruch tlnuu Ungern
'baben wir bei der Darlegung der Basis des ält^ten
römischen Privatrechts eine Hbweiaung auf das gei^
Iranische Recht vermifst. Schon der Name manme
ftihrte auf eine Yergleicfanng des deutschen J^ueul
(Kraut Vormundschaft z. A.) und äer Sache, nadi
giebt ' die deutsche Gewehre (Albrecht, Phillips) die
treffendste Analogie. Hr. Chr. hat es gändich ver-
schmliht, Analogieen aus dem Recbtsleben anderer Vok
ker entnommen in seiner römischen Rechtsgeschichte
anzuführen, er erklärt sich sehr stark gegen „das Fn^
temisiren der Römer mit den guten alten Deutscfaeiiy**
allein vergleichen heifst noch nicht identifiziren, aol»
che Analogieen dürfen nie den Hauptbeweis bildeti,
aber sie sind schon deshalb in einer römisohen Recbta»
' geschichte nicht ganz bei Seite zu setzen, weil sieh
zeigen mufs, ob ein Institut ausschlierslich römisch iat,
oder ob natürliche Verhältnisse bei den Völkern eiM'
Gleichmäfsigkeit hervorbringen und zu denselben oder
ähnlichen Resultaten führen. Bei den 'Völkern ist ea
wie bei einzelnen Individuen. So ist fiir das altrtfmi«
sehe Schuldrecht die Vergleicbnng .des Norwegischen '
Gttladingsgesetzes nicht blofs interessant, sondern auch
in einem Grade bew;dsend. Nach dieser Digreaaiesi
kehren wir zurück zu unserm Autor. Den Vermögena-
▼erkehr dieser alten Zeit bestimint - der ' Wille des Pa^
terfamilias. Dieser Wille muls ein geäurserter, er-
kennbarer, au9ge$proehener sein, eme lex. Lc^a
actiones ist die allgemeine Bezeichnung der Rechtsge-
schäfte.
(Die ForteetzsDg fslgt)
%ßS 48»
Jahrbücher
für
wissenschaftliche Kritik.
» 9
September 1839.
JKe WiUemchaft der romücken ReckUgeschichte
im Orundri99e. Von D. J. Christiansen.
9
(ForfsetsuDg.)
Der Bnabbingige Pfiterfuiuilias machte für sei«
De faoftilia das Recht (iusaaiiiy ioa). PateHamiliai
vti legasait, ifa' ius ' eato ! Alles iu$ war $trietum^
vas die Worte deutlich gesprochen, war bindend und
war gebunden^ eine Interpretation konnte nichts hin*
aufBgen zn dem bucbstäbiicben Inhalt. Für die Fixi*
rang oiod Aufbewahrung des Rechts gab es nur das
Mittel der Zeugen^ sie waren bei einer legis actio
Bothwendig, um die gesprochenen Worte zn bezeugen«
In der hekannten Bestimmung der 12 Tafeln gegen
unredliobe Zeugen^ weicht der Verf. ab von der Er-
fclilrui^ Marezolls, und erklärt sich gegen die Annah»
flie eines Pleonasmus in improbus und intestabilis : iui-
probtts jst der> qnt, probare non potest, nicht beweisen^
nicht Zeugnifs ablegen kann, intestabilis, der Niomao-
den zum Zeugnifsablegen auffordern kann^ kurz, ein
^Büredlicher Zeuge verliert die Fähigkeit zum rechtli-
chen Verkehr. Hr. Chr. bemiarkt hier: „Ob derTbat*
hestand nach strictum ius blofs Verweigerung des
Zeugnisses war oder auch das fälsche Zeugnifs um-
fefstoy darüber iäfst sich streiten.'* Allein nach den
Worten^ die uns Gellius (XV, 13) als Worte der \2
Tafeln mittheilt, ist nur an den Fall zu denken, wenn
ein testis später sein testunoniom verweigerte ,^ni tes*
liuioninm feratnr'*, also für das Zeitalter des strictum
jus ist die allgemeine Auffassung unzulässig* Nach
Gell. XX, I fin. wurde^ ein falscher Zenge vom Tar-
pejisehen Felsen gestürzt. Das Bedürfnifs führte dar*
aof, zu den Worten, die bei den besonderen Rechts*
jieacbäften gesprochen wurden (leges, nuncupationes),
ein äofseres Criterium des Consenses hinzutreten zu
lassen, nlit dessen Gebrauch der Consens juristisch
vorhanden war. Zur allgemeinen Sitte wurde ^in em«
Jgkrb.f. wu$enich. KrUik: J. 1839. II. Bd.
facbes, durch Grellheit und Wahmehmbarkeit sehr
passendes Mittel; ein Schlag mit einem StÜcJkchem
Er% an die IVage (libram aere percutere). Diefs go»
schab durch einen unpartheiischen Dritten, den librir
pens. Eine ^Wage war beim täglichen Verkehr zur
Hand, schon wegen der Gestalt des Geldes im alten
Rom, diese Form lag daher sehr nahe, in dar Praxis
anderer Völker sind, andere Mittel gebräuchlich ge^
worden, um die- Abgescblosaenbeit eines Geschäfts an-
zuzeigen (Handschlag, Stabbrechen n. dgl.). Der V&
erklärt sich« an mehreren Stellen gegen die Annahme
einer imaginaria venditio bei der mancipatio, und zeigt,
wie bei späten Schriftstellehi diese Erklärung entstand
den sein kann (p. 147 sqq., p. 360 sqq.). Vidleickt
hätte hiebei das Wort pereutetz noch mehr urgirt
werden können, welches regelmäfsig vou-Gaius b^
Erklärung der mancipatio gebraucht wird. Ich ge»
stehe, dafs -mir dieses \Vort zuerst beim Beginn mei»
ner'recl^shistoriscben Studien Zweifel einflöfste gegen
die gewöhnliche Erklärung der mancipatio. Als mir
noch meiner philologischen Lehrer Erklärungen des
Uaterschiedes von percutere und percellere im frischen
Andenken waren, schien es mir seitsam, d^fs ein R9-
mer percutere (per-quatere, d. i. mit einem Schlage'
oder Stofse durch und durch erschüttern) gebraucht
haben sollte von einem Stückeben Erz, das in die
Wage gelegt oder geworfen wurde, und ich suchte mir
diefs daher, so gut es gehen wollte, aus der Art. des
Wagens zn erklären. — In der genannten. Weise nun
wurden alle Rechtsgeschäfte gemacht, es entstehen
durch sie entweder manus oder nexum. Die manne
wird erworben durch mandpium^ dem als Correlat
entspricht das mandatum (mancipare -^ mandare)«
Der juristische Zweck des mancipium ist immer Verr
lust aller Gewalt auf der einen, Erwerb aller Gewalt
auf der anderen Seite, der praktische Zweck' kann
V^achieden sein, (kaufen, tauschen n. s. w.), und hie-
48
r'
d79 CArütianssn^ die fPVssenseiafi
nach ist die lex, mancipii verschieden. Bei Uebcrtro*
gang der manas, der absoluten wirklichen Gewalt, die
sowohl die auctoritasy die geistige juristische .Gewalt,
als den usus^ die faktische Gewalt inyolvirt, ist eben
deshalb die Gegenwart der Sache noth wendig und
Stellvertretung auf einer von beiden Seiten unmöglich.
Dem mancipare und mandare synonym sind in der alte«
sten Sprache emere und venumdare^ nur haben diese
Verba eine allgeineiuere Bedeutung. Dafs emere und
Tcnumdare (vendere) diese von dem Verf. angegebene
allgemeine Bedeutung {erwerben oder empfangen und
/(9#- oder fffeg- gebeti) hatten, leidet gewifs keinen
Zweifel; aufser den ausdrücklichen Zeugnissen beiFe-
•tus und selbst bei.Gaius II, 103. für emere, läfst
sich diese ursprfingliche Bedeutung, was so oft in der
lateinischen Sprache der Fall ist) erkennen aus den
Compo^sitis adimo {tu sich nehmen), demo und abimo
(früher abemo), und es ist zu yerwundem, dafs in dem
vortrefflichen Wörterbuch Freunds der Infinitiv emere
OS accipere und emo » ich kanfe gesondert aufgeführt
sind. Hr. Chr. hat p. 150 sq. die Grnndbetieutung
von emere und vendere sehr gut entwickelt, und diese
Darstellung ist für mehrere Stellrai seines Werks sehr
firuchtbar gewesen, wie gfeich hier zur Erklärung von
Varro de R. R. II, 10., und sie giebt den Hauptschlüs-
^ sei zur Nuohweisung der Mifsdeutung der mancipatio
bei Gaius u. A. Neben der absoliiteu Uebertragung
der manus durch mancipium, bestand auch eine he*
schränkte Uebertragung, entweder der Zeit nach «
fiflucia^ oder die Beschränkung war materiell «= ser-
viiue. Die Form ist dieselbe wie bei dem mancipium. Im
Allgemeinen wurde die völlige Freiheit des Paterfami-
lies, die manus zu veräufsern, limitirt durch Nutzen
und SHtlichkeit. Die Sittlichkeit liefs nicht leicht das
venumdare der Kinder und Enkel zn^ nur in einem Falle
hinderte diefs die Sittlichkeit nicht, da der Zweck eine
sittliche Garantie gab, d. i. wenn die £!Ae das prak--
V tische Motiv des mancipium war. Die Sittlichkeit der
Ehe führte hier von selbst früh eine Modification der
manus herbei, die besonders darin bestand, ^afs die
Frau nicht nls reines Object in der Gewalt ist, son-
dern selbst bei Eingehung in die manus als handelnde
Person erscheipt (daher eonventio in marnm, co%in^
tio). Aus dieser natürlichen Selbstmodification der
tnanus für diesen Fäll erklärt es sich eben, warum für
die Gewalt des Ehemannes über die Ehefrau sich der
der rämiecAen RechUgeeehieiU. 388
Name manus später allein erhielt. Als der tdmisclie
Staat sich vollständig als Republik entwickelt hatte,
wurde .die Souverainetät der Priviy der Paterfauiilisi
beschränkt, die Identität und Individualität *der erneu
manus hört auf und wurde in verschiedene Reehtm-
stände unterschieden, die ihre Individualität und eigne
Namen haben, wie die patria potestas, das mancipium
im e. S«, das' dominium (diese substantivische Benen-
nung ist aber erst in der Kaiserzeit, früher diente znr
Bezeichnung das abstracto Eigenschaftswort simm^
Ebenso gingen aus der Oetoehre verschiedene Rechts-
institute, Ejgeothum,' Pfand, Rentenkauf, Lehnsgewebe
u. s. w. hervor. Für die Gewalt über die Efaefras
trat bei dieser Dirimirung der alten einen manus eine
soldie Modification aus dem augegelbenen Grande nicbt
ein, ' diese Anwendung der einen Familiengewalt ist am
wenigsten dem Wandel des Rechts ausgesetzt gewe*
sen, daher erhielt sich auch hier der Name. la etwas
anderer Weise' erhielt sich der Name auch noch ia
dem Verhältnifs des Herrn zum Sclaven, daher msaa*
missio ; auch von der Tochter sagt Liv. III, 45 : ea,
quae in patris numu est.
So reconstruirt der Vf. die Basis des römisohea
^ Privatrechts, und er nennt daher sehr bezeichnend die
manus ,,die reine punktuelle Substanz des Rechts,
die ursprünglichste, also urkräftigste Concretion der
Gewalt, jene«' — eherne Gebilde^ das die Welt der
Thät nach erobert hat." Ein berühmter Jurist (I'hi-
baut über die sogenannte historische und nichthistori*
sehe Rechtsschule S. 27 sq.) hat freilich kurzlieh in
diesen Worten eine Absurdität gefunden, und die wäre
datin, wenn Hr. Chr« sie gehraucht hätte, in deoi voa
Thibaut angegebenen Zusammenhange ^^bei der Ge-
ecAiohie der unschuldigen eonventio. in manum tmh'
riti.** Soll man es glauben I In diesem' ZusammeD-
hang wäre jedes Wort ein Unsinn, in Wirklichkeit is
jedes Wort ein Gedanke. Grade so „wie der Kräi
die ganze Nutur des Baumes, den Geschmack ^ die
Form der Früchte in sich trägt'', so ist nach Chr. die
tnaHuSy die Basis des römischen Rechts, der Keinij
aus dem der Baum entsprossen mit seiiien Zweigea^^
Blättern und Früchten, der die Welt beschattet hat
und der noch jetzt, obgleich verpflanzt iLiAfrmndm
deutschen Boden, diesem Boden den Nährungssaft ent-
zieht, durch den die einheimischea Pflanzen gedeihen
sollten. Wie der Keim virtualiter den Baum enthält^
aSl CAHttimueny ^ Wiumuehtfflt
»
0e das Recht der tnamis das ganze rf miscbe Redit^
die inaims ist die puhktudte SuisUgn» desselben.
Man darf diese Ansicht bekämpfen, aber man darf sie
iiidit yenttfimmeln.
Anfser der genannten' (mancipatio) lAhlt der Verf*
als sonstige Erwerbsarten der manus: auf: 1) Erzen«
giing ans seiner Sache; 2) Occupation; 3) usns. In
diesem Abschnitt ist aulTallend, wenn er bei Gelegen*
beit der Ocoupation das ioUere fV^^n^em erklärt: ^^Der
Ebemann hat anf das Kind , das ihm seine Ehefrau,
die er nicht in manu hat, geboren, an sich noch
Icein Recht, sondecn allein der Paterfamilias der Frau.
Nur- wenn dieser es dem Ehemann offerirt, kann er
an seinem Kinde Besitz ergreifen , tollere . infanti»m,
und erwirbt dadurch die manus über dasselbe. Erst
spät Terwandelt'e sich diese suhlatio in eine blofseCe-
remonie.^* f)in solches Kind ist ja doch keine res
nullius, sondern in manu des Paterfamilias, also etwa ^
des Vaters der Ehefrau, Vertragen werden kann
aber die manus nur durch manoipium. Und beifst denn
tollere Besitz ergreifen? Wie sollte anch, was nur in
einigen, gewifs wenigen, Fällen vorkam , allgemeine
Sitte werden? Eine andere von Doederlein neulich auf-
gestellte Erklärung (Zimmer^iann's Zeitschr. fQr Alterth.
1838 p. 316 sq.) scheint auch die gewöhnliche noch
nicht verdrängen zu können. -^ Unter der nicht ßehr
passenden Rubrik „Veränrserung der manus an das un-
terworfene Object selbst" bebandelt der Verf. die nuh
nümüiUf. Das hier über manumissio censu Gesagte
ist sehr zu bezweifeln. In dem Abschnitt fiber das
Erbrecht dieser Zeit ist anfser der Umständlichkeit in
der Erklärung^ der mi heredes mir besonders anstöfsig
gewesen, dafs in der Reihe der Erbberechtigten (p. 190)
der Yerf , der nur vom rein plebejitchen Privatrecbt
reden will, die O^ntilen anreibt. Sehr zu beachten
ist dagegen, was der Verf. über die ursprüngliche Be^
d«tttung der später sogenannten 'usucapio pr9 herede
und gegen die Meinung vorbringt, dafs der Begriff der
Untversalmceesnon dieser ältesten Zeit angehöre.
Unter der Aufschrift „Schutz' und Wache über freie
Mensdieti** i^ird die VarmundMehafi behandelt^ die in
ältester Zeit eustodela genannt sei. Allein an der
von dem Verf. angeführten Stelle Gaius II, 101. steht
in der alten- Formel schon tutela neben custodela und
es ist kein Grund tutela hier für eingeschoben zu er«
kläeeii. In Bezug auf die Basis der Darstellung der
der r9miieAen JUeeAt9ge$ehieAte. 382
ältesten Tutel, kann ich mich, auch nach dein was
Rndoi^ff zunächst in Bezng auf die Definition des f^er^
tius bemerkt hat, nicht einverstanden erklären, dafs
' der Schutz der in der Tutel befindlichen Personen
schon in ältester Zeit bei den Römern als das We»
sentlicbe von Seiten des tntor angesehen wurde, viel-
mehr ist für diese Zeit die Idee Aet Gewalt das Vorw
herrschende und die Vormundschaft war nur ein Sur^
rogat der väterlichen Gewalt. Das beweist freilich die
wohl dafür angeführte Stelle Fragm. Vatic. §• 304« gar
nicht, wohl aber dafs der nächste Agnat gesetzlicher
Vormund wurde, and Liv. XXXIV, 2, sagt auch, dafs ,
zuir Zeit der majores die Frauen gewesen wären 5,in
manu parentium, firatrum^ virorum. «^ Das über Entr
stehung des Centunwiralgeriehte (p. 207 sqq.) Ba»
merkte, enthält manche Unwabrscheinlichkeit, es schei- .
nen sich hier zwei der alten Schriftstelle« rächen zU
wollen für die Schläge, die Hr.^ Chr. ihnen zntbeiM;
Ohne Bedenken hat der Verf. hier zwei Stellen . zum.
Grunde gelegt, die an Unbedeuteudheit ihres Gleichen
suchen, eine des Dionys. HaK und eine des Festus im
Auszüge des Patilus Diaconus. Hr. Chr. nimmt den
plebejischen Ursprung dieses Gerichts unter Servius
Tullius an, wie Niebuhr. Dars das vage Raisonne-
ment des Dionys. dafür gar nichts beweist, hat Znmpt
dargetban. Von der Stelle des Festus glaube ich, dafs
sie nichts Wahres enthSlt als den Anlang und das
E])de: Centumviralia jiidicia a centnm viris sunt dicta —
Centumviralia judicia, quae centnm viri judicabaut;
und diese Erklärungen verstehen sich so ziemlich von
selbst, sind aber eben deshalb ganz strict aufzufassen.
Als der Name Centumviri entstand, waren ohne Zwei-
fel 100 leichter; wären es 105 gewesen, so hätten, wie
andre Formationen der Art beweisen, die Römer ge-
sagt Centumquinqueviri. Das wenigstens haben rich-
tig die eingesehen, welche annehmen, aus jeder der '30
tribus seien 3 Richter gewählt und die Decemviri li-
tibus judicandis seien die alten Vorsteher des Gerichts^
gewesen. Darnach ist audi Zumpt^s Hypothese über
den Ursprung des Gentumviralgerichts zu i^ftrdigen
und schon deshalb, wie es mir scheint, zu verwerfen.
Im Uebrigen ist Zumpt*s Abhandlung vortrefflich. Wir .
hätten sehr gewünscht, dafs Hr. Chr. etwas Genaueres
gegeben hätte statt des allgemeinen Satzes: „Es wür-
den in den einzelnen tribus Richter gewählt, Vahr-
schoinlich die später Centumviri genannten^'' udnöthig
\ -
I -
y . I
1
383 CArütümsen^ die WÜMetuehmß
jrt aber der Zweifel in den Worten : „Eb schwankt^
ob die Centumvirn einteln, pder «oollegialisch fungir-
len.*' Altes was ans von der Tbätigkeit der Centum-
viri überliefert; ist, zeigt ein collegialisches Richten
4lerselben und es ist wol der natürliche Gang, der
ebenfalls bei andern Völkern siebtbar ist, dafs den
Einzelriobtern RichtercoUegien Torbergehen. . Es ist
.daher auch der Satz bei Cbr«: ,,Die Plebejer mögen
zaerst die Jurisdiction des Königs und das Richten
einxehier Judices in Gang gebracht haben" sehr zu
bezweifeln« Die Erklärung der ha%ta beim Centumvi«
ralgericbt und anderen öffentlichen Angelegenheiten
als Staatswappen und als Zeichen, dafs etwas im Na-
men 'des populus Romanas vorgehe, wird hoffentlich
den Spielereien ein Ende machen, die faiemit getrie-
ben, sind. Zumpt hat im Wesentlichen dieselbe Er*
klärung. Qei der Darstellung des gerichtlichen Ver-
fahrens macht der Verf. besonders geltend"! im alten
Rom ist das ins strictum, die hinzutretenden äufserli-
chen Formen sind nur nothwendige, daher werden sie
durch den Gebrauch fixirt , symbolische Handlungen
kennt das alte Recht Roms, folglich auch den Prozefs
nicht. In den. äufserlichen Formen und Handlungen^
die zu den Worten, der lex, hinzutreten, nimmt der
Verf. früh eine Dniformität an (z. B. die librae acre
percussio), uicht so fiir die Worte, Formeln verwirft
er für die frühere Zeit Allein ohne das Formelwe-
sen der spätem Zeit, in def die Formeln leer waren,
.in die frühere Zeit hineinzutragen, möchte ich nament-
lich die fferichtlichen Formeln nicht blofs deui reflecti-
renden Verstände Einzelner in späterer Zeit zuschrei-
ben. Die alten Römer liebten am welligsten über-
flüssige Worte bei ihrem Handeln und daher Ihöchten
denn wohl schon bei ihnen für Geschäfte, die täglich
wiederkehrten und die wegen der einfachen Lebens-
verhältnisse einfach waren, certa verba als Substrat
der rechtlichen Handlung sich leicht gebildet haben.
Da rechtlich uur galt, was gesagt war (strictum jus)^
80 wurde manche Weitläufigkeit, die durch 9,ft*eie9
Hin- .und Herreden*' entstehen mufste, vermieden, wenn
fiir bestimmte täglich wiederkehrende praktische Zwecke
ein bestimmter Ausdruck concipirt wurde. Was uns
4
die römischen Schriftsteller von dem ältesten Prozefs-
,1
der rSmüeAen ReehiegeecAieAte* 384
^ • ■ *'
verfahren mitthcfilen, yerräth allerdings manchen Ans»
cbrpnismus, aber' ihre Mittheilufigen zeigen uns eine
Regelmärsigkeit und Uebereilkstimmnng auch in des
Prozefsworten trotz der einzelnen Aenderungen in des
für sie antiquirten und daher mifsTcrstandenen, ms-
demisirten Ausdrücken. Der grofse Vorzog^ diesef
Rechtsgeschichte vor anderetn, der ununterbrochene
innere Zusammenhang, die Consequenz der Dorck
und Ausführung der Hauptsätze zeigt sich namentlich
in der Darstellung des Prozesses. Wenn man am
anderen Werken, die diesen Gegenstand ausführlich
behandeln (Zimmern), nur grade die Hauptsache nicht
erlangt, nämlich eine klare Vorstellung eines römi-
sehen Prozesses, sondern nur Einzelheiten und Mög-
iiobkeiten, von denen dici eine die andere aufhebt, 8#
erhalten wir hier ein deutliches Bild, in welchem zwar
die Farben au einigen Stellen stark aufgetri^en sind»
aber vor offenbaren Zeichenfeblern weifs der Vi^
sich wohl zu büteu. Das Bild hier zu oopiren, würde
nutzlos sein^ einige Züge desselben zu betrachten, kans
Job mir nicht versagen. Wie die Quälen über dieses
Gegenstand beschaffen sind, ist bekannt, Gajus bat
die früher gefühlte Lücke nicht ausgefüllt » obgleich
er uns viele Ueberbleibsel und Formeln des alten Pro-
zesses mittheilt, seine eigenen Zuthaten sind von geris^
gern Werth. Was nach Gajus über legte aettona
vorf^etragen zu werden pflegt, würde einen alten R5*
mer in 'nicht geringes Erstaunen setzen und sein Satt:
Ijege autem agebatur modü guingue etc., würde von
keinem alten Römer verstanden sein. Einleitung ei»
nes Prozesses ist nicht der Prozefs selbst. Sehen irir^
wie Hr. Chr. sich das älteste gerichtliche Verfabres
denkt. Es gab im ältesten Rom nur 2 RecKte, ms-
Dus und nexum (später obligatio), daher auch nur 3
legis actiones, -2 wesentlich verschiedene Verfahruogs*
arten, actio in rem und actio in personaau Di9
actio in rem kann sein manus consertae und viddi-
cium in libertatem, die actio in personam einfach oder
qualificirt. Manus consertae nimmt der Verf. als Be-
zeichnung des Rechtsstreites um eine manusfähi^e Sa-
.che. Jede der Partheien behaupten die manus (manma
iM/serere), beide rei thun dasselbe (manum roiiserere).
(Der Beschlufs folgt.)
\M 49.
J a h r b ii c h
e r
für
wissenschaftliche K ri t i k.
September 1839.
JfigfFits9Hachaft der römüchen Rechttgeschichie
im Grundrüt'e. Von D, J. Chrisßtansetf.
(Schlafe.)
Die Äodeutang eines sjoibolischeD Streits in ma-
iHis eonsM^re bat der unbehelfene Etymolog Gellius
gefandea oder vieUeicbt aus einem frfiheren Grammi^
tiker entnommen ^ Gajns erwähnt da?on nichts. Uu-
praktisohes nnd Symbolisches hatten die pralitischen
lUloier nicht in ihrem Prozefs. Das Berühren der
Saiobe mit der festuca hatte seinen pralEtischen Zweclc
und var nothwendig wie die Gegenwart der Sache.
Im Prozefs Migt sich die Zweckmäfsiglceit der £in-
Uieilmig von r^s manoipi und nee mancipi am besten^
die Sachen, dereu Gegenwart im Prozers nnmoglich
nnd schwierig zn bewerkstelligen war, sind eben die
rea nee maacipi. So unser Autor. Jene Ansicht von
jQldonDi Scheinkampf in den römischen Prozessen, die
ao beliebt geworden, bat ihren Höhepunkt erreicht bei
Cr* AsTcrus über die legis actio sacramenti (Leipzig,
UB37. S.}? Tielleicht hat für die in dieser Schrift ent-
wickelte Auslebt auch die Wahrbafligkeit,. das Prin-~
zip des germanischen Rechts, vorgeschwebt. Auf der
entgegengesetzten Seite geht Hr. Chr. viel zu weit,
vrenn er das manus conserere cum hoste hineinzwängt
ior die Erklärung' des prozessualischen terminus, er
wird Niemanden durch seine künstliche Deduetion über«
reden, dafs nicht manus conserere cum hoste immer
abd allein handgemein werden bedeutet' habe und
eben so wenig kann man es gelten lassen, wenn er
bei manus. injectio nur an die juristische Gewalt den-
ken will. ^ Für seine Ansicht Hätte der Verf. beryör-
lieben können, dafs maaum conserere und nicht mo-
uue conserere in den ältesteu Zeugnissen (12 Tafeln,
Ennins) and in den meisten späteren stehend ist.
Die Ansicht Niebuhr's über nexi und addicti hat
Hr. Chr. mit Recht verworfen. Eigentbümlich i^t ui^-
JaArft./. inmntcA. i&tVt4:../. 1839. II. Bd.
ter Anderem in seiner Darstellung des altrömischen
Scbuldrcchts die Erklärung der bekannten Worte de^
12 Tafeln qmndecim pondo ne minore „das Fdsseln
der Person sei nur erlaubt gewesen bei einer Schuld
über 15 As." Diese ansprechende Erklärung hebt eine
Wunderlichkeit des Zwölftafelrechts auf, aber sie pafst .
gar nicht in den Zusammenhang der Zwölftafelworte,
wie sie, uns von * GelUus mitgetheilt werden - und der
Zusatz: at ei volet mti^are verliert allen Sinn,- wie
sich Jeder überzeugen kann^ der die ganze Stelle
übersieht,
Referent ist nicht in denn Glauben durch die vor-
liegenden . Bemerkungfeil ein Werk charakterisirt an
haben^ das nur als Ganzes richtig aufgefaßt werden
kann, nichtsdestoweniger ist er der Meinung . seine
Pflicht erfüllt * und den Anforderungen , die gerechter
Weise an jeden öffentlichen Beurtheiler gemacht wer-
den, entsprochen zu haben. . Seine Erklärung, dafs
das, was im Einzelnen in dieser römischen Recbtsge-
scbicbte verfehlt, erscheint, der Vortrefflichkeit dea
Ganzen keinen Abbruch thut, rechtfertigt schon die.
Beicbbaltigkeit des Werkes, Baco's wahrer Satz : „Ci-
tius emergit veritas ex errore, quam ex coniusione''
mag auch* dazu, dienen. Für die ^römische Redhtsge-
schicbte ist Vieles im Einzelnen zu thua und zu bes-
sern, das kann nicht durch einen Einzelnen and nuir
allmählig geschehen, was aber jetzt mehr Noth thut,
ist, sie zur Wissensjcbaft zu erheben^ und ^da kann ein
Einzelner weit mehr thun. Dafs dieses die Hauptab-
sicht des Verfassers vorliegenden Werkes gewesen,
ist keinem Zweifel unterwerfen ; hätte er weit weni-
ger, als geschehen ist, seine Absicht erreicht, so wäre
doch unbedingt die Abgeht zu loben, allein dieses be-
schränkte Lob gebührt ihm nicht, denn die wissen-
schaftliche Methode, die der Verfasser für jlie römi-
gebe Rechtsgeschichte angewendet, ist eben so se|ir
zu rühmen, als die historischen Resultate zu beach-
49
387 Buttm/rnny au$ßihrlieke
ton, an denen» dieses Werk so reich ist Nicht vcbk
ger als auf die Fortsetzung dieser Rechtsgeschichte
sind vi\t gespannt auf da« Erscheinen der in der Vor-
rede Terheifsenen Rechtsphilosophie, durch die Vie-
les in dem vorliegenden Werke Gesagte näher begrün*
det und 'erörtert werden uiüfs.
Odenbrnggeni
XXIL
^ Ausführliche griechische Sprachlehre von Philipp
Buttmann, ükceiter Band. Ziceitp Außage^
\ mit Zusätzen ton, C. A, Lob eck. Erste Ab^
theilung. BerUny i&39. 332 S. 8.
Mit Erwartung und Vertrauen werden die FrAunde
der griechischen Sprachwissenschaft unlängst die Nach-
richt aufgenomoien haben, dafs der letzte Tbeil von
Buitmann's ausiilbrlicher Grammatik, von welchem
eine zweite Auflage nöthig geworden, anter Obhut von
HrHi Geh. R* Ltobeck gestellt sei ; er selbst gab in
akademischen Schriften der Königsberger Universität
bereits Anzeige davon mit Proben der künftigen Be-
arbeitung. Wenn schon jedes Kapitel dieses Faches
von seiner kundigen Hand Verbesserungen . und Zu-
wachs erfahren hatte und noch empfangen mochte: so.
' schienen doch ' die wesentlichsten Abschnitte gerade
jenes letzten Theiles, das Verbalverzeichnifs nnd vol-
lends die Lehre von der Wortbildung, auf die der Vf.
der Paralipomena Qrammatieae Graeeae vor ande-
ren Anspruch machen, darf, an keinen angemesseneren
Btorbeiter gelangen zu können. Jetzt wird jeder leicht
beurtheilen, ^^fs in einem^ gewissen Sinne den ange-
regten Hoffnungen wirklich entsprochen seC Referent
denkt hier, wenn er von einer bedingten Leistung re-
det, weniger an Hm. Lobeck's eigenes Geständnifs.
„^as ich hin und wieder (äufsert er in seinem kur-
zen Vorwort) im Verbalverzeichnifs zugesetzt habe,
bitto ich als eme ganz anspruchslose Zugabe hinzu-
nehmen; ich "habe dazu nicht einmal die eignen nach
ganz andern Rücksichten geordneten Vorrftthe benut-
zen können, noch weniger Fremdes." Nicht diesen
Ausspruch meinen wir, welcher das wirklich Geleistete
fiber Gel»fihr verkleinert, sondern "das Verblitnifs, in
welchem . der spätere Forscher zu seinem Vorgänger
stellt und wider Willen stehen mufs. . Unser Publikum
zwar pflegt unbekümmert um die Schmnke jeder kräf-
grieehisehe^ Sprachlehre. ' S66
tigen Individualität, welche zur Scheidewand gegos
alles Fremde wird, das Höchste zu fordern, und seint
Erwartungen steigen ins Mafslose, • wenn es zumal mit
einem berühmten Namen zu thun hat. Aber das Feld ,
der Wissenschaft, welches in weite Bahnen ausiäiA
und den Wetteifer der verschiedensten Kräfte, sei ei
in Eintracht oder in scharfen Gegensätzen, verträgt,
kennt nicht einerlei Mafs und Absicht mit dem kunst«
' voll begrenzten Garten, den eine pflegende Hand i»
engeres Geleise zog und bestimmten Ordnungen osh«^
warfj dessen Gruppen Schonung und Nachhilfe gebie-
ten, wenn anders der Nachfolger das überkommese
Weric erhalten und fortfuhren will. Im- letzteren Falle
finden sich die beiden ausgezeichneten Männer, wel-
che hier gesellschaftlich im abgesteckten Gehege sih
sammentreff^en« Buttmann erblickte sein Mafs md
seine Aufgaben sofort in der Stellung, die er zar da^
mals überlieferten Grammatik einnahm, „indem er anf
einem verwilderten Boden mit den Schwierigkeiten d(är
ersten Anlage zu kämpfen hatte.*' Er mufste danut
beginnen, dafs er aus einem Gewfrr von Einzdbeitea ^
und aus den entstellten oder verfälschten Lehren ei-
nen zuverläfsigen Thatbestand hervorzog, sodann dafs
er diesen positiven Grund über das früher kümmerli-
che Gebiet hinaus erweiterte und bis zum Inbegrif
eines die antike Gräcität umfassenden Sprachj;ebäude8
ausbildete; nachdem er aber das so begrenzte Feld
seiner inneren Tbätigkeit errungen hatte,' wirkte er m
Greisen, was die Ajesandrinischen Verfechter der Ana-
logie in den ersten empirischen Umrissen gewollt nuA
mittelst der Regel fixirt hatten. Wer sollte sich hier
nicht Tergegeu wärt igen, wie unser Techniker (nsi ei-
nen alterthümlichen Ausdruck anzuwenden) in vieles
glänzenden Kapiteln seiner ausführlichen Grammatik
das sprachliche Gesetz aufweist und unter die bändji^
ste Formel bcfafst, das Allgemeine bis in die letzten
Ausflüsse der Besonderheiten zerfallt, ohne dafs ihm
die Norm in Ausnahmen und im Zufälligen verloren
ginge; wie er den Gebrauch. in seiner historischen Ab*
stufung zu ordnen weifs und trotz aller Mannich&kig-
keit in klarer Anschauung zusammenhält} und wem
schweben nicht die ebenso scharfsinnigen als lichtvol-
len Erörterungen vor, in denen er schmiegsam und mit
liebevoller Sorgfalt * das Anomale, die wildlaufenden
Erscheinungen, und was sonst, weil es den Anschein
des Irrationalen trägt, , vto den Theoretikern* verpöflt
viffd^ in ihr Seoiit eioftelxt oder an du) fterrisseneo
Fäden des Anftlegsn knüpft t Aufserdeai ' dbercasoht
^ajenigen, li^dcber^ die AUhseiigkeit solcher Verhand-
langen und die Dfirre der früheren Lehrbücher kennt,
tfe Heiterkeit and Phantasie, des Vortrags, der jedes
fiemltat wie in geselligeoi EinTersländnifs nomittelbar
Mtstehea läfst. Hier kam ihm'Torzüglich das tn stat«
len^-was bisweilen ab Mangel angemerkt worden, dafs
er nicht ans dem Vollen schöpfte. Man kann ihm
cwar mit Recht nachsagen (Vorr. S. IV) „er vereinte«
cnerst die xerstrentea Beobachtungen der Erklärer iuit
denn. Ertrage seiner eignen Tieljährigen Untersochutt-
gea zu einemf wissenschaftlichen Ganasen;'' auch ist er
mebt müde geworden mit den Zeitgenossen fortzii-
Bohreiten und ihre Leistungen zu verwenden: aber die-'
•es Ganze blieb, seitdem er die Fäden des Gewebes
eingeschlagen hatte, unverrückt der Ausdruck und die
Som^ie seiner grammatischen Einsicht, deren Harmo-
lue er durch kein gehäuftes Detail, kerne 'Denkwürdige
keiten ans der späteren Gräcität oder irgend ein an-
deres Element der blofsen Gelahrtheit, das der ur-
sprünglichen Anlage fremd gewesen, sich stSren liefs«
Dm so siclierer Verstand er diesen in gröfster Reinhett
ausgebauten Haushalt zu beherrschen, ~ und um so dich-
ter schlössen ihm die Fugen des durch verwandten
Geist belebten Materials; vielleicht hat noch kein Mei-
ster eines sprachlichen Gebäudes gegen den Eindring-
ling, der ihm nicht ebenbürtig wäre, sich geschickter
and eleganter abgesperrt. Unser Herausgeber zeichnet
die Schwierigkeit, jeuiSr Geschlossenheit beizukommen,
in' treffenden Worten: „Nicht überall konnte was nö-
thig schien ohne Störung des Zusammenhanges einge-
schaltet werden, sondern nur in den Zwüchenräfi--
men de9 vielfaeh gegliederten Texteey der gemischt
aus Theorie und Empirie, aus historischen Ergebnis^
sea und kunstreichen Kombinationen, die verschiedenen
Phasen des grammatischen Studiums darstellt*' u. s« w.
Man wird hiernach fragen, ob unter solchen Um-
ständen'das Werk • Buttmanu's überhaupt fähig sei,
unmittelbare 'Fortsetzer und Kommentatoren anznneb-
nien« Er selber beweiiit ein klares (Sefühl seiner Stel-
lung zum Objekt, wenn er dem nach Kräften ausge-
ßlfarten System bereits ein Ziel setzt, und, indem er
jede lästige Zumuthuog abwehrt, zumal die zunffmä-
fsige derer, welche Noten zum Text und Supplemente
oder eine fortlaufende Chronik begehren, solcherlei von
grieehUehe ApraehUkre. 3M
den zakünftigen Theoretikern and ihren Auslegern er-
warten heifst „Wenn einst wieder jemand (so lautet
sein, deutlicher, und* doch von Hrn. L.^ mifsverstände-
aer Protest) ^u einer Grammatik Anmerkungen schreibt,
wie die von Fischer zu Weller sein sollten, das ist
der Platz zn diesen Nach^eisungen.'' Sein Werk ist
vollbracht und das von ihm angestrebte Ziel erreicht;
der Geist seiner Methodik wird als Pulsachlag 'jede
weitere gesunde Wirksamkeit auf diesem Felde trei-
ben: aber diejenigen, welche sich in dem nunmehr ge-
sicherten Besitzstände bewegen, und die Aufgaben un-
serer, Zeit, wie einst Buttmann die der scioigen, nicht
verkennen, müssen auf ein Fortschreiten mittelst nnb^-,
dingter F-orschung Bedacht sein» Wir mögen hier
nicht erörtern, wie vieles B. rückständig gelassen habe:
wie schon ohne sein Zuthnn die frisch entstandene
Sprachvergleichung eine Medge von Gesrohtspiüikten
und Tbatsachen geliefert, um den Stoff zu erweitern
und schärfere Merkmale für Analysen zu gewinnen,
wie ferner die philosophische Betrachtung gar manches
zur innerlichen; Ordnung führen und lichter begründen
solle, und wie wenig mit einer gemessenen Auswahl
des nothweudigen oder charakteristischen Materials
sich das ausgedehntere Studium der Autoren und der
Gräcität als eines geschichtlichen Organismus vertrage.
Statt dessen genügt ein Blick, auf die nächsten und
jüngsten Erscheinuogen im Fache selbst, namentlich
auf die reichhaltigen Beiträge von Hrn. Lobeck^ der
indem er frei von engeren Zwecken die JBreiten und
Tiefen des griechischen Sprachschatzes zu ermessen
strebt, eine Reihe kritischer Resultate gefördert hat,
welche den wissenschaftlichen nicht minder als den
historischen Gehalt des Objekts über die gewohnten^
Grenzen hinaus steigern. Wenn also Buttmann^s mitt--
lere Grammatik, als Summarium fiir den Schulgebraucb,
Und in noch höherem Grade der Auszug derselben, der
VerpflichtuDg sich fügen mufs an ihrem inneren Bau
zu bessern und nachhelfen zu lassen, soweit sachliche
Kenntnifs und praktisches Bedürfuifs dies gebieten: so<
wird die ausführliche Grammatik^ wiewohl f ie in eini-
gen Theilen nicht vollendet worden, die Berechtigung
haben unangetastet und geschlossen zu bleiben; so dafs
sie einerseits .der Vergangenheit angehört, wofür sie
gcwissermafsen als Aktenstück und Urkunde gilt, an«
derseits als Wegweiser und eins der wesentlichsten
Hülfsmittel mit den Studien der Gegenwart sich ver-
391 ' Butimann^ auMfihrliehe
«ohiniht Was noch- Yonr kleineren. Fefalein oder Irr-
tfaulnern unterläuft, das kaoA mit Schonung und ohne
Geräusch auf der SteUe seiäo Berichtigung fipden;
während alle Versuche die dortigen Lehren fortzulei-
.ten, mit neuen Massen su verbinden oder auch zu be-
kämpfen, da sie nun einmal einen anderen Standpunkt
einnehmen, in die Fertie zurücktreten sollten, sef es in
Gestalt abgesonderter Auctaria öder als Nachwuchs
ibrtnlicher Paralipomeha^ die am besten zwischen dem
alten Meister und der Zükiinft einen vermittelnden
Ueborgang bilden« Die neuere Philologie besitzt eine
zu geritige Zaht von Grundbüchern, um nicht jedes
derselben aufs gei^issenhafteste sicher zu stellen«
Diese Betrachtungen sind Refer. niemals' lebendi-
ger und klärer geworden, als in der Erwägung dessen,
iiras unser Herausgeber auf Anlafs seines Vorgängers
geleistet haf. Obgleich es. nur in gelegentlichen Zu«
gaben besteht, die den Rang eines Epimetrum von un-
gleicher Länge oder einer umständlichen Epikrisis ein-
nehmen, so bieten doch die -70 Seiten, um welche die
vorliegende Abtheilung gewachsen idt, eine Fülle von
Studien und Tbatsachen dar, woraus der ernste För«
scher sowohl , Belehrung /als Anstofs zu wiederholter
Prüfung ziehen darf. Um so mehr wird man beda^uern,
dafs ein so tüchtig gerüsteter .Kenner seine Stärke nur
in einzelnen Proben zeigt und sich in freiwilliger Un-
terordnung gefüllt, während er doch allein da nützen
I^ann, wo er sich eigene Bahnen eröffnet und sein Wis-
sen in unverkümnlertem Zusammenhango durch breite
Thäler und 5des Dickicht hin entwickelt. Unseres Er-
achtens wäre fiir den Verf,, statt dieser Nachläufer^
die dem Buttmannischen Text in förmlich abgemarkten
Zusä(zen mehr oder minder eingeschränkt nachziehen,
Sjfraehlehre.
Bik, die Methode, die Anwendung der Hfilfitmittel oder
Zeugnisse, sogar, der Vortrag stimmen nieht fiberein.
Beim Verf. der Zusätze überwiegt, wie^ jeder weifs,
die Rücksicht auf absolute Vollständigkeit and Efu
sichöpfiiog, wenn seine Forschung auoh picht* der genüg*
sameren Praxis dienen kann und nicht durohweg in ein
klares Resultat ausläuft ; ihm gelten noch die späten,
selbst veraditeten Autoritäten (z. B. des jüngeren Epos,
dessen Licenzen hier vollständiger als sonst nachg»'
wiesen werden) und die flüchtigen zerrissenen EinaHit
beiten ; er pflegt die gewonnenen Tliatsaehen vor das
Verhör einer wachsamen Kritik zu ziehen, ohne den
Ueberblick einer systematischen Darstellung tu beab-
sichtigen ; er räumt femer den Lehren der alten Theo-
retiker keineii geringen Spielraum ein und sieht ii| tli-
nen das Regulativ für unser Verfahren : kurz, um nicht
auch bei der ungewohnten Terminologie zu verweilen»
seine Reichthümer, sein objektiver Sinn für Beobach*
tungen drängen ihn über das Mafs eines Wissenschaft'
liehen Summarium hinaus, und lassen ihn mit demje»
nigen, was die Gegenwart bedarf und erstrebt, nur be-
dingt oder in einigen Punkten zusammentreflen. - Wie-
vieles also fehlt ihm zur Harmonie mit Buttmann I Die-
ser hielt beharrlich am Grundsatze, da(s das Auge fest
und ungetrübt über dem AUgeuieinen der Erscheinnngen
schweben und allen Zuwachs an Erkenntnifs darein auf-
lösen müsse; das Spezielle, das Anomale habe seinen
VTerth und Rang, sofem.es am Analogen verständlich
werde und über die normalen Gesetze wiederum ein
Licht verbreite; von den Theoremen der Grammatiker,
soweit sie damals bekannt waren (und auch die später
herausgegebenen würden schwerlich greises übir ihn
vermocht haben), zog er einen beiläuligen Nutzen, sie
das einzig Angemessene gewesen, wenn er die Resul- ' sollten die wo möglich älteste Tradition bestätigen
täte seiner Lesung und Kritik, soweit sie nieht an ver-^
einzelte Punkte lehnten,- in ungebrochener Folge und
nach selbständigen Mafsen am Ende des Buches zu-
sammenfafste. Jetzt wo man in unmittelbarem Wech-
sei die beiderseitigen, zwar anstofsenden aber nicht
vereinbaren Gebiete durchwandern mufs, scheint uns
ein Mi&toa zu verletzen: denn ni<^ht blofs sind die Ab-
sichten und Standpunkte verschieden, auch die Tech-
und zur kritischen Auffassung derselben verhelfen, nicht
eine gebietende Stimme noch eipen- Wegweiser abge-
ben, vielmehr besann er sich nieht die eeiehte Art des
Aristarch oder die Willkür des Herodian zu rügen; voi-
tends legte er geringes Gewicht auf die jüngere Grfir
oität, und er nahm sie hiofs in knapper Auswahl an,
nicht um ihrer selbst willen und als selbsländige Grafse.
(Die Fortsetzung folgt)
: Ji 80.
Jahrbficher
für.
wissenschaftliche
K r i t i k.
September 1839.
Jkmtfiäkrliehe grieehufihe SproeAlehre ton PAi-
üfp Bt$ttmanj9.
(FortietzQDg.)
Dab mia beide Forscher in Prinzipiell nod m Den-
tBBg des Besonderen öfters schrofl^ aas einander ge-
lieo, wird hiernach ebenso sehr einlenchten, als dafa
durch das neu hinzugelKommene Material und die daraus
entspringenden Ansichten^ zumal da .dem urtheilsfähi-
^n Leser häufige überlassen wird^ die Extreme ans-
angleichen, eine Kluft und Bedenklichkeit zurückbleibt»
veldie dem Geiste von Buttmann's Arbeit widerstrebt«
» Bier ist denn eine Ton den Ausnahmen wirklich anza«
erkennen, die das alte Wort, womit die verschieden-
ften Kämpfer auf der Rennbahn der Wissenschaft ge-
schirmt sind, ovdhg d' dfnpQti^ov^ &% iMttcu, selten
erleidet; und eine Trennung^ die nach allen Seiten hin
erspriefslich wäre, in solchem Falle fast geboten. Die
Natur dieses Zwiespaltes wollen wir an einigen weni«
gen Beispielen darzulegen suchen«
Die Abtheilung, mit ißt wir zu thun haben, be*
greift in ihrer äufseren Einrichtung zuerst die Lehre
jvon der unregeltnäfsigeth Konjugation^ dann un^ vor-
herrschend das Verbatver»eiehnif$. Unregelmäfsig hiefs
Buttmann zersplitterte, aus Reihe und Glieds getretene
nnd deshalb firpher entweder yemachlärsigte oder mit
. rohem Mechanismus abgefertigte Bildungen des Ver-
bum, die er zuerst unter innere Gesichtspunkte zu f aa-
sen suchte, namentlich unter die Formeln der Synkope
und der seltneren Metathesis, der aus einZelen Tem«
pora neu entstandenen Themen, .der. Wandelung de«
Stammes, der Anomalie der Bedeutung. Läfst man
noch die wenig bestimmten, eigentlich prekären- Be-
griffe Ton Regel und Unregelmäfsigkcit bei Seite, so
sind doch die gewählten Schematismen weder gleich«
artig noch für diesen Platz der Fonnenlehre durchaus
geeignet. Denn z. B« die Belege für Wandelung des
Jahrh. f. winen^ph. Kritik. J. 1830. II. Bd.
Stammes, ^/nro», q>i^, oev|tf neben ^mtim^ t^o^im^ au-
Icryw, sind ganz regelrecht und geben Uebergänge sa
bedeutsamen Endungen, die den schicklichsten Platz
in der Wortbildung finden, sowie reduplizii;te Forinen,
ein T^jnniaim oder Mvfifu aus den Themen yrow und
ovde9, in die Geschichte des Verbuni, in den Abschnitt
von den sogenannten doppelten Themen gehören s nur
die wenig zahlreichen Fälle, wo Formationen aus sehr
Tersohiedenen Stämmen (wie q^igcai) ein gemischtes Yei^
bum gestalte% passen zur Einleitung in die Anomala.
Aehnlich würden wir von den Anomalieen der Beden«
tung urtheilen : der Grammatiker kann zwar iatipf und
idw neben den transitiTOn' üntioa und i9vaa, oder ein
Futnrum Ai/v^ofia» nicht erklären, ohne die WechselwiN
kong zwischen transitiver und kausativer Bedeutung
und den formalen Einflufs des Futurum MediL im alt-
gemeinen erläutert zu haben, aber diese Momente, die
sich auf yerscbiedene Klassen des Verbum erstrecken^,
werden schon deshalb in einer allgemeinen Theorie
desselben, namentlich in der von seinen Begriffen und
Genera erwartet; der passive Sinn hingegen, den Fu-
turum und Aoristus Medii zulassen (s. §. 113, 6«), ist
in das Gebiet der Syntax zu verweisen. Vollends ent*
hält da3 Kapitel von c^nkopirten und metatbetiscbeo
Formen, dessen Mängel und Fiktionen trotzL alles Ver-
dienstlichen durchschimmern, nur ein Material ftir die
Inkunabeln und Antiquitäten der griechischen Konju-
gation; woraus erst dann ein wahrhafter Nutzen ent-
springen wird, wenn man sich einer organischen Dar-
stellung des Verbum mittelst der Doppel - Flexion Q
und MIy gleichsam als bin und her geworfener Ein-
schlugfäden des kiinstlicben Gewebes, unterzieht. In-
defs ist es Buttmann's sicherem Blicke nicht' entgan-
gen, dafs ihm hier nichts vorläge „als Reste aus der
früheren Spracbperiode, wo die nachherigen Analogieen«
sich noch nicht ausgebildet hätten** (§. 110. A, 14«)|
und auch so wollen wir es schätzen,, dafs er einen ord-
50
• •
395 Buiimanny ausßükrlifie
nenden Gedanken in diese merkwürdigen ^ als ^topte
verschleuderten' Thalsachen gelegt hat. Im Printfp
nun der Oekonomie scheint Hr. L. mit seinem Vor-
^ ganger besser -einverstanden zu sein ab in des Banr-
^theiliing nnd Schätzung der Fragepunkte ; wiewohl ijkm
auch in Beziehung auf jenes (nach dem Schlufs der
Torrede) ein einfacherer Weg gefallen hätte, so dafs
ein schlichtes Register blieb, die Anomalieen aber^ die
einen allgemeinen Charakter tragen^ bereits in der
Lehre von den Aflfektionen erörtert und von den be-
sonderen Füllen, dem Objekt eines eigenen Abschnitts,
{[geschieden wurden» Einen Bel^ davon ertheilt er so*
gleich an der Sjfniope (S.4fg.)} die er hier in einem
weiteren Sinne {nUe^qov^ iii^xHqal &^CQn^ iotyfitp) auf*
«teilt, dojt entfernen will, wie nimm nicht aus Redu-
plikation sondern Wiedetholung des Anfangsbuchsta-
bens hervorgehen solle* In diesen Entscheidungen han-
-delt es sich nicht um ein inneres Gesetz, das noch von
keinem ergründet ist; alles l&nfl anf ein Mehr oder
Weniger^ auf ein empirisches Sichten- und eine kriti-
cche Trennungsfinie zwischen dem Wesen und dem
Schein hinaus: wobei doch selbst der Verf. mit dem
-skeptischen Für und Wider nicht immer fiufs Reine
kommt, wie in der Erwägung über bqvtp^ S^vo^ai S.
7 ff., ferner Jn der Annahme eynkopirter Imperfekte
nnd Plusqoamperfekte 16 ff., ^^ttto twtvo (wonach s'juxro,
fnfjuxo)y von ursprüaglichen Präsensformen äg/fAUi tv^fiai,
oder i.vTOf iXiinro dix^ai als Plusq. mit fehlender Redu^
plikation. Da die Beweisführung stets, den Werth und
die Stellung des Positiven Schritt vor Schritt zu b&-
währen- sacht,, so fallen freilich manche Einzelheiten
fort oder verlangen eine andere Auflösung (wie neno*
tr^c 8. 25), nnd ebenso wenig mangelt es an Ergebnis*
sei» einer vollständigen Induktion (z. B. dafs von den
synkopirten, oder wie es S. 12 genauer heifst den de-
fektiven Aoristen der starken Konjugation ^Wra der
einzige mit kurzem Stammvokal ist): aber auf der an«
deren Seite kann man so schnell des Bedenkens sich
-nicht entschlagen, ob uns die alten Theoretiker, so-
weit sie dieses sind und blofs die Gewalt über Endun«
gen, Accente u. dergL voraus haben, mit ihren Ürthei«
len bestimmen sollen (wenn etwa der Scholiast des
Arat 6^{}%otvf als d^foQvxotiv deutet, Aristarch um dem
Homer keinen unnotkigen Aeolünrns aufzubürden x^-^*
ißXffyomq in .««xXiy/cSre^ ändert , Herodian ein Präsens
xexXofcai setzt, demgemafs auch amdirnnat und äkäkri^tit
grUphi$cke SpracJUeAre.
8. 43 als reduplizMe PrSsentien gelten), ob anch die
. späten Dichter, sollten sie sogar mehr einer .Bchnltra-
. dition als ihrer Laune in so vielen eigenmächtigen
Formen gefolgt sein, ein gewichtiges tLorrektiv abgo-
beQ. ^ber auch wenn wir die Bltthodon der drampit-
tiker und die bunten Autoritäten der Epiker iur voll
nehmen, so bleibt gleichwohl eine so verwirrende Menge
von Schwankungen nnd Widersprüchen, wie die ge-
treuen Berichte des Verfs, sie augenscheinlich z^cn
und das Haften an vereinselten Anatysen solches Uh
vermeidlich machte, dafs man selten ^ reines^ über-
zeugendes Resultat gewinnt. Der Streit bewegt sieh
mithin von neuem in der Frage, ob das Divide stär-
ker sein müsse als das Compelte intrare.
Auf einen ähnlichen Zwiespalt gehen die letzten
Zusätze in demselben §. 110. nämlich bei Anm. 14.
und 16. zurück* Bort chatte Buttmann drei abnorme '
Perfekte, irf^v^orfg^ f^ftt/^rfr«, ^^axjuorf^, ah eine klebe
Gruppe, die ans alterthümlichen Zuständen vereuizelt
stehe, zusammengebracht« Hr* L» weist nun die Ver»
schiedenhciten nach, die selbst unter diesen drei Fo^
men hervortreten, und nimmt, wenngleich mit ehnigem.
Zweifel, synkopirte Flexion an. In der Hauptsache
sind also beide Forscher einig, denn B. erklärt jene
Perfekte^ mSgen sie verkürzt 'oder ans freier Hand
vom Stamme gebildet sein, mit wahrem Gefähl für
Trümmer der noch regellosen Antiquität; und jeden-
falls war es wohlgethan, dafs er die flüditigen Partf*
zipia auf einem Fleck zusammonhielt. Doch wenn whr
trennen nnd Erklärungen versuchen, so reicht meht
mehr die Sjnkope hin, sonderd os verrätb sich die Be^
mühung in die magerste l^ormation des Perfekts (r^l«*
ft€y) 'eine characteristica zn schieben, denn als Themen
stimmen-^^v;'«»^ ^liyto {jwyjiiQ^ mutigere)^ Xlym '{Ungere^
besser auch Xe^i^rfct^rcff) zusammen. Debrigens kennt
man fif^v^ore blofs aus dem Bruchstück des jintümh
oAusy fi. iivdalda n, vermuthlicfa von Tjdeus und Poljr*
nioes „schnauben^ und vpn Schweifs triefend" (fWbfr.
in E. Phoen. 423.); der Verf. erklärt „faulende'' nnd
^setzt einen gelehrten ParalleKsmus voraus. Daft aber
im anderen Zusatz S. 33 thematische Präsensformen
wie <hcec9 iAX6m xfidoi} wovon die beiden letzteren sogar
den Lautgesetzen widersprächen, als unndtfaig verwies
sei^ werden, mag fiir den Gebrauch der jetzigen GA-'
citüt ebenso gültig sein als die Yerwerfiing (S. 27) dei
nnanalogen rerXaa: indessen meint auch Buttroann blofo
FoniHD oderStmmiBylbeB^ die den sp&fereD, regdnft-
tmtg und eophaniftcb entwickelten zu Darcbgangspnnk-
ten dienten, ohne irgend Anspruch auf positive Ge-
vähr; und es wäre nur rathsamer, dafs solche rein
Buethodisehe Zwi«ohenglieder. ia einem eigentlioh - etjr*
iMlogisohen Kapkel der Wortbildung abgehandelt
wfadeB.
Id den nächsten Abschnitten kehrt diese Differenz
mehrmals wieder; da sie das Objekt einer wiederhol-
teo Prüfung ^ein uiufs und sich gewöhnlich um EinteU
heften dreht, so begnügen wir uns mit wenigen Andeu-
tamg&u i- 111. handelt die neuen Themen ab, die aus
den Tempora (durch Anadrome) entstehen sollen. Viele
solcher Annahmen hat Hr. L. mit Recht eingeschränkt:
namentlich weist er nach, dafs die yon Perfekten aus^
gebenden Präsentien überall seltener sind als man ge-
aeinbin glaubt, sonst am sichersten in Partizipien sich
darstellen, and dafs überhaupt ^die Entstehung eines
liaupttempus aus dem nntergeordtteten Modus eines.
m
anderen nicht natur^emäfs sei, Tieimehr die heterokli-
tische Bildung zu den Notbwendigkeiten gehört, wel-
che den euphonischen Organismus in den Verbalfor-
men bewirkten. Im wesentlichen ^ar Vlieses auch Butt-
maan's Ansicht, indem er sogleich §. 112. den Gang
aller Flexion an einzele Tempora aufser der Reihe
knüpft, woher der Weg zur folgerechten Regel und
Gleichmiifsigkeit gebrochen und fast gewaltsam aus
den verschlungenen Pfaden der ersten Bildaerei gleich«
MWi eine Heerstrafse geebnet wurde ; doch räumt er,
■whr als der nicht praktische Beobachter gestattet,
der Methode ein , welche jeden Gang der Formation
Schrittweise zu belauschen liebt, und gibt daher An-
lasse zum Einspruch, das heifst, zur Aufrechtbaltung
Ton historischen Schranken, die nur nicht zu eng und
«overrückbar sein dürfen. Dafs z. B. rafiiato auf ein
roftdio führte, kann nicht unglaublich oder den S. 45
geäufserten' Möglichkeiten widersprechend dünken, da
das Präsens etwas nachschleicht; daraus folgt also
nicht, dafs auch ^mxim erst durch ein Futurum ^mxtiaw,
daa der Yerf^ S. 52 bezweifelt, zum Dasein kommt, so
wenig als gegenüber, dafs in einer Mehrzahl von Pa*
ragogen blofs Euphonie uild dialektischer Gebrauch
walteten : war einmal die Bahn eröffnet, so drängte
sich manches auch ohne Noth und der Grammatik zum
Trotz ein. Unter anderem ist nuliim in Späten ( tVytL
in Plut. T. VI. p. 818) das gangbare; dafs man d//c-
gtieeküeAe SproMekre* 396
Ut^ biaweilen als Prüsens (S* 63) ftifste, bleibt frag-
lich; wahrend ein dunkles Gefiihl (wie B. erkafemte)
dem Herodot.daa zwitterhafte Perfekt druknvL znsckob:
wovqn zwar Hr. L«- S. 55 sich nicht überzeugt, aber
den Werth seiner Citation ^^^ äSk aus IV, 3L 73. 82.
(soll 74. und 81. beifsen) lassen wir^ auf neh berohes«
Ebenso machten wir gegen Znsatz ^. 1I2. Annu 1&.
die Beobachtung ElmtleyM über den aoristisdieB Siitn
der £ndung a&ovj ai^eiw in Schutz nehmen. Man kami
sich zwar über solche Vereinzelung des Gebrauchs wmi«
dem und darin sonderbaren Eigensinn der Sprache »«•
blicken; aber die Bedeutung deil Aorists Ufst sich
darum noch nicht als Zufall in den Winkel drüngen,
und dagegen weder durch HinwcJsung auf die Flexior
neu a¥m t&i v&w ankämpfen, die wirkliche Paragogea
sind oder sein müssen, noch wird diirch die Piatoni-,
sehen, Ton Buttmann erwähnten Stellen etwas ausge-
richtet. Wir thäten wol besser, in jenen ?ier attischen
Aoristen, zu denen noch iux^ov kommt, den im ersten
Versuch unterbrochenen Ansatz für eine organische
Form des Präteritum zu sehen, analog "den Snffii;en
dl und ^f welche den rechtuiäfsigen Flexionen der
casus obliqui voran oder zur Seite gingen 3 wieviele^
aber hier zersplittert worden, deutet nodi das Homeri-
sche ßtßQti&oii an, welches dem Perfekt parallel läuft,'
worüber zuerst B. Anm* 21. eine scharfsinnige Ansicht
Torgetragen hat. Im übrigen hat Hr. L. einige sehr
dankenswerthe Ausführungen über Verbalcharaktere
gegeben, namentlich über die Endungen au (S. 60),
aim (S. 64 ff.), vvjü (S. 68 fg., cf. Herrn, praef. in
Antig. ^d. tert. p. 21 sqq.), und das Verbal tnifs der
Nebenform 'ja zum Verbum barytonüm S. 70 fg.. Wel-
che zur Ergänzung besonders des Abschnitts tou der
Wortbildung dienen. Ueber mancherlei Einzelheiten,
da der Gebrauch es nicht am Eigensinn fehlen liefe
und sich vielfach zersplittert, erwartep wir noch roll*
ständigere Auskunft: z. B. was die Paragoge. önd
neben einfachen Verben betrifft, so haben Simplex und
Compp« nicht gleiche Autorität, sondern q>vyy&vio etwa
und mimlavm sind wenig in Umlauf gekonunen, "weit
mehr dagegen tuxnxqwyythw und vollends xoftalifAnav»^
während htAifmdrw unedel ist. Aehnlich bat Kt^awv^
im Indikativ {Athen* X. p. 424. D.) vor xiQVfjfju einen
Vorzug ', ftir andere Verba mögen die Atticfsten ( TAom.
M. p. 229. Brunck. in Arist. uft;.520.) Recht behal-
ten, und fiir dldjjfAi, statt di^ binde, sprach eine gute
Absicht In ihr^ Art ist aar seltensten die äolisohe
Flexion ans Adjektiren: nur doxii»miu (ß. 71) hat eine
Gewähr an Sappho in Letronneseben Papyrus n. 24.
empfangen 9 dafs aber im termeinten Pbereoydes bei
IHog. Jjoert. I^ 122. dtmiAdßpg und JoxifiJiri/Te herzu*
stellen seien, Uegt %n Tage. Endliob, was die Ano-
malie der Bedeutung §. 113. angebt, so ist sie ohne
ZusatB geblieben; obgleich einige der dortigen Regeln
Berichtigungen oder Nachträge rerstatten. Die spä-
tere Gräcität beobachtet z. B. das Futurum Medii nicht
in jedem Yerbum (wie bei ayvw^ ^uUjS, atwnä, uod^
worauf unter anderem der Verf. im Register aufmeiji*
eam macht, bei ^c»p<S) gleich streng; eine genauere
Nachweisung hiefiir hätte den Werth, dafs die Kritiker
entweder behutsamer würden oder Varianten, die man
zu verschmähen pflegt, aus dem Dunkel hervorzögen*
(Die Fortsetzung folgt.) .
XXIII.
Bibliothieonomie par L. A. CoHstantin. Parüy
JL839. 130 S. 8.
. Es kann Tdr den Unterzeichneten nur äin höcKet erfkvuliches
Geschftft sein, auf die rorliegende durchaus anspruchlose Arbeit^
auch in einem Kreise aufmerksam zu machen, welchem diesel«
bOy wie die Oiseiplin im Allgemeinen, welcher sie angehört,
atreng genommen, fern hleiben darf. Tüchtige msienichaftliche
Grundlage und ehrenhafte Ge$innung, Ja BegeUterung für den
bibliothekarischen Beruf, welcher von Vielen, zwar als letzte
Zu fluch tstfttte ergriffen, von den Wenigsten in seiner Gesammt-
heit legrifFen wird — diese dem bescheidenen Ruche nicht ab*
susprecheaden Vorzuge, (»erechtigen es einigermafsen zu, viel-
leicht dennoch ungebührlichem flervortreten. Der Vf. bespricht
Begriff und Studium der Bibliographie im Allgemeinen, nun
nicht mehr, wie man es an französischen Arbeiten dieser Art
gewohnt ist, vom franzosischen Standpunkte aus, sondern sicht-
lich von deutschen wissenschaftlichen, namentlich Bbertschen
Einflüssen berührt und gefördert, so -z. B. gleich in der Di-
atittction %W!iW Bibliographie Uileraire undmaterielltf namentlich
aber in dem Abschnitte: JDu bibliotliScaire en generalf wo ihm
Eberts goldenes Buch, welches alle diejenigen, welche sich zu
Bibliothekaren bilden, (denn dafs das überhaupt geschieht, ist
hoffentlich heutzu^tage kein leerer Wunsch mehr) alljährlich ein-
mal Studiren müssen — treffliche Dienste geleistet hat; obgleich
er selbst aus dem Schatze eigener Erfahrung und Geschiifts*
künde des Eigen thOmlichen nicht wenig, darbietet und das durch-
aus in der Weise eines Mannes, der da beseelt ist „ifs cette
pattion pour $on etalf gut Beule peui lui donner la forte et le
Courage pouf $'y touer enii^rement," müfste er nur nicht auch
JfiiU0iASe0nömü*
m
in die Klage. eiosdmmsii! nSim» stsOnrresMSMsl, ternfhii^
hAHotkeemire eü irop Muveni camfM^ cömma un^e oecupoHon se^
cetstfiV«, a de$ pertonnee, gui deja ont i'auirei foneUwi k rem-
p/tr,'* die, mit einem Worte, weder durch Gesinnung, noch Bei'
fähigung für derartige Verhältnisse geeignet sind. Es gehört
eine detaillirte Darstellung dessen, was der Verfasser ttber die
denotrs sTss hihHoikeeaire spricht, sieht an diesen Ort, er vcN
langt nur ein richtiges Maafs, nicht ein Zuviel, nicht ein Zuivep
oig, aber eine durchaus wissenschaftliche Vorbildung and eigese
Weiterbildung, eine verständige und planmälsig geordnete, den
eigenthümlichen Zweck angemessene, stille geistige Thätigkeit,
fem von Jedem, etwa prunkend hervortretenden Thun, ein A^
beiten für Andere und stcr für Andere, denn auch die der Ab-
•talt gewidmete Arbeit gweichl diesen som VortheiL Praktisch
und auf Erfahrung gegründet, 'sind die Abschnitte da torgaak
saftoji, da la eoniervationy du loeal; ausgezeichnet, was der Verl
de torganieation adminietralhe und de$ Reglemenli spricht, u^
mentlich seine, gewifs naheliegenden und doch alliuoft nicht e^
kannten Ansichten über eins dem Zustande der Anstalt, dem
Bedürfnifsy den Mitteld, dem grofseii Zweek angemessene Ver^
mekruMg dar Bäekar zwar, ohne daüi diesa nun ZHgleich aock
eine wirklich verständige und angemessene Vergro/ierung dtf.
vorhandenen Schätze ist „Niemals dürfen die Erwerbungen,
so ungefähr heifst es S. 88, der Wahl etn^r autzigen Person
Überlassen sein, deren wissenschaftliche Vorliebe ^twa, oder
Übelberechnete Freigebigkeit, oder Indifferenz — die Interesses
einer ganzen Bibliothek, Ja in gewiesem Sinne, eifier gaasen Ge*
neration nur ailxuleicht gefährden und compromittiren." Oe^
artige Uebelstände zu vermeiden, •?- und sie müeeen eintretea
bei der ungeheueren Ausdehnung all^r Wissenschaften in nn*
seren Tagen — schlägt der Verf. gemeinsame Berathungea
mit Fachgelehrten, nicht zufälliges Befragen, vor, und trifft da>
mit, unseres Erachtens, ins Schwarze, wenn anders nur^ die d«
Geschäft leitenden Gedanken von den Bibliothekaren zutor an^
gestellt und ausgesprochen sind. Die Lebensfragen über die
Benutzung der Bücherschätze auch außerhalb des sichemdea
und zweckmäfsig eingerichteten Locals, entscheidet der VeA
durchaus negativ, auch darin gewifs das einzig Richtige tref-
fend, so hart auch auf den ersten Blick dieser Ausspruch scheinti
denn nützen zwar und möglichst viel nützen dem missenschaft*
liehen Bedürfnisse des Tages sollen unsere Bibliotheken, aber
sollen sie nicht auch die Archive sein, welche kommenden Jah^
hunder ten unser geistiges Leben in seiner ganzen Ausdehnung
lebenskräftig und frisch überliefern müssen f und wie köniun
sie das leisten, wenn die Früchte dieses Lebens von den Zeit-
genossen schon, aufgebraucht werden — ein in der That gewtCi
nicht zu übersehender Krebsschaden, der an dem Dasein der
wohlthätigen Institute höchst geHihrllch nagt AlLe|i was der
Verf. von den inneren Einrichtungen der Bibliothek, den Cata-
logen, Titelcopien, Aufstellungen u. a. w. sagt, ist praktisch und
durchdacht, wenn gleich in den Resultaten nicht neu.
G. Friedla^nder.
If 61.
Jahrbücher
für
wissenschaftliche
V
Kritik
September 1839.
Amrfuhrliche
Buttmann.
Sprachlehre von Phüpp
(FortsetzHBg.)
Den meisten Ranm nimmt in dieser Abthetlung das
VerbahferxeichnifB ein, welches allein den grammati-
sehen Beruf Ton^Bottmann bewähren könnte» Indem
•r Bon emsig war' es zu bereichern und zu erweitern,
ging er unvermerkt aber die wissensohaftlichen Schran-
ken eines Verbal^R^gisters hinaus- und legte noch dem
weitläufigsten Rifs ein Repertorium für grammatische
Thatsachen und lexikalische Denkwürdigkeiten an, das
trota seines Umfangen (denn es fafst gegenwärtig fast
dritteiMilbbundert Seiten) noch Tom AbschluTs fern ist
Zwar lehrt auch hier ein fluchtiger Rückblick auf die
Vorgänger, wenn man die Verfassung des anomalen
Verbnm bei Weiler und FücAer ins Auge fafst und
dann die serstreuten Beiträge der neuesten^Zeit, unter
denen Hermann^e letztes Kapitel im Buche de emend.
rat. Chr. gr. hervorstioht, sich rergegenwärtigt, wie-
Tiel wir an Sicherheit und Fülle der Beobachtung ge-
wonnen haben, wie bequem jetzt die Forschung nach
den geringsten Einzelheiten eines nur wenig ron der
Schnur abinegiendeu Verbnm geworden sei. Das hin-
dert indessen nicht anzuerkennen, dafs eine Grenze zwi-
schen der inneren Geschidite und den äufserlichen Er-
scheinungen des Gebrauchs besteben müs^e $ und wenn
die formale Entwickelung nach und neben den Geset-
nen der Analogie Tor den Grammatiker gehört und den
Stoff eines solchen Index bestimmt, so bleibt die Nach-
weisung der Tempora, die wirklich rechtmäfsig oder
^uisgescblossen wurden, oder der pr&sentischen Doppel-
iormen (wie o^^imvftt und äfitpiSi», xvXiio und xi/XitJ»
etc.) dem Lexikographed überlassen. Hingegen ist es
nickt Imcht, bei der Vermischung beider Tbeile das
anomale Gebiet rein herauszufinden, zumal wo alles
nach dem Alphabet herunter läufig In dieser Hinsicht
Jahrb. f. wUumeh. KrUik. J. 1839. U. Bd.
bat Kühner sich ein praktisches Verdienst erworben,
indem er (ausfübrl. Gramm, f. 180 ff.) die Gänge der
Anomalie im langsamen Vorrücken von leichteren Stu-
fen bis zu den Trümmern und Defekten der Verbalfonn
klassifizirt, also die Regel mitten in ihren Absprüngen
und Seitenwegen zur Auschauung bringt, und die ge-
samn^ten Resultate zum Schlufs in einem einfachen
Verzeichnifs anomaler Verben summirt. Unser Heraus-
geber ist indessen, da er aus dem vorgczetchneten
Wege zu treten keinen Beruf fand, eifrig bemüht ge-
wesen, den Vorrath aus den Grammatikern, welche
reich sind an seltenen und vereinzelten Verbalform^n,
und aus eigener Beobachtung zu ergänzen ; doch miifs
der Leser vieles aus den Zusätzen zu den früheren
Paragraphen gehörigen Ortes einschalten, weil die Rück-
weisung fehlt. So würden wir durch diese vereinten
Bemühungen dahin gelangt seini den Verbalgebrauch
^ bis auf die erste christliche Zeit, wenn nicht vollstän-
dig, doch sicher zu wissen; für die späteren, fast end-
losen und meistentbeils unerfreulichen Massen, die vie*
les neue und darunter fehlerhaftes darbieten, bleibt ein
weiter aber wenig lohnender Raum zu Nachträgen er-
öffnet, irobei oft mehr ObserTution als Kritik zu üben
ist. Im Zwecke des Refer. kann es nun zwar nicht
liegen, die Einzelheiten zu vermehren oder uuisti^ndli-
chen Erörterungen zu unterwerfen; doch scheint ihm
nicht überflüfsig einen und den andereti hervorstechen-
'den Punkt im Vorübergehen mitzunehmen.
In algim ist als seltneres Futur lAo anerkannt:
mit Recht, wenn er auf die Späteren (aufser dem Zu-
satz s. Tittm. in Zon. p. 1164.) seit Polybius, der es
schon dreimal anwendet, eingeschränkt ^^ird; mit Un-
recht, wenn die Klassiker gemeint sind. Denn bei Ari-
Mtophanee Egu. 290« gebt ntguXw offenbar auf m^tc-
"kaifm zurück. Zweifelhaft ist auch bald darauf das
Fut. äi9£itoi die Glosse L/ex, Segu. ÜnaXi^ovrtq* s»Xu-
son<0 wird nach Anleitung des Snidas wol in anak^tj^
51
•\ •
' t
V
403 Buttmann^ auifahrliifhe
Qprxifi zu berichtigen seio, die beiden Stellen des So-
phokles aber (namentlich Oed. R* ^39.) gehören einer
syntaktischen Beurtheilung an,> ungefiihr wie Plut. CVi-'
mUl, 24« \ma%<iiHf — nokv'nqay\iiOvi}iauVn wo man {manoJ"
, üHv gewagt hat. Uebrigens verdient das durch Blom-
fields und Änderet MifsgrifFe verrufene äxoJato wenig-
stens angeführt zu werden : denn wie mifslich es auch
ist in den verfänglichen Endungen auf die Codices (z.
fit. Ltueiani Naivig*' W. Bi9 acc. 17.) zu bauen , so
steht doch jenes Futurum dreimal beim hykaphton
fest (dessen schon Jacobe praef. Antk. Palat. p. 50.
gedenkt), dann zweimal bei Dio Cos^tuM^ auch bei
schlechteren Gewährsmännern. Ebenso sind, ,um nur
etliche solcher Futura zusammenzufassen, übergangen :
das Aktiv crnoXat/ao, das bei Diodor, den beiden Dio,
Plutarch upd Liician vorkommt^ ^wasto Jetzt aus Spar
f en nachgetragen, ohne die erste (wie es scheint sichere)
Autorität des Poljbius (32, 10.), dazun^^aciv bei Dio
Cäs^ius r51, 13.), ferner o^koam (Arrnmi' Epict. 1, 14 f.)
weniger als nliiato im Eide bei PoUux YllI, 106. bei
Polybius, Arrian, Themistius und andern; umgekehrt
Xijaöfjiai gleich Xija(o bei vielen von Aristoteles bis auf
Eunapius, vorzüglich aber von Plutacch gebraucht.
Unter ßakkoa gibt ein Zusatz : yydvaßaXovfMU Athen*
III. 100. B. aktiv, ixßakovfiai Epiet. Düt. III, 24. 33."
Damit verhält es sich aber anders. Der Fall beim
Athenäus i^t ganz in der Ordnung, xh de fAagtvQiov ava-
ßaXovfAMf I'^t' ai* dnod<6 aoi zag nXfjydg^ wo dvaßdXUad^ou
auf den üblichen Sinn des Präludiums (sogar evx^y dvt-
ßdUvo PAilostr. Im. I, 29.) zurückgeht und eine wit-
zelnde Wendung beabsichtigt: das Citat werde ich dir
aufspielen, wann ich erst deinem Rücken mitgespielt
habe. Die Deutung des Arrian hingegen beruht auf
unrichtiger Interpunktion: nal rig dvüitTcci oov nvßtgvf^
tfig, ovxi 5* (og oxtuog äxgrjarov ixßaUl (seil. ae)i ebenso
wenig ist Je>xo/«at (S. 148) für AntA. Pal. VII, 21.
als Passiv zuzugeben: wo Simmias mit Ausdruck sagt,
c^X* 6 mgiGüdg^ aimv 8eQxitat ep otkiaiVf in alle Ewigkeit
bleiben seine Gedichte frisch und munteren Blickes.
.In der von Buttmann aufgeworfenen Frage, ob
ßqS^ai zuverläfsig sei, entscheidet nächst den von Hm.
L. nachgewiesenen Stellen Tkeodotiut Exp. Cret. IV,
29. woraus auch hervorgeht, dafs dieses Verbum im-
mer ein Schlingen bedeute. Denn die Verwandtschaft
mit ßqvxto liegt nahe genug, wie denn bei ßQtJ^^vai Ly*
cophr. 676. die Mss. zwischen beiden Schreibarten ge-
griechüehe. Sprachlehre. . ^ 404.
theilt sind. Vgl. xqfiyt». Uebrigens ist das Präsens
ßqilto VI streichen.
IXer Ansicht von Bnttmann, dafs ein passiver Aorist
xatiddpd^ijv wirklich existirte, mit der Bedeutung „ich
war eingeschlafen,** widerspricht Hr. L. nicht, sondena
scheint sie durch Autoritäten einiger Späten noch bsh
stätigen zu wollen. Trotz alles äufseren Scheines wird
sie indessen aufzugeben sein, da die passive Faissang
eines Neutrale syntaktisch nur im Perfekt (wie Plu^
areh. Mor. p. 588. D. nenviyfihoi wagte) oder in enet-
gischen Affektionen (Synt. p. 342.) sich rechtfertigeB
läfst. Man itaufs demnach ffyttenAaeh (in Plutarek.
T. VI. p. '557, wo viele Citate vorweggenommen stad)
beistimmen, wenn er utaiai^^ima u. dgl. zum Theil
auf Varianten g^estützt in xonoäga^inna oder xaxaia^.
^6vxa verwandelt. Ohnehin ist die von B. herbeigezo-
gene deutsche Analogie um so täuschender, als mrsw*
baf^^kw bereits heifst „fest eingeschlafen sein.'* Inder
Tbat wäre xu%hid^r\v kein besserer Datismns als etwa
HoviJtTw&Tj Constant. * Cerun. p. 438.
Das Partizip decV, das B. alsirrtbum derGrammar
tiker abwies, ist Byzantinisch: s. Boieson. ^ Aneed.
II. p. 78. Dagegen ist das attische ihiv^ kUthg weit h5*
bereu Ursprungs: tha aus Alkman Crom. Aneed. lY»
p. 368. woraus Bekk. Anecd. p. 1294. zu berichtigen.
Bei tintCv wäre manches nachzutragen : dna ist seil
Aristoteles in Umlauf gekommen^ doch am meisten im
Optativ; den Indikativ (sa^fcirc^ dgxUog dna) gebraneht
Polybius nur parenthetisch. Bei (tiQfjinai verdient ngoq*
^iQTjao vale einen Platz, intpp. Aristaeneti p. 55S s^
Dafs Qf]&fiaofAai blofs aufs Partizip beschränkt gewe-
sen, widerlegt ^ri&^iaß:at Iwkratee de Antid. iM.
Ein Präsens igdo9^ das NiJkander naeh Art von £r«s
sich verstattet (nicht Agathiae in A. Pal. XI, 365w
wofür 368. hier angegeben ist), erkennt die byzantini-
sche Prose an^ wie Theophjflaet. p. 28. - Ein ^mmy
stellt ausdrücklich Apolleniue Adv. p; 596. auf.
Zu if^klnvi : ziemlich sicher steht der Aorist ^Jj^nfw
Pauean: III, 7. f. Orph. Arg. 499. wozu kommt i^
9^y Arrian. Exp. I, 21, 7. II, 22, IL Das T kehrt
wieder in umaqmon^ woran nichts auffallendes, da man
es mit' einer alten Nebenform von ^mro zu thun hat.
, . Ein Präsens ^lym wird von Üerodian n. (aop. iU{.
p. 22, 19. mit Bestimmtheit als blofs *fheniatisdi be-
zeichnet. Dieser Grammatiker erinnert uns an die JBpi*
meriemi Homerici {Crom. Aneed. I.), woher sieh man-
405 Buiimann^ aus/UArUcAe
cbes ei^Sni^eA imd aamerken liefse: wie nepiyy» Äl^
caeuM p. 366. xo^W p. 166. (ähniioh qtofiaw : über o^aw
TAeegnosUu p. 142.).
Ueber mko- entscheidet Hr. L. sowohl gegen B. als
liegen Eustathias (xi/ay %i muiä yäa'xQog sx^Vy nvm de t6
feyy£), ond erklärt m Atac. p. 183. die Sehwanhangen
xwischen uv» nad »vcÜ, worüber er später noch mehr
Beispiele susamnieDgesteUt hat, für indifferent; wenn
auch von einzelen Autoren diese Formen durch Sinn«
verwandtachaft nnterscbieden sein möbhten« Ref^ hält
die' Synonymik des Eustathius für wohlbeg/ündet, top*
sfig^tch wegen der hier gewichtvollen Autorität des jiri'
st0tel6Sy welcher folgenden Stufengang beobachtet, Kvt-
cxofAOi empfange, xv(o gehe schwanger, Kvia> gebäre. Hier-
von abgesehen überwiegt xv£ m Gebranch bei weitem.
fUfAOQfiipog kennen noch späte Byzantiner, wie Leo
Diae. VU, 4 f. Niebnhr hat es falsch verändert in
^^ofAias p« 15.
Für ofy» und dvoiy» sind Unregelmäfsigkeiten im
Augment übersehen und auch oftmals in den Texten
verdunkelt worden: arnplartOi; (wie xctridliavtegj xorc«-
$0* PhUarch^ Suid. «. Btnitiaikfjvfy eoU. v. Jixxvg, Feiv
ner i^vi^X^^ P^ Cass, 44, 17« Auch ist bei d^ei» an-
anmerken, dafs seit Polybius das Augment gewöhnlich
fprtfällt; was in geringerem Mafse auch für lurou-
im gilt.
Dafs mpfiai bei TAeognü.1085. (oder 1129.) prä-
aentisch stehe, konnte man glauben, ehe Bekker das
richtige ^EfmiofAai — fuktdaivwv setzte. Noch paradoxer
(nnd ärger als das oben angenommene ^ti/;oSfcat) lautet
yynivofiai st. niva Nie. Th. 912.'* Aber dieses Irrsal
läCst sich doch aus dem abenteuerlichen Nikander be-
seitigen $ denn sein nivio ,\%i in niako zu verwandeln,
daa ihm anch sonst nicht unbekannt war. Dies fuhrt
auf eine benachbarte Frage, nämlich die über das Fu-
tumm x'cD, welches B. durch Elmsley l^elehrt in die
<3rammatik einführte. Hiegegen fuhrt Hr. L. ia den
Berichtigungen 8. 489 fg. mehrere Bedenken dnrch, in-
dem er die Thatsache selber in Zweifel zieht, minde-
atfima aber nach einem grammatiscben Kanon xA %fkov-
.^Myo$ o« s. w. fordert: mit grofser Besonnenheit zwar,
doch wir gestehen es mit geringer Ueberzeugungskraft.
Das Fnt. %i» möchte ^eder in Form noch in Bedeutung
so leicht zu erschüttern sein, auch hat es Aelian N.
A. V, 3. vorgefunden; seine Bildung ist aber keines-
wegs asjgmatiscb, worin Hr. L. gegen B. Recht behält
grüeAüeAe Spraehlehre. . 406
(am wenigsten konnte das Zusammentreffen mit einem
Futurum von x^t(o>'Wovon wir nur das eine Aristopha-
nische Beispiel xaxaxiaavxai^ap, Polbic. VI, 111. .bis-
sen, darauf Eiuflufs haben), sondern dasDigamma, das
in Bjiva steckt, war fortgefallen, und Uefa x^», htv^
fjtXq u. s. w. zurück.
Statt anderer Einzelheiten erinnern' wir noch. an die
Perfektformen^ welche w^gen ihrer Seltenheit und ihres
oft befremdlichen Aussehens verdienten, sorgfältiger
angemerkt und in kritischer Beziehung erörtert zu wer-
den. Namentlich ^^a Dekret in Vüae X. Orait. p.
851. F. iätdoxiaav Dio Cast. 44, 26. awtfU}dfHsav id.
41 y 45. ijÄTtiTt^xioav id. 40, 40. coU. ffa^pocr.y. Eni^,
vtyxtXv,' ndnvfjxci Ludani jRAett. praec. 13. rnnvQix»
Ariitot. Probl. 11, 22. und Galen cit. p. 388. 0/(717/1-
fitti H. Anim. X, 1, 4. milnxfjxa Philosir. V. SopA.
II, 10, 3. (beiläufig bimfjaa Ariitoi. Politt, U. extr.
luUaniEp. 62.) das passive neqfvyfiai Epicur. ap. Flut.
p. 1091. B. xixäyxa ApoHon. de Adv. p. 611.
Während Ref. sich mit dem Verbalverzeichnirs be-
schäftigte, wurde er nicht wenig durch den Anblick der
Kweiten AbtAeilung dee xufeiten Bandes überrascht,
welche Hr. Lübeck so eben mit' seinen Zusätzen be-
gleitet hat. In dieser Abtheilung sind, nach Entfernung
der jetzt eingetragenen Buttmannischen Zusätze und Be-
richtigungen, die Lehre von den Partikeln und vorzugs-
weise die Wortbildung nebst den erforderlichen Regi-
stern enthalten (das Ganze des Bandes 532 S.), die letz-
teren zuverläfsiger und vollständiger als früher. Bei-
träge hat der Herausgeber in einem nur mällsigen Um*
iange (sie würden nicht volle vierzig Seiten fällen) ein-
geflochten, und so leider einen sehr nahe liegenden
Wunsch vereitelt, den gewifs viele mit uns theilten.
Sehen wir zunächst auf Buttmann's Leistung, so war
und blieb sie nur ein Entwurf, der niemals den prakti-
schen Gesichtspunkt , verleugnete. Denn indem er zu-
erst in die Lehrbücher einen Abrifs der griechischen
Wortbildung einführte, ohne von genügenden Vorarbei-
ten unterstützt zu sein, und ehe dieses überaus schwie-
riglD Kapitel der Sprachforschung irgend von einem
geistvollen Theoretiker unter allgemeine Grundsätze
oder Faohwerke gebracht war ; indem er auch den Zu-
sammenhang desselben mit dem Gebiete der gewöhiili-
chen Grammatik nicht anerkannte : schien es ihm voll-
kommen ausreichend, gewisse durchgehende Regeln und
Thatsachen auf einen Raum zu drängen, und, wie er
407-
Buitmamn^ amßihrliehe grieeAücAs S/nraeUekre.
sich vol HA Gespr&oh xu lUiftern pflegte 3 diejenige
Summe der Erfahrang «1 vergegenwärtigeo, veliühe den
Mämiero des Faches selber vorschwebte nnd mitten
aas zahllosen insuiarischen EiDselheiten als Festland
hervortrete. Man darf nun gesteben : soviel 4iaf Klar-
heit und Präzision ankommt , hat sein Talent sich
trefflich bewährt; allein die Forderungen der Wissen-
schaft und der Empirie gingen über ein eng begrenz-
tes Summariutn hinaus. In wissenschaftlicher Bezie*
hung Uefs sich das Ganze nur als eine Reihe geord^
peter, nicht auch gegliederter und wechselseitig be«
dingter Uebersichten fassen; schon die Souderung des
Abschnittes über die Partikeln von der Wortbildung,
welche doch ihrerseits, vorzüglich bei den Derivaten
verweilte^ fufstauf die alte Voraussetzung anorganischer
und organischer Massen; und leitende Prinzipien oder
aligemeine Resultate, die sich auf diesem recht teleologi-
schen Felde an der WeQhselwirkung zwischen Form und
Bedeutung mufsten geltend machen, schimmern selten
hindurch. Was aber an der empirischen Seite man-
gele, das deutet schon die freiwillige Beschränkung
einer praktischen Auswahl an : die blofse Mehrheit der
Erscheinungen wie sie der Gebrauch ergibt ist aufge-
stellt, mit spärlichen Belegen für auffallende Einzel-
heiten, dagegen das zahllose Detail mit deni Wechsel
von Zeiten iind Autoritäten so wenig durchgemustert,
als der Streit der alten Theoretiker erörtert Und mit
der geschichtlichen Praxis ausgegUchen. Diese Lücken
zu ergänzen war niemand mehr berufen als der Her<^
-ausgeber, dessen Forschungen bereits vielfach der
Buttmannischen Darstellung zum Grunde lagen. Seine
Studien des Hellenismus haben in der Wortbildung ei-
nen Mittelpunkt empfangen, worin die unermüdlichste
Observation der empirischen, in Texten und Theore-
men enthaltenen Tbatsachen zusammenläuft, wie die
Paralipomsna sie 'bezeugen ; und die Sicherheit, der
geübte kritische Blick, welcher an den entlegensten
nnd T^erschlungensten Untersuchungen mittelst des Sich-
tens nnd Kombinirens geschärft wurde, durchdringt
eine Fülle von Erfahrungen mit solcher Festigkeit und
verbreitet einen so gediegenen Zusammenhang, dafs
auch ohne das Zut^un eines rationellen Elements die
lichten Züge des werdenden Organismus, sich wahr<*
nehmen und sofort in praktische Resultate vereinigen
408
lassen. Um so natürlicher mufste der Wunsch sein,
dafs Hr. L. nicht ^war einen ausführlichen Kommsn.
tar über die Materien dieser zweiten Abtheiluag (deim
er glaubt gegenwärtig noch zn keinem Absehkri be-
rechtigt zu sein), wohl aber einige freie Exkurse sm
Ende des Buches abfassen müchte, worin es mehrere
Hauptpunkte, die bisher entweder ungenügend nnd ohne
strenge Methode behandelt oder völlig übergangen wa-
ren, erschöpft und in Umlauf gesetzt hätte. 'Das ist
nun unterblieben, und indem er Buttmann's Vortisg
und Ansichten nur in einzelen' Fällen bald umstliDd*
lieh bestreitet oder berichtigt , bald durch ungleicb-
artige Zusätze fortführt, begnügt er sich liäuiig sih
zumetken, dafs er Überhaupt einen anderen Gesichts-
punkt anerkenne, doch ohne Beweisführung .2U wi*
dersprechen nicht angeniesseh finde , oder an einem
anderen Orte darüber sich erklären werde. ,)EiDe
gleicbinäfsig durcbgeführto Ergänzung** heifst es un
Vorwort „würde die mir vorgeschriebenen Grenzen
weit überschritten haben ; daher ich auch hier oft vo^
gezogen habe, nichts als zu wenig hinzuzufügen, nnd
wenig statt zu viel.'* Wir jnüssep uns also damit vot
frieden geben, und übrigens mit gebührendem Dank
die gebotenen Belehrungen aufnehmen, zumal einige
sorgfältig entwickelnde Noten über die Lehre von der
Ableitung ; denn die ' Fragen der Zusaminensetzdng
sind unberührt geblieben. Folgende verdienen Erwäh-
nung und fieachtung. Auf die Partikeln bezieht ach
nur ein längerer Exkurs S. 336—39. (vgl. 451.) dea
Bindevokal i aufserhalb des Verbum betreffend, wel-
cher künftigen Bestimmungen im einzelen ein reiche«
Material eröffnet Sonst sind streitige Punkte des g^
nannten Kapitels im Yorübergeben beurtheUt, auoh
ohne festere Entscheidung : z. B. S. 346 ist bei Butt-
mann's Bedenken über die Superlative auf «^9 die er
den alten Autoren fast abspricht, blofs angedeutet, dafs
im Sophokles ivvtoiimdxtoq nicht ganz unsioher sei;
während doch hie und da sich, -wie es scheint, znver*
^fsige Belege gerettet haben, n^osfpJUararc»^ Isokr«^
tes Pollue. III, 63. invit\UxAxfx^ Arütet. de anim*
ffener. I, 19— p. 727, 23, ivijfvxotaxti^q J}iod. fr. y^*
p. 64. und dergleichen mögen Poihix 111, 13^' ^
ApoUon. de Adv. p. 558, 25. mehrere gelesen bsben.
(Der Beschlafs folp.)
J ahrbfich er
f ü*
wisse 11 sehaft lieh e Kritik.
September 1839.
«BBBSBBBaSBSBeaSSBaSSaBBSBBBBSBBSBBBSBSBBSBSSBSSeB^
AmtfäkrUche grüdücke Sprachlehre ton Philipp
Buttmann.
(Schiais.)
Desto lehnreicher Biod einige Zusätze zur Wort«
UlduDg, namentlich über die Verben auf 1^ und oQi
(S. 385 %.)^ di® Desiderativen und Wörter der gei-
■tigen Affektion (389— 91.), mit den Terwaudten Aus-
ittbnuigen über Frequentativa, Inchoativa und andere
Formen der .subjektiven Auffassung; dann über Ge-
stalt und Betonung der SubstaatiTa auf xoq (402 fg.),
Torzüglich über die femininen Formen der Abstraktion,
^^.und mii (über oavvii gibt ein Programm des Jahrs
1838 alles erforderliche), cö^ und u^ Scöy (im Lat.
edo\ ganz besonders die vielen,^ in Alter und Gewähr so
Tersohiedenen auf t^ (406 fg. 418 fg., wo von kleine-
ren species manche wie w fehlt) ; femer Ton Bezeich-
nangen der Persönlichkeit und materiellen Objekte,
Maskulinen wie t^ und n!s (406— 41 L), Femininen
wie Ta^ f^Aoöa (425—28.), welche beiderseits inPa-
trooymicis und patronymisch klingendp Ableitungen
(429 — 440. namentlich ausgezeichnet die Bemerkun-
gen über i7^) sehr mannichfaltig sich fortsetzen, end-
lich von Neutris 413 fg. Tgl. 424. Aufserdcm von Lo-
kalien mit dem Typus der Fülle 423. und von flen
nahe li^onden Amplificativa 443 fg.
Indem Ref. es wenig angemessen findet, diese
swanglosen Beiträge mit Anmerkungen zu begleiten,
bleibt allein die Erwähnung von etlichen Kleinigkei-
ten übrig. ■ Verseben in Citationen, welche sonst -in Lo-
beoks Schriften nichts ungewohntes sind, wird man
diesmal nur selten antreffen: S. 7 ^Qtv(Aai steht in
uäesch. S. TA. (nicht CA.) 78. S. 15 ist gemeint Zon.
p. 1556. S.. 22 inäktQ hat man aus Pindar entfernt;
28. q^äpai gibt Athenäus I. p. 8. c. Femer wird S. 36
und 37 dieselbe. Stelle des Oppian (ihr richtiger Platz
ist Cyn. II, 244.) einmal für mfjfQiHovrti und dann für
Jahrb. f. un$$€nich. Kritik. /. 1830. II. Bd.
mq>QtxSkkg angewandt; 53. ist ausHesiodus bei Crom.
Anecd. i&iv^p angeführt, dort aber heifst es iv^inov^
und beide Formen sind wirklich Hesiodisch; im weite-
ren S. 437 PUft. Civ. zu berichtigen Criiia^ Etwas
umständlicher würde -die Untersuchung ausfallen, ob
die gegebenen Citationen, die bisweilen selbst die Kor-
ruption eines heutigen Textes als Thatsache hinstel-
len, in den erheblichen Fällen auch gleichmäfsig und
beweiskräftig seien ; wir müssen sie aber von unserem
Bericht ausschliefsen. Nützlicher scheint, auf die ein-
gestreuten Emendationen der hexametrischen Dichter
(die nicht ins Autorenregister eingetragen sind), vor-
züglich der späten Epik«;r aufmerksam zu machen |
wiewohl beim jetzigen Aussehn dieser Gedichte und
bei der Dürftigkeit des Apparats ein Uttheil oft er-
-schwert wird. Unter anderen sei Oppiani der Verfas-
ser der Cynegetica ein Beleg: z. B. III, 128. anrtjpa,
Xi/acToxo^v (lif(Tixofccoy) ^aXa/ieoy o^ßohüit^ya dKrfAov, wo des
Verfs. S. 16 voaaoxdfjuov nicht zur Schilderung paTst^
sondern (wenn jenem änokviUYai zu trauen) eher ^i/dc-
%6xmv taugt, das ffermann^ dem wir diese Mittheilung
verdanken, sehr annehmlich so deutet, dafs der duffiog
^va. ^aXajMcoy von der Schale des Eies verstanden werde«
Auch diese Fragen lassen sich hier nicht verfolgen;
und so schliefsen wir mit dem Fragment des Jau^^bo-
graphon Simonide^y xal tfig Smaß^tv oQaodv^riq '^Xadfuiv^
welches nach Versicherung des Etym. JH. eine Zwei-
deutigkeit enthält. In diesem Smne (inv/taa) sphlägt
Hr. Lobeck S, 5 eine dem Metram entsprechende Emen-
dation vor, d^ju^^^c dirjXaafi»iv, worin jedoch nicht blofs
die mediale Form auffällt, sondern auch oqovdq^qy das
weder mit dem Lemma des Etym. iQao&vQti noch mit
der Absicht des Dichters sich reimt, denn der Begriff
Kanal stimmt besser zum Sotadischen ri '^^W^ ^fi
inusdi Xai^fii;, Wenn nun Simonidd^ allem Anschein
nach ausdrücken wollte „ich klopfte an die Hinter-
thür,'' so wäre die Berichtigung d^ao^u^^; iafjkdiiTjw
52
411
nicht ferne %a «uoben« Dies lierse sich durob eine
küDstlicht» Genitivstroktur {r^jg tU^h^^^^^y ^^^ i^ijhiiAfiv
nach Ilias fi'..438. zarüd^bringen ; natürlicher aber däniit
die AbleitiflDg Tt)ni TerscboUenen {Hetyeh. aiflorei iaaaf),
sonst klaren Verbani mü^yMiy ick tammelte mich, ana^
log dem ^iffafAfiv konsfruirt»
Bernbardy.
Trendel^nSurgy EUmMta logiees utrütoUKeae.
412
XXIV.
Elementä logices ArütotelictBe m U9um schohh-
mm es Aristofele excerpsit^ convertit^ ülustra^
vit Frid. Ad. Trendelenburg ^ Phil. Dr.
Prof. Publ. Extr. in Univ. Lit Frid. Quil. Be-
rol. BeroLy 1836. Befhge. XIV. 115 8. 8.
Die formale Logik bietet in diesem Augenblick
den traurigen Anblick eines entthronten Fürsten dar.
Es i^t nodi kein halbes Jahrhundert; darüber hinge-
gangen, dafs es eine allgemein anerkannte Sache war,
die Logik sei die Grundlage aller wissenschaftlichen
Bildung^ und darum Jedem, der eine wissenschaftliche
Laufbahn betrat, coUegium logicnm ganz unerläfslich«
In der neuem Zeit hat sich dies sehr geändert. Goe-
thes bekannte Scherzworte über die Logik sind Jedem
aus der Seele gesprochen, und es gibt Wenige, wel-
che, wenn auf der Unirersität.über formale Logik ge-
lesen wird^ einer solchen Vorlesung ihre Aufmerksam-
keit schenken, ja es gibt Universitäten, wo sie als
formale (d. h. tou der Metaphysik getrennt) gar nicht
mehr gelesen wird. Woher diese Yeränderungt Mei-
ner Meinung nach daher, dafs die Logik wirklich das
ist, wofür jene ältere Meinung sie ausgab. Ist sie
nämlich wirklich eine Disciplin, deren Kenntnifs Jedem
unerläfslich ist, er möge studiren u^as er wolle, ist
dagegen die Bestimmung der Universität, dafs hier der
Stndirende sich selber bestimme nnd nach eigner Wahl
höre, so gehört die Logik als nothwendige FbrüAung
zum Studiren, in das Gymnasium und ist wie alles an-
dere Gymnastische hier ein Gegenstand des Unter-
richts. Kaum ist es daher dem, welcher eben 'das
Gymnasium Tcrliefs, zu verdenken, wenn es ihm schwer
wird, sich mit einer Disciplin zu befassen, die er ei-
gentlich im Rücken haben sollte, oder dem Professor,'
wenn er nicht dociren will, wasf eigentlich ein Unter-
richtsgegenstand ist. '
Es «eheint aber, als wenn die auf Universitftten
nicht mit Unrecht proscribirte Logik auf den Gjiiuuif
eien auch kein rechtes Unterkommen habe, finden kdn-
nen. Wir wollen damit ' nicht die Schulen allein an-
klagen, in der Sache selbst liegt Etwas was jdi^a.eiw
klärlich macfit. Jeder besonnene und reife Schnlmtomi
wird Hegeln darin Recht geben , dafs das eigentlicli
Philosophische oder Metaphysische vom Gymnasio ans-
/zuschliefsen sei. Nun sind aber die meisten Bearbei-
tungen der Logik mit besondrer Rüoksicht auf die
Universität unternommen, nnd . enthalten daher Ele*
mente, die hier ihre rechte Stelle-finden, theils meta-
physische, theils authropologische , kurz wollen menr
sein als eine Anleitung zur blofsen Gymnastik des
Denkens. Wenn nun durch jene, nicht in die Schnle
gehörenden Untersuchungen, nnd zugleich dnroh ttne
Menge unnützer Spitzfiindigkeiten die Logik sn einem
Aggregat der disparate^ten Kenntnisse geworden war,
so war es den tüchtigem Schulmännern kaum zu ver-
argen> wenn sie einen gründlichen; grammatischen oder
mathematischen Unterricht iiir die beste Uebung im
präcisen Denken erklärten, nnd ein Gebiet unbe^reten
wünschten, wo sich der Schüler oder gar der Lehrer
mit ihm verinren könne.
Von jenen Uebelständeii sich zu befreien, war nim
wohl kein Mittel geeigneter, als wenn man bei dem
Unterricht der Logik die Darstellt^ng derselben za
Grunde legte, in welcher sie von allen. VerunstaHun*
gen der späteren Zeit noch frei ist, die Aristotelische.
Abgesehn davon, dafs hier die Gesetze des verstand!*
gen Denkens mit einer solchen Meisterschaft darge*
stellt sind, dafs man das Organen so oft mit den Ele*
menten des Euklid verglichen hat, so kommt noch
etwas Anderes hinzu, was die Aristotelische Darstel-
lung der Schule besonders empfiehlt: seine UntersiK
chungen schliefseur sich in so vielen Punkten an das
Grammatische an, dafs auf den Gymnasien, auf wel-
chen die Grammatik die Hauptsache ist und bleiben
mufs, dem Einführen der Aristotelischen Logik der
Weg bereits gebahnt ist. Es wird ferner, indem dem
logi^dhen Unterricht ein griechitcher Text zu Grunde
gelegt wird, derselbe ein doppeltes^ Interesse haben
und — einen doppelten Respect sich verschaffen, wie
Jeder gestehn wird, wenn er bedenkt, dafs doch mta
einmal die lateinischen und griechischen Stunden von
den Schülern als die Hauptsache angesehn werden.
418
f
Trendglmiurgy Ehmenim fag$e0^
414
£aipfielilt sidi deswegte jene baralellnng aee p&dago-
flisobeiD GeticIitepnDktey 80 kommt endlioh dazii> dab
wenn die Logik durcli laterpretatipn des Ariatotelea
gelehrt wird, der Sobttler. iiidii nuf die BestimmtiDgen
der Logik kennen ond in ihren Formen eich bewegen
lenit^ sondern tugleich einen grofsen Theil der Aristo«
telisohen Termioologis^ mne bekommt. Dies gewährt
aber nioht nnr dem eine Erleichtemngy welcher später
den Aristoteles stadiren will — • Jeder wird aus eig-
ner Erfahrung wissen, wie Tiel bei ihm mit emmal an-
geeigneter Terminologie gewonnen ist ^ sondern ist
anch sonst tut das wissenschaftliehe Studium* yoir
Wichtigkeit, da so yiele noch itst im wissenschaftli-
eben, ja nberhaopt im gebildeten Verkehr herrschen-
den Ausdrücke beim Aristoteles ihre Wursel und ihre
ErUäning finden.
Natfirlicb aber ist, will man bei dem logischen Dn«
terriciht den Aristoteles su Grunde legen, eine Samm-
lung der wichtigsten loci nothwendig, da unmöglich das
Organen selbst im Gymnasio durchgenommen werden
kann. Von ähnlichen Gesichtspunkten, wie Ref. sie
hier ausspracb, ausgehend^ liat nun der rerehrte Vf.
eine solche Sammlung hier gegeben und sich damit
den Dank Aller verdient,- welche mit ihm wiiuschen,
dafs diese Grundlage alles soliden Studiums nicht so
sdir Teinachläfsigt werde. Seine grlindliche Konntnils
des Aristoteles, zugleich seine Bekanntschaft mit un«
serm Schulwesen, so wie damit^ in wie weit auf nusere
sich itzt bildenden Gljmnasiallehrer zu rechnen, forder«
tea ihn mehr als Andere zu diesem Unternehmen auf.
Die Sammlung der banptsächlidisten Stellen ist in
65 §§. getheilt; ein sich ihnen ansehliefsender Com-
mentar (p. 37-^115) enthält, quae „docentibus quid
exponendum videatnr significent, exposita autem di^
^ceätiam re^titinni inserTiant." Anfser diesem, treffli-
dien, Commentar- enthält dann, das Buch Uoch eine
lateinische Uebersetzung der ausgewählten Stellen.
Dem Zweck ein Schulbuch zu sein, scheint dies zu wi-
dersprechen. Sollte wirklich, was doch nicht wahr*
scheinlicb, der Lehrer jene Stellen nicht übersetzen
können, so machte ja der unter jeder Stelle augegebne
Ort ihm es leicht, seine Zuflucht zu einer Ueberset-
zung des Arißtoteles zu nehmen ^ dagegen aber ist es
Gatt den Schüler gewirs besser, wenn ihm die Ueber-
setzung die Präparation nidht zu sehr erleichtert.
Fast aber scheint es, als wolle das Buch auch
nicht nur als Schulbuch beürtheUt sein, sondern auch
noch yon einem andern Gesichtspunkt aus, der zi| er«
Ortem ist, ehe wir zusehe, wie dcrr Verf. seine Aufgabe
gel(ist hat. So erklärlidi es ist, dafs sich die Logik
bis jetzt auf der Schule nicht recht einbürgern konnte^
so ist damit doch 'der Uebelstand eingetreten, dafs
viele auf die Unirersität kommen und sie wieder ver*
lassen, und von Logik gar Nichts wissen. . Ja selbst
unter den Philosophie Studirenden sind mir Fälle be-
kannt, wo Einer erst, als das principium identitatis «^
der legt ward, erfuhr, dafs es ein solches gebe. 'Die
naöbtheiligen Folgen davon zeigen sich, wenn auch in
andern Disciplinep, so doch besonders In der Philoso*
phie. Nie war» namentlich unter den Jüngeren, ein
präciser Ausdruck seltner als beut zliTage. Die Un-
bekanntschaft mit der formalen Logik hindert natür-
lich nicht, sie zu verspotten, und wie es in unsern Ta-
gen Philosophen gibt, welche den Scholastikern alle
Philosophie absprechen, nur weil sie dieselben — nicht
kennen, so wäre wohl Mancher, der ex catliedra dar-
über lacht, dafs man in Celarent schliefsen wolle, in
Ycrl^enheit^ gesetzt, wenn nian ihn fragte, was das
beifse und wie sich ein Schlafs in Celarent von einem
in Cesare unterscheidet Auf der. andern Sdte, da es
doch einmal Sitte, an vielen Orten sogar Vorschrift
ist^ dafs jeder Studvende Logik gehört habe, geschieht
9s, dafs nua Viele, die nioht Philosophie studiren, un-
ter dem Namen der Logik die Metaphysik mit hörefl,
eben aber, weil sie nur sie hören, sich einbilden, die
Logik sei die ganze Philosophie, wodurch die, obnoB
dies grofse, Zahl der Halbphilosophen sich täglich
mehrt. In solcher Lage der Dinge kann nun uatiir-
lieh da» Bedürfaifs empfunden werden, auch ffof der.
Universität diesen Uebelständen entgegen zu treten*
Würde dies dadurch geschehn, dafs der akademische
Docent die Logik so voiftrüge, wie sie auf der Schule
gelehrt werden mufs, so würde er eben so wenig sei-
nem Beruf entsprechen, wie die Schule, wenn sie iAr
Geschäft vernacbläfsigt. Eine akademuche Vorlesung ~
über die Aristotelische Logik wird nur den Zweck ha^
ben können, wie der Verf. ihn ganz richtig angibt: „ut
logicae historia accuratius cognoscatur et in Aristote-
lis familiaritatem introeatur.** Nur per acoidens wird
sie die Fertigkeit, sich in den' logischen Formen zu
bewegen, auch beibringen, ihr ist das VTesentliehe^
was beim.Gymnasialnnterrictit die Nebensache und um-
• ^
415
Trendelenburg y Elementß hgicee Arut^elicae.
41ft
gekehrt. Die Vorrede des yorliegenden Werks gibt
za rerätebn; dafis es au<^ \robl einer akademiscben
YorlesDDg cü Grunde gelegt werden kdnne. Damit
Terbindet es also einen doppelten Zw^ok und dies ist
Scbade. Die Schule nUmlich und die Universität sind
■o Terschieden — (wir geben dem Verf. Recht,. dafa
beide plores audtaree coinmunes habent p. 3t., allein
aliter pueri Comelium ahter viri -=-) — i dafs beide
Oesicbtspunkte sich bindernd entgegen treten mufsten.
Ref. -weifs es -zwar, dafs^ der Verf. als beetimmend
nur die Rücksicht auf die Schule will gelten lassen,
aber ihm selber unbewufst scheint der Professor oft
.' an die Stelle des Schulmanns zu treten. Dadurch gei-
schieht es, daf^. sich in das yorliegende Werk Man^
cbes eingeBcblichen hat, was in den Grenzen der Schule
nicht liineingehdrt, so wie wiederum Einiges weggeblie-
i>en ist, was wir in einem Schulbuch schmerzlich ver-
missen. Jenes Erste ist dadurch gesdieh^n, dafs sich
in diesem Schulbuch Einiges findet, was die Passungs-
gabe der Schiller im Allgemeinen übersteigt, und auf
der Schule nicht tractirt werden soll. Wir oennen es
|curzweg das Metaphysische. Der Einwand, welchen
der Verf. uns machen wird, und den er p. 106. Anm.
angedeutet hat, dafs bei Aristoteles das Logische und
Metaphysische nicht so auseinander fallen^ wie das in
den modernen Darstdlnngen der Logik geschieht, ist
richtig, aber schlägt uns nicht. Denn A;*istotele8, wie
er Logisches und Metaphysisches, yereinigt darstellt,
schrieb nicht und ist nicht für die 'Schule. Wohljaber
ist für die Schule das formell Logische, und dieses
wird aus dem angefahrten Grunde am zweckmäfsig-
. sten an dieis angeknäpfi^, was sich bei Aristoteles fin-
det, und woraus die blofs formelle Logik geworden
ist. Der Zweck, weicher vorgesetzt war, mufste in
einem Schulbuch wiOKt sein, welcher ii^rSehule con-
iorm ist. Hatte der Terf. den Zweck die Logik, wie
Bie die jirietotelUche ist, rein aus sich herzustellen,
Bo durfte er freilich das Logische und Metaphysische
nicht trennen, dann durfte er aber auch kein Schul-
buch sehreiben, denn dies ist ohne tiefe und gelehrte
theoretiscb« Untersadiangen , die nidit in die Schnli
gehören^ unmdgticb. Sollte aber ein Sohalbach ge»
schrieben werden, (und ein folehea forderte altordmgs
ein dringendes Bedürfiaifs), so ihafste eben das Bedarf*
nifs der Sebule die Auswahl der Stellen, so wie die in
dem Commentar zu besprechenden Punkte bestim»
men. Der Schule thnt es aber nicht Noth , dafs in
ihr der Arüteftelee gelesen werde, eben so w«iig wie
sie mit dem ^Plato bek^nt machen soll. Sondern
wie sie diesen liest, damit der Schäler OrieeJUeek
lerne, so soll sie jenen interpretiren, dannt er fj^gii^
formelle Logik lerne. Die Auswahl war daher die
zweckmäfsigste, welche alle diejenigen Punkte bei Arv>
stotcles hervorhob, welche die ersten Elemente der
wesentlichen logischen Regeln isathalten (nnd diese fin-
det man in ihrer einfachsten Gestalt alle bei Aristote*
(es), und sie möglichst frei von dem darstellte», was
ider Schüler nicht wissen soll, und also nicht lauui.
Trotz dem also, dafs wir eines Einwandes von Seiten
des verehrten Verfs. gewiTs sind, - müssen wir das Me*
taphysische, welches sowohl der Testt als auch die
Anmerkungen (die ja auch zur Repetition für den Scha-
ler bestimmt sind) enthalten, als nicht hier her gehd-
rig weg wünschen. Andrerseits vermissen wir aolche
Stellen, welche den Uebergang ans dem, dem S«diiUer
bekannten, grammatischen Gebiet in das logische ver-
mitteln. Je mehr dem Aristoteles Denken und Spr^
eben zusammen fallen, je mehr er selbst immer ^eder
auf das Grammatische zurückkommt, um so mehr mufste
ein Schulbuch, welches die erste Bekanntsobafit nsit
der Logik geben sollte, den Zusammenhang auch her*
verheben. Und es war hier nicht zu fiircbten, dala
diese Untersuchungen zu weit vom Zweck abfuhren
würden. Es sind der grammatischen .Bestimmungen
bei Aristoteles (wenn wir ihn z. B. nur mit den. Stoi-
kern vergleichen) noch so wenige, dafs eben deswegen
diese wenigen mehr hervorgehoben werden konnten.
Gleich am Anfange der Sammlung, zu deren Beleach^
tnng im Einzelnen wir jetzt übergehn, müssen wir die-
sen Wunsch wiederholen. •
(Die Fortsetznng folgt.)
J a h r b tt c h e r
für
wissenschaftlicheKritik.
September lS39f
Mhmenta logices ArütotelUue m p$wn ickqla^
rum em ArütoUile eseerpsUj c^jtwertitj illustra^
vd Ffid. Ad. Trendelenburg.
(Fortsetzupg.)
Die BemerkuDgen enthalten zuerst das sothweo*
digate Hiatoriache über die Logik, erklären den Namen
Analjtiky nnd aeigen wie die Logik, wenn sie als o^*
pg99v genommen wird, gerade das ist, was seit Kant
ao Tiel&ch: ,g^ein Organen, sondern ein Kanon'* ge-
nannt wird« Naoh diesen vorläufigen Bemerkungen
begimit die Darstellnng selbst« Wir werden bei der-
selben immer die Auswahl d^r Stellen nnd die Anmer-
knngen sugleieh betraehten. Je mehr wir diesen Iota«
tereo nnaem Beifall geben, um so mehr sind wir be-
leebt^ denselben nicht im. Einzelnen zu wiederfaolei^
dag^egen aber alles daa Wenige henrorzuheben, worin
wir eine Aeademng wüasohen« Mit Reeht fängt der
Verf* nicht, wie es gewdbnliob geschieht, mit der Lehre
TÖn den Begriffen (im Sinne der gewöhnlichen Logik)
an, aondem, da dem Aristoteles die Logik entstaüd,
indem er den fertigen Gedanken auflöste^ dieser ihm
aber nicht ron der Sprache. getrennt erscheint, mit
dem ausgesprochnen Gedanken, dem ^«(/og, d« b* der
Rede oder dem SatXy der, auvi^taig tif votuMxmv ägni^
b orro»r; diesen behandelt er vor der Betrachtung
der einzelnen toJji»ata oder der 9unä fi^di/uov avfiifXon^
hySfifsfa. Wir Tormissen aber hier sogleich solche
Stellen, welche den Unterschied zwischen Satz mid
UrtJkeü angeben. Von dcto Sat%y yoa welchem Ar.
t aagt, es sei XS/oq Sna^ (iev tnunanuSq^ änoq>avnK6i di
w vof^ ist das Urtheil oder der i^yog änoipayviM6g nur
eine Ari ; diese Stelle (de int. 4) hätte der Verf. an»
{Ohren müssen, weil sie am bequemsten aus dem gram«
metiaehen Gelfiet in das logische hinubejr fuhrt: (pi
fi£r odv oflXet difüä^waav* ^ijtOQinJjg yiiq ij noitjxmljg olr
\ttov4(fa i| <nu%ffig* 6 8a änoq>ßm%6g v% vvp dccn^/ors).
Jahrb. f. Wiemek. KriiUe. J. 183Q. IL Bd.
Diese Unterscheidung zwischen dem' lo/og u/id dem
loyoq dno(farfut6q oder der in6q>€tyai^ wäre noch aus
tanem andern Grande nothwendig: der Verf. knüpft
näpilich §• 11. an daa an, was er früher bereits evi-
dent dargetban bat, dafs dem Aristoteles sich die Ka^
tegorien aus der Analyse des iSate^ ergeben haben;
da nun die ganze Lehre tou den Begriffen, wie wir
sogleich zeigen werden, in der von dem Verhältnirs
der Kategorien zu einander enthalten ist, «o ^ufs ^ler-
djngs der Satz por den einzelnen Begriffen betrachtet
werden $ etwas Andres aber ist die Frage, ob auch das
Urtheil f Det Verf. vefsi^cht es zwar, die Lehre. Tom
Urtheil zuerst abzuhandeln, allein bereits f., 3. findet
er sich gendthigt, die unbestimmten Begriffe (das iVo/ia
ai^fwtav) zu betrachten, im f. 4. die allgemeinen und:,
aingmlaren nqiy^Mxa aufzunehmen, in den Erläuterun-
gen dea ärofAöv zu berücksichtigen, so wie im 6ten §.
die Begriffe ädog und yhog. Zwar sind einige dieser'
Begriffe im ^ 1. schon ipdicirt und man kannte sagen,
dort seien sie vom Lehrer bereits erläutert; wir fra-^
gen aber, wie es dem Lehrer möglich sein wird, das
iyofia (namentlich wo es nomen substantivnüi ist) zu
erklären, ohne den Begriff der evaia zu Hülfe zu neb*
man (SubstantiYum, Substantia), oder yivog und ddoq
und «TOfioy, ohne die Begriffe der ovaia Stvxina bei je-
nen und der oiaia nQtitti bei diesem anzuwenden 1 Es
würde daher dem Ref. zweckmärsiger erscheinen, wenn
zuerst gesagt würde, was ein Sam ist, wenn sich daran
der ^ 11. knöpfte, . welchelr zeigt, dafs durch die Auf-
lösung des Satzes die einzelnen tofUMta zum' Vorschein
kommen, welche in ihrer Vereinzelung betrachtet wer-
den müssen. Diese Betrachtung gibt die Lehre von
den Begriffen.
Da hier die ncfvä n^diiAlav aviinXox^ UyoiASva be-
trachtet werden, so können natürlich solche Bestim-
mungen des einzelnen fdtmaj welche ihm zukommen,
sofern ea Bestandtheil eines Urtheils ist, (a. B. Eotge-
,63
419
Trendelmiurgy EUmmia logiees
'»
N.
^ gensetzuDg u. dgl.) bierNoicht TorkonutieOy wobl ab«r
ergibt sich sogleich hier alles das, was man unter dein
Namen des (Jmfangs und Inhalts der Begriffe abzuhan«
dein pflegt* Durch die Analjse des Satzes n&mlich
kommt Aristoteles zu den Kategori&n, Betracliten
wir diese und folgen dabei den trefflichen Winken,
welche der Verf. in^ dem Commentar zum §. 11. gibt,
so ergeben sich uns die Bc^grlffe der Substanz {pvokt)
nnd des avfAßtßfjxoqpder des acctdens (?gl. p. 106 Anm.).
Wird' nun xnerst nur die ovaia nach Aristoteles be*
trachtet, so findet man bei ihm die ganze Lehre von
dem Umfange der Begriffe. Diese liegt nfimlich ent*
haken in dem Unterschiede, den er macht zwischen der
nQcirti ovaia (dem ärofiw) und der dtvxi^a ovaia (dem
Sdo^ und ytvoi). Hier mufsten daher einige Sätze aus
Categ. 5. hinzugenommen werden, welche erklärten,
was nqtixri^ was dtvrtga omia ist, an. welche sich dann
die Bemerkungen zum §• 17. schlieüsen konnten. Es
würde dann schicklich der §. 4. folgen, und dann §. 6.,
aber so, dafs die unmittelbar vorhergehenden Worte
mit hinzugenommen würden, und der §. so lautetet
cog de yt al ngSkat ovaiat, nfög ra äXka narfa Mjpvaiv^
ovt» xal %b ddog n^iq ri yiyog Sxu* vft6xeiTat yh^ %b
äSog xto yifH* xä juiv yoiQ yivfj xava rSv tJldcsv wxTfiyo^
QtXxat. Dieses Yerhältnifs, welches Aristoteles auch
80 bestimmt^ dats der höhere Begriff den niederen tm»-
/qfst {iiiQthxiißayH)^ odcSr der niedere* im höheren ent-
halten ist (v7rtt(>xc(v iy, tlvai h oXm riS yini), würde nun
Gelegenheit geben, etwa durch Anknüpfung an die
Isagoge des Porphyrius die Begriffe /ifos, tlSog, ätO'
fiovy ytvixtoraxov^ iidixmarov u. s* w. zu erörtern. Man
kann nicht sagen, dafs die Lehre vom gröfsern Um-
fang des höheren Begriffes nur implicite im Aristoteles
sich finde, da ja die Auidrücke mQihxfißdvHv, vnfhui"
a&äi u. a. bei ihm Vorkommen. Das Verhältnifs des
hohem Begriffs zum niödern ist also, dafs das ripog
xoTfjyoQtttai xaxa xov üSovg (axofiov^. Dieses letztere
bestimmt dann Aristoteles noch näher, indem er den
Ausdruck awavviA<og zu Hülfe nimmt (vgl. Annot. ad
§. 41.). Er sagt nämlich: xSv de itvxiqtov oiaitSv xh
fABV^tlSog ncexa xov axofAov uaxfjyoQitxai, xo Sb yiyog %al
xccxot xov tldovg aal xaxä xou dtofiov ..... nat x^ Xoyof
da imdixpvxak'at nQwai ovaiat xov xSp tldäp xal xbv xSy
yivcov^ ual x6 ttdog de xov xov y&fovg .... avrtivvfia de ye
fpß &v KOI xovvopia xoivov xal 6- XSyog i avxog^ waxe mhrra
xa and xch ovamv . . . owtoviiitog Xi/fxcti, In diesen Sät-
sen Uegt der Keim des dictum de oimu. — « Wird dam
zweitens das Yerhältiiifs' der Substanz zn ihren Aß»
denzen betrachte^ so finden wir in dem. wa«^ Amtot^
les hierüber sagt die ganze Lehre über den Inkuk
der Begriffe kaum weniger entwickelt als ebea die
vom Umfaüg derselben. Es mufstfr da zuerst der Ali»
stotelische Unterschied zwischen 'dem ^tugxffyof^ko&o» m^'
vnoiainevov und dem h vnoxeiiAircp dvau. deutiich gemaeht
werden. Das Letztere was iv ovaUj^ ist^ und je naeh
dem Tcrschiednen Zusammenhange bald als avitpfßiptog^
bald als Idiovy bald als duupo^ . bezeichnet wird, fpht
jias, was man dgentlich allein mit dem Worte Metl^
mal bezeichnet Die modernen Logiker machen kei-
nen Unterschied zwischen den Prädioateii, die einem
Begriff beigelegt werden, und nennen eben so die Gat-
tung wie irgend eine Qualität Merkmal. Porphyrius
sagt dagegen ganz mit Recht, dafs das yivog das xi
liTTi, dagegen di^s Idiov nur das Snoiov angebe, nnd
Aristoteles tadelt Top. 4, 2. die Verwechslung der
dia<poqa mit dem yirog, (Was den Ausdruck Merkmal
betrifft, so kommt schon bei Aristoteles diese Bezie-
hung auf die Erkenntnifs vor, indem er den reicheren
Begriff yvwQifioktQov nenht, die nota aber es ist, wel-
che die notio notiorem reddit). Wenn ein blofsea
Merkmal von Etwas prädicirt wird, so geschieht dies
in einem ganz anderen Sinn als wo man die Gattung
' yon der Art prädicirt^ Brauchte Aristoteles bei di^
sem letzteren Verhältnifs das Wort üvvtovvfmc^ so fuhrt
er hier, wenn auch nicht den Ausdruck, so doch dea
Begriff des Paronjmischen ein. Er sagt nämlidb tb
Xivxov h inoxH^ivto j& a(i[Aan xaxijyhQtZxai xov vnoxiifU^
vov (Xivxot yhq aw^a Xeytxat)y 6 de Xoyo'g o xov J^uicoS
ovdinoxt xaxä aOffAoxog xaxrjyo^fii^i^atxcu. Bedenken wir
nun, dafs hier xi Xivxov und Xivxöv gerade so unter-
schieden sind, wie SvdQua und dvd^Hog, nämlich durch
die nxSaigy und halten hierzu die Definition^ naQeiwfia
de Uynai oaa dn6 xivog dia(fBQOvxa xp nxciaa x^v xati
xovvofna nQoarjyoQiav %«, ohv dno t^j yQafAiiaxixijg 6 yQc^
fnaxiHog^ xai dno xJjg dvdqttag 6 dvdqtXo'g^ so haben wir
einen merkwürdigen Parallelismus mit jener oben ash
geführten Stelle, nur dafs der Schlafs äoxt x. x. %:
nicht gezogen ist. (Daher ist di^ Form des dictum de
omni: nota notae est nota rei eigentlich falsch. Dies
gilt nur, wenn unter nota der höhere Begriff yvt^
standen wird). Auch hier gilt, dafs die Lehre vom
Inhalt der Begriffe nicht nur implicite bei Aristoteles
421 Trendetenburgj Ehmenta logiceM ArUMeUeae. 422
sieb findet, soiideni sioli bis auf die AosdrOcke bei ihm den, wie m dein oben angegebnen Untersdiiede dessen
fiadet, me solche ^Stellen leigen: ntfioaivei rd ddog was itavfjyo^svtai xad'^ vnoxniAhov vntl'dem was h into-'
%m ^hov^ und nXiiov ^i 6 op^^wxoq tov £«&ai; ti lo/h- . xUfjihw iativ beide Ansicbten als berechtigt liegen. Eine
ww, welebe. die Hanptregel dieser Lehre enthalten^ Subsumtion nämlich des Sabjects unter das PrS^cot
voraas. sich dann von selbst als Gegensatz gegen: tit^ findet da Statt, wo das Prädicat xa&^ vnon. ausgesagt
fini uafä %Sf¥ ädm nunnyoQhtvm der vom Verf. §. 6. ^ irird, d. h. wo es eine oiala (grammatisch äusgedröckt.
angenommene ergibt: xk Si äd/irSv yivcov ovk dvri-
' . Haben wir bisher aq der Anordnung Manches ans-
aetseiiy und jdas Wegbleiben einiger för den Zweck
eineB S^telboehes noth wendigen Sätse bedanem müs-
MD, 80 mnfs dagegen bei der Lehre vom UrtheU^ie
Auswahl der Stellen sehr glücklich, die Erläuterungen
treSfich genannt werden. Es kommt erst die Qualität
der Urtheile zur Sprache, wo d^r seltsame Ausdruck
mnendüeJkes Urtheil, indem auf seinen Ursprung zu-
Tlidl(gegangen, .richtig' durch den: unöestimmte^ Ur»
theil ersetzt wird. Es folgt dann die Lehre Tön der
Quantität der Urtheile, die Begriffe des xa&ikov, Ka&*
&tounofy 80' wie der des Besondern werden gut erörtert ;
eben so ist die- Lehre von der Entgegensetzung der
Urtheile sehr zweckmäfaig dargestellt, nur hätten 'wie
gewünscht, dafs der Verf. den im §. 101 enthaltnen
Satz des Widerspruchs ihr hätte yorausgehn lassen.
Eine Bemerkung sei erlaubt: wenn die Späteren ge-
wisse Urtheile, welche Ar. als ävrixHfiivai xarra iJ^tv fii^
voK ' bezeichnet, suiconträre nannten, so haben sie
trotz des barbarischen (aber sehr alten) Namens nicht
etwas Unnützes gethan, denn in der That bilden sie
zu dem contradictorischeB und conträren eine dritte
Klasse des^ Gegensatzes, da sie wohl beide zugleich
wahr, abier nicht .beide zugleich falsch sein können.
Dies mufsten die Erläuterungen hervorhebe^. — Eben
8o mSehte es vielleicht passender sein, wenn der §!i 6,
die Lehre von den Urtheilen begonnen (was bei dem
TOB uns Torgeschlagnen Gange ohnedies geschab) und
der ^. 5«, der die Mo'dalurtheile enthält, sie beschlos-
sen hätte. Die Anmerkung zu §. 6., welche mit Recht
jedes Urtheil als Subsumtion des Subjects unter das
Prädicat ansieht, hätte noch eine andre Seite hervor-
heben mfissen. Manche Logiker gehn . nämlich davon
aus, dafs das Prädicat das sein kann, was wir oben
ein MetktmU nannten, und ^ also in dem Subjecte ist,
ibai inkärirey so dafs sie deswegen den Subjectbe*-
griff den weiteren trennen» Es mufdte nun gezeigt wer-
ein Substantivum) ist, dagegen findet eme Inhärenz
des Prädicats' an dem Subject dort Statt, Wo es h
ovaicxy d. h. ein iStov, avfißißfiKig oder eine dtaqiOQa ist
(grammatisch ausgedrückt ein Adjectivum). Weil gram-
matisch die Verwandlung des einen in das andre leicht
ist, deswegen ist es möglich geworden Jie, eigentlich
verscbiednen, Urtheile als eines oder das andre zu
betrachten.
Den Uebergang vom Urtheil zum Sc/ttufo macht
der Verf. nicht, wie Aristoteles, durch die Lehre von
der Veränderung der Urtheile (dem sogenannten un-
mittelbaren Seblufs), sondern er gibt §. 12^18. Stel-
len des Aristoteles, welche zeigen, dafs und warum
eine jede Erkenntnifs vermittelt (ex ngovnaQXOvariq yvd-
Ging) sei. Diese Stellen wünschten wir zum Theil we-
gen des Metaphysischen gabz entfernt, theils aber erst
d&riy wo die. Methoden abgehandelt werden, wie 'sie
denn auch meistens aus den Anal. post. sind. — Der
Terf. fährt dann so fort, dafs er, der Autorität des
Aristoteles folgend, erst die Definitionen über den
Schlafs aufstellt ^§. 19. 20.), und dann die erlaubten
Veränderungen des Urtbeils betrachtet Wir wünsch-
ten diese gingen jenen voraus, es würde dadurch der
Uebergang des Urtbeils zum Schlufs auf die einfachste
Weise gemacht. Bedürfte es noch aufser den Urtbeils-^
Veränderungen solcher Sätze, die diesen Uebergang
machten, so würden wir wünschen, der Verf. hätte ei-
nige Sätze zusammengestellt, welche zeigten,* dafs wenn
im Urtheil das Verhältnifs so ist, dafs ^ ima^x^ rCf
P, daraus der Schlufs entsteht, indem A vniQfhi r5 P
^itt Tou B. Der §. 21. enthält das Dictum de omni
et nullo und also alle Regeln der Subaltemation. Die
Erläuterungen hätten zeigen müssen, wie beides auf
dem Verhältnifs des ddog ufad yivoi beruht. Der &. 22.
gibt die ^Regeln über die Gouversion. Auch von die-
sen gilt dasselbe. Das Schliefsen per oppositionem
dagegen, ein Verfahren, das Aristoteles selbst sehr oft'
beobachtet, besteht in einer Anwendung der Gesetze
der Entgegensetzung auf die Urtheile. Dei^ VerC er-
428 «/. «A SeimUt^^ Gnmmatik
vlUmt es niebt Ei ' würden jelxt passend §• 19« Q|id
20. feigen und «ich an diese Definitionen die Lehre
vom «Syllogismns sebliefsen. Die Auswahl der Stellen
ist hier vortrefflich. Nur mnfsten §. 24. nnd 25.^ wel-
che f1|r alle Schiursfiguren gelten, nicht zwischen die
erste und a^weite eingeschoben sein, sondern etwa dem
^.28. unmittelbar vorher geben. Dasselbe gilt von ^ 29^
Die Erltoterungen s^nd sehr schön, >besonders dan*
kenswerth die zu §• 26., welche zrigen, wie es ein
ganz versdiiednes Princip ist, welches Aristoteles be«
folgt, wenn, er zu drei, oder die Neueren, wenn sie zu
Tier Scblnrsfigurm kommen.
(Der Beachluis folgt)
xxv,
•/. J. Sehmidt: Qranmatik der Tibetüehen Spra^
- eAe. Merauegegeben pen der KaüerUcAen Akth
demU der fVüeetueAqfUn. Em Band. St. Pe^
teredurg^ 1839. 4to.
Die Gniadlage zu diesem verdienstlichen Werke bildet Cso-
ma TOD Körös's tibetisch-englische Sprachlehre (Kalkutta, lB34.)f
aber die wir bereits io diesen Blättern (September -Heft, 1837)
SiufÜbrUcher beriehtet haben. Der gelehrt« Ungar hat, nach
Hrn. Schmidts» in der Vorrade (S. XI) ausgesprochener Ueber-
seugung ein sehr sweckmftfsiges Elementar -Buch di^er noch
fast ganz unbekannten Sprache geliefert, in welchem nur hin
und wieder unbestimmte oder irrige Ansichten sich Torfinden,
die eine Berichtigung nothwendig machten. Hr. Schmidt citirt
zwei Beispiele dieser Art. Koros erklärt die Partikel bar (oder
par) an der Verbal - Wurzel fUr Bezeichnung des » InfinitiTs
schleehthiUi obgleich schon ihre Zusammensetzung mit dem loca«
fen R (für ra) sie unzweideutig alt eine Art Genrndium oder
Supinum ankündigt, welche Function der Sprachgebrauch ganz
aufser Zweifel stellt Diesen l'rrthum haben auch wir in unse-
rer obgedachten Receosion bereits aufgedeckt *). Ferner tadelt
es Hr. Schmidt, da£i Koros die Partikel de« Inatrumontals auch
da, wo sie nur das Subjekt herrorheben solle, ein wahres In-
strumental-Verhältnils ausdrucken läist Nge heiist ich; ngth
yüs, oder nga-u^ durch micA, mii siir; aber die letztere Form
>, *) r^ift lafioitiv ist eigentlich gar nieht vorhanden; denn was KSrfo m
nennt, ist nichts Andere«, ab eine Art Gerundium yaa hlangem ad- /
Terbialem Gebrauche, dessen charakteristisches ASmjb p^f (^^ aich
deutlich als eine Zosaiunensetzung der oberwShnten Partikel pA (ba)
mit' deu localea K xa erkennen giebt.*' (S, Spalt« 3S6 des Jahrgangs).
der THHieehen Syrmehe. m
steht .auch, wenn irA daa* wirkende Subjekt iat, also. z. B.
ilarcA - mich ichlagen ai tch »ekUigt, Der Ansicht des deutschen
Gelehrten zufolge^ bezeichnet die Partikel hier blofs eine He-
bung de$ KmmnoHvMf and -stellt vor traasitlTea Verbis diesen
Casna in aeiaer bestimmleB Gealalt und Eigeathftmlifihkfeit als
den des Subjektes dar (8. 91%
' Ohna Zweifel wird die aehr hftullge VerMadong der Instm-
mental- Partikel mit dem wirkenden Su))Jekte zur Folge gehabt
haben, da£B der heutige Tibeter ihre ursprungliche Bedeutung —
sofern sie dUw Rolle spielt — rergessen hat. 'Wollen wir aber
nicht zwei, ganz zufällig gleichlautende Partikeln ron rerschied-
ner Abkunft annehmen, so ist die Varmuthiing, daia auch hier
ein Instrumental- VeihfiltnÜa Torgeechwebt kabe^ gewICs amBo*
sten begfihMlet, lim den NominatiTherrorzuheben, bal wuuk
schon Aie Partikel nt; und aufserdem. wäre die Setzung dea
Kennzeichens eines Caiut Qbliqwu da, wo der Jiominaüo ge-
dacht werden sollte, sehr unlogisch, Seite 187 kommt der Verf.
noch einmal auf das Nämliche zurück, und sagt: „Als Subjekte
stehen die Pronomina gewöhnlich im Instrumental, bleiben J^
doch dessen ungeachtet NominztiTe, obgleich bei ihnen, im Ti»
bedschan, wie in mehreren anderen Sprachen, «zf A dU BmEtm-
Puig 4n JnUrumeniaU nieht $eUem if) zulälsig ist" Da der
Verf. keine Beispiele citirt , so wissen wir nicht ,^ in was füs
Fällen er dieses oder jenes Verhältnifs denken würde, und
mochten fast glauben, daTs äeine Theorie, als er dies nieder-
schrieb, schon wankender geworden war.
Ur. Schmidt hätte sich anf die Analogie des Mongolischaii
berufen können, wo das 'Wörtehen ber die FunktiOneu dea la»
ftrumentala und einer Subjekts -Partikel vereinigt Da die Hon»
f ölen ein formelles Passivurn haben, so würde man der Parti-
kel, wenn sie, mit dem wirkenden Subjekte verbunden, Instru-
mental sein sollte, schwerlich active Verbal • Formen folgen las-
sen. Ber Steht übrigens als Instrumental nur hinter Consona»-
ten (Vocale erfordern yer); als Subjekts -Partikel aber faintor
beiden Laut- Klassen, ohn^ Unterschied. Dieser Umstand läfirt
auf zwei, ihrer Abkunft nach Terschiedne ber sdüiefiieii» die nur
zufällig formell übereinkommen.
Der syntaktische Theil des Schmidt'schen Werkes (iu den
übrigens Vieles aus der Formenlehre wiederholt ist) enthalt
eine grofse Anzahl selbstgewählter Beispiele, die das "Wesen der
tibetischen Satzstellong trefflich beleuchten. Was aber seine
Grammatik ganz besonders auszeichnet, und unseren wämuten
Dank in Anspruch nimmt, ist die Zugabe zweier gröfserea pro-
saischen Texte aus Buddhistischen Sutra's, mit beigefügter deut-
scher Uebersetzung. Die Tibetischen Drucktypen sind vortreff*
lieh, und denen der Körös'schen Sprachlehre sehr vorzuziehen.
' W. Schott.
wissen
M IM.
Jahrbücher
für-.
s c h a f 1 1 i che
K r i t i k
September 1839*
£l90tentu logiee$ ArtttoteUeae m usum tth^a-
rum ex Arütoteh exeerptüj convertUf ähtstro'
tit FrüL Ad, Trendelenburg.
(Schlaft.)
Mit dem §• 30. beginnen ijie Sätze, welche die Me*
tiodenleArs enthalten; 'hier fänden die §• 15. 16. 17.
um passende Stelle^ namentlich aber geborte hierher
der Satz avS' Anal. post. 1. 18; MoW^oroficr ^ inaywy^
^ iaadäißu ^hm d* ^ fiir mn6duißg in tw iMt&6h}Vf ^ dk
bmymyii bn tSt nunä läqo^ (§• 18.), der so den Eingang
bildete mr Betrachtung d^r beiden Methoden. Nun
mnfste entweder jede Methode für sich abgehandelt
und dann eine Y^rgleichang beider gegeben werden^
-^der es könnten beide rorläufig mit einander yergliohen
werden and dann die Betrachtung jeder für sich folgen*
Dar Yeif. hat weder das eine noch das andre getban;
es sei dem Ref. erlaubt, den Gang zu bezeichnen, weU
eher ihm mehr als der Sache gemäfs. erscheint: Nach*
dem zuerst gesagt war, worin das 'VTesen der dnoÜt^
(fC (der Abdnction des synthetischen Verfahrens cf«
Annot.) besteht, mufsten die Sätze folgen, welche zei-
gen, wie der ScUufs methodisch angewandt wird, also
«rat §• 31., dann 32., der die Begriffe 911006917^0, Inir-
fEtQrHia^^öoquefAOj dnogtuicif endlich («39., ier Aen iliyxog
betrachtet, es folgte dann der directe und indirecte Be-
weis (§• 42. 43.), hieran schlössen sich dann die §•
47—53. 62., welche zeigen, dafs zu einem wirklichen
Beweise feste Anfangspunkte nothwendig sind (die Er-
Ukuterungen geben schöne Bemerkungen über das a|»co-
IMj 'diCh-^icFi^i die v^ö^foi^i den 6^ioy«o^), es folgten dann
die S&tze '§. 64-^-63., und nachdem so der Beweis nach
seiDeti Erfordernissen dargestellt war, konnte §• 41.,
welcher z^igt, dafs die'petitio prindpii dem Begriff des
Beweises widerspricht, den Bescfalurs machen, wenn er
ftieht, 80 wie §. 30« 4ort seine Stelle gefunden hätte,
wo Ton den festen Voraussetzungen die Rede war,
Jekrb. f. vüunuk. Kritik, f. 1839. II. M.
Hierauf würden wir den avXkoyMfiig diä t^« ina/wy^^
(Weg der Inductipn, analytische Methode) folgen las-
sen, und zwar so, dafs wir den ^ 33. des Vfs. obenan
stellten und zugleich, weil das Einzelne das der sinn-
lichen Wahrnehmung Gegebne ist, darauf hinwiesen,
wie inaxdijvM fiijf Sj^onag ma&iiaif aiivaxov. 'Hierauf
folgte dann die Erörterung der Begriffe ^6^^ ofifuSov,
na^ASuy^a (§. 36. 37.), wozu wir noch den §• 40., der
die bataatg behandelt, hmznnehmen würden. Nach-
dem so die beiden Wege, jeder für sich betrachtet wä«
reu, mäfste nun erst die Vergleichung folgen und zwar
80, dafs zuerst (§. 38.) das Gemeinschaftliche beider,
herrorgebobea und dann auf ihre Differenz hingewie-
sen würde. Diese ist trefflich fixirt in einer Aristote-
lischen Stelle, welche der Verf. im 35. §. anfuhrt« Da
sagt Aristoteles I x^inav xtfä ämbuivai ^ inaytoyij t^
aviXoYÜfii^' 6 IM yoif dw rov ^<sov %b lixfov r^ T^^rqp
dilttpvffofy fl 8i diä xov tiflrav xö Smqov t^ f«^aqp. In bei-
den also wird eines ton einem andern prädidrt vermit*
telst emes dritten, das Urthdl also^ wdches das Re-
sultat der Induction ist, ist eben so wie das^ welches
das Resultat des Beweises ist, ein Tcrmitteltes Urtheil
d. b« ein Schiurs, Deswegen kann Aristoteles (im we-
niger prägniMiiten Sinne) auch die Induction als ai/Uo*
j^ifffiic iS htaye^yriq .bezeichnen. Nur die Art der Ver-
mittlung ist verschieden, im (eigentlichen) SchluTs wird
der' höchste Begriff (die Gattung) vermittelst des mitt-
leren (des positione medius, der Art) von d^m dritten
oder letzten (dem Individuum) prädicirt Er folgt also
Aeta Schema der ersten Figur. Dagegen in^der In-
duction wird Tc^ aagov oder der höchste Begriff prädi-
cnrt von dem fiiaor (^caa) der Ait vermittelst des ^ffl*
tov oder des untersten Begriffs; hier also hat gerade
der vermittelnde Begriff die unterste Stelle, ist ^«oa
ia%arog, positione infimus, d. h. die Indnction folgt dem
Schema der dritten Figur« Daher sagt denn auch Ari-
stoteles: der ScbluCi der Indnction sei th 8wt xw hi*
64
Tr^uäelenburg^ EUtnenta Ipgiees ArütoieUcae,
/■ I
427
Ar liiaov f 0 Bf di^ tov F döü^ai rh u4 rm B vniif%HV^
(wo der Einwand, den man wohl maehen könnte^ dafs
Aristoteles bei der dritten Figur nie diese Bnchötaben,
die er immer b6i der ersten, anwendet ^ dadurch ent-
kräftet wirdy dafs bei Vergleichüng des Eigenth&mli-
chen von zwei Figuren es erklärlich ist, dafs dieselben
Baohstaben für beide festgehalten werden, auch in der
Stelle Anal, pr^ II, 27. die Buchstaben A^ B, F ge-
braucht werden, um Verhältnisse zu vergleichen, wel-
che mit der Isten, 2ten, 3ten Figur correspondiren.)
Da die dritte Schlufsfigur nur partioulare Conclusionen
gibt, so folgt von selbst daraus (§• 44. 45.)$ dafs der
Weg der loduction und also auch die aia^i^ai« . nicht
SU allgemeinen und nothwendigen Erkenntnissen . fuhrt*
An den Unterschied der do£a und imar^fiti worden sich
dann passend die Schlafs §§• des vorliegenden Wer»
kes achliefsen. Nur können wir nicht leugnen, dafs
das Ende desselben weit über die Grenzen der Schul-
welt hmauseeht, mdem wir bezweifeln, ,dafs der vovg
als Prinoip der Principien dem Schäler begreiflich ge-
macht werden könne»
. Wenn wir in vorliegender Anzeige an dem GangOi
den der Verf. nimmt, Manches auszusetzen fanden, so
geschah dies , weil wir immer die in der SeAule zu
lösende Aufgabe im Auge hatten. Es fällt uns nicht
ein, in diesiem Werke den Zusammenhang ;bu leugnen,
wir wünschten ihn aber in vielen Punkten anders \ eine
recapitulirende Vergleichung des Ganges, den der yf.
Bimmt^ mit dem, welchen wir vorgeschlagen haben,
möge diese Anzeige achliefsen ^ welche eine gröfsere
Ausdebuung bekommen hat, weil wir es • mit einem
Werke zu thun haben, welches bereits durch seinen
vielfachen Gebrauch auf Schulen seine Wichtigkeit ge-
zeigt hat Der Gang des Verfs. ist: 1) Urtbeil, 2) Ka-
tegorien (11), 3) Noth wendigkeit der Begründung des
Drtheils aus der Idee des Wissens, un^ Nothwendig-
keit der beiden Weisen des. Verfahrens, mithin 4. a)
der Syllogismus (f. 19—32), ^) die Induction (33—35)^
r) Gemeinsames , der Beweu (§. 43.) 5) der Beweis '
fordert ein Princip, ' a) der loduction (18. 34. 35.), b)
des Syllogismus. Die Definition, endlich das Princip
der Principien, der voii^. -^ Betrachten wir diesen CTang^
wie der Verf. tfielbst^ ihn uns angegeben, so fallen erst-
lich die Kategorien herein, m^n weifs nicht woher, und
stellen üich zwischen das Urtbeil und setne Begriia-
428
düng in die Mitte ; es fällt dann .auf^ dafs wo vm den
Principien beider Metboden die Rede sem sollte, die
Induction bereits absolvirt ist, da der §..18f doch
erst seine Stelle nach dem §• 43. finden sollte. •— End-
lich gelten gegen diesen Gang iin JSinzehien die Be-.
.merkungen, die- wir oben gemacht haben. Der, den
wir vorschlagen, ist im Wesentlichen folgender: 1) der
SatXy % Auflösung des Satzes, die einzelnen to^funu «»
die Kategorien — Substanz und Acoidenz — ^ a) ye^>
hältnifs der ovoiiu zu einander '• — Gattung,- Art, Indi-
viduum^ Umfang der B^riffe> 6) Yerhältnifs der oivia
zum avfißißtiKog — Lehre von den. Merkmalen, Inhalt
der Begriffe. 3) Das UriAei/. 4) Das begründete Ür-
theil und zwar a) das durch Verftndeniilg hervoige-
brachte Urtbeil, 6) der ScMufi. Hierauf die Anwei^
düng dieser logischen Formen oder die Methodenhkr^
und zwar 1). die beiden möglichen Wege zur Brkennt-
nila zu gelangen; a) das deduotive Verfahren, i) das
inductive, o) Vergleichupg beider und Folgerungen dar-
aus, — Uns scheint dieser Gang nicht weniger einfach
als der des Verfs;, zugleich scheint auf diesem Wege .
die Bekanntschaft mit den logischen Formen dem
Schüler leichter beigebracht werden zu können, ohne
dafs er in Tiefen geführt wird, wo es der Meister b^
darf, um sich zurecht zu finden, endlich, aber haben
wir uns überzeugt, dkfs, wenn die vom Verf. ausge-
wählten Stellen nach der von uns verlangten Ordnung
zusammengestellt werden^ die Reihenfolge mehr mit der
Aristotelischen zusammenfallt, indem dann viel seltner,
als bei dem Verf.,-^ spätere Stellen aus den Anal, vor
früheren desselben- Werkes zu stebn kommen,
Dr. Erdmann.
XXVI.
Htstoria phäosophiae Oraeco - Romahae ex fw^
tium locü contexta. Locos coUegeruntj di^
posuerunty notis auxerunf H. Ritter^ L. Prel-
ler. Edidit L.Preller. Hamburg, 183S. X
609 5. a
Die Geschichte der Philosophie in ihrer Entwiob
hing bei den Griecheu und Römern hat in den letBten
Jahtzehnten eine Ausbildung erfahren, welcher nur we^
nige andcüe Gebiete der gelehrten Forschung an die
Seite gestellt werden können; denn während aiob die
philologische Thätigkeit mit gröfs^rer Neigung und
^29 PreUeTy hi^oria pMloMephuie Oraeeo^Romanae. 430
glitokliolierem Erfolgis^ ak früher^ der Bearbeitnog der su Idsen y und zu ifarem Inhalte Erweiterangon durch
Sohriftjm der Griechen, v^dmete^ warf AnfÜbruDg anderer verwandten Stellen tu geben/ .die*
Den Anmerkuiigen^ welche unmittelbar den einzelnen
Paragraphen folgen, bald ron grsrserem bald von ge»
ringerem Umfange. Der Text der ausgehobcnen St^k
len ist überall nach den neuesten und zuverläfsigsteti
Recensionen gegeben $ wo diese nicht gen>e^ sind in
hesond^n kritischen Noten unter dem Texte die nö-
thigen Hülfsmittel der Varianten und Conjecturen dar«
geboten. Dafs dieser saohgemäfsen allgemeinen Ein-
richtung auch eine zweckmäfsige utid einsichtsToUe Ana*
fiihrung des Planes entsprechen wird, dafür . bürgen
schon die Namtfn Ser beiden Verf. hinlänglich ; aber
ebenso sehr ist auf der andern Seite zu erwarten, äafs
bei- der Schwierigkeit ^ welche eine Geschichte der'
alten Philosophie durch ausgewählte Stellen aus den
historischen Quellen auch nach den vorhandenen gründ-
lichen Vorarbeiten machen mufs^ zu manchen Beden-
ken und gegründeten Ausstellungen ini Einzelnen Ver*
anlassung sc^n wird. Auf einige der wichtigsten Pimcte,
einmal in derAiiswahl und Anordnung derStelleii, dann in
ihrer Erklärung, soll im Folgenden hingewiesen werden.
Was zuerst die Auswahl und Anordnung des
Sto£fes betrifft, so sind zwar die aufgestellten Grund*'^
Sätze unbestreitbar, einerseits nichts aufzunehmen, was
als entferntere Ausfuhrung des Einzelnen nicht in die
nothwendige- Entwicklung der philosophischen Grund-
ansicht emes Systems gehört^ andererseits keine Stelle
ausznschliefsen, welche zur Einsicht ip di^en Grund-
character erfordert wird, und die ausgewählten Stellen
80 zu ordnen, dafs ihre Folge selbst möglichst den
Gedankengang des Systems darstelle und das Spätere
im Früheren seine Erklärung finde; die Ausführung
aber ist keineswegs fiberall diesen Grundiiätzen ent-
sprechend oder in sich selbst gleichmärsig. Die älte-
sten philosophischen Versuche der ionüehen^ pytha-
goreischen und eleatüehen Söhulen sind verhältnifs-
mäfsig ausfuhrlich behandelt (S. 8—127), so dafs maij
nicht leicht etwas Wesentliches vermissen- wird. Eher
kSnnte hier und da eine entfernter. liegende Einzelnheit
weggelassen sein \ so bei Anaximandrod einige specielle
Erklärungen über die Entstehung der lebendigen We-
sen in nr. 56., welche, wie sie hier gegeben sind, völ-
lig isolirt stehn, und wenn sie einmal aufgenommen •
werden sollten, wenigstens durch die Aufnahme von
Plnt. Plac. III, 16. einigermafsen mit dem Ganzen des'
n gleicher Zeit die Philosophie selbst, mit ihrer Ge-
«ehiehte sieh wieder befreundend, auf ihre eigenen
Anfänge rin fielleresXioht, so dafs im Zusammen wir*
ken von Gelehrten und Philosophen gründliche Ausga-
ben der bedeutendsten griechischen Philosoph^ sorg*
Altige Fragmentensammlungen, scharfsinnige Monogra-
phien, lichtvolle Darstellungen endlich der Geschichte
der Philosophie von verschiedenen Seiten und auf ver-
scfaiediie Weise nach Einem Ziele hinarbeiteten und
die wissenschaftliche Einsicht in die älteste Entwick-
lang ixx Philosophie zn eiqer bedeutenden Höbe erho-
ben. Je mehr hierdurch die alte Geschichte der Phi-
losophie in den Kreis der allgemeinen wissenschaftli-
ehen Studien hineingezogen ist , um 6o mehr macht
aich das Bedurfnifs geltend, dem. Studium derselben
sogleich von Anfange an eine nähere Beziehung ^auf
die Quellen tfnd dadurch gröfsere Bestimmtheit und
Gröndlidikeit geben zu können, was bei der Beschau
fenheit der historischen Quellen, bei ihrer weiten Zer-
atrenung über den gesamraten Umfang der alten Lite-
mtor ohne ein besonderes Hülfsmittel nicht wohl mög-
lich ist. Es mnfs daher mit allgemeinem^ Danke auf-
genommen werden, wenn die 'Herren Verf. in dem vor-
liegenden Buche durdi eine Auswahl der wichtigsten
Stellen aus dra Alten eine Geschichte der griechischen
und römisdien; Philosophie in den eignen Worten der
Urheber der emzelnen Systeme oder der ältesten und
gJaobwSrdigsten Zeugen^ eine Geschichte durch die
Quellen selbst darstellen«
' Die allgemeiae änfsere Einrichtung des Buches ist
durch dies'en Zweck selbst natürlich gegeben. Nach
einer kurzen Einleitung (S. l-*?)» welche in Stellen
der Alten das HauptsäcUiehste über* Geschichte der
Philosophie und deren Eintheilung enthält, werden dann
in der Folge des Ritter'schen Geschichtswerkes die
einzelnen philosophischen Systeme so abgehandelt, dafs
nerst die Hauptstellen über das Leben . der Philoso-
phen angeführt werden, dann die prägnantesten Stel-
len über die Lehre feelbst, dem Gedankengange des
j^atenie gemäfs, in einzelnen Paragraphen auf einander
fe%m$ die ihrem e^nen Zusammenhange entnommen
aen Stellen in den des darzustellenden Systems einzu-
Mihcn und zu einem, Ganzen zu vereinigen, so wie an-
delrerseits Schwierigkeiten in der Erklärung derselben
PrelUrt Aüforia pkiio$9pkia4 Oraeeo^Jüottumme.
431
Systems in Zusammenhapg gebracht werden /imirstenj
lieber würde inan statt dieser Bincelheit eine Anföh*
ning der aus dem anti^ov sich ansscbeidenden Haupt«
« gegeniBÜtze nach Simpl. Phys. f. 32« b. in nr« 53. auf-
genommen sehn, und eine .Erklärung der Alles leiten-
den Kraft des okii^ov, jeneä «ivxa xvßiQväv bei Arist.
Phys. in. 4. nr. 53«, durch die Stelle des Simpl. Phys.
f. 107. a., welcher das äniiQov bezeichnet, als nicht nur
iXixri, sondern zugleich iroujnxi; und rthn^ cIqx^* Nicht
eine gleiche Billigimg kann man tiberall über die An-
ordnung det zn diesen Systemen gehlJrigeA Stellen
aassprechen. Bei Heraklit finden sich gleidisam ein-
leitungsweise noch TOT der Aufstellung des Grundprin-
dpes ein paar Stellen über die Einheit und Göttlich-
keit des Wissens nr. 38. 39., welche an diesem Orte
' Tollkommen unbestimmt bleiben müssen \ sie erhalten
daffogen ihre volle Bedeutung, wenn sie nach'nr. 45—
47. gestellt werden, in welchen- das VerhftUnifs der
einzelnen Vernunft zur allgemeinen Vernunft und die
. nothwendige Abhängigkeit jener von dieser dargestellt
ast; umgekehrt finden die Stellen fiber den allgemeinen
IJmtansch von Allem gegen Alles nr. 49. angemessener
ihren Platz sogleich nach dem Grundprincipe in nr. 40.
41., als am Ende der Darstellnng des ganzen Systems.
Auf dieselbe Weise würden in der Darstellnng des
Anaximander die' Worte dieses Philosophen „Woher
das Seiende seinen Ursprung hat, in dasselbe hat es
auch seinen Untergang nach der Nothwendigkeit** nr. 57*
passender am Anfange der Darstellung mit den Wor-
ten der Simplicjus über das annQov des Anaximander
nr. 52. zusammengestellt, da sich beide Stellen gegen-
üeitig erklären , als dafs sie in der gewählten Anord-
nung erst nach Ausfuhrung des Ganzen am Schlüsse
folgen. Dagegen erscheint wiederum bei Xenophanes
der scharfe Tadel gegen den poetischen Anthropomor-
phismus in der griechischen Mythologie, an die Spitze
des Ganzen gestellt nr. 130 — 133., nur wie ein ratio-
nalistisches Auflehnen gegen den Volksglauben, wfth«
Yend dieselben Worte, nach der philosophischen Ent-
wicklung des Begriffs des Seienden oder Gottes nr. 134—
las« angeführt, sich als integrirender Theil der Xeno«
phänischen Weltanschauung zeigen würden. — Auffal-
lend kurz im Verhäknifs zu dem bisher berührten
Theile ist der folgende Abschnitt über die Sophisten
(S. 128-^138), welcher auf keinen Fall dem Zwecke
432
des Boches genügen kann. Denn wenn hierin nm&olwt
in zwei Paragrsphen nr. 182. 183. die Sophisten ihrem
allgemeinen Character nach, in. ihrer Riohtung anf den
blofsen Schein statt des Wesens nnd ihrer Verwerfung
der abtolnten Gültigkeit des Sittlichen bezeicfanet, dann
nr. 184—188. die Lehren ^des Protagoras und nr. 189—
193. die Schlufsfolgen des Gprgias dargestellt werden»
80 fehlt viel daran, dafs hierdurch anch nmr im Allge*
meinen eine richtige Ansicht von den Sophisten erlangt
werden könnte. Bei ihrer Richtung anf den blofsea
Schein, welcher schon m der Absicht die Philosophie
selbst aufhebt, ist ihre Anfiihmng in einer Geschichte
der Philesophie kaum zu rechtfertigen, nnd ana dem,
was hier zn lesen ist, kann man nicht begreifen, woher
sie denn bei ihren sich innerUch vernichtenden Ansieli«
ten einen so bedeutenden Binflnfs anf ihre Zeit erlange
ten. Jenes zu rechtfertigen, nlflfste der Zusammen-
hang dieser Bestrebungen mit dän widersprechenden
philosophischen Ansichten der früheren Zeit, die sich
nnn im Mittetpuncte der griechischen Bildung begeg«
Beten, wenigstens in einer Anmerkung angedeutet wer* '
den, da schwerlich einzelne Stellen bei den Alten das
Bewurstsein über diesen Znsammenhang ansdrücken
möchten ; dieses würde erklärlich werden, wenn daraof
hingewiesen würde, ^ wie die sittlichen und politisohea
Grundsätze, welche die Sophisten theoretisch ausspre-
chen, dieselben sind, wdche man allgemein im Leben
befolgte — if ozu besonders aus Thucydides sich leiebfc
prägnante Stellen auswählen lassen — wie sie daher,
als Repräsentanteiii des Zeitgeistes auf ihre Zeit selbst
einen grofsen Einflufs üben mnfsten. ' Wenti übrig«»
die Erscheinung und der Character der Sophisten am
wenigsten durch die Aufstellung der philosophischen
Ansichten von zwei besonders wichtigen Männern un-
ter ihnen bezeichnet ist, sondern erst ein Ueberblick
der vielen, im Einzelnen sehr unterschiedenen, und dock
in der Haupttendenz übereinstimmenden Persönlichkei-
ten ein Bild jener Zeiterscheinung geben kann, so http
ten wenigstens ganz kurz die Namen anderer Sophisten
mit Andeutung ihrer Hauptrichtnng der Darstellung,
jener beiden Berühmtesten beigefügt werden sollen;
vergebens sucht man, während unter den ionisdimi
' Philosophen Hippo nicht ausgelassen ist, in den zer-
streuten Anführungen der Anmerkungen auch nur *den
Namen des Hippias, Kallikles,. Thrasymachns u. n« -«
(Die FortSetzoDg folgt.)
' -' ■ v^ 55.-
Jahrbücher
für
Wissens chaftliciie Kri t i k.
September 1839.
philosophiae Oraeco -- JRomanae -ex fw^
tmm locis conteata. Locos collegerunty düpO"
meruntj natu auxemnt H. Ritter^ £. Preiler.
JSdidtt L. Preller.
(Fojtsetznng.)
Vollsttiidiger dagegen ist der folgende Abschnitt
iiber JSocrate^ und die kleineren sokrafiachen Schulen
(S* 139—185) ; nur vernufat man unter den Hauptstel-
kn fiber die sokratisohe. Lehre Xen. Mem, IV, 6^ 8. f.^
i& welcher das Gute und das Schöne durch den Be-
griff des ISützlichen definirt wird$ eine Stelle, die um
so weniger fehlen durftie, da sie Veranlassung 2u den
Bescfauldig^ungein der Immoralität der sokratisohen Lehre
gegeben ba^ ^nd defshalb in ihrem Zus^ammenhange
ait den gcsammten sitüiehen und religiösen Ideen des
Sokrates als ihrem Inhalt, wenngleich nicht ihrer Form
nach, dnrchans moralisch nadigewi^sen werden mnfste«
Auch fiber die Tie)besproohene sokratisohe Ironie würde
es angemessen sein zu nr. 195. oder nr. 199. mit Be-
ffückstohtigang Ton Plat. Cony. 215. f. eine Andeutung
n geben,
Sobwietig«^ als bei' irgend emem andern Philoso-
phen des Alterthumes ist bei Plato nach der Natayr
Beines Systems und seiner Schriften eine Auswahl ein-
«daer Stellen tn dem Zwecke und naeh der äufseren
Beschr&ikimg des vorliegenden Buches. Wenn die
Verf. sich selbst hieriiber aussprechen, »ugl^ch mit der
H^Siauiig, , auch in diesem Pv^cte gerechten Anforde-
msgen zu genflgeui so wird nicht leicht ein Leser^ der
mit Plato bekannt ist, bei dem blofsen Ueberbliok des
ftafseren Umfanges der Auswahl (Plato's Leben und
Lehre S.^ 186—228 TgC dagegen Empedokles S. 108—
127) diese Qoffnuog theilen, noch wemger aber bei
genafier Dorebeicht des Gegebeneil sie erfüllt finden,
.Während sioh die Verf. bemäht baben> in der ersten
Periode diov Fragmente tu einem Ganten tu bildeni
J^h. f. wiiienich. Kritik. /. 1839. IL Bd.
ist bei Plato das (Sanze in die unkenntlichsten Fra^r
mente terrissen. Nach Andeutungen über Plato's Le-
ben folgt tuerst ein Abschnitt über seine Philosophie
im Allgemeinen und deren Eintheilung^ in welchem zwar
die Hauptpuncte vorkommen^ aber der Mangel an ge*
höriger Ordnung die Uebersicht durchaus stört. Denn
venu man zuerst nr. 250. yon der Wissenschaft er-
fährt, in^ welcher Hervorbringen eines Werket un4 Ge-
braurch desselben zusammenfällt und yon der Idee des
Guten, die allen Dingen erst Werth verleiht, dann 251.
dafs diejenigen philosophiren, welche zwischen Wissen
und Nichtwissen sich befinden, hierauf ,252. 253« von
dem Unterschiede zwischen vovt und dil^ß dkfi^g, 254.
von dem Wissen, welches fiber das Handeln herrscht,
255. von dem Verhäjitnisse zwischen Mathematik und
Philosophie liest, uhd zuletzt aus Sext« Empir. die
Emtheilung in Dialectik, Physik, Ethik erhält: so ist
hier offenbar vorangestellt, was nachfolgen, auseinan-
der gerissen, was verbunden sein mufste. Die Natur
der Sache selbst führt auf diesen Gang, dafs zuerst
Begriff und Object des Wissens im Gegensatze zum
blofsen Meinen bezeichnet werde, welches passend
durch die nr. 253. aufgenommene Stelle Rep. V,476. E.
gescfaehn würde, welche aber, für den Begriff der Phi-
losophie und für die Ideenlehre gleich wichtig, an der
einen oder andern Stelle in gröfserem Umfange stehn
mfifste ; in die Anmerkung können Theaet. p. 210. Tim.
p. 51. E. n. a. verwiesen werden; dann würde das Ver-
hältnifs des Snbjects zu diesem Wissen zu bezeichnen
sein nr. 251. Conv. 203. E.; hierauf dann die Einheit
des Theoretischen und Practischen in diesem Wissen
folgen, durch die Stellen in nr. 254. (nr. 250. Eutyphr.
288. D. pafst nicht genau hieher); hiednreh wäre dann
schon von selbst fiber die in nn 256. bezeichnete Ein-
theilung die richtige Ansieht groben, dafs diese näm-
lich ein, angemessenes und' unentbehrliches Hülfsmittel
der Darstellung ,ist, aber keineswegs für Plato abso-
65
4»
PrelUry Aütoria pkiloiopAiae Graeeo^RMu^we.
438
Inte Gfiltigkeit hat. Die Stelle über du YerbäUnirB
TOD Mathematik und Philosophie nr. 255. Polit. 284.'D.
iat für die Einleitung xn weuig wichtig und za schwiEsr»
imd auch in ihrer Hauptsdiwierigkeit nicht erklArt wor-
den. — Der bezeichneten Eintheilung gem^fs wird nun
im nächsten Abschnitt (S. 197—209) Plato's Dialectik
behandelt«. Man erwartet^ wie billig, bierin dieGmnd-
, Züge der platonischen Ideenl^hre zu finden ; nun ist
zwar allerdings von Ideen darin auch die Rede, aber
in der Hoflfnnng; durch passende- Zusammenreihung der
Hauptstellen in den Mittelpunct de^ platonischen Sy-
stems eingeführt zu werden, wird man sich völlig ge-
täuscht finden. Denn man liest zuerst nr. 257., dars
die Wissenschaft ein Object verlange, welches der Ver-
änderung nicht unterworfen is^ und dazu in der An-
merkung eiaiges Schwankende über den Werth der
Sinneswahmehmung , dann nr. 258. dafs Denken uud
Reden bestehe in Verbindung dessen, was seiner Na-
-tur 4iach zu verbinden ist, wozu die Anmerkung hin-
zufugt, dafs hierdurch eine Mehrheit von ezistirenden
Dingen gesetzt ist, denen inneres Leben zukommt, im
Gegensatze des todten und starren JSins der Eleaten ;
hierauf folgt in nr. 259. eine Stelle, welche nicht auf
die Ideen hinführt, sondern deren Annahme als etwas
längst bekanntes voraussetzt Rep* X. 596», wozu in
der Anmerkung die Definition Idea autem dicitur^ guid'
qtUd nomine aliguo eonsignaiur. Zwar soll diese De-
> finition durch die folgenden Worte ünaquaeque igiiur
idea speeUU ad ovaiav aiifuam A, e. substantiam immu^
tabilemj guae appellatur avrb xaO-^ avvo ete, näher be-
stimmt werden, aber sie kommt auch so nicht zur Khuv
heit, da es von derselben Idee, welcher in den vorigen
Worten nur «ne Beziehung aqf das schlechthin Reale,
das aürb iux&* avto gegeben wurde, in dem nächstfol-
genden heifst Sed idea cum eit avri xct&* atrrJ. Dana
wird nr. 260. von dem Verhältnisse der Ideen zu dem
untergeordneten Einzelnen, nr. 261. von der Idee des
Guten gehandelt, jnnd zuletzt nr. 262. eine weder er-
klärte, noch auch mit wenig 'Worten erklärbare Stelle
ausParm. 157. B. ff. unvorbereitet angeschlossen, wozu
die Anmerkung Einiges über das platonische Eins und
die Zahlenlehre giebt. Es bedarf wohl keines Erwei-
ses, dafs weder die getroffene Auswahl genügt, noch
die Anordnung geeignet ist, um in den eigentlichen Le-
benspunct des piatonischen' Systems auch nur im All-
gemeinen Einsicht zu verschaffen i und doch bietet ein
31ick ^nf die wesentlichen Puncto des platonisthea
Systems im Vergletdi mit den Hauptrichtungen vor
ihm den Gang klar genüg dar, welchen sein philoso-
phisches Draken scheint verfolgt zu haben, und wel-
chen eine Darstellung, .wie die gegenwärtige, leicht
durch Auswahl von wichtigen Stellen nachbilden kann.
Wefshalb Plato nicht in den Gegenständen der Erfab-
rung das wahrhaft Reale finden zu dürfen glaubte, be*
zeichnet Arit. Met. I, 6. sehr bestimmt duroh die hist«^
rische Beziehung Plato's auf die Heraklitische Lehi^
vom ewigen Flusse aller Dinge und auf des Sokratea
Beschäftigung mit den Begriffen, womit dem Sinne
nach Tim. 49. B. Rep. VII. 523. A — 524. D (vgL
V, 479.) vollkommen übereinstimmt $ dafs dagegen das
Reale in den Begriffen zu suchen ist^ erweist Rep. V»
476 £. Parm. 132. B. C., woran sich dann erklärend
das Beispiel einer Beschreibung der Idee als des realen
Begriffes, etwa aus Gonv. 211. a. anschlösse. Die Be>
Ziehung nun der Ideen zu einander, das TbeilDehmea
der einen an der aadern giebt ihnen selbst ein ilmeres
Leben (Soph. 248. E. zu erläutern durch Hrndentni»»
gen auf die Auseinandersetzung über idvijatq^ crrcbic^
%ai%6!¥i ^auQoVj ov), wodurch sie sich ebenso sehr vons
absoluten ov der Eleaten, als von der ewigen Veräi»>
derung des Heraklit unterscheiden. Ist durch diese,
beiden wichtigsten Gegensätze sowohl die AufstelUu^
der Ideen motivirt, als ihr VTesen näher bezeichnet,
so folgt auf objectiver Seite das Verhältnifs der Idee
zu dem ihr untergeordneten Einzelnen (Phaedr. 247. o^
vgl. mit 249. b.$ PhiL ^6. c r- 17. a.$ anmerkung»»
wei^e Polit 2^. a. Phil. 23« d. Rep. V^ 454.) und nun
Werden (Phil. 54. a— o. Phaedon. 100. h—^. nebst
den aristotelischen Stellen über das futix^v^ welches
keineswegs blofs logische Bedeutung hat nr. 258.>; ond
auf der subjectiven Seite das Verhältnifs des Erkm-
nens zu den Ideen (Rep. VI, 507. b — 511. e* .Codv.
210. d —^211. o.)^ welches durch ^ie Beziehung des EIa*
seinen auf . die Ideen*bedingt erst hier folgen kmau
Dieses Aufsteigen zu den Ideen giebt die natürliche
VeranhiBsnng, emmal den Begriff der Dialectik^voai
einfachsten Sinne des Wortes selbst (duxXixTüfäg — 1^
atixSg, loyov Sovvai xal di^aa^i) bis zur gesteigertsten
philosophischen Bedejyitung zu erörtern, anderseits . zur
höchsten Idee, der des Guten, überzugehn^ von welcher
Rep. VI, 609: eine allgemeine Beschreibung, Phil. 65.
eine mehr begriffliche Bestimmung enthält $ dazu wüf-
437
Pr^^UeTy kiHoria pkil94€^4a0 Oraeeo- Mammae.
436
den patMHid fannerkmigsvetse die arktoteliscben Zeagw
. KiiBBe jiber das Eins und die Idealzahleo beigegeben«
Diese oder eine äbniiche Auswahl fand Anordnung
vürde in die Grundlage des platonischen «Systems einä
allgemeine" Einsicht yersebafFen können uad^ viewohl
. viel aasfthrlicher^ als das im Bache dargebotene, doch
den Umfang nicht überschreiten, welchen auch die äu*
isere Einrichtung des Buches dem Zwecke selbst ge-
fltatten muß. Auch dürfen ja nach genauer Erörte*
rmig der Grundlage des Systems die beiden Seiten
seiner Entwicklung in Phybik und. Ethik TcrhältnifsmiU
fsig kürter behandelt werden, so dafs im Allgemeinen
das hier gegebene hinreicht. Nurvermifst man in der
Physik auffallender Weise den eigentlichen Kern- des
ganz^i Timätts, die Bildung der Weltseele, p. 34. D.,
welche nicht blofs erwähnt^ sondern in die Auswahl
eingereiht wenden mufste, theils um ihrer eignen Wich-
tigkeit willen, theils weil sich an das Astronomische
in der Ansicht über die Weltseele die Erklärung d^r
Zeit nr« 267. genauelr anschliefsen würde \ und für die
riknelnen teleologischen Naturefklarnngen, welche am
Eade des Abschnittes über Physik angeführt sind, würde
passend in der Stelle Pfaaedon. p. 97. , welche durch
die lobende Hervorhebung^ des anaxagorischen' vov^ als
ordnenden Pripcips den historischen Uebergang und die
aOgemeine Tendenz beseiehnet, ein Einheitspunct ge-
geben* In der Ethik ki^nnte wohl auf die. allerdings
• nicht unerwähnte religidse Seite der platonischen sitt-
lidien Richtung ein gröfserer Nachdruck gelogt sein.
Mit Plato stellen die Verf. in Beziehung auf die
Sdiwierigkeit der Bearbeitung filr den gegenwärtigen
Zweck ArUtoteleM zusammen ; indefs wenn es gleich
wahr ist, dafs auch hier der Umfang und die Reich-
haltigkeit der Schriften in emer kurzen Auswahl nicht
Mehl, zur Befriedigung kommen läfst , so gieht doch
Aristoteles bestimmt begrenzte Eintheiluag der Philo-
sophie ^in ihre einzeln^ Gebiete eine bestimmtere Wei-
muikf; für den zu befolgenden Gang. Dieser ist denn
soeh hier angemessen so genommen, dafs dem Legi-
lohen das Metaphysische, diesen Physik und Ethik
folgte aber auffallend ist dabei, wenn man Logik und
Metaphysik, oder mit Aristotelischen Namen ävakvuKa
and n^rnuf q>iXoaoqila oder ^loXoyla unter dem einen Na-
men LfOgica vereinigt sieht. So schwierig es ist und
aus bestimnrten Stellen des Aristoteles schwerlich voll-
ko^unen zu ermitteln, in welches Verhältnifs derselbe
die Analytik znr Metaphysik einerseits und andererseits
zur Psychologie stellte, so ist doch diefs aufser allem
Zweifel, dafs weder Analytik noch Metaphyftik, nooh
weniger beide zusammen, wie hier behauptet wird nr.
298. not., den Namen Logik gehabt haben. Die Stelle^
welche diefs erweisen soll de gener. anim. II, 8. besagt
geradezu das Gegentheil; die Xoyix^ mtodtiiiq ist der
Beweis, der sich nur .an den allgemeinen Begriff einer
Sache hält, und darum leicht, wenn er, wie im dort
angeführten speciell naturhistorisohen Beispiele, Tön
den oliulatg d^pitg absieht, zur scr^ dnidiü^g werden
kann. Das Xo/inSg bezeichnet dort wie an mehrem
andern Stellen die Metkodß^ der begrifflichen Behend-
lung, die auf jeden beliebigen Gegenstand anwendbar
ist, die Metaphysik aber ist durch ihren Oegen$tand
bestimmt, indem sie die %wQi(na nai dnivfjva behanddt»
Doch abgesehn von diesem Namen, s6 werden aus den
logischen Schriften nach Anfuhmng der Kategorien,
welche hier elienso räthselhaft erscheinen, wie beim
Aristoteles selbst, nur solche Stellen ausgehoben, wel-
che von dem Erkennen und dessen Principe handeln,
und gleichsam eine Kritik des Erkennens als Eingang
zum Systeme selbst scheinen enthalten zu sollen. In-
dessen da hier die Logik zum ersten Male als Wis-
senschaft auftritt und sogleich in so weit ToUendeter
Form, so hätte yon den allgemeinsten Bestimmungen
über das Urtheil und den Schinfs mit seinen drei Figu-
ren wenigstens so viel ausgehoben werden sollen, dafs
sich daran eine Characteristik der aristotelischen Lo-
gik anschliefsen liefse. Auf der andern Seite führen
die ausgewählten Stellen Tom Erkennen zu einem der
schwierigsten PuDCte im ganzen Systeme des Aristote-
les, dem vouq na^firixSg und nouitix6g^ de antm. III, 5.,
welcher gewifs nicht an die Spitze des Ganzen gestellt
werden kann, sondern, wie es ja bei Aristoteles der
Fall ist, an das Ende der Psychologie gehört, nach-
dem in Metaphysik und Physik die Begriffe der ma-
terialen und formalen Gründe ihre yolle Entwicklung
erfahren haben. Dies» Begriffe erhalten hier im Ver-
folge der Metaphysik durch ausgehobene Stellen und
b'eigefugte Anmerkungen ihre gebührende Erörterung;
nur wünscht man, dafs die Begriffe %i %i ^r c&ot, tJSoq^
hiq^iiay ivxkXi%Haj Welche einauder sehr nahe stehn, in.
ihrer genauem Unterschiedenheit bestimmter entwickelt
würden, als es hier nr, 310. not. und besonders unge-
nügend über T. r. ^. c, nr. 306. a. geschehn ist Eine
438 ,
■oldie gemmore, BestimmaDg des Unterochiedes dieier
Tenrandten Begriffe irirde dann auch tob selbst dai^
anf fuhren, nachznireisen, me sich im aristotelischen
Begriffe Gottes die yerschiedenen Priudpien^ besonders
das v4p' oty kVlog und ov Sveaa vereinigen, eine Nach«
Weisung, welche in den bieher bezüglichen Anmerkun-
gen^ nicht enthalten ist. — Ueber die folgenden Capi*
tel, in welchen der Reihe nach die Lebren der Epiku-
reer (S. 329—349), der Stoiker (350—395.), der neuen
Akademie (386 — 108), dann die romischen PUlosophen
(406-452), die spätem Skeptiker (453—463), die pla^
tonischen und pythagoreischen Eklectiker (463 — 496),
endlich die Nepplatoniker (496 — 554) behandelt wer-
den, mag es genügen, fai Beziehung auf die Auswahl
der SteJIen nar auf ein paar Puncto hinzuweisen. Bai
PAffo werden die beiden Prindipien di^ ov und W oi
angefahrt nr« 486. not. ; die bestimmte Besiehung auf
Aristoteles würde noch einleuchtetider sein, wenn ans
de Cherub, p. ^66. ed. Pfeiff. die vier Principien v<p' oS,
IS oij di^ ov, Si* 8 erwähnt wären, welche offenbar nur
Modificatfton der Tier aristotelischen aQxml sind. Auf
die Verschmelzung des allegorisch erklärten jüdischen
Glaubens mit den griechischen Philosophemen ist zwar
durch die ausgehobenen Stellen, wie durch die Anmer-
kungen mehrfach hingewiesen ; ein besonders auffallen-
des Beispiel würde die allegorische, mit Zahlensjm-
faolik versetzte Auslegung der mosaischen Schopfungs-
nrkunde sein, welche man ungern hier ganz übergan-
gen siebt. Dagegen würde man die Erwähnung der
emanatio nr. 488. not. gern entfernt sehn; weder das
Jüdische, noch das griechische Element in der Bildung
Philo's führt auf die Emanation, die einzige Stelle, wel-
che anderweit dafür angeführt wird (vgl. Ritter Gesch.
d. Ph. 2. Aua IV. 483.) beweist als Bild die Emana-
tion fiir Philo ebenso wem'g, als das ganz ähnliche Bild
dieselbe fdr Plato^ erweisen kann , und endlich ist in
dem teleologischen Beweis am Anfang des ersten Bu-
ches de monareb. ema der Emeftiation darchaus fremde
religiöse Richtung bezeichnet. -*- In des Prochts' dia-
lectischer Bearbeitang des neaplatonisehen Systemes
sind swnr die drei Momente des «Zyai, npodvai und im-
QtQit^iadat bezeichnet^ indcfs würden siearst dann ver-
440
stltodlich werden^ wienn die erstd Trias, das «r^as»
Sniipety juiKr(iir angefahrt, und dadurch zngleieh der Zu»'
aamuBenhttig mit den bekannten platenischaii Ldiren
hergestellt wäre.
Für die den einzelnen Paragraphen beigefigten er»
läuternden ^ft»i€r^ii^<0it wurden sdion oben dieHanp^
gcsichtspuncte aufgestellt, welche dabei festzuhaltca
sind, nämlich Lösung von Schwierigkeiten in den ihrem
eignen Zusammenhange entnommenen Stellen, Veribin*
düng derselben za einem Gaaaen, Erweiterung der in
ihnen enthaltenen Lehren durch Anfahrung verwandter
Stellen ; wobei natürlich die beiden zuerst genannten
Gesicfatspvncte den letzten an Bedeutung bei weitem
überwiegen müssen. Die Verbindung nun der einzelnen
zu einem znsammenbängendra Ganzen, würde Im^hter,
als durch blofse Anmerkungen, und zugleich Tollstän-
diger erreicht sei, wenp statt der blofeen NamensiAer-
sieht in der Inhaltsanzeige eine speciellere Angabe des
Gedankenganges gegeben wäre, so dafs in kurzen Por-
ten der Hauptgedanke ,der einzelnen Paragraphen be*
zeichnet wäre. Eine solche Uebersicht würde sehen
von selbst manche im bisherigen bezeichnete ungenaue
Anordnung abgebalten haben, und wiederum dem L^
ser ofik statt einer verbindenden Anmerkmq^ dtenen
kdnnen 5 jedenfalls wäre sie ehe viel dankenswerthere
Zugabe, als der umfangreiche Index aller in diesem
Buche abgedruckten nnd citirten Stellen der -alten
Schriftsteller (S. 655— 60d), von welohen Ref. keinen
dem Umfange desselben entsprechenden Nutzen ersdin
kann. Was ferner die Erweiterung der in den Para-
graphen vorkommenden Sätze durch verwandtee b^
trifft, so hätte schärfer darauf geachtet werden sot
len, dafs nur das beigefSgt werde, was einen imiait-
telbaren Bezug auf die im Paragraphen enthalt»-
neu Sätze hat; denn dadurch, dafs öfters ziemlich
entlegenes, -mehr dem Namen als der Sache nadi
verwandtes, beigebracht wird, wirken dann die Ali-
merkungen mehr zerstreuend als sammelnd. Und da-
mit hängt dann der Vorwurf zusammen, welchen Re*
ferent über die Anmerkungen in dem * dritten der ge*
nannten Gcsichtspuncte, in Beziehung auf den er-
klärenden Theil eeibst aussprechen zu müssen ghmbt.
(Der Beichlifs folgt.)
mm
Jahrbücher
■ > ■ •
für
wissenschaftliche K r i t i k.
Septemter 1839.
Hütoria phäosophiae Oraeco ^ Romanae ex fon--
Hum locü cöntesia. Locos coUegerunt^ düpo-
sueriitity notis auxenmt H. Ritter^ L. Preller j
Edidit L. Prell er.
(SchlaCs.)
Die ErlättteruDgen nämlich werden nar dann ihren
techten Character haben, wenn sie dem innem Zusam-
menhange des jedesmaligen Systems entnommen^ auch
wieder in diesen hineinnihren ; aber eben diefs wird
man häfnfig vermissen, indem die Anmerkungen, auch
da wo sie eriäutem sollen, mehr Einzelnes zu Einzel-
nem znfögen, als das Einzelne auf das GfuSze bezieben.
So wird beim Beginne der aristotelischen Eth.ilK nr. 327*
Ton den Vff.^ ein Beweis vermifst, wefsbalb die Etbik zur
. .Politik gebore, und es werden dazu einige zwar ver-
. wandte,' aber keinesweges erweisende Stellen beige-
bracht. Müfste niclit vielmehr darauf hingewiesen wer-
den, wie dnrch das ganze aristotelische System der
Gedanke herrscht, dafs der Zweck das Bestimmende *),
das nqoxiQov (fvan ist, wie sich dieser Gedanke noch
apeciell in dem Satze ausspricht^ dafs das Ganze frü-
her als die Theileist (pol. I, 1.), und in dieser Form die
TÖrliejgende Behauptung vollkommen begründet t Ebenso
wenig kann es in den eigentlichen Character der par-
menideiscben Speculatioq einführen, wenn zu dem bit-
teni Tadel derer, welchen Sein und Nichtsein selbiges
. ist und nicht selbiges, bemerkt wird nr. 144, hi versus
eoB spectare videntur, qui mundum generari ponebant,
quamquam id ita duntaxat faciebant, ut naturam rerum
*) Hieran hatte auch nr. 333. d. erinnert werden sollen, wo
es heilst, B^og hoc loco. eat »dem quod ttXog. Cf. Rbet. I, 8.
Es ist hier gar nicht ein specieller Gebrauch von S^s für
T<ioc, sondern da der bestimmende Begriff Wesen und Zweck
eines Dinges ist, so kann dasselbe, ebenso sehr einmal als.
VTesen oder Begriff, ein andermal als Zweck der einzelnen
. Staatsformen bezeichnet werden.
JaM.f. viiBtnicK.Kriiik. /. 1830.. II. Bd.
lade profecti melius enarrare possent« Man mag im^
merhin die ebenso uperwiesene als nnerweisbare Be-
hauptung annehmen, das Werden sei bei den ionischen
Physiologen nicht eigentlich Gegenstand ihrer Behaop-^
tung, sondern Hülfsmittel der methodischen Darstel-
lung gewesen, so belcämpft Parmenides sicherlich nicht
mit solchem Eifer jenen methodischen Hülfsbegriff^
sondern die Annahme des in ^ sich selbst/ sich wider-
sprechenden Werdens, und hat wahrscheinlich spe-
oieU den Philosophen vor Augen, welcher im Wer-
den, in der Veränderung Gmnd und Wesen aller-
Dinge fand, den Heraklit. (Vgl. Parm. v. 50 ff. mit
Heracl. fr. 72. Schi. Heraclid. , Alleg. Hom. p. 443.)
Bei diesem Philosophen wiederholt sich nur freilich
ein ähnlicher Vorwurf $ der Leser wird schon dadurch
von einer unbefangenen Ansicht abgeleitet, dafs er
den Heraklit denjenigen Philosophen wenigstens gewis-
sernlafsen beigezählt sieht, welche aus Einem verän-
derlichen Grunde alles ableiten, während doch nicht
der zu Grunde gelegte Stoff, sondern die Veränderung
selbst das Princip der Heraklitischen Lehren ist. Die
.Anmerkungen wirken dann nicht dahin,' in den ricbti- '
gen Gesichtspunct zu stellen; denn während an der
Stelle, wo zuerst das Feuer als in alle Gestalten sich
wandelnd erwähnt wird (nr. 41.), doch jedenfalls hätte
bemerkt werden- sollen, dafs das Feuer eben nur als
Substrat der Beweguqg anzusehn ist^ und d^fs eben
darum hier das Feuer als Princip auftritt, weil dieses
selbst in steter Bewegung ist, liest man die hieher ge-
wifs noch nicht gehörige Bemerkung Ignis lleraclito
forme idem fuisse videtur, quod anima sive vi» viia^
lis. Soll diese Bemerkung wirklich als Erklärung der
Stelle angesehn werden, bei der sie steht, „de^ Feuers
Wandlungen sind zuerst Meer, des Mperes aber zur
Hälfte Erde, zur Hälfte Feuerstrahl !" Aber noch mehr
von dem eigentlichen Sinne Heraklits abgelenkt wird
der Leser, wenn zu der Stelle aus Sext. Emp. adv.
66
443
Prettery Autorin pbähsopkiae QraecO'-Ramanae.
444
M. Vn^ 127 ff. nr. 47.,^ in i^elcher Heraklit das Wabr-
nebinen, Denken und Erkennen des Eins^eluen Ton sei-
ner Verbindung "mit der alloinfassend^n Vernunft ab-
bilagig uiacbt^ bemerkt wird, dafs Heraklits Ansicht
mmi sensiHi, dam skit vigiies, judLcandi et ratiocinandi
instrumenta esse, und' dann fidem sensuum negabat
aliam esse praeter eam, 'quae in sana ment^ niteretur«
Wer kann in diesem gesunden Verstatide als Krite-
Timn der Wahrbeit die Heraklitiscbe Theilnabme des
EinxelDen am nkQiii^^ Xoymov (Sext. fimp.) auch nur
ahnen 1 «~ Aus 4«r gewählten Anordnung der ioni-
schen Fbilosopbeo, naoh iiwlcfaer Anaximander. auB Ei-
nem 4mtßeränderNcA0n Principe alles ableiten soll,
acheint es faerrorgegangen, wenn die Verf. «ein ämigav
httufig als mia(tio erklfiren^ welche als Eine doch zu-
gleich vieles in si<^h «iitftbalte und dieses von sich
amsgebn lasse. Das Wort mixtio hat allerdings aristo-
tcfliscbe Autorität ; dafs die^ier aber nicht sowohl eine
Mückmngy als eine " Gebundenheit der Gegensätze*
darunler Tcrsteht, geht aus 4er zu 'nr. 52. nicbt toU-
atändig angeführten Stelle Met. A^ 2. hervor, in wel-
cher dasselbe sehr treffend als dvvufiH ov bezeichnet
wird; die Annahme einer eigentlichen Mischung in dem
itiiHQov verkehrt ganz den Sinn der anaxtmandriscben
Ansicht» — Aehnliche Einzelnheiten liefeen sich noqh
mehr anfilhren, doch die obigen werden wohl genügen,
um die Behauptung, dafs die erläuternden Anmerkun-
gen öfters nicht tius dem eigentlichen Zusammenhange
des Sy Sternes entnommen auch nicht in denselben ein-
fuhren können, zu erklären und zu rechtfertigen. An
mehreren Stellen, welche nicht nur beim ersten Stu-
dium, für welches dieses Buch geschrieben ist, son-.
dorn auch bei wiederholter Leetüre Schwierif^keit ma-
ichen möchten, vermifet uian ungern eine Erläuterung,
s. B« zu Parm. 32. nach der aufgenommenen Con-
jectur, 74. 119 ff», so besonders zu dem schwierigen
^og mat bei Diogenes von Apollonia ur. 30. welches
entweder zu erklären oder zu emendfaren war ^, und a. m.
*) Diogenes spricht in dieser ans Simpl. "j^hys, 33. a. entlehn*
len Sielle ton der Luft als dem Alles beherrsdieoden und
lieseelenden Principe , und die fra^Ucheii Worte heiisen:
uno yoQ (lOk tovtov doxs£§ i^os slya* xcu bü nay fiiflx&a»
Ttal nayra Suak^iectk xai 1$^ m^yrl ivilyat, Dafs die ersten
Worte ohne Aenderun'g nicht zu rerstehen sind, erweist
-^hleiermacher über Diogenes r. Apollonia. S. 82. (^Phil.
An «ndem Stellen ist (3ic Erkl&rung insofern als an*»
vollständig anzusefan, als -bestrittene BebaHptungen jiuf-
gestellt werden, ohne daf^ entweder die Gründe der
Gegner angegeben, oder auch nur die Bücher, i» de-
neB nie zu inden,. cUirt wären. So beifst es iher
Anaximenes, er habe »uerst durch Verdichtung und
'Verdünnung die einzelnen Dinge aus dem Urgründe
entStefan lassen, Simpl. phjs. 32. a.., und dazu: Pa-
rum igitur accurate nonnulli ex scriptoribus recentio-
-ribus Thaletem etiam et Anaxtmandram ita >ata!Uuflae
perhibent. Was den Asaximaader betrifft, «o int diefo
freilich offenbarer Irirthum, von Thalas aber be^agCD
es nicht nur scriptores recentiores^ aondem derselbe
Simplicius, der jene Nachricht aus Theophrast *) b^
briiigt^ berichtet sogleich nach jenen Worten dieses
aus Aristoteles, und die eigenen Zeugnisse des Aristo-
teles sind schwerlich zu'.wideriegen. Simpl. pbys. 3SL «•
89. a. Arifft. phys. I, 4. de coelo IH, 5. 'SoHten diese
Zeugnisse nicbt bl^rücksicbtigt werden, so mnfste we-
nigstens auf Brandis üe^cb. d. Gr. Rom. Ph. L 11<«
144. verwiesen werden. Oder, wenn e« bri Heraklk
von dem Ausdruck moivb^ Xiyoi Sext. Emp. VII, 126.
-131. beifst: patet haec dialecticorum vocabula esse, so
hätte Schleiermachers sinnreiche Dcdnction, wodnrcii er
gerade dieseBedeutung des l,6roQ auf Heraklitcuräckzn-
iühreu /sucht, entweder widerlegt, oder wenigstens
Werlie II, g. 153.) Die Conjectur Panserbieter'fl , ^it^eldier
für OTTO schreibt nixoZ hebt zwar die gradmatkchen Schwie-
" rigkeiten, kaon aber dem l'^of cZme* ,-,e8 sei die Gewohnh^
eben dieser," der Luft nUmlichi keinen passenden Sinn ge-
ben. Wenn man sich erinnert, wie nachdrücklich Diogenes
darauf dringt, dafs ein einige$ Princip Torausgesetzt wer-
den müsse (Arist. de gen. A. c. 1. 6. ^xal rovr' oQd^tk liyu
JkoyBtffjg, St» tl fA^ $i Bros n>^ icnuna^ «9X av ^y ro ntn^
iUil nwfxftr. Jheophr..de sensu 39. Atcyinrfs — ^ik ya^
%o noUiy $7ym xcd nnaxiM, tl ^ niyra ^ iyisJ), so wird
iQan es als sehr wahrscheinUtth linden, da(s für b^os zu
schreiben sei Bpog, Aus dem Zusammenhange ergiebt sich
Ton selbst, dafs zu roiroü gedacht werden mu£i aSQog und
als Subject zu den Infinltiren yotjcty,
*) Uebrigens besagen selbst die Worte des SimpKcius a. a. O.
ini yäq rovroty fAoyov Bi6(fQ€tinos iy rp Urro^ia rijy fui99$tsw
^X^B Ttal j^y Ttvyyuffty nur diefs, dafs Theophrast nur beim
Anaximenes die Verdünnung und Verdichtung als den Mo>
dus d^r Veränderung angeführt, nicht aber,' dafs er bcfhaup-
tet, nur Anaximenes oder zuerst Anaximenes liabe diese Er-
klärung* gebraucht.
t *
445
4i6
ffelMift wer^ sollett (Hfl», der Altertbir. I, .475 f.)*
Ifodi «ekr T^miifst omb m der dridänM^ über die
^lateniecbe Jdee des OiiteD, or. 261., welche mit Gott
ideotififlirt irird , eine BerückBielitiguiig der eebr ge«
"viobtigeB GegeDgriiode, besonders C« Fr. HennaDii*8
«md 'TrendeleDbur^'s. Ref. ist weit dayon entfernt,
#(wa Hbeibaaiit eine Anhäafuiig Ten Ltterarsotisen,'
•ehe aerstreiieflide Anföhning aller Tersobiedenen An-
mbteii SU Teriangeii, welcbe dem Zwecke des Bacbes
•gecadesu «otgegen sein wurden, aber bei widitigcD
Puneteu, weMie so begrimdeten Zweifeln unleHiegen,
^rie diese «ad manche andere, daifte dem Leser nicbt
4mA beaweifeite als zweifellos dargestellt werden, son-
dern es biktte ihm hier die Mdgliohkeit des eignen un-
^befaagenen Uttbeils ebenso sehr gegeben werden sol-
len, als diefii in Beziebung auf Texteskritik der auf-
genommenen fiteilen ia Hhnliohen Fällen gesdiebn
ist. —
Versehen und Unrichtigkeiten endlich haben sieh
in die ErklUmgen hier und da eingeschichen. — Nr.
'fi3. not. steht von Anaximander arbitrabator infinitam
|y «a* noUcr esse, im Widerspruche mit der dazu an-
geführten Stelle des Aristoteles, Phys. I, 4., da dieser
auf Anteimander das Ir, hing^en ^ waX n oUa auf Em-
pedokles und Anaxagoras besieht — Nr. 140. Dafs diese
Yerse des Xenophanes nicht einen Zweifel am meta-
physischen TheMe seines Systems entbaken , sondern
auf den Theil ^nq^ do^cev gehn, beweist theils der ent-*
schiedene Oharacter . der Beweise in jenem, theils die
Worte Oioi nicbt ^eog, und ioH6^ in den Versen selbst. —
.%.' 148. Parm. v. 96. heifst es an den Worten h £
mvpattofuvof iath -b« €^ in quo enuntiatum, si?e a quo
eogitaftum est. Die Stelle lehrt so viel auf den ersten
Stick, dafs Jk c5 ntip. €. nicht auf das Subject, son-
dern auf das Object des Denkens gehn mufs, wenn
gleidi der Ausdruck nicht gane einfach ist. — Nr. 156.
not. soll KaT9i/oQi}cm^ bei Simpl. Phys. 30. a. beifseu
pro diversis categoriis, durchaus gegen deii Sprachge-
brauch des Aristoteles und seines Commedtators ; pro
diversis categoriis heilst «ora ra ax^fiaia oder yivfj rcoy
nartjyoQtSv; narriyoQixAg ist pradicativ^ und so hier,
oder blakend. — Nr. 302. d. in der Stelle dep Aristo-
teles Anal. post. 1, 2., in welcher er die Erfordernisse
für die Grundlagen eines wissenschaftlichen Beweises
aufstellt drd/xfi riiv dnodttxjiKriy imajfjfAtiv ii äkyi&m tU
^»r suM iAximp xov sv^iu^asjjMecoc sollen voumi^äwa die
propositio migor, xit nf>o^a die propositio minor be-
seicbnen. Diese aus aristotelischem Sprachgebrainfho
gar nicht zu rechtfertigende Annahme wird schon da-
durch vollkommen widerlegt, dafs ja dasselbe %^09
sein mufs, und n^itt^^v^ nämlich ix^&tt^yxov m^ßi^^
^dcfifxtog*, jenes als unvermittek, äfuaovj dfmnoißmxovj
dieses als dem Sehlufssaüe, dem Wesen oder der Et-
kenntnifs nach vorausgehend und eben darum ihn be-
gröndend. — Nr. 316. not. wird Arist. Met. Z, 17. «^
^ iexsv dv üxotxfXo9 JAX^ dpx^ erklttrt quae est natura
generalis, non particularis qiiaedam. Wenn diese Er-
klärung nicht überhaupt falsch geoMnat ist^ so ist sie
wenigstens «cbwerer zu verstehen, aU die aostoteU-
sdien Worte. ^xwxiXoy ist Element der Zusaminen-
setzttttg, materielles Princip, d^j^ hearichuet das For-
mailprincip, den bestimmenden Begriff, des x6 xi ^v
äfui. — Deir Bemerkung 331. no^. extr. canHüuUur
enim civitas non. propter vivendum, sed propter bene
vivendum genügt es, die Worte des Aristoteles ent-
gegenzusetsen MiXiq — yi^voiiivfi ^i» soü K^rj/» frcxcr,
ov€fa iixov cd C^. Polit. I3 2.
Ab ein besonderer Vorzog des Buches muts ea'
angesebn werden, dafs, während Auswahl und Er-
klärung der wichtigsten Stellen den Haupltheil der
Arbeit ausmachen mnfste, doch auch der Texte^kru
tik die gebührende Berücksichtigung geworden und an
irgend zweifelhaften Stellen Nachweisung von Varianten
und Conjecturen gegeben ist. Besonders reichhaltig ist
dieser kritische Apparat, wie sich aus den froheren
Bemühungen des Um. Preller ^erwarten liefe, iSk Pär-
menides und Empedokles« Bei liem ersterea dieser
beiden möchte indefs Referent niobt überaM den auf-
genommenen Lesartmi oder Conjecturen beipflichten. -^
Vs. 30 ist' aas Oxon. A. Joxi|tiov9 für die Vulgata do-
Kif4tt>$ aufgenommen, dazu sii^corrog für m^rxu oon-
jicirt, und danach . die Stelle »$ t^ datcovrxa XQ^ ioul--
fAOvq Uvai dti navxvg ndvxa niQärxag erklärt (Zeits. f. Alt.
1837. p. 148): denn die Bewährten {det erprobU
Denker)^ müesen durch ai/en diesen Sehern der Mei-
nungen eich völlig durcharbeitend ihren IVeg neh*
men. Weder ^diese Erklärung des Jdxif4o$ ist wahr-
scheinlich, noch die Einscbiebung des Plurals zwi-
schen siugularisohe Anrede vor und nach dtesemTerse.
447
Preller ^ hiei'aria phüoeephiae GraeeO'jR^nanae.
-Warabu nicht dontfimg -r miftBvra nach der Valgat«
mit der Erliläning:' denn durch den gerammten
'Schein >der Meinungen mufet Du auf eine an-
nehmbisre Weiee durqhdrinj^en ^ mit offenbarer Be-
-Kiefanng des 8on(fAi»g auf donovvtal — -y« 67. Wenn
hier fiir qwvai nach Buthnann's Conjectur* (sie steht
Mus. Aüt. Btud. I, I) 246.) qvv aufgenommen wird,
80 durfte dann nicht v. 131. die Form fuyiVf auf wel-
che 'sich eben jene. Conjectur gründet, in (uyijpai emen-
dirt werden. — V. 74^ Soll- anotfA^l^H %6 Uv beibehal-
, ten, und nicht eine der schoU bekannten Conjecturen,
oder anoTiifjl^H ri xb ov . au^enonimen werden, so ist
der intransitive Gebrauch der djtoriAJjyiiv zu erweisen. —
V..84. Die Conjectur des unbestimmten nj^ für das
. sinnlich anschauliche rp ist nm so weniger nöthig, da
dasselbe t^ hernach t. 106. 109. mehrmals wieder-
liehrt, die Auslassung aber des zweiten %^ im entspre-
> chenden Gliede nicht zu einer Aenderung berech-
tigt«.— V. 94. ist för ioy yaQ äv jedenfalls gemeint
4^ d' Sv. — Nicht sorgfältig genug ist bei Gorgias
nr. 191. J93. für die Kritik der sehr verderbten Stel«
len aus Arist, de Xen. gesorgt worden; es hätten we-
nigstens überall, wo, der Text durchaus nicht hefrie-
digt, die Emendationen von Fofs angeführt, oder, ge-
nügten diese nicht, durch bessere ersetzt werden sol-
len. Aber nr/193. ist der Bekkersche Text h de xal
Me^acuj yiyvoimm %i ohne Bemerkung gegeben, wäh-
rend sich, doch dief nothwendige Emendation des t£ in
de und die Aenderung ^er' Interpunction, welche Fofs
vorschlägt, dem Leser sehV leicht darbietet. Ebenso
verlangt in nr. 191. der Sinn nothw^ndig für den Text
Bckker*8 ovx' ^aji %i dvvtxilfAivov mit Fofs zu schreiben
avx eari,,Tb dptiiulfuafov. Am Ende desselben Paragra-
phen ist der gegebene Text gewifs unecht ,ovtog fcey
cvv 6 avTog Xöyog iiulvoti^ doCh Jcann^dic leichte Aen-
derung, welche Fofs vorschlägt, avvbg o hSyog, ischwer-
4ich genügen; die vorhergehenden Wortp ^fjuru rffv
nQokfjv Idtov moÖHiiv machen wahrscheinlich 6 n^atog
Xoyog. — Sonst «ind hin und wieder handschriftliche
Lesarten bezweifelt oder, geändert worden, welche
sicher stehn bleiben müssen. So Völlen Arist. Po-
, 448
Kt. 111, 7. nr. 3331 b. die Worte üVfAßatvu d' iiX6yng
ein Gloasem «ein; aber einerseits würde im Falle der
Weglassung dieser Worte das folgende yäf entweder
keine Beziehung habien, oder eben die bezweifelte, ad-
dererseits pafst diese bezweifelte ganz genau. Wäb-
rend nämlich die andern Staatsformen nach einem
Vorzüge des herrschenden Theiles benahnt sind, hat
diese keinen entsprechenden Namen, sondern^ deti allr
gemeinen Staaiy weil ein solcher hervorstehender niiil
allgemeiner Vorzug nicht vorhanden ist. In Tbeopbr.
de sensu 61. nr. 85. ist gar die Goiyeotur Ttfiaif für
{fwty in den Text aufgenommen, während der Zweck
der ganzen Stelle,, zu bestimmen, welche Eigenscbat
ten objectiv den Atomen zukommen (qpuaci), welche
nur wbjeetiv dem. Empfindenden (Ticf^), so wie^die
Worte in 63. die Lesart apvmv halten mufsten» Den
Handschriften am nächsten ^rde man in der Stelle
schreiben, d ydq dtauQi^/ SvOtv ätaatov^ ü ^al xov«
oxSjfia diaq.€gHf aradfiSv &¥' im fuyi&H rjjfr q^vaiv ^kf,
denn sobald jede* in seine UrbesiändiAeile geieiiS'
den wärrle. so würde^ ttenn sich diese auch in der
Oesiait unterschieden^ das Ocwicht in der Grqfte
seinen fiatürlichefk Grund haben*
Wenn^ Referent im 'Obigen beinahe nichts vei-
ter, als über einzelne Puncto oder über gröfsere Ab-
schnitte des vorliegenden Buches Ausstelluogcn ge-
Inacht, so darf er nicht furchten, ' dafs sein Beticht
einem Mifsverständnisse unterliegen könne. Bei ei-
nem Werke, welches so sehr das vrissenschaftiiehe
Studium der Geschichte iet alten Philosophie for-
dert, dafe es mit dem gröfsten Danke aufgenouimen
werden mufs,.und für dessen Sorgfalt und Zweckmä-
fsigkeit eine hmlängliche Gewähr in der gegründeten
Achtung liegt, welche die Herren Verfasser in der.
gelehrten 'Welt besitzen, glaubte er sich alles LobeoB
enthalten zu müssen .und hielt es für seine Pflicbt,
durch Hinweisung auf manches -unsichere, zweifelhafte
oder vielleicht unrichtige das Werk der ferneren serg-
samen Pflege der Hrn. Verf. zu empfehlen.
H. ßonitx*
^ _•
•r
wissen
\ J^ 57.
Jahrbflche
für
schaftlich
e Kritik.
September 1839.
XXVU,
Leibmtz'g deutsche Schrtyten. Herautgegeben von
Dr. O. E. Öuhrauer. Eriter Mand. Ber-
lin, I838. XX 486 und ein Anhang von Bei-
lagen in 46 JS»
Herr Dr» Guhraner f&brte aoli bei dem Fristen*
flcbaftUcfaeii PoblkxHii donah die Heraaagabe der inter*
etumtea I^eibnitz^ftcben- DiseertalioD, de prmcipio indi*
Tidtti) ein, treicke ich in diesen, JahrbüchemäDzeigte.
Er ist seitdein in Aufsnehiiqg noch anderer bisher ve*
niger beacbteter oder noch' gar nicht beransgegebenei
Leibnitz'sdier Schriften auf Reisen und bei längeren
Aufenthalten in Paris nnd Londoii unermadlich tbätig
gewesen. Als eine Fmcht solch* emsiger Bemiihun«
giSB haben wir auch die 'TorKegende Sammlmg anza-
seheny die ein lanige Torhandenes Bediirfnifs an befpi»*
digen beginnt ^ n&mlich alles das acnsamm^nzustellea,
vas Leibnits in deutscher Sprache nnd für die dent>
sobe Sprach» gesagt hat« Die Ansckaunng Leibnit-
sen's gewinnt durch Kenntnifo dieser Leistungen eine
gaox neue Seite. Wir müssen ihm, auch in sprachlW
eher Hinsieht, die tiefste Einwurzelung in das deutsche
Wesen sogest eben. Seine Yaterlandsliebe tritt hier
im reinsten Lieht hervor und seine 'Frömmigkeit hat
hier eine nnbesehre,iblieb anmplbige und kräftige Noi-
Tetftt, wie sie weder in seinen lateinischea, noch in
stinen frattUisisehen Stiften sich rerlantbaren kam.
So grobe Menschen sind unerschöpfliche Bergwerke
fifar uns klemere.' Em GescUedit nach deas andern
glaubt den letzten Sehacbt Yon ibnen ausgdkeatet sn
haben; aber siehe da, eine nene Ader glänat herror
and das, folgende Imt an ümen nene Arbeit, und neuen
Segen; W^r bätte nicht mit Leibnits fertig za sein
geglaubt, uXs Haspe 1765 die Oemres philosopUqaes
blines et frang oises, tir^s de ses manuscrits, q«i k%
c^nserrent dans la bibfioth^jue rojde k HaanoTie^
isAf». /. mmeMek. Kritik, h 1830. IL Bd.
beransgttl) % Ww bätte es nicht geglaubt, als Fedet
zu Anfang dieses Jahrhunderts im Vaterläadiscb^i Mn»
senm den Katalog des Leibnitz-'scheu Briefwechsels
abzuscbliefsen suchte 1 Wer nicht, als 1821 die Herrn
Bä/i^ Weis und JMler mdk dem Hanaovriscben Ma^
nnscript Leibnitzen's System der Tbeol^ie faerausga-
ben, das bis 1825 die dritte Auflage erlebte und tv^
welchem die Katholiken so gern den-Sdilurs aieben
woUleB, dafs Leibaifz, der allerdittgs der Versöhnung
der Confessionen so viel Zeit nnd Arbeit zuwendete,
ibpen recht eigenfCcb angehört habe, ein Factum, was
dann schwächeren und unphilesophlacheren Se^n den
Uebertritt zum Romanismus als Aoctovität erleicbtem
sollte. Aber ionnev sind wir noch nidil fertig und es
ist dien nie sich Ergebenwollen solcher Heroön der
Literatur, dies, ans dem Grab noch Hervorr^ben von
Lebensfröchten, diese auch äufsero Unendlicbkeit als
der Reflex ihrer ianereU) diese. durch keine Zahl abzu-
markende Manifeolatiott em gröfsartiger Scherz des
Geistes,, um das Volk der Philister auch so von sei-
ner UneterMichkeit und Gegenwart zu nberfiibren«
Der Berausgeber entwickelt in einer sorgfält^en,
odir getebrten Einleitung die Entstehung und chrono-
logische Ordnung der Jetzt mitgetheilten deutsehen
iSchriften Leibnitzen's. Etwas mehr Uebersichtlicbkeit,
ein schärferes Hetvorbeben der Wendepunkte^ ein noch
■whr- von dem allerdings tiberreicfaen Stoff freieres
Darstellen seiner Resaltate hätten wir wohl gewünscht
Zwei Punkte finden eine besonders weitlän^e Erörte-
rung und verdienen sie auch$ einmal das persönliche,
fiir sein ganzes Geschick so entscheidende Verhältnifs
Leibnitzen's zum Herrn v. B&meimrg^ das er ^on ei-
ner Menge berkömmlicb gewordener kleiner Cngenauig»
keiten nndlrrthüaser reinigt; und zweitens derBinflurs,
welclien der Stand, don sich Leibnitz ursprfinglich
widmete, der G^ricAUstmndj aidit niur' auf seine Aufi-
üsssung des Geistes überhaupt sdbst der Theologie,
67
451 ' ' ^Gukrauer^ LMhüx^m
sondern Tornämlich aueh auf ^ine Kenntnifa der deat-
scben Sprache und seine Fertigkeit, in ihr 'sich tref-
fend und leicht toszndrücken, ausgeübt hat. Es wird
sehr gut gezeigt, wie die praktische Schule, welche
Leibnitz als Protokonfiihrer u. s. f. gerade bei den
9äcAsüeAen Gerichten durchmachte, für seine Befreun-
dung mit der deutschen Sprache, man kann wohl noch
weiter spgen, mit dem unmittelbaren Yolkssinn von
dor grSfsten Wichtigkeit gewesen ist.
Die Schriften dieses ersten Bandes sind folgende;
aus der Jugendperiode:
1) Bedenken, welohergeetalt securitas publica in*
tema et externa und Status praesens im Reich jetzi-
gen Umständen nach auf festen Fufs zu stellen, in
zwei Abtbeilungen, im August und November 1670.
S. 153^255. Die erste Hälfte dieser Schrift verfafste
Leibnttz in drei Tagen. Er brauchte an sich als ei-
nem reichbeiadenen ' 9aum der Erkenntnifs nur zu
schütteln und die Prüchte fielen ' zu tausentlen herab»
Das Durcheinander von Deutsch, Französisch, Latei-
nisch und deutschisirtem Französisch und Lateinisch
ist in* diesem politischen Tractat am Aergsten. Dies
Macaronisch war damals unseres deutschen Reichs Di-
plomatensprache. Der Inhalt des Aufsatzes ist schon
vor einigen Jahren durch eine Mittheilung in MuhdtM
Dioskuren Veranlassung zu vielfachen Erörterungen
gewesen; namentlich wurde damals Leibnitzen's An-
sicht, dafs Frankreich Aegypten aU eine* der beäU
gelegenen Lander der Welt erobern müsse, vielfach
besprochen. Holland stand damals in der vollsten
Blüthe. Spanien beartheilt Leibnitz als bereits im
Sinken begriffen I. 4* 97. S. 201: „Spanien selbst
scUbinet anjetzo an kein Plus ultra zu gedenken« Es
hat mit Bxperimentis eines ganzen Secoli so viel be-
griffen, wie gebrechlich, wie kostbar, wie gefährlich,
wie verhasset alle weitanssehende Consilia seien, da*
durch man suspect wird, eine Herrschaft über Andere
ZU affeotiren; wie unnütz es sei, weit entlegene Län-
der in Devotion zu erhalten, wie viel Millionen ameri-
canischen Silbers in den Oceanum Germanicum ge-
seböttet worden, die kein urinator herausholen wird;
wie glücklich diese Nation sein könne, wenn sie ihrer '
indianischen Schätze ruh^ genossen hätte, wie un-
glücklich, wie arm ap Geld und Leuten sie hingegen
dnrch so viel longinqnas expeditiones worden." — An
Holland hebt er Frankreich gegenüber, das er als die
deufeehe Schriften. 452
bedeutendste Monarchie bezeichnet, die repuUicam*
eche Regierungsform besonders hervor, dnrch weldie
es, abgesehen von. der Rivalität materieller Interessen,
Frankreich stets gegen sich aufregen müsse, denn S«
243: „erstlich alle Republiken den Königen verbafst
seind, weil solclie, sonderlich, wo die Leute darinneir
ihrer Nahrung obliegen, auch Niemand mfifsig, und also
keiner Demagogie^ welche Rom und Athen verderbten,
kein Gehör gegeben wird, sich nicht leicht übern Stock
stofsen lassen, sondern die geringste Abnichme ihrer
Nahrung spüren, dawider ihnen dcna alsbald magister
artis ingeniique largitor venter allerhand Künste ond
Gegenatreiche eingiebt. -Ferner, so sind Republiken
asyla exulum, so sich bei Monarohen übel befinden;
sie machen ihren Nachbarn das Maul nach gleicher.
Freiheit, wässerig,' lassen alle Religionen zu^ so andere
neben sich leiden können; sie lassen sieh den gemei»
nen Nutzen heftig angelegen sein, sind keinen Comp»
tionen unterworfen, sind Seminaria herrlicher Ingenio«
rum, so nicht nur Galanterien erfinden und von der
Eloquenz Profession machen, senden Realitäten prä«
stiren, weii in ihrem Vaterland nichts anders ästimirl
wird, auch sie zu nichts anders erzogen. Es mangeh
ihnen niemals an Leuten, haben aus der ganzen Welt
Zulauf und würden auch, wie Jener de Essenis sagt,
gens sine connubiis aeterna sein; ja wenn sie an der
See Riegen, sind sie nicht weniger hominum, als ihre
litora fluminutn confiuges.'* — An Frankreich weifs er
die uunoärtige Politik^ „considerabler Allianzen oder
Factionen Haupt*' zu sein, sondern aueh die Ltist derw
selben „zweier Hauptinstrument, nehmlich Volk nn4
Geld" wohl zu durchschauen. S. 239: „Aber Volk ver^
stehe ich hier ituf eine etwas andre Manier als son»
sten, das ist, nicht Manns- sondern Weibs- Volk. Mit
-welchen beiden Instrumenten alle Schlösscfr sich au&
thun, alle Pforten ohne Petarde eröffnmi, auch alle
.Winkel bis in die innerste Cabinette untermerkt, auch
ohne Gygis Ring, durchkriecheü lassen. Zwar selten
wird man in Frankreich eine teutsche Daoie holen;
aber Solche, bei ihnen überflüssige- Waelre mit einer
ganzen Last ' Mode- und anhängiger lebendigen und
todten Galanterie, gleichsam als Handln ngfs weise bei
uns anzubringen, und solchen Saamen des Unkrauts
auszustreuen, davon wird nichts gesparet. Durch sol*
ches Mittel werden die Höfe und fiirnehme Familien
eingenomm^; andere^ die auch etwas sein oder wer»
43S
OtAra»$eri LMnitx,** deutaeke Sehrifien.
454
1
dei» wollen^ sa fraMfiaisober Spraehe^' Reisen, Trach-
ten neoessitiret $ überdies abe# die stets irilhrende Cor-
teapondensen in TeutsoUänd jastifiziret, die Binmi-
sobnng io die' Consilia mit dem Schein der Vorsorge
bemäafelt) die Gemöther .der fransosischea Art. ge-
wohnt geoMicht, eine Heirath aus der andern gestiftet,
die jungen Herrn bei Zeiten Ton der Frau Mutter an-
gelfthret und, mit einem Wort^ Alles zu französischem
Zweck disponirt." Auch- die JEroierungssuoAi Frank-
seichs, die er aus semer Stärke, seiner guten Admini-
atiation und monarchischen Consolidirung ableitet, weifs
er sehr gut ^u schildern S. 214 S. und S. 224 S. Die
Varknüpfung, in welche Leibnitz das Allgempine und
Emzelne zu setzen weifs, der ganz ungesMcfate Fort-
gang Yon der oniTersalhistoriscben Stellung einer Na?
tioD zu den coneretesten Particularitäten ihres Lebens,
wodurch diase Darstellungen so reizend werden, macht
es schwer, nicht noch Vieles auszuzeichnen, indessen
wollen wir uns nur noch aaf einige Hauptmomente be-
selpänken* Den Papst nimmt Leibnitz noch ganz in
sMner mittelaltrigen Stellung als ' Kirchenoberbaupt^
wie den Kaiser als Advooatus ecdesiae universalis,
als. das welitiehe Oberhaupt der Christenheit^ sagt
aber I. ^ 95, und 201 : „Also und anders nicht sind
allzeit Tcrständige Päpste gesinnt gewesen, die keiner
Arbeit und. Kosten gescheuet, wo nur Hoffnung gewe-
sen, die Potentaten zu yereinigen und zu einem bestän-
digen Ssblufs wider den allgtimeinen Feind zu bringen.
Man fasset auch aojetzo zu Rom genugsam, dqfe
durch Religionskriege nichts xu gewinnen^ dafs die
Gremuther ^nnr verbittert und die Meinungen entfernet
werden, dafs maa sich zu Friedenszeiten kennen lem^
und nicht so wUdey aiseheuliehe Ideen einer von
dem andern machcj wie man damak zu machen pflegte,
da man solcher Sachen wegen einander todtschlng,
Somma, dars endlich^ da Gott seinen Segen giebt, dur<$h
friedliebende Consilia zur christlichen Liebe und Einig-
heii In der Christenheit sich alles anlasse."* Von Po*
len und Sehwedeny aber nicht Ton Hufsland ist die
Rede, ^as damals noch gar ni$ht in der Politik mit^
sftUte$ von England mehr nur seiner ^^macht we-
gen; Ton Dänemark als einem aufblühenden Staate:
nulla iuTidia gravatur Dania ! Aber S. 198: „das Reich
ist das Hauptglied, Teutschland das Mittel von Eu-
ropa. — Teutschland ist der Ball, den ein ander znge-
worfeik, die umb die Monarchie gespielt, Teutschland
ist der Kampfplatz, darauf man um die Mebtersqhaft
Yon Europa gefochten. Kürzlich, Teutschland wird
nicht aufhören, seines und fremden Blutvergiefsens Ma*
terie zu sein, bis es aufgewacht, sich recoiligirt, sich;
yerdnigt und. allen Procis die Hoffnung, es zu gewin-
nen, abgeschnitteu.'' Nämlich Leibnitz will zur Schlich-
tung aller Streitigkeiten mi%AUia^% gestiftet wissen,
die ein permanentes Directoriom in Frankfisrt a« M;
(§• 78.)) eine Casse und eine Bundesarinee^ zu welcher
er, nach upserm heutigen Zuschnitt, aufserordentlioh
kleine Contingei^te fordert^ haben soll, um, wb die Qe*
rechtigkeit es erheischt^ interveniren zu köntaen. Die
Hauptaufgabe soll aber der politische wieder religiöse
Frieden sein, ohne dafs S. 164 die bundesverwandtea
Fürsten sich als Appendices nachschleppen lassen oder
als stumme Personen in der Comodie spielen. Die
Grofsmächte sollen sich den Schlüssen corporis foede«
rati unterwerfen müssen, „wäre sonst, wie in den Fa-
beln Aesopi, .da der Löwe mit dem Wolf, Fuchs und
Esel eine Soeietät, zu jagen, anstellte.'^ Gegen Ende
des zweiten Theils der Abhandlung weifs er mit tapfe-
rem Dringen den Willen aufzustacheki, dafs Alles nur
an ihm liege S. 254: „Man darf |ücht sagen, es sei
unmfiglich. *Nein, nein 1 Die Erfahrung hat etliche mal
gewiesen, dafs nichts als Ernst und Nachdruck erfor*
dort wird, auch inveteratissima mala abzuschaffen/'
2) Bedenken, welchergcstalt den Mängeln des Ju-
stizwesens in theoria abzuhelfen, 256 — 63.
. 3) Leibnitz an Otto yon Guerike^ Auszug aus ei-
nem dessen Bestrebungen billigenden Brief, Mainz 1671^
S. 264;
4—6) Leibnitz an den Herzog von Hannover, Je«
bann Friedrich S. 265— :88, die Antworten des Herzogs
mit eingerechnet. Di^se Briefe enthalten Nachrichten
von den Erfindungen Leibnitzen's und- eine oft sehr
marktschreierisch klingende Angabe von alk dem, was
er vermag und weifs. Altein so Charlatanhaft diese
Berichte aussehen, so ist doch nur der Umstand daran
schuld, dafs Leibnitz auf einen kleinen Raum dem
Fürsten einen Ueberblick seiner durch alle F&cher der
Wissenschaft Raufenden Entdeckungen und Revolutio-
nen geben wollte; an sich war es ja bitterer Ernst da»
mit, wobei ich bemerk^ dafs S. 282 bei der Theolo^
gia naturalis in dem Passus, wie er detnonstriren
könne, dafs mens incorporea sei, das principium indi-
vidaationis vorkommt
«
'Es folf^n bieniiif iM Sdmjk<)D Ühb der* mittlereil
Periode, mit einer* beflonderen Eioleitung.
1) LebeDslaof des ChorTdfsteii' xven HsnitOTer St'.
324 — 669 worüber iob iWeiter niobts zu sagen habe.
2) Scbrciben an dea Herausgeber der ,,Venittnft*
fiboogen" Gabriel IVagfur in Hauiburjg, 374—^3* Die«
ter Gelehrte hafte die Vemun/iku»9t oder Logilc und
M^tapbyiik sehr zurüokgesetzt und Leibaitz auch zu
Ihren Verliebtem gezählt, der sich nun gegen ihn der«
selben annimmt und zum Tbeil biographisch sein Ver-
hältnifs zu diesen Wisscnsohaften, ,,alle Kenntnisse ein^*
zniäfeM* auseinandersetzt. Es ist unendlich triTial,
Ton einen} Manne, wie Leibnitz, zu sagen, dafs er auf
allen Gebieten des Wbsens seine GründKchkeit und
Gelehrsamkeit gleiehmäfsig behaupte und doch kann
man, wenn mßn so eben in der Lectnre aus der Le-
bräsbeschreibuDg eines Fürsten herauskommt, in wel-
dher Jahreszahlen, Tagesdata^ Zahl der Kriegsmann«
'Schäften, Manöver, subtile Geneak>gieen und Eigen*
Ihumsverh<niisse u. s. f. haarklein der Gegenstand .
gewesen sind, nicht umhin, gerade Aber diese gMc/^
m^foige Geläufigkeü in Allem, ich mdchte sagen, er-
Ibllte Geistesgegenwart und Unerschro^kenbeit, zu er«
staunen. Und er hat nicht nur Bekanntschaft mit Allem,
fiondem er rüttelt auch an Allem und trägt sich mit
den höchsten Fassungen der Probleme. S. 381 .sagt
er Ton den SjUogismen: „Es ist gewifs kein Geringes^
dafs Aristoteles diese Formen in unfehlbare Gesetze
'brachte, mithin der erste in der That gewesen, der
.mathematisch aufscr der Mathematik geschrieben. Ich
habe auch etwas zur Neugierigkeit beigetragen, indem
ich wifskönstig bewiesen, dafs jede der Tier Figuren
just nur sechs gültige Arten habe, und also (gegen die
gemeine Lehre) eine. so viel, als die andere; inmafsen
die Natur in allen Dingen regulär; und dies deucht
mich nicht weniger beachtungswürdig^ als die Zahl der
regulären Kdrper. Zwar . ist diese Arbcst des Aristo«
teles nur ein Anfang und gleichsam das ABC, wie
es dann andere, mehr zusammengesetzte unä schnre« ^
lere Formen gibt." Ueber die Prftdicamente ak eine
^^Musterrolle aller Dinge in der Weh** bemerkt er S.
379, dafs die praedicabilia des Porpbyrius fSr die To«
deutsche &ekrißsn. 496
pik bei weitem nicht anaremhiBtt, ^welche nur die prao»
dicata in recto oder Benennungen, und auch die nicb
alle in sich halten, mafsco noch die Begrensong (defi*
Ditio, b^aeHng nennen es die Hollitodcr) und Einthei-
lung (divisio) liuzuzufilgen. Demi es ja auch eine
Beilage ist, dab z. B. jeder regulirter Körper eatwe«
der 4- oder 6- oder 8« oder 12- oder 20seilig sei ; aber
diejenigen praedicabilia, so da dienen pro praedicatis
in oblique oder die Quellen der Anbeilagen,^ wenn ich
so reden sollte, bat Porpbyritfs übergangen ad diese
stecken m Topieis, mafsen Ursach, Werk, Games,
Tbeil n. s. t in der That dergleiehm sein.'*
3) Schr^ben an den Herzog yon Braun8ehiPFeig<>
Wolfenbfittel, RodohF August, 401—407; enthält einen
Yorschlag zu einer Medaille, imago ereatioBis, mit ei«
ner- pytbagor£kisrrenden Arithmetik und dem Mottos
Omnibus ex nihilo duemdis sufficit. Unum. * Soldie
symbolische Spielereten waren dasMib noch an deo
Böfen beliebt; jehtt sind*s andere.
4) Bini^ ungedruekte philosophische Abbandltin-
gen. «) Von der wahren Theologia mystiea S. 410—
13. Halte ich für Ausadge ■ ans nnsermi Mystikern,
Tauler, Ruysbroek, Suso, der deutschen Theologiej
mit Zusätzen reu Leibnitz iil den Parenthesen. Leib«
nitz kannte diese alten deatsoheo Philosophen und ihre
originelle Ausdrnoksweise sehr wohL Wenn der Her-
ausgeber S. 409 sagt: ,>Der philosophische Ausdruck
ist hier auf einer für Leibnitzens Zeitalter bewnnde-
rungswftrdigen Höhe; ja es zeigt sich hier das Bestre«
beuy die philosophische Kunstsprache von allen Resten
der Scholastik völlig zu befreien , Tiel censequenter,
als bei den neueren Phileeephen^, so trifft das nicht,
denn diese schöne Sprache, die - besonders für das
Moment der JVegatümtatf wie die Hegel'sobe Termi-
nologie es benennt, an den kühnsten und schlagend«
sten Bezeichnungen unendlich reich und gebildet ist,
wurde bei ims im tnefxeknten Jahrhundert geschaffen
und sog sich Tom südlichen Rheinthal in der Diago«
nale bis zur Lausitz, wo sie im Aafong des siebzehn-
ten Jahrhunderts ausstarb« Die Turba gentium des
dreifsigjlUirigen Kriegs schwemmte sie weg» — t) Vota
Naturrecht S. 414—19.
(Der Bescblufii folgt.)
. J^ 88.
Jahi^bücher
für
wissenschaftliche Kritik.
September 1839.
'Leibnitz^s dept$che Schriften. Herausgegeben
• ton Dr. O, E.-Ouhrauer, '
/ • ^ •
(Schlafs.)
Leibnils maoht hier fo%ende Eintheilangen der
naiürUeAen. OemmucAqfty die> aus Vielen oder We-
nigen bestehend^ .einfacher oder stteammeDgeaetzter^
folgende seien:
1) zwiscben Mimn nnd ¥ViM: das menschliche
Gesohlecht zu erbalten;
2) zwischen Eltern und JSmdern\
3) zwiscben Herr, und Kneehty ^ywelche der Na-
tur gemärs^ wenn eine Person Mangel an Verstand hat,
iiicht aber Mangel an KräftoU) sich zu ernähren. Denn
eine solche Person ist ein Knecht von Natur, welcher
arbeiten mufs, wie es ihm ein Andrer vorschreibt'* u.
s. f* Nachher fahrt Leibnitz jedoch fort:, ,, Allein die
Wahrheit zu bekennen, so zweifle ich, ob ein Exem-
pel einer solchen Knechtschaft, darin der Knecht, gänz-
lich sei umb des Herrn willen, /U finden ; zumal da
die Seelen unsterblich und dermaleinst xu Feretande
kommen nnd der Gluckseligkeit jenes Lebens tfaeil-
haftig werden können* Hat also meines Bedünkens
diese Gesellschaft nur statt zwischen Menschen und
Fush» DcjDn wenn ein Mensch gleich ganz 'thumb ge-
boren und aller Lehre nnfahig, so stünde doch nicht
bei uns, ihn, unsers Nutzens willen, zu martern, zu
tSdten oder den Barbaren zu yerkaufen."*
4) Die Haushallung^ deren Absehen die tägliche
Nothdurft.
,5) Die bllrgerlic/ie Gemeinschaft, ileren Absehto
zeitliche Wohlfahrt.
6) Die Kirche Gottesy deren Absehen eine ewige
Glückseligkeit. Diese Gemeinschaft hätte nach Leib-
nitz ^,auch wohl ohne Offenbarung unter den Menschen
bestehen und durch Fromme und Heilige erhalten und
fortgepflanzt werden können. — ^ Und ist kein Wunder,
Jakrb, f. uniitMck. Krüik. /. 1839. U. B4.
dafs ich sie eine natürliche Gesellschaft nenne^ mafsen
ja auch eine natürliche Religion und Begierde der Un-
sterblichkeit uns eingepflanzet. Diese Gemeinschaft
der Heiligen ist katholisch oder allgemein und verbin-
det die ganze menschliche Gesellschaft zusammen»
Kommet eine Ofi^jpnbaruog dazu, wird das Torige Band
nioht' zerrissen, sondern verstärket,*'
Der Form nach theilt Leibnitz die .Gesellschaften in
gleiche und ungleiche, beschränkte und unbeschränkte.
e) Von der Weisheit S. 420—26. , Scheint eine
Anweisung zum seligen Leben für Fürsten und Gro-
fse zu sein. Wenn mau bedenkt, wie genau Leibnitz
durchlangen und vielfaltigen Verkehr in den verschieh
densten Ländern dieselben kennen zu lernen Gelegen-
heit hätte, wie sie ihm, als einem -allgemeinen weltli-
chen Beichtvater, oft den Einblick in die geheimsten
ihrer Gefühle und Gedanken gestatteten, wenn wir end-
lich seine gewandte uod ernste Beobachtung erwägen,
so werden wir nicht ohne schmerzliche Bewegung fol-
gendes Geständnifs unseres Philosophen vernehmen
§• 423: „W^as das für Dinge seien, deren Erkenntnifs
einen solchen glückliclien Fortgang (näpilich in Weis-
heit und Tugend) verursachet, erfordert eine eigene
Ausführung ; iuzwischen kann man sagen, dafs Niemand
leichter zu einer so hohen Staffel der Glückseligkeit
steigen könne, als hohe Personen, und doch. Niemand
in der That, wie Christus uns selbst gesag^t, schwer-
licher dazu gelange, als eben sie. J>essen Ursache ist,
dafs sie zwar viel Gutes tfaun können, aber selten ihre
Gedanken darauf richten« — Denn weilen sie stets v
Gelegenheit zu sinnlichen Ergötcungen haben, so, wer-
den sie gewohnt, ihre Freude meist in der Wollust zu
suchen, so vom Leib herrühret, und wenn sie sich hoch-
schwingen, so suchen sie doch mehr Lob und Ehre bei
Anderen, als eine wahre Vergnügung bei sich selbsten.
Daher weun die Wollust' des Leibes durch Krankhei-
teil) und der Rubm durch Ungtücksfülle abgehet, da
58
4S9i
CtuArauery IdMnitx*s deyiscAe Sehr^hn.
höret der Selbstbetmg auf und sie, finden sich unglüel(-
lidi, — Sie haben yon Jugend auf dein Trieb Sufser-
licber Dinge gefolget, vegea der Lust, so sie dabei
gefunden, zumal weil ei Anfangs etvas besohweriieh
ist) diesem Strom zu vidersteheä, hai^n aleo grojien
TAeüs die Freiheit de» OemUthe verleren. — Da-
her es ein Gröfses, venu eine höhe Person sieh selbst
auch in Krankheit, Unglück *oder Verachtung Tergntt-
get \ und zwar wenn sie sich zufrieden geben kann,
nicht nur aus Noth, weil man siehet, dafs es so sein
mufs, welcher Trost nichts anders ist, als wenn man
. einen Schlaftrunk einnimmt, um die Schmerzen nicht
zu empfinden, sondern dnrch Erweckung in sich selbst
eine grofoe Freude, so diese Schmerzen und Ungliicks»
fülle ttberwindet.'^ .
Hierauf folgen einige Oedichte S. 434-^:39, Mm da-
maligen Geschmack.
Endlich machen die, wie Leibnitz selbst sagt, in
4er Eil von^ ein paar Tagen als ein Schattenrifs eut-
worfenmis Unvorgreiflichen Gedanken, betreffend die
Ausübung und Verbesserung der teuteehen Sprache i
den Beschlufs S. 448-86. Diese waren schon öfter
herausgegeben und sind oft genug der Gegenstand ei-
nes Terdienten Lobes gewesep. Ich erlaube mir in
Ansehung dea reichen Gedankenstofl^s, den sie in sich
BohlieGscn und zu welchem sie auffordern, nur darauf
aufinerksam zu machen, dafs Leibnitz mit der gegen«>
wärtig in Schwange gehenden Erhebung unserer Spra»
ehe eis einer yär die Philosophie besondere organi*
eirten gar nicht einrerstanden ist« §• 9: „Ich finde,
dafs die Teutschen ihre Sprache bereits hoch bracht
- in allen dem, so mit den fiinf Sinnen zu begreifen, und
auch dem gemeinen Mann fürkommet; absonderlich in
leiblichen Dingen, auch Kunst- und Handwerks-Sachen^
weil nemlichen die Gelehrten fast allein mit dem La-
tein beschäftiget gewesen, und die Muttersprache dem
gemeinen Lauf überlassen, welche nichts desto weni-
ger auch von den sogenannten Ungelehrten nach Lehre
der Natur gar wohl betrieben worden; Und halte ich
daf&r, dafs keine Sprache in der Welt sei, die (zum
Exempel) von Erz und Bergwerken reicher un'd nach-
drücklicher rede, als die Teutsche. Dergleichen kann
man von allen andern gemeinen Lebensarten und Pro-
fessionen sagen, als von Jagd- iind' Waid- Werk, tou
der Schiffahrt und ^dergleichen. Wie denn alle die Bu-
ropiler, so aufin grofsen Weltmeer fahren, die Namen
' m
4er Winde und viel andere Seeworte Ton den Test*
sehen, nehm! ich von den Sachsen, Normannen, Ott^
Kngen und Niederländern entlehnt.?' Nun vermirst Leib*
nttz ein Genügen nnserer Sprache fiir Auedrüchmg
der Gemütsbewegnngei^ der TugendeaundLaMer, sri
Tieler Beschaffenheiten, so zur Sitten- Lehr- und Re«
gierungsknnst gehören; dann femer bei denen noch
mehr abgexogenen uhd abgtfeimien Erkennttmtiny
so die Liebhaber der Weisheit in ihrer Dichtkunst anf
die Bahn bringen. Dies UrtheiLLeibnitzen's ist darok
aus ungerecht, wiewohl aus seiner Zeit und.flwem
Sprachgalimathibs heraus erklärbar. Er will die deot*
sehe Sprache zwar subjectir mit ihrer ReckUehßffttk-
heit entschuldigen , kommt aber doch darauf zorüoki
dafs sie für die Logik, Metaphysik und natürliche Theo»
logie noch mangelhaft sei. f. 14. trifft er jedoch y»
der eine Abhülfe in den „geistreichen'* Schriften mwiK
rer iHysiiker. 5,Ja. selbst diejenigen, die sich etwas
zu denen Tväumen der Schwärmer geneiget, branchea.
gewisse schöne Worte und Reden, die man als güi«
deüe GefÄfse der Egypter ihnen abnehmen, von der
Besohmitzung reinigen unJ zu dem jrechten Gebraudi
wiedmen'könnte. Welchergestalt wir den Griechen usd
Lateinern hierin selbst würden Trotz bieten kdonen."
Von den Beilagen ist besonders die erste, ein kri*
tischer Excürs über den unter Leibnitz^s. Papieren ge*
fiindenen und dem Churfiirsten Johann I^iilipp tos
Mainz beigelegten Entwurf; „Politische Vorsehläg«^
wie die katholische und evangelische Kirche kn Terri*
nigen'*3 beaohtensworth.
ELarl Rosenkranz.
XXVÜL
«
Der gegemeärüge Grenzstreit zwischen Btaeft^
und Kirchengewalt aus dem staatskirchenreckt^
liehen und legislativen Gesichtspunkt erörtert
von einem norddeutschen Publicisten. HaUe,
1839. bei CA. Schwetschke. 143 ;S. 8.
Der vorchristlichen Zeit ist die Scheidung eiser
religiösen Anstalt und 'des Staats, als eines bürgerli-
chen Instituts, unbekannt; denn der heidnische Staat
umfäfste Religion und Politik nngetrennt, Jedoch in der
Weise, dafs jene von dieser beherrscht ward^ wBhrend
in der jüdischen Theokfatie, in welcher die Synagoge
» '
461
C/remutreit zwitekm Siaati-- und Kirihengmailt.
ein» ittt^prirenjei; BestandtkeH der natioiialen Gemein*
gchaft ebenmäfaig bildete ^ ^as religiSse Prineip die
Gramdlage ior - da« poKtieofae Moment herzugeben be*
sfunmt war«
Aach Christna begründete eine Theokratie, dodi
befreit Ton den Sohranken der Synagoge nqd die re-
btire Wahriieit derselben sar absoluten erhebend. Ein
Conffiot des Christenthums und des Staats konnte dar-
um auch durchaus nicht beabsichtigt sein; indessen
mufste es sofort zu einer Scheidnng kommen, da die
auf das Evangetium gepianzte Anstalt n^it ~ dem Hei-
denthume und Judenthume unTcreinbar war. Da das.
religiöse Element in beiden vom politischen sich niebl
ohne Störung oder selbst Zerstörung des Ganzen tren-
nen -lieTs, unf . der christlichen Wahrheit Eingang zu
gewähren, das Christenthnm "aber berufen war, die
Stelle der bisherigen Religion einzunehmen, mufste
das letztere, sich einen eignen Leib bildend, als Kii^
che mit dem Staate zerfallen. Die Scheidewand zwi-
schen Staat und Kirche war aber nur ein^ durch die
Zeitumstände yeranlaftte und hätte eigentlich weichen
sollen^ als die Kirche das Heidenthum des röinischen
Reichs fiberwunden und der Staat selbst ein christli-
eher geworden. Jetzt hätte Staat und Kirche, als zn-
sammengebörtge, bisher getrennte und wieder verei-
bigte Glieder des Reiches Gottes auf &den, dieses
s^bst verwirklichen können und sollen, oder wenig-
fitcDs, ungeachtet der durch die unvoUkommnen Zu-
st Ande f^ebotenen Differenzen, in der Einheit der Liebe
verbunden werden müssen. Dies geiN^h indessen nicht
-in geziemender Weis^: denn während ihrer Trennung
vom Staate hatte die Kirche selbstständig mannigfache
^Pan'ctionen desselben übernommen, welche nach der
JEleception im romischen Reiche eigentlich zu restitui«
rectal waren , aber nicht restituirt wurden , und aYidrep-
seitr behauptete der ätaat.noch aus der Zeit des Hei-
denthnms verschiedene Befugnisse^ welche zum Theil
der Freiheit des Evangelii nicht wohl entsprachen und
gänzlich hätten abgestellt werden sollen.
So war Ton vom herem Stoff zum Zwiespalt vor-
banden und * es ward ein^ Bestimmung der Grenzen
nothwendig, innerhalb deren die sich bald als Theile
Eines Ganzen anerkennenden, bald aber auch als zwei
gesonderte Institute erscheinenden Anstalten der Kir-
che, und des Staats zu wirken hätten^ Diese Grenzen
vnirden bald friedlich festgesetzt, bald im Kampfe ans-
469
glichen. Darairf weist sehen die bekannte Aenfse-
mng Constantins hin (Busebius . de Tita Constmtini
lib. IV* c. 24.) „v^ic fccr xw «Sctm xffi hn^rfilaq,' hA
di xw txrig vnh X^eou na^tat^fUfo^ inlananoq äv cwjy^
und die schönen- Worte Jostinian^s (NoveHa VI pr^
von 636) „Maxiraa quidem in hoininibus sunt dona
Dei a supema collata dementia^ saeerdotmm et im^
perinm: et illnd quidem divinis mfaistrans, hoo auteai
humanis praesidens ac diltgentiam exhibens: ex uao
eodemque . principio utraque procedentia humänam ex*
omant vitam." — •
Im Verlauf der Geschichte wechselten die Grenz-
bestimmungen, welche bis zum eilften Jahrhunderte
far den Staat, seitdem bis zum fünfzehnten Jahrhun*
d«rte fiir die Kirche weiter gezogen wurden« Eot-
scheidrad ward dann die Reformation und die nefierea
staatsreditlicheji Ansichten seit dem achtzehnten Jafaicw
hunderte. Der Kampf selbst bat aber äneh seitdem
nicht aufgehart, und wahr bleibt was Spittler im Jahr
1778 äufserte (Geschichte des kanonischen Rephts. &
6): „Der Zwist zwischen Staat und Kirche, das ewige
Dingein an dem Verhältnisse zwischen Klerus und
Laiensobaft dauert noch immer fort und wird fort*
dauern, so lange auf beiden Seiten Menschen sind, die
lieber befehlen, als sich befehlen lassen.''
Geben wir von solcher Betrachtung aus, so er*
scheint die Ansicht des Verfs. der in der Ueberschrift
genannten Abhandlung yollkoramen gerechtfertigt» In»,
dem er nämlich die neusten Thatsachen nicht als ein
einzelnes^ isolirtes Ereignife, wie etwa die Gefangen»
nehmung eines Kirchenprälaten "sein hfonte, sondern
dies Ereignifs selbst als den Anfangspunkt einer Be»
wegung auffafst, deren Motive längst Torfaanden wa«
Ten, und die immer wieder yon Neuem sich geltend,
machen werden, so wählt er als den Rahmea zur Zn-
sammenfassung der ganzen Bewegung, welche in dem
Noyember>Ereignifs zuerst ans volle Licht trat, die
Bezeichnung eines Grenzstreits, eines Proalesses, wo
die rdmiseh-katholiscbe Kirche die Stelle des Klägers
vertritt, gegen die Staatsanwalt, wie sie sich in der
Regierung des Prenfsischen Staats manifostirt und
wobei der Protestantismus acöessorisch intervenirte.
(S. 2.)
Die ganze Schrift ist somit nach der Absicht des
Verfs. eine Relation, in welcher zunächst der Leser
über die rechtliche Stellung von Staat und I^irche die
,1
463
»
Qren%$ireii xȟeAen SUMs^ und KirehengmalU
erforderliobe Yerständigiuig .erhält^ dann über die hir
^toriscbe StelluDg der dtotscfaen Staaten und Kirchen
belehrt wird, und über die Streitpunkte selbst im AlU«
gemeinen und Besondem genügende Auskonlt findet.
Es fehlt der Relation weder der gesohichtlicjie, noch
der kritische Theil, und wenn auch der Verf. mehr
nur ^ydas Urtheil Anderer Torbereiten und erleichtem'*
will (S. 15), so bat er eigentlicb doch schon selbst go-
urtbeilt. Wenn nun gleich in einzelnen Beziehungen
die Ausführung und Begründung diesem und Jenem
.bedenklich erscheinen und nicht unbedingt sollte ge-
billigt werden kennen, so wird doch kein Unbeüange-
ner das Gesammt-Ergebnifs anzuerkennen sich weigern
dürfen.
Um dies näher zu erhärten, wollen wir mit mög«
lichstent Anschlüsse an die Ordnung der Abhandlung
selbst über dieselbe beriahten, dabei* uns aber auf die
rechtlichen Principien beschränken, welche für den
Streit, objectiF gefaTst, zur Entscheidung dienen. Da-
zu lEcranlaf st uns auch schon der Vf. selbst, indem er
„nicht sowohl specielle Ereignisse" erörtern will, als
' vielmehr „die ganze Richtung, den ganzen Kampf, der
jetzt gekämpft wird, zwischen Staat und Kirche, in
aeinem Verhältnifs zu den wirklichen Rechten Beider«*'
Der erste Abschnitt giebt uns die : Orientirung, —
die. Feststellung des Terrains und der Personen des
6treits,*^es Gerichts und seines Rechts. Die katho-
lische Kir^she ist nach ihrem Besitzstande zu betrach-
ten; da dip Untersuchung über dessen Recbtmftfsigkeit
eine eitle wäre. Der Vf. ,negirt damit keineswegs den
philosophischen Standpunkt und dessen Berechtigung
in der ganzen Angelegenheit. Wie könnte denn auch
sonst ein genügendes Resultat hierbei überhaupt ge-
wonnen werden? Jetzt steht soviel positiv fest, dafs
die römisch -katholische Kirche in ihrer Einheit und
Anlehnung an den römischen Oberbischof eine Macht
ist, welche eine völkerrechtliche Stellung besitzt, un-
abhängige unabhängigen JVIächten gegenüber. Darum
ist sie aber auch demselben Rsch4 unterwürfen^ un-
t0r welchem alle andere unabhängigen Mächte ete*
hefi. Dieses Recht umfafst erstlich das Einmal Seien-
de, %ß dafs alle Staaten und Gewalten sich in ihrer
4M
Sphäre, in ihrem Gebiete zu behauptta befugt' sind.'
Dazu treteik die ausdrücklichen Gonventionen zvisches
der Kirche und den Einzelstaaten, drittens das ^e^
kommen oder die gleichförmige Befolgung einer Regel
des äufsem Verhaltens, um ihrer Wahrheit oderNolhi
wendigkeit willen. Als ein jeweiliges Herkommen e^
scheint die s. g. Praxis, die aber einmal geduldet, in
eine stillschweigende Convention übergeht, weim es
für den duldenden Tbeil Pflicht gewesen wäre, die
Rechtmäfsigkeit des Verfahrene zu bestreiten. Die
vierte Quelle duldet das Recht der EinzelstaateD, in
welchen die Kirche äufsere Befugnisse erwerben und
ausüben will. Zu diesen äufsem RechtsqueUen kommt
noch eine andere, tiefer liegende, welche die Zukonft
öffnen wird.
Die Thatsaphen des gegenwärtigen Kampfes wer-
den im zweiten Abschnitte in ihrem ZusammenliaDge
mit der früheren Geschichte erwogen, und insbesondere
auf die Zustände Deutschlands und Preufse^s nähere
Rücksicht genommen. Damit ist der Uebergang für
die folgenden Abschnitte gewonnen, welche den Kern
der Untersuchung bilden, in welche wir selbst tiefer
eingehn müssen.
D^r eigentliche Streitpunkt ist die Freiheit. Nach
ihr ringen sowohl der Staat als die Kirche. „Freiheit
ist das vernünftige Sein des Individuums, die Expan-
sion, deren die vernünftige Entwickelnng desEinzeloen
bedarf." Djirin liegt denn nothwendig, dafs keiner des
andern in seiner freiheitlichen Entwickelnng beeinträch-
tige. Entspricht nun die Kirche in ihrem Begehiea
diesem Begriffe der Freiheit f
Der in seinem Verfahren von der Curie bochbe-
lobte Erzbischof von Köln hat in seiner Schrift „über
die Religionsfreiheit der Katholiken, bei Gelegenheit
der von den Protestanten (im October 1817) zu bege-
henden Jubelfeier" und einige Monate frühes in der
Abhandlung „über Kirche und Staat" (beide erschie-
nen in zweiter Aufla|;e. Münster 1838. 8.) so genftgeod
sich hierüber ausgesprochen, dafs die Antwort suf obi-
ge Frage ohne Mühe ertheilt werden kann. Mit Recht
hat daher auch der Verf. der, hier besprochenen Aas*
führung darauf hingewiesen.
(Die Fortsetzung folgt)
Jcihrbficher
für
wissensc ha f t 1 i c h e K r i t i k.
September 1839.
0er gegenwärtige Orenzstreit xwüehen Staats-
und Kirchengewalt aus dem staatskirchenrecht"
liehen und legislativen Oe^chtspunkt erörtert
vQn einem norddeutschen Publicisten.
(FortsetzQDg.)
*
Naoh Hrn. ▼• Drösle ist unter Re%ionsfreibeil der
Katholiken zu yerstehen, die Freiheit
„eile jepe Handlungen zu verrichten, zu welchen
die Unterwerfung des Verstandes und Willens
unter die Lehre der katholischen Kirche anffor-
dort — alle jene Handlungen zu unterlassen, wel-
che mit dieser Unterwerfung im Widerspruch
stehen'' (über die Religfr. S. 9).
Welches ist nun die Lehre der Kirche? Jede T.om
Papste ausgehende YorBchrift in Beziehung auf interna
und externa, auf spiritnalia und temporalia^ auf geist-
liehe und weltliche Verhältnisse. Also auch die Be-
stimmung, dafs der Nicbtkatholjken geleistete Eid
Bicbt bindend sei, wie in c. 16 X de haereticis (V^ 7)
Gregor IX im Jahr 1235 mit den Worten erklärt „Ab-
solatos se noyerint a ^ebito fidelitatis bominii et totius
obsequii, quicunqne lapsis manifeste in haeresim ali*
qao pactp, qnacunque firmitate vallato, tenebantur ad-
stricti'^ und welche wiederholt von spätem, römischen
Bischöfen, zuletzt noch' im J. 1805 von Pius VI. in der
Instruction für den Nuntius in Wien bestätigt wurden.
(EisenscAmid römisches Bullarium U, 685.) Also auch
Festsetzungen über Sühnen grober Verbrechen durch
Geldbttfsen, in welcher Hinsicht man nur die römischen
Kauzleitaxcn vergleichen darf und beispielsweise ans
der Taxa Capcellariae Romanae ed. Francker 1651,
8. angeführt .werden mag: Absolutio pro eo, qui inter-
fecit patrem, matrem, fratrem, sororem, uxorem aut
alium consi^uineum, ^ilicet laicum, qnia si esset ali-
quis eorum clericus teneretur interfector visitare se^
dem Apostoltcam, gross. V vel VII u. s. w., und an-
Jairb, /• fffUBentcht Kritik, J. 1839. II. Bd.
dere ähnliche Anordnupgen, gesetzt auch, dafs diesel-
ben den sonst bestehenden Vorschriften des Evapgelii
ond der Staaten geradezu widersprächen ; denn : Papa
tantae est auctoritatis et potestatis, ut possit qnoqtte
leges divinas modificare {Ferraris prompta bibliotbeca
can. sub v. Papa), womit denn freilich die Aeufsemog
eines Augustin (de unitate ecciesiae c. X): „Neo ca«.
tholicis epi^copis credendum est, sicubi . forte fallimtur,
ut contra. Canonicas Dei scripturas altquld sentiant''*
nicht wolil vereinbar ist. Und wenn nun dieser Frei-
heit des Hierarchismus, einer „Tcdtschlagsfreibeit^
entgegen getreten wird, was entgegnet uns darauf Hr^^
von Drostc?-
„Die katholischen Kirchen - Obern und sonstigen
Katholiken) — welche ein Seitens der Staatsgewalt
erlassenes Gesetz, weil es in Widerspruch mit der
Lehre der katholischen Kirche steht, nicht befolgen 1
dürften, — mufsten sich zwar die bürgerlich nachthei-
lig«n Folgen, welche solche Gesetze mit ibn^ unter-
lassenen Beobachtung verbinden, gefallen lassen, aber
es ist mit der Religionsfreiheit der Katholiken unverträg-
lich, wenn es solche Gesetze giebt, odeir wenn nicht
ihre Befolgong ohne weiteres den Katholiken nachge-
lassen ist. Solche Gesetze würden die Katholiken in
die höchst drückende Lage aetzen, den Forderungen
ihrer Glaubenslehre, ihr.cm Gewissen nicht genügen,
der Kirche, Gott nicht gehorchen zu können, ohne ge-
gen die weltliche .Gewalt ungehorsam zu seinJ'
So wird uns also die Kirche und' ihre Lehre als
Gott, und der Staat als die Welt, das Verderben, die
SündQ geschildert. Auf welcher Seite kann nun aber
.wohl das Unrecht sein} auf der^ welche Grundsatz,
wie die obigen, vertheidigt, welche, wie selbst noch
eine Verordnung der Westpreursisph^n Regierung vom
12. October 1787 ergiebt, „das katholische Gesinde
vom Beichtstuhle zurückweist, weil es bei nicht katho-
lischen Christen oder bei Juden 4ient • • • und insbe-
^ 59
467
'GfMSstreit xmteien Staatt- ttnd Kirehengewait,
sondere den katholischen Wehmüttern öffentlich ond
heimlich untersagt, den jydisohen Weibern in Kindes-
ndtben beizustehen'* — oder auf der^ welcher mit al-
len Mitteln einer Anstalt, die sich ^ die Kirche, d* h.
dirStiftung des Herrn, Christi, und zwar alleinige Kir-
che -nennt^ solche unkirchlich^, d. h. ui^christliche
Handinngsweise unmöglich zu machen «sucht! Wahr-
lich difficil^ est satyram non scribere. —
Von einer Religionsfreiheit, wie die von dem Cöl-
Mr Erzbischofe begehrte, wird daher schon abstrafairt
.werden ^müssen, und nicht ohtfe Grund hält unser Vf.
•für besser noch die Bärenfreiheit. Er stellt derselben
die Freiheit der Nordamerikanischen Staaten gegeur
über, in welcher jede Kirche, jede Secte,^ jeder Ein-
zelaA sich selbst überlassen ist u. s. w., das Staats-
ieben aber anch davon völlig unberührt bleibt. Durch-
aus stimmen wir hier aber demVf« bei, wenn er die»
San Zustand nicht für einen normalen und wünschens-
werthen hält, sondern fdr die erste EdtwicklMDgsstufe
der Verhältnisse zwisdien Stoiat und Kirche und den
Twschiedenen Confessionen« Wohl uns, dafs wir über
dieseii Entwicklungsgrad fort sind !
Der Grenzstreit zwischen Staat und Kirche soll
auf dem Wege dea Rechts ausgeglichen werden. Es
ist demnach das Entscheidungsprincip an die bean-
apruchten und ^respeetive zurnckg6wiesenea t^unkte
•und Oerter anzulegen. Dieses Prinoip ist nun :
,^Pie katholische Kirche hat ein Recht frei zu
bestehn, aber ohne die Existenz und Freiheit de-
rer, die nicht zu ihr gehj>ren, beeinträchtigen zu
dürfen,! weder die Freiheit des Staats, noch die
Freiheit der anders Gläubigen" (S. &8).
^ Begegnen sich die beiderseitigen Ansprüche, so mufs
jeder Theil, folls dieselben identisch sind, sich -an der
Gleichheit des Rechts genügen lassen, wofern nicht
freiwillig mehr eingeräumt wird.
Demnach sind folgende Forderungen der Kirche
an den Staat zu beurthcilen:
V) Unbeschränkte Anerkennung der Kirchen-Juris-
diction. 2) Ungehinderter -lüintritt in den geistlichen
Stand und ausschliefsliche Selbstbildung dessen. 3^ Fe-
ste Ausstattung der Kirche. 4) Vorzüglicher Antheil
an 4er katfaolischen Jugendbildung.
Der Vf. erwägt näher den ersten Punkt und be-
gnügt sich, h^v den andern die Grenzen kurz anzudeu^
ten. Ueberall wird das Bestehen^^ mit Anknüpfung
468
an die Vergangenheit) erörtert und umsichtig und vor*
urtfaeilsfrei gewürdigt. * Das Placet — dessen Gnmd
nicht blofs Gefahr und Notfa ist, da ja auch der Staat
von Gott ist und die Obrigkeit nach der Lehre der
Kirche selbst ihr Recht von Gott herleitet *- wird
schlechthin, ohne Anerkennung der Ausnahmen bei ein-
zelnen Arten von Kirchengesetzen, gerechtfertigt, da
der behauptete Unterschied „nur ein quid pro quo ist,
umvAUes wieder zu ha1)en.'^ Die Einwürfe ircrdes ba-
aeitjgt, «als ob durch das Flacet die Einheit iea ka-
tholischen Glaubens und kirchlichen Zusammenhanges
verletzt werde , da vielmehr ohne die mit dem Plscet
verbundene formelle Publica tion das Bekanotwerdea
der Verordnungen unsichrer erfolgte und es um die
Einheit noch schlimmer stehen würde. Di^ GrcDie
der Ausübung ist hier, dafs es nicht ausarte in das
Recht; einer eignen Gesetzgebung in geistlicheD Din-
gen, nicht in Gewissensbedrängung.
Der Forderung eines unbeschränkten Verkehrs mit
Rom müfs entgegen getreten werden, insofern, derselbe
benutzt werden kann, um eine dein Staat feiadliche
Macht zu organisiren. Der Verf. fordert deshalb 0fr
fenbeit, „mit Ausnahme der Beichtstuhlsachen, ruck-
sichtlich deren auch noch niemals eine Beschränkvog
einzufuhren versucht worden ist/* Der Ansdrack)
p, Beichtstuhlaachen" ist zu unbestimmt. Nur solche Ge-
suche^ deren Gegenstand Gewissensangelegenheiteii und
an die Poenitentiaria Romana gerichtet werden, dörfefi
in Preufsen unmittelbar der päpstlichen Behörde 2Qge-
fertigt werden und die von dort ergehenden Resolutio*
nen werden der Staatsbehörde nipht vorgelegt. Asch
verdiente bemerkt zu werden, dafs die in der franzS-
sischen Ordonan^e vom 8. März 1772 statuirte Aus-
nahme rucksichtlich der Entscheidungen, welche sich
auf das forum internum beziehen und der Dispensatio-
netk in Ehesachen, in den organischen Artikeln nicht
mehr erwähnt ist .und das Verhältnifs deshalb ein im-
bedingtes geworden.
Gegen das Verlangen der freien "Zulassung pSpst-
lieber Legaten werden die Umtriebe derselben im vori-
gen Jahrhunderte geltend .gemacht. .
Was die Vollziehung aller kirchlichen Anordnun-
gen betrifft, statuirt der Verf. folgende Beschränkun-
gen: 1) die vollziehende Gewalt des Kirchetaregimenti
kann ihre Wirksamkeit nur änfsem nnter den Glänki-
gen, nicht auch gegen Andersgläubige. 2) Die Voll-
.<
m
xmtehen Staate* und Kirehengewali,
470
siehmig kirohjicher Anordnungeii kann nnr kircbliche
WirkungeD' babeQ und dem Staate keine Verbindlich«
. keit auferlegen^ sie in «einer Sphäre' ebenfalls anzuer-
kennen und aufrecht zn erkalten. 3) Die Kirche kann
ihre VoUxiehnngflgewalt nur in solchen Angelegenhei-
ten und nach solchen Anordnungen ausüben, dje dein
geistlichen Femm wirklich angehören. Endlich 4) ist
keine Staatsgewalt im Stande^ eine absolute Ungerech-
tigkeit «1 dulden^ m welchem Kreise sie auch began-
gen werden «nag. .
Wird Ton der Kirche^ dagegen.' gehandelt, so er-
folgt die Berufung auf den Scliutz des Staats (appels
comme d'abus), aber dessen Urlsprung und Ausführung
das Erforderliche mitgetheilt wird..
Speciellere' Berücksichtigung finden noch die ge-
nusdit^ Ehen und die Gerichtsbarkeit in der Kirche.
Was über jene auseinandergesetzt ist, darf hier um so
weniger noch einer besondern Kritik unterworfen wer-
den/als Referent^ in der Beurtheilung der Schrift des
Hrn. T. Anunon in den Jahrbüchern, im Wesentlichen
cn gleichen Resultaten gelangt ist und mit dem Verf»
Ton dem guten Rechte des preufsischen Gouvernements
in (Reicher Weise überzeugt ist. Insbesondere findet
er es ToUkommen gerechtfertigt, wenn der Vf. äufsert
^,die .katholische Kirche würde ihrem System nach
ganz in ihrem Rechte sein, wenn sie gemischte Ehen
soblechterdings untersagte, keine derselben anerkennen,
wollte. Inconsequent mufs es dagegen dem aufser ihr
Bteheaden erscheinen, dafasie diese Ehen, trotz dem
sie filr sündlich erklärt werden, dennoch wissentlich
tolerirt, zu etniBr Sünde . Geneiunigung erthei'lt oder
schweigt. Nur die Fiotion der päpstlichen Mächtvoll-
kommenheit vermag hier durchzniielfen.''
Einen Nebeppunkt der gegcuwärtigen Forderungen
bildet die Gerichtsbarkeit in der Kirche oder die Frage
Ton der Selbstgeriohtsbarkett der Kirche und .von der
Gerichtsbarkeit der Staatsgewalt über kircbliche Sa-
chen und Personen. Der Vf. weist daher den Umfang
der kirchlichen Befugnisse zur Zeit der grdfsten Aus-
dehnung nach und stellt dann die gegenwärtig gelten-
den, auf der neueren Staatspraxis beruhenden Grund-
sätze gegenüber. Hiernach crgiebt'sich : I) Alle öiTent-
lichen und bürgerlichen RechtsTcrhältnisse werden nur
darch die Staatsgesetze regniirt und von den dafür an-
geordneten StaatshehSrdeti beurtheilt. Folglich mufs
auch die Geistlichkeit alller Confessionen der Strafge-
waltr des Staats unterworfen sein and in allen bnrg^p-'
liehen Rechtsangelegenh^iten die Gesetze und ^as Ur-
' theil des Staats anerkennen. 2) Die. Kirche hat .über-
haupt keine eigentliche Criminalgerichtsbarkeit. Da-
gegen sind, 3) der Kirche und den darin angeordneten
Behörden alle Rechte zugestanden, deren sie für ihren
Zweck, Erreichung des Seelenheils ibreir Angehdrigen
nach, ihren Lehren bedarf. Dahin gehört, aufser der
Entwicklung der Glaubenslehre, Anwendung des Cultus
und Anstellung von Kirchenbeamten, die Aufreehthal-
tung der Disciplin oder die Ejrchenzucht, und dieEät-
Scheidung in rein geistlichen Sachen d. b. über das
Verhältnifs des Einzelnen zur, Kirche nach ihren Dog-
men und darauf' gegründeten Verfassungen. -
Hierin liegt im Wesentlichen^ der ursprüngliche und
naturgemäfse Zustand der Kirche. Dafs die dabei ge-.
zogenen Grenzeui hinsichtlich der Gröfse der Geldbu-
fsen u. 8. w«, beobachtet werden, macht die Aufsicht
des Staats nothwendig. Der Verf. entwickelt dies ge-
nauer, mit Berücksichtignng der bestehefaden preufsi-
schen Legislation, und folgert daraus, dafs dieHierar-
4sh!e, zumal in der Rheinprovinz, keine erhebliche Ein-
bttfse geFitten, sondern tielmehr an Intensität gewon-
nen habe. Auch in der Ausführung dieses Gegenstan-
des sind wir gedrungen die Umsicht und Unparteilich-
keit des Vfs. schlechthin anzuerkennen, und nur in Be-
ziehung auf Eine Aeufsernng würden wir dem Vf. bei-
zutreten Anstand nehmen, doch würde dies fast mehr
den Ausdrudk, als die Sache selbst betreffen. Er äu-
fsert nämlich S. 137:
„Zwar ist nicht zn behaupten, dafs die Kirchen-
beamten der einzelnen Rcligionsparteien an sich Staats-
diener seien; Jedoch sind ihnen zumTheil) wenn auch
nur in unweseotlichen Dingen^ gewisse öffentliche Func-
tionen übertragen, jedenfalls sind sie öffentliche Cor-
porationsbeamte, die einen bedeutenden Einflufs auf die
Moralität diss Staats haben. Sofern also diese durch
einzelne Mitglieder eines Clerus gefährdet wird ....
so mufs auch der Staatsgewalt ein Einschreiten zu-
stehen, obwohl sie es mit Schonung und nur als ein
subsidiarisches Recht ausüben mag, wenn nämlich nicht-
schon die kirchlichen Obern gegen dergleichen Indivi-^
. duen mit gebührendeif Strenge verfahren wollen.^'
Es handelt sich hier nämlich um den Ausdruck
StaaUdiefUr^ und ob den Geistlichen dieses Prädikat
l>eizulegen .sei. Das Wort selbst entspricht; ganz dem
47i LaeAmanny phUologitehe 'Ab/umdlungen v9n Clement Aug. Cart Klenxe.
472
J^ateiniscben : miaisterhim , uiiDisterialis, uod bezielit
sich darauf 9 dafs dem Staate in gewissem Umfange
von seinen Beamteten nach den^ mit dem Amte Ter-
bundenen Fonetionen Dienste zu leisten sind. -Der-
Regent selbst bat die summa ministerii, die Untergeb-
nen verwalten Tbeile desselben, wie Carl der Grofse
schon darüber treffend äufsert ,,ut quisquis in suo
loöo i^t ordine partem nostri ministerii habere cogno-
Bcatnr'' (Capitut. Jib. II. «• 3 seq.). In diese Katego-
rie fallen. dann die miuisteriales rcipublicae, eoolesiae
und palatii um des Zusammenhanges dieser Tbeile des
Staats selbst :willcn. Ein ähnliches Verbältuifs ist auch
ffir die späteren Zeiten zu behaupten und nachzqwei-
« *
sen, und bekannt ist ja diese Auffassnflg von Seiten
Friedricfa's des Grofsen« welche in den Entwurf eines all-
gemeinen Gesetzbuchs u. s. w. übergegangen. Wir
müssen daher behauptien, dafs die Geistlichen nach
preufsischem Rechte Staatsdiencr seien und wollen
dies in besondrer Beziehung auf den vom Yf. berühr-
ten Gegenstand hier jiürzlich weiter ausfuhren.
Bereits das Circular d. d. Berlin den 12. Januar
1771 (Mylius Corp. Const. M. T. V. P.I. nr.l.), wel-
ehes allen Regiernngen undJustizcollegiis das Verhalten
vorschreibt, wenn wider in öffentlichen, so geistlichen,
als weltlichen Aemtern stehende Personen eine Unter-
subhung verAnlafst wird, betrachtet die Geistlichen als
öffentliche oder .Staatsbeamte. Da später über die In-
terpretation des Ausdrucks Zweifel entstanden, erklärte
das Rescript des. Justiz -Ministerii an das Kammerge«
riebt, wegen .Bestrafung der Geistlichen und Schul be-
dienten, d. d. Berlin den 26. April 1802 (Mjlius NC€.
T. XL S. 873 nr. 26. s. J. 1802.)
,,Zti den öffentlichen Beamten -gehören alle Geist-
lichen und Schulbcdicnten, sie mögen unter König-
liöhem, oder and^rm Patronate oder Gerichtsbarkeit
stehen."
Entscheidend sind aber auch . die Bestimmungen
des allgem. .Landrechts selbst, welches Tbeil II. Tit.
IX. §. 1. die Staatsdiener in Militär- und Civir-Bediente
eintheilt und zu den letztern alle nicht im Militär-
dienste airgestellten Beamten rechnet (a. a. Ö. §. 6$).
(Der Beschlufs folgt.)
XXIX.
PhUologUehe Abhatidlungen von -ClemenM Aug.
Carl Klenxe herausgegeben von Karl Lach*
mann* Mit drei Ütetndruektafeln. 'Berlin^ 1839.
ßfieoiaueAe Buchhandlung. 196 S. gr. 8.
Der selige Kiente ging damit um, eiAe {SammluBe ftömisdi*
antiquariflcher Aufsätze herauszu^ebeo, ond hinterliets bei Nh
nem schmerzlich raschen Ende dies Vermflchtnifs seioem Frean-
de Herrn Professor bachmann. Der Verstorbene würde wib^ '
scheinlich noch einen und den andern Aufsatz' hinzugefügt,
und ge^ifs den ein\sn nicht ganz zum Schlufs getvhrten
unte^ den hier mitgetheilten vollendet haben; aber w«r
dürfte von dem Herausgeber fordern, was der Verfasser nur in
Geiste mit sich herumtrug! Das gelehrte Fublicam wird mit
Dank die Gabe so nehmen, wie sie ihm geboten wrrdeli konn-
te. Das- Händchen enthält also sechs Aufsätze,' von denen die
beideii letzten als Recensionen in litterarischen Zeitschriftei,
über KeiflTs Kömische Bürgerkriege und Dr. Wilh Rein's Römi-
sches Frivatrecht, erschienen sind. Hesonders die erslere wird
aber ihres allgemeineren Interesses wegen noch einmabl gen
gelesen werden. Eine ausführliche Kritik <^8 seligen Klenz«
über das seltsame Buch von Fr. Schulz, Grundlegung einer
Rom. Staats Wissenschaft, erschien selbständig, ist also wobl
deshalb von dieser 8ammlang ausgeschlossen worden. Von
den vier anderii Abhandlungen ist die erste nicht unerhebliche
über das Komische Gesetz auf der fc)rztafei von Banüa eben-
falls schon gedruckt erschienen, im zu eiten Jahrgang des Rhei-
nischen .Museums für Philologie u. s. f. 1828. Drei, und zwar
die ausführlichsten, sind neu, Ober, das Oskische Gesetz auf der
Kehrseite jener Erztafel, über die altitalischen Volksstämme
mit besonderer Rücksicht auf die Üeberreste ihrer Sprachen,
und über die Anlage des Römischen Lagers in Verbindung mit
den Grundsätzen der Ackerlimitation, wie sie Tornehmlich ans
den Handbüchern d€r Röniisclien Feldmesser (Gromatici; zu
entiiehmen sind. Die Gegenstände sind von Interesse, die Be-
handlung gründlich, wissenschaftlich gehalten und meistens übe^
zeugend vom Sichern zum Ungewissen und blofs Wrmuthlichen
fortschreitend. Wir hätten gewünscht, dafs die Oskiscbe In-
schrift, auf welche so viel Bezug genommen wird, i» ^ Märini,
der vielen Lesern nicht leicht zur Hand sein wird, vüllständi*
mitgelheiit wäre. Ref. hegt dabei die Vermuthung, dafs die
Magistraturen, welche Kleuze in der städtischen Gemeiode von
Baiitia findet, Cunsul (meddis ) Praetor, Censtur, Q TQuaestor;,
Ja auch Trib. pl., auf den Römischen Staat bezUgiich sind, und
dafs das Gesetz überhaupt nicht ein städtisches von Bantia,
sondern die Oskische Uebertragung einer Römischen Lex ist«
Bei der Untersuchung über die Römische Lagerung hat Kleofe
mit Recht auf die Verschiedenheit der Lagerform eines einfa-
chen und eines doppelten Consularischen Heeres aufmerksain
gemacht. Der Lagerplan, der aus Lipsius Militja Rom. bekannt
genug ist, darf nur für die eine Hälfte eines Doppeliagers ge-
halten werdeu; im einfachen Lager, welches Klenze vieüeicht
nicht ganz richtig als das extraordiuäre bezeichnet (indem er
Polyb. VI. 32, 8 als Gegensatz des vorhergegangene!! atl ein
iyioT€ ergänzt, statt der W iederholung desselben Begriffs), steht
das Praetorium und das Quaestorium iif der Mitte der zuei
Legionen, die das einfache Heer ausmachen ; wahrscheinlich \v^
di^ Via quintana den Hauptweg schneidet, der von der Porta
praetoria zur decumana führt. Doch geht diese Abhandlung
über die Römischie Lagerung in ein geometrisches und arithme*
tfsches Detail ein, welches hier aq > besprechen der. Ort «ichl
ist, vom Verfasser aber durch zwei Steintafeln erläutert wird,
Die' Ausstattung des gelehrten Nachlasses unsehi versterbe
nen Mitarbeiters ist so geschmackvoll, dafs wir mit Vergnügen
die waltende Hand auch des befreundeten Verlegers anerkenoen
C. Z.
/ ♦
^ 60. ,
Jahr bfi ch e r
.für
wis sensc haftliche
Kritik
September 1839*
Der gegenwärtige Grenxslreit ztciichen Staatt'
und Kirchengewalt aus dem staatsktrchenrecht-'
liehen und legislativen Gesichtspunkt erörtert
ron einem norddeutschen Publicisten^
(Schlofg.)
Genauer sondert die allgemeine Gerichtsordnung
TbeU I. Tit. II. 4. 43. : Geistliche, Militär- und Civil-
Beamte, woraus man iadessen nicht etwa folgern dürf-
te>- dafs die Geistlichen nicht auch Staatsbeamte seien,
denn diese genauere Sonderung bezieht sich nur auf
den Stand der Personen. AustTrücklich werden die
Geistlichen auch im Allg. Landreoht Theil II. Tit. XL
§• 19. n. §. 96. als Beamte des Staats bezeichnet«
DasLandrecbt unterscheidet die Civil-Bedienten in
mittelbare nnd umnittelbare * (Tb. H. Tit..^ 4. 69.)..
Jene stellen im Dienste gewisser dem Staate unterge-'
ordncter Collegien, Corporationen und Gemeinden. Hier*
nach würde es scheinen, als ob die Geistlichen mittel-
bare €ivildieiier seien: dem ist jedoch nicht so schlecht-
hin, denn die Verordnung, betreffend die Befreiung der
anmittelbaren Staatsdiener rem Abfahrtsgelde, d. d.
Berlin den 8. September 1801 (Mjlius NCC. T. XL
J. 1804. nr. 44. v. Kamptz Annalcn 1830 S. 181 u a.)
rechnet im 4* I^ zu denselben:
diejenigen Geistlichen und Schullehrer, welche aus
Königlichen Fonds salarirt, oder auch, ohne ein
solches Salarium zu geniefsen, ron den Staats-
Behörden selbst zu Seelsorgern, oder zur Yer-
waltnng eines SchuUmtes berufen oder bestellt
werden.
Mittelbare Staatsdiener, wefche jenes Privilegium der
Freiheit .Tom Abfahrtsgelde nicht geniefsen sotten, sind
nach %, 13. des cit. Gesetzes:
alle anderen in Diensten der dem 'Staate utit erge-
ordneten Collegiefi, Corporationen und Gemein-
den stehenden Officianten, insbesondere die Mit-
Jahrh. /. wUitnich. Kritik. J. 1839. \ II. Bd.
glieder, Vorsteher und Officianten der hohen und
niedern Stifter, Kirchen -Vorsteher u. a.
In Beziehung auf Delicto ist es aber völlig gleich-
giltig, ob jemand unmittelbar oder mittelbar im Staats- ..
dienste befindlich ist: denn jedem Zweifel begegnet
die Allerhöchste Cabinets - Ordre vom 24sten Dojpem-
her 1837 (Gesetzsammlung für 1838 S. 9),^ nach wel-
cher diß Vorschriften des Allg. La^drechts über die
Verbrechen der Diener des StaaU Tbeil IL Tit. XX.
§. 366. 504. auch auf die mittelbaren Staatsbeamten
anwendbar sind. Wegen der ff. 499 ~ 5Q4 L c. fal-
len demnach auch Kirchen- und Schulbedicnte unter
dieses Gesetz.
Hiernach dürfte die Coinpetenz der Staatsbehör- '
den auch bei den neuerdings vorgekommenen Fällen
wohl keinem gegründeten Zweifel unterliegen, und dies
um so weniger, als alle' Staatsdiener nach dem Allg.
Landrecht Tb. IL Tit. X. f. 2.
aufser den allgemeinen Untertbanenpflichten, dem
Oberhaupte des Staats besondere Treue und .Ge-
horsam schuldig, und dem- Staate noch zu beson-
,derm Dienste durch Eid und Pflicht zugethan sind*
Der dem Staate" zu leistende Eid wird aber vor dem
für den Papst und die Kirche erfolgenden abgenom-
men und überdies enthält der letztere die Clausel,
dafs darin nichts vorhanden, wa^ mit den Untertbanen-
pflichten unvereinbar ist. '
Wir Jionnten nidit umbin, diesen Gegenstand zu
erörtern^, da in den neusten Flugschriften ohne Be-
weis das Gegentheil von dem hier Ausgeführten ent-
halten zu sein pflegt«
Der Verfasser endet seine Abhandlung mit einem
Epiloge, in welchem er einige Blicke auf die neueste - '
römische Staatsschrift und die von Seiten des Staats
zu erwartenden Gesetze, als Resultate der.Berathun-
gen des Staatsraths, wijrft. Dabei gedenkt er auch
der evangelischen Kirche und fordert mit Recht, Vafs
.60 :
475
OerAardj griechische Vaeenbilder und Eiruikisehe Spiegel.
476
map sich , des christlichen Ehestandes in derselbep
mehr anneliuie. ,^Wird man erst bierin wieder stren-
ger geworden sein, von Seiten des Staats und der
evangelischen Kirchenverwaltung^ so werden auch ge-
mischte Ehen bei weitem nicht mehr so viel Bedenken
erregen^ als gegenwärtig der Fall ist.'*
H. F. Jacobson«
XXX.
Auterlesene griechische Vasenhilder^ hauptsäehlieh
' Etruskischen Fundortes^ herausgegeben von Ed.
Gerhard^ Archäologen des Königlichen Museums
XU Berlin. Erstes Heß. Tafel I— VI. Zwei^
tes Heft. Tafel VII— XII. Berlin, X839. bei
O. Reimer: *
Etruskische Spiegel, herausgegeben von Demselben.
Erstes Heß. Tafel /— X. Zweites Heß. Ta-
fei XI— XIV, XVII— XXII. Ebendaselbst bei
«
Demselben^
Unter iden EDtdeckungeo, welche im Laufe dlesea Decenni-
um^ das Ciebiet der antiken Kunstweit bereichert und im ▼oll-
sten Sinne des 'MTortes nach allen Richtungen hin erweitert ha-
ben, haben wenige die Aufmerksamkeit des Alterthumsforschersy
wie des gebildeten Publicums äberhaupt, so sehr gefesselt wie diie
Ausbeute der. in den Maremmen Etruriens angestellten Nach-
grabungen. Der wunderbare Contrast, welchen Charakter und
vBedeutung der dort gefundenen Monumente mit den geschicht-
lich bekannten Verhältnissen der Fundorte bildete, die auifal-
. lende Erscheinung , aus authentisch Etruskischen Grabstätten
' viele Tausende Hellenisch gestalteter und gedachter Denkm&Ier
hervorgehen zu sehen, die inhaltsreichen Fragen nach dem anti-
ken Völkerverkehr, di^rch welchen noran sich eben Jene Erschei-
nungen zn erklären habe: dies und das hohe künstlerische» wie
antiquarische, Interesse, welches eine so überraschende Zahl von
Monumenten Hellenischer Art und Kunst darbot, mufste noth-
wendig mehr als Jemals zu den allseitigsten Forschungen anre-
gen. Dazu geseifte sich d.er glückliche Umstand, dafs die Re-
sultate Jener reichen Funde nicht, wie wohl froher, bald zer-
streut und somit den Augen der Kundigen entzogen wurden.
Schnell und umsichtig sammelte ein Kreis von in Rom leben-
' den Forschern und Freunden des Alteilhums Jede Kunde von
Monumenten, welche aus den Friedhöfen Etruriens hervorgin-
gen; die Grtinder und Förderer des arcbäologischen Institutes,
beseelt von . dem Gedanken, Jede neue Erscheiiiung des Alter-
thums der gebildeten Welt zuganglich zu machen , erwarben
sieh das unvergängliche Verdienst, d^r Wissenschaft ein ebenso
umfangreiches als sicheres Material für immer gerettet zu ha-
ben; viele Hunderte der ausgezeichnetsten Monumente von Tar-
quinit und Vulci wurden auf Veranlassung der KönigL Akademie*
zu JSerlia unter Gerhards Augen gezeichnet und somit der For*
schung bewahrt. Durch alle diese und Shnlidie Bestrebung^ii
welche wesentlich zu einer Gesammt übersieht der Monumente
geführt, cfrhielt die archäologische Forschung eine hinläsgUcb
feste Basis, um in der ungemein grofsen Fülle und Mannichfa^
tigkeit der gefundenen Denkmaler das durch Abkunft, Techaikf
Styl und Gedanke Sinnverwandte und Gleichartige deutUiher
als bisher zu sondern und ihm in Nder Entwickelung der antikäi
Kunst seinen Platz anzuweisen. Schärfer uls bisher stellte sidi
Etruskische und Hellenische Eigenthümlichkeit heraus ;.scbirfier
Bie Uebergänge der einen in die andere ; schärfer auch die U»
terschiede des Sinnverwandten nach Zeit, Herkunft, Abäicht und
Vermögen .der Künstler. Auf diese ^Wei8e gewannen ganze
Klassen von Monumenten, welche bisher in Vergleich mit Wer-
ken edlerer Kunstgattungen mehr oder weniger fa&t nur ab
ein schätzbarer Beitrag zur Alterthumskunde gegolten, eine hö-
here Bedeutsamkeit; sie erschienen nunmehr in ihrem innigen
Zusammenhange mit der Gesammtent wickehing antiker Nationa-
lität und Kunstübung überhaupt und die natürliche Folge hie-
ven war eine immer bestimmtere Gliederung der Kunstgattnn-
gen, eine immer mehr gesteigerte Sicherheit in der Be^rtheilanf
und Behandlung des Einzelnen.
Hiedurch aber wurde dem kundigen Forscher sowohl in Be-
ziehung auf die Wissenschaft als auch in Hinsicht^ der Ansprä-
che, welche das i'ublicum an dieselbe zu machen hat, selbst
für scheinbar untergeordnete Klassen von Monumenten eine
bedeutend höhere Aufgabe als früher gestellt. Sonst, als die
Quellen für die Kenntnifs der antiken Kunstwelt noch nicht n
reichlich wie jetzt strömten, und wo es wesentlich darauf an-
kam, das jedes Mal Gefundene den Uau^ächem der Wisien-
schaft einzuverleiben, genügt esi theila einzelne Denkmäler»,
theils Massen von Monumenten, waren sie" auch in Bezug auf
Gattung,' Styl und Gegenstand ziemlich ungleicfier Natur, den
Publicum zu überliefern, und Werke dieser Art werden m der
That stets höchst schätzbar und nothwendig bleiben, sobald es
einzig und allein darauf abgesehen istf der Wissenschaft ihres
wöhlgesicherten Stoff zuzuführen. Allein Publicationen solcher
Art haben nicht nur für den Gebildeten überhaupt, senden
selbst für den Fachgelehrten mehr als einen schwerlich zu he*
benden Uebelstand; Jenen fesseln sie selten, sobald sie ihm nicht
Crestalten von hoher Schönheit bieten; diesem bleiben sie we-
gen ihrer Kostbarkeit häufig unzugänglich ; beiden aber können
sie nur einzelne Erscheinungen, nicht allgemeine und allseitigi
Uebersichten, Gesetze und Eigenthümlichkeiten einer ganxen
Kunstgattung und einer in dieser Kunstgattung vornehmlich Wr
gesprochenen Idee vorführen, und doch springt es in dieAugeif
dafs, je unermefslicher und unübersehbarer heut zu Tage die
Zahl der Denkmäler jeder Kunstgattung geworden, um so wiin*
schenswerther eine blofse Behandlung derselben sein miissei die
an einer verbal tnilsmälsig geringen und mithin dem Foblicun
leicht zuzuführenden Auswahl von , Monumenten die Entwidie-
lung und den Charakter ganzer Kunstgattungen so enthiltei
dafs einerseits die technischen und stylistischen Kennzeichen
der einzelnen Entwickelungsstufen, andrerseits die mannicbfal-
tige, eben durch den allgemeinen Charakter der Kunstgatlnnf
477
Oerhardy grieeAisoAe VasenUfder wid EtruskiseAe Spiegel.
•478
vnd dareil Fortschritte bedingte AufTassung des Gegenständig
dien im hellsten Lichte erscheine. ^ Durch eine solche Behahd-
langsweiee wird nicht nur die Ausbeute einer greisen Anzahl
einzelner fintdeckungen und Forschungen im möglichst klein-
aten Raome dargelegt und mithin die Verbreitung des Studiums
«agemein gefordert, sondern es entspringt auch daraus der
. gröiste Vortheil 'fOr dfe Wissenschaft selbst. Mufs doch in
^Werken dieser Art die Forschung fast jedes Mai alle Uaupt-
momente der antiken Kunstentwickelung überhaupt, -wie diese
aich in der besonderen Gattung ausgesprochen, durchlaufen;
lind da sie dies wiederum in steter Beziehung auf den in einer
Reihe der nach Zeitalter und Styl geschiedenen Kunstwerke
aich abspiegelnden Gedanken zu thun hat, so leuchtet ein, wie
liier Kenn tnits der Monumente, Kunstgeschichte, Mythologie und
Alterthiimer ohne Unterlaß sich gegenseitig die Hand bieten,,
durclui ringen, berichtigen und fördern, wodurch nalUrlich immer
festere Grundlagen für jede dieser einzelnen Oisciplinen- gelegt,
ein immer tieferer Einblick in die innige Wechselwirkung zwi-
sehen antikem Leben, Glauben und Bilden gewonnen, und mit-
liin die Wissenschaft selbst der Lösung ihrer höhern und höch-
sten Aufgaben 'entgegengeführt werden .mufs.
Eine solche, durch den gegenwärtigen Standpunkt der Ar-
ch&ologie fast gebieterisch geforderte Behandlungsweise antiker
Denkfiiüler erscheint in den beiden Werken, deren erste Liefe*
rung uns rorliegt. Das erstere ist bestimmt, dem Publikum
•ine auserlesene, durch Styl und Gegenstand^ gleich bedingte
Auswahl Ton Vasenbildern Torznfiihren; das andere wird eine
Reihe der interessantesten Metallspiegel der Etrusker enthalten.
. Beide Wei-ke, gleich ausgezeichnet in Beziehung auf die Wahl
der Monnmente, wie in Hinsicht des Unifanges und der Form
fler ErlSuterungen, müssen dem Freunde antiker Kunst und
dem Alterthumsforscher insbesondere ein erwünschtes Ge-
schenk sein. Wie das eine uns die bedeutsamsten Gedanken
des Hellenischen Mythus, dargestellt auf den rerschiedensten
Stufen Hellenischer Kuns/Lentwickelung, zeigt, so führt uns das
andere in die vom Einflüsse' Hellen^cher Religion und Kunst
mannichfach bedingt^ und dennoch ihre.Bigenthümlichkeit nicht
Terleugneade Gedankenwelt altitalischer Völker ein; Helleni-
sches und Etnlskisches erscheint hier auf den mannichfaltigsten
Stofen^ der Entwickelung, aber diese Mannichfaltigkeit sondert
sich nach Gedanke, Styl und Form in, leicht iibe>schauliche
Blassen, und die Anordnung, wie die Erklärung des Einzelnen,
ruht auf dem festen (gründe einer tiefen und allseitigen Kennt-
sils antiker Denkmäler, wie sie aufser dem Verfasser wohl
- nur wenige aufzuweisen haben möchten. Ueberall fügt sich
die Erscheinung der Idee; daher erscheint als einendes Priircip
mid Basis der Cyklus der Darstellungen des Mythus ; unter ihm
g:liedera sich die einzelnen Gebilde nach Zeitalter und Styl»
Und so liegt in leicht zu umfassender Reihe Tor uns, wie sich
ein nnd 4erselbe Gedanke in verschif denen Zeiten auf verschie-
dener kunsthöhe verschieden ausgeprägt, wie Ueberlieferung,
Nationalität und künstlerisches Thun einig und gemeinsam eine
und dieselbe Idee aus dem verborgenen Schoolse der Heilig-
thümer in die heitere Welt des Lebens und *der Schönheit ge-
tragen.
Besonders entgegen tritt uns diese Behandlungsweise in
den Vasenbildem, deren erste Lieferung auf vier Tafelii die Ge-
burt der Athene,, auf den folgenden den Kampf der Giganten
_ I
enthält. Von Darstellungen jenes Mythus war vor einem De^
cennium nur Ein unscheinbares Väsenbild bekannt ; jetzt zählen
wir. bereits, aiifser den von Gerhard herausgegebenen, deren
vierzehn, welche grofsentheUs aus den Gräbern von Vulei her-
vorgingen, zusammengenommen wohl die meisten von der anti-
ken Kunst erfafsten Hauptmomente jener Idee darbieten und
sSmmtlich vom Verfasser bei der Erläuterung der vorliegenden
Gemälde berücksichtigt erscheinet. Diese Darstellungen zei-
gen uns einen durch i^ocalcultus in manuichfacher Beziehung
stehenden^ Göttei*kreis versammelt um den thronenden Zeus, wel-
eher durch Hephästos und der Eilithyia Hülfe von der Athene
zu genesen im Begriffe ist. Man wird die ältesten Versuche«
diesen Mythus in Figuren zu gestalten, nicht schön nennen; der
Ausdruck der Götter ist wenig oder gar nicht geschieden; von
einer symbolisehen Kunstspraehe zeigen sich nur schwache An-
fänge, wie.z. B. ju der Gebehrde delr froh überraschten BilitKy-
ia.. Aber es spricht sich in diesen Gestalten, um mit Pausa-
nias zu reden, ein religiöses Etwas, ein noch über der Erschei-
nung schwebendes, noch nicht von ihr ergriffenes Göttliche
aus ; während andrerseits die in mannigfttchem Nebenwerke sich
ergehende Thätigkeit des Malers schon den Trieb nach anmil-
thiger Gestaltung verrSth, welche dereinst auch das Göttliche
und Uebermächtige mit edlem Reize schmUcken sollte. Bin gro-
iäe.r Theil der auf Vasenbild em erscheinenden Miiiervengeburten
gehört diesem' Style ältester Kunstübung an; doch finden sich
unter ihnen schon Darstellungen, welche durch sorgfÜFtigere
Zeichnung, wie durch die Zierlichkeit der von ihnen geschmück-
ten Gefäfse auf Fortschritte des archäischen Styles deuten; da-
hin gehört das zweite der von Gerhard publicirten Gemälde.
Aber gänzlich frei von aller hieratischen Convenienz und höchst
wahrscheinlich Nachbildung irgend eines trefflichen Werkes ei-
ner edleren Kunstgattung -erschein! das herrliche, einer Nolani-
sehen Amphora entnommene Bild auf Tafel III. und IV., dessen
lebensvolle Gestalteji uns den gebährenden Zeus, nmrihgt von
den Repräsentanten des herrschendeh Olympios und ' der mit
ihnen verbundenen Mächte der Tiefe vorführen. Auch hier noch
erinnert uns die Haup^gruppe an jene Compositlonen des älte-
ren Styles ; allein während in jener die Göttergtstalten ihre Be-
deutsamkeit mehr ahnen als schauen liefsen und das Thun des
Künstlers sich besonders in Nebenwerken erging, so tritt uns
hier im vollendeteq Styl gerade das Gegentheil entgegen: al-
les Beiwerk hat sich bescheiden der Bedeutung des Hauptmo-
mentes untergeordnet, und Leben, Charakter und Geist spricht
aus jeder Gestalt, mannichfaltig abgestuft je nach ihrer Würde
und ihrem Antheile an der Haupthandlung.
Doch ist der Werth unserer Vasengemälde nicht auf den
Umfang antiker Malerei beschränkt; es ist nicht nur diese, de-
ren Umfang und Richtung sich annäherungsweise^ in jenen an-
Gerhard^ grieehuehe VoMenbüder und Etruikuche Spiegel.
m
und im Sinne altgriechischer Kunst aufgeführten Figuren, durch
ihre daher entspringende Sinnverwandtschaft mit den in ihne«
enthaltenen Spiegein und durch ihre Beziehung auf VerhUltnisse
des antiken Lebens und Cultus sowohl für die Beurtheilung j«.
ner Kunstgattung als auch für alti tausche Kuastübung über-
haupt von hohem Interesse sind. Kine uiiab\i eisbare Untersu«
cliung über Bestimmung, Zeitalter und Ursprung dieser noch
immer, rttthselhaften Gefäfse eröffnet und bastrt die Beleachtosg
des Einzeinen und sucht die entgegengesetzten Ausicbtea, wel-
che über .diesen schwierigen Gegenstand obwalten, liicKt sowohl
zu 'widerlegen als Tietmehr zu vermitteln. Während die frühere
Ansicht) nach welcher diese Krzbehälter, wie die in ihnen est«
haltenen Geräthe, von Hause aus zum Gebrauche der Mysterien
gedient, wohl mit vollem Rechte beseitigt wird, findet In'rhard
doch theils in der^Nstur der erst relativ später den GefH-Tsen an-
gefügten Ueckeltiguren, tbtsils in dem Zusammentreffen mancher
andern Umstände Gründe genug, um eine unter gewissen Ver-
hältnissen eingetretene Verwendung Jener Kisten für den Myste-
riengebrauch nicht ganz ausseht iefseif zu dürfen ; und so besä-
l'sen wir denn in diesen schätzbaren Zeugen altitalischen Kuost-
fleifses ursprünglich nur zum Badegebrauch bestimmte Gerätbe,
welche er:it relativ später einmal in wichtigen J Lebenslagen ih-
rer Besitzer durch Anfügung bedeutungsvoller ßmblenie für den
Cultus geweiht worden, in dieser Ansicht, wie in dem hohen
Kunstwertbe der Behälter und in ihrer Verbindung mit Etruski-
scben Mctullspie^eln He^t zugleich die Begründung dej* Annah-
me, dafs die Zeitalter der Entstehung unserer Denkmäler ia
jene Jahrhunderte fallen, in welchen Griechiselie Kunstubugg
weit und breit in £trurien Aufnahme und F*orderung fand, >»o-
nach denn auch diese eliernen Kisien, obgleich -sie fast ohne
Ausnahme \f\ Latium gefunden, dennoch unzweifelliaft im be-
nachbarten bitrurien entstanden, dessen in unseren Tagen ent-
deckte Grabstätten mit ihren überraschend zahlreichen Morni-
menten von Hellenischer Art und Kunst ja kinlän^Iich beurkun-
den, wie zeitig dort ein reges Interesse "für Griecliische Kunat-
formen eingetreten.'
Diese Ansichten, welche die Auffassung der einzelnen Erz-
reus (T. Vlll; und Triton (T. IX) treten uns hier in sehr cha- - behälter bedingen und namentlich auch der ßrt^rterung über die
rakteristischer Bildung, jener als Meergreis und auf einem Hip- Ficoronische wie über die durch ihren auf bacchische Mysterien
479
apruchslosep Gebilden ausspricht; eben so schätzbar sind die
Aufschlösse, welche uns jene in Bezug auf Mythologie und auf
das tiefere VerstHndnifs von Denkmäleru höherer Kunstgattun-
gen liefern Wie für jene durch di« aus localen Cuiten her-
vorgegangenen Göttervereine, deren die Vasenbilder mehr aU
irgend eine Kunstgattung bieten, die bedeutsamsten Beziehun-
gen hervorgehen, so lassen die Gebilde der Thongefäfse nicht
selten den Gedanken erkennen, welcher irgend ein uns eatwe«
der viUlig rerlorenea oder .doch nur in spärlichen Ueberresten
erhaltenes Meisterwerk der bildenden Kunst beseelte. Die
Gewifsheit, dais der ostliche Giebel dc^ Parthenon die Gehurt
der Athene enthielt und die .jetzt gewonnene Uebersicht über
eine groXse 'Anzahl von Va$en^emälden> welche bei einer nicht
zu grofsen Manuichfaltigk<Mt m der Darstellung jenes Mythos,
auf eine ziemlich normale Umgebung der Huuptligur, d h. des
Zeus, schlieüsen fassen, mufste nothw endig zum Versuche einer
Wiederherstellung der Mitte4gruppe jenes Giebels einladen, mit
•welcher der Vf seine treffliche » Erläuterung der auf Vasenbil
dern erscheinenden Geburt dd: Athene beschliefst, und wobei
wir nur das erinnern möchten, ob nicht vielleicht für' den Bild-
hauer der Moment der herannahenden Geburt, etwa wie auf
Tafel V. der vorliegenden Gemälde, bedeutend günstiger war
als der Augenblick, in welchem die gewappnete Jungfrau be-
reits dem Hau,pte des Vaters entsteigt.
An die Geburt der Athene reihen sich zunächst ihre und
der Götter Kämpfe gegen die Giganten, xMuuumente von ho-
hem • Interesse« weil sie uns einerseits für den Verlust von aus-
gezeichneten Werken des Alterthums entschädigen müssen) und
andrerseits, da sie häufig dem hieratisch -archaischen 8tyle an-
gehören, mehr als ein Licht auf die ältere Gestaltung und Dar-
stellung des Gigantenmythus w«rfen. Die auf archäischen Va-
aenbildern immer menschlich gebildeten Giganten erscheinen
theils im Gemeinkampfe mit verbündeten Göttergruppen (T. V),
theils einzeln von einzelnen Gottheiten^ wie von Athene (T. VI),
jiiedergeworfen. Ihnen folgt das edel gedachte Bild einer Göt;
terversammlung (T VII)» an welches sich eine Keihe höchst
interessanter Darstellungen von Meergottheiten anschliefst. Ne-
pokampen reitend, dieser als Fischmensch, von Delphinen um-
ringt, entgegen. Poseidon endlich, theils in hieratischem j^tyle,
auf einer-mit weifscn Flügelrössen bespannten Biga und, wie
die ihn umgehenden Götter lehren, in Beziehung auf die Kück-
führung der Persephone gesetzt QT. X;, theils in Bildern der
schönsten Art, entweder allein einherschreitend (^T. XI, 1) oder
der Amymone (,T. XI, 2) oder der Aeihra (T. Xli) gesellt, zeigt
sich . hier in mannichfachen Abstufungen des Styles, wie der
Charakteristik und der Idee des Gottes. Das herrlich gedachte
und ausgeführte Bild, Poseidon' und Aethra, beschliefst die zweite
Lieferung dieses Werkes, dessen Werth nieht ^venig dadurch
erhöht wird, dafs die nüt ausgezeichneter Sorgfalt lithographir-
ten und nach der Natur colorirten Abbildungen auch demjenigen
Forscher, welcher fern von Monumenten antiker Kunst lebt, ein
v(>Ilig zuverlässiges Material für die eigene Untersuchung dar-
bieten. •—
Eben so willkommen, wie das so eben nur mit wenigen
Zügen charakterisirte Werk, erscheint das andere, v Jches die
Metallspiegel der Ktrusker enthalten wird. Denn einerseits
möchten sich wohl nur Wenige im Besitze A^b kostbaren Wer-
kes von Inghirami oder gar vieler diesen Gegenstand mehr oder
veuiger herührenden Schriften finden, andrerseits erfordern nge-
rade Abbildungen und Erläuterungen dieser, so -häufig von Hel-
lenischer und Etruskischer Eigenthümlichkeit zugleich bedingten
Monumente eine Genauigkeit und Umsicht, welche man an frü-
heren Behandlungen derselben häufig genug vermifst. Zweck-
müfaig nun beginnt dieses Werk mit der Darstellung der inter-
essantesten mystischen Ki&ten, da ja diese in der Regel aus Erz
getriebenen Behälter durch die Schönheit ihrer eingegrabenen
bezüglichen Inhalt höchst bedeutsame Pennacchische Kiste zam
Grunde liegen, ilürften wohl vor der Uand, lassen sie gleich
noch manchem Zwweifel Kaum, als am meisten ansprechend er-
scheinen. Sie lösen nanifsntlich die schwierige Frage nach dea
Verhältnisse, in welchem die d^n Gefafsen allemal relativ später
eingefugten Deckelgruppen zu der ursprunglichen Bestimmong
der Kisten stehen, und gewähren mithin dem Gedanicen, daf»
die eingegrabenen Zeichnungen der letzteren, ohne alle speciei«
lere Beziehung, blo.fs aus künstferischer Wahl und dem Streben
nach anmuthiger Verzierung hervorgegangen, vollen Spielraum,
wodurch natürlich auch der durch anderweitige Annahme b^
schränktere Gesichtspunkt der Deutuiis erweitert wird. Abhü*
düngen mystisi'iier Kisten, wie sie auf Denkmälern Ktniriens
und Cntpritaiiens dargestellt fr. XIX) ; Etruskische, Römische und
Grirchische Spiegelkapseln, mit und ohne^Relief (T. XX, XXI))
endlich einfache Spiegel ohne Zeichnung (T. XXII) vermitteln den
Uebergang von den Spiegölbehältem und ihren sinnverwandten
Geftifsen zu den Spiegeln selbst. So lit'gt, da auch die hier nicht
abgebildeten, aber in den Kreis der Untersuchung gehörigen 1^1^
nuniento genau beschrieben sind, dem Forscher das reicne M>*
terial, worauf unserfe Kenntnifs dieses für aititalische Kunst und
Cultur so wichtigen Gegenstandes beruht, in zweckmUfsigster
Ordnung und schätzbarster Genauigkeit vor, und fordert um >o
mehr zur allseitigstcn Untersuchung darüber auf^ als sich px
nicht verkennen- lafst, wie viele auch in Bezug auf diese Monu-
mente uns begegnende Käthsel des altitalisctien Lebens nocb
ihrer Liösung entgegen sehen. «—
J. Af A.
^61.
J ah r b fi c h e r
♦i
für
wissenschaftliche Kritik.
Octobcr 1839.
XXXL
Antiphontls orationes XV. ßecognottt, annöta-
iionern criticam et commentarios adiecit Edu-
ardus Maetzner. Beroltm\ PosnaniaCj Btdgo^
stiaej formü et sumpttbug E. S. Mittlen. 183S.
XVL u. 282 8. 8.
Bei dem lebhaften Eifer, mit dem ^ie Philologie
uiHierer Zeit sich dem Studiwn der Attischen Redner
zugewandt hat, liefs sich wohl erwarten, dafs auch An«
tipboD, der älteste der Knnstverwandten, nicht lange
mehr seinen Bearbeiter vermissen würde ; ja es könnte
befremdend scheinen, dafs ihm nicht schon längst die
Sorgfalt,^ deren er bedurfte mid werth war, gewidmet
worden ist, wenn sich dieis nicht einerseits daraus er«
kl&ren liefse, dafs die meisten der Antiphontiscben Re-
den hinsichtlich ihrer Gegenstände und ihres oratori«
sehen oder antiquarischen Gehaltes wenig einladend
riody andererseits aber daraus, dafs kritische Beden-
ken gegen diese Reden erhoben worden sind, « auf wek
die emzugeben ein Bearbeiter nicht ablehnen durfte,
aber die aber zu einer gründlichen nnd befriedigenden
Entscheidung zu gelangen nrcht leicht ist. Dafs im
Alterthume unter Antiphon*s Namen nicht weniges ror«
banden gewesen sei, was sieh der schärfer prüfenden
Kritik als untergeschoben darstellte, ergiebt sich aus
der Nachricht bei Photius und dem Vf« der Lebensbe-
schreibungen der zehn Redner: es habe Caecilius der
Kalaktfaier unter den sechzig angeblich Antiphontischen
Reden nicht weniger als fünfundzwanzig, also beinahe
die Hälfte, fär unecht erklärt; wobei wir leider duVch
kerne speeielleren Angaben belehrt werden, wie Caecilius
ftber die noch jetzt vorhandenen Stücke geurtheilt habe.
Neuere Kritiker, wie Jonsius^ Reiske n. A. haben über
diese alle cifne Ausnahme das Yerdammungsurtlieil ans*
gesprochen, jedoch ohne ihre Gründe genauer ansein»
anderzusetzeEki $ nnd wir sind geneigt zu glauben, dafs
Jahrb. /. winenich. Kritik. J. 1839. II. Bd.
auch nnter unseren Zeitgenossen gar Manche die Echt«
heit di^er Reden wohl für sehr problematisch ansehen -
m5gen, und nur deswegen mit ihrem Urtheile nicht
berrortreten , weil sie sich noch nicht g^traoen mit
fiberzeugenden Gründen auch Andere zur Bristimroung
nöthigen zu kennen* Wenigstens Ton sich seiht mufe
der Unterzeichnete gestehen, dafs er sich hinsichtlich
der Mehrzahl der Antiphontischen Reden m diesem
Falle befinde« Die beiden zwar über den. Mord den
Herodes und über den Tod des Choreuten, die einzi«.
gen, welche ohne Zweifel wirklich vor Gerieht gehal-
ten worden sind, dem Antiphon abzusprechen findet er
keinen hinreichenden Grund ; die Tetralogien dagegen '
sammt der Declamation gegen die Giftmisclierin sobei-
nen ihm, je öfter er sie liest, desto unzweifelhafter
einen an Geist nnd Geschick Tiel geringeren Vorfas»
ser za verrathen, ohne dafs er jedoch für jetzt es un*
ternehmen mächte, den Beweis seines Urtheils gegen
Andersdenkende auszuführen. Hr. Maetzner bekennt
sich zu der entgegengesetzten Ansidit, wo er denn
freilich keiner ausHihrlichen Rechtfertigung seines Ur-
theils bedurfte, eben weil bis jetzt noch keine Gegen«
gründe vorgebracht waren, die er zu widerlegen gehabt
hätte. £r begnügt sich deswegen in der Vorrede zu-
nächst die ahen Grammatiker nachzuweisen, welche
Stellen aus den vorhandenen Reden ohne Andeutung
eines Verdachtes der Unechtbeit citiren. Die meisten^
derselben hat schon Ruhnken in der.diss. de Anti*
phonte angeführt ; doch f> Hr. M. noch einige hinsu.
Strenge genommen könnte man freilich sagen, dafs
unter allen jenen Citaten eigentlich nur zwei sind, eine
bei Harpocr« tt. d. W. ocynien und im Lex. rhet. p.
3&, das andere bei Snidas u. d. W. zaraXa/9«»r, von
denen sich mit Gewifsheit behaupten läist, dafs sie
aus den Tetralogien sind (11^ 3, 11. o. H, 4, 11.)$ die
übrigen alle beschränken skh auf einzelne Ausdrucke^
die sich »war nllerdings in den Tetralogien finden, die
61
483 Antiphonlii oratioues
aber gar nicht so selten sind, dafs sie nicht auch an-
derswo bei Antiphon inehcpials hätten yorkomnien kön-
nen. Zagegeben indessen^ es beziehen sich alle jeae
Citate wirklich auf die Torhandenen Tetralogien : eine
auf Untersuchubg beruhende Ueberzeugung der Gram-
matiker Yon der Echtheit dieser ist doch daraus nicht
abzunehmen 9 sondern höchstens nur etwa dies, dafs
' ihnen nichts über ihre Dnäcbtheit bekannt geworden;
und auch dies nicht mit Sicherheit. Denn so wenig
wir heutzutage bei gelegentlichen Anführungen unech-
ter Schriften es immer für nöthig halten, die Unecht-
heit ausdrücklich zu bezeichnen, eben so wenig thaten
dies jene Alten, bei denen deshalb ja auch gar nicht
80 selten ein und dasselbe Buch bald mit dem Znsatz
f* yv^üioq bald ohne diesen angeführt wird. — Ein
zweites yon Hrn. M. für seine Ansicht geltend gemach-
tes Argument ist die Uebereinstimmung, die er zwi-
schen den {Jrtheilen der Alten über den Charakter der
Antiphontischen Beredsamkeit und den Torhandenen
Stücken wahrzunehmen glaubt. Indessen sind jene Ur-
' theile so sehr in allgemeinen Ausdrücken ausgespro-
chen, dafs sich aus ihnen unmöglich eine deutliche Vor-
stellung der Antiphontischen Eigenthümlichkeit gewin-
nen läfst; und wenn wir auch einräumen, dafs Einzel-
nes in den Torhandenen Dcdamationen sieh finde, wel-'
ches die Ton den Kritikern dem Antiphon nachgerühm-
ten Eigenschaften besitzt^ Scharfsinn in der Erfindung
>md Geschicklichkeit in der Behandlung dürftiger Stoffe,
so iehen wir uns doch nach andern Eigenschaften, z.
B« nach dem fii/iOog, welches Hermogenes Jhm beilegt,
Tergebens om^ und finden überdies, neben dem was
wir als anerkenuungswürdig gelten lassen, eine nicht
geringe Anzahl Ton Stellen, wo wir nicht umhin kön-
nen, den Gedanken unrichtig und yerkehrt, den Aus-
druck unpassend und unklar, die Sprache uncorrekt
an nennen , so dafs wir sie dem Manne , Ton dessen
Geist und Talent Thucydides mit so grofser Achtung
spricht, unmöglich zutrauen dürfen. — Als drittes Ar-
gument, freilich mit dem Geständnifs, dafs es Man-
chem nicht Tiel za bedeuten scheinen werde, fuhrt Hr.
M. eine gewisse Aehnlicbkeit mit Thucydides an, die
sich yielfiiltig in Constructionsformen und Ausdrücken
zeige, und die er, wie er sagt, in seinem Commentare
gehörigen Ortes besprochen habe. Rec. hat den Com-
mentar genau genug durchgesehen, aber er erinnert
sich . nicht dergleichen darin gefunden za haben, es
Ed. Maetxher. 4SI
müfste denn die S. 162 stehende Bemerknog sein über
x6 &viioviiifov tTjg yvdfAfjg, JUulia Aae g&nu9 apud wm
gut Antiphonte mugütro tuus est TAueydüiem. Die
alten Kritiker sprechen Ton keiner weitem Aehalicb*
keit zwischen beiden, als dafs der Styl des einen wie
des andern znm yivoq avaxf^hv gehöre, wobei offenbar
im Einzelnen ,die gröfste Verschiedenheit stattfinden
kann. Der Styl der Dedamationen aber scheint hob
nicht sowohl jenen Charakter, als Tielmehr nur des
der Unoorrectheit und des Mangels an Kunstfertigkeit
an sich zu tragen. Uebrigens den Thucydides fiir An*
tiphons Schüler zu erklären, hätte Hr. M. nach Krfi*
gers Untersuchungen billig Bedenken tragen sollen. —
Wenn wir nun auch die angeführten Argumente far
die Echtheit der Autiphontischen Dedamationen k'ei»
peswcges für triftig gelten lassen können^ so soll doch
damit Hrn. M. kein Vorwurf gemacht sein. Denn, wie
wir schon oben bemerkten, da bisher fioch. keine be-
stimmten Grüude für die Uuechtheit Torgebracht wer*
den sind, .durfte Hr. M. sich im Glauben an die Echt-
heit bei jenen wohl beruhigen, und wir machen aodi
gar keinen Anspruch darauf, diesen Glauben durdi
unsere Bemerkungen erschüttert zu haben. Aber veim
sich ein der Sache gewachsener Mann die Mühe geben
wollte, jene Dedamationen in Hinsicht auf Inhalt und
Sprache mit ähnlicher Schärfe und Genauigkeit a
durchmustern, wie es z. B. Wolf mit den Ciceroni«
sehen und neuerlich Meier mit der Andocideischen ge*
gen Alcii^iades gethan hat, so zweifeln wir nicht, dab
die Unechthcit sehr klar zu Tage kommen werde, nnd
wir halten uns überzeugt, dafs Hr. M. selbst, wenn
er späterhin eininal diese Untersuchung TOtnehiies
sollte, seine jetzige Ansicht aufgeben werde.
Wenden wir uns nun zur Charakteristik des für
Texteskritik und Interpretation in der gegenwärtigen
Ausgabe Geleisteten, so erkennen wir mit Vergnugeo
an , dafs Hr. M. die Hülfsmittel , die ihm zu Gebete
standen, mit besonnenem ürthell und tüchtiger Sacb*
keniitnifs gebraucht habe. Für die Kritik konnte er
aufser den tou Bekker initgetheilten Varianten noeh
die CoUation einer bisher unbenutzten Oxforder Hand-
schrift benutzen, welche manche Vorzüge Tor ailea
früher TCrglichenen besitzt und hiu und wieder einige
Lücken unzweifelhaft richtig ausfüllt, obgleich freUich
an andern Stdlen sich Auslassungen in ihr findeffl, ivo
die übrigen Handschriften ToUständig sind, und Fdüer
485^ AHtipA9ftti4 oraiianeM
wo Jone das fUolitige haben. I«i Allgemeinen aber sind
gHifsere Verderbnisse ,' namentUeh AiTslassnngen ein-
lehe» oder mehrerer Wörter und Umstellungen gan-»
aer Sätze» allen . Handschriften gemein ; und gerade
diese Art von Fehlern ist in ihnen auffallend häufig.
Wenn wir linn anoh mit dem Urtheile des Herausge-
bers hinsichtlich der Wahl zwischen den Lesarten der
?erschiedenen Handschriften uns im Ganzen vollkom«
men einverstanden erklären mQssen, so sind lins doch
einige Stellen aufgefallen, in welchen wir die Oxforder
Udschr. mehr, als von Hrn. M» geschehen ist, beräck«
sichtigt wfinschten. So würden wir z. B. L §• 10. fiir (^A-
ooroy ijOäif]<ta noijaaaü'ai ohne Bedenken ßaaavop roiaitrp^
ifi. n. geschrieben haben, da das Pronomen in der Lesart
der Ozf. Hdscbr. xoi avxijpf deutlich vorliegt, und dem
Zosammenhange der Stelle wohl angemessen ersdieint,
obgleich dieser durch eine auch von Hm. M. bemerkte
Löeke im vorhergehenden §. etwas verdunkelt ist. In
denselben §• 10. würden wir vor dvayualot das Sub-
jekt ^ iiMtij vas weder die Oif. noch eine andere Hand-
schrift anerkennt, wenigstens eingeklammert, am lieb-
itea aber eine Lücke beseichnet haben. Denn es ist
ganz klar, dais ^ iUfi nur eine verfehlte Ergänzung
des Ausgefallenen sei, mag sie nun vom Herausgeber
der Aldina selbst herrühren oder aus den von diesem
besatzten Handschriften genommen sein. Das ausge-
fallene Wort ist aber gewifs kein anderes als 17 j^ccaa-
T9^ was auoh Hr. Sauppe in dem uns so eben zuge^
kenunenen ersten Hefte der von ihm obd Hrn. Baiter
besorgten Gesammtausgabe der Reduer angenommen
bat. Denn mit Hm. M. ^ iUi^ als die personificirte
Gerechtigkeit, die Göttin Dike zn fassen, ist schwer-
lich weniger unmöglich, als mit Hrn. Klotz 4 ßcuravo^
BBS dem Zusammonhauge zu suppliren. Auch in der
R. über Her. Erm. §. 13. möchten wir r^v diu^y was
dert/od. Ox. nicht anerkennt, für eine hier freilich
nickt unpassende aber doch unnöthige Ergänzung hal-
ten, und in dersdlben Rede ^ 15. ^ durfte das inl tot
Mwtl^Qu^ des Cod. Ox. dem inl r& novfjQotata der
fibtigen Handschriften vorzuziehen sein, da der Cgm-
parativ in Redensarten dieser Gattung angemessener
lud gewöhnlicher, ja, wenn uns uosere Erinnerung nicht
trftgt, ausBcbliefslich üblich ist, und Verwechselnngen
der Comparativ- und Superlativformen in den Hand-
schriften nicht selten vorkommen. — Im Allgemeinen
trägt übrigens das kritische Verfahren des Herausge-
Xr. Ed. Maetxner. ^ 486
bers einen entschieden conservativen Charakter, and er
beuiöbt sich mitunter die überlieferte aus der Aldina '
geflossene Lesart auch da au retten, wo die Hand-
schriften selbst nothwendig zu einer Aenderung aufl^or«*'
dem mufsten. So z. B. bat in der angeC Rede f. 12.
die Aldina: oS^ aiy aixhq äniatov^ xatiaTfjaag natQikO^fov
fovc vofAovQ Hai Xi/tov X^^rai aurotg (nämlich roZg Ji*
itaaxaZg) x^v a^v naQavofiiav «gtiaato ytvia^ai avxSv XfSv
vdfAmVy wo Hr. M. selbst an dem Xiyoiv Anstofs genom-
men hat, aber es doch zu erklären versucht. Die
Handschriften alle haben daftir tiye, und Uycov erscheint
deswegen nur als eine verfehlte Emendation dieser
allerdings . offenbar falschen Lesart; aber u/t h&tte
dennoch eher als jenes in den Text gesetzt zuwerdea
verdient, weil es leicht zu dem richtigen fuhren konnte,
was wohl nichts anders als o!h ist. Ich sehe, dafs
auch Hr. Sauppe dies erkannt hat, aber noch yt dazu
setzt, was mir weder nöthig noch angemessen zu sein
scheint. — In derselben Rede §. 44. hat Hr. M. die
unverstlindlichcn Worte, xai jx^ noil^ yt nXiov ayvo-
klv Sffxi v6xx(»Q ^ (AiO'* fiiii^av^ in* dxxTjg ij uaxu nokiv an
eine andere Stelle in §. 45. versetzt, zu welcher Art
von Verbesserung die Kritik beim Antiphon nicht sel-
ten veranlafst ist; aber wenn er nun die Worte, ^o
wie sie da sind, ftir richtig hält, so können wir ihm
darin nicht beistimmen. Der Zusammenhang wurde an
dieser Stelle einen Gedanken fordern, wie ihn Hr. ]M.
im Commentar ausdrückt: multo faciliu% erratur #»
imprudentia peecatur etc.; aber wie nolXio nXio¥.
iyvoiXv Boxiv diesen Gedanken ausdrücken könne, ist
uns nicht klar. Liest man dagegen die Worte an der
Stelle, wo die Ausg. u. Hdscbr. sie haben, so Ober- .
zeugt man sich leicht, dafs freilich dyvotXv nicht rich-
tig sei; aber man wird alsbald auf dxovitw gefiihrt.
Indessen dürfte hiermit allein der Steile noch nicht
geholfen, sondern in derTbat eine Versetzung nöthig ^
sein, nicht freilich dorthin, wohin Hr. M. die Worte *
gesetzt hat, sondern hinter den in der vulgata unmit-
telbar folgenden Satz xai — ix xov nXoiov, Da auch
der den in Rede stehenden Worten in der Tulg. unmit-
telbar voraufgehende Satz mit Iv x^'nXoup schliefst,
so konnte ^dieser Umstand leicht ein Versehen der Ab-
schreiber veranlassen. Sodann aber scheint auch ttal
ft^p aus dem einen Satze irrthümlich in den anilern
gekommen zu sein, und der Redner die ganze Stelle
so geschrieben zn haben : ino 9a ivbg dvdQbg äno&ri^
487
mtaiv ovre ärsKQäytv ovx^ aiia^ijaiv oidefilavinoitiaip otfrc
toig ii^ ty yji oiln xotg Iv TJf vXoitö ; y.ai fi^i^ iVi iyqjiy^
f6tav qaffiv hßi^vai %hv av8^ in toV nXoiov^ nai noiXa
nkiov yt (oder noXX^ im nXiov yk) dtouuv fau rvxtmff ^
^^' fl^^v X. T. X. — In derselben Rede §• 10. dürfte
weder das handsebriftlicbe (fiaai Si ai x6 %i dnoxuintv
Ikiya xaxovgyfifia ilrai noch auch die Lesart der älteren
Ausgabe avT6 tc — das richtige sein, sondern aixo
^ yi^ — ^. 38. will Hr. M. die handschriftliche Lesart,
u>; ovH aXfiOTj xljv alxiav ineqt^of fjv (Sovxo, durch die
Bemerkung schütten, dafs otofiat oft soviel bedeute als
arrogo mihi, conor, audeo, weshalb man denn hier nur
imqdQuv hinzuzudenken habe, und der Sinn sei: daji
die BescAtildigU7igy die sie vorzudringen sicA^ unter'
fingen^ nicht wahr eei. Aber oka'&ai ist keinesweges
geradezu synonym mit xoXfiävy sondern es wird, wie
fiykXoi^aty voui^Hy und unsere Ausdrücke gedenken^ mei-
nen^ im Sinne luiben^ nur dann von der Absieht^
dem Unterfangen gebraucht, wenn es damit entweder
gar nicht zur Ausführung gekommen, oder, falls es
-dazu gekommen, doch nicht sowohl dies als yielmehr
nur die Absiebt yorzugsveise Gegenstand der Darstel-
lung ist, wie z. B. in der Ton Hrn. M. angeführten
Stelle Demosth. Mid. §. 71, ö xvnxnv avxdv vß^iC^v
äixOf der Sehlagende hatte die Absicht ihn zu bc'
schimpfen. An unserer Stelle dagegen ist keines von
beiden der Fall, sondern es kommt eben darauf an,
nicht dafs sie 4ie Beschuldigung vorzubringen gedacht,
aondern dafs sie sie wirklich auch vorgebracht haben,
und Dobrees Vorsdilag ^r ifximxo scheint deswegen
höchst beifallswerth, zumal da sich auch die Entste-
hung der Corruptel so leicht erkiftrt. Die zweite übri-
Antiphontis aratiöt^es 'XV» Ed. Maetxner.
488
liehe Vermutbung aufstelle, sondern ob 7ch direkte
Beweise meiner Schuldlosigkeit beibringe. Hierauf fot
gen nun die Worte : h xovtm ovv avaixU^ An, ovh iu9
lAff iltvQ(0 6'rq» xq6nto dq.av^i iaxiv (jif^^) iv^^^ aU' li
fnii -Jt^odfi-AH fioi fAfjdir äax* dnoxxiZvdi auxor, die nadi
Hrn. M. den Sinn haben sollen : non rei gestae imd^
tia sed ipsa innocentia reddet me inco/umem. Aber
zu geschweigen dafs- dralxiJi; dfn nicht heifst ineolu'
mis sumy so ist doeh offenbar das Nichtwissen too
einer Sache, was als Beweis der Schuldlosigkeit die-
nen kann, etwas ganz anderes, als was ^\ S^vfuf^
nicht ausfindig machen^ ausdrückt. Mit lUv^ be-
zeichnet der Redner die durch Muthmafsung und Nach-
forschen gefundene Erklärung über das Yerschvinden
des Herodes; und eine solche nicht ausfindig gemacht
zu haben, konnte in der That so wenig gegen ab für
seine Schuld etwas beweisen, so dafs nicht einznsehn
ist, was er hier damit wolle. Richtig aber und dem
Zusammenhange entsprechend ist der Gedanke ^ veno
er fortfährt :^ Meine Schuldlosigkeit nun besteht dam
{iv xovxfo ovv dvaixiSg dfu, in Beziehung auf das ton
hergehende i^aQKiixw iftavxiv ävalxiov dnoitZlai)^ nicht
wenn ich das Verschwinden des Mannes erJtl&ren
kanny sondern wenn ich an seiner Ertnordung kei-
nen Theil habe. Mithin ist das ^17 vor S^tiQfo zu til-
gen. — §. 84. beruft sich der Angeklagte zum Beweiee
seiner Schuldlosigkeit auch darauf, dafs nie irgend
ein Zeichen göttlichen Zornes ihm und seinen Mitrei-
senden widerfahren sei, und beweist durch Zesgeii,
dafs sie überall sich glücklicher Fahrt und günstiger
Zeichen zu erfreuen gehabt haben. Dann folgt: A pa
i(AOV uaxtfAaQXv^ovv ol /ui/^ri/pcg, Sg xi dvoatov ytyhrfW
gens der von Hm. M. angef. Stellen, or. in Neaer« ^ifnou naQovxog — nioxtv xijq sdxiag xavxfjv Sy octt^isthrfif
§. 35., ou% <o( ^txo ^yanaxOf gehört gar nicht hieher;
denn hier drückt cpero nicht die Absicht, sondern die
Binbildung aus. — Auch die Vertheidigung der Worte
lav ^^ ifivQw, §. 66. derselben Rede, scheint uns ver*
fehlt. Der Gang der Argumentation des Redners ist
hier dieser: die Gegner Terlangen, ich soll zum Be-
weise, dafs ich den Herodes nicht ennordet habe, sein
Verschwinden aus irgend einem andern Grunde erklftr-
liöb machen. Gegen diese Zumuthung sagt er nun:
unmöglich dürft ihr Richter meine Freisprechung da«
▼on abhängig machen, ob ich hierüber eine wahrsefaein*
dniipaivof, xä afjfuUt xit dno xäp ^kSv. Mit Recht müuD
Dobree an df6aiov Anstofs und schlug dnaiaiov vor. Hr.
M. versucht jenes zu schützen durch die Erklftmsg:
nefarinm factum, piaculum commissnm, sacra polkrti)
navigantes contaminatos esse. Die» alles kann freiÜeii
in droaiov liegen; aber hier zeigt der ganze Zosaili*
menbang, dafs nicht von Handlungen des Sprechers^
sondern nur von solchen bei seiner Anwesenweit {fy^
naQifxoq) vorgefallcnep Dingen die Rede sei, aus'wel*
chen sich der Zorn der Götter erkennen iiefse ; und sokhe
Dinge können nicht aroaia, wohl aber dnaiaia heih^. -
(Der Besehlufs folgt.)
Jahrbuch
e r
für
wissenschaftliche Kritik.
October 1839.
Antiphaniü oratione% XV, JRecognoritj annoia^
tionem cnticam et commefitaribs adiectt Ednu-
ardus Maetzner.
(Schlafs.)
Dah im folgenden ^ 85. der Satz a2juai ik xai vfuSy
anoyffinfioaaOai Terdorben lei, bezweifelt gewifs Hr. M.
lelbst nicht, und der Ton ihm luitgetbeilte Erklttntngs*
versuch eines Ungenannten ist so verfehlt, dafs er im-
mer h&tte unerwähnt bleiben dürfen. Von den beiden
VerbessernogsTorscfalägen, des Stephanus, welcher dno^
^ifi^iifaa&ai in anotimtfioiai^atj i^im in i\iiwv zu Tcrwan-
delO) und davor v/rni»* einzusetzen rietb, nnd Dobree's,
welcher blofs oJJMa« in deoftai. geändert wissen wollte,
giebt Hr. M. dem enteren den Vorzug. Aber abgese-
hen von der bedenklichen Fnturfonn änoxffjqiatai^at fax
inwffrffitia&ai, dergleichen freilich Hr. M. auch anders-
wo in Schutz nimmt, ist auch der Plural 17/icSy an die-
ser Stelle durchaus unstatthaft, wie sich Jeder bei
genaoerem Nachdenken selbst fiberzeugen wird. Auch
Dobree's Vorschlag genügt nicht, theils weil das nal
hier ganz bedeutungslos sein würde, theils weil man
den Genitiv zu ano^iiqiaaaüai ungerne vermifst. Wahr-
scheinlieli sind hier wie öfter mehrere Worte, wohl eine
ganze Zeile der Handschrift ausgefallen, und der Red-
ner sehrieb etwa folgenden Gedanken, wenn auch nicht
dieselben Worte: oJiiai di nai ufim [avt&y üma dtXp vfca^
ifiov] aiioi/«i7<yiaa<r^at| /Weither Gedanke dem Zusammen-
hange ToUkommen gemäfs ist. — Mehrere der kriti-
schen Bemerkungen des Herausgebers beruhen auf gram-
matischen Ansichten, denen wir nicht beisthnmen kön-
pm. So erklärt er z. B.die Stelle, äoti fiiiöiv fioi iv-
OtJidi li^di nkiof tZrai /cij^' airoqpc^/JrTi, de caed. Herod.
|. 16., für keiner Yerbesserupg bedürftig, obwohl er
gesteht, daTs ihm eine andere Stellung der Worte, äoxi
fifide nUow fiof fiiT^er thon fiJ^d' dnoipvyAm besser ge&l-
len würde. Bei genauerer Erwägung des die Häufung
Jahrb. /. wuitMtck. Kritik. J. 1830. II. Bd.
der Negationen im Griechischen veranlassenden und
rechtfertigenden Principes dürft'e es klar werden, dafs
hier nur die letztere Wortstellung zuläfsig, die der
Handschriften aber entschieden falsch sei. Dfigegen
^. 6., 4ra/Kfi ii ntvdvvivovxa ntgi airttp xai nov xi xai t^a^
fiaQTiXr,' wo Hr. M. an dem wiederholten xal Anstofs ^
nimmt, und vermuthot, dafs ein Infinitiv, wie etwa &c-
nXrix&l^rou ausgefallen sei, durfte keine Aendemng n^
thig sein. Denn wenn freilich auch der Unterzeichnete
keine* andere Beispiele von uai nov xal zur Hand hat,
als nur solche, wo das erstcre xai copnlativ, das zweite
intensiv ist, die, wie Hr. M. richtig bemerkt, mit der
vorliegenden Stelle nicht verglichen werden kCnnen, so
findet sich doch eine ganz entsprechende Wiederho-
lung der CoDJunction, und zwar gerade wie hier, nach
Participien öfters in xai dij Kai, z. B. Herod. IX, 89»
*u4Qjdßa^oq de q>iv/mv ix liXarauwy xai örf xai n^Scto lyU
nro, und audi sonst ist uaL in nicht sowohl copnlati-
ver als vergleichender und folgernder Bedeutung nach
Participien causalen und couditionalcn Sinnes nicht
selten, auch wohl mit dta zusammengesetzt, wie nqi^
XiQOP xiiya^möop ytrofurop x^ta tlrai aoqov xfif^ wo denn
immer noch ein intensives hinzutreten könnte, x^ra cZ*
tai xai aoqoy xQ^t und wenn bei Antiphon x^ra xai i^a^
l»a(futv stände, wurde dies nicht ftir sprachwidrig an-
gesebn werden können. Ebenso möchten wir auch §•
88. in dem Satze, oniau ylytitai rSv dixm ivjtxa toS
ipoYOv no)iv itac^i^oYxA idviv ^ xai inl to»; äiXoig, das
von Hr. M. eingeklammerte, von Baiter und Sauppe
geradezu. ausgemerzte xai in Schutz nehmen, obgleich
es sich allerdmgs in der Parallelstelle de choreut. §. 6.
nicht findet. Hr. M. selbst handelt S. 213. über xai
nach ovöiv %i fiälXow ^', ov nXiov tj^ ovx ^aaov ij u. dgl.,
welches aich nicht anders verhält als das xai nach
jfioio^, o avtog u. dgl. ; nnd da nun noXv dtoififfmp fj nai
dem Sinne nach mit ov% S(AOtog, oder ov toioSto^ olog
xai zusammenfällt, so wird sich auch das xai dort auf
62
491 AntiphQHtU oratiotMM
gleiche Weise wie auch hier (um den Cräcismus aüob
im Deutscbcu Dacbzobilden) fiiglich erklären lassco.
Uebrigens gebührt der graininatischen Partie des
Coinmentars das Lob der gröfsten Sorgfalt und Ge«
pauigkeit Hr. M. zeigt überalt nicht nur, dafs er sich
mit dem Besten, was in neueren Commentaren und son-
stigen grammatischen Schriften enthalten ist, Tollkom-
men bekannt gemacht, sondern dafs er auch selbstän-
dig und geschickt beobachtet und gesammelt habe.
Man findet deswegen eine nicht geringe Anzahl schüts«
barer Bemerkungen über Ausdrücke und Structurcn,
namentlich den Sprachgebrauch der Redner betreffend,
in seinem Commentar vorgetragen, und diese zweck«
mäfsig bei solchen Steilen angebracht, wo sie wesent**
lieh zur Vollständigkeit der Erklärung gehören, mit
Vermeidung unnöthigcr Weit-Iuuftigkeit oder lästiger
Wiederholung geringfügiger und hinlänglich bekannter
Dinge. Doch hält der Unterzaicbnete es ittr zw.eckmIU
fsig auch aus dieser Partie Einiges auszuheben, wo er
gegen die Ansichten des Hrn. M. Einwendungen zu
machen Jiat. . Wenn S. 201 gesagt wird, dia^fiqi^tai^ai
proprie plures dicuntur de eadem re viritim suffragia
ferentes, quamqpam etiam singuli dui\f9m;[QtaOat dici
possunt, so mufs Hr. M« die Anwendung des Wortes
ton Einem für einen der eigentlichen Bedeutung wideiv
sprechenden Gebranch, also für einen Mifsbrauch an-
sehn, wie es denn auch in der That wäre, wenn es
sich mit der eigentlichen Bedeutung, so wie Hr. M .
angiebt, verhielte. Aber wie in Siai^^ivuv, SiaXafißdvnr,
dtaöixaC^v und ähnlichen Wörtern die Präposition nicht
.dies andeutet, dafs von Mehreren über Eine Sache,
sondern nur, dafs zwischen verschiedenen Ansichten
oder Behauptungen entscbiedea werde, gleichviel, ob
von Einem oder von Mehreren, so ist es auch bei Acri/ij;-
(pß^^cu derselbe Fall, und die Präposition drückt hier
nichts anders aus, als was in dem deutschen Verbum
liegt, das Scheiden und Sondern. — * Die Worte, 'de
caed. Her. f. 13., hov ijv (aoi nai ngoaxkrj^ivu fA^ iX&itrf
sollen nach Hrn. M. soviel bedeuten, als toto^ iiJjp fiot
nth Dies ist aber nicht möglich, und wasHr« M. an-
führt, um ioror in der Bedeutung pari modo, pariter zu
erweisen, ist von unserer Stelle wesentlich verschieden.
Depm dafs bei verbis wie (uvijfitv^ KQtmXv und andern,
die einen Thätigkeitsbegriff enthalten, das iaov^ wenn
es sich auch mit einen^ Adverb vertauscheir oder durdi
ein Adverb^ ttborsetien lälst^ dooh in der That* nichts
JTJp: Ed. Mäetxner. 492
anders al» ein innireM (cf. ad Ivae. p. 369) oder wie
Andere es nennen absohUes Objekt der Thätigkeit aus*
drücke, und also z. B. iiawimv SSjoy ol ^toi m^axom
ebenso aufzu fassen ist, wie ^ ^^^oq laov dvravm io §.
4S. dieser Rcfdc, wird Hr. M. gewifs nicht verkenneii,
und dann auch sich überzeugen, dafs an unserer Stelle
der Ausdruck laov ^v (loi nichts anders besage, als e$
war mir glelchviely tnaehte keinen Unterechied^ gsm
wie das vorhergehende litiSiv diifft^n woraus sich ancli
die richtige Auffassung des folgenden Infinitiv titMOi
ergeben und die Bemühung, eme Verbindung wie ^9
(für iirjv) i^Xvai zu vertbeidigen, als uunöthig erschei*
nen wird. Zu den Worten §. 17», ovwi diMQdlarto
Toc/ro iiari (i^ iyytvia&ai iaoi noi^aou sagt Hr. M. : acoih
sativum rovvo e verbo noiTjuai pendere memineris, wo*
rin zu liegen scheint, dafs er touto niobt mit ^i&rpci-
Sffiro verbunden wissen wolle. Richtiger würde er ge-
sagt haben, dafs touto auch zu noujvai hinzugedaebt
werden müsse; denn der Coastruction nach hängt es
in der That von danQoicnfro ab, und wir baben hier
eine attractionsartige Wendung, wie z. B. iyt^ ovrov
inoirina tSati dol^i Tovxip •*- nmvQua^iu^ Xen. Anab. 1,
6, 7. oder im Lateinischen, faeis me ut vif^ere vdm^
Plaut. Rttd. 1, 4, 24, U ipiumjucimm ut depwUre^
Pseud. 1, 2, 79. u. dergl. mehr. — Die Worte f. 7ö.|
fl itohg fjuaQti rljg ifjuti^ag yp»i/ifjgy erklärt Hr. M. c«nm
tas {Jtityl.) exeidit vestro sujfflragiß, was idi nicht
recht zu verstehen bekenne. In den von Hm. M. zuff
Vergleichung . angeführten Stellen bedeutet der An^
druck, wie überall, die Meinung JemandeM tferfMm^
-eich über seine Meinung jirren\ und so will aadi
wohl hier der Redner nichts anders sagen, als dafs die
Mitjlenäer die Gesinnung der Athener gegen sie «fl*
richtig beurtbeilt, ihnen schlimmere Absichten geges
sich zugetraut haben, und deshalb znm Abfall verleit«!
worden seien. — In f. 93. war bei den Worten 17/otH
^ivij r^¥ TifAto^tav ol fjytuv raitfjp %w metßijfuitwir keio
Anstofs an dem Artikel vor numolav zu nehmen. Jik
von Hm, M. angeführten Gelehrten lehreii nnr, «d
welche Art Stellen wie rifimQtav ^hv xaixifp ta €^
klären und zu beurl heilen seien; nb^r eben aus im
richtigen Beurtheilnng solcher Stellen geht horvoT) dafti
wenn ausgedrückt werden soll, nicht, Mee trifft üb
als Strafe seiner VergeAeny sondern, dies trifft ih
als die {gebührende verdiente) Strafe j der Artikel
nicht nur nicht befremdend sondetii nethwendig sei-
493 AtUipkoniiM. oratianes
Was eiMilich dio SacherkläruDgea betrifft, «0 bat
flrich ür. M. itiit grorsotn FieiTse bemübt, zum Ver-
stäodnirs der Beziehungen auf Reobt und Gerichtswe-
sen das Erforderliche aus den vorhandenen Hälftsmit*
teln so Toli8tftndi($ und deutlich als mdgiJch beisubrin-
gen. Selbstständige Forschuugen auf diesem Gebiete
Bcfaeint jßT eben nicht angestellt su haben, weshalb
denn auch nicht alle hieher gehörigen Fragen ihre
genügende Erwägung oder Erledigung gefunden ha*
ben. Eine kleine Naehlese, soviel sich' jetct gerade
darbietet, mag hier nicht am unrechten Orte sein.
Rcc. beschränkt sich indessen lediglich auf die beiden
Reden, welche allein für Antiphonlisch gelten dürfen,
mit Uebergehnng der werthlosen Declamationen. Bei
der Rede über Herodes Ermordung war zur Vervoll-
ständigong der Relation über die fuctischen Verhält«
nisse auch dasjenige zu beachten, was §. 61 ff., frei-
lich nur sehr kurz nnd unvollständig, über Lykinos an-
gedeutet wird. Es läfst sich daraus entnehmen, dafs
dieser, wohl ein Mitylenäischer Staatsmann, mit dem
ermordeten Herodes in feindseligen Verhältnissen ge*
lebt nnd um irgend ein strafbares Beginnen desselben
gewafst habe, wegen dessen er ihn hätte bei den Athe-
aisohen Gerichten belangen können; ferner dafs in
diese Ans^^®"'*^^^ ^^^^ ^^^ Sprecher der gegenwär-
tigen Rede auf irgend eine Weise verwickelt gewesen
sei, und dafs diese Verhältnisse die Angehdrigen des
Herodes veranlafst haben, den Verdacht des iMordes
auf ihn und L>kinos zu werfen. — Auch was §• 62
gesagt wird, dntatiQH de avxip U^äv xai ooioov u. s« w«,
hätte eine kurze Erläuterung verdient. Es bezieht
sich nänilicb auf die Strafe, die den Ljkinus als An* ^
itifter des Mordes getroffen haben würde, wenn er
ßoyliiamg vcrurthcilt worden wäre. — Weshalb, wie
es §. 20 beifst, Herodes mit den Sklaven, die er für ein
Losegeld losgeben, ' und mit den Leuten, die dieselben
löskaufen wollten, nach Aenos gereist sei, dürfte sich
Sttsckwcr erratheu lassen. Es waren wohl jene Skla-
ven entweder durch Seeräuber oder in Folge kriegeri-
scher Ereignisse in Sklaverei gerathen; ihre Angehö-
rigen hatten sie in Mitjlcne im Besitz des Herodes
aufgefunden, aber nicht die nothigen Geldmittel zn ih-
ler Loskttufung dort; deswcgeu bewogen sie den Be*
iitzer, mit ihnen und den Sklaven nach Aenos zu fah-
ret, wo sie entweder ihre Heimath oder wenigstens
disponible Fonds hatten, um dort sein Geld in Em-
• Ed. Masitner. 494
pfang zu nehmen und ihnen die Leute auszulieferu. -^
Bei §• 10 wäre über den Strafantrag des Klägers et-
was genauer zu sprechen gewesen. Die Worte, näm-
lich tifirjaiv fioi tnoitjaaVf anano^cofkbp %ov poiaov HUfii-
vov können für sich allein betrachtet nur zu der Mei-
nung -veranlassen, dafs der Strafantrag nicht auf den
Tod gegangen sei$ damit stehen aber die Aeufsernu-
gen §. 16. 59. 91. 94. 95. im Widerspruch, und es ist
daher anzunehmen, dafs allerdings auf dio Todesstrafe
angetragen worden sei. Wenn es nun aber dennoch
§. 10. heifst, die Gegner hätten fiir den Ermordeten
weniger gethan'als das Gesetz, so mufs man beden-
ken, dafs während in der eigentlichen 8U^ q^ovov, die
die Kläger, nach der Behauptung des Angeklagten, an-
zustellen verpflichtet gewesen wären, der Tod den
Verurtheilten als unvermeidliche gesetzliche Strafe traf,
dus T«/i^f4a in der dtiayayij tcanov^/ou nur ein Strafan-
trag war, von dem der Kläger auch i^ieder ablassen
konnte, gegen den dem Beklagten eine Gegenschätzung
zustand, und an den die Richter nicht gebunden wa-
ren. Also traf auch den Verurtheilten die beantragte
Todesstrafe nicht unbedingt, und es blieb ihm die
Möglichkeit, sich wegen einer milderen Strafe mit dem
Kläger abzufinden $ wie denn auch der Sprecher an
einigen Stellen zu verstehn giebt, dafs es im gegen-
wärtigen Falle darauf abgesehen, sei, ihm Geld abzu-
nehmen* -^ Hinsichlich der Behörde, vor welcher diese
Sache ia Athen zu verhandeln gewesen sei, wollen wir
beiläufig noch der Vermuthung des Hrn. Prof. Seil
(die Rccuperatio der Römer S. 113) gedenken, welcher
sie an eigene i^Kaaxäg dn6 avfißdkoDP verwiesen wissen
will; doch verargen wir es Hrn. M. nicht, dafs er sie
mit Stillschweigen überging, auch wenn sie ihm nicht
unbekannt geblieben war. — Zur Rede über den Tod
des Choreuten ist in der Inhaltsangabe die Aeufserung
S. 248, indiciorum Atticorum ordine sub anni exitum
capitis quemquum arcessi vetaute, in dieser Allge- -
meinheit ausgesprochen nicht richtig. Sic gilt nur von
den Jixat; qionxaZg, aber es gab aufser diesen eine
Menge von Capitalprocessen, worauf sie keine Anwen-
duug leidet. <— In der Anmerkung zn §• 19. behau*
delt Hr. M. die Frage^ wie es zn erklären sei, dafs
der Sprecher ßovXtvattog belangt worden, da die Geg-
ner doch selbst einräumten fi^ in nqavoiag fAfj8' ix na«
faGHivTji; ytvia&at xhv. ^avatop %^ naidif eine ßovUvaig
aber ohne nfopoia und naQaaxtvti nicht wohl denkbar
495 Awtipk^Hiü oratioheM
sei. (In den Worten des Hrn. M^ yuaeum n^Jyota
aique nagaüniv)! nunquam c^nmnetas sinty ist^
vie der Zusammenhang deutlich zeigt, f$on hinter
nunifuam ausgefallen.) Die Lösung dieses Wider-
Spruchs zwischen der KInge und der Einräumung des
Gegners, die Hr. M. vorträgt, ist folgende Mm^iffoecit-
tium verum vidüse statuas oportet^ gut Ind. lecti.
BeroL kib. 1826—27 p. 7. tum hoc largüot esse
aceusaiores eretb'tj ytmm reconciUari vellent §• 38.
39« auf maligna verborum^ quae eoram üsdieiSus feee-
rä>it adversarü^ interpretaiione usum esse reum exis-
times necesse est. Nach beiden Annahmen vijkre also
dem Beklagten wirklich eine böse Absicht, ein dolus,
vorgeworfen worden, und dieser Vorwurf enthielte den
eigentlichen Grund und Kern der gegen ihn anhängig .
gemachten yg* ßovXivatmQ. Liest man dagegen die Ver-
theidignngsrede, so findet man in ihr keinen andern
Vorwurf berührt und widerlegt, als nur diesen einen,
dafs der Knabe den Trank, der seinen Tod zur Folge
gehabt, auf Geheifs des Beklagten zn . trinken voran«
lafst worden sei; von einer bösen Absicht aber, die
ihm dabei zugeschrieben worden, ist nirgends die Rede,
und jene Einräumung der Kläger,* dafs er keine böse
Absicht gehabt habe, wird ganz schlicht hingestellt,
ohne dafs auch nur mit Einem Worte^ der Wider-
spruch, in den sie dadurch mit sich selbst und ihrer
Klage gerathen seien, bemerklieb gemacht würde. Es
durfte also wohl eine andere Lösnng gesucht werden
müssen; und die einzige, die sich finden läfst, ist un*
seres Bedunkens diese, dafs wir den Begriff der ßov*
Xtiaig selbst nicht in dem strengen Wortsinne, wonach
allerdings n^Jrota und 7TaQoioxtv}i dazu gehören, son«
dem in weiterem Umfange fassen. Wir meinen näm-
lich, dafs nach Attischem Gerichtsgebrauch die /Qaqti
^ ßovhiafcoq nicht blofs gegen den Anstifter einer> an
sich tödtlichen und den Tod bezweckenden Handlung,
sondern überhaupt gegen den Anstifter einer solchen
Handlung gestattet gewesen sei, die, ohne geradezu
tödtlich zu sein und ohne selbst den Tod zu bezwecken,
dennoch zufällig und durch Hinzutreten unvorhergese-
hener Zufälle den Tod zur Folge gehabt hatte. Eine
solche Handlung ist nämlich denn doch in so fern Ur-
sache des Todes, als derselbe ohne sie nicht würde
eingetreten sein, und folglich > ist auch der Anstifter
\ Ed. Maetxner. 496
solcher Handlung ebenfalls in so fern an dem Tode
Schuld. Es kann doch sein, dafs ihm, wenn gleich
keine böse Absicht, kein dolus, so dpch eiue culpa,
eine Unvorsichtigkeit zur Last fällt, weil er eine Hand-
lung veranlafste, die, wenn gleich an sich nicht tödt-
lich, doch unter Umständen tödtlich werden konnte.
Soli er nun deswegen gar nicht zur Verantwortung go-
zogen werden können? — Ich denke^ wir müssen eine
yif. ßov\iiotmQ auch gegen solche culpa statuiren. Ein
schärfer und strenger ausgebildetes Recht als das At-
tische würde nun freilich noch genauere Bestimmungen
über den Begriff der culpa fordern, und in einem FaHe,
wie der vorliegende, würden etwa die Vorschriften der
Medicinalpolizei dabei in Betracht zu ziehen sein $ aber
dergleichen gab es in Athen schwerlich, und die Er-
mittelung der culpa und der Imputabilität blieb in je-
dem einzelnen Falle dem Ermessen der Richter über-
lassen.
Rec. hat schon oben die vielen schätzbaren Eigen-
schaften der Arbeit des Hrn. M. anerkannt, und er
wiederholt • diese Anerkennung, mit Vergnügen -nach
diesen klemeu Ausstellungen, die den Werth der Ar-
beit im Ganzen nicht herabsetzen sollen. Wenn auch
Hr. M. nicht alles für seinen Autor geleistet hat, was
zu wünschen gewesen wäre, so hat er sich doch sehr
schätzbare Verdienste um ihn erworben, und gründli-
che Kenntnisse, besonnenes Urtheil, gewissenhaften
Fleifs überall auf erfreuliche Weise bewährt, und w«f
dürfen von seinen künftigen Arbeiten auf diesem Felde
uns noch manchen dankenswerthcn Gewinn verspre-
chen. — Auch die äufsere Ausstattung des Bnches
verdient vieles Lob. Papier und Druck sind vorzüg-
lich ; bedeutende Druckfehler sind uns, aufsor der oben
erwähnten Auslassung des non^ nicht weiter aufgesto-
fsen als de choreut. §. 6, 8 tvaißtia für aaißkia. De
caed. Herod. §• ^*^9 ^ viehi in Text und Varianten
tvQiniOi (für «üno^io^) nicht blofs bei Hrn. M«, sondern
auch bei Bekker, aus dem es auch in die Ausg. yon
Baiter und Sauppe übergegangen ist. Es ist also wohl
kein Druckfehler, sondern Fehler der Handschriften i
wir wuudern uns aber, von Hrn. M. nichts darüber be-
merkt zu finden.
Schömann.
\
JW 63»
Jahrbücher
für
wi s s e n s c h a f 1 1 i c h e K r it iL
October 1839. -
xxxn.
Lehrbuch der Unitersälgeschichte zum Gebrau-
che in höheren Unierrichtsanstallen von Dr.
Heinr. Leo. Ister Bd. ^ Halle^lSSo. (liwette
Auflage 1839.; 600 S., 2ter Bd. 1836. VIII u.
478 S., 3ter Bd. 1838. 618 S. ■ '
Zweitor Artikel«
Wir haben unsere Kritik des vorliegcoden Wer«
kes tchoD im ersten Artikel vomeboilicli von theologi-
schen Gesichtspunkten ans entnommen, indem ons die
itets an den Tag gelegte, u[iewohI nooh wenig durch-!
gebildete religiöse Tondens desselben eine solche Bo«
baadlung sa fordern und zu rechtTertigen schien ; und
so richten wir, indem wir jetat mit dem Hrn. Verf. tu«
iftchst in die mittlere Geschichte ebtreten, unser Avl*
flsnaierk wiederum hauptsächlich auf die Weisen, in'
doMO er die allgemeinen Wesenheiten und Mächte der
EiseigBisse bespricht. Hiernach fällt gleich ron Vomen
heran der glänze erste §• des 2ten Bandes, worin die
gttmanische Welt von ihrem ersten Auftreten bis auf
Ksd Mart^Us Zeit geschildert ist, aufscrbalb des
Zwecks unseres Berichts, obwohl Jedermann bekannt
ist, dab die historischen Ehren des Hm. Verfs.« einem .
grofseo Theile nach gerade auf diesem Felde liegen. —
Bekannt iat sodann schon aus dem früheren ,,Lehrbu-
che der Gesebichte des Mittelalters," wie Hr. Leo fiir
dieselbe die ethnographische Methode fiur ungeeignet
erklärt and dagegen die Behandlung nach den allge«
mehieD geistigen Potenzen, welche die Völker des Mit-
telalters auf die gleiche Weise bewegeli, ins Werk*
gesetal hat; eine Methode, die wir durchaus billigen
virden» wenn sich damit nicht sogleich deutlich gonog
die später offen dargelegte Absieht verbände, die Be«
•ondemiig und ludividualisirung der chrisUiehen Sab*
Maas in dfia coacreten Volksthiimlichkeiten EiilK>paa
JßM. f. wUnMch. KrUik. J. 1830. II. Bd.
seit der Reformation als Abartungen zu bezeichnen,
wegen welcher Bemerkung uns die heftige Aeufserung
Bd. 2, S. 475 uicht treffen kann* Wie wir nebmiich
den Hrn; Verf. gesehen haben aus dem Bluthenaltet
des gridcliiscben Lebens sich zuräckscfanen in dessen
Vorzeit, die Welt „der sittlichen Schränken,*' und sich
nur freuen seines Untergangs als des Mittels, zur Stif*
^ tung des Christenthums vorwärts zu kommen, so hat
er im Vergleich mit der ersten substautiellen Periode
der christlich - geruianischcn Geschichte an deren zwei»
ter kein Gefallen, und wenn er ,^Mittelalter und neue-
ste Zeit zusammenhält und den Jammer und die Greuel,
den religiösen Unverstand so mancher Zwischenzustände,
selbst so mancheV Zustände unserer Zeit im Gegen-
sätze des Mittelalters beklagt'' S. 477': so findet er
seine Erhebung über diesen Schmers nur in der „reli*
gfösen und politischen Reaction der allemeusten Zeit,''
und in abstracto darin, dafs „an einen Krebsgang der
Kirche und der Menschheit noch Niemand geglaubt
hat, der an Gott und Christum glaubte.''
£s kann bei dieser Grundansieht indessen sogleich
vermifst werden, dafs die Entwicklung der ehieu Haupt-
macht des mittelalterlichen Lebens zu der Form ihrer
grdfsten Wirksamkeit, nebmiich des christlichen Kir-
chenthums zur päpstlichen Hierarchiey von dem Hrn.
Verf. nicht noch in streogerer Weise als Entwicklung
durch die immanente Nothwendigkeit der Sache aufge-
fafst, sondern mehr nur empirisch und praginatisch
durch Aneinanderreihnng der einzelnen, blos geschieht-
liehen d. b. 4uroh einander bedingten und somit nur
relativ nothwendigen Facta geschildert ist. Es rfihrt
diefs ohne Zweifel nur von seiner genauen Anschlie-
fsung an Gieseler her, dessen kircheDgeschiehtlicbea
Werk bekanntlieh durebans in dieser pragmatischen
. Methode gearbeitet ist : denn dafs Ur. Leo in der ge*
eeblossenea Gesetzlichkeit des kalholischen Systems
poch etwas Anderes^ als das bkfse Resultat endlicher
63
• I
499
Leo^ Lehrbuch der UniverHUgeMchichte. (^Zweiter Artikei,')
500
Factoren erkennt , dafür brauchen w die Zeugnisse
nicht erst vol sammeln. Es kommt aber durch diese
Weise der Darstellung in dieselbe ein Schwanken des
Drtfaeils, das nur auf wahrhaft welthistorischem Stand*
punkte, auf welchem die einzelnen liistorischen Erschei-
nungen als Momente der Totalität des geschichtlichen
Proccsses gerechtfertigt erscheinen^ fiberwunden wer*
den kann, während die suhjectlv-moralische Ueberzeu-
gung, wenn sie von sich aus den objcctiven Gang, der
Geschichte rechtfertigen will, nofhweudig znr Willkür
und Parteilichkeit werden maU* Sie kann die Anklage
d.arauf nur vermeiden, wenn sie mit dem Aussprechen
ihres Urtheils snruokbleibt und mit dem Anscheine der
Güeicfagiltigkeit sich blos xefcrirend verhält, d. h. mo-
mentan sich aufgibt, wofür sie freilich in andern Mo«
menten durch um so kühneres und entschiedeneres Her-
vortreten sich zu entschädigen ^ buchen wird; eine Be-
merkung, die wir in dem Leo'schen Werke, wie überall,
60 insbesondere in jener Entwicklungsgeschichte des
Papstthums zu machen hatten, in welcher die vor der
Moral ^nicht haltbaren Bestrebungen nur ganz einfach,
die adäquateren aber mit der gröfsten Prägnanz er-
zählt sind« Vergleichen wir z. B«. die Geschichte des
Bilderstreits S. 149 sq., welcher durch die Veranlas-
sung, die Papst Gregor II. daraus nahm, sich vollends
von der Oberherrlichkeit des griechischen Kaisers los-
zusagen, und dnrch seine für die Bilderverehrung sieg-
reiche Entscheidung eine so folgenreiche, geschichtli-
cbc Begebenheit ward, so schreibt Hr. Leo die ikono-
klastische Thatigkeit seines kaiserlichen Namensbru-
ders, des Isaurier^s, S. 83 npr dem Einflüsse „semiti-
scher (um nicht zu sagen: öd -jüdischer) Ausichf auf
denselben, S. 130 aber geradezu „kahlem Juden ver-
stände^^ zu und bezeichnet S. 151 die bilderstfirmende
Partei als eine solche, welche nach ihrer Ansicht von
der Stellung des Staates oder vielmehr des Kaisers
zu der Geistlichkeit ein^n militärischen Despotismus
wünschte und darum vorzüglich im Heere ihre Führer
und Anhänger hatte. Dieser „Jud'env^stand" hatte
aber vielmehr sein formelles negatives Recht ia dem
Verbote 2 Mos. 20, 4., das dem Hrn. Verf. als ein
göttliches gelten " mufs , , sein materialcs aber m Job.
4, 24., wogegen solche allgemeine Reflexionen, wie
5. 83, dafs „im Bilde die sinidiche Nähe des Heiligen
am Geistigsten erscheine'^ u. s. w., auf dem absoluten
Boden der Rejigion nickt aufeukomaien venndgen«
Wenn femer dem ikonoklastiscben Heere mir Hang
ktt militärischem Despotismus ' aufgebürdet wird, »o
kann von den ikqnodulischen Mönchen ebenso gesagt
werden, sie haben nur für ihren Vortheil als Maler und
Schnitzer gekämpft ; wie aber bei jenem vielmehr das
tapfere Selbstbewufstsein es war, das diesen. IXenst
leblosen Scheins verschmähte, so wird auch die fräii-
kischo Kirehe unter Karl M. und wird die ganzio pro-
testantische Coufessfon wegen ihrer Verwerfung d«a
Bildercultus von dem .Vorwuife öd • jQdischer Ansicbt
so ziemlich zu reinigen sein. — Nehmen wir ein ande-
re)s Beispiel, die pseudoisidorisohen Dekretalen, so sncU
der Hr. Verf. den Vorwurf der Betrügerei, mit ¥eW
chem er bei andern Gelegenheiten (s. Bd. 3, S. 488)
wenig sparsam ist, hier durch die Bemerkung zu eat-
kräften, das System derselben enthalte nichts der Sub-
stanz, sondern blos der Form nach nea von dem Veit
Geschaffenes und schliefet mit den pschr jschöa'' g^
nannten Worten von Phillips (deutsche Gesch. II, S.
306) : „der Verf. jener Sammlung hat trotz seiner (p-
ten Intention der Kirche Schaden gethan: es wäreAt
los denselben Pfad gegangen, welchen er unbemfea
bahnte, und die Kirche wäre dem^ ungerechten Vo^
würfe entgangen, einem „„lügnerischen Machwerke'*"
die Entwicklung eines Thcils ihrer Verfassnng zn vop- .
danken." Allein umgekehrt bleibt dieser Vorwurf ab
moralischer in seinem guten Rechte: denn eben weoB
Alles ohne jene Sammlung denselben Pfiid gcgnDgBB
wäre, so hätten die Kirchenbehörden, welche den Bs-
trug merkten, was gewifs nicht von Allen geleiigiict
werden k<ann, um so mehr seine Beihilfe verschmähen
sollen \ nahmen sie aber die Sammlung bcoia fide «ofj
so fällt ihnen ein Mangel an Kritik zur Last, d^r,
nachdem er so eclatante Früchte getragen, durch eine
Bemerkung, wie die obige von Phillips, nicht als v^
lig unwesentlich dargestellt werden kann« Hr. Leo
gesteht selbst die beiden Seiten dieses Dilemma m,
wenn er das eine Mal sagt, anfangs haben die Päpste
auf dio falschen Dekretalen nur bei solchen GelegsS"
heiten sich berufen, wo sie ohnehin nach dem fakti-
schen Stande der Dinge Recht hatten, „natürlich, weil
ihnen die- Auctorität derselben nicht recht suvevläftlg
erscheinen mochte,'' das andere Mal aber: die Gewät
und Stellung des Klerus habe damals weder auf hi-
nein allseitig befestigten Herkommen, nock avf CieseV
sen firOherer Zeit geruht, wel(Ae der ganaen Entiikk«
501
LeOy 'Lehrbuch der UnwersafgeMcÄicAte. {Zweiter Artikei.)
502
iBBg der Gegenwart geDügt hätten. Hiernitob wäre also
die Mogliclikeit Vorhanfdcn gewesen, dafs jene Stellung '
noch eine ziemlich ändere wurde, als sie durch den
Eiofiufs jener Sammlung wirklich geworden ist, und
es «afs darum die materielle Wichtigkeit, welche diese
Mie Form gehabt hat, auch ihre ofifene Anerkennung
erhalten;
Reihen wir hieran sogleich einige andere, die mit-
Idaltwliche. Kirchengeschichte betretende Bemerkun»
gen: so soll nach S. 207 der Grundgedanke des beiL
Frtmxüiue demselben nicht durch Reflexion, sondern
.durch göttliche Eingebung zugekommen sein, und die
bedeutende Wirkung, die er übte, bei der schon weit
Torgeschrittenen Verweltlichung der Kirche in der ener-
gischen Einweisung auf ihre höchste Aufgabe, auf ihren
inaersten Kern u. s. w* bestanden haben und so durch
•
jba and seine Nachfolger die Reformation eingeleitet
worden sein. Schroffheit d«r Tendenz des Ordens,
Uebcrtreiboog des Formellen,* sogar Caricaturmäfsr-
ges ui Aet Xlebersohfttzung des Stifters wird zwar zu-
gegeben,, unter seinem Volke und zu seiner Zeit aber
habe dieser nicht wohl auf andere Weise za einer be-
dentenden Wirkung gelangen können, und immer seien
dann noch „die krankhaften Geister die höher zu stel-
lenden, die wahre Gemeinheit und Gottverworfenheit
hege darin^ sich gesund zn fühlen und sicher, wo die
allgemeinea Grundlagen des geistigen Daseins wanken/*
Dnroh dergleichen grelle Gegensätze wird indessen die
firkeantnifa solcher bedeutender historischer Erschei-
Duagen, wie Franziskus war, um kein Haar gefördert,
und mit dem Prädikate göttlicher Eingebung sollte
sparsamer verCahreo, wer doch nur eine zeitlich be-
dingte, auf blofse Wiederherstellung eines schon ein-
mal Dagewesenen gerichtete, und zwar eine Erschein
nang, wie das Mönchswesep, vor sich hat : denn dafs
Franziskus das gesammte christliche Leben wesentlich
BB^ in der mönchischen Form begriff, dafs das Princip
seiaes Ordens nicht das evangelische der Gerechtig-
keit durch den Glauben war, sondern das acht katho-
lisohe det Gerechtigkeit durch die Werke, und zwar
dieses iqi seiner höchsten Energie, die sich eben damit
gegev die allgemeine Kirche, als die diesem Princip
ungetreue^ wandte n* s* w., das glaubt Ref. in diesen
Jahrbb. aus Gel^enheit keiner R'^cension von Flathe's
„Vorläufern der Reformation'' gezeigt zu haben (Jan.
1836). «r- In der mittelalterlichen Ketxergoschichte
scheint Hr. Leo fiist dem Ausspruche desPapsts Inno«
cenzIlL beizustimmen, dsifs die.Albigenser' ärger seien,
als die Saracenen, und es soll „glücklicherweise gelun-
gen sein, diese verderbliche, vom Christenthum ganz«
lieh abführende Richtung des Manichäismus zu uitter-
drficken." Es wird ihr aber vornehmlich die Lehre
vorgerückt, dafs ,|ChristU8, inwiefern er Gott war^
nicht geborener Mensch, inwiefern er Mensch war,
nicht ewiger Gott sein konnte und folglich auch als
Gott nicht gelitten und als Mensch nicht erlöst habe,
sondern als ein Doppel wesen erschienen sei, wie es
die heillosen Richtungen der allerneusten Zeit aber-
mals durch die Abtrennung der / evangelischen Ge-
schichte (die gröfstentheils zur Mjthe wird) von dem
sog. geistigen Jlnhalt des Christenthums, dem ewJgto
Geiste Christi darzustellen suchen." An jenen starren
und nicht einmal dogmatisch -recipirten Formeln l&fst
sich indessen der Katharismus nicht richtig -messen,
indem er acht doketisoh. Christum als Alensch nicht
wirklich geboren sein läfst; und so ist auch die Fol-
gerung daraus eine blofse Coutfequenzmacherei, da die
Katharer die Absolutheit der Erlösung, nehmüch die
Befreiung der m der Materie gefangeneu Seelen durch
die Erscheinung Christi, nichts weniger, als - leugnen
wollten. Ihr Manichäisnms aber ist, sofern es ihnen
dabei in der That nicht um die Substauziirung des
Endlichen und Bösen, sondern um deu (allerdings ver-
fehlten) Ausdruck von dessen absoluter Negativität zu
thun war, eine dem Begriffe nach ungleich tiefere und
gründlichere Auffassung der christlichen Wahrheit als
der römische Pelagianismus und Pantheismus, der ge-
rade damals in seiner Blüthe war. Ref. hat auch über
diese Momente 1. 1. sich näher ausgesprochen, und.
bemerkt daher nur noch seine Verwunderung darüber,
wie die Waldenser zu dem Beinamen einer „rationali-
stischen" Secte kommen, wenn nicht anders jede Op-
position gegen die römische Kirche „Rationalismus- -
und eine ,, trostlose Ausgeburt beschränkter Geister"
heifsen soll, obwohl/Hr. Leo gerade diese Opposition
Sinen wieder, als etwas Grofses und Tüchtiges anrech-
net. Eine genauere Exposition der waldensischen Leh-
ren, wenn es ihm gefallen^ hätte, eine solche zu ge-
hen, würde jene Benennung wohl unterdrückt haben;
sowie andererseits die Inquisition gerade hier wenig-
stens eine kurze Bemerkung verdient hätte, dafs an
dem blutigen Mechanismus, den sie statt der Waffen
50a
Ij0O^ LehriueA der ÜHwersalgeM^hiehte. (^Zweiter Artikel.)
504
des Ckistes iös Werk setzte, der Hr. Vf. keinen Theil
haben wolle. Aber freilich bez^chnet derselbe , um
etwas Späteres hier Torwegznnebmen, Bd. III, S. 219
die Rochtfertignng der Hmrichfung Servede's, weUshe
Beza Tersnchte, als eine solche/ der man nur bei«
pfliditett könne, und schmäht die ,,gott?erges6ene To«
leranz, wie sie in unserer Zeit im Namen eines ab-
stracten Wahngeschöpfes, fälschlich Humanität genannt,
verlangt werde;" Erklärungen, die zu unbesonnen sind,
um eine ernstliche Widerlegung herauszufordern. ' — In
der Beurtheilmig von Hue hat Hr. Leo dessen gutes
Recht »1 einer besseren Anerkennung kommen und
„sichtbar Gott auf seinen letzten Wegen überall mit
ihm'' sein lassen. Er weifs ihm wenigstens nichts An-
deres Schuld zu geben, als dafs^er zur Vertreibung
der Deuteeben von der .Universität Prag auch mitge*
wirkt, den Realismus wieder verfocijten, den Pöbel zu
Hilfe gerufen, uberhfLupt sich nicht, wie andere hoch-
gcfst^Ute Männer seiner Zeit, in Einigkeit mit derKir-
che zu deren Besserung erhalten habe. Ref. hat auf
die letztere Beschuldigung gleichfalls sdiöti 1. c. ge-
antwortet und den richtigeren Gesichtspunkt für die Be-
traohtung ron Hus^s Schicksal angedeutet; er erlaubt
Hieb defswegeo hier nur. zu fragen, was denn jene mit
der Kirche einig gebliebenen Männer wirklich ausge-
richtet haben, ihreNoth zu bessern, die vielmehr nach
der Vereitelung ihrer unkräfiigen Versuche nur noch
stärker hereingebrochen ' ist Dafs aber die Böhmen
mit ihrer Forderung, * auf ihrer Landesuniversität bes-
ser vertreten zu sein^^ als sie bis dahin es wären, nur
in ihrem guten Rechte waren, liegt vor Augen, und.
was sie dafür gcthan, sollte ihnen ein Mann, der sonst
die nationale Selbstständigkeit so stark vertritt, wie
Hr. Leo, nicht zum Vorwurf machen, und also auch
es nicht ohne scharfe Mifsbilligung erwähnen, dafs die
Deutschen in Constanz Hns nur das Unrecht vergalten,
wozu ihn gegen sie seine Leidenschaft geführt.
Wenden wir uns nun zu denjenigen Partieen des
Leo's<^hen Werks, in welchen Kirche und Staat des
Jftittelalters in ihrer gegenseitigen Dialektik er-
scheinen, so wird S. 99 der Erneuerung des abendlän-
^schen Raiserthums- vornehmlich die Bedeutung vindi-
oirt, dafs der Statthafter Christi non zugleich als Aas«
gangspunkt lur alle weitliche Gewalt int fränkischen
Reiche erschienen sei, woraus s'di die Meinong gebit
det habe, es müsse alle weltliche Gewalt "^ da, wo sie
djesen geistlichen Punkt berühre, in Einer Person eo»»
centrirt und die Gewalt aller übrigen Gebieter vpn der ,
Stcllupg Eines höchsten Gewalthabers abgeleitet wer*
dien. Allein diese AufTassung des Verhältnisses wird
durch die angeführten Zeugnisse nichts weniger ab
bewiesen, indem es Karl M. und seinen nächsten Nach*
folgern noch keineswegs beifiel^ was erst spätere pi^t*
liehe Anmalsung in Anspruch nahm, die . Staatsgewalt
als blofsen Ausflufs der geistlichen behaupten sAi las*
sen. Das Kaiserthimi ist sich vielmehr der Kirchen-
gewalt immer als völlig, ebenbürtig erschienen, die
Krönung, galt nur als Anerkennung der von Gottes
Gnaden freien weltlichen Gewalt durch die geiatliduS)
und wie lange haben noch die deutschen Könige das
Schirmvogteirecbt über die römische Kirche und dki
Bestätigung delr Papstwahl ausgeübt, so dafs erst tob
Gregor VIL (Nikolaus H.) ao der eigentliche Kampf
um jene Theorie begann. Wir können daher Hfti. Leo
wohl zugeben, was er S. 103 sagt, dafs mit der tömi-
sehen Kirche bei aller Verderbnifs, ia die sie vom
9 — Uten Jahrb. wiederholt hinabsank, Der gewesen aei,
*
auf welchen wir Alle hoffen ; er selbst aber mnfs so«
gestehen, dafs ihr gegen die Adelsfactionen u. s« w.
immer wieder das Ansehen der kaiserlichen Macht za
Hilfe kam, isi^as zugleich mit der ursprünglichen Unab»
hiingigkeit dieser Macht noch deutlicher sich wfirds
ergeben haben, wenn auf die Geschichte der säobsi»
sehen und fränkischen Kaiser bis* Heinrieh IV. weil-
läufiger, als es S. 116 ff. geschehen istj eiagegaogeD
wäre. — Gregorys VII. Thätigkeit wird nun mit Redit
als reformatorisch bezeichnet, obwohl die Zusamräen-
stellung mit der lutherischen Reformation Bd. 3, 8. 4
eine ganz äufserliche ist^ und bei der Soene in Canossa ,
Ref. den „gesunden'* Sinn, der freilich bei vielen, aneh
protestantischen Schriftstellern Mode geworden ist,
nicht völlig zu haben bekennt, um ^,durch das geistige
Interesse die nationale Einbildung völlig fi
zu lassen.
(Die Fortsetziung folgt)
Jahrbücher
• » • ■
für
wisse n s c h af tl i che Kritik
Octobcr 1839.
■e
Ixkrbveh der Ukteertal^eschichte zum Oebrau-
ehe in höheren Uniern'chtsanstalieh ron Dr.
Heinrich Leo. *
. (Fortsetznng.)
Wenn Hr. Leo-gegen Gastav Adolph*8 EininischDiig
in die dentsohen Angelegenheiten anf das Aeofscrste
sioh empört Bd. 3, S. 394, ve&n er ibid. S. 489 be-
keuit, gegen Wilhelm's von Oranien Angedenken keine
RetMspflipht tbeilen zn können, veil Oranien Deuttch-
land nichts zu Gate getban u. s. w., so wird er es ancb
andern Deatsoben nicht verargen dürfen, wenn sie mit
bdifpsation der Schmach gedenken, die ein römisdier
Bischof dem Könige ihres Volkes angethan nnd die
dieser ~ sich hat gefallen lassen. Es bandelt sieb aber
dabei nicht 4im das nationale Interesse allein, sondern
am* das religiSse, das die Klugheit nad Milde, womit
Sündern vergeben werden soll, in jenem Uebermnth
dea sog. Statthalters Christi wenig ausgesprochen fin-
det. — - ^. 129 ist übrigens sofort anerkannt, dafs Gre*
gen Reforination der Kirche eine spätere nicht erspa«
«m konnte^ aber eben nur wegen der Innern Verwclt-
lidinng derselben, wozu die Kreuzzüge als Berührun«
^en mit Völkern, „die wohl den abstracten, todten«
Cihmbcn hatten an den Gott, der Himmel und Erde ge-
macht, in ihrcD Werken und Wirken aber ganz unter-
tksQ waren dem Fürsten dieser Welt,^" das Mittelglied
gebildet httbeA sollen. Ref. Terzichtet darauf, die Ein-
heit mabomedaliiscben Denkens und Lebens, das ge-
lochte Gericht, welches der Islam nicht nur über das
Heidentlnun seiner Heimat- nnd anderer Länder, son-
dem selbst über die verdorbene Kirche des griechi-
schen Reiches gebracht, das wahrhaft Geistige in sei-
ner Theosophie u. s. w. nachzuweisen , nnd statt der
Freude^ die der Hr. Vf. jedem Christenmenschen über
dl« Jetzige. Zerrüttung der mahomedanischen Welt zn-
nratbet, denselben aii Lnc. 19, 4L zn erinnern. Rieh-
Jahrh, f. witun$ch. KritUs. J. 1839. II. Bd.
^ tiger werden S. 15>7 sq. die Motive zu den Krcuszü-
gen in ihrem vorherrschend religiösen Element aufge-
sucht, dat^s man in der sinnlichen Erreichung de>s hei«
ligen Landes selbst von. einem heiligeren Sinne ergrif-
fen zu werden hoffte'S wenn aber diese Hoffnung eine
falsche war S. 228, so kann es wiederum der jetzigen
Christenheit nicht zum Vorwurf gemacht werden^ dafs
sie das sog. heil. Land nunmehr ohne Verletzung ihres
Selbstgef&bls in' den Händen „heillose, verabscheute
Lehren .nühreuder^' Völker sieht und läfst, ubd es mufs
vielmehr als ein Glück; angesebep werden, dafs die
abendländischen Völker ilnrch das Mifslingen der Kreuz-
züge Olli 80 strenger und tiefer auf sich selbst, auf
die Entwicklung ihrer immanenten Geistigkeit zurick-
gewiesen wurden^ Diesen unendlich wichtigen Rück-
stofs hebt Hr. Leo in seinen ^ einzelnen Resultaten
überall auf pragmatisch genaue und umfassende Weise .
hervor, wenn schon der Bemerkung S. 22S, das be-
stimmende Moment in den Kreu'^zügen sei Torzngs-
weise der Ritterstand, nnd zwar der französische ge-
wesen, und sie habai aufhören müssen, als dieser Stand
im heimischen Lande genug Beschäftigung erhalten,
etwas zuviel Gewicht eingeräumt, wird. Die negative
Kraft im Allgemeinen dagegen, mit welcher das abend-
ländische Princip über die Resultate des morgenländi-
schen übergriff und sie in Momente seiner eigenen Be-
thätigung verwandelte, weifa Hr. Leo nur insofern an-
znerkennen, als durch „die sichtbare Leitung Gottes^'
das Verderben abgewandt wurde, das aus der Gäh-
rung der zusammengetretenen Elemente hervorzubre-
chen drohte. Neben der Ketzerei ncbmlich (deren Un-
terdrückung durch die Inquisition somit auch unter
jene sichtbare Leitung Gottes gehörte) wird als durch
saracenischenEinflufs wesentlich mit hervorgerufen eine
christlichen und germanischen Elementen feindliche ghi-
bellinische Bildung bezeichnet, die vornehmlich in den
Städten und bei den hohem Ständen Italiens zu Hause
64
507
Leo^ Lehrbuch der ünwensaigeeckiehte.^ {Zweiter Artikel.)
508
gewesen 'Bein aöll; eine Bczei^hMing^ die^'wir schon
daroih uiebt billigen können,/ weil eingestandener Ma-
fsen S. 257 auch in den welfiscben Territorien gana
dieselben antigermanisehen Bilduqgselemente sich fin-
den und wiederum die antihierarchischen der ghibellini-
d«n Äristoteliker T^oaiaa ron Aqninuin beilig gespre-
Ghe\k und im Trideniinum die ganze mit Hilfe der Phn
losophie constEuirta Lehre lianctionirt bat.. Er nennt
aber vielmehr S. 433 die scholastische Philosophie eine
Aßt Grundlagen dos Mittelalters und gibt erst der
sehen Partei keineswegs an sich unchristlich waren^ ' wythcliffe'schen Verstandesrichtung die Veränfserlicbnag
umgekehrt aber in den welfscben Stftdten das Halten
an der Kirche nicht gerade durch religiösen Sion^-son-
• dorn durch das politische Partei wescn motivirt war.
Kaiser Friedrich II. wird ganz kurz und obenhin abge-
macht, was EU der Weitläufigkeit, mit welcher s. ,JB.
früher die frftnkisch'karolingischen Zeiten behandelt
Wttr4eu, in keinem Verhältnifs steht. Die Beschuldi-
gung Gregors IX. gegen ihn riicksicbtlich der tres ba-
rattatores (impostores) wird angeführt, ohne auch nur
mit Einem Worte ihres Ungrundes, der Leidenschaft-
lichkeit ihr^s Urbebi^rs und der entschiedenen Ableh-
Dungen Priedriohs zu gedenken, sowie auch das Aner-
bieten K. Johannes von England gegen die spanischen
Säracenen, selbst Mahomedaner werden zu wollen (S.
231 n. 389), offenbar eine blofse List oder die That
eines Verzweifelten war und zur Charakteristik seiner
Zeit so wepig gehört, als die wirklichen Renegationen,
welche sonst Stattgefunden haben, der Christenheit ih-
rer Zeit zur Last fallen. — «Was noch die Sehokutik
betrifft, welche in demselben Zusammenhang erwähnt
wird, so recurrirt der Hr. Verf. ohne Zweifel auf die
Verbote, welche auf einer pariser Synode 1210 und
durch den päpstlichen Legaten Robert Courcon 1215
gegen die aristotelische Physik und Metaphysik ei^n-
gen, wenn er S. 272 behauptet, es sei durch die na-
turwissenscfaäftliohen Werke des Aristoteles — .ein so
▼erderblicbes Element in die wlsscnsohaftlichen Stu-
dien des Abendlandes gekommen, dafs die Kirche mit
, den strengsten Strafen dagegen verfahren mufste, wenn
nicht den widerwärtigsten Verirmngen Thor und Tbttre
geöffnet werden sollten« Wenn man aber weifs, dafs
jene Verbote nur wegen der Ketzerei Amalricii's von
Beno nnd David's tou Dinanto eingingen, welche auf
6og. aristotelische Schriften, die aber eigentlich dem
Avicenna und Algazel angehörten, sich beriefen, und-
jdafs die Kirchs, nachdem schon Gregor IX. 1231 jime
Verbote eingeschränkt hatte, bald gar keinen Gebranoh
mehr dayou machte, sondern fiberall die aristotelische
Philosophie zuliers, so ist der Hr. Verf. hier scharf^
elchtiger gewesen, als dieselbe Kirche, welche z« B*
derselben Schuld, welcher Behauptung einer gemeia
verständigen Ansicht in Wjtholiffe (s. auch S. 373)
wir aber schon an sich nicht beistimmen können, da
sich W« wenigstens • in seinem tf ialogus als tuchtiget
speculativen Philosophen gezeigt hat. So' ist aneh
Scolus Erigena gewifs nicht der „untergeordnete Kopf^
welcher gründliche Gelehrsamkeit und tiefere Auffaa»
sung durch schneidende Wendungen zu ersetzen suchtet
& 269; die Schrift über das AbirndmabI aber, die ihm
hier zugeschrieben wird, ist höchst wabrschetnlioh nichl
von ihm, sondern, von Ratramnus, und wenn die daria
enthaltene Lehre eine „sehr rationalistische*' sein aeU^
so wird wohl nur die , des Puschasius Iladbertus ea»
christliche heifsen können.
lief, eilt indessen über die ganze weitere Schilde»
mng des l\Iitteialters bei aller Anerkennnag ihrer' aoa»
stigen Vorzüge hinweg, um auf den Ueborgaiig, wet
eben der Hr. Verf. in die neuere Zeii macht^ zu kimi»
men. Das Verderben, m welches die Kirche im 14*
Jahrhundert verfiel, wird S. 366 sq. in den stirkstea
Ausdrücken beschriebeu, nach S.433 waren dieHaopl-
gruudlagen der Bildung des JMittelaltera unterhöhlt imd
zut teeren Form geworden $ was aber der Hr. Vei£
standhaft nicht anerkennen will, ist die Nothwendag*
keit dieses Vorfalls, wie er durch die conseqiieate
Durchführung des römischen Principe selbst. herbeig^
fiihrt wurde. Er schränkt diese Nothwcndigkeit Bd.
3, St 2 if. soweit ein, dafs das Smken der Kirche
grofscntbeils motivirt sein soll nur durch die Anstr«tt»
guogen, die sie zur Hcwabrung des göttlichen Bnu-
nens des EvangeUi und der Grundfesten seiner LeliM
^eniaoht hatte, was freilich fast ins Alanichäische
artet, wenn nach S. 6 „überhaupt Niemand gegen
Böse, sobald er einmal Notiz davon genottimen^
gewaltsam stellen und wehren kann, ohne doch dan^ei^
berührt und depravirt zu werden." Diese anbedaclil-
same und antichrist liehe Aeufseruog gewamit nur daom
einen guten Sinn, wenn sie dahin abgeilndert wird,
dafa das Gute, ^enn es gegen ein Element sich apenrt^
in dem es sich bethätigen soUtOi böse wiids
Ijco^ 'Lehrbuch der Unwerndge^ehichie. (^Zweiter Artikel.)
SM
aieto Anderes, alt die üofHbigkeit der rdmtscheii Kir«
ehe, dto natürlicbcn Triebe der Menscheu in sittliche
oinzabilden, statt sie abstrsict zu aegiren, bat die wilde
Empqmog derselben zur Folge gehabt. Die Kirche
hat ?on sich aus nnr Welteatsagung gefordert, sie
hat ihre eigeatlicheD Organe, die Cleriker, durch den
C6fibat der Familie, durch die Antiuth der bürgerlichen
Gesellschaft, durch den blinden. Gehorsam dem Staate
vad iet Wissenschaft entzogen, wahrend sie anderer-
seits Ehre, Eigeuthum, politisches upd wissenschaftli*
ohes Leben als uothweodige, in sich geschlossene und
berechtigte Kreise, wenn auch nur factisch und interi«
nistisch anzuerkennen gen5thigt' war. Schon dieser
Widerspruch mufste die Gewissen srowohl der Geistli«
ohen als der Laien verwirren ; , als aber die Kirche
durch die fortwährenden Schenkungen, welche nicht
nrnokgewiesen werden kenuten, weil sonst den Ge*
.beta das Verdienst der Selbstverleugnung unmöglich
giemacbt worden wäre, reich, sowie durch die lieber»
tragung von Rechten alier Art niächtigzu werden begann:
so erforderte schon die Annahme und noch mehr die Ver*
veodang dieser Güter und Rechte eine Dispensation von
^ dem eigenea Verbote, d^^b. eine Uebertretung desselben,
imd jemehr allmahlig das Bewofstsein an solche Ver-
letzungen ethischer und religiöser Pflichten als an so-
gar ao|hwendige sich gewöhnte, um so schrankenloser
brach dann die wirklich sittenlose Hab- und Herrsch-
soeht hervor, bis endlich für die Befriedigung dieser
Zwedte alle Wahrheit und' Gerechtigkeit feil ward.
Dafs anf dieselbe Weise der Cölibat eines Standes,
der selbst die Ehe heilig sprach, zunächst in faeimli-
dien Concubinat und sofort in' offene Unzucht ausar-
ten mnfste, liegt am Tage, und empirische Bemerkun-
gSB, wie Bd. 3, S. 94, die Kirche sei nur» durch den
Cölibaf erhalten worden, werden dnrch die. empirisch
eboiso sicheren aufgewogen, dafs gerade der Cölibat
die Kirche auch wieder ins tiefste Verderben brachte.
Auch die Werkheiligkeit im Allgemeinen ist nichts,
ah das Produot dieses Widerspruchs, dem Subjecte
eiatpseits unmöglicbe Zumulhungen zu n^achen und es
hemaoh gegen geringere Leistung , wieder davon loa-
zttsprechen, was zugleich die peiagianische Selbstge-
rechtigkeit nfthrte; so wie endlicli nur die Kirche sel-
ber das erwachende wissenschaftliche Denken durch
die iBebaoptung des Mysteriums in der Glaubens Wahr-
heit zum blofsen scholastischen Verstand herabgesetzt
510
nnd dadureh die Verendliohung der Wahrheit auctorU
strt bat. Daneben aber ging im wirklichen Leben
der germanischeu Völker die wahrhafte Veri^iitthing
des christlichen, durch die Kirche repräsent irteH-Ge»
setzes und der weltlichen Subjedivitut, des An- und
des Fürarobsems vpr sieh; die SaLjectivität reinigte
.Herz und Gesinnung durch die Liebe Goites nnd des
Nächsten, othisirte Ehe, Besitz und öffentliches Recht^
vereinigte die Widerspruche des an der Wahrheit irre
gewordenen Verstandes in speculativer Mystik und so
nach wirklicher Versöhnung der Wahrheit und des
Lebens trat sie mit dem Bewufstsein, ihre Aufgabe
gelöst zu haben oder wenigstens lösen zu können, de(
Kirche gegenüber, deren ganzes Recht auf der. be^
haupteten Unlösbdrkeit derselben beruhte.
Es ist nun aber in der That^ ein Jammer,- wie in
dem vorliegenden Werke die Historie der deutschen
Rfförmatien behandelt oder vielmehr mifshandeU wird,
und die altorthodoxen Protestanten unserer Tage, weiche
den „Löwen** mit so vieler Freude in ihrem Lager begrüfs-
ten, mögen sich wohl vorsehen, dafs'er ihnen nicht eines
Tages ihre besten und tüchtigsten Leute zerreifse.
Tiefer nämlicb, als jene blickend, wiewohl etliche
Schritte mit ihnen gehend, siebt er die Motter des
Rationalilimus, der fnoderi^en Geistesfreiheit überhaupt,
welche ihr gemenisamcr WIderwilleu trifft^, bereits in
der Reformation, und macht durum, nachdem er sie
zuerst nur nicht als Signal zu jener „zügellosen Frech- '
heit nnd Ungebundenheit** wollte {i;elten lassen, zuletzt
ans semem Hasse wider sie kein Gefaeimnirs. Damm
steht er übrigens noch kemeswrgs auf dem Boden. der
katholischen Kirche, so offen er auch ihre Sache führt,
sondern die Vertheidigung derselben giebt nur seiner
Polemik gegen den Protestantismus einen ebjectiven
Halt, in Wahrheit aber ist es blos das Mifshehagen
seiner naturgewaltigen Persönlichkeit an ihr selber,
welche, da sie in der aus der Freiheit wiedergebore*
neu Welt des Protestantismus nicht in ihrer unmittel-
baren Kraft einherfahren darf, aua den gegenwärtigen
„sittlichen Schranken*', statt sie dnrch die Macht des
Gedankens nnd der Liebe iikr sich aufzuheben, in die .
älteren, weil unwirklichen, sich zurücksehnt. Zunftehst
wird in den' allgemeinen Reflexionen wiederholt her-
vorgehoben, wie man in der katholischen Kirche jene
ganze Ungebundenbeit der üeberzeugung,' nach welcher
unsere Zeit lechze, haben konnte, und wie die Refor-
'511 Dietrich^ fKora
mation TomehitiTicIi geg€n diese Tolermz losgebrochen
sei, und nicht Freiheit, sondern die strengste Gebnn«
denheit des religiösen Denkens nnd Handelns zum
Ziel gehöht hahe; einseitige Sätze, da ja offenbar das
Kundgeben und noch mehr Aas praotische Verfolgen
einer der Kirchenlehre entgegenlaufenden Ueberzen-
gung nichts veniger, als geduldet war, die Zucht des
Gesetzes aber von den Referinatorcn deutlichst nur
als Mittel zu der Freiheit- in Christo pradicirt ward.
(Die FortsetzoDg folgt)
XXXIII.
Ffora regniBortisiici oder Abbildung undBeMehrei-
bwig der in Prettften wUdwachMenden Pflmi%en.
Von Dr. Albert .Dietrich. '7r. Band. Berlin
1839. 1. 2. Befi.
Der Eifer, mit welchem der Hr. Verf. bei der Fortsetzung
der Flora des Königreichs Freufsen selbst Pflanzen sammelt
undAndere zum Sammeln anregt, hal besonders für die Kenntnifs
der Berliner Flora den Vortheil gehabt, dafis manche Pflanze,
die man sonst nur aus gröfserer Ferne zu erhalten gewohnt
var,'^ jetzt ganz in der Nähe entdeckt ist, ja sogar, dafs* Von
manchen Gattungen bei genauer Beobachtung neue Arten oder
doch merk\%ürdige Formen beschrieben worden 'sind. - Die
ilefte des 7. Bandes geben hierTOn auch wieder Zeugnifs durch
die Beschreibung und AbbUdung mehrerer Formen vün Orobac-
dien, die ein* fleifsiger Sammler und Kenner, von dem auch
Gentiana verna in der Nähe rou Berlin aufgefunden worden,
Hr. Geh. Reg. Rath Krause in den hügeligen Uavelumgebungen
• in- der Nähe von Potsdam gefunden hat, weshalb auch eine
Spedes ihm zu Ehren O. Krausei von Hrn. Dr. Dietrich be«
nanut worden ist. W'ailroth war einer der ersten, welcher er^
. kannte, dafs die von Willdenow in. den Species plantarum cha-
rakterisirten 4 deutschen Species Orobanchen keineswegs alle
Formen unifafsten, und auf die neue Untersuchung der Gattung
Ocobanche gi;orsen Fleifs verwendete. Dann gab Keielienbach
eine Uebersicht der detitschen und theilweise der europäischen
▼on Ihm unters chiedeiien Arten und mit Vereinigung einiger
Beichenbachscheo Formen sind dann . mit Hinzufügung der
selbstbeobachteten Arten in Kochs S>'Hopsis FLorae Germanicae
et Helretiae zusammen 21 Species Ton Orobanchen beschrieben.
' Diese hat nun Herr Dr. Dietrich noch mit einigen um Berlin
vorkommenden vermehrt. Die Orobanrhenarten bieten grofse
Schwierigkeiten der Unterscheidung dar, weil es bleiche, nie
grütie Schmarotzerpflanzen sind, deren Färbung und Gestalt in
• d£n verschiedenen Perioden der Entwickelung und d«s Verblii-
'- hens mancherlei Uebcrgänge darbieten. Die ersten Orobanchen
dieses Werkes sind im dritten Bande beschriebeni und zwar
meistens nach Exemplaren, die dem Hrn. Verf. aus der Gegend
von Frankfurt an der Oder durch Hm. Apotheker Buek zugc«
regni bormnci. 512
aendeC waren, eiaig« »ach den bei Banngarteabrüidc ia 4«r
NShe von Potsdam gefundenen. Unter diesen natersckied der
Vf. drei neue Arten: O. Buekii, O. tubiflora und O. robusia.
Der vierte Band enthält eine der O. K|)ithynium ähnliche neue
Art: O. rabiginosa Dietr. vom Siebengebirge und in den entes
beiden Heften des 7.. Randes findet man aufser der eben |^
nannten Or Krausei noch O. maerantha, O. gilra und Cdtriaa,
so wie die O. tarquata Relchenb. aus der Umgegend vor B^^
hn abgebildet und besd^rieben. Der Hr. Verf. sagt Ton dieaeii
Arten : „Durch die Entdeckung dieser Formen ist die Schwie-
ligkeit in Hinsicht der Feststellung guter Arten noch verniehrt
Worden. Es sind diese Formen nämlich in ihrem äufseren Ab>
sehen von der ersten Entwickelung . an bis zum Absterben *•»
vei^cbieden, daCs man sie unmöglich alle fär Ablndeningen ei-
ner und derselben .Art halten kann» und dennoch ist es lodi
nicht gelangen, durchgreifende Kennzeichen zu ihrer Cbaraiiti-
ristik aufzufinden. Auf jeden Pall erfordert es noch eine fort-
gesetzte Beobachtung aller Formen im lebenden Zustande and
genauer Untersuchung Ihrer Theile, um zu unterscheideo, wu
Art oder Abart aei. Vorläufig will ich es daher noch «nest-
schieden lassen, ob die dargestellten Pflanzen wirklich als pli
Arten oder nur als blofse Formen anzusehen sind, und werdcs
die gegebenen 'Abbildungen dazu dienen, zu weiterer Unterni*
chung anzuregen. Alle diese fünf Formen kommen "In der Bil-
dung und «Bekleidung der Staubgeßfse und des Stempels pXL
*mit denen von O. Galii, laziflora u. a., ja selbst mit denen roa
O. Epithymum überein ; allein sie zeigen in der Gestalt «n4
Venheilung der SchuppciHi in der Griifse. der Deckblätter und io
der Form der Kelche, so wie in der Beschaffenheit der Narben
so merkliche Verschiedenheiten, dafsman sie unmöglich alle
als zu einer Art gehOrig ansehen kann. Dafs die So sehr rer*
schiedene Farbe, , die Form des Blüthenstandes, die GrÖfse in4
Kichtuiig der Blumen ebenfalls als Artencbaraktere. Anfmeii*
samkeit verdienen, wird niemand läugnen. Die Grofse und
Jüchtung der Lippeniäp[ichen scheint jedoch in den Terschiedi-
nen Entwickelungsperioden der Blumen verschieden. Auch dii
Gestalt der Narbe ändert in der Befinichtungsperiude ab. Die
Farbe der Narben aber ist sehr constaut. Ob es codstant ist, daüi gt-
trennte und verbundene Kelchblätter nur an verschiedenen, wie bei
den hier abgebildeten Formen erscheinen, ist noch naher zu prutett.'
Gewil's ist aber aufser allem diesen auch noch , auf die Mutter-
pflanzen zu sehen, worauf die parasitischen Orobonchen wa^
zeln. Wir sehen bei den übrigen parasitischen Pflanzen nnft*
rer Klimate, z. B der -Gattuitg Cu&cuta, Viscum, Lathraet,
selbst Monotropa, dafs sie innerhalb enger Grenzen nur auf be-
stimmten Mutterpflanzen, erscheinen. Auch hat man mehren
Arten der Gattung Orobanche, weii sie sich <imnier rtur auf des-
selben Pflanzen wiederßnden, wie O. Scabiosae, O Thynii 0«
Galii u. a. hiemach benannt. Es ist also sehr wabrscheinlidi}
dafs durch das Keimen derselben Art auf verschiedenen Mutte^
pflanzen vorzugsweise die verschiedenen Uebcrgangsformen er-
zeugt werden. ^
wissen
J^ 65.
Jahrbücher
für
schaftliche
Kritik.
October 1839.
Lehrbuch der Unwersalgeschtchte zum Gebrau-
che in höheren Unt^rrichtsansialten ton Dr.
Heinr. Leo."^
(FortaiFtitung.)
Danim handelte es sich aucli keineswegs blofs um
die ,,Reini£^nng des Ton den Romanen ausgebildeten
Eirchengebäudes tou nicht hineingehörigem Schmutze"
Bd. 2) S. 383, oder um die blofse Wiederherstellung
der*paulinisch-augustinischen Auffassungen der christ-
lichen Doginen gegen den Pelagianismus, es müfste
denn sein, dafs bei der Lehre Pauli Tornämlich an die
Ton der Freiheit der Kinder Gottes gedacht wurde.
Denn alle protestantischen Dogmen sind nur Momente
des Begriffs der Freiheit, aber der mit der Nothwen-
digkeit (h. Schrift) identischen und durch sie vermit-
telten^ nicht relativen (Erbsünde, justitia civilis), son-
dern absoluten Freiheit, die selbst jene Nothwendigkeit
nicht als abstract objective stehen, läfst, sondern sie
zum Momente ihrer Selbstentwickehing .herabsetzt {te-
stimonium ^pir. B.)« Hierin kommt uns Herr Leo ein-
mal anf unerwartete Weise entgegen, wenn er S. 81
ff. die Wissenschaft der christlichen Theologie als
diejenige bezeichnet, welche „allein die olyective Grund-
Lige aller Schrifterklärung'' sein könne, und welche
nach demselben Zusammenhange „die Tom heil. Gei-
ste erTüUte und geleitete Kirche^ sein mufs, die „nicht
identisch ist mit der römischen, noch mit irgend einer
andern historisch vorhandenen." Dann aber ist es so-
gleich nicht wahr, dafs „für ein Genmth, das sich
nicht formell zufrieden geben wollte, in der, katholi-
schen Kirche nichts im Wege, stand, sich in den
wahrhaft christlichen Geist zu versenken*': denn des-
sen Element ist eben das der freien theologischen Un-
tersuchung; und fiir jene Behauptung die grofse Zahl
der Seelsorger anführen, welche sich nachher der Rc-
Juhrh. f. wüsemcK Kritik. J. 1830. II. Bd.
formation anschlössen, heifst nur die Sache tiuf den
Kopf stellen. Auch die Beispiele, welche S. 162 aus
Gelegenheit des Regensburger Colloquiums von 1541
citirt werden, sind, was den Spanier Juan^Valdez und
seine Partei in Italien betrifft, durch' die Abhandlung
von Schmidt in Illgen's Ztschr. f. bist. Theol. neue
Folge I, 4. S. 123 ff., upd was Contarini und seipe
Genossen betrifft, durch den von Rom aus bewirkten
Ausgang jenes Colloquiums sattsam widerlegt. Auf
gerechtere Weise restringirt daher Hr. Leo die Wie-
deraufraffung der katholischen Kirche, zu welcher auch
jene Torgänge zu zählen sind, S. ,193 dahin, dafs sie
biezu nur durch den Protestantismus veranlafst wor-
den, jedoch fortwährend äufserlicb geblieben sei, so
dafs er nur schwebend sich auszudrücken wagt, der
römische Katechismus enthalte „fast alle*' Fundamente
des christlichen Glaubens, oder S. 74 die katholische
Kirche bilde noch an diesem Tage für Tausende und
Abertausende yon Menschen den Anhaltpunkt wahr-
haft (!) christlicher Ueberzeugungen. So wird es kaum^
von dieser, sondern eben nur von der protestantischen
Kirche gelten können, dafs „seit der Refonnation der
Glaube mehr und mehr aus dem Terrain der Politik
yerscheucht und lediglich zum Eigenthum kleiner Kreise
und Individuen geworden sei," und zwar dieses durch
die Macht der machiavellistischcn Tendenzen, so dafs,
da die erste Periode der neueren Geschichte als die
dieser Tendenzen bezeichnet wird, die Reformation
nnr als verschwindendes, überwundenes Moment darin
Yorkäme. Da aber doch auch die römische Kirche
schon seit den Kreuzzügen immer mehr dem Verder-
ben anheimgefallen sein soll, so bekommt der Hr. Vf.
eine Geschichte von 6 Jahrhunderten, in welcher der
Geist Christi nur dem Fürsten dieser Welt Triumphe
bereitet haben würde. Wir beneiden ihm die Qual
und die Trostlosigkeit dieser Auffassung nicht, sie ist
65
515
Le0y Lehrbuch der ünwerecigeeehiehie^ (Zweiter Artikel.)
518
nur die gerechte Yergeltuiig seines Uoglavbeos nad
seiner Herxensbärtigkeit. — Gehen wir zu den Ein-
zelnheiten über«
Von Luther halfst es bei seiner ersten Elrwäh-
niuig, „um ihn, ein wie sehwacher, ton Leideaschaf«
ten heimgesncbter Mensch er auch gewesen, habe
sich, als er das Panier Christi erhoben, der Kern ei*
Des christlichen Streitheeres gesamunclt, dessen Um«
gehuag den Pannerträger selbst mehr und mehr läu-
terte und zu einem der Rolle, welche das Schicksal (?)
ihm zugetheilt, würdi{^en Helden erzog." Gleich tou
der. allgemeinen Aufregung jedoch, welche seine The«
ses hervorriefen, wird S. 79 gesagt, sie hätte ein we«
niger ritterliches, streitfertiges Gemüth, als Luther's,
•ingeschüchtert und zum Zurücktreten bewogen, wäh«
rend L. nun eben sich hinreifsen liefs, theologischer
Vertreter dieser Opposition allmählig in ihrem ganzen
Umfange zu werden. Beide Auffassungen, obwohl sich
widersprechend, sind indessen gleich falsch : denn was
das Substantielle von Luthers Persönlichkeit betrifft,
so war er in Wittenbevg bereits der durch die inner-
lichsten Geisteskämpfe geläuterte, christlichfreie Mann,
der lange die Gefahr seines Unternehmens allein trug
und seiner Partei vielmehr seinen Geist einhauchte,
als dafs er von ihr getragen worden wäre. Welche
andere Leidenschaft aber will ihm Hr. Leo beweisen,
als eben nur seine Ritterlichkeit, seinen Zornmuth?
von diesem jedoch ist L. bis an sein Ende nicht „ge-
läutert** worden, ohne ihn aber wäre er so wenig der
grofse Reformator geworden, als Hr. Leo ohne ein
ähnliches Element sein Widersacher, so zwar, dafs in
jenem der -d^viioq nie als blofse, natürliche Streitlust,
sondern als Organ des Glaubens erschienen ist. In
demselben Zusammenhange (s. auch S. 101) behaup*
tet Hr. Leo weiter, in die grofse Theilnahme, welche
Luthers Sache fand, haben sich zum Theil die unlau-
tersten Interessen mit eingemischt und ohne eine Theil-
nahme dieser Art würde freilich die Reformation kerne
äufserlich hinlänglich ausgedehnte Basis gewonnen ha-
ben; jene luteressen aber bezeichnet er als die der
Humanisten 'gegen die Mönche, des Adels gegen die
um sich greifenden geistlichen Fürsten, der städtischen
Gemeinwesen gegen politische Prätensionen der Geist-
lichen, des Volkes überhaupt gegen kirchliche Mifs- ' geben und mit menschlichen Interessen wahrhaft geb
brauche im Allgemeinen; andere Unlauterkeiten weifs chen, einer fürstlichen Stellung vorzugsweise würdig
er nicht zu benennen, und verfällt daher um so gewis- genügen könne," und dars die katholische Kirche ,^di6
■er dem Urtheil, welohes Hegel (Reohtsphilos. ^ 124)
über eine Geschiohtsbehandlnng dieser Art geftlllt hat
Dieselbe psyohologtsirende Kleinmeisterei behauptet
wieder S. 80, Ecks Angriffe haben Luthern erst zu
Behauptangen verleitet, durch welche er wirklich ia
die Fufsstapfen von Hus getreten sei, und während An-
dere fürchteten, in ähnlicher Weise verantwortlich g»>
Hiaeht zu werden, so habe er nun erst seine Ehre daiw
eingesetzt, nicht feig in sich zusammenzuschreckcik
Als ob das Successive und Vermittelte in der geistigen
Eatwiekelung eines Menschen irgend etwas über die
Wahrheit seines Bewufstseyis entschiede; was aber
-die Anschuldigung betrifft, L. habe nnjr um seiner in-
dividuellen Ehre willen, also wider besseres Wissen
und Gewissen, (unwahre) abätze von Hus vertheidigt,
80 mufs dieselbe so lange als eine haare Verleumdung
zurückgewiesen werden, bis die historischen Beweise
einer solchen schlechten Gesinnung und des Widei^
Spruchs, in welchen L. sich durch jene Vertheidigang
mit seinem ganzen Principe verwickelt hätte, mit I^ücIe«
sieht z. B. auf die Schrift „von den neuen Eekisehes
Bullen und Lügen" beigebracht sein werden. Insbe-
sondere widerlegt sich die Behauptung S. 87, durch
den ungünstigen Ausgang der Leipziger Disputation
(über die der unparteiische Petrus Moselianus nicht
gehört worden ist), sei L. zuerst und entschieden zur
offenen Empörung gegen die römische Kirche getrie-
ben worden, durch den schon vom 3. Februar 1519 da*
tirten Brief desselben an Job. Lange, in welchem er
sagt, er habe schon lauge im Sinne, in einer ernatee
Schrift gegen die Römlinge loszuziehen, während er
sich bisher mehr spiel- und scherzweise ausgespro*
chen habe.
Recht eigentlich erbost ist nun aber Hr. Leo aaf
Luthers Buch an den deutschen Adel, eine Schrift, in
der er „über alle Schranken, die er hätte achten müs-
sen, ausschlug,'' worin „die besten und die bösestes
Motive durch ihre Aeufserungen eine höchst widrige
Mischung her?orbringen" und worin besonders die Un-
verträglichkeit von fürstlicher und kirchlicher Gewall
in Einer Person, welche Luther wider das Papsttham
behauptet, gegen Hrn. Leo's „Ansicht'' ist, nach wel*
eher „gerade, wer sich im Glauben ganz Gott hiog^
U7
L$0y LeArimtk der Unmermdgeeekiehle* (Xweker Artikel.)
BIS
HSglidikwt ÜMet YerMtigwiig eiaes auf Gottes iiii4
MHier Kirche Ehre gerkkteten Gmniithetf mk» groliev
Gewalt gewährte wmA gewährt, ein wahrhaftiger Vor^
2Ug derselben vor den protdetantieoben Kirohen" eein
gelL Ob derlei Abstraotionen irgend einem vernünfti-
gea Meaechea die Theokratie und Hierarchie von
Neaem phmaibel machen werden, sweifeln "wir, aad wenn
■iehl oonfaser Weise politisebo nnd kireUiehe Leistan-
gea lUBammeagestellt werden sollen, so wird die neuere
Politik aa den „iiirstliohen" Zielen, welobe Gregor VII^
IsBocenB ni, Ximenes aireioht haben, gar wohl ihre
Augen erheben dftrfen : denn wahrlich der römische Kir«
flbeBslaat und Spanien unter Ximenes haben noeh nir>
gesds als politische Ideale gegolten, Tieluiehr ist es
die trivialste historische, Anschauung, dafs die roma-
sisch-kathoiischen Länder gerade durch dmi hierarchi*
•ehea Zwang in ihrer politischen Entwicklung so laago
wackgehalten worden sind, bis sie die Bahn der ge-
wsitsamsten RcTolntioaen, auf der sie noch einherge-
hcD, betreten habea. Völlig perfid ist aber 4i« A»*
icbuldigang, als habe L. den Kaiser durch die Ans»
sicfat auf die Einsiehuag des Kirchenstaats und des
Lebensverhältnisses Neapels^ den Adel und die Städte
dsroh die Lockspeise des Kirchenguts n. s. w. anaie-
bea wollen: nicht nur zeigt sich in der gansen Schrift
davon nicht die geringste Spur, sondern L. hat zeit«
kbois fast mehr, als er sollte, jede weltliche Unter-
•tJItzuDg seiner Sache zurückgewiesen« Erwähnung
verdient hier auch der gegen Luther's Verwerfung des
Cdlibats zum angeblichen Besten der protestantischen
Kirche gemaohte Vorschlag einer anders, als bei den
fibrigea Menschen, bedingten Ehe ihrer Geistlichen,
wobei nur auffällt, dafs L. nur die „Zweckmftfsigkeit''
des Momentes vor Augen gehabt haben soll, Ref. in-
deisen erst noch auf die nähere, kirchenreobtiiche Aus«
ftbmng wartet. So verschmäht Ref. es auch, Luther'n
gegen den weitern, schon mit S. 82 im Widerspruch
stehenden, Vorwurf zu vertheidigen , dafs er viel zu
9,beengt (Hr. Leo sagt sonst: boroirt) m Wesen und
Bildung" gewesen sei^ nm „die Herrlichkeit und Tiefe
des Konatwerks"- der römischen Hierarchie zu durch«
schauen ; wafarflobeinlich fehlte es auch dem Apostel
Paahia an dieser Bildung, als er auf die gleiche Weise
das jüdische Gesetzeswerk umBtiefa, und sie können
sich ja beide damit trösten, dafs wenigstens „der echte
Grund," der in ihnen waltete, sie als „achtungswärdig*'
erscheiaeB lasse, and dafa ^der Herrlicbkeit Gottea
auch ihre Sünde habea diimea^^ müsaeo.
Schon hier S. 92 macht Hr. Leo aaeh die weitere,
S. 141 mit Beziehung auf Zwingli näher ausgeführte
Anklage geltend^ als ob aach Luther das Prtesterthun
(diesen Begriff verwirft aber L« direot) seiae Eatste^
hang nnr einem Auftrage der Gemeinde zu danken habe^
was er ohne Weiteres die Wurzel aller die menscUi«
ehe Gesellschaft in den letzten Jahrhuaderten bedro*
henden Lehren nenat. Die göttliche Einsetzung des
Lehramts hat L. aubh in jener Schrift nirgends ge*
leugnet, wohl aber, dafs „in der Steilang des ReU*
gionslehrers etwas Monarchisches'* liege^ dafs die Geiatw^
liehen „die geistigen Herren** der Gemeinde sem sak
len, welche seine neue Theorie der Hr. Verf., wenn et
doch nach S« 174 die Schrift geitea lassen will, g^g^
Luc. 2a, 2»; 1 Cor. 3, 5; ^ Cor. 1, 24; 1 Petr. 5,3.
vertheidigen möge. Es hilngt hiemit zusammen, dafs
das Zustandekommen einer objectiven Basis fttr die
evangelische Kirche gegen die Zersplitterung in lau«
ter subjective Richtungen nur Lothers persönlicher
Kraft and Zuversicht, audi wohl seinen despotischen
Maalüiregeln, nicht der in ihm watteaden Macht des
Wahrheit augeschrieben wird, so dafe z. B. S. 111 die
Bibelübersetzung nicht zur Instaadsetzung des Volkis
selbst über den Inhalt der Schrift and ihre Bedeutung
zu forschen^ „wozu eine dem Volke nicht gemeine Bil*
düng erforderlich gewesen w&re," sondern nur zur Be«
festigung der Auctoritäl; der neuen Kirchenlehrer ge«
dient haben solL Wenn aber doch S. lOS der Zwickauer
Tuchmacher Storch in seiner Verwerfung der Kinder«
taufe den lutherischen Grundsätzen der Kirobenbesse*
rung consequenter gefolgt sein soll, als Luther selbst^
^e Conseqnenz, über welche feeilich Theologen sich
wundern werden: so war ja im Volke tbeil weise eine
noch höhere theologische Einsicht vorhanden» als bei
dem D. und Prof. zu Wittenberg, und es kann L. bei
seiner Auffassung des Schriftinhaltes im Ganzen nnd
in den^ Hauptsachen nicht so ,,im Rechten" gewesen
sein, wie sich doch nachher auch allgemein wissen*
schaftlioh bewährt haben soll S« IIL Indessen war
Luthers Zweck bei jenem unsterblichen Werke weder
der engbefvige, sich eine breite Basis für willkürliche
Behauptungen zu schaffen, noch der unsinnige, aila
Leute dadurch zu theologischer Einsicht zu bilden^
sondern den Glaubigen das ihnen entrissene Evange-
• .
519
Leo^ JLehrbueh der . Ümverialge9chiehte. (Zureiter Artikel.^
wieder zu erstatten, so dafs er die Bildung «im
gläubigen Verständnifs nicht voraussetzte, sondern erst
bewirken wollte, in welcher Voraussicht er sich wahr-,
lieh nicht verrechnet hat« — Yon den Formlosigkeiten
beim Wotmser Edict ist S. 105 blos erwähnt, dafs nur
die wenigen, zurückgebliebenen Fürsten (aber von die*
Ben wurde auch Churfiirst Ludwig von der Pfalz über-
gangen) es unterschrieben, die Fälschung des Datums
bleibt verschwiegen. — Den Zusammenhang des un-
verhältnirsmäfsig weitläufig S. 118—135 erzählten Bau-
emkriegs mit der Reformation geben wir zu, beson«
ders da Hr. Leo selber ein grobes Mifsverstehen der
währen Reformationsinteressen darin findet; wenn er
aber meint, jene Empörungen würden die Reformation
unterdrückt haben, wäre nicht Johann von Sachsen
ganz für dieselbe entschieden gewesen, so haben wir
mit einctr solchen scientia media nichts zu schaffen,
und wenn er den Ansprüchen der Bauern nichts entge-
genzusetzen weifs, als die historische Entwicklung,
„deren Nothwendigkeit, Hechtmäfsigkeit und sogar
Zweckmäfsigkeit nur von denen erkannt ward, die grö-
fsere Zeiträume der deutscheu Geschichte übersahen*'
u« s, w: so klingt dieses, ^wie die Bezeichnung des
„in seiner .Wohlhabenheit üppigen'' Landvolkes nur
wie bitterer Hohn, wogegen die Bauern übrigens mit
ihrem : als Adam reut und Eva spann u. s. w. eine noch
umfassendere historische Kenntnifs hätten beweisen
können« — Mit der angsburgischen Confession ist Hr.
Leo im Ganzen zufrieden, sofern er sie wesentlich nur
von dem Gesichtspunkte ihrer Uebereinstimmung mit
der alten kirchlichen Lehre betrachtet« Was aber,
um mit diesen Einzelnheiten zu Ende zu kommen, sein
letztes Urtheil über die deutsche Reformation betrifft,
80^ soll S. 135 coli. 151 ihr ganzes äufserliches Resul-
tat nur die Ausbildung einer ärmeren, schwächeren
Kirche und die Y^ervollständigung der Territorialhenv
Sücbaft deutscher Fürsten gewesen sein, so dafs, „wäre
diese Kirche nicht eine Bewahreriu wahrhaft evangeli-
scher Wahrheiten gewesen, man nur mit tiefer Betrüb-
nifs auf die deutsche Reformation zurückblicken kannte."
Diese beiden Gedanken an das Verlorene und das Ge-
wonnene weifs also der G(r. Verf. nicht zu versöhnen,
obgleich er S. 192 durch ihr dogmatisches Resultat
die Reformation „nach allen Seiten" gerechtfertigt sein
läfst; es bleibt ihm vieiraehr der unaufgelöste Wider-
(Die FortoetznBg folgt)
520
Spruch stehen, data trotz der ewigen Wahrheit s^e«
Bewufstseins der Protestantismus weder kirchlich noch
politisch sich als objective, substantielle Macht zu be-
weisen im Stande war.
Allerdings konnte derselbe in seinem ersten Sti^
dium, der Reformation selber, noch keide vollendete
Organisation zur Darstellung bringen, sondern es han*
dehe sich darin noch um sein allgemeines Princip, ob
dieses sein Recht zur Wirklichkeit behaupten könne,
oder nidit. Der Staat war dabei insofern sogleich
betheiligt, als er, wesentlich ein Product des freies,
sittlichen Geistes, neben einer Hierarchie unmogliGfay
als protestantischer aber mit einer Kirche, die wie er
ein objectives, aber dureh den freien Gedanken eneog-
tes Bewufstsein hat, gar wohl verträglich ist. Zoent
treten daher beide in einander als religiös -politiscbe
Gemeinde auf und unterstützen sich unmittelbar in der
Behauptung ihrer neuen Rechte; der Staat leibt der
Kirche seinen Arm gegen gewaltsame Unterdröckmig
und wird von ihr in seiner freien Constitnirong dureb
die Waffen des Geistes vertheidigt. Um hiezu die
nothwendrge materielle Basis zu erlangen, macht er
sein absolutes und jetzt well historisches Recht über
sein Vermögen durch die Einziehung des Kirohengttts
geltend, dessen Secularisation , auch wenn man nur
moralisch judiciren will, durch gröblichen Mifsbrauch
längst verschuldet war« Die protestantische Kirche
begnügte sich mit einem weit unbedeutenderen Tbeile
der bisherigen Ausstattung, indem sie es vorzog, ihre
Unabhängigkeit auf die Macht der Wahrheit, als aof
wehlichen Reichthum zu gründen, so dafs klagen, vie
S. 194, schon durch die Vergleichung dessen, was die
arme protestantische und was die reiche katholische
Kirche seit der Reformation geleistet haben, sich erle-
digen. Die Abhängigkeit aber, in welche jene durch
ihre Armuth und die Ehe der Geistlichen von der weit*
liehen Gewalt gekommen sein soll, und die ihr S. 322
und 349 unter den bescbimpfendsten Ausdrücken vo^
geworfen wird, reducirt sich zunächst auf die mit «der
Concordieuformel, bis zu welcher die Kirche durch des
tapfem Sinn ihrer Pfarrer sich ausgezeichnet haben
soll, eintretende theologische Ruhe, wodurch der Stasi
noch mehr Raum gewann, seine selbstständige Bilduog
zu verfolgen.
v¥ 66.
Jahrbücher
u r-
wissenschaftliche Kritik.
October 1839.
Lehrbuch der Umpersalgeschiekte zum thbrau-
che in höheren Unterrichtsanstalten von Dr.
Heinr. Leo.
(Fortsetonif.)
Die gftDse Geschichte Deottchlands tooi Augsbnr-
fffit ReligioDefrieden bis zum dreifsigjäbrigeii Krieg
S. 301— 351 hat mit ihrem erregten, religiöe-politisobeii
Leben weder ein so scUecbtes, noch ein so einseitiges
Prindp, als ihr S. 301 u. 34&1 in dem ^^widenrärf igen''
Banehmen Moritiens von Sachsen gegen die ernestinl-
sche Linie, wekhes den Kampf der Philippisten und
der Flacianer u. s. w. entzündet haben soll, nnterscho-
bea virdy sondern ihr Inhalt nnd Zweck ist eben der,
der Kirche die abschliefsende symbolische Form dnrch
die Diailektilc der Intherischen nnd reformi^en Princi^
pieu SU verschaflPen, an welcher Arbeit die fttrstliche
Gewidt nur kraft ihrer noch unmittelbar«» Identität
mit der Gemeinde ^ als Kirchenregiment, nicht als
StaatiregicruDg, wie sich schon ans der beständigen
Einholung der theologischen Gutachten ergibt,- AntheU
nahm. Die protestantische Kirche, von Anfang an
zum Reichen ihres Siegs über die katholische in eine
nebr subjectire and in eine mehr objective Richtung
auseinandergehend, vermittelte beide dadurch, dafs sie
in der einen die andere als Moment ihrer selbst er-
weckte, so dafs die reformirte Confession durch Calirin
die gröfsere Strenge der Verfassung nnd im Dogma
. Ton'der Prädestinatbn «und Tom Abendmahl die Aner-
kennung des objectiTen Moments in der ireligidsen Idee
empfing, die lutherische dagegen durch die Concor-
dienformel das Bnb)eotive Element durch Verwerfung
der Prädestination in sich zuGefs, dutefa die Fixirung
der Abeodmahlsiehre aber wieder zuHIckwies. Wenn
nun. Hf. Leo selbst die erstere Lehre zwar 8. 322 eine
acht lutherische nennt, sich aber gleichwohl selber
schwerlich zu derselben bekennt, weil er sonst sein
Jahrb. / fTUfefffcA. Kriiih. /. 1939. 11. Bd.
ganzes Richteramt in der Geschichte abgeben miifste^
in der Calvin'schen Fassung der Abendmahlslehre' aber
S. 318 eine solche sieht, welche „fiir Menschen von
weniger Alles durchdringender Religiosität leicht die
Thäre zu eigentiichor Gottlosigkeit** werden könne:
warum hätten denn die bisher kryptocalrinischen Pfar-
rer, welche der Ton deo angesehensten Theologen ver-
fafsten Conoordienformel sich fügten, lieber ihre Stel-
len aufgeben, als diesen Schritt, der ihnen als Rück-
kehr zu dem ächten Lutherthum erschien, thun sollen f
etwa um statt des seltenen Lobs wegen tapfer«ii Be-
harrens bei indiTid^eller (leberzengung den entgegen-
gesetzten Vorwurf geistiger Zuchtlosigkeit auf sjich zu
kden und blos des Eigensinnes wegen den Streit per-
ennirend zu machen 1 während ihnen hier vielmehr der .
substantielle Wahrheitsgehalt jener Formel und ihre
grofse kirchenhistorische Bedeutung zu Gute kommt«
Die nächste Zeit gehört darum' der Einbildung der
festgestellten religidsen VTahrheit in das Gemüth'des
Volkes an, was nicht ' „die gutmiithige Gesinnungslo-
sigkeit,*' der Pfarrer, sondern ihr kräftiger, substan-
tieller Eifer yollbracht hat, während zugleich die theo-
logische Wissenschaft, auf die Hr. Leo gar keine Rück-
sieht nimmt, die denkende Vermittlung und dadurch
Weiterbildung des Glaubensinhaltes übernahm* Eben
darum war es auch nicht „bedien^enhafte Feigheit*'
auf Seiten der Brandenburgiscben Geistlichkeit, was
sie zu dem Uebertritt des Churfärsten Job« Sigismund
zur refonnirten Confession schweigen hiefs, sondern
bei seiner Erklärung, die Lutheraner bei dem Concor-
dienbuche belassen, zu wollen, und bei der Voraussicht
des nahe berorstehenden Kriegs das richtige Gefohl,
dals Streitigkeiten, die berdts in das ihnen nolhwen-
dige wissenschaftliche Gebiet übergegangen waren, von
nun an im Sffentlichen Leben besser Temiieden, als
wieder aufgerüttelt werden.
Nach dieser objectiven Gestaltung und Befestigung
66
523
I^eo^ Lehrbuch der UniverMalgeiehiehte. (^Zweiter Artikel.)
des religiöflen BewurstseiDs kain^ vixe gesagt, an den
protestaptischen Staat die Reihe, seine eigene Organi«
sation und Concentration niTt Ernst za beginnen und
fortzuführen, ao jedoch, dafs er, Von Anfang an noch
Tielfach von der Erinnerung an seine niiitelalterliche
UnSelbstständigkeit befangen, . und ohne das Tolle Be-
wurstsein, als freie Macht in der Wirklichkeit seine
sittlichen Zwecke verfolgen zu dürfen, zur Integration
dieses Bewufstseins an die religiöse Substanz, die auch
in Wahrheit sein Recht verbürgt, sich anlehnte und
seine politischen Interessen durch den Namen von reli-
giösen rechtfertigte. Auf diese einfachen Bestimmun-
gen kommt zuletzt der ganze Macchiavellismus hinaus,
welchen Hr. Leo dieser und der folgenden Zeit Schuld
gibt, indem er gänzlich vergifst, was er früher von der
^,wahrhaft göttlichen Macht und Erhabenheit'' des
Staats geredet hat und denselben von nun an nur als
urelflicbes Institut im schlechten Sinne bezeichnet. Al-
lerdings hatte nicht jede politische Maafsregel, in ihrer
Besonderheit fiir sich genommen, eine unmittelbare
Beziehung auf das Wohl der Kirche, Ja sie konnte
als solche demselben sogar widqrstreifen ; allein fiir's
£rste war auch im Sinne der Politiker damaliger Zeit
diese Beziehung nur eine -vermittelte d.'h. durch das
Staatswohl auch die Kirche treffend, sodann ist es ja
' factisch, dafs politische Veränderungen vor und noch
in dem SOjäbrigen Kriege fast immer religiöse- nach
steh zogen. So hatten z. B. bei der S. 331 richtig
angegebenen Methode der damaligen katholischen, von
den Jesuiten geleiteten Partei die protestantischen
Stände, welche die Union schlössen, ganz die richtige
Vorstellung von der Lage der Sachen, dafs es sich
nehmlich um die Religionsfreiheit handle, und nach
den vielen vergeblichen Versuchen, alle deutschen Pro-
'testanten zu vereinigen, war ihre Verbindung mit Frank-
reich bei ihrer sonstigen Unmacht nur eine von der
religiösen Pflicht gebotene Handlung, wogegen die po-
litischen Gewissenszweifel, welchen sie nach S. 340 u.
342 hätten Gehör geben sollen, mit Recht zurücktraten.
Was sie aber so zu Nutz und Frommen der Kirche
unternahmen, das kam auch wieder Ihrer Politik zu
gut, indem eine Restitution der Hierarchie, worauf es
ja doch von den Jesuiten abgesehen war, mit dem Kir-.
chenvefmögen auch einen grofsen Theil der Rechte,
auf welchen des Staates Souverainetät und Wohl be-.
ruht, ihm wiederum entwunden haben würde, wie wir
524
aus mancherlei Begebenheiten dds SOjäbrigen Kriegi
und noch an den heutigen Anmaafsungen des Papst«
thums sehen können. Es giebt uns diefs Gelegenheit,.
vorerst noch auf Hrn. Leo's Behandlung der fräBzost-
sehen Religionskriege S« 195—279 (in der Ueberschrift
heifst es wohl durch einen Druckfehler: RevolutioRt.
kriege), wozu nobh der Abschnitt über Rieheliea S.
435—454 gehört, sowie auf die Mchwedüehe Gt^fAkAXt
S. 279—301 zu kommen. Die Reformation des let^
tern Landes soll S. 288 fast ganz auf der Drioglicb*
keit sinnlicher Bedürfnisse, auf der Geldnoth des Kd*
niges, der, um ihr abzuhelfen, mit dem Adel theiloi
mufste, ruhen. Es bezieht sich diefs auf die Beschlässe
des Reichstags zu Westeras 1527, durch* welche eis
Theil des Kirchenguts dem Könige und dem Adel m-
gewiesen wurde, wogegen wir weder mit der Beinen
kung, dars, wenn nicht der weit gröfsi^e Tbeil des
Volks von dem absoluten Geiste der Reformation e»
grifl^en gewesen wäre, sokho Schritte nicht gewa^
noch auctorisirt worden wären, noch mit der Verwe-
sung auf die tiefe Kränkung des schwedischen Natio>
nalbewufstseins durch die katholische Geistlichkeit un-
ter Christian von Dänemark, sondern einfach mit des
Hrn. Verfs. Worten selber S. 290 antworten wollea:
„wohl mag Gustav's Verfahrungsweise gegen die ksp
tholiscbe Kirche und die Thalmänner (1532) in seiocf
Lage nothwendig gewesen ^ein, wenn aus SchFcdei
das werden sollte, was daraus geworden jst, ein in
sich einiges, in die Geschicke Europa's mächtig ein*
greifendes Reich.'' Fährt dann derselbe auch unmit-
telbar fort: „aliein dem Ausländer, dessen Bewnfstseia
keine sittliche Beziehung zu Schwedens GröDse bat,
mufs der grofse Mangel an Rechtssinn bei überwiegen«
dem Zweckmäfsigkeitssinn in dem Verfahren GnstsTi
einleuchten und seinen Charakter zu einer so wid^N
wärtigen Erscheinung- machen, als die Wilhelm's voi
Oranien in den Niederlanden und ähnlicher Natures
anderwärts ist :" so mag wiederum auf die Pro?oka>
tion auf das Recht des Staates zur freien Verwalissg
seiner Angelegenheiten verzichtet und es braucht der
Ausländer, der freilich S. 294 wieder in einen „rechts*
eifrigen, ehr- und vaterlandsliebenden"* Schweden sidi
verkleidet, um Gustavs Regierung eine scheufsliche sa
nenncQ, nur daran erinnert zu werden, dafs er eben
kein Schwede sei und darum kein Recht habe, das
Volksbewufstsein, dem Gnstav's letzte, ruhige Regie*
m
Leo^ Lehrhuef^ der üniver$algescAiehte. (^Zweiter ArtikeL)
5'26
riDgBperiode lasge für Schwedens gliicklicbste Zeit
gegolten bat, Lügeo su strafen, soodern dafs sein
Beruf als UtaiversalhiBtoriker von ihm fordere, der po-
Htiscben Kraft und Tüchtigkeit eines jeden Volkes
sieb XU freuen. ^^ S.300, Z. 4 v. oben uiufs es ,,Bru-
derssebn^ statt ,,Bnider'' beifsen«
Gans ebenso äufserlich psychologisch und pragma-'
tnob werden die bestimmenden Mächte der /ranxösi'
seien ReHgionskriege gefafsf, wenn sie nur in dem
nnihigen Tbätigkeitstriebe der keltischen Race und
m der Menge damals noch in Frankreich vorhandener
Boabbingig^r und darauf eifersüchtiger Personen, Cor-
porationen und Stände gefunden werden. Hiernach
und ni|ch der ferneren Aeufserung S. 201, dafs im
Garnen nur die erscheinenden Unternehmungskräfte,
nieht aber die Motive, durch die sie getrieben wurden,
Acbtuttg verdienen, wären Zwecke und Resultate jener
Kriege völlig willkürliche und zufällige gewesen, wäh-
rend gerade solcho petulirende Subjectiviiäten, wie Hr.
Leo die Franzosen schildert, der stärksten und ab-
straotesten Bande bedürfen, um nicht völlig aus einan-
ander zu reifsen, was ihre Geschichte stets bewiesen
hat. Es ist aber auch in deui Satze S. 197, die Bie-
neDDatnr des kelttscben Stammes — habe schon da^
mals den König unter den Grofsen, Paris unter den
Städten, wie die Weisel unter den Bienen, gehoben,
das absichtlich versteckte punctum saliens jener Kriege
unschwer herauszubekommen. Für Frankreich war aller-
dings nicht ebenso, wie für die reingennanischen Län-
der die Reformation Epoche bildend, sondern trat nur
als beschleanigendes Ferment in den geistigen Procefs
ein, in welchem es bereits begriffen war; dieser aber
war durch seine ganze frühere Geschichte so eingelei-
tet worden, dafs sich seine mittelalterliche Bildung im
stärksten Zuge zu ihrer Auflösung befand, aus dieser
aber sofort nicht blos die ursprüngliche keltische Na-
tur, Sendern sie mit der Erinnerung an die in dem
ADtagonismus offenbar gewordene Relativität der reli-
giisen und volksthfimlicben Substanzen des Mittelalters
bereichert, als die reine Persönlichkeit hervorging, die
sich sofort in dem absoluten Königthume objectiv wurde.
Jene französische Unruhe des Bewufstseins aber, das
alle seine Momente nur als besondere, dialeotiscbe bat,
ist als negative Yernunftigkeit dem ProtestantisTmus
selber wesentlich, nu( dafs 'dieser zu diesem Negativen
anch das Affirmative, die positiv vernünftige Energie
des Denkens besitzt, welches seine Momente nicht ab-
stracter Weise fallen läfst, sondern in der Einheit des
ooncretea Begriffs bewahrt. Zunächst aber war es
nothwendig^ dafs jenes negativ freie Denken gegen die
gesammte mittelalterliche Heteronomie repräsentirt und
lebendig war, und[ darum hat Frankreich unter den
Mächten Enropa^s das Principat gehabt, bis positive,
aber gleichfalls aus dem freien Selbstbewufstsein er-
zeugte, politische, religiöse und i^issensdiaftlicbe Or-
^anismen, zum Theil den mittelalterlichen Stoff umbil-
dend, zum Theil neugeschaffen sich neben und über
ihm erhoben haben. Insbesondere war es für jene Ent-
wicklungsgeschichte Frankreichs wesentlich, dafs der
Katbolicismus, aber nicht in seiner mittelalterlichen
Substantialität, sondern als jesuitisch verweltlichter
und dem Staate nach gallikanischem Rechte unterwor-
fener die Oberhand behielt, dafs 2 Fürsten der katho-
lischen Kirche nach einander als reine Staatsmänner,
welchen Namen sie weit eher verdienen, als Gregor VII.
Bd.. 2, S. 127, die politischen Geschicke Frankreichs
leiteten. — Diesen in sich geschlossenen, noth wendi-
gen Procefs der Geschichte unterbricht aber Hr. Leo
mit subjectiveni Raisoniiement, das ihn die Einheit der
Erscheinungen nirgends recht erkennen läfät. Der Je-
auiterorden z. B. soll nach S. 206 anfangs unter an-
dern ein wahrhaft christliches Lebenselement gehabf
und lange Herzen und Köpfe den christlichen Richtun-
gen gewonnen haben $ welches dieses Lebenselement
aber gewesen und wie es sich zu den andern yerhalr
ten, wird nicht gesagt, sondern nur ganz äufserlich
angemerkt, der Orden sei schon durch seinen Gebors'
sam in abstracto auf ejuem Wege des Verderbens ge-
wesen und noch mehr dadurch, dafs er „mit menschr
liebem Handeln und zum Theil mit' äufserlichen Insti-
tuten erzwingen wollte, was bis auf einen gewissen
Grad allezeit Gott allein vorbehalten gebliebeji'' sei.
Ueber die hier vorgenommene merkwürdige Theilung
der Gewalten ist dogmatisch nichts zu sagen, sondern
nur historisch daraus zu folgern, einerseits, dafs Hr.
Leo selber „bis auf einen gewissen Grad" dem Syner-
gismus huldigt (s. oben), anderntheils, dafs die Ver-
suche der Jesuiten, die Reformation zu besiegen, nicht
gelungen sind, weil Gott seinen Seegeu nicht dazu, verr
lie|ien hat, was er jedoch auf andere Zeiten sich vor-
behalten haben kann. Es zeigt vielmehr nichts deut-
licher die Macht der Reformation, als eben dieser Or- ■
527
ZfS0y LeArSUek der ÜHi00r$tJge$ekiekte. iZweüer Artikel,')
den, iler wesentlich nur ihre eigenen Waffen, die Wis«
senschaft und Politik, wider sie in Anwendung ku brin-
gen wnfste, das freie Selbstbewufstsein Bolche^geatalt
in seinen Organen anerkannte uiid darum durch die-
selbe XkUt KU fördern, nicht zu ertödten im Stande war«
Ueber Heinrich's IV. Religionswechsel bleibt S. 277
der Tadel wohl nur verschwiegen, cf. S. 200 ff. \ Ref.
bemerkt darüber blos, dafs für die acht franzdsitche
Individualität des Königs, die wiederum von der welt-
historischen Bedeutung seiner Nation vertheidigt ist)
jener Schritt nicht dieselbe sittliche Bedeutung hatte,
wi'e die Conversion etwa eines deutschen Fürsten $
durch seine Ermordung aber gerade in der Zeit, wo
er. mit seinen Planen gegen die kaiserliche Macht in
Deutschland umging, „befreite glücklicher Weise die
Vorsehung Deutschland vor der Calamifät, den Fran-
zosen in seiner schwikchsten Stunde, preisgegeben zu
sein" S. 343. Mufs es dann aber nioht dieselbe Vor-
sehung gewollt oder wenigstens zugelassen haben, dafs
(S. 488) „Richelieu unserm Vaterlande und der gan-
zen politischen Stellung desselben weit tiefere und blei-
bendere Wunden geschlagen hat, als der Schweden-
könig mit seinem ganzen Volke)'* und wenn doch der
Mann ein ganzes Stück aus Einem Gusse war, auf wes-
sen Rechnung kommt „der Anblick des Hochmuthes
menschlichen Verstandes, wie er der macbiavellistisohen
Methode überhaupt zu Grunde liegt, auf dem höchsten
Gipfel der Vollemlong, den wir an Richolieu*s Wirken
und Walten haben?" von wem anders, als von sich
Bllein, von seiner ganz „menschlichen," ganz particn-
laren Sensibilität wird Hr. Leo geplagt, wenn ihm Ri-
cbelieu's „Absichten und Methode widrig*' erscheinen
S. 450, oder wenn ihm „solche Naturen, die mächtig
eingreifen und gleichwohl alles religiösen oder dämo-
nisch unwillkürlich -getriebenen Wesens (ein solches
Wesen war aber gewifs Richelieu) ledig sind, eine
grauenhafte Empfindung erwecken!*' Ein patriotisches
defühl, mit solchen Widersprüchen behaftet, und eine
welthistorische Betrachtung, die von demselben sieh
determiniren läfst, sind nicht gesund und wahr^. con-
dern schlecht und verderblich, und dürfen nimmer Zu-
stimmung erwarten zu ihren Wünschen und Dekreten, dafs
„Frankreichs geistige Einwirkung auf das übrige Europa
wieder auf eia Minimum zurückgebracht werde" S. 454«
»
(Die Fortsetzung folgt)
Voniehmlich ist es nun der ^jährige Kriege n
dessen Geschichte Hr. Leo diese deutsch-patriottidie
Stellung einnimmt und ' von derselben aus überall den
Hemmschuh seines Besserwisseas unter die rellendca
Räder der Begebenheiten zu werfen versucht. Mttth*
willig soll jener Krieg, zu weichem im ReiobA kein
Anlafs gewesen, von der pfälzisch- ansländeriseheo Par-
tei durch ihre Unterstützung der trotzigen Emporoog
der Böhmen herheigefiihrt worden sein, wiewohl du»
mittelbar darauf S. 350 zugestanden wird, dafs €ii
frischer Krieg besser gewesen, als ein Hemmhibigcn
in so vielen unerledigten Interessen. Diese Interssm
aber waren nicht zufüUige und willkürliche, wofilr lii
der Hr. Verf. ausgibt, sondern die aUgemmaeu der
protestantischen Freiheit als des Frincips der Denen
Zeit gegen die mittelalterliche Unfreiheit, IntersMes,
zu deren Auseinandersetznug der Augsburger ReUgions-
frieden als etwas nur Vorläufiges und das Reichekam-
mergerioht nicht stark genug waren, sondern die soth*
wendig in einen neuen entscheidenden Kampf aashre-
oben mufsten. Die nächste Veranlassung hieza konnte
allerdings und mufste sogar eine- äufserliche und an-
bestimmte und darum verschwindende sein-, damit der
^aran sich entzfindende Streit als wirklicher Streit der
Principien erschiene und beide Thoile mit gntem G^
wissen in dm Kampf träten ; und so ist allerdings
der Aufstand der Böhmen und die Annahme ihrer
Krone durch Friedrich von der Pfalz ein Act der Wilt
kttr, welcher in sich selbst verendete, so doch, daft
wir den Böhmen nksht so absiolut Unrecht geben dfih
fen, wie Hr. Leo thut, da sie im Anblicke dessen, yfW
Ferdinand in seinen Erblanden gethan, und bei seiner
notorischen Leitung durch die Jesuiten ein gerechteB
Mifstrauen in seine Zusagen bei seinem Regiersngeao-
tritte set^n durften. Positive Beweise feiodseeliger
Gewalt des Königs gegen sie hatten sie wohl noek
nicht, und das hat sie muthlos gemacht und ttBterli^
gen lassen; die Behandlung Böhmens nach seiner Cn*
terwerfung dagegen hat jenes Mifstrauen nur zn eeb
gerechtfertigt uml selbst Hr. Leo weifs Air diese B^
bandlung nur das allgemeine Staats- und Völkarreebt
über ein erobertes Land, durchaus aber keine coi-
ereten sittlichen und religiösen Gründe zu eitireB*
Jl^ 67.
Jahrbuch
ruf
wissenschaftlic
e r
he Kritik.
Octobcr 1839.
Lehrbuch der Umveraalgeächiehte zum Gebrau-
che in höheren Unterriehtsanntalten von Dr.
Heinrich Leo.
(Fortsetzang.)
Far die protectantiachen Stftade aber war die bla-
%e Katholifiirung Böhmens und die formlose lieber«
kagaQg der pfftlxisehen Chur an Baiem bereits ein so
feuilgoodes Argument von dem Sinne der Gegenpartei,
flafs energisebe Röstiuigen ihrerseits yon Pflicht und
Reobt geboten waren; wobei die Darstellung. S. 370,
dab nachdem Friedrich's V« Sache im April 1621 von
der Union and den niedersächsischen Fürsten aufgege-
ben gewesen, der ,,abenthenerlich- verliebte, kriegslu«
itige" Administrator von Halberstadt durch sein Auf-
tieten im Berbst 1621 den Krieg im Grande allein fort-
gtsponnen .babe, sich von selbst aufiiebt, da ja für die-
seliN) pfälüscb •böhmische Sache der Markgraf von
Baden und Ernst von Mansfeld noch bis in die Mitte
des Jahrs 1622 mit lusammen ungefähr 4(KMN> Mann
im Felde standen, Tilly sogar am 29dten Apr. 1622
von Mansfeld bei Wisloch geschlagen wurde u. s. w.
Hr. Leo nimmt freilieh hier die sonderbare Wendung,
der Krieg wäre durch des Markgrafen Niederlage und
Mansfelds Schwäche und Charakterlosigkeit doch er-
loschen, wenn nicht inzwischen Prinz Christian zu Hilfe
gekommen wäre; allein es fehlt hiefiir, was nainent-
lieh Mansfeld betrifft, der Beweis, und so lange Frie-
'drfoh's Cntsetzung dauerte, führte er durch seine Par-
teigänger einen rechtmäfsigcn Krieg, wobei wir nur
iNiilänfig anmerken wollen, dafs die wahrhaft barbari-
sche Verscheiiknng der Heidelberger Bibliothek an den
Papst S. 371 ohne , die geringste patriotische Röge
erzählt wird. Dafs aber Tilly^s Einrücken in den nie«^
dersäfibsischen Kreis auf blofse ihm zu Obren gekom-
mene Aonfserungen Cbristian's hin, der noch dazu von
den Ständen dieses Kreises nach dem Aufsagen seines
Dienstes aelbst b^eindet wnrde^ eine öffentliche Rechts*
Jükrh. /. wi$un$ch. Kriük. h 1839. IL Bd«
Verletzung war, liegt am Tagej wie denn Hr. Leo,
wenn er sofort S. 374 Dünemark beschuldigt, sich nur
ganz eigennütziger Weise in die deutschen Angelegen*
heiten ciDgeniischt zu haben, vergessen bat, dafs der
König Christian IV. als Herzog von Holstein zu die-
sem Kreise selbst gehörte uiid die Festsetzung von
Katholiken in Hildesheim und Halberstadt unmöglich
ruhig mit ansehen konnte. Wer aber wird sich vol-
lends überreden lassen, dafs die Aufstellung von Waldt«
steiu's Armee nur den Zweck hatte, der „bisher ver*
gcssenen** kaiserlichen Pflicht, das Reich gegen Raub-
beiden und Ausländer zu schützen. Genüge zu thun?
in der That ein eigentbümliches Mittel, wenn man die
Greuel der Waldtsteiner auch in deu vom Febde gar
nicht bedrohten Ländern und die von Hm. Leo selbst
perhorrescirten Anmarsungcn ihres slawischen Anfüh-
rers bedenkt, während vielmehr der Zweck der Auf-
stellung seines Heers der gedoppelte war, theils die
Liga nicht fibermächtig werden zu lassen, theils mit
ihr die Protestanten vollende zu demüthigen. Geben
wir aber Hrn. Leo seine ganze bisherige Darstellung
zu, 80 ist die Art und Weise, wie er das Restitntionsf-
edict vertbeidigt, eine völlig vergebliche. Denn wenn
er dem Kaiser zu di^ssen Erlafs ein formelles Reeht
zuschreibt, ein materielles aber freilich, weil ein jeder
über ein Menschenalter •dauernde Zustand eine Rechts-
achtuDg verlange, in Abrede zieht, so ist schon dieser
Unterschied unhaltbar, indem factiechcs Recht nach
allen, Gesetzgebungen durch die Veijührung ein foiw
meiles winl und das frühere durch die Unterlassung
seiner möglichen Ansfikun|$ als verlassen gilt. Sodann
war jenes Edict sdion defswegen nidit recht skrftftig,
weil es zwar mit geheimer Einwilliguug der katboli*
sehen Cliurfürsten, aber ohne Zustimmung eines Reichs-
tages einseitig von dem Kaiser erlassen ward ; Hr. Lee
scheint aber selbst seiner juridischen Deduction zu
raifstrauen^ wenn er uns zuletzt bedenken läfst, data
67
531
LeOy Lehrbt$eh der UhwersalgescA$eAie. (^Zweiter Artikel.')
Ferdinand I. sein jetziges Gluok <der Hilfe Gottes zu-
schreiben uiufste, ^^der ihm beistehe bei Aufrichtung
des alten Rechtszustandes der Kirche," wobei wir es
^^natürlich" finden sollen, 9,dafs er nun nicht auf bal-
Ikem Wege steheii bleibeu wollte und auf den ferneren
Beistand Gottes rechnete, im Vertrauen auf welchen
er menschliche Klugheit bei Seite setzte.'* Wenn aber,
wie fast nicht zu leugnen, hiebci nicht Heuchelei noch
FanAtismus, sondern eine wirklich absolute Berechti-
gang dos Kaisera angenommen wird, so weifs Ref.
wahrhaftig nicht, ob ein gefärlioheres Spiel mit heili«
gen Namen jemals getrieben worden ist, als in dieser
Aoseinamlersetzung, welche Gott und Glück unmittel-
bar identifizirt und die sittliche Achtung des Rechts
als blofse Klugheit, die übrigens ihren Werth für sich
behält, verhöhnt. Noch eindringender aber können wir
erwiedem, dafs nach seinem eigenen Canon uns Hr.
Leo nunmehr zugestehen mfifste, wie auch Gustav
Adolph's Glück ein Zeugnifs seiner göttlich berechtig«
ten ,Saohe gewesen , wogegen er doch seine patrioti«
sehen Idiosjncrasiecn an den Tag zu legen nicht müde
wird. Er nennt es eine blofse rhetorische Figiir im
oberflächlichsten protestantischen Parteiinteresse, wenn
man behaupte, zur Erhaltung der lutheriscbeo Partei
in Deutschland sei Gustav Adolph nöthig gewesen, da
doch im Reiche selbst Preihoitskräfte genug, und wenn
es zur wirklieheu Entwicklung des waldtstein'schen
Systems gekommen wäre, selbst bei den Katholiken
Widerständsinteressen genug zu finden waren, um des
Schweden gänzlich entbehren zu können* Wir sind
„oberflächlich und gutmüthig" genug, zu entgegnen,
dafs Brandenburg und Sachsen, die beiden einzigen
noch unangetasteten und bedeutenderen Länder des
deutschen Protestantismus, der kaiserlichen und ligi-
«tischen Uebermacht gegen die Durchführung des Re«
stitutionsedicts, welches die protestantische Entwick-
lung wieder in ihre Anfange zurückgeworfen und wohl
Bodi viel einschneidendere Folgen, etwa wie in .Böh*
men, gehabt hätte, zu widerstehen damals nicht mehr
im Stande waren, wie Tilly's Einfall in das letztere
Land im Jahr 1631 hinreichend bewiesen bat Weun
aber Maximilian von Baiern sich diesem Zuge und
eohon früher dem waldtstein'schen Systeme widersetzte,
eo that er diefs in seinem TerriteriaU und etwa auch
in dem allgemeinen Fürsteniuteresse, das gleicherweise
von der kaiserlichen Uebermaeht AUes zu fitatshteu
»32
hatte, nicht aber der Protestanten an sich selbst we-
gen, zu deren Untergange er, wie früher gegen Pfalz
upd noch 1629 gegen Braunschweig, in Hildesheia urf
durch den Heidelberger Beschlufs der Liga ibrtwlb>
rend Alles beigetragen hätte, wenn seine VergrIfseniDg
und Erhaltung darin gesichert gewesen wäre. Mag es
darum ein deutsches Unglück gewesen sein, dafs Gii*
stav Adolph kommen mufste, so lag dessen Ursache
nur in der nunmehr unrechtmäfsigeu Uebcrgewalt der
katholisch -kaiserlichen Partei und in der Schwäch«
und Einheitslosigkeit der protestantischen Fürsten, die
einer so gewaltsamen Coucentration und Verstärksog
bedurften, dafs nur vom „einstcitigsten" katholischcii
„ParteUnieresse" aus gewünscht werden käBB| es
möchte dieselbe niemals eingetreten sein. In der That
war es darum nicht „Ehr* uud Treugofuhl" -im Leo^^
sehen Sinne allein, worin die protestantischen fitindt
auf dem Leipziger Coaveat bosehlessen, mit deuSchvei
den sich nicht gegen den Kaiser verbunden zu wollen,
da sie es doch unter einander zu bewaffueter üuide»
rung des Restitutionsedictes tbaten, aondera die Us»
entscblossenheit der Furcht ver achwedischer, wie voi
kaiserlicher Demination, zwischen welchen sie neatrsi
zu sein verlangten. Wenn aber Magdeburg in der
Brutalität der kaiserlichen Truppen ein „hinreidMadet
Motiv besafs, die Aufnahme dner Besatzung von ssb
eben zu verweigern ^ so ist es mir ein WiderspfBeki
seinen Anschlul^ au Schweden zum „Reieluh und Volksi
verrath" au stempeln s „im Grunde*' aber, wenn neb»
lieh anders die . Behauptung lOflSahriger BeligioBsfip»
heit ein Grund des Rechtes and der Wahrheit ist, bat
die Stadt ihr Schicksal nicht „verdient," sondern ist
das Opfer der fürchterlichsten Barbarei des Fanatii-
mus geworden. Empörend oder lacherlich ist hiebei
die S. 397 citirte Ausflucht MenzePs , dafs Tilly m
den Greueln kein Gefallen getragen, das Morden oni
Brennen nicht befohlen habe; er hat es doch S Tag«
lang fortwüthen lassen, während die Zucht in Gnstaf's
Heer bewies, wie viel auch damals noch ein Feidberr
über seine Truppen vermochte. Dessen Politik wcifi
nun Hr» Leo vom schwedischen Standpunkte aus nkitf
anzuhaben (womit die Sache eigentlich bereits cal*
schieden wäre), sondern nur vom deutschen ; wenn et
aber trotz aller Exclamattonen demselben ein rdigii*
aes Interesse und wenn er S. 410 ^ugeatehen mvih
der König habe in Deutsobkmd eine eigeae^ van Behwi-
583 LeOj Lehr^uek der UiiwerMulge$€AieAts. {Z^^ksr AHiket.)
ilas D^tbweodiger Weise QBabbäogig irerdende prote*
stADflBohe Miielil iiDter dem von ilim soin Sohwieger-
seh» enAheiien Cburprinzen tod Brandenborg begrün-
im wollen: was bleibt dann noch bu tadeiu» als die
■avermeidliche Svperiorität, die Gustav über die deut-
•eben. Forsten aasübeu uiufste? Unfroinm an sieh und
VSD keiaen Volke bei ähuiioben bistorischen Erinne*
nmgsa getbeUt ist ein Pattiotisuius, der jedes Eingrei-
ÜBB fireinder Hand in Nofb und Gefabr zurüekstöfst ;
SMrkwilrdtg aber inabesondere die Art, wie Hrn. Leo
Usr inuner der weUIioho Gesiobtspunkt gegen den re<
ügiftsen, den er S<, 394 eine speciose Bemäuteinng
MBDt^ btrbalten Diufs, da nocli überdiefs Deutschland
die . Ebre geblieben ist, ^ dafii naehdem seine beiden
Parteien durch den sebreckliehen Krieg au gegensei»
ligsr Anerkennong geni^bigt wurden, die pretestanti-
sdie es xnerst gewesen ist^ die den fremden , nordi-
sihen Eialufa wiederum turOckstiefs. Entsehuldigt
aber sind sie Alle, die sich damals an den Schweden
aasehlosseo, sofern nach S. 404 der Vertrag, den
Waidtstein über seine Wiederanstellong mit dem Kai-
ser seblofh ein Hochverrath xu nennen ist; denn wenn
des Reiebaa Oberhaupt einen solchen Hochverrath
ssBCtionuen kennte, so gilt die dufiir angeitihrte Hecht-
fsflignag durch die Noth auch f&r alle Glieder des
Rsiebs, und seinerseits ebenso für den Chiirfiirsten von
Saiem, deasen Vertrag mit Frankreich im Mai 1682
ab eine Schmach S. 403 , sowie seine Annahme der
Nsatnlitit im Jahr 1647 S. 490 eine Treulosigkeit
gs^en den Kaiser genannt wird *)•
^^ ■ ■ ■ ■
*) Ref. niittmt hiebe! VeraoIa«iuttg , sein Vaterland und ei«
nen ehrenwerthen Diener desselben gegen unwürdige Ver«
unglimpfung zu rertheidigen. Nach der Nördlinger Schlacht
«ehailiehy heifiit es 8. 417, haben die Protestanten Siid*
wsstdentacblaads, statt durek ihre Niederlage und das Be^
asksMB der Kaiserliebea ydi« ia gaas Sehwaben den Inthe«
fisckea Gottesdienst schützten) sich zuai Anscblufs an die
preiawürdige vaterländische Politik Sachsens und Branden«
bnrgs (im Pirna -Prager Frieden) bewegen zu Massen, den
Anhalt, den ihnen Schweden liur noch in geringeren! Maafse
gewahrte, durch' ein AnscMiefsen an Franlireich zn gewin«
aea gesucht Der WQrteaibevgieche Vieekanzler Löffler
uM der Badisehe Chheimerath Streif seien die aaserkore«
aea Werkzeuge deutscher Schmach geworden, welche den
Franzosen gegen Hilfe, die diese den Heiibronner Bundes«
' genossen leisten sollten, den ElsaTs zusagen muisten: sogar
Ozeastienia aber sei erbittert gewesen über die grofsen
uad ohae allen sichernden Rückhalt tob Ldfiler (dessen
S34
Ueberhaupt aber stad in diesem verhängnifaveUea
Krieg alle Parteien nach eiaander durch die bittre
^— i— « 11 1 ■ . " *
' Namen, soweit deutsche Herzen zu finden sind, an einem
Schandpfahle der Erinnerung stehen sollte) den Franzosen
gemachte Zugeständnisse u. s. w. Hier ist nun sogleteh
ungenau, was rom Schutze des protestantischen Ciettesdiem
stes in Schwaben gesagt ist: in den Herrschaften Biaubea«
ren, Hohenstaufen und Achalm führte a. B. die Brzberxf^
gin Claudia, in Heidenheim Maximilian von Baiern den ka«
tholischen Kultus ein, die Klostergüter wurden in ganz
Würtemberg eingezogen, die protestantischen Seminarien
katholisch besetzt u. s. w. Der König Ferdinand liefe sich
in Stuttgart huldigen und setzte eine StatthaUefschaft fStf
sich ein, wogegen der Herzog Eberhard III., der, obwohl
im Prager Frieden mit Baden - Ourlach und Andern ane-
drUcklich Ton der kaiserlichen Amnestie ausgeschlossen, fort«
während seine Aussöhnung mit dem Kaiser betrieb, also
Sachsens Beispiel folgen wollte, nur nach den grausamsted
Chtkanen und fürchterlicher Verwüstung seines Lande^
durch einen Vertrag Tom 9ten November 1637 einen Theil
desselben zurückerhielt, das ihm ganz erst 'der Westphäli*
sehe Frieden durch Schwedens kräftige Vermittlung wie«
derbraehte. Das war eine Lage der Noth, die ihn so gut
zum Hilfesuchen bei Frankreich berechtigte, als den Kaiser
bei Waidtstein, oder als früher Spinola und damals Feria
und der Cardinal- Infant mit spanischen und italienischen
HUfsvÜlkem die katholische Partei verstärkten. Löffler
aber, der wirklicher Würtembergischer Kanzler, zugleich
aber Schwedisoher Vieekanzler war, und der pfalz*zwei«
brUcken'sche (nicht: badische) Geheimerath Phil. Streuff
von Lawenstein erhielten von dem Heiibronner Bundesrath
zu ihrer Unterhandlung mit dem französischen Hofe un«
term 13. September 1634 eine gemelaschafitliche Instructionf
nach welcher sie namentlich zur Bedingung.' machen soll«
ten, dafs alle von Frankreich Jetz( und in Zukunft zu be-
setzenden Reichsorte beim künftigen Frieden „ohne einige
Entgeltung, Prätension, Recompens oder Widerlegung ohn-
weigerlich abgetreten' und ihren rechtmäfsigen Besitzeni
wieder eingeräumt werden sollten. Von einer Zusage des
Elsasses steht in dieser Instruction nichts, sondern nur in
der andern, welche Löffler als schwedischer Diener von
Oxenstierna erhielt und nach welcher dieser es geschehen
lassen wollte, dafs Frankreich auch der Elsafs, „soviel
Schweden davon von dem Feinde Jure belli occapiert habe,
insonderheit auch Schlettstatt und uff den allereyssersten
und Lotsten Fall auch Bennfelden" — jedoch unter der glei-
chen Bedingung der Zurückgabe beim Frieden eingeräumt
werde. Ganz dieser schwedischen Instruction gemäfs ist
der Ton Löffler am Isten November 1634 geschlossene Ver-
trag, und nur weil er in demselben auch Benfelden hingab,
ohne dafür genug Geldhilfe aussubedingen, kam er in Un-
gnade bei dem schwedlscheR Hofe, nicht aber bei Oxen-
stierna, der fortwährend mit ihm in Verbindung blieb u s.
L&o^ Lehrbuch der ÜHwer$aIge9ehiehte. ^Zweiier ArtikeL)
535
Noth so der ErkeBotnifs getrieben worden, dafs nicht
die abatracte, an sich seiende Güte und Gerechtig-
keit ihrer Sache, sondern dieselbe nur in Verbindung
mit dem präsentesten, wachsten Selbstbewufstsein sich
9tt behaupten und durchzuführen vermöge, üic reli-
gUSsen Mächte als solche schieden sich; und zwar-
eben so auf der katholischen Seite, als zur Entschei-
dung der unmittelbaren Fragen concreler Wirklich-
keit aus und zogen in einen mehr abstracten Hinter-
grund zurück, während die ihrer selber innegewor-
dene, verständige und freie Subjectivität, das moderne
Btaatsprincip auf dem leer gewordenen Räume als
dessen nunmehrige Inhaberin zurückblieb. Ueberwun-
den wurde namentlich in diesem Kampfe auch das
alte Naturelement der deutschen. Treue und sein Pro-
duct, die deutsche Reichsverfassung, aber nur so, dafs
die bisher treuen deut scheu Fürsten in dem höheren,
ihnen aufgegangenen Bewufstsein, dessen sie sich zu
Gunsten des früheren natürlichen entäufsem sollten,
aufs Tiefste gekränkt und verletzt worden waren.
Ebendarum trat nun aber auch das protestantische
f^rincip geschwächt zwar, aber innerlich mit dem kräf-
tigsten Lebensgeiste erquickt, aus dieser Blut- und
Märtjrertaufe hervor, und hat in Staut, Knust und
Wissenschaft. eine neue Substanz aus sich herausge-
boren, in deren Wachsthum wir noch stehen, während
zugleich die alte Kraft des Reichs durch Oesterreich,
das Böhmen und Ungarn und. bald auch Italien an
sein deutsches Element heranzog, gesammelt, und nach
Aufsen vertreten 'blieb, bis der junge Baum gehörig
Erstarkt und wurzelfest geworden war.
Mit solchen Betrachtungen, die wir dem einseiti-
gen Klagelied Hrn. Leo^s S. 350 uud 431 ff. entgegen-
setzen, gehen wir noch über zu seiner schon aus den
536
fr 8. S. Sattler'fl Geschit hte ron Würtemberg unter den Her-
zogen Th. VII. — Dals übrigeiia Ton beiden Theilen noch
nicht an eine wirkliche Abtretung des EUaascs, sondern
eben nur an seine einstweilige Besetzung durch Frankreich
im Interesse der protestantischen Partei gedacht wurdet er-
gibt sich aas dem sp&tcrn Vertrage Herzog Bernhard's zu
St. Germain en Laye, den freilich Hr. I^eo zu den schmäh-
lichsten ^cten rechnet, die die deutsche Geschichte aufzu-
weisen habe, wogegen wir, um nicht die obigen Beispiele
zu wiederholeui nur bemerklich machen wollen, dafs hier-
nach zuletzt der Westphälische Frieden selber für das ganze
Deutschland eine solche Schmach gewesen wäre.
früheren „12 BBchern niederl. Gesch.'* bekannten Dar-
stellung der Entstehung der niederländischen Repa-
blik S. 466 — 533, die indessen nicht bis sur Aner-
kennung derselben durch Spanien im Westphülischea
Frieden, sondern nur bis zu dem Waffenstillstand tob
1609 fortgeführt ist. In den einleitenden Bemerkun-^
gen S. 469 sq. werden die Motive des Aufstands nnr
in den von Spanien verletzten Handelsinteressen ge-
sucht, 80 zwar, dafs eiu gegen den durch Handel
reich gewordenen Bürgerstand hcrabgekommener, re-
volutiousbedürftiger Adel ihn begonnen, die Pretestaa-
ten sich angeschlossen, nach der Lähmung dieser beh»
den Parteien aber erst jene Verletzung des ntederlao-
dischen Lebensprincips dem Kampfe einen für Spanien
bedrohlichen Charakter gegeben habe* Hiebei reicht
aber gleich jenes erste, von der Verarmung des Adels
hergenommene Motiv bei Egmond und Oranien nidit
aus, sondern es rnnfs die Unznfriedenheit mit der von
Philipp II. eingesetzten Regentschaft, so wie mit der
Zurücklassung spanischer Besatzungen .binsngeDoai-
men werden. Also sogleich eiu acht nationales Ele-
ment des Widerstands,, zudem sofort jdas gleich be^
rechtigte der katholischen Geistlichkeit wider die u*
rechtmüfsige Vermehrung der Bisthümer kam. Wie
aber die starke Verbreitung und die grausame Be-
handlung der Protestanten, und zwar schon unter Karl
V. vor sich gegangen, wird nirgends im Detail lie-
rübrt, der Inhalt der Edicte von 1529 u. 1550 gar
nicht genannt, so dafs das bedeutende Moment, dae
gleich von Anfang hier hervortritt, nur aus seinen wei-
teren Wirkungen erschlossen werden kann, die ganze
Darstellung aber fortwährend den Charakter behanp-
tet, als sei die Sache nur von dem aufrühreriachen
Adel ausgegangen. Unt^r den Anhängern des „Com-
promisses" 1366 soll zwar S. 480 Mancher geweaea
sein, dem es mit seinem evangelischen Cfaristenthame
Ernst war, und Hr. Leo will es Niemanden verdenkea,
der nun einmal die Messe seiner subjectiven Uebersea-
gung nach nicht als religiösen Act uätuiachen kann;
zugleich aber bezeichnet er die Mehrzahl jener Mäa«
ner als. frivol nnd leugnet das Recht, eine katholieohe
Regierung zu tadeln, die ebenfalls durch persdnüclie,
religiöse üeberzeuguog gezwungen, alle Krftfire und
Mittel (also auch die blutigsten Hinrichtungen f) aaf«
bieten dcu hergebrachten Kirchenbestand zu erhaltcOi.
(Der Beschlnfs folgt.)
j^ es,
Jahrbücher
u r
wissenschaftliche
Kritik
October 1839.
- Lehrbuch der Univer$algeachichte zum Gebrau-
che m höheren Unierrichtsanstalten von Dr>
Heinrich Leo.
(Schluis.)
Da hätten wir also wieder in Einem Satze den
leibhaftigen Widersprach zwischen dem Rechte sub-
jeotiver Uebeneugnng und dem Rechte, dieselbe ge-
waltsam niederzuschlagen, über den Prot^stanti8mu8
aber das änalicbe Urtheil ausgesprochen, als habe
er nur gegen die Messe Opposition zu machen ge-
wafst, was übrigens schon insofern eioe rerfeblte Tt-
rade ist, aJä der Compromifs es keineswegs mit der
Messe, sondern mit der Inquisition zu thun gehabt hat
Egmond sodann, als er nach dem Vertrage von St.
Trujen der Regierung zur Beruhigung des Landes
aufrichtig an die Hand ging, soll S. 486 nicht gewufst
kabeo, dafs jede Revolution einen innern geistigen Ver
lauf habe, dafs aber alle die, welche auf mittleren Stu-
fen desselben Halt machen, unfehlbar dem Verderben
selbst vera/cbrieben sind. Wir sind damit im umge-
kehrten Sinne Hrn. Leo's einverstanden, der hier sicher-
lich nur seinen sonstigen Canon von einer physisoh
aothwendigen Entwicklung der Sünde im Gedächtnifs
bat, während er der Consequenz wegen den andern,
S. 419 ansgesprochenen bedenken sollte, dafs die Hand
von der Sünde zurückziehen, die Gutmachung der
Sünde, die nothwen^ige Besserung ist. So wird denn
&gaiond*B und Hoorn's Hinrichtung S. 499 ganz ein-
Euch ebne alle Notirung der schreienden Ungerechtig-
keit dabei erzählt, die umfassenden Auswanderungen,
sowie die Verbergung der Boscbgeuzen beinahe durch
die ganae Bevölkerung nicht als Zeichen allgemeiner
nationaler Empörung geltend gemacht, und was mehr,
als nur partheiisch ist, das Schlachten von 18000 Pro-
testanten durch Alba nirgends erwähnt. Völlig unbe-
Jakrh. /. wh9en9cK KriÜk. J. 1839. II. Bd.
fangen wird vielmehr S. 496 davon gesprochen, dafs
der Bluthrath Alba's sich weniger nach positiven Rech-
ten, als nach politischen Maximen zu richten hatte,
„da man ja auch weniger eigentliche Verbrechen zu
strafen; als eine politische (allerdings überall in die
Sphäre des Verbrechens übergreifende) Bewegung durch
Schrecken einzudämmen hatte."* Erst als nun Philipp
durch Alba auch den lOten Pfennig u. s. w. forderte,
soll er wirklich den Eid, den er den Niederländern bei
seiner Huldigung geschworen, gebrochen haben, und
sofort durch die Festsetzung der Watergeuzen in Brielle"
die Entschlüsse des in seinem Rechte gekränkten nie-
derländischen Volks frei geworden sein. Ref. getraut
sich kaum, nach so vielen Widersprüchen auf diese
neuen erst noch aufmerksa'm zu machen: denn wenn
politische Rücksichten gegen positives Recht zu den
blutigsten Mafsregeln Befugnifs geben, so sind duröh
dieselben Rücksichten auch die Vertreter des nieder-
ländischen Volks von Anfang an bei ihrem Widerstände
gegen Philipp auctorisirt gewesen ; die positive Rechts-
vecletzung aber ist nicht erst mit dem lOten Pfennig,
sondern schon durch die Sendung Albas nnd- dessen
scbeufsliches Verfahren eingetreten. Auch ist endlich
ganz deutlich, dafs nicht die Hemmung der merkanti-
len Interessen in. der odiösen Nebenbedeutung, die Hr.
Leo damit verbindet, sondern die Verhöhnung seines
innerlichsten Rechtsbewurstseina das niederländische
Volk zur Revolution geführt hat, wiewohl andererseits
ein Lebensprincip, das einem Volke durch seine ganze
Lagen, s. w. gegeben ist, an sich einer jeden eng-
herzigen Verkleinerung widersteht.
Binder.
69
539
Oe$eniu$y icripturae lingüaefue Phoenidae monumenta*
XXXIV.
Scripturae linguaeque Phoemciae monumenta
quotquot supersunt edita et inedita ad auto^
graphorum optimorumque e^emplorum ßdem^
edidit additisque de scriptura et lingua ^Phoem-
cum commentarüs illustravit Ouil. Oesenius.
Pars L duo8 priores de litteris et inscriptta-
nibus pAoemcns libros continenSy Pars II. duos
posteriores de numis et lingua Phoenicum li-
bros: Pagg. XXV et 481. Ato. Pars IIL Qua-
draginta sex tabuläs lapidi inscriptas. Lipsiae^
1837. Sumptibus typisque Chr. Frtd. Vogelii.
, Als vir in nnsrer Anzeige ^^der paläographiscben
Stadien" des berühmten Verfs. ^9 welche den würdi-
gen Vorläufer zu diesem Werke bilden, nach dem da-
mals vorliegendeil Prospectus auf das baldige Erschein
neu dieser monumenta hinwiesen, hatten wir in der
Tbat nicht gehofft, unsren Wunsch so schnell erfüllt
zu sehn. Noch angeoebmer indessen, als durch dieses
über Erwarten schnelle Erscheinen, sind wir durch den
reichen Inhalt und Umfang des Werkes selbst, so wie
durch die eben so gründliche als glückliche Forschung
des geehrten Yejrfs. überrascht worden, so dafs wir es
zunächst verschmerzen können, wenn ähnliche von an-
dren Gelehrten unternommene oder beabsichtigte Ar-
beiten, entweder ganz aufgegeben oder bis jetzt aus-
geblieben sind, da schwerlich einer von ihnen in die*
sem Umfange seine Aufgabe so befriedigend wie Hr.
Geseniu0 gelös't haben möchte*
Was zunächst die Sammlung betiifft ~ die um so
mehr Bedürfnifs war, als jene Denkmäler zumeist zer-
streut in oft kostbaren und wenig zugänglichen Wer-
ken behandelt sind — so dürfen wir diese nach einer
Seite mit weniger Ausnahme als vollständig betrach-
ten. Wir erhalten hier nämlich die Zusammenstellung
von 77 acht pbönizischen Inschriften — auf Steinen uCd
Gemmen, unter den^n sich 9 befinden, die bis jetzt noch
unbekannt, und aus den Museen zu London, Neapel
und Berlin entnommen sind. Diesen hat der Verf. noch
die in Aegjpten aufgefundenen Semitischen Inschriften
hinzugefügt, damit sie selbst in ihrem Unterschiede
zur Erläuterung der hebräischen und pbönizischen
Schrift und Sprache dienen mögen, und damit man
*) Jahrbücher f. W. Krit ^ull 1S36. nr 6. u. folgg.
540
nichts vermisse, bat er auch ihrer geschichdidiea Be-
deutung halber den untergeschobenen Inschriften shai.
Platz gegeben. Weniger vollständig konnte^ der Ns-
tur der Sache nach , die Sammlung der zerstreuten
pbönizischen Münzen ausfallen, doch finden wir iijBi
von diesen an 60 Legenden zusammengestellt.
In Betreff der Darstellung bat der Yerf. durch E^
fabrung belehrt, wie sehr die Richtigkeit, oft sogar die
Möglichkeit des Verständnisses von ihrer Genauigkeit
abhänge, es für seine wesentlichste Aufgabe gehalten,
wo möglich fiberall zu den Antographis selbst voro^
dringen. Zu diesem Behuf unternahm er nicht nnr
eine Reise nach Lejden und London, und nahm TOn
den dortigen Denkmälern theils Schwefel- und Gips-
theils Papier- Abdrücke, sondern liefs sich auch de^
gleichen von Paris, Koppenhagen und Neapel zitferti-
gen, nach welchen dann, vermittelst sorgfUltiger Z^eh-
nungen, die beigegebenen Lithographien ausgefiibrt
wurden, so dafs von den Inschriften nam'entfidi xm
die auf den Inseln Sardinien, Sicilien und Malta ge*
fnnd^nen, sodann die in Africa gebliebenen (JTuggemi
Oerb.) und die im Original verloren gegangnen ((^
tiens. u. Eryc.^ nur nach den frühem apogr^phii hier
wieder erscheinen. — Als Resultat seiner Bearbeitung
der pbönizischen Denkmäler giebt der Verf. eine voH*
ständige phön. Paläograpbie. Sodann hat aber auch
Hr. Gesenius zu den Inschriften auf Steinen, Oemnien
und Münzen noch eine sprechendere Art von Denkma^
len, die phönizischen und punischen Reste bei den
Schriftstellern gesammelt;' namentlich die phöntzisch-
punischen Stellen des Plautus (im Poenulus) von neuem
behandelt, die sonstigen phön. Glossen, so wie dis
phönizischen, punischen und numidischen Eigennanen
zusammengestellt und erklärt; und endlich noch eine
aus beider Art Resten geschöpfte Grammatik aufge*
stellt, und dem Ganzen noch wichtige Nachträge und
reichhaltige Register hinzugefügt.
So hat denn der Verf. Alles, was im weiteren
Kreise ihm zu seinem Gegenstande zu gehören schien,
in sein Werk hineingezogen. Wenn wir in der Tbat
gewünscht hätten, dafs er unter den Inschriften neben
den ägyptisch semitischen auch deo palmyrenisektn^
und unter den Münzen auch den hasmondischen eionn
Platz gegönnt hätte, so wollen wir doch mit dem Verf«
weder über die Auslassung dieser, noch über die Anf-
nähme irgend eines andren femer liegenden Stocken
Oesemuiy seripiunm U»gumgf9§e Phoenieia^ monumenta*
MI
rtoM6ii^ sMdem uns 4e8 dacgobateneo rachen Inhalt«
erfMOoa nnd dankbar den grofsen Forfaobritt aner^
kenaeO) der durob die Arbeit des Hm. Verfs. auf die>
sein Gebiete (gewonnen ist» welches freilioh der Art ist^
dafi nur die flrklarang veniger Denkmäler als sicher
betrachtet werden kann. Diese Anerkenntnifs aber
giasben wir Hm« Gesenius nicht besser beweisen zu
kdonen» als wenn wir nonmehr Bericht erstattend dem-
selben durch die einselnen Thcile folgen, und unsre
Bemerkungen' nnd abweioheaden Erklärungsversuche
'gel^entlieh anachitersen. Den obigen Stoff hat der
Verf. in 4 Büchern behandelt, bei deren Anordnung er
jeiloch auch die Zweckmäfsigkeit berücksichtigt hat*
So gleich 6ei dem Isten Buch , es behandelt in 6 Ca»
pitela die phomzische Paläographie (§. 1 — 59), diese,
weiche durchaus ¥on der Lesung und Erklärung der
Denkmäler abhängig, nnd insofern erst das Ergebnifs
ibrer Behandlung und ihres Verständnisses ist, hat der
Verf. jedoch zu Gunsten derer, welche sich auf dieses
Gebiet begeben wollen, vorangestellt. Das Iste Capi*
tel (^. I — 4.) giebt eiuleitend eine kurze aber vollstän-
dige litteräriscbe nnd bibliographis'che Geschichte, in
welcher besonders die Verdienste von Barth^lelny
(Akerblad, Lindberg) und in ihrer verschiedenen Ein-
seitigkeit auch Kopp's und Hamakers anerkannt wer-
den. Das 2te Capitel (§. 5 — 7.) beschäftigt sich mit
der Frage, in welchen Ländern und zu welcher Zeit
die Phönhier sich der Schrift bedienten. Als die Län*
der setzt Hr. Gesenius nach den vorhandnen Denkmä-
lern fest: 1) Phönicien selbst, von welchem indefs
Dor ans später Zeit (2tem Jahrb. y. Chr.) uns Mün-
zeo' erbalten sind; 2) Cilicien (aber nicht« Ljcten und
Pisidien), wie Münzen uud einige phön. Städtenamen
zeigen, obwohl diese letzteren mit dem Gebrauch des
Pbonizischen durch den griechischen Einflnfs nach
Alexander des Gröfsen Zeiten verdrängt wurden; 3)
Cjpern, Voll von pbonizischen Cotonisten, und der
reichste Fundort der phön. Denkmäler; 4) Athen, wo
iadessen nur ein phönizisches Euiporiuui war; 5) Mal-
ta; 6) die Küstenstädte Siciliens; 7) Sardinien (wo sich
bis jetzt eine Inschrift gefunden) ; 8) Spanien ; 9) Africa
vnd zwar längst der ganzen Küste von Tripolis und
Leptis bis an den Säulen des Hercules und Tingis,
wo zwei Sprach- und Schrift- Charaktere im Gebrauch
waren, wie namentlich die Inscr. 6il. Tugg. zeigt;
10) Aegypteui wo indessen phönizische (und semiti-
5ia
sehe) Sprache und Schrift nicht einhcjmiscb> sondern
wie in Athen, yon fremden dort lebenden oder ansäfsir '
gen (Phöniziern nnd Semiten) gebraucht wurden. Als
das älteste Denkmal mit ph5nizischer Schrift hält der
Verf. die cilicisch-pbönizische Münze vom ^ahre 394
V. Ch., als das jüngste den tripolitanischen Bogen aus
dem Jahre 203 nach Chr. Für die Schrift selbst, bei
welcher ein Uebergang von den genanem und bestimm-
teren Zügen zu den flüchtigem und rohem sichtbar
ist, unterscheidet der Verf. 3 Charaktere: 1) den ei»
geotUch phöuizischen, wie er sich in der Maltesischen)
Atheniensischen Inschrift, so wie in der sardinischen»
und auf den phöuizischen und sicilischen Münzeii dar-
stellt; 2) Den nuroidischen; 3) den ägyptisch -.phönizi*
sehen« Doch da die ersteren beiden sich näher ster
hen, so bat es der Verf. yorgezogen, dieselben nicht
zu trennen, sondern vereint zu behandlen. Diefs g^
schiebt uA 3ten CapiteL Nachdem er hier die bisher
gegebenen Alphabete vorgeführt und geprüft (§. 8), so«
dann die Merkmale der ursprünglichen Gestalt der
Buchstaben (§. 9.) so wie die Gründe ihrär allmäligen
Veränderung (§. 10.) auseinandergesetzt, und Mittel
zum Herausfinden der unbekannten Buchstabe» an die
Hand gegeben (f IL), geht er (§. 12—^.) die phöni« -
zischen und uumidischeu Buchstaben einzeln der Reihe
nach durch, so dafs er einen jeden von seiner ältesten
Gestalt ab die ganze Reihe seiner Metamorphosen hin-
durchfuhrt, nnd für dieselben die Belege aus den Denk-
mälern giebt. Aufserdem aber wirft er noch beim
Schlüsse eines jeden Buchstaben eben vergleichenden
Blick auf die Form, welche derselbe in andr^i alten
aus dem Pbonizischen entspmngenen Alphabeten an-
genommen hat. Da hier einleuchtend Vieles von der
Auffassung des bestimmten Denkmals abhängt, so wird
man in gar manchen Fällen Veranlassung haben von
dem geehrten Verf. abzuweichen $ so ist z.B. zum Be*
leg für Daleth nr. 3. (mit zur Linken gebogenem Schaft)
aufser Sigill. 67 b. angeflihrt Sard. 2. 3. 7. ; nun aber
ist anf der Sard. 3. 7. der Schaft des Daleth entschie-
den zur Rechten gewandt (noch mehr als auf Melit. U.^
wo ihn, wie der Verf. pg. 94 bemerkt, Lindberg häutig
fälschlich zur Linken dreht), wefshalb wir auch Sard.
2. nicht für Daleth, sondern fiir Resch halten. Aut
Sigill. 67. aber ist der Schaft des Daleth so kurz,
dafs sich kaum eine Richtung angeben läfst, so wie
er denn anderwärts ganz und gar fehlt, wie der
543
Spratty tke language 9f Hrd$,
544
Yeif. Doch nachträglich im 4t6D Anhang bemerkt, der
überhaupt (ilr diesen Abschnitt noch einzelne wichtige
Nachtrage enthält. — Der Verf. gedenkt hierauf
noch -einiger abweichenden Buchstaben ($. 34.)i so wie
einiget Besonderheiten der numidischen Schrift (§. 35.))
fuhrt einxelne Fälle von verbundenen Buchstaben auf
(4* 36.), bandelt von den (wohl ^zu weit ausgedebtten)
Noten und Siglen, von denen er auch ein Register
mittheilt (§. 37.), fuhrt ferner die seltnen Unterschei-
dungszeichen in der phönizischen Schrift an (als Punkte,
Spatien, Zeichen am Ende und Anfang, der Titel, Or-
namente) (§• 39.), so wie den durchgängigen Mangel der
. Vokalzeichen (§. 39.), spricht sodann ausfttl^rlich über
die sogenannte defective Schreibart (§. 40.) und schliefst
das ganze Gapitel mit der Angabe der gewöhnlichen
Richtung der Schrift, und der einzigen Ausnahme Num.
H^rael. F (C ist als Druckfehler verbessert). Nach-
dem der Verf. nun noch im 4ten Capitel in der Kürze
und nach Vorgang Becr's über die aramäisch • ägypti-
sche Schrift (d. i. über die Schrift der in Aegypten
gefundenen Denkmäler) gesprochen, giebt er im 5ten
Capitel (4* 44 — 55.) einen Ueberblick über die verschie-
denen alten Schriftarten, welche aus der Phönizischen
entsprössen, namentlich geht er durch : 1) die altgrie-
chischen und die altitalisohen (etruskisch, nmbrisch,
samnitiscb, oskiteh, celtiberisch und römisch), sodann
2) die altpersische, 3) die ältere hebräische und sama-
ritanisohe, 4) die aramäische und ihre Abkömmlinge,
5) die ätbiopiscbe. Diese werden auch Tafel 2 — 5.
dargestellt, aufserdem aber weiter ausgeführt in einer
Stammtafel (§• 45.). Dafs durch eine solche verglei-
chende Befrachtung der Schriftarten manches Licht
auch auf die phönizische Mutter zurückfällt, ist so
einleuchtend, dafs man es dem Hm. Verf. nur Dank
wissen wird, diesen Abschnitt eingeschaltet zu haben,
in welchem auch der Paläograph überhaupt manche
Belehrung finden dürfte. Das 6te Capitel schliefst end-
lich das erste Buch mit der Behandlung der phönizi-
schen Zahlzeichen, über deren Entstehung jedoch der
Verf. noch nachträglich pg. 462 gesprochen hat.
Das 2te Buch beschäftigt sich ausscbliefslich mit
der Erklärung der Stein -Inschriften, die Hr. Gesenius
einzeln genau durchgeht, indem er ein jedes Denk-
mal geschichtlich einführt, die angestellten Liesungs-
ünd Erklärungs- Versuche mittheilt und beurtheilt, dann
seine eigne Deutung aufstellt, und dieselbe durch den
folgenden Commentar nach allen Seiten ausfahrt, er-
läutert und begründet. Dabei hat Mch der Verf. das
strenge aber richtige Gesetz gemacht, nur die Erklär
rung zuzulassen, welche 1) der Schrift, 2) der Spra-
che angemessen und 3) zugleich einen dem Denkmal
entsprechenden Sinn darböte. Die Reihe der Inschrif-
ten eröffnen die Maltesischen; und der ersteren we-
nigstens, die zugleich mit einem griechischen Titel ver-
sebn, gebührt dieser Vorzug unbedingt, einmal, weil sie
die. leichteste, sodann aber, weil sie diejenige ist, von
der eigentlich das Studium der phönizischen Denk-
mäler ausgegangen.
(Die Fortietznog folgt)
XXXV.
TAe language of birdsy comprinng poctic and pro te
Illustration$ of t/ie most favourite cage hirdt.
With twelve higly^colonred plata. By Mrs, G.
Spratt. London. 1837. 12.
Dafs sich die Englischen Damen mit den ^Wissenschaften,
und, nach unseren geuohnten Ansichten, etwas zu ernstlich,
beschäftigen, ist längst bekannt :-\i er denkt nicht unter den
neuesten Schriftstellerinnen an die Connection of physical Seien*
ees der Lady SommerriUe, die auch Männer von Pach achten;
wer nicht an die gelehiie Mrs. Guest, welche uns eben die
ersten keltischen Texte lieferte; wie viele Nachahmerinnen fin-
det nicht die zarttähiende Mrs. Hemansl Zu diesen gehört auch.
Mrs. Spratt. — Männer von gröfstem Gewicht haben es nicht
verschmäht, den Eindruck zu unteraachen, den die Natur in ih-
rer Gesammthelt auf unsem Geist macht; es ist anziehend, die-
sen auch bis auf die einzelnen Glieder derselben zu verfolgen;
vielfach und ansprechend ist dieses in Hinsicht der Blumen ge-
schehen; unsere Verfasserin versucht etwas Aehnliches in Be-
ziehung auf die Stubenvögel, die language of birds ist analeg
der Biumensprache aufgefafst. Die Verfasserin hat es Tcrstan-
den, mit ihrem Griediischen und Lateinischen nirgends pedan-
tisch zu werden ; das Büchelchen wird gefühlvolle und gebildete
Freunde der Natur ein Paar Stunden recht angenehm unterhal-
ten. Wir verkennen dabei nicht, dafs der Gegenstand auch ei-
ner ernsteren Auffassung wohl fähig ist. Die Tafein sind schön,
das Ganze elegant.
Heu sing er.
JW 69»
Jahrbücher
für
w i s s e n 8 c h a f 1 1 i c h e
Kritik
October 1839.
Scripturae linguaeque Phoeniciae tnonumenta
quotquot super^unt ediia et inedita ad autO"
graphorum opUmorumque exemplorum fidem
edidit additisque de scriptura et lingua Phoenix
cum commentarns illustravit GuiL Gesenius.
(Forteetxuig.)
Wir baben über dieselbe sohoD bei der Anzeige
der paläographisohen Studien des Verfs. berichtet;
Uire Erklftmng kann nunmehr als vollendet betrachtet
▼erden; and nur über die Gruppe der ersten Zeile
TI3VN kann noch ein kleiner Zweifel bleiben, ob es
mit dem Vcrf, för ^13 W^^h? (vielleicht auch ^13 TP^N
vir voti est^i oder aber für *)*3) *^^^ ^^ nehmen sei«
Allerdings bat die erstere Auffassung zunächst das
TorauS) dafs U?N die gewdhnliche^ Schreibung für
VJ^bi ist> aber dars, wie wir schon früher bemerkt,
eiae Verkürzung des yOH in VK in dem Gange der
Sprache liege, zeigt, abgeschn yon allem Uebrigen,
ier geläufige Gebrauch des W praefixumy und die
Beibehaltung des leichten Aspiraten (n) im Anlaut, bei
der Attsstofsung des härtern ^ im Auslaute ist gewiis
unbedenklich« Auch glauben wir in der 238ten Cyper-
sehen Inschrift tSN fiir *^WN auffassen zu müssen.
Tgl. daselbst. Diese Votivformel findet sich übrigens
noch auf mobileren Oeukmälern (zu den angefiährten
Tgl. noch Carth. 12* 13.), wo überall freilich dieselbe
Frage wiederkehrt. Ueber allen Zweifel würde man auch
in dieser Formel hinauskommen, wenn sich ein Ton
einer Frau gesetzter YotiTsteui fiinde; Tielleicht
ist CmirtAag. 12. in der That zu lesen vrm WH.
Das Zeitalter der Inschrift setzt der Verf. auf Grund
des Namens Serapion wohl mit Recht nach Alexander
dem Grofsen.
Nicht so sicher st«ht es mit der Erklärung der
übrigen Maltesischen InschriftcfU, die nicht, wie die
Ukth. /. wi$9€M€h. Kritik. J. 1830. II. Bd.
erste, doppelt, auch nicht sämmtlich unversehrt vor-
handen sind, und denen keine griechische Version zu .
Hülfe kommt. So gleich die 2te lUalt.y obgleich der
Vf. dieselbe den wenigen Denkmälern beizählt, deren
Erklärung als gewifs betrachtet werden könne (Voi^
rede p. XIX). Ungewifs zunächst ist das 3te Zeichen
der 2ten Zeile, welches als 8tes und lOtes wieder»
kehi't. Der Vf. sagt selbst (p. 103), dafs, palaeogru^
phuch beurtheilt, es sich dem Jod auf der ersten
Malt. Inschrift anschliefse^ wofür es in der That anoh \
Tjchsen genommen, aber dars der Sinn mehr für Ue
spräche, wie es sich ähnlich in der aramaeisch-ägypti*
sehen Schrift finde. Allerdings läfst das zwischenste-
bende Zeichen (welches man mit Tjchsen nicht fiir
Phe nehmen kann), kaum das 8te und lOte (und
somit auch das 3te) als Jod vx. Und alle Ausleger
haben es deshalb auch als n genommen. Unser Vf.
selbst hat schon 1820 eine Erklärung' dieser Inschrift
versucht (Jen. Litt. Zeit Febr. No. 39.); ohne dieser
aber weiter zu gedenken, hat er hier eine neue aufge»
stellt, die er aber wieder gegen eine andre in dem
Nachtrage (p. 402) vertauscht. Die Hauptschwierig-
keit bietet die Gruppe vom Ende der 2ten Z^ile hie
zum Anfang des Eigennamens gegen Ende der 3ten,
Diese hatte der Verf. 1820 erklärt „der Geist des Ab*
geschiedenen sei mit seinem Tode** (n03 QKB*1 Dn*^)^
indem er statt \o (Zeile 3 litt. 5. vom Ende) ein Q ^
lass statt dessen fafst er den Satz in den Monumen»
ten auf ^ySpirituM remüsionü {est) mater tgnominüu^'
als eben Wahlspruch^ den vielleicht der Verstorbene im
Leben geführt. Aber besser unstreitig im Anhang als
Prädicat des Abgeschiedenen ^yspirüus manouetuo
sine dedeeore'' nvaO NBnO H"^ Auf diese letzter»
Erklärung hat ihn offenbar die Ute Carthag. Inecbrifl:
geführt, wo sieh dieselbe Gruppe befindet (ttB^H*))«
Aber schon dieses Wiedeirkehren der Gruppe macht
69
547
Ges0niu€y Mcripiurae linguoe^ue PUomUeiae m&numeiUal
548
die Anuahine eines Prädioats bedeuklich, nnd läfftt
eher auf eine betttiinmte Formel ■cbliersen; Daza
kommt, dafs die dortige, doch wieder aum Theil ab-
weiobende Auffassung des Verfassers KB10 TlTi . K^
),«cw, mnima plaeida'* sich sprachlich nicht begrün«
den läfst (wir meinen den Gebrauch des ^^ als avs).
I>emnach möchte man f icUeicht der folgenden Erkiä-
rnng den Vorzug geben: Conclave domus aeternae
est seputcrumj {vef) pollutus purgatur in hoe clau^
9tro\ 0 fnißeriears $alva ab iguominia Haunibalem
reU. Zur Erläuterung bemerken wir nur: 4^33 ^*^^^
nach Aebr&Uohem Sprachgebrauch genommen, np3
ist gewöbnlicbes Nifal ; die fragliche Gruppe zu schrei-
be nU|[30 . N^"^ t3n*3, oder mit Hinzuziehung des
troriangebenden f) Auch DD'in? ^^^ ^>® Constmction Tgl.
man Jer. 30, 17. Auf der Carthag. übersetze man
o6$eerOy mitericorsy saiva relL Angeredet wäre der
Gott Baal. Doch wir stellen diese Erklärung nur als
einen Versuch in Ermangelung des bessern hin. Die Deu-
tung der 3/«^ JUalt, Inschrift, für, welche der Vf. eigentlich
nur Hamaker als wenig glücklichen Vorgänger gehabt,
mufste nach theilweise sehr abweichenden Apographen
unternommen werden. Die Ton Harn, falsch gelesenen
und besonders verkannten gebrochenen Buchstaben,
hat er' richtig bestimmt, und unsres Eracbtens ebenso
den Schlafs restituirt, überhaupt bat er eine Erklärung
gegeben, die im Ganzen befriedigen kann, und bei der
uns nur das ^nhs^ (Zeile 2 und 3) zweifelhaft bleibt.
Viel, zweifelhafter ist die der Torangehenden Terwandte
\te M€Ul Inschrift, bei welcher dem Verf. so wie Ha-
inaktfr nur ein Apograpbon zu Gebote stand. Die Er-
klärung mu(^ zu sehr zur Conjeotur greifen, als dafs
sie nicht bedenklich bleiben müfste. Die 4 ersten
Zeichen sind allerdings "j^nj \ damit sie 3^j[3 lauten,
bedarf es der Annahme, dafs Jf Terkebrt (wie nach
dem Verf. Zeile 5 noch ^) und das acht phöniz. Da-
leth '— ein Dreieck mit zur Rechten ausgeschweiftem
Stiel — mufs für Beth genommen werden, wie es sonst
nicht erscheint; 3^^;) selbst endlich—' verstdfst gegen
die gewöhnliche phöniz. iSchreibuug, — lauter Schwie-
rigkeiten, die sich der Verf. selbst nicht verhehlt; in
der 3len Zeile ist es bedenklicb, das complicirte Zei-
chen fbr ^^ zu nehmen; in der 4teu Zeile fehlen viel-
leicibt, wie in dec vorangehenden, Buofastaben; in der
5ten ist am Ende nqcb das Fragment eines Zeichens
sichtbar, und um so wettiger snlässig die ohnehin be>
denk liehe Lesung *)n3 "^SH {ex vete patrie)^ bei wel-
cher der Verf. H und >3, mit Uebergehung des da-
zwischen stehenden Buchstabenfragments, zu einem
Worte zusammengeschlossen hat. Von den maltesi-
schen Inschriften geht Hr^ Gescnius zu den 3 atie-
nieneiichen über; diese haben sämmtlich aufser dem
phönizischen noch einen griechischen Titel; bei der
Erklärung der Isten hat der Verf. den (auch auf den
Humbcrtschen Steinen vorkommenden) Namen der Göt-
tin ron E^S^^ nSn {y^^ '^^^ Hamaker las und für die
Mylitta nahm), nicht nur über allen Zweifel sicher ge*
stellt, sondern auch ihre Identität mit der Tanais,^der
orientalischen Diana, nachgewiesen,, und ihren Ursprung
von der ägyptisohen Neith fest begräudet ; aa wiif
denn überhaupt die Erklärung dieser Inschrift nidita
zu wünschen übrig läfst. Ein nicht so güastigea Rc*
sultat konnte der Natur der Verhältnisse nach die
Auslegung der cypri9chcn Steine gewinnen. 33 aa
der Zahl (bei dem Fundament der Mauern von Citiuui
ausgegraben), bildea sie bekanntlich den Hauptfnnd
der phönizischen Denkmäler, den Rieb. Pococke 173S
gemacht, der denn auch eine Abschrift derselben ia
der description of the East uiittheilt. Eine 2te Ab-
schrift nahm noch später von 29 Stejnen Porter de
Thaxted, der auch den einen bei Pococke No. 2 be-
zeichneten Stein mit nach England brachte, wo er
nachgebends durch Vermächtnifs an die Bodlejanisclie
Bibliothek in Oxford kam. Doch wurden von Porters
Abschriften nur 5 durch Swinton veröifentlichf, wäh-
rend die übrigen, nach den letzten Nachsnchungen, die
unser Verf. . deshalb in England bat anstellen lassen,
wahrscheinlich verloren gegangen sind. Bin eben so
unglüokliclies Geschick waltete über den Steinen iö
Gypem selbst, indem sie kurz nach Porter der dortige
Statthalter ab einer Wasserleitung verwandte, und alle
weiteren Versuche zu ihrer Wiederauffinduag mif»-
glückten. Somit ist denn die , Auslegung, mit Ans-
nahme der 2ten, von welcher der Stein selbst exiBtift^
und der 4ten, 5ten, 12ten, 21sten und 23sten, von denee*
die Portersohen Apographa vorhanden sind, rein auf die
Pocockeschen Abschriften verwiesen, die, wie die Ver*
gleichung zeigt, sehr unsicher and fehlerhaft, weshalb
denn auch viele ganz und gar nicht zin lesen, nur we-
54»
G€$0mm$^ äerifrtmm^ Unf^me^ue Ph^enidae tMnumerita.
5»
Bigd ertrftgJjch zn erkliran «iad. Auch hat nur die
2te Aittkgf r ki Masse gefoadeii) tod den übrigen ist
kaum die HiUfte, und diese uor voa wenigen — Swtn-
tsoi Kopp und Hamaker — versuclit. Unter diesen
umständen mufste auch unser Vf. manche aufgeben,
doch sind viele von ihm vollständig, andre stückweise
erklärt, und fiir noch andre wenigstens Erklärungs-
TersQche angestellt*
Die erste Inschrift, die grörsto von allen, gehört
leider zu denen, welche Hr. Gesenius nur stückweise
lu lesen vermochte, und deren völliges Auslegen kaum
je gelingen durfte. Dies ist um so mehr zu bedauern,
da sie offenbar die bedeutendste von allen ist. Denn
wenn sie auch, weil mit den übrigen zusammengefuu-
dSDy^eine Grabschrift und kein öffentliches Denkmal^
wäre, wie unser Verf. diefs übrigens sehr wahrschein-
lich macht, so enthält sie jedenfalls Völker- und Re-
gsntenaamen und in diesen vielleicht historische Daten.
Hr. Gesenius hat 3 Gruppen: 1) Die 2te Hälfte der
Isten und die Iste Hälfte der 2ten Zeile, 2) einige
Worte aus der Mi(te der 2teu, und 3) den Schlufs.
Alle 3 bleiben natürlich, bei der mangelhaften Zei'ch-
Dung sumal, blofse mehr oder weniger wahrscheinliche
Mothmafsonii^, doch lohnt es' sich kaum, eine abwei-
chende, zu nichts weiterem führende Auffassung^ der
Fragmente beizubringen. Hingegen die 2te, so viel
versttchte, und immer noch nicht befriedigend erklärte
losehrift ist von dem Verfasser so vollständig darge-
stellt und erklärt, dafs nur ein Zweifel übrig bleibt;
dies' ist das schwierige nN3tD^> welches derselbe im
Werke mit (Vater und Eichhorn) für ^r)N \0l
(«■ N^S^^ » n^fO^]) in der Bedeutung des arabischen
Q/^^ im Nachtrag aber vielmehr, durch Umtausch
des o und yj) , im Sinne des Hebräischen i^;^ erklärt.
Die 3/« Inechrift gehört zu denen, an welche
sich noch kein Ausleger gewagt, und unser Verfasser
giebt demnach den ersten, in der That überraschen-
den Versuch, wenn man nur einen oberflächlichen Blick
auf das Pocoekesche Apographon wirft. Indessen
irird man nicht erwarten, dafs mit demselben bereits
alle Schwierigkeiten gelöst sind. Gleich zn Anfang
scheint uns die Annahme des ^ (nach nSlfO) als Ab-
breviatur für |3K «hen so bedenklich, als die Be-
seichnung pNnSSCO (Gen. 35, 14) auf einem Steine
anpassend; sodaun können wir uns schwer entschlic-
fsen, in dem Phönizischen eine sogenannte maUr lec*
tionis anzonebmen, und daher der folgenden Ergin«
zung t^KnS für ^^nS nicht beistimmen. Auch blei»
ben uns in der 3ten Zeile, die vom Vf. als componirt
angenommenen Buchstaben sehr zweifelhaft, die Hftk«
eben am oberen und unteren Schaft der 3 Buchetaben
(des Isten, 6ten vom Anfang und 2ton vom Ende der
Zeile) möchten wir nur für Zierrathen halten,^ so wie
sich dann noch ein Zeichen und 2 Punkte finden, die
ohne weitere Bedeutung zn sein scheinen. Leider
können wir fürs Erste nur diese Bedeuklicbkeiten, aber
keinen genügenderen Erklärungsversuch aufstellen. Ver-
bältnifsmäfsig wenig Schwierigkeit bieten die iie und
5te Intchrifi dar, weshalb auch hier der Verf. wieder
einzelne Vorgöngcr gehabt, jedoch ist erst durch ihn
die Erklärung vollendet, nur dafs in der letzten die
Entscheidung über die Bedeutung des Namens y^N
billig dahingestellt bleibt. Die 6(e aus 7 Buchstaben
bestehende und wahrscheinlich unvollständige Inschrift
hat der Verf. richtig gelesen und beurtheilt. Bie Er-
klärung der 7ten gehört wiederum zn den unsichern;.
die erste Zeile fibergeht der Vf., verumtbet aber^ dafs
sie (vor HSV}) ^'n^ Zeitbestimmung enthalte;- in der
3ten Zeile nimmt er eine Abkürzung an, die (yy)
freilich unvermeidlich scheint, und doch istsicher^' wie
der Verf. in der 13ten einen circellus (y) zu Betb
ergänzt, so auch hier zu verfahren, mag man nun
*13y oder ^ys lesen; das folgende Nomen ist höchst
wahrscheinlich K^TI (nicht \QW. Jedenfalls unberech-
tigter als in dieser hat der Verf. in der 8ten Inschrift
2 Abkürzungen constituirt; die eine in der ersten, die
andere in der letzten Zeile; in jener soll ^ TtJM für
yyS ©^>j oder P]y*^ stehen, was wir durch.aus für
unmöglich halten ; wohl konnte man umgekehrt
yy*^ 'N für \y^ \D^S als Abbrevialur zugeben, aber
das wesentliche Prädikat konnte nicht verkürzt wer-
den. In der letzten Zeile soll u; für yQ stehen, auch
diese Verkürzung ist, wenn nicht unmöglich, doch nicht
glaublich und jedenfalls unberechtigt ; wohl aber ist
eine 3te Abkürzung gestattet, die der Vf. zu Anfang
angenommen, nämlich St3 » 2^St3 ; er liest VN^ '!£3
"^ von Ciflfms viro €0nsuli Chan 'Esmuno (^Aeclc*
561
Q«$»imUy,*eriptwrtM Umgiatft^ 'Ph^enieia* monumMta,
5»
« \
jdadm^ m CkmeamHÜ^haüa^ ßlio SoImoI €$ Senas^
ffrmeipe ' 4imnfuev$rorum» Gegen diese Lesnng ist
kauin etwas eimuweDden, doch der 3te Buchstabe der
Isten Zeile ist für Lained, der ihm ähnliche 3, 3. für^
Jed genomiuenj wir möchten an beiden Stellen ihn
entweder für ^ oder für ein (verzeichnetes 1) Bcth, wie
wohl auch Cit. 33» Zeile 1, 3. nehmen ; m dem erstem
Falle mürste man aber auch lin. 3, 2. als Beth, in dem
letztern als Resch auffassen. Nach dereinen oder andern
Weise wäre kq erklären VN SUS (oder WNS *2U)
pN S'^Pi (ba - Sya) an oanb |own N3m
Cipfnu viriyfaveat ei Ksmuny Sa/nenti magno vir"
tute {praefecto exereitus?)^ patri nostro relL Statt
T0NM haben wir vorgezogen, das N zu dem vorange-
bei^Lden zu beziehen, weil uns der Artikel bedenklich
schien s l^IiT^^ mag für yn^XV^ O^SH^) stehen 5 eine
solche Formel durfte sich vielleicht auch zu Anfang
der Steil Inschrift finden, wo (mit den oorrumpirten
Zeichen) zu lesen Sn aPI"» QO^ (h 1) naNO) und
dies nicht als nomen propr. vor dem folgenden aJht
"ego)^ sondern als faveat Dcum aufzufassen wäre \ der
Name ^2*1) Gott kann nicht auffallen — wenn man einen
damit componirten Eigennamen zugiebt; pN scheint
V^äK zu sein, kann aber auch ein Theil aN« des
folgenden Nomen sein, (z« B. D^^rj ON) dieser lUfst
sich verschieden lesen und abtheilen ; statt hv)Sw
z. B. t^hu;, oder wenn man den letzten Buchstaben
.zum Folgenden ziehen will, Q^u; (auch Schillum —
em)\ ob das folgende D7Q {a zu emendiren^ lassen
wir« dahingestellt sein; die letzten 4 Buchstaben las-
sen sich ohne Bedenken VOr.O lesen und übersetzen e
^inquevirii ; vielleicht ist aber auch das letzte Zeichen
der voraugebeuden Zeile kein D» sondern N (Alef)
Tgl. Cit. 13., dann könnte man lesen VOn VN (So \2)
in demselben Sinne. Die 9te Inschrift ist des Art,
dafs sie der Vf. aufgeben mufste; an die lOte hinge*
gen hatte sich schon Kopp und glücklicher Hamaker
versucht, unser Verf. berichtigt den letztern mit Recht
in Betreff des Schinfswortes, zu welchem Hamaker das
Ornament üls Buohstabcn gezogen (^'W^'.n «Utt
tinnn). Auch gegen den Anfang -^N ^lü wumumei^
4um voiivum erhebt derselbe gerechte Bedenklichkeit.
Er will dafür nsh alSCS restituiren; doch bedarf ei
dessen nicht, wenn man hier eine Abkürzung annimmt,
— wie ähnliche noch auf jüdisclien Leiohensteineo —
nämlich Nun mit folgendem Punkt (aber auch ohne
diesen) für aSU also "IN "^H aSC3 monumetUum hih
iitatiofiii (vgl. VS ^9, 20) üri filii relL Die Ute
ist mangelhaft, unser Verfasser restituirt sie, aber oiH
Annahme einer Abkürzung, was mifslich ist$ sie lautet
vielleicht IDTW W\ VCh ßliae liami peregruii (!),
und der 2te Buchstabe (Ain) ist ein verstümmel-
tes Beth. In der 12ten hingegen hat er gegeo
seine Vorgänger auch die letzte Schwierigkeit geho-
ben, indem er das Nomen propr. am Ende zu seinem
Rechte gebracht, ebenso hat er vortrefflich die 13te
Inschrift restituirt und die 14te erklärt. Bei der 15^^s
Inschrift wagt der Vf. nichts Bestimmtes zu geben,
er stellt jedoch einen Versuch an, der aber wenig
Wahrscheinlichkeit hat. Schwierigkeit macht das 4te
Zeichen in der Isten Zeile, welches als 3fes in der
3ten Zeile wiederkehrt $ an beiden Stellen folgt ihm
ein Alef, und der Verf. hat es mit diesem zu einem
Chet verbunden, dem indessen schon entgegen zn seiq
scheint die Gestalt des Chet zu Anfang der |sten
Zeile. Als blofses Ornament, welches das Nomen
propr. einschlösse, läfst es sich auch nicht nehmen,
weil in der 3ten Zeile, zwischen ihm und dem Punkte
noch ein Buohstabe steht (D), das Nomen propr. aber
hier wirklich durch 2 Punkte getrennt zu wnden
scheint. Ks ist demnach ein Buchstabe. Aber vet
cherl ist schwer zu sagen, während die übrigen Baob>
Stäben nicht zweifelhaft sind bis auf den 2ten zu An-
fang, der Gimel, Vau oder Phe sein könnte. Offen-
bar ist aber, dafs auf den 3buchstabigen Eigennamen,
dessen erster das unbekannte Zeichen bildet (^")N j?
ai^gespielt wird, in der Nachschrift (HN^O). Möchte
man es nun allerdings auch zunächst für h halten, in
wird doch diefs keinen passenden Eigennamen (*^AiD
mit einem darauf bezüglichen Partioip (etwa) (*1NnO}
geben.
(Die Fortsetzung folgt.)
F
Wissen
J^ 70.
J ahrbttcher
für
s c h aft 1 i c h e
Kritik.
October 1839.
• . B'cripturae ' Unguaeque Phoeniciae monut^enta
' quotquot- tupertunt eäita et medita ad auto-
graphorum optAnorumque exemptorum ßdem
edidit addüüque de scriptura et lingua Phoenix
cum commentariü illustratnt Ouil. Oesenius.
(FortJsetZttDg.)
Könnte man es als Thau nehmen, was nns eln-
tig übrig geblieben scheint (wenn man etwa nicht Tet
Torziebt), so würden, wir also lesen
h?*i3 ^o» VNno * may p * nNn • nin
Av0 TAoar {/ormose)^ fili Abdae (jfui /ueraM)y Jbr-
mattis instar sinmiacri ßiti forrei. niH (vgl. Gen.
27, 29.) ist der Gmfsy das Lebewohl an den Abgeschie-
denen Molve^ avß — wie an den Lebenden, vgl. Plaut.
Poen. Fy 1. V. "INH, wftre der Eigennamen, wovon das
Fem. auf der 8ten Inschrift, auf die Bedeutung INT)
(/orma)y würde angespielt mit "^ftHS und die kräf-
tige Gestalt des Verstorbenen gerühmt. Nimmt man
INS als Eigenname, so müfste man diesen gleich
'intO stellen , und die Anspielung fiele auf die diesem
Worte inwohnende Bedeutung. Doch mag auch die-
ser Versuch nur in Ermanglung eines bessern gelfen.
Die I6te Inschrift ist zweifelsohne richtig vom Verf.
resfituirt, nur ist das letzte Zeichen wahrscheinlich
Jod, und Ton den beiden voraufgehenden Ain, das eine
zu Beth, Resch oder auch Daleth zu ergänzen, wie
auf der 7ten und Uten Inschrift. Die Ylte Inschrift
läfst nur den Zweifel übrig, oh Ty oder "^^y zu le-
sen; für ersteres spricht die vorangehende Inschrift,,
für letzteres die Schrift. Wenn diese nur sicherer
wäre! In der \%ieH Inschrift möchte der Verf. nur in
2 Punkten von seinem Vorgänger Hamaker abweichen,
1) dafs er (statt IKH) QWfl lies*t, 2) statt pSn die
Göttin n^jn, gegen beides läfst sich nichts wesentli-
ches erinnern; doch ist vielleicht die Annahme des
Jakrb, /. wiuenich, Kritik, J. 1S39. II. Bd.
componirten Buchstaben QU)) — die aber grade in
dieser Inschr. eine Analogie für sich hat — bei dem
erstem unuötbig, der Querstrich in der Mitte des Schaf-
tes ist wahrscheinlich zu streichen und mit ihm das
Vau; und der übrige Buchstabe ist ein mangelhaftes
Mem, weqn nicht ein schlecht dargestelltes Resch, im
letzteren Fälle hiefse der Name *)Nn vgl. die 4te u.
15te Inschrift. Die 19^^ Inschr. mürste aufgegeben
werden, die 20#^ hingegen^ an der sich bis jetzt nie-
mand versucht, und die einige ganz abnorme und über-
haupt flüchtig dargestellte Zeichen enthält, hat der
Verf. gewifs richtig gelesen und erklärt. Ganz abnorm
ist nämlich die Gestalt des Mem (in der ersten Zeile;
mehr dem Tau ähnlich, das Schin (in {OWN), und das
Kaf in iNSlD. Dieser Name übrigens (der sich auch
auf der 4ten Inschr. findet), kehrt vielleicht auch auf
der ersten (Zeile 1) als ini^DO wieder, dort möchten
wir nämlich lesen DIN \TO iSo {H'^SD 0)33^0'?
|ra Ssh, Die 21. aus 2 Worten bestehende Inschrift
ist gleichfalls richtig vom Verf. aufgefafst, sehr sinn-
reich ist aber jedenfalls die von Niemand berührte 228te
erklärt; wir bemerken nur, ob nicht ftir ]0U7K wie Hr.
Gesen. wieder herstellt, einfacher |'33 Wh) zu lesen sei?
Der leere Raum mochte den Eigennamen enthalten
haben. Uebrigens, ist die Erklärung der 2ten Zeile
richtig, so haben wir hier ein sicheres Beispiel des
Alef als AHikel.
In der 23. Inschr. hat der Vf. Kopp und Hamaker
SU Vorgängern gehabt, gegen diese lies't er in der
ersten Zeile richtig Q^nZl (statt D'^pS), auch ganz
vortrefliich am^ Schlufs Nn3"1NS, was sicher turnen
Cita ist; seine abweichende Lesung yy> statt V^\
aber nimmt er in dem Anhange zurück. Er erklärt:
■^*3Nh no'» * NYavN ^ Pjy^ «n* o'^na naxo
NHS'^nS Cippf$s inter vivot (consulfs) viri defessi
Abdacy positus patri meo ab Ari* Citta. Bedenklich
70
GeseniuMj Mcripturae linguaefue Phoenieiae monumenia.
555
' bt ans hier 1) graphisch die AnnabHie, dafs das Sa-
mecb (ia 10]) zagleich daa Jod enthalten soll, da
dc(ch dus Zeichen (Samech) ganz , so einfach ist wie
Cit 8. (Z. Ay 3. TOin Ende) und kaum verschieden t^on
dem über älleii Zweifel sicher gesteHten in OV "^N
und IDS *1äy auf der Isten Malt. Inschriftr Der
letzte Namen drängt sich uns aber auch hier, wenn
wir auf das vorangehende "ISV sehen, von selbst auf,
xwar beruft sich unser Verf. gegen die Vorgänger für
die Abschliersung des Nomen propr. als hnSVN auf
die Punkte« allein wir können diesen hier keinen Wort-
trennungswerth beilegen, eben so wenig als auf der
Sardiscben Inschrift, der Verf. selbst mirst ihnen nicht
immer eine Bedeutung bei; 2) in Betreff der Erklä-
rung die doppelte Beziehung des ^ (die übrigens der
Verf. noch öfters in der Erklärung angewandt hat) als
für und vony und zwar hart hinter einander, und ohne
irgend eine Vermittlung. Giebt man uns zu, dafs
WN für ^VS stehen könne, so möchten wir also er-
klären -»dnS noNnay r^av^ roa iza^na na^o
Mn3*)hn. Monumentum inier vivos, qtiod consulmt
Abd-Onr patri meo^ lumini Cüti. Wir bemerken
nur, 1) in N^y^i ist das M das Suff, welches auf
naaO zurückgeht \ das Verb, rathen, beschliefsen, hat
vielleicht hier die Bedeutung besorgen (curare) $ 2) die
3te Person im Verbo trotz des Suff, der ersten in "^iSN 7
. darf nicht auffallen, um so weniger da der Eigenname
dazwischen steht, vgL auch unsren Vf. zu der Isten
JUelit. pg. 99 ; endlich 3) NHS^'rN kann der Namen
des Vaters sein, aber passender ist wohl der blofse
Ehrenname lumini Cittii*
Auch bei der 2ieien InseArfft sind Kopp u. Ha-
maker dem Vf. vorangegangen, er liest mit dem letfr
tereuNnay p ^n^Son*u;^{h nw noy weicht
abe^r in der Auffassung der beiden ersten Worte ab;
PofuluM Sehur Aichretnalchitto ^ filio Abdae^ und
meint der Stein sei von dem Volke Schur gesetzt dorn
Aeehr^y der aber der Bedeutung seines Namens we*
gen „Heil deinem Reiche" noch kein König zu sein
brauche. Um zunächst vom letzteren anzufangen, so
glauben wir nicht, dafs der sonderbare Name vorban-
den sei, statt inDbOl ist wohl ynSoT oder Knhoi
zu lesen (vgl. die Gemme 67) ; sodann aber ist HOV
für Dy (Volk) wenigstens nicht gesichert^ und. das
Volk Schur nicht weiter bekannt , defshalb möchten
556'
wir vorschlage« M*lSy p ♦••boi TOrfl nw 0»
Popule beatum praedicee^ virum Daml . . .um^ filium \
Abdae*
Die 25«^ Inechr. besteht nur aus 6 Zeichen, «bei
die sich nur muthmafsen läfst \ ietYty indem er das er-
ste Zeichen für ein blofses Ornament ninunt, fiberseltt
^lOh 's Cippue Caracco. Nehmen wir das erste
Zeichen fiir Lamed, so hatten wir ein mit ^hO com*
ponirtes Nomen propr. etwa "Tl(^)D7D 7
Die 2%$tey welche gleichfalls schon Kopp und Barn,
versucht, bietet nur Schwierigkeit dar in Betreff des ,
Eigennamens, den der Verf. viel wahrscheinlicher er-
gänzt und lies*t als Hamaker. Die Tlste und 7Rit$
mufsten aufgegeben werden. Die ^ete Inschrift hin-
gegen, welche Kopp versucht, Hamaker aber gleich-
falls aufgegeben, nimmt unser Verf. wieder auf; mit
Recht erkennt er in dem Tet ähnlichen Zeichen lo
Ende der Isten Zeile ein Ornament und keinen Buch-
staben, so wie denn auch die Zeichen am Schlosse
der übrigen Zeile keine Buchstaben sind. Indem er
das Iste Zeichen der 3ten Zeile, der Etymologie we^
gen, lieber für Lamed als for Than, das 2te der 4ten
lieber fiir Non als ßir Lamed, und das erste dieser
Zeile (wie Cit. 20) nicht für Thau, sondern für Alcf
nachträglich p. 463 nehmen will, lios't und erklärt er
. also :
n3M*3Ä p PITüSb * •iSriDD T\H * «^*S fQ!J(D)
Cippui viro mecum incluso Lebuichoy ßlio Zmanük
Allein die 2te Zeile, die von Seiten der Schrift am
sichersten steht, und auch bereits von K. richtig gele-
sen wurde, ist gerade in Betreff der Erklärung am
unsichersten ; nach der gegebenen hätte den Stein eine
Wittwe ihrem Manne gesetzt, mit dem sie dereinst m
einem Grabe eingeschlossen sein will; oder ein Mami
einem andern, mit dem er früher 4ie Gefangenschaft
getheilt hat. Beides ist offenbar ein Nothbehelf. Viel-
leicht möchte man es also vorziehen, mit uns die 2te
Zeile also zu erklären:
QO"^^ i^DO (1)l^>! penee quem dolores habitarunt
wodurch der Verstorbene als ein im Leben durch Lei-
den hart Geprüfter dargestellt wird (vgl. auch Psalm
5, 6. 7, 6.) Hierdurch entledigt man sich eines dop-
pelten Uebelstandes, 1) einer sonst nicht vorkommen-
den und hier unschicklichen Hithpaetfoi'm, 2) aber einer
mitredenden Person, die doch auf dem Steine nicht
j^X
O4§0mm9y Mcr^haroB KngmiefUß Phpenieiae masiumeBta»
557
weiter genanot itt. «- Die Sttite Ineohrift lies*! der
Vfl gaas eioTeretanden mitHamaker, bis auf den lets«*
tea Namen, den er im Naobtrag 0*^ lies't (statt y&3) ^
vie wir diesen Namen auf der Uten Inschrift gefun-
den haben. Die Slste ist wieder der Art^ dafs sich
kaum etwas mthen l&fst. Bei der 328ten ist nur in
der ersten Zeile der (wahrscheinlich Tollstftndige) Na?
men, in der 2ten und äten nur ein Paar Buchstaben
vorhanden ; und wir iiönnen es nicht billigen» wenn
der Vf. die Buchstaben der 3ten Zeile mit dem Namen
der ersten Tcrbindet* Endlich bietet auch die letzte
SSste Inschrift wenig Sicheres dar; der Verf. hat aber
auch diese und zwar zuerst versucht, jedoch mit Aus-
nahme der beiden ersten Zeilen, aus welchen kaum
etwas zu cntrathen ist. Von der übrigen Inschrift
giebt er folgende Erklärung :
NezU'Esmtsno viro servo tuo fato^ viro eontuli re»
gü magni C/utAaeort$m* Salus, populo. Hier müs-
sen wir uns zunächst 'wieder gegen die Annahme der
Abkürzungen erkläre», N V "N für VV^ ^läV W^^N,
die oomdglich gestattet sein konnten. Auch bedarf es
dieser Annahme nichts das Ain zu Ende der ersten
Zeile ist wiederum (vgl. Cit. 11) ein verstümmeltes
Beth, wodorob statt der 'Vy'K nilS^H "^Vl^*) das
Wort ^aht {fotri meo) hervortritt \ \V^ WK y liofse
sidi anffasaen, wie oben Cit. 23., aber der Buchstabe,
der Zade sein soll, sieht eher einem späteren Daleth
(vgl. auch Carth. 3, 5. zu Ende) oder Resch ühnlieh,
80 dafs maa ly^ WK , idy quod constituit^ oder aber
")V^WN, entweder alsPrädicat zudem vorangehenden
^\ V^2^ viro iilvae» oder besser auem reiUMciteU
aoffasaen kann; das folgende *]10 läfst sich auch
)nO ex gratia lesen, und die Abbreviatur des Verfs.
Dir? XD Salus populo oder principi populij kann
ein Eigenname sein, etwa DV /^ für UV /1N^, oder
es ist auch UVl^y vielleicht endlich ist aber auch das ver-
meintliche Schin ein Mem. Nach den verschiedenen Lesun-
gen kann man etwa so erklären: (*l)tDN'^3i4lD^N SJCjS
0)OyS D^nn an ^So ^C'^)^'' Nextb-Emuno^
Patri meOy quem suscttoAü Jtex magnus Chittae»
Mim populo suoy oder ^HPI 31 |nD n»^ (n)WM
Dy30 iV. Esmuno id^ quod constituit ex gratia
ud
mmlia {Prineipiii) Chittaeorumy Sinam. Diefs mag
nur beweisen, wie sohwaakend die Erklärung bei der
unsicheren Schrift sein kaonl Dabei ist aber noch za
bemerken, dafs zu Ende der 3ten und 4ten Zeile sich
w
ein gleiches Zeichen findet, welches als Ornament
mcht unter die Buchstaben aufgenommen. ist; ist es
ein Buchstabe, etwa ein noigekehrtes Resohi so wArde
die Erklärung noch anders lauten, etwa *iyn (n)tOt4
DyS w(>*jT ^nn an pno a/ quod consneuit m.
magnus Chittaeorumy prineeps populi. Beachtungs-
werth ist übrigens die aus dem unstreitig richtig gele-
senen ^iin geschöpfte Vermuthung des Verfs., dafs die
D^^D und D'^nn eigentlich identisch seien.
So weit die cypriscben Inschriften; sohliefslicb
handelt der Vf. noch von der in den Trümmern von
Citium gefundenen und von Lindberg erklärten Gemme^
doch können wir ihm nicht beistimmen, wenn er abwei-
chend von ihm (statt IPIDy) ^TIDy lies% da es uns
ungerathen scheint, um einen biblischen Namen zu ge-
winnen, das deutliche Daleth mit Resch zu vertauschen.
Nach den cyprischen Inschriften befafst man «ich
wieder gern mit einem Monument, welches so erhalten
oder überliefert ist, dafs der Ausleger auf eine ziem-
lich sichere Erklärung rechnen kann. Solcher Art ist
die Sardische Inschrift, welche schon 1774 Bernhard
deRossi veröfTentlicht und herausgegeben, nach einem
so fehlerhaften Apographon jedoch, dafs seine Ausle-
gung nothwendig mifslingen mufste; auch ist sie in
dem grofsen Publicum wohl kaum bekannt geworden.
Hr. Arri hat uns kingegen eine sehr sorgfiLltigo Dar-
stelluog nach Alberto della Marmora's Apographon
gegeben, aber auch eine fabelhafte Erklärung binzn-
gefngt, die noch dazu nicht minder auf graphischen als
auf sprachlichen Mifsgrilfen beruht. Diefs haben wir
ausführlich in diesen Blättern, Juli 1836 No. 6-9, ge-
zeigt, woselbst wir auch unsere eigne Erklärung der
Inschrift mitgetheilt. Unabhängig von uns hat Hr. Ge-
senius in allen Punkten denselben Tadel über Hrn.
Arri aasgesprochen, und mit der Differenz eines einzi-
gen Buchstaben, gleich dem Unterzeichneten, die Ab-
schrift gelesen — aber abweichend erklärt. Den Buch-
staben, welchen wir (gleich Hrn. Arri) für Hesch gele-
sen (iin. 2, 3), hat der Vf. (ur Daleth genommen, in-
dessen unsres Erachtens mit Unrecht, da beide Buch-
staben, die noch 2mal vollständig . auf der Inschrift
559
Geseniu^y sertpturaeJMguaafue Phßenieiae mQmim0nim.
sieb finden^ graäe liier ganz genau nntersdiieden sind,
so dafs der Unbefangene nicht zweifeln wird, das in
Rede stebende Zeichen mit dem lin. 1, 3. 3, 3. ygL
auch 6, 7. — also mit Resch, zusammenzustelleii, im
Unterschiede von dem lin. 3, 4. lin. 7^ 6. sich finden-
den Daletb. Was die Erklärung betrifft, äo hält Ref.
noch jetzt an der seioigen fest, auf welche Hr. Gesen.
nur in dem Nachtjrag verweisen konnte, (p. 464), wefs-
halb wir zur weiteren Prüfung hier beide zusammen-
stellen.
Der Verf.
p^3^ Db«J hin rhv pn« asn«» naa«? «n na
•^ODS im P «n 13 \r\DhD JOomu^ capüü (i. e. ""* '^«»«'^«» jüdischen) bezweckt ist.
* ' ' Ein sehr bedeutendes ja ia Betracht des Uinfangs
560
scc<pali|r nikinf^ gestttizt werden kann ; -2) die Vertretung
des einfachen Statut constr* durch das relalive Schia
^IXIW}; das aber dann gleich wieder als eigentlicbei
Relativ erscheint und zwar 3) in Verbindung mit dem
Artikel vor dem ersten Nomen im Stat. eomtr.
yV 3tiTV0 — was ganz unerhört ist, da selbst die
Artikelsetznng in diesem Falle nie gestattet, aber kei-
nesweges wie unser Verf. sagt, — nothwendig ist —
Was sonst zur Unterstützung unsrer Erklärung dient|
haben wir in der angeführten Stelle beigebracht, uod
scbliefslich noch auf den Rhythmus aufmerksam ge-
macht, der offenbar in dieser Inschrift (wie in älteren
dormttorittm) principis qm {erat) pater Sardorum:
Pacis amans üle^ pax cöntingat regno nottro. Betk
Bosch ßlius Nagidi Ij — etuu.
Der Refcr.
■^DOb IM p tüT p pbo Tartesio expulsut hie
(JiiiO «>* Sardü in pace hie (fuit) Pax cöntingat
Malchilleno^ filio Ro9ch^ ßlii Nagidiy Lafmensi.
Die Hauptdiiferenz beider Auffassungen tri£Ft hier
den ersten, von p^tlTTia in dem 2tcn Theil aber liegt
die Abweichung nur iu dem Worte pa /O ; Ref. hatte
gleichfalls damals bemerkt, dafs diefs Wort nach
SnS^O (regnum nostrum) aufgefafst werden konne^
80 wie Ben- Bosch ben Nagid als der Eigenname,
der vielleicht noch durch den Circellus in seinem er-
sten und letzten Buchstaben (Beth und Daleth) hervor-
gehoben werde; allein da dieser CirceUus sich aufser-
dem auch in dem Anfangsbuchstaben der- ersten Zeile,
und vielleicht noch in dem Isten der 3ten Zeile findet,
80 glaubte er diesem Zeichen keine andre Bedeutung
als der Verxierung beilegen zu dürfen ; defshalb hat
er es auch vergezogen THShD aus den Eigennamen
(wie jrr^DhD Cit. 4. 23. und vielleicht p'^DD Cit. 1),
^ p als die Abstammung aufzufassen. Was nun
den isten Theil betrifft, so müssen wir gesteben, dafs
das gröfste phönizische Penkmal, ist die in' der Nähe
, des alten Eryx (JTrftpani del~ monte) angeblich gefun-
dene Inschrift, welche man aber nur ,aus der Mitthei-
lung Torremuzza's kennt, der, selber schon den Ve^
lust dieses kostbaren Marmors beklagend, seine Ab-
schrift aus dem bei einem Canonicus handschriftlich
niedergelegten Geschichtswerk entlehnt hat (vgl. den
Verf. pg. 158). Die Inschrift besteht aus 8 grofseft
Zeilen, deren 4 letzte jedoch unvollständig sind. Be-
trachtet man die Schrift, so nimmt man eine solche
Mannigfaltigkeit der Zeichen wahr, dafs man glaubt
ein 3mal reicheres Alphabet als das Pbönizisdie ist,
vor sich zu haben. Diese Verschiedenheit kann sod
Theil ursprünglich, und von dem Sculptor ausgegaogeD
sein, und zum Theil erst durch die unsichere und un-
genaue Ueberlieferung so angewachsen. - Wir gestebeo
offen, dafs sie uns durchaus verdächtig ist, und dafs
wir fast bezweifeln möchten, ob der verschwundene
Stein je existirt. Dem sei wie ihm wolle; bei der an-
gegebnen Beschaffenheit der Inschrift begreift man
leicht, wie eine vollständige Erklärung desselben kaum
möglich sei. Auch hat sich bisher kein Ausleger an
dieselbe gewagt, und unser Verf. erklärt ausdriicUidi)
dafs er den Versuch, tanfuam modestum potius inge-
nii lusum^ quam interpretationem ecriam et ptih
uns des geehrten Verfs. Erklärung mindestens gezwun- fectam mittheile. Derselbe erstreckt sich auf die
gen und hart erscheint. Denn 1) Vi HS „Haus des erste Hälfte der ersten Zeile, und auf die ganze
Hauptes" für Buhestätte (Grab) ist ein nirgends vor- zweite und dritte Zeile, aufserdem giebt der Vf. nock
kommender Ausdruck, der schwerlich durch die Phrase das Alphabet, das er aus diesen Stellen gezogen,
in Math. 8, 20. „der Menschensohn hat nicht iroi; %ny
(Die Fortsetzung folgt.)
^71.
Jahrbücher
für
w is seii8chaftliche
October 1839.
Kritik
Scrifturaef Imguaeque Ph&emciae monumenfa
j9ti>tqu&* superwm editm et inedita ad mifo-
* graphorum opttmommque exemplorum fidem
edtdtt additisque de scriptura et lingua Phoeni-
cum commentanis illustravit Guil. Oesenius.
(Fortsetcung.)
Nach diesen sprioht er sich denn auch über die
Bedeutung der ganzen Inschrift aus^ die er für den
Grabstein einer edlen^ schönen Frau hält. Was den
Versach selbst betrifft, so enthält der Refer. in T9ller
Anerkenniing des Geleisteten sich aller Bemerkung, in-
dem er nur gesteht, vie es ihm auf Grund desselben
bis jetzt nicht gelingen wollte, weitere Resultate zu
erzielen.
Bei der Erklärung der Inschrift des Gefäfses Ton
Panonnus (XLIII), welche der Verf. mit noch 2 klei-
Dcren hier anschliefst, weicht derselbe insofern von
Barthelemy ab, dafa er' den dritten Buchstaben nicht
für Tet, sondern fiir Jod, und den ersten nicht fär
He sondern für Lanied nimmt \ für Jod spricht äugen-
scbeinlich die Schrift, eben so aber auch für He, wel-
ches der Verf. ans sprachlichem Grunde, weil es als
Artikel Tor dem zusammengesetzten Eigennamen ste-
hen würde, in Lamed verändert. Indessen läfst sich
die Form als Hifil nehmen (SyS Tyn wie H'V Win),
und Jod in yocalischer Potenz giebt doch auch sonst
der Verf. ausnahmsweise im Phönizischen zu. — Die
folgende Erklärung von XLIV halten wir für rich-
tig, so wie über die der sardiniscben Gemme kein
Zweifel walten kann.
' Das 5te Capitel behandelt die Carthagischen In^
•ohriften, die sämmtlich in den Ruinen der alten puni-
schen Hauptstadt -r in dem heutigen Dorfe Alalga — -
gefunden, ans denen indessen die 4 ersten, die soge-
nannten 4 Humbert'schen Steine, nicht vor dem Jahre
Jahrb. / wiiieMch. Kriäk. J. 1839. II. Bd.
1817 erstanden sind. Die Erklärung des Haupttheiles
dieser Denkmäler kann fast als gesichert betrachtet
werden, nnd diefs namentlich durch das Verdienst Qua-
tremere's und unsres Verfassers.' Es sind derselben
bis jetzt 12, nicht 13, indem die unter nr. 10. aus Be-
verland's Insoriptionen auf der Oxforder Bibliothek hier '
mitgetheilte, in nichts zerfällt,* da sie ihrem Ijbischbn
Theile nach, wie der Verf. gteich gesehen, so wie ih-
rem punischen Theile nach, wie derselbe nachträglich *
pg. 465 erkennt, nur eine verstümmelte Abschrift der-
Tuggensischen ist. Von den übrigen aber sind voll-
ständig erhalten nur die 3te und 5t<i, an die sieh die
' 2te anschliefst ; nur an einigen Stellen mangelhaft sind
die' 8t e, 9te und Ute, stark verletzt hingegen die Iste
und 4te (12te und 13te), nur in wenigen Zeichen erhal-
ten ist die 6te, und die 7te besteht sogar nur in 4
Buchstaben. Nur die 7te und 8te sind Grabschriften,
die übrigen Votivsteine und zwar so nahe verwandte,
dafs sieh aus den vollständigen die verletzten zum
gröfsten Theile sich ergänzen lassen. Diefs hat der
Verf. erkannt, und ist hiemach mit solchelr Umsicht
und Kenntnifs verfahren, dafs kaum eine Berichtigung
übrig' bleibt. Bemerkenswerth ist übrigens die Zähig-
keit, mit welcher Hamaker seine falsche und fast un-
sinnige Erklärung gegenüber Quatremere und dem Vf.
festgehalten, welche beide Gelehrten unabhängig voii .
einander schon früher die Hauptinschrift .ziemlich über-
einstimmend gelesen hatten. Als wesentliche Berich-
tigung machen whr auch hier auf die Lesung hSH (statt ^
der früheren, auch von Quatremere angenomme^ien,
nSri^ auCmerksam, von welcher Göttin der Vf, schon
bei d«r Athen. Inschrift gesprochen,, und deren CuUus, so
wie der des iiir zur Seite stehenden Sennen- Baal, hier
ausfiihrlich besprochen wird (p. 170). — Wender gewifs
ist die Erklärung der letzten, neuerdings von Reade'^
aufgefundenen und vom Verf. pg. 449 n. folg.' im An-
hang behandelten Carthagischen Inschriften, lieber die
71
563
Geseniuiy scripturae lingtuiegue Phoeniciae monumenta.
llie /nscAr.^ welche vortrcfFlich TOtn Verf. ergänzt
ist, haben wir unsre tbeilweise abweichende AufFassung
scbon oben bei Gelegenheit der 2ten Maltesischen an-
gefahrt. Die 12te lückenhafte, welche ein Votiystein
ist und sich übrigens ganz an die Carthag. 1^5.. an-
schliefst, läfsl nur Zweifel über ded Scblufs $ der Verf.
lifes'tnvSvN "t*i3 WN mrvjovens A-ahath^ das letz-
tere soll das Nom. propr. , mit dein Artikel Alef sein,
wir möchten, wie wir schon oben bemerkt N"l*13 V7^^
fivby lesen quod vovü Alsatha^ den Votiystein für
den einer Frau nehmen, und darin eine Bestätigung
unsrer oben ausgesprochenen Ansicht finden. — Die
13te Inschrift endlich ist der Art^ dafs sie der Vprf.
bis auf einige Wort^ hat aufgeben müssen; auch wir
konnten nur einen ganzen unsichern Versuch mitthei-
Icn, den irir defshalb lieber unterdrücken.
0as 6te Capitel beschäftigt sich mit den von dem
^Verf. genannten punisch-numidischcn Inschriften, das
sind diejenigen, welche in der Alt-carthagischen Mark
(mit Attsschlnfs der Stadt) und in dem numidischen
Lande bisher gefunden und in einem rohen und flüch-
tigen Schriftcharakter geschrieben sind. Schon durch
die paläographischeu Studien hatte uns der Verf. in
dieses bisher fremde Gebiet^ — • welches mit Ausnahme
Hamakers kein Ausleger, und dieser mit entschieden
unglücklichem Erfolge betreten — vorläufig eingeführt.
Hier erhalten wir nun die Erklärung einer ganzen Rei-
lie dieser Denkmäler. Den Uebergang eröffnet pas-
send, weil Bte von dem reineren phönizisch-pimischen
zu dem punisch - numidischen liberfiihrt, die sogenannte
Borgianisch-zweizprachige Inschrift, welche zu Tu(cca
schon vor 2 Jahrhundert, (pg. 186) gefunden, aber erst
dnrcb Borgia 1815 veröffentlicht ward. Sie ist in pu-
nischer und lybischer Sprache (wofür der Verf. die un-
bekannte wahrscheinlich richtig nimmt) verfafst. Eine
tbeilweise Erklärung des punischen Stückes hatte Hr.
Gesenr. schon in jener Schrift n^itgetbeilt, doch fehlte
ihm damals zu der vorhandnen Borgiaschen Abschrift
noch eine andre genauere zur Vergleichung, wie er sie
an der (Sren. Temple*scben , während der Bearbei-
tung des Werkes, hatte, zu welcher sich aber am
Schlüsse noch dfc Honegger*sche gesellte (tab» 46.),
durch welche die im Werke gegebene Erklärung (viel-
fach verändert und berichtigt ward (pg. 456 dritter An-
bang). Um wie viel näher unsrem Verständnifs diese
564
Inschrift durch die Lesung des Hrn. Verfs. gebracht
worden, zeigt eine oberflächliche Betrachtung des Ha-
makerschen Versuches. . Hat doch dieser Gelehrte so-
gar übersehen, dars von den 7 Zeilen, aus welchen die
Grabschrift besteht, die 4 ersten fast nur Eigemiub'
men enthalten, obwohl in denselben ein Sokn (p)
dem andern folgt I Freilich tritt diefs erst recht klar
auf dem Temple'schen Apographon hervor, ' auf vet
chem die Wörter zuerst durch Punkte abgetheilt sind,
so wie denn überhaupt dieses und das Honegger'scbe,
vielfhch das Borgiasche ergänzte, das seinerseits all
das ältere nur selben jene vervollständigt. Unser Vf.
hat dann auch vergleichend alle 3 zu Rathe gezogen,
und nach den aufgefundenen Eigennamen auch von der
fremden (lyfai^chen) Inschrift (von der aber leider die
Iste Zeile fast ganz, die 2te und 3te zur Hälfte üod
zum Drittel fehlen) 15 Charaktere herauszustellen ge-
sucht« Indem Ref. auf Grund dieser Arbeit des ge*
ehrten Hrn. Verfs. weiter vorzudringen suchte, ist er
im Einzelnen auf eine abweichende Lesung geratheo,
die er jetzt übergeht, weil es ihm bisher nicht gelon-
gen eine befriedigende Erklärung der 3 letzten Zeilen
zu gewinnen ; doch kann er nicht umhin auf ein Paar
durchgreifende Versehn aufmerksam zu machen, die
sich in der Lesung des Hrn. Verfj?. finden, und von
denen das eine sich vielleicht durch Hamaker bei ihm
eingeführt hat: 1) hat er durchgehends das (grofse
ovale und zumeist verzierte) Tet für ein Ain genom-
men, obwohl er das (kleine) Ain in TSfi (zu Ende der
2ten Zeile richtig erkannt, und ein einziges Mal die-
sen Buchstaben, wo er zumeist dem Ain gleicht (Zeile 2
D1N3D) richtig bestimmt hat, so wie denn in Hama-
kers Lesung das Tet sich gar nicht findet; 2) hat er
die durchgehends ziemlich genau geschiedenen Buch-
staben Schin.und Mem vertauscht; von welchen merk-
würdiger VTeise Hamaker nur den letzteren auf der
Inschrift gefunden hat. Beide Buchstaben sind dem-
nach auch falsch im lybischen bestimmt, wo anoh
die Annahme des doppelten Zeichen für L, nämlich
I und II wohl dahin zu berichtigen ist, dafs .das er-
stere für ein N zu halten. Die Erklärung der folgetf-
den numidischen Inschriften, .so unsicher sie auch zu-
nächst noch sein mag, wird jedenfalls eine vortreffli-
che Grundlage zu jeder weiteren Forschung und Aus-
legung geben. Die beiden eraten hatte der Vf. sch^m
Ge$e$nu9y seriptfirae linguaefue Phoenieiae fnonum^nta.
565
Tollst&Ddig in deo' paläographischen Stadien uiitge-
fbeilt, und auch iiier ist «r der früheren Erklärung im
.Gänsen treu geblieben, indem nur einzelne Stellen
nach YergleicbuBg des Originals in London, eine Ver>
ftademng erlitten haben. Da wir über dieselbe schon
in der Anzeige jener Schrift (in diesen BIfittern Jvdi
1836) gesprochen haben, so enthalten wir nns um so lieber
jedes Eingehens auf Einzelnheiten, als wir auch hier lei-
der ein Ganies selber zu geben nicht im Stande sind.
Doch müssen wir auch hier bemerken, dafs das hüiar.
Interesse, welches unser Verf. diesen Steinen noch
darck Beziehuog auf Uiempsal I. zu yerleihen sucht,
uns jetzt noch Tielmehr als damals (a. a« 0. nr* 7.
pg« 52) in Betracht der unsicheren Lesung der Eigen-
namen, zu verschwinden scheint* Eben so machten
wir bezweifelo, dafs die 6« 7. u. 8. numidische Inschrift
Bich auf ein Menschenopfer bezieht, welche Beziehung
übrigens der Hr. Verf. nachträglich auch der 5. ge-
ben möchte. Wenn aber die Annahme von Abkürzun-
geii, welche der Hr. Verf. macht, auf diesen Steinep
gerechtfertigter als sonst erscheinen mag, so. ist doch
dieinder3tenZeiIe3(zuEnde) DtO '3 für DVD byS
(im Sinne von Esra 4, 8. 9. 17.) durchaus yerwerflich,
um so mehr, da von der folgenden 4ten Zeile nur we-
nige Buchstaben, und zwar^ nur zu Ende derselben
übrig sind.
Die erste tripolitanische oder die sogenannte In-
schrift des Ali-J)ey hatte der Hr. Verf. schon in den
paläogr. Studien übereinstimmend mit Lindberg gele-
sen, bis auf 2 Buchstaben; den ersten Buchstaben,-
den er damals Tür 3 hielt, nimmt er jetzt nach Ansicht
des Originals für % vor welchem er noch em Resch
ergänzt: so dafs die Worte lauten Zr\ TOlul T\BQS)
Oby Dp dominium imperii Romani pentat in aeter^
$mm\ ohne die Ergänzung des Resch könnte man wohl
nVJ (p). n^nV) durch eolumna übersetzen; indessen
ist. man berechtigt zu einer Ergänzung vor dem Schio,
da auch der darüber stehenden lateinischen Inschrift
(wenn nicht mehrere) wenigstens ein Buchstabe fehlt,
sie lautet Aug. Sufe^ was der Vjsrf. richtig erklärt
und auf den Severus bezieht. Derselbe thut übrigens
in dem Anhang (pg. 466) Hm. Arri in Turin,, der sich
schon bei der Sard. Inschrift als einen höchst unglück-
Ansteger gezeigt, fast zu viel Ehre an, wenn
566
er die von jenem Gelehrten gegen ihn (Hr. Gesen.)ini
Journal Asiat. 1836 //. pg. U2 aufgestellte Erklä-
rung der VTiderlegung würdigt. Glücklicher Weise
hat sich zu dieser Arrischen Erklärung seitdem die des
tltn. Abh6 Barges in demselben Journal 1837. Tome Z
pg, 534 als Seitenstück gesellt^ so dafs wir wohl sa- '
gen können, dafs die eine, wenn nicht schlechter, doch
eben so schlecht ist, *als die andre. *
Die 2te tripolitanische Inschrift hat der Verf. so
erklärt, dafs, nur noch einige Härten übrig bleiben,
wie namentlich in der 2ten Zeile flSo, welches den
Imperativ fortsetzen soll, dem dann wieder der eigent-
liche Imperat. folgt, wahrscheinlich ist statt dessen
VnD zu lesen, was sich wohl in den Zusammenhang
fügen dürtte.
Den Schlufs des Gap. macht endlich die Inschrift
von Gerbe, die aber, wenn auch nicht im Original
selbst, in der Abschrift so beschaffen ist, dafs der Vf.
nur vermutbungsweise eine Erklärung versuchen konn-
te,' deren . Verdienst man nicht verkennen wird.
Im 7ten Gap. behandelt Hr. Gesen. 6 Legenden
von Gemmen und Siglen, von denen 2 bisher unedirt
waren (67 n. 67 6is)i mit seiner Lesung wird man
durchweg einverstanden sein, und es bleibt bei einigen
nur der Wunsch einer archäologischen Erklärung.
Das 8te Gapitel umfafst die in Aegypten gefun-
denen im aramäischen Idiom abgefafsten Denkmale, zu
deren selbständiger Bearbeitung und Herausgabe uns
Hr. Beer HolTnung gemacht, in seinen inecriptiones
veteres reU,^ über welche wir in diesen Blättern Oct.
1834 ar. 68. berichtet hatten. Die Reihe eröffnet die
sogenannte Garpentras'sche Inschrift-, die zuerst an Bar-
thelemj, zuletzt an Hrn. Beer ihren tüchtigen Ausle-
ger gefunden. Doch sucht auch hier der Hr. Verf. die
Erklärung gleichsam zum Schlufs zu bringen. Am Ende
der 3ten Zeile hatte Hamaker np:'>D » "^P^^^ (vgl-
puno, p'inSSiS) gelesen, und honorata erklärt (Jib-
tribe pg. 69 u. folg.) \ der Verf. schliefst sich an ihn
an, ergänzt aber Jod zu He, wodurch er eine regeU
niäfsige Form des Partie, fem. erhält \ sodann erkennt
er, nach Vorgang Fabrici bei Lanci (fletervaxioni tul
bassoriUevo pg, 40) in . N'^yDJ richtig eine Transposi-
tion für "^FXDVZ^ wie auf Münzen \DVVÜ ftir \Vü^
wozu wir noch aus dem A. Test am. hinzufügen wollen
• (
567
£fss0muuy $cripiurae Unguatfue Pk0enieiae tnemumenta.
nnCyn filr n^^ysn Ezech. 29, 7., doch nimmt er w
natiiriich nicht mit Lidici als adveri. (doleemente)
Bondern als nomeu me Fabrici yydulcünma mulie-
mm** yergl. Beer pag. 4. Ferner zieht er es tor,
statt ^inb n^On, nach der andern von Beer ?cr-
geschlagene Lesart "^inn n'^DH zu lesen^ und das
folgende D^V /ür sich im Sinne des %aXqi [und Ain^e
.zu nehmen (Beer pg, 21); da aber ^:inT\ FI^Dfl p3*)
im Verhältaiis zu den Torangebenden Sätzen uns leer
dünkti so möchten vir zu qSv) — worauf auch der
Raum am Ende hinzudeuten scheint — noch ein He
ergänzen, und HD vV integra (tik pace) noch zu dem
Vorangehendra beziehen ^^et inter pios mü in pace.^
In Betreff der 2ten Zeile bemeri^en vir nur noch, dafs
uns die Eri^lärong des hallischen Recensenten von 1828
(Roediger) WN M ^3 noch immer dem ^H ""Sf^S
vorzuziehen scheint, obwohl Hr. Gesen, den ungew(^bn-
lich langen Strich des Zain dagegen geltend macht.
Das kleine bisher unedirte Londoner Denkmal lies't
und erklärt der Verf. in dem Nachtrage p. 4fi7, wie
uns scheint^ richtig ^H^OV » *^n^{ QW
Bei dem folgenden Tariner Fragment, wo dem Vf.
nur Hamaker (tnisc. pg. 66—77) vorangegangen, hat
er gleichfalls auf Grundlage der Apographa von Seyf-
fartb und Rochette dieErklämng möglichst zum Schlüsse
zu iiihren gesucht. In der ersten Zeile bleibt nur etwa
das dritte Wort ungewifs; hingegen glauben wir, dafs
in der 2ten ^^M*^ nicht in T1^n> zu verändern, und
, •! '
das ihm folgende vielleicht *1p^ zu ergänzen sei $ doch
da das Weitere fehlt, so bleibt hier Alles vage Ver-
muthung.
Den Schlufs des Capitels machen die sogenann-
ten Blacas'schen Fragmente, welche zuerst Lanci (Ja
Sacra scrittura Mustrata') bekannt gemacht, und,
wenn auch mit manchen Fehlern gegen Schrift und
Sprache, doch im Ganzen sehr verdienstlich erklärt
hat. Hm. Gasen, sind diese Fehler nicht entgangen^
und er hat durch Berichtigung derselben und durch
Combination einen möglichen Sinn und Znsammenhang
568
in die fmUeh sehr lückenhafte Stäckp^ sa bringsn g^
sucht Was den Verf. betrifft, 'so weist das so st^rk
gefärbte jüdisch -aramü^sehe so pugeDachetnlich auf ei-
nen Juden hin, däfs kaum zu begreifen, wie Land an
einen Phönizier, denken konnte« Im Uebrigen Tennii-
thet der Verf., dafs diese Fragmente einem apoktypU-
sehen Buche angehören, welehes die ältere Geschiebte
der Juden in- Aegypten behandle, verfafst von eineai
Juden in dem ptolomäischen Zeitalter.
Im 9ten Capitel behandelt der Verf. die Psesdo-
pböuizischen Inschriften, das sind diejenigen, welche
man fälschlich f&r phönizisohe ausgegeben, und die
untergeschobenen. Zu den ersteren zählt er die voo
Hamaker in dem Bpimetron zu den Miscell, pg.S&
erklärte (sie wird vom Verf. als 76 a« auf Tab. 32. be-
findlich citict, ist aber ausgelassen), sodann die von
Terremuzza in der Inscr. Sieul. fi#r. cbU. pg, 297
mitgetheilte. Aber die auf einigen babylonischen Zi^
geln neben der Keilschrift befindliche Schrift, vet
che er gleiehfalls den pseodophöuizischen beigegeben
(LXXVII pg. 247 u. pg. 74), indem er sie gegen Kopp
und seine Nachfolger für Persisch hielt, kennt er In
Anhang pg. 462 — nach Ansicht eines 'von Ro-
chette mitgetheilten Abgusses eines Pariser Exevph-
res LXXVII a a a -^ richtig als phöniziscb, und be-
zeichnet die Buchstaben, verzichtet aber auf die|!r-
kläruDg. lieber LXXVII b erklärt er sich nicht, doch
scheint auch sie uns -zu den Ph^nizischen zu gehören,
nur dafs hier aus dem einen Apographon «uch nicht
einmal die Buchstaben sich mit Sicherheit angeben las-
aen, geschwdge, dafs Hug's Erklärung (vgU pg. 77 B)
in Betracht käme. Zu der 2ten Classe der unterge-
schobenen gehören die berüchtigte Cyrenaische uod
Atlantische, deren Betrug namentlich Böckh aafg^
deckt. Den maltesischen Jargon der Atlantis geht
der Verf. ganz durch und zeigt uns den Betrüger atf
eine interessante und belustigende . Weise, gleiehsam
von W^ort zu Wort. Diesen beiden Inschriften zaUt
der Verf. noch nr. LXXX Tab. 19. bei, worin wir
beizustimmen kein Bedenken tragen« — -
• •
(Die Fortsetssiig folgt.)
j
• . . . • J^ 72.
tl a h r b tt c h e r
■
f ür \
Wissenschaftliche Kritik
I
Qctober 1839.
Bcripturae Unguaeque Phoemctae monumenta
■ qmoiquot tupertunt edtta et inedita ad auto-
graphorum opttmorumque exemplorwm ßdem
edidü additisque de scriptura et lingua Phoeni-
cum commentariis illustratit Guil. Gesenius.
(Fortsetzung.)
Nacbdem der Verf. hiermit die Erklärung der Stein«
inachriften geachlosseo, beschäftigt er sich im 3ten
BucAe ansachliefelich mit den phöoizischen Münzen, um
welche sich noch zuletzt Lindberg {de inscript. melif.)
recht yerdient gemacht hat. Aber auch hier bleibt der
Vermuthung immer noch ein weites Feld, da nur ver-
häitnifsmäfsig wenige Münzen — zumeist die der gro-
fsea Städte — sich mit Sicherheit lesen und bestimmen
laaseib — Das Iste Gap. behandelt die Münzen Phöui-
ciens selbst, diese gcbdren weder zu den ältesten noch
EU den besten, denn sie sind sämmtlich aus dem scleu-
eidischen und römischen Zeitalter, und sind zumeist
Ton Erz, nicht Ton besonderer Präge, und schlecht er-
halten. Den ersten Platz nebmen die von Tyrus ein,
deren Legenden keine Schwierigkeit darbieten. Dann
folgen 2) die Ton Sidon, hier ist es die 4zeilige Le-
gende (auf den unter Antiochus IV., Demetrius 1. u. III.
und der Selbständigkeit Sidons geschlagenen Münzen),
welche seit Bartbelemy Tielfältig die Ausleger beschäf-
tigt. Aoeh ist eine Hauptdifferenz in der Siten Zeile,
iiideai auf einigen Exemplaren deutlich ^3 auf an-
dern *U33 steht. Noch in den paläographischen Stu-
dien (pg. 59. 60.) hatte' sich Hr. Gesen; an die Lesung
und Erklärung Kopps angeschlossen: ^!d QK QHnül
■^i ^n^J W Sidomomm matrü circuli item So'
roris Tyri, Jetzt hingegen will er nach Einsicht vie-
ler Exemplare zur Gewifsbeit gekommen sein, dafs
3Q3 dio richtige Lesart sei, so wie denn auch, dafs
rOS mehr verbürgt, als (das leichtere) HnN« Da
Jahrb, /. wiiienBch. Kritik. /. 1830. II. Bd.
aber 3D3 als Wort keinen Sinn darbietet, so nimmt
er die 3 Buchstaben einzeln als Abkürzungen dreier Co*
Jonien, deren Metropolis (DI4) Sidon sei, beispiels*.
weise stellt er hin: Cittion, Melitta und Berjtos; also
Sidoniorum matrie Cittii Melitae Beryii item Sa*
roris Tyri\ auf diese Weise liefse sich auch die Va-
riaote ^03 ^3 leicht erklären. Indessen gestehen
wir offen, dafs uns hiermit der Knoten mehr zerhauen
als gelöst scheint. 3) Die Münzen von Acco, hier wi-
derlegt der Verf. die von Lindberg {De intcr. met.
not. 120. 197) aufgestellte Acre dieser Stadt; 4) die
von Laodicea (am Libanon) ; 5) die von Marathus, von
welchen der Verf. zugleich 3 unedirte Exemplare aus
dem britischen Museum mitt heilt (Tab. 35. 'H. J. K,).
In Betreff der Acre bringt auch hier derselbe die ge-
rechtesten Zweifel gegen Lindbergs Annahme vor, dafs
dieselbe die Selcncidische sei, so wie denn auch der
alte Irrthum, yH^O zu lesen, den dieser Gelehrte wie-
der in Schutz genommen, nachdem der Verf. schon
längst das Richtige gegeben (H'^S) aufs schlagend-
ste widerlegt wird; 6) die Münzen von Aradus, Bery-
tus und Carne, diese sind sehr unsicherer Deutung, und
der Yf. hat siie defshalb nur sehr kurz durchgegangen,
doch hat er auf Grund unsrer in diesen Blättern (Jul.
1836. nr. 6.) gemachten Bemerkungen, Veranlassung ge-
nommen, in dem Anhange (pg. 468) genauer über die von
Bayer der Stadt Carne beigelegten Münzen zu reden.
Nach Vergleichung des Pariser Exemplars (welches
Lindb. pg. 34 not. Cl. 6 schon aufführt, und worauf
Ref. verwiesen hatte) will derselbe die Abweichungen
von dem Bayerschen dadurch beseitigen; 1) dafs er
!£ auf demselben nicht als Abkürzung fär *^S(, sondern
für Verstümmlung auf dem Münzstücke nimmt; 2) das
mehr dem H als dem N ähnliche Zahl - Zeichen (^ 20)
nur als verschrieben für N hält, lieber beides läfst
sieb ohne das Bayersche Stück selber zu sehn eigent-
n
Qeteniut^ Mcripturae tinguäeyue Phoemeiae tnonumenia.
571
iich nicht entscheiden ; jedoch bemerken wir' in Betreff
des tetztem^ dafs der Verf. selber das H in diesem
Wertbe anf den Münzen (vbn Cossura) Tab. 39. E.
F. H. J. K. anerkennt, sodann dafs Lindbergs Her-
lehnng des Zahlzeichens N aus- dem phöniziscbeü Kaf,
noch problematisch ist. Wahreciieinlich warden 2 Ei-
ner (II) durch einen Querstrich zu Zehnem erhoben^
so dafs nicht nur die Form H neben N, sondern noch
ähnliche (vgl. die angerührte Taf. 5.) aufkommen konn-
ten. Die Abkürzung SC für ^X wäre jedenfalls nnta-
delig, da ja der Verf. selbst die von ny fUr 11V
und noch andre zugiebt. Im übrigen scheinen uns di^
Ton ihm angeführten Gründe triftig genug, nunmehr
mft Bayer diese Münze Came beizulegen.
Das 2te Cap: behandelt die oft herausgebenen und
beschriebetien Münzen Ciliciens, welche unter der Per-
sischen Herrschaft geschlagen und von so schöner
Präg^ sind, dafs sie denen von Panormus und Sjra-
cus billig zur Seite gestellt werden können. Indessen
ist es schwer, die einzelnen dem Orte nach xu bestim-
men, theils der unsichern Legende halber, theils we-
gen der Unbestimmtheit des dem phönizischen Ortsna-
men entsprechenden griechischen. Der Verf. stellt da-
her zuerst unter VH, die von Tarsus und die ihnen
verwandten zusammen { wir bemerken nur, dafs wir der
gewohnlichen Erklärung des TIH IVS Baal (dominus
Tarsi) den Vorzug geben möchten vor der unsers
Verfs. eivei tarsenses^ weil sich diese Inschrift immer
anf dem Revers neben dem Bilde des Baals befindet,
vgl. auch die Legende ^^bs hv^ (tab.'37. 1.), und dafs
wir ea bedenklich finden auf G. -mit Kopp die Schrift
/des Revers und Avers zusammen zu lesen. Beachtung
verdient aber die Erklärung, welche der Verf. von der
langen phönizischen Inschrift (36. A.) gegeben, obwohl
wir gestehen, dafs wir der Abkürzung 'A'3 für hü {HD
lieber auf maccabäischen Münzen etwa, als hier be-
572
kurzen Sefcaftefi des ersten Bncbstaben, der mehr für
TD als für D spräche ; allein die Verkürzung kann auch
nur zufällig, etwa durch den nahen Rand bedingt sdn;
so wie denn aucli in derselben Legende aaf J. der er-
ste Buchstabe völlig dem 3ten -(d. i. O) gleicht. Da
nnn das TD in der Bedeutung, die ihm der Verf. tu
freigebig leiht, uns mindestens zweifelhaft scheint, '
so möchten wir mit Kopp lieber nsno DVQ leaeiu
Eben so bedenklich ist uns noch die Annahme der
Abkürzung "OTWO 'DO Panormuk Romae auf K.,,eb-
wohl wir in dem Augenblick nichts besseres zu bietes
haben. Unstreitig richtig hat hingegen der Verf. den
Unterschied von O und CJ geltend gemacht in der Le-
gende der Münze von Heraclea (X), welche Kopp
mpSo Ul las, unser Verf. hingegen mpVo^T
Caput Eferculisy was vortrefflich den alten und neuen
Namen der Stadt erklärt; so wie denn auch als Be-
weis für die richtigeLeseart gewiäsermafsen das Exem-
plar O betrachtet werden kann« Merkwürdig ist übri-
gens das Exemplar F., welches dieselbe Legende dar-
stellt, aber mit verkehrter Richtung der Schrift and
thcilweiser Umkehrupg der Buchstaben. Vortrefflich
handelt der Verf. sodann über die Sjracusische Muo-
zpn (nr. XI.) 9 ^le Erklärung der Legende auf dem
Prachtstücke (^ab. 38. XI.) PlN INS /ö7i# #^* oder
miraculi durch die Quelle der Arethusa zu Syracus,
so wie der Legende H^N und N*^N durch 'den Tbeil
der Stadt, welcher NHiaoq oder Insula heifst, läfst niofats
zu wünschen übrig. Zweifelhaft kann erscheioen, 06
von der sicilisehen Stadt Motye die (nr. XII) ihr bei-
gelegte Münze sei, doch hat jedenfalls die Lesung dei
Verfs. KlISC, gegenüber Lindbergs mCO die Schrift
für sich. Bei den Münzen von Cossura (nr. XUI.) bait
der Verf. die Erklärung noch fest, die er. in den pft-
läograph. Studien gegeben; nämKch D^3 "^hf «rMscb
gegnen. Wenig Ausbeute gewähren die unter VUI filiorum 9. iwvenum. WaiT uns bedenklich gegen diese
zusammengestellten ungewissen Münzen.
Das 3te Cap. enthält die Münzen Sioiliens und der
'benachbarten Inseln, von denen die ersten bekanntlich
zu den schönsten gehören , der . Verf. unterscheidet 4
Klaslien : l) die von Panormus ; 9) Heraclea ; 3} Syra-
cus; 4) Motye. Bei denen, welche er Panormus bei-
legt IX, bleibt uns noch ein Zweifel über die Legende
H., weiche der Verf. nSHD DW liest ^ wegmi des
Lesung erschienen, haben wir schon in der Anzeige
Jener Schrift bemerkt; es ist die Gestalt des Nun^
die unzweifelbaft in A. B. C. hervortritt, aber in allen
übrigen (E — 0) ganz fremdartig ist. Aber es weidit
überhaupt in diesen die Schrift von den ersteren sehr
ab, und die von G — 0 haben namentlich mehr den
numidischen Schriftcharakfer. Läfst sich' nun anch
der 2te Buchstabe' in allen seinen Abweichungen ab
573
I7«MWMM, ser^tmve Imguaefue' Ph9«mciae monuaunta.
574
Jltd l#Mit «i«dev erkeaBen, ao bietet tioh doch iür
den 4teii als JVun gar kein« Analogie^' kaoiD eine ge-
schickte Ableittiog 4ar; uüd der Verf. sagt selbst Xpg-
900) JYun m Aü omniSus via; tale esse ogngMeereSy
nin ex primae daMHi ßgurie id eerto constaret*
Unter dieseo Uinstflnden fragt es sich; ob diese Mün«
seil) die ohnehin dem Gepräge und Schriftoha|:akter
und defshalb auch der Zeit nach von den andern (A.
B; C. anch D) verschieden, nnd von dem Verf. mit
Recht auch «als eine besondre Classe aufgestellt sind,
nicht auch eiae verschiedene Inschrift und Heimath
haben können? Wir glauben unbedenklich; wenn nur
eine [tessende Erklärung sich darböte. Alberto della
Marmora^s Lesung DHS "^K (oder NHS ^K} verwirft
der Verf. mit Recht, denn dem Thau entspricht der
Buchstabe gewifs nicht, er kann vielmehr ein TD oder
Jody .vielleicht anch ein He sein. Doch v^issen wir
nicht, was wir aus DTDS ^N machen, oder D^3 ^N
ituula in mare für eine Beziehung geben sollen, und —
Dt13 "^S lassen wir dahin gestellt.
Dafs die 2te Schrift auf diesen Münzen wahrschein-
lidi eine Zahlangabe sei, darin haben wir schon früher
dem Vf. beigestimmt. Gewisser als die Legende die-
ser, ist übrigens pN auf den Münzen, die man Gau-
les (XIV), aber ohne genügenden Grund, beilegt
Das 4te Gapitel behandelt die in den Seestädten der
Hispania baetica geschlagenen Münzen mit panischem
Schriftcharakter. Es sind die von Gades, von denen
Bayer noch die von Abdera, Lindberg die von Sexti
und Malaca, und unser Verf. noch die von Belos ge-
schieden. Bei denen von Gades nr. XV. erklärt sich
der Verf. für die gewobnliche Lesung niJiN SVSD
waa er für a eivilms Oadium^ so wie "nSN ThV^
ewviiae Gadium nimmt, gegen Bayer und Tychsen's
Liesnag 'N bySO und 'N hSvO opus Gadium \ indes*
Ben ist die Entscheidung schwer j von den 3 Gründen,
die nämlich der Vf. dafür anführt, dürfte nur der erste
gelten, der 2te nämlich dafs ilbyB im A. Testament
nur poetisch und mehr von Gott gebraucht sei, ist
^enig von Belang, so wie der 3te, dafs die Analogie
der Münzen von Tarsos dafür sei, da es bei diesen
mindestens zweifelhaft ist, ob nicht ^ys « Baal zu
nehmen sei ; gegen jene 3 Gründe scheint vielmehr für
Bayer die Legende C zn sprechen, die, wenn sie rich-
tig, ist, nicht anders als yXXA xill^'^percuseura Ga-
dium mit Bayer gelesen werden kann, Dafs .diesem
der Verf. mit Recht beitritt gegen Kopp und Lind-
berg, haben wir schon früher bemerkt^ doch ist der
wesentliche Grund nur Aer^ grapAiscAey dafs wirklich
Lamed und nicht Nun sich findet, spraeAlicA läfst
sich gegen "^IJlN D3i1Q nieAts einwenden, wenn man
nur richtig, wie wir schon bemerkt, „^or opiAus suis^
6fades'' erklärt. Bei denen von Sexti nr. XVL tritt
der Verf. Lindberg's Lesung bei ^DIC, doch glaubt er
auf einigen statt y32{ den Namen Hjn zn lesen, und
möchte hiemach diese dem africanischen Tingis bei-
legen. Die von Abdera XVII und Belos XVIII, bieten
nichts Erhebliches dar. Bei denen von Malaca be-
richtigt nachträglich (pg, 468) der Verf. die Lesung
roSo in I^shO, welches er für hON^D ojff'icina
nimmt«
Das 5fe Gapitel schliefst ab mit den puniscA^fru
caniseAen Münzen. Von CaHhago selbst sind keine
Münzen mit punischer Schrift vorhanden, die Vorhan»
denen sind von den numidischen Königen oder von dep
freien Städten zur Ehre der römischen Kaiser geschla-
gen. Hier wie bei den numidischen Steinschriften, hat
der Verf. besonderes Verdienst, obwohl bei der Unsi-
cherheit der Abbildungen nur die Erklärung weniger
Legenden über eine mehr oder weniger gewisse 'Con«
jectur hinauskommt. Hierhin gehören namentlich die
Münzen unter Juba I. u. IL, auch die von Vacca, we-
niger die von Sign, während die von Sabratha kaum
einen Zweifel zurücklassen;
Das ite BucA soll nunmehr die phönizische Spri^
che selbst beleuchten, und zwar wie sich darstellt: I)
nach den in den 2 vorangehenden Büehern erklärten
Denkmälern ; 2) aber auch nach den bei den Alten er-
haltenen Glossen, Eigennamen und besonders nach den
berühmten punischen Stücken in dem Plantup'schen
Poenulus. Bei dem geringen Umftmg jener Denkmä*
1er, insbesondere aber bei der mangelhaften Bezeich-
nung der Vocale in der phönizischen Schrift, begreift
man leicht, welch' eine bedeutende Stellung diese 2te
Klasse phönizischer Sprachreste, gleichsam als die lern-
ten Zeugen neben jenen ersten der stummen Deakm^
1er einnehmen magl Aber diese Bedeutung wird leider
sehr herabgesetzt 1) dadurch, dafs eine getreue Dar*
Stellung fremder Laute in fremder Schrift nicht immer
möglidi ist, und dafs selbst die dabei ttberwindlichen
Schwierigkeiten selten wii^klich von dem Darstellenden
575
Gcsenms^ icr^iurae Knguaegue Phoemeia^ mQtmmeniä*
äberwanden werden -^ daher sumeist schon die ur-
liprünglioho ]>ar8telhiDg unsicher ist (man vgl. z. B.
den in griechischer Schrift umgeschriebenen hebräi-
schen Text); 2) dafs diiese unsic/iere Darstellung netb-
wendig noch unsicherer wird, wenn ihre Ueberliefemng
und Fortpflanzung durch die Hand der Ignoranz geht.
Bedenkt man also^ dafs Schrift, Laut und Wort der
Sprache, in welcher dargestellt wird, von vorn herein
auf die fremde darzustellende Sprache einen Einflufs
übt, und wie dieser Einflufs in dem Laufe der Ueber-
lieferung bis zur Entstellung und Umwandlung fortgehn
mag, so begreift man leicht, wie es zumeist schwierig,
'öfters unmöglich ist, in dieser Verkleidung das Origi-
nal wieder zu erkennen , und ' wie diese oft nicht in
ihrer, sondern in fremder Zunge redenden, viel schwe-
rer zu verstehen sind, als die stummen Denkmäler der
ersten Art. Der Vf. fuhrt uns nicht sogleich zu diesen
2ten Resten, sondern spricht im Isten Capitel erst über
den Charakter der phdnizischen Sprache überhaupt,
über ihr Verbältnifs zur Punischen, über das Gebiet
und die Zeit, in denen sie geherrscht, und die Schrift-
steller, die sie besessen hatte — eine Erörterung, die
besser später gefolgt wäre <-* sodann stellt er im 2ten
Capitel — was paßsender am Ende des 3ten Buches
Platz gefunden hätte -^ ^in Verzeichnifs der in den
ohigen Denkmälern (Buch 3) befindlichen Wörter auf,
in welchem begreiflicher Weise manches Ungewisse und
nur der Vermuthung Angehörige aufgenommen ist, so wie
denn auch Vieles, was noch der früheren Erklärung
angehört, die der Verf. nachträglich schon selber aufge-
geben hat. Erst hiernach behandelt derselbe im 3ten
Capitel die punischen Stellen in Plautti% Poenulu%
(Act. V. Scene 1. 2. u. 3.)> Hier hat es Hrn. Gesenius
bekanntlich nicht an Vorgängern gefehlt *), doch un-
ter diesen ist unbedingt der Preis Bochart zuzuerken-
nen, der, so weit er gearbeitet, für die Erklärung die
Grundlage gegeben, zu welcher die Nachfolger nur
spärlich einzelnes Material nachgetragen. Unser Vf.
hat mit Recht vqr Allem für die Erklärung eine mög-
liehst sichere Basis gewinnen zu müssen geglaubt,
♦) FineUi(traHatd delia fingua ebrmca € tue affinf), welchen
unser Verf. anführt, aber wie er nagt picht zur Hand hatte,
enthält nichts Eigenes, sondern nur di'e Uebersetzung ron
Bochari und Clerk.
576
durch eine neue Vergleichnng des wetotg genau gegi-
benen Textes der Haupthandschriflen, welche noch
dem letzten von ihm übersehenes Bearbeiter dieser
Stücke, Hrn. Conr. Lindemann^ durchaus abgeht. Diese
Handschriften sind: die Heidelbeiger {ood. deeurMut)
die Römische (cod^ i^^//#) und die Leipziger, zu vel*
eben noch köinmt die Edü. Princ. (Veneta 1472).
Aufser diesen boten sich noch zur Vergleichnng du
die 1825 tou Angclo Maio herausgegebenen Fragmente
des Mailänder Palimpsest, vrelche aber nur die 'den
10 punischen Versen folgende^ von Bodiart falBchUdi
{iir Ijbisch genommenen Verse enthalten. Dieser Gmnd
und Boden von dem Talent des Verfa. bebaut, igt
denn auch nicht ohne gute Früchte geblieben, und auf
demselben haben bereits andre mit Glück und Talent
fortgebaut: 1) Hr. Julius Wurm, der in einer au8fub^
liehen R^cension des ganzen Torliegenden Werkes Qa'
den Neuen Jahrbb. für Philol. u. Pädag. Acht. Jahrg.
Bd. 23. Heft 1. 1838.) Kenntuifs und Talent gleich
sehr an den Tag gelegt, durch seine durchgängig
selbstständige Erklärungen *)• 2) Hr. Director Fr. Cad
Wex, dem der Vf« die nacli der Vollendung des We^
kes eingegangene neue Vergleicbung des Mailänder
Palimpsest, so wie einer andern Vaticanisdien Hand-
schrift (Jordani Ursini) zu diesen Studien überirefs, so
dafs in der That durch seine erste Arbeit — de pmi-
cae UngutMe reliyuüe in Plauti Poenulo epistola ed
G. Geeenium — die er in seinen meletcmaia de /m-
nicis Plauiinis nunmehr auch über die andern Scenen
ausgedehnt hat, die Erklärung dieser Stücke nickt lr^
nig fortgeschritten ist; wie diefs unser Verf. selber
schon öiFentlich anerkannt hat) Hall. AU. Litter. Zei-
tung, Jan. 1839 (nr. 14 — 16.\ so dafs es uns erfreu*
lieh ist, über diese Leistungen insgesammt, so weit es
der Raum gestattet, nunmehr berichten zu können.
•
*) Leider ist sie dem Unterzeichneten erst Jetzt, da er zu die-
sem AlMchnitte gelangt, zur Hand gekommen, und ob««lil
sie zur gegenseitigen Jleslfitigun£ und Kerichtigung reichli-
chen Stoff bietet, so hat doch Ref. Scheu getrageoi nach-
träglich an seine Arbeit Hand anzulegen, und es >orges«-
gen, seine nunmehr gelösten Zweifel und erkannten Irrthä-
mer harmlos stehen zu lassen, neben den Ton ihm noch
festgehaltenen abweichenden AnffaMuogen, «ei es der rts
ihm selbst gegebenen, oder der Ton ihm gebilligten des Ur«.
Vfs. Oefters hat er sich auch der Uebereinstimmung mit
Hrn. W urm in einzelnen Bemerkungen und l£rklaruDgeo er-
freut, so wie denn Hr. W. die Sard. Inschrift ganz so aafge-
fafst, wie sie Ref. in diesen Blkttern bereits 183(» erklärt btt
(Die FortBetzung folgt)
J ah r b ti c h e
f»m
u r
w i ssenschaft liehe Kritik
Octobcr 1839.
Scrtpturae lingnaeque Phoeniciae monumenta
quotquot supersunt edita et-inedita ad auto-
graphorum optimorumque exemplorum fidem
edidü addiWsque de scriptura et lingua Phoenix
cum commentqriü illustravit Guil. Oe^enius.
«
(Fortsetzung.)
Von deo 16 YerseD, mit welchen die 1. Soene be-
ginnt, bat Bochart die 10 ersten ffir panisch genom-
men ond erklärt, und mit guten Gründen dargethan,
wie die 6 folgenden nur dasselbe wiedergeben können.
Die meisten Nachfolger sind von ihm abgewichen und
baben jene 6 Verse für eine Fortsetzung genommen;
mit Recht pflichtet unser Verf. aber wieder Bochart
bei, nnr dafs er nicht mit iKm jene Verse für libysch,
sondern fär libjphSniziscb hält; gegen das eine wie
gegen das andere Sprachidiom hat sieh aber Hr. Wex
erklärt und fiberzeugend dargethan, dafs auch diese
Verse pnnisch aber Tulgär sind, während die 10 erste*
ren rhythmischen die correctere Diction geben, welche
derselbe als pbönizisch bezeichnet. Als äufseren Be-
weis fuhrt er die Ueberschrift im Heidelberger Codex
an, wo bei r. 1. hanno foeniee^ nach t. 10. hianno
punieePEONÜS /)C/^ sich findet. Dieses räthselhafte
Du erklärt er jedenfalls sinnreich als Abkürzung für
dietume vulgari (p. 11). Diese Ansicht hat sich auch
bereits den Beifall unseres Verfs. erworben, nur dafs
dieser die 10 ersten Verse mit Recht dem Plautus
seibat beilegt (wegen der eingewebten punischen Rede
Scene 2 und 3) und ihr Verhältnifs zu den folgenden
6 Versen wahrscheinlicher erklärt. Mit Recht hält
ferner unser Vf. fest, dafs die dem Punischen folgen-
den 11 lateinischen Verse eine yon Plautus selbst ge-
machte Version des Punischen sei \ doch gebührt Hrn.
Landeinann das Verdienst, unter diesen IL Versen
den 5ten zuerst als unächt yerdächtigt zu habeli, so
dafa denn auch der Zahl nach die 10 lateinischen den
Je .b.f, yni$en$ch. KriHk. J. 1830. II. Bd.
10 ersten punischen entsprechen, welchem Venjachte
die übrigen Ausleger sämiAtlich beigetreten^ sind. Au-
fserdcm ist durch die Vergleichung des Mailänder PaU
impsest bei Hrn. Wex für den 7ten Vers dieser Ver-
sion die richtige Leseart ad eum ho^pitalem (statt
ad de um) gewonnen worden. Alle Ausleger stim*
men übrigens nunmehr überein, dafs fiir die Erklärung
die lateinische Version die Hnnptrichtschnur sein müs*
se, und dafs die für die beste zu halten, welche allen
übrigen Anforderungen genügend, sich ihr am meisten
anschliefse. Hr. Wex hat übrigens noch besonders
darzuthun gesucht, wie nun auch das Phdniziscbe und
Vulgärpuniscbe in der Erklärung sich stützen und gOr
genseitig aufbellen können, so wie sich denn dieser
Gelehrte um die Combinirudg beider vielfach und mit
Geschick und Scharfsinn bemüht hat; docb müssen wir
aufrichtig gestehen, dafs bei dem sehr mangelhaften,
gemischten und vielfach corrupten Text — wie er auch
in dem Palimpsest erscheint, der übrigens nur diese
letzteren Verse enthält — sich kaum etwas Sicheres
gewinnen lasse. Betrachten wir nun die Stelle selbst
näher.
V. 1. hatte unser Verfasser mit Bellermann ^n"^!Dt
gelesen, welches er nunmehr aufgiebt gegen das ^ von
ihm vorgeschlagene und auch von Hrn. Wex ange"
nommene S*^SipVJ 9 dieses ist allerdings, wie der letz-
tere bemerkt, ' dem Lateinischen entsprechender, nur
dafs durch die Relativbeziehung auf das isolirt voran-
gehende Object die Constrttction beüpiello» hart wird.
Dabei ist eine doppelte Abweichung vom Hebjraismua
bemerkbar, 1) DIpD als Pemin. 2) Korathi statt Ka-
rathi, denn die Handschriften geben übereinstimmend
$. Nichts desto weniger müssen wir diese Erklärung
ebenso der des Hrn. Lindemann vorziehen, als den Vor-
schlägen des Hrn. Wurm; beide nämlich entfernen
sich zu sehr von dem überlieferten Text; Hr. L. mit
der Lesung bsru zu Anfang des v. (statt yth), was
73
579
Getemuiy »eripturae Unguaejtie PA^enieiae tnonumenta.
sogar sprachlicli verstorst; und Hr. W. mit ^H^N
eben daselbst, oder mit EinschiebuDg von p*>yiK9 wel-
ches letztere obnebiD ein hier (für veneror) unpassen-
der Ausdruck ist. Eher noch möobten wir N"^p^t
oder "^rW^p Torschlagen, welches wegen des folgen-
den Sicorathi ausgefallen wäre. Eben so wenig ist
wohl beider Schreibung 'Sni U^ilti für 'byi D01"^Sy
txk 1)illigen. Mit der Auffassung der 2ten Vershälfte
dieser beiden Ausleger (nach Bochart) I^SCC^ TmpV)
HKl können wir uns eher befreunden, denn die dage-
gen erhobenen . Schwierigkeiten, 1) dafs die Stadt im
Phöniz. sonst Kareth und nicht Koreth gesprochen,
% dafs "{DD stützen und nicht schützen heifse,, 3)
4oM, vom Nomen getrennt sei — sind wenig erheblich, nnd
der Satz wäre einem Jeden auf den ersten Blick ver*
iständlich, auch hebräischer und dem lateiaischen qui
hmic eoiunt urAem entsprecheiuler als HK* D^pOtD«
Doch würde diese Erklärung mit der des ersten Satze«
fiillen, und die andere scheint noch eine Stute zu ha-
beli am panischen Text, wo Herr Wex in der That
^nir!)PWT PlpOn "^dSo rin(l4) ro richtig gelesen hat
Doch ist es auffallend, wie in Betreff der Redeweise
das Phöniz. und Puuische ihre Rollen getauscht, denn
den correcteren gewandteren Ausdruck *21 ^)3 vS DHNtD
bätte man doch gewifs eher im Phönizischen als hier
erwartet.
Bei dem 2ten V. dürfte keine der gegebenen Er-
'klärungen befriedigen. Die vom Verf. im Werke au(^
gestellte bat derselbe mit Recht wieder zurückgenom-
men gegen eine andre, gegen welche wiederum Herr
Wex (p. 41) gerechte Einwendungen gciliacbt hat$
dieser aber hat gleichfalls wieder seine frühere Erklä-
rung gegen eine neue yertauscbt, mit welcher wir uns
indessen gleichfalls nicht befreunden können. Das Hit-
poel von D7V bleibt wenigstens in der Bedeutung be-
denklich (vgl. dasAraInO; '^H'^ MJ DN utinam potes-
tos ßai ist sicher mir eine gemachte Phrase, und
schwerlich kann TV potettaM in diesem Sinne bedeu-
ten. Die Schwierigkeit liegt darin, dafs der lateini-
sche Vers mehr den Gedanken als die Worte wieder-
zugeben scheint; denn filr das doppelte veni {venerim)
sieht man sieh umsonst nach einem geläufigen semiti-
schen, Worte um, und das lateinische rite hat im
660
Filöliia&iscben überhaupt wohl nichts ganz Entsprechen-
des. Das was Hr. Wurm noch für das Gewisseste
hält, dafs ethibarui {ethiburui die Codd.) de medte
("ISl) wiedergebe, wofür es auch Bochart^ Tyobse^
Bellermann, Gesenius nnd Wex genommen, bietet du
sonderbare dar^ dafs "^3*1, was sonst immer mit i
geschrieben ist, hier von allen Auctoritäten durch %k
ausgedrückt wäre. Hrn. Wurms Versuch hat im* Qe»
brigcn das für sieb, dafs er sich am genauesten an die
phöuiz^ Worte anschliefst, aber er scheint uns der
Sprache so wie dem Sinne nach gezwungen. Unter
diesen Umständen ist es bedenklich, noch einen weitem
Versuch aufzuführen, doch legen wir noch folgenden,
'vielleicht eben so wenig befriedigenden, vor:
%U negoiia mea (oder viae meae) perfecta #Mt#, pi-
tene^ e decret0 ßeum (patumP). Was den löokeahst
teo puuischen V. (im Palimpsest) betrifft, so sagt lui
gleichfalls weder die Iste nooh die 2te Erklärung des
Hrn. Wex (p. 43) zu, die letztere bat namentlich den
Mangel, dafs grade das, worauf es dem Gedanken
nach ankommt, fehlt, denn in dem Satze ^fuoniam vm
meae perfeotae sunty utinam perüciam eae^ vermifst
man gewifs die bedeutende Bestimmung, pre retui
tneie... Andrerseits wendet Hr. Wex gegen uaserei
Vfs. Erklärung (in der All. Litt Zeit.) mit Rebht ein»
dafs bei CSnSon ShHV*^ ^O nothwendig die Prte-
position |0 fehle. Bei dem 3ten F. weicht Hr. Wex
von unserm Verf. nur darin ab, dafs, während dieser
ropisb von Bochart beibehalten, Hr. Wex (sich sn
Tychsens DJp T)th anschliefsend) dafitr rup HB ^
lies't, was wir wohl vorziehen mficbten; im üebriges
stimmen beide mit Bellerroänn, dem Hr. LindeouuHi
ganz und gar folgt; dieser nämlich veränderte das erste
ümUAu in '^nN p (ebenso Tyehaea) und adaediti)^
iadidi u (^ ^TH"^). Statt dessen will Hr. Warm
das 2te binuthu in "^HN |3 verwandeln, und adaeiin
für {MN *in> d. i. una cum hie nehmen, was nnbe-
dingt vorzuziehen ist, wenn man *in ^' "in*^ and d ^
n zugiebt, da einmal es passender ist, dafs die Tdekter
vor dem Bruderssohn vorangebn, sodann atioh dieie
Auffassung mehr dir lateinischen Version entsprisU)
die obuebin nichts vom dileeiue hat, . wefebäib woU
681
GMtmvtj seriptHTiU Ungtuu^tie Phpenieia» monumtitfat
982
auch Hr, Wcx "^T^T^ Ton der Verwandtschaft vgl, l^T
verstehen raSchte. Im.Palimpsest ist es hier übel be-
ateUt. Die Toekier fehlen ganz, Hr. Wex ergänzt
sie naek dem Broderasohn, weil hier Reste von Buch«
fttaben sich finden, ans denen sich aber freilich das
Verschiedenste machen läfst. Hier sieht man recht
offenbar, wie in diesem Codex (die anderen geben nur
ein Paar Worte) Unverstand und Nachlässigkeit fast
Alles untereinander geworfen haben^ so dafs kaum et-
was Sicheres daraus zu gewinnen ist; womit wir in-
dessen weit entfernt sind, Hrn. Wex* Verdienst um
die Erklärung verkennen oder gar schmälern zu wol-
len; mle coHth erklärt er wohl richtig rüpS ^^ ob
das zunächst foigeode ee^na 49ionim ^^ liier an sei-
nem Platze sei, möchte man bezweifeln ; auch scheint
M mifslich, cAona (Pulimp. ecotm) für KSn» mid die-
aes als Contraetion für N3 ^Sn zu nehmen ; noch li^
ber nehme man es für ^Jn> {gratioMt sint) das a in
u zn verwandeln, dürfen wir wohl eben so wenig Be-
denken tragen, als Hr. Wex m in ti; echo in achi^
und atum in ulam^ dieses möchten wir aber nicht,
wie Hr. Wex, mit dem vorangehenden alonim (zu
gwiperiares mundi) verbinden, sondern es lieber D /H
(ßie) oder punisch für dSv erklären und näher zu
dem folgenden bar beziehen, etwa: mihi reeuptrar^
gratiosi iv\t du Ate oder (^iuvenem^ JUium fra»
tris mei.
Der Ate V. ist einer der leichtesten, die Ausle-
ger aohliefsen sich fast alle an Bochart an, nur dafs
i) Hr. Wex nachträglich {eoroUarmm) statt byrnt^
rob (nach Bochart byrtta rob 3*1 n^^S) nunmehr
luit Tjchsen Zf^SI ]n3 byirH^ rob lies't, was wir
für beaiMr als Hm. Wurmes Vorschlag |0}43 halten.
9f) IXafs Hr. Lindemann und Wurm gegen die andern
die 2te Person vorziehen, die allerdings passender ist,
und auch in der lat Version sich findet, aber mehr
Ton dem Texte abweicht; zugleich nimmt Hr. Linde-
lAann mit Bocb. myMyrtA9ho(m) für Providentia e^
f%imi Hr. Gesenius und Wex i^it Tyehsen für impe^
rio'e^rum (DnmtÖO), Hr. Wurm iuiiüia vettra
(CSnntff'^O) . Hat Tjchsens Erklärung das für sich,
dafs sich das Wort in dieser Form im Hebräischen
findet, 80 hat sie das gegen sich, dafs sie sich von
dem Texte mehr als die andern entfernt. Ob die Ab-
weichaag in der punischen Aasspracfaa begründet ist f
llebrigens fehlt hier in allen Handschriften das notb-
wendige m, ist. es im ^Punitc/ien schon abgefallea
(vgl. Seen. 2, 57. datha)^ oder in einem Normal«,
Cod., und daher in unseren vergessen worden?
Im bten Ferse hat der Vf. unseres Erachtena ei-
neu guten Fund an HiriNO gethan, eine weitere Ver-
besserung hat aber dann auch der von Boch. noch auf-
genommene Anfang des V. durch Hm. Wex (ähnlich
auch durch Hrn. Lindemann) gewonnen^ so dafs wir
Hrn. Wex' Erklärung fiir diejenige halten, welche dem
Richtigen am nächsten steht* Denn die von Herrn
Wurm vorgeschlagene *11*1 ^D2H ^HlJ^h n>3 ist schon
der harten Construction halber (der Trennung de«
fl^3 und *Vli^ schwerlich zulässig. Doch ist eins
auch noch bei Hrn. Wex bedenklich -^ worauf schon
unser Verf. hingewiesen — nämlich p3 am Ende
des Verses, welches derselbe von dem vorangebenden
>
Nomen proprium abtrennt, und zu ihm als Adjectrr
bezieht, entsprechend dem hebr. |!3 oder chald. 7^3
(probue), welches nach seiner Vermuthuog die Phöni-
zier dem Namen des Verstorbenen im Sinne unseres
selig beigegeben. Freilich hat Hr. Wex Recht, wenn
er behauptet, dafs der Name Antidamaschos gegen den
gewöhnlichen Antidamas zunächst aller Auctorität ent-
behre, da Antidamarchi Seen. II, 85., worauf man
sich stütze, wie schon längst die Ausleger gesehn, of-
fenbar verderbt sei (man vgl. Sc. 2 v. 100). Doch fragt
es sich, ob man nicht im Fhönizischen und Punischen
dem fremden Namen diesen Anhang (pS) gegeben
(wie ähnlich die Rabbiner verfahren), oder aber auch
ob nicht dieses cAon durch Verwirrung der Abschrei-
ber aus dem Schlüsse der vorangehenden Zeile hier
her gerathen sei. Die Leseart eu der gegenwärtigen
Handschriften entscheiden freilich nichts, in ihren ver-
schiedenen Verdrehungen scheinen sie doch alle den-
selben Namen (mit con) zu geben. Uebrigens hat Hr.
Wex für das Panische noch handschriftlich zn dem
CoroUar. eine nickt ungefällige Erklärung nns mitge-
theilt.
Bei dem schwierigen Sien V. können wir unter
den gegebenen Erklärungen nur die des Hrn. Wurm
billigen, die in der That so glucklich ist, dafs wir sie
sicherer fast als die aller übrigen Verse halten. Das
Bedenken, welches Herr Wex gegen ipoy in Herrn
Lee9^ the Affinities t^ PhmU wiiA Mim,iind anAmlä^ ete*
683
Wurm*« Auffassung Dimmt, könnte dieses wsut ak
chaldäiMches Wort treffen, nicht als Thalmudismns,
wie es Hr. Wex fälschlich bezeichnet.
Bei dem 7ten V. hingegen bleibt am befriedigendsten
die Erklärung des Vfs., nnd seine Gonjectur oder Cor-
rectur 133 HN «iehen wir n4)ch vor* der schwerfälli-
gen Aushülfe DN p HN bei Hrn. Wex. Mit dem
Punischen hingegen sieht es auch hier mifslich ausf
wenn übrigens Hr. Wex für seine Erklärung in dem
Accusatiy Agorastociem im Punüc/ten Texte eine Be-
stätigung £nüet (p*23), so ist diefs ein seltsames Ver-
sehen; denn da es im Punischen keinen lateinischen
Accüsativ giebt^ so ist derselbe sicher aus der lateini-
schen Version in das Punische hineingerathen.
Bei dem 8ten V. hat die früheren Ausleger noch
die falsche Leseart ad de um für ad eum irre ge-
führt^ so dafs Hr. Lindem, sogar diesen Dens durch
JeAova repräseutirt. Nachdem der richtige Text ge-
funden, tritt dein Wahren wohl am nächsten Herr
Wex, nur mifsfallt na so als Particip nehmen zu müs-
sen, da ^as phönizische Particip sonst mit dem hebräi-
schen stimmt, Tgl. T. 6., yielleicht ist also (nach
naso — ) thi ausgefallen oder statt tüh naso zu schrei-
ben sinasotA.y auf diese Form scheint auch das Puni-
'sche hinzuführen, das übrigens' Hr. Wex hier recht
sinnreich erklärt, nur können wir kein rechtes Vet-
. trauen zu diesem Text fassen; der Palimpse^t hat nur
Trümmer : nqso/ — Aeltcot, die freilich Hr. Wex mit
Hilfe der andern Handschriften trefflich rcstituirt ; aber
das bei diesen vorangehende ettescanehc sieht fast
wie eine Corruption des Phöuizischen ythemaneht aus;
Hr. W^ex erklärt, indem er mit Hülfe der Trümmer
in dem P^alimps.: 9iit^e idu liest "^JS WTW NnKU)
quem adibo ego; nach der Vulgate liefse sich schreiben
*^3K .71 T KJIN beides ist aber eine dichterische Rede-
weise, wie man sie hier kaum erwartet.
(Die Fortsetzung folgt.)
XXXVL
TAe AffinÜM of PlanU wüA Man atnl anpnalMy
sAeir ana/ogies and assocüttions} a tecture delp-
vered before tAe IVoree$tersAire natural^ Aittory
Society by Edwin heee, Ltmdon. 1834. 122 iS. 8.
Die Kunst, über wissenschaftliche Gegenstände vor einem
sehr gemischten Publico verständlich zu sprechen, ohne in das
681
TriTiale su TerfaUen, sieht, dotch za gvolse AnfoTdeningea 4at
Interesse für die Wissenschaft zu verscheacben, anitatt es zu
erregen, ist keine so kleine: wenn sie der deutschen Pedante-
rei überhaupt seltener gelingt, als seinen lebensgewandten Nadi»
barn, so mufs man dem Verf. der beseichneten Blatter iu|e»
stehen, dafs er sie besonders gut TersUnden hat; mit GeuaadI*
heit weifs er seinen Versuch zu rechtfertigen „the old ob8e^
vation „ne sutor ultra crepidam*' is often repeated ad nauseatt
by those who, at Bny rate, bare not tbe acute discrimination
of the Greelc who first used the expresslon,'* und geWifs hat er
die Gesellschaft für sich gewonnen durch die rhetorische (an
anderen Orten gesuchte und unpassende) Gewandtheit, mit Wel-
cher er di^ Ladies und Gentlemea anredet: „After the iastrae-
tire, splendid, and truly eloquent lectures of the leamed phy-
sicians T^ho have preceded me. I must candidly admit tbat my
Position this evening is somewhat embarrassing ; bot there ii
öne coosideration, which while it relierea me« will, 1 tnist, alao
plead my exduse with you. Tou will remember that in the
ranks of science as in the ranks of war, though skilful leaden
plan and able minds direct, there must always "be found soae
whom deroted enthusiasm alone prompts to stand or faU iatht
raoguard. From these the same tempered discipline can bardly
be expected as from the Veteran of a hundred fields, yet their
ardour is sometimes considered to balance their tactical inex*
perieoce. Thus niyself a mere volunteer in the Serrice of Na*
tural History, 1 must intreat you of the Science by its ia^ats
merits, and not by the imperf^ct capabiiities of .its present ad-
Tocate etc."
Wenn wir auf diese Art das formelle als das eigentlich«
Verdienst dieser kleinen Schrift hervorheben, und auf ihre £«•<
achmackvoHe Behandlung die Versicherung gründen, dafs sie
eine Stunde angenehmer Unterhaltung gewähren wird; so wol-
len wir ihr doch keineswegs aUt% wissenschaftliche Verdienst
absprechen. Mit dem Worte Affinities drückt der Verf. nicht
etwa die Verwandtschaften und Ueberglinge ^^^ Pflanzenreichs
und Thierreichs aus, sondern die Beziehungen der Pflanzen well
zum physischen und psychischen Leben des Menschen werde»
damit bezeichnet, und diese Yorsteht der Vf. mit eben so un-
gemeiner Belesenheit, als ansprechender Gewandtheit hervorzu-
heben ; z. B. wenn er Ton dem Alter der Bäume spricht, und
erinnert, wie die W^älder der Alpen schon Zeugen ro9 Haaai«
bals Uebergang waren, wenn er an die Sprache der Bäume in
den Ruinen Von Dudley und Kenilworth denkt, oder darauf auf-
merksam macht, wie der Eibenbaum zu Fortingal bereits das
Römerlager beschattete u. dgl. m., odfer Baume erwähnt, die
schon im zwölften Jahrhundert beschrieben werden, und die
Verse der Dichter anführt, die sie rerherrlichten ; die Bedett-
tung der Pflanzen in den Mythen uqd Religionen des Altef:
thums, der beutige Glaube an die Bedeutung von Pflanzen und
Blumen jn Tcrschiedenen Ländern und unter verschiedenen
Ständen, die Blasnensprache u! s. w. Auch bildet der Verf. ein
Paar berühmte alte Bäume ab.
tieasiogen
W 1 8 8
^74.
Jahrbücher
für'
enschaft liehe
Kritik
October 1839.
Btripturo» Imguaeque Pkoemciae monumenta
quotmtot aupersunt edita et it$edita ad auto-
graphorum optünorumque exetnplorum ßdem ,
edidit additiaque de scriptura et lingua PAoetti-
cum commentariü illuatravit OuiL Oesenius,
R
(FortMtswig.)
V. 9. sind die Ausleger aftmintlich Bochart ge*
fol^, auch kann naeh ihm nur Wenigeü noch bedenklich
sein ; bynni id nimmt er nämlich fiir HV ^3^2^ eben-
so Bellemann und Gesenins (» hebr. IV "^33^3);
dafür i?i!l Hr. Lindemann JTTö ^3, Hn Warm ^3
T^y3 {mihi monstratum est Nif^ Hofal, auszuspre^
eben n^y3 ^^S), was wohl wider den Sprachgebrauch
ist; Hr. Wex erklärt VIM p3, welches er 6yn yid
schreibt; dieses ist sprachlich sichtig; denn nur ein .
Tersefan kann es sein, wenn unser Verf. (Hall. Allg.
Litt. Zeit.) yon der gewöhnlichen Regel aus dawider
einwendet „es müfste wenigstens |13 heifsen": denn
grade das postulirte pS ist nur eine theoretiseh ge*
bildete Form, die nirgends yorkommt, während. p3
als Infin. absol. wirklich erscheint Proy. 23, 1. (p3n p3)
wie noch 3^^ Jcr. 50, 34. (welches Beispiel übrigens
der Verf. in seiner Grammatik selber aufführt (§. 73,
3, 2.) ygL auch Pro?. 2.3, 24 Kri. Demnach ist kein
Gi'uttd yorhanden VIN 713*^3 zu lesen ( da an der
angefittrten Stelle p3 nicht « n3^3 erklärt werden
darf.) Indessen ziehen wir doch Boch. und Gesenius Er-
klärung, als dem Text und der Vcrsfon entsprechen^
der, yor .(denn VIK wurde- wohl nicht yid gespro»
dien), mag man nnn annehmen, dafs Synni selbst als
JBifii gebraucht sei, oder yerkürst fiir eiynni stehe.
Eline andre kleine Abweicbiuig yon Bochart hat der
Verf. darin, dafs er Ayli gubulim nicht fiir nSMTl
0*^^13319 sondern für 0*^^32 hSn nimmt ; das erstere
yerstöfst bestimmt gegen den hebräischen Sprachge*
UM. / wü$en$ch. KnHh. J. 1839. II. Bd.
brauch, denn n^Kn steht immer fia^A dem Nomen,
SU welchem es als Demonstratiy gehört, nie yor denn
selben ; aber dasselbe ist in der guten Diction eigent-
lich auch bei nhN der Fall ; und lleferent weifs kaum
2 Stellen aufzuführen, wo TISk in diesem Sinne yor
dem Nomen steht (Ps. 73, 12 (?) 1 Chron. 9, 9), aus
denen man aber entnehmen mag, dafs man später 71 7M
auch diese Stellung gegeben, und unsers Verfs. dSn
D*^Sl33 — was im eigentlichen Hebraismus durcl^
aus diefe^ sind Orenxen bedeutet, ist hiermit als diese
Grenxeny jedenfalls besser begründet als 'S H^Nn
und imPuniscfaen wohl gereehl fertigt. Endlich scheint
uns mit Hm. Wurm statt DA J^3V / nnbcfdingt yor-
zuziehen DnSWb. Was das Puniscbe betrifft, so kann
Hrn. Wex's Erklärung dieses yollständig erhaltenen
Verses als die gelungenste betrachtet werden«
V. 10. hat unser Verfasser das höchst Anstöfsige
*)*1 N13 bei Bochart sehr glücklich beseitigt durch
^*13 ae D^'ISy. Hr. Wez schlierst sich ihm an, nur
dafs er für ,*^D30 mit Bellermann 1330 , wie uns
scheint minder gut lesen möchte. Für Bodyali^ bie-
tet Hr. Wurm etwas, was sich sehr gut hören lafst
jmi^T wenn sich nur eben so gut das folgende \et-
trüge I Das Puniscbe hatte hier schon unser Verf. auf
geschickte Weise mit dem Phöuizischen in Einklang
zu bringen gesucht, und Hr. Wex folgt ihm 5 auffal-
lend ist es hier wiederum, dafs das Phöniziscfae das
aramäische VIH, das Panisch^ hingegen das entspro-
chende hebr. ^W^ hat. Die nachträglichen Verbesse-
rungen her Hm. Wex (pg. 43) können wir aber nicht
billigen, und die Vergleichung Klagel. 4, 14. ist gewifs
unpassend. ,
Bei den der 2ten Scene eingemischten pnnischen
Stellen kömmt der Erklärung keine lateinische Ueber-
setzung, wie bei der ersten zu Statten, denn die Rolle
des Dolmetsch hat hier Plautus dem Milphio übertra-
74
587
GesenüiSy scripturae liffgvfM^fme PAoenieüte monumenta.
gen, der, nachdem er mit seiner Kenntnift der pnni-
schen Sprache (und der andren) gewaltig aufgeschnit-
ten, seine Unwissenheit oder Bedienten- Weisheit hinter
seiiie Scnrrilität yerbirgt, indem et seinem Herrn das
Punische nach dein latfinischen Anklang erklärt, lau-
ter ^lid pro fuos macht, alles verdreht — und seinen
Herrn wie viele Ausleger in die Irre führt. Er
beginnt v. 34. mit dem gewöhnlichen Grufs avo; hier-
über sind die Ausleger einig ( — bis auf Hr. Robiano*),
der es durch ^IT^l giebt — ), dafs es IIPI sei, der Plu-
ral ist übertragen auf den Singular, wie unser Verf.
richtig angiebt, mogUcky wie Hr. Wex meint, aus Dn-
rgescbick. Haben wir Git 15« richtig Tlin gelesen,
80 bliebe auch jede Möglichkeit einer andren Herlei-
tung ausgeschlossen. Uebrigens scheint uns mit Un-
recht der Yerf. neuerdings die Form für das Nomen
njn zu nehmen. Nach diesem punüeAen Grufs fährt
aber Milphio .gleich, weiter ItUeinuch fort: guoiate$
estu? out quo ex oppido^ worauf Hanno: Annon
muthumbalte bechaedre aneeh^ was Milphio dem fra-
.genden Herrn erkiät: ^^Hannonem $€$e aü CartAih
gine\ CartAaginiensem JUu^kumialü filium*^^ Für
die Erklärung des Punischen theilen sich nun die Aus-
leger, indem die einen Milphto's YerdolmetschuDg für
richtig, und also für Norm, die andren für grundfalsch
halten. Zu den letzteren gehört namentlich Bellermann,
welcher erklärt PJN mn3 "hv^ D\"lO yx\ iiti$
gratiosiy viri domini meiy in intimo mco est angory
ähnlich auch Hr. Wurm y^misererey qtiaeio homt-
ms perturAati animo quomodo intelligam cogitatio-
ne9 tuasr yz^v^ VIS HD^^w dl Sn3o ino N3 ]n.
Beide Auffassungen scheinen uns wenig dem Charak-
ter der Person und der Zeit angemessen, besonders
die erste, die ohnehin auch rücksichtlich der Sprache
' "taiebr als bedenklich ist. Auf der andren Seite steht
unter andren Hr. Lindemann — dessen Erklärung aber
zu sehr von Text und Sprache abweicht, als dafs wir
sie aufführen — und unser Verf. der hVDIAO pJPI
*^3N Nn*)p3 Hanno MuthumbalU {filius^ ex Cur-
thagine ego erklärt. Zwei Schwierigkeiten, 1) die Er-
*) Hr. Robiano hat auch Ton der 2ten Scene einzelne Erklä-
rungsversuche gegeben, diefs bemerken wir für Ilrn Wex;
unser Verf hat wohl nach den Proben der Erklärung des
Hrn. Robiano bei der Isten Seen« es mit Hecht für nicht
der, IMühe werth gehalten, ihn weiter aufzuführen.
gftnzung des ßtinwy 2) das Uebergehn des le an üb-
thumbeU sucht derselbe nachträglich (pg. 469) dadorck
zu heben, dafs er jenes le vor Muthutnbal selzt.
Dieser Vermuthung kommt insofern der Palitnpsest za
Hilfe (vgl. Allg« Litt. a. a* St.), dafg er Tor den Ne-
men wirklich /, und yor diesem noch ein gebrbchesM
Zeichen hat, welches der Verf. fDr # nimmt, so dah
er hier die dem hebräischen h entsprechende spätre
relative Bezfehnng hv gewinnt. FQr die AusIasssD^
des |3 beruft er sich sodann, weniger passend .aaf bi^
braische Stelleo, als auf den Gebrauch auf arabisobea
Münzen. Das le am Ende aber, welches sich auf den
Palimpsest als la wiederfindet, erklart er als das Suf-
fix der ersten Person, wie dieses auch sonst an des
Götternamen erscheint. Statt ^HO endlich, will er
nunmehr |nO lesen, so dafs der Name eigentlich:
„Geschenk meiner Baals" bedeute. Unsrein Veif. ge-
geoüber tritt aber Hr. Wex auf die andre Seite, in-
dem er behauptet, dafs Milphio^s Uebersetzung ein qtüd
pro quo und keine Richtschnur sei. Der Puuier führe
den Doppelnamen Bannon Muthumbai (wie üomü'
car Bartas)^ Milphio aber Inache ihn mifsverstfindli-
eher Weise zum Sohne Muthumbals, welches Mi6-
verständnifs erst in den Palimpsest hineingetrageo
sei, — wenn wirklich hier eil ( /^) nach nnsrem Verf.
zu lesen nnd zu erklären. — In BtUle will er lieber
die abgekürzte Form des Plural als das SuflFix der
ersten — die ohnehin im Punischen ii laute — erken-
nen ' und die Verdopplung des Consonanten (wie ia
donni) gleichfalls der Kraft der Pluralen - Endung «i-
sohreiben. Diese Erklärung der Form balle luochtea
wir der unsres Verfs. vorziehen, auch gestehen wir,
dafs wir hVD jnoh p^Pl für "O p pJH nicht fiiir
hebräisch halten können; doch wäre möglich, dafs
sich später auf einem andren Boden eine solche Spracb-
weise oder Liccnz gebildet, obwohl wir selbst bei den
Rabbinen, wo n^ im weitesten Umfang gebraucht wird,
es nie auf eine solche Weise (zur Vertretung des p]
angewendet finden. Aber mit Hrn. Wex MilphioV
Uebersetzung für ein quid pro qtio ans sprachlicher Un-
kenntnifs zu nehmen, scheint uns, bei seiner Jaffas-
sang der Worte, defshalb unpassend, weil dai
pro quo zu unbedeutend und also ohne eigentliche
wäre, auch müssen wir (nach v. 46.) wohl ani
dafs Milphio — wenn ihm auch daff Puniscl
sauer aDkommt — d«()b sa Tiei versteht, um die Phrase
y^ich bin N. N." aas Carthago^' richtig fassen zu kön-
jieo« Es koonte Miipbio nur aus Scurrulität ?erdre-
heo, woroach aber gleichfalls die Sache Dicht ange-
thaa ist. Demnach bleibt kein andrer Ausweg, als mit
onsrem Verfl sich für die Anlassung des p auf die
arabischen Münzen zu beziehen — wenn man sich nicht
entscbliersen kann einen Ausfall im Texte aiuzugeben.
V«« fibrigeaa den ersten Theil des NamMs betrifft,
so ajchliefst sich die Lesung des Hrn. Wex |nc eher
an die Aussprache muiAum an, als das im hebräischen
gewöhnliche ]A0 onsres Vecfs. Auch das folgende
becAaeAre^ was in der Auffassung KfY^p3 noch be-
•ondera Ton Seiten der Präposition (3 = ]0) Schwie-
rigkeit darbietet, hat Hr.. Wex mit geringer Verände-
rung becliarede sehr sinnreich und wir glauben befrie-
digend erklärt.
Bei dem y. 41 folgenden wiederholten Grufs des
Milphio nimmt Hr. Wex eine kleine Umstellung in
den lateinischen Worten vor, um dem Vers so wie
dem (angeblichen) Sprachgemisch des Milphio nachzu-
helfen. Eigenlliche Schwierigkeit bieten aber erst die
hierauf folgenden Worte des Hanno: mi bar boeca^
daneben die Leseart mehar boccha. Die Erklärun-
gen der Ausleger lauten hier sehr verschieden; Bei-
lermann erklärt nicht uneben 1133 *^3 HS ^^was ist
das für ein Sohn des Jammers!'' abgeschmackt hin-
gegen Lindemann (um den S Laut in der folgenden
Erklärung wiederzugeben) Np3 "il "^D 9^^ ^'^ P^^^
grinus iusciiansy und nicht zu 'gedenken Robia-
no Wp3 inaO a mvenibus fuaerof Wenig befrie-
digt aber auch die Erklärung unsers Vfs. "^pS ^3 ^O
gtiis fiUuM urbis s= quo ex oppido es. Für *)p3 beruft
sich derselbe auf Vacca (p. 321, 417), für das er noch
besser im Anhang nVp3 vergleicht; giebt man nun
auch zu, dafs n;;p3 (als vallisycanipusy regio) hier
auch passend sein könne, so steht doch zu dieser
Frage die Antwort Milphios ietnc tibi sit potiusy
qtiam mihi in gar keiner Beziehung; diesen Uebel-
stand' sucht schon Hr. Wurm zu vermeiden, nach wel-
chem Hanno glück wünscht in3 ')^Ü a Princtpe ßoc-
c/iore^ was, als von einer panischen Gottheit, sich
fiUlphio schönstens verbittet. Viel geschickter aber
Hr. Wex ; er hält die andere Leseart meAar bocca
€fue PAo0H$c$ae monmnmtnn 590
fest, und erklärt "{D'IS n^MO dirae §mt tibi bene*
dictio (Fluch dir zum Dankl)> dabei nimmt er neben
n3')3 eine Masc. Form "]*^3 an^ die mit dem Suff,
in boeea contrabirt, was freilich etwas gewaltsam, aber
doch wohl erträglich ist; kommt der Fluch Hanno's
hier überhaupt nicht zu früh, so könnte man auch die
andere Leseart in einem ähnlichen Sinn erklären. Han-
no sagt zu sich selbst *^S3 iy3 ^D quis brutuf ve*
nit tibi (auf welchen Dummkopf bist du da gestorsen I).
Milphio versteht *^3 iy30 incendium tecwn (die
Pest mit dir!) und antwortet in diesem Sinne.
Milphio soll (v. 45 sq.) dem Hanno im' Namen
seines Herrn sagen, dafs sie keine Aerzte seien; er
sagt rufen nu eo^ is tam^ was unser Verf. vortreff-
lich erklärt DM W^N nS XiÜ psm medici nos non •
{iumus) vir bone^ nur hat er hier eben eo in lo ver-
wandelt, Hr. Wex hingegen hält an dem Text fest,
schreibt TO (hie) und glaubt, dafs Miipbio dem*Hanno
die grade dem Befehle seines Herrn entgegengesetzte
Erklärung gebe, was wir nicht unpassend finden^ sonst
mufste man noch ein *)33^N mit. Herrn Wurm vor co
einschieben, was nur eine harte Contraction mit dem
vorangehenden pND"^ giebt. Als sprachliche Rarität
aber mag hier noch Hrn. Robiano*s Erklärung stehen:
pN W^ ^33N NS*! medicus ego sum non.
Weiter fragt nun v. 48 Milphio im Namen seines
Herrn : tu, gui xonam non habee
Quid in Aano venistü urbemy aut quid quaeritis?
worauf Hanno: Mupkuna. Agor. quid oÄ^. Hanno:
mii$ lee hi anna\ das erstere nrnphursa erklärt un-
ser Verf. TITÖIBO explicationem^ gegen dieses wen-
det Hr. Wex wohl mit Recht ein, dafs diese Antwort zu
ernst ; er selber nimmt muphur sa für HT ■^S''.D en per-
ditum homiuemy was der sprachlichen Begründung
entbehrt. Doch betrachten wir erst wieder die andren
Worte; unser Verf. hat wegen der folgenden Ver*
dolmetschung Milphio's miu in more lech ianna ge-
ändert, diefs erklärt er doctor tibiexplicabit. AUeiu,
dafs es unschicklich sei, dafs Hanno den Agorastocies
an Milphio verweist, an welchen Ag. eben ja die Frage
richtet — hat schon Hr. Wurm bemerkt 5 dazu kommt,
dafs Hanno schwerlich dem Milphio solche Ehre (als
t^ore) erveist. Auf Grund der Conjectur unsers Vfs*
GeMeffihn^ teripturae lingwiteque Pkpenieiae momnmnta. (ä2
^ "^S in **0 i1TtriD> 30 ticbtig Hr. Wex bemerkt, der mnr am mmMiiger B^
denklichkeit za einer abaonderlioheii Erklärung greift^
der vir nicht beistimmen können^ üämlicb 0^X3^ "f)
r\n^3Db obi ad culices ad requieMcendum, Die
Variante übrigen» lacAanam (Cod. P. L.)« vet
che Herr Wex zu Hülfe nimmt, weist nur auf den
Singular pflS bin. — - Auf die weiteren Pessen dei
Milphio nad die Vemnithang seines Herrn, dafs Hass»
ein Kaufmann sei, sagt dieser
t/, 56 isMom arbinamy wie- der Text (Cod. P. IL]
lautet. — Beilermann, erklärt dies 03^3 *1SK «"^I^
vir topdtur prudenter^ unser Ver£ hingegen Terlo-
dert binam in hinam und erklärt Djn *10N V^K
vir loquitur ßruMtra — beide ÄnlFassungen sind aber
unzulässig $ bei der ersteren wird Dil^S gegen die
Sprache als Adverb genommen und in beiden ION
absolut gesetzt (statt •QH); auf den letztern ücbel.
stand macht unser Vf. selbst aufmerksam, und er wird
in der That übel gehoben durch die Bemerkung des
Hrn. Wex, der uusers Vfs. Erklärung aufnimmt, dafg
ION hier mehr die Bedeutung denken habe. Wir
bleiben bei der gewöhnlichen Leseart (auch mit do]^
pelteu e) stehe» und erklären D3^3 HOtE^^ Sertt-
iur mens eorum! eine Art Euphemismus im Sino:
was für kluge, scharfsinnige Leute! etwa: Gottbehüte
ihren Verstand (vgl. Hieb 17, 4)! Die Form D3^3
ist von raO wie D312n von PJ^an Hos. 13, 2. k\
diesen Ausruf schliefst sich dann sogleich der äludi-
che des Hanno v. 57 an: Palumerega datAa(m)! den
unser Vf. vortrefflich erklärt DföH nPT HD if^H
mir\im est^ quam inauie cognitio eorum! Hrn. Wex'
Veränderung J|^e iudicate^ kc>nnen wir eben so w
nig billigen, als die Lesung VVT statt DnyT(wieun.
ser Vf. richtig Äie Vfägate deetha aufgefafst hat),
weil wir die Plurale Beziehung in dem vorangehendea
DJ^3 haben, und Hr. Wex selbst sie mit den andern
in dem Folgenden wiederfindet v. 63. Das m ist hier
ausgelassen wie Seen. I. v. 4. — Hingegen halten
wir die Versetzung der folgenden lateinischen Verse,
welche Hr. Wex rorgenommeii, für sehr angemessen
und richtig.
591
erklärt Hr. Wurm
gute hoc 4nterpr€tahitmi^% gme amicue mihi gui re-
epondeaty — was, wie man sieht, sich nicht ohne Will-
kür durch die punische Anssprache mit dem Text in
Einklang bringen läfst. Herr Wex endlich erklärt
rt3y^ Y; «\n "»O quie tibi respondebitf Diese Auf-
fassung ist passender, und hat das fiir sich, dafs sie
sich an den gegebenen Text anschliefdt, der auch
ohne jene Conjectnr Anspielung genog, auf die muree
ufiricanoe darbietet. Aber da wir die vorangehende Er-
klärung des muphuna nicht billigen können, was oh«
nehin, wie Hr. Wurm richtig gesehn, zu dieser Phrase
gehört, die nur dnrch das aus Neugier hastig dazwi-
schen geworfene quid ait des Agorastocies unterbro-
chen wird, so mufs auch diese Auffassung fallen. Wir
erklären nav^ llh^Tt ^D HV (njl^BO ex torculari
hoc fuie hoepitem eervaUtI ! So spricht Hanno halb
ungeduldig über den Possenreifser zu sich selbst.
il'^ID nämlich (was im Punisohen vielleicht Mase. war)
heifst im Hebräiechen Kelter Jes. 63, 3. Hagg. 2, 16.
dieses steht für unsre Tortur etwa (für die Constrne-
tion vgl. Ps. 22, 22). . Schon wenn wir hierbei stehen
bleiben, so ist der Ausruf sehr passend, denn in ge-
rechter Steigerung sehen wir im Folgenden Hanno aus
Ungeduld den Milj^bio zum Teufel schicken, und bo-
ren ihn V. 70 endlich lateinisch erklären :
Servum hercU te eue oportet et nequam et maliwl,
Hominem peregrinum atque advenam gm irrideat.
Aber gestatten wir dem Worte PHIB, auch im Puni-
nischen, die Bedeutung, die es bei den Rabbinen hat,
und die in der Sprache begründet ist (vgl. das Ara^
bische) „Wer rettet mich aus dieBer Mäuse-Falie P' — so
hat der weitere Spafs des Milphio non audis muree
africanos praeditat relL auch noch eine innere lä-
cherliche Beziehung. Hiernach hören wir in der That
dei) Hanno
V. 53 ausrufen : Laech lachananim ii minuchoth.
Diese Worte hat gewifs unser Verf. richtig aufgefafst
mn30 ^h ü^iZrh ^b aH ad (deosj misericordesy
mihi quies (sitj; nur haben wir die mi$ericordes als
Euphemismus zu nehmen, wie bei den Griechen die
Eumeniden (für die Erinnyen) und bei uns der Gott-
eteh-mir-heir u. s. w. für den Teufel, wie dies auch
(Der Beschlufs folgt.)
^75.
Jahrbücher
für
wissenschaftliche
Kritik.
October 1839.
Scripturae linguaeque Phoeniciae monumenta
quotquot supersunt edita et inedita ad auto-
graphorum opttmorumque exemplorum fidem
edidit additisque de scriptüra et lingua Phoenix
cum commentariü illustrarit 6uiL Oesenius.
(Scblafs.)
Nach grade roft v. 63 Hanno aus: muphonium
succarat him^ nach der Leseart des Palimp. ticcora*
tim\ diese Worte erklärt unser Vf. OnH^tp^ Qn^-JBO
r^movebo mendacia eorumy was spracblioh sehr hart,
und von der Aussprache des Textes abweichend ist.
Äiif das Richtige hat hier Hr. Wurm geführt, der
D^rnnpU; CV |B1 '^D lies% aber fälschlich über-
aetzC« qms addueet diem^ quo ohviam fiam illü^ in-
dem er wohl den Ausspruch auf die freilich erwünschte
(aber uir Unzeit vorgebrachte/) Begegnung der Töoh<p
ter und des Neffen bezieht. Diesen Fehler verbessert
Herr Wex, indem er übersetzt utinam dies mclina-
reiuTy quo in ütos incidi (eigentlich quit inclinabit
Jiem), wir stin^men ihm bei, nur lesen wir (statt
njD'^ ^O) Dl*^ TODO d. i. evertatur d« i. pereat dt-
ee^ was 'dem Texte und auch dem Sinne angemesse-
ner ist ; die vorgezogene Bedeutung von i12B ergiebt
Bicb von selbst» — In dem v. 67 schliefsenden Fluch des
Hanno stimmen die bessern Ausleger überein, und es
kann kaum ein Zweifel gegen die gegebene Erklärung
erhoben werden.
In der 3ten Scene finden sich nur 2 punische Stel-
len, welche der Verf. in dem vorliegenden Werk nicht
zu bebandlen unternahm, sich begnügend Bellermann's
QDhahbare Erklärung anzuführen \ jedoch hat er nach-
gchends in der Allg. Litt. Zeit. a. a. St. die erste
Stelle versucht, während früher Hr. Lindemann und
Hr. W^urm und später Hr. Wex an beide Stellen sich
gewagt haben. Indessen will keine einzige befriedi-
Jakrh^ f. wUuMcK Kritik. J. 1830. IT. Bd.
-gen, freilich am wenigsten die des Hm. Lindemann,
die unser Verf. so wie Hr. Wurm verwirft, des)sen Er-
klärung vom Isten V. wir aber gleichfalls nicht billigen
mögen, weil sie uns sprachlich bedenklich und auch
sehr gezwungen scheint. Auf die Schwierigkeiten, die
unsres Verfs. Auffassung entgegen stehen, hat Hr. Wex
aufmerksam gemacht, der aber wiederum eine Erklä-
rung darbietet, die nicht ohne Uebelstand ist. Die Be-
grüfsung der Amme Seitens des puuischeu Knaben läu-
tet also : ffau dones tili havon bet^ nlli mi nmstine^
aoser Verf., indem er statt Aetvon mit dem Cod. IAp$.
hav ori lies't, erklärt :
inNSQ DN "»Stp ^3^>»3 "»nw mn 'ho ijnN mn
„Sei gegrüfst meine Herrin, sei gegrüfst du Licht mei-
ner Augen, wenn ich doch (Gnade) gefunden.** —
Hier leuchtet das Mifslicbe ein : dafs .'^i^ü auch in der
Anrede an das andre Geschlecht genommen, ^2^y3
luxuriöser Weise mit "HIN .verbunden, während es
grade der folgenden, von der es getrennt wird, Phra^
se eigenthümlich ist, wodurch diese, da ihr auch dan
Object fehlt — ganz unverständlich erscheint. Ans
diesem Grund erklärt eben Hr. Wex
hO-iri«o p "hv^ ^a-^ya pn Ti -»hy run (n) in
oder nachträglich . |n "^nNlTO QN indem er dann »ii^
stien schreiben will. Hier aber ist bedenklich, )) ^^V
für villicGj 2) pn das für seineu Gebrauch schwer-
lich auf Prov. 30, 15. 16. sieh stützen darf. Am lieb«
sten möchten wir uns noch an unsres Verfs. Erklä-
rung anschliefsen , zu deren Gunsten man nur etwa
statt siilli lesen dürfte sillic. Also
■311 ibtö ^3^y3 ^^t^^ (n)^n 'h^ (n)3h (s) (pi)in
Salve domina mea^ salve lux mea^ in oculie tui$ relL
Zwar wendet Hr. Wex ein, dafs die Leseart havori
dem corrupten Leipz. Cod. angehöre, aber auch dieser
. 75 '
595
, Mcripturae linguqe^ß Phoenieiae monumenta.
l^dnnte ja ^iomal das Richtige bewahrt haben. Uebri-
gens lirängt sich hiei^ unwillkuhriich die Frage auf:
sollen /wir bei diesen punischen Bedienten eine correcle
Sprache voraussetzen dürfen? Soll ihnen Plautus ein
ziertiches f^uniscb In den Mund gelegt haben? und ist
diefs nicht der Fall, was für einen Mafsstab haben wir
. für die incorrectc? Keinen. Die Aussprache undCon-
tractiön muiti statt mazati oder maxoti ist abnorm,
nnd Tienetofat hat ebenso abnorm das gemeine Volk im
statt in^ en ss |n gesprochen, dann könnte man, ste-
hen bleibend bei der Leseärt hau on^ dieses on zu dem
folgenden (als |n) beziehen, (während man im andren
Falle den Schlufs mit Hrn. Wex zu lesen hat)« Hat
das Volk Tielleicht auch ilU neben immi (^ON) gespro^
oben? in diesem Falle wären wir mit dem ganzen v.
im Reinen -^ da wir aber von Allem diesen nichtä
wissen — so werden wir ohne VVillkübr nicht durch«
kommen. -* Bei der 2ten Stelle der folgenden Antwort
der Amme, sagt uns am besten Hrn. Wurms Auffas-
jittog zu« Die des Hrn. Vi^ex nämlich ist, so sehr atich
die alte Magd mit dem punischen Sciaven kokettiren
mag (wie Hr. Wex meint) doch mindesten^ in so dich-
terisch vornehmen Phrasen abgefafst, dafs sie hier-
durch selbst unnatürlich .erscheint.
Doch — wir' eilen zum Schlufs der Anzeige des
vorliegenden Werkes. Auf die Erklärung dieser puni-
' sehen Stellen, läfst der Hr. Verf. ein dreifaches Ver»
aeichniis folgen, I) B, von phönieischeri Wörtern, die
bei Griechen und Römern sich finden, 2) C, von Eli*
gennamen Von Menschen und Göttern, 3) D, von Stfid«
ten und Ländern. Eine genaue Vergleichung der Ar-
beiten, welche hier der Hr. Verf. vorgefunden, wird
deicht überzeugen, wie viel Verdienstliches er geleistet.
Dafs bei der vielfältigen Belehrung, die man bei ihm
findet, es auch an Stoff zu Gegenbemerkungen nicht
fehlen darf, liegt hier mehr als irgendwo in der Natur
der Sache, und der Verf. sagt (pg. 419) ^eXh^UJacile
apparety Universum hoc etynd inveniendi negotium
Mubinde conjecturale atqtie ita comparatum eae^ ut
omni cautionis genere adhibito^ errores vix effugias.
Das 4te Capitel endlich giebt einen kurzen Abrifs der
phönizischen und punischen Grammatik. Diese ist noth-*
Wendig von des Verfs. Lesung und Erklärung abhän-
gig, und mufs defsfaalb Vieles enthalten, was mit jener
fällt, und bei weiterer Forschung noch fällen wird. Aber
sie giebt fürs Erste einen festen Haltpunkt, und ist
. 5M
reich an treflTlichea Bemerkungen (vgl. z. B. f. 23).
Diefs ist ftberhaopt die grofse Bedentang des gasiea
Werkes, aus dem wir so vielfaohe Belehrung geschdpft,
dafs wir nicht ohne den innigsten Dank gegen den Te^
ehrten Verf. auszasprechen, von ihm scheiden tnogM.
Ferd. Benary. *)
XXX Vir.
Grundriß der Oeschichte der deutschen Naik-
nal'JLitteratur. Zum Oebrauch auf Gjfmnth
sien entworfen ten Aug. Kohersiein. DriUt
verbesserte und zum großem Theil röllig um-
gearbeitete Ausgabe. Leipzigs 1837. XVI u,
536 s. a
Die auf dem Titel hervorgehobene BezeichnoBg
einer völlig umgearbeiteter^ Ausgabe erstreckt sich
nur auf die erste Abtheilung, des Buches, welche nicht
blofs eine bedeutende Erweiterung^ sondern auch .eine
fast durchgängige Umschmclzung erfahren hat; woge-
gen die zweite Abtheiiung, die neuere Zeit vom An*
fang des 17. Jahrhunderts umfassend, ihre frühere, xaa
in Kleinigkeiten verbesserte und ergänzte Gestalt wie-
derholt. - Schuld daran war ,eine langwierige Krast
heit des geehrten Verfa.^ dem es noch gegOoBt sein
mdge bei einer künftigen neuen Auflage im GennsM
wiedererlangter Gesundheit und binroicbendor JMsfM
das Ganze nach allen Seiten bin abzurunden nnd xa
einem erwänschten Absohlufs au bringen.
In der Vorrede zu der 3. Auflage erklärt Hr. Ko*
berstein, dafs der vorliegende Grundriß zunächst fit
Lehrer bestimmt sei, welche in oberen Gymnasialchs-
sen über die Geschichte der deutschen Litteratur Vo^
träge i^u halten haben und diese an seinen fiir Seliüier
entworfenen Zfeit/inkn knüpfen. Es will uns aber b^
dflnken, als ob der Verf. die Grenzlinie swisoben Im
derlei Bearbeitungen seines Buches nicht scharf geong
gezogeu habe: als Hilfsbuch für den Lehrer entbitt
der Grundriß zwar Material genug, aber das Detail
in der Behandlung ' mancher Hauptparticeo ^ in der
Charakteristik hervorragender Schriftsteller und ihrer
Werke ist nach diesem Mafsstabe iuuiier noch a
skizzenhaft ausgefallen ; andererseits ist der Ijeitfsds»
*) Der Unterzeichnete kann zum Schlufs nur sein BedaarfA
ansdrttcken, daifs in den obigen in seiner Abii'escfflieit ^
druckten Nummern so viele störende Fehler stehn geblieben
sind, für deren Berichtigung leider der K«um gebricht.
597
K»t4i'*tMJ$f .GM«kieki0 der tbuttcAtm ' NatitmJ-Littirmtm; 3tt Amtgad«.
598
theilwehe «i apbtristisob und trSgt zn sehr das Ge*
pri^e eines dfiiroo Gerippes nod einer blofsen Nomes^
clatQr, wodorcb die Belebung des Stoffes im Geiste
der Sebülor dem rortragonden Lehrer nnndtbigerweise
ereebwert wird. Ich möchte daher für das Bedürfuifs
der Schuler eiuen Mittelweg eingeschlagen wissen, jstwa
der Art, dafs im wesentlichen der Text des Grundris-
ses, nuriiin und wieder modificirt niid abgeknrat, bei-
behalten, dagegen die Anmerkungen ganz weggelassen
würden, welche nach dem Ansspniche des Hrn. K.
selbst mehr ffir den Lehrer als den Schiller bestimmt
sind : denn was daraus auch für den letzteren too
Wichtigkeit ist (z. B. Aagabe der Geburts- und To-
desjahre u. dgl. wie f. 107. über Walther Ton der
Yogelweide) kann leicht in die zusammenhängende Dar-
stellnng zweckmäfsig eingewebt werden. Dafür wäre
der Text de» Grundrisses, insofern er dem Lehrer ein
Tollständigcs und umfassendes Hilfsmittel an die Hand
geben soll, an fielen 'Stellen bedeutend zu erweitern.
Denn wer sollte nicht in einem solchen Werke eine
genauere Darlegung des Inhaltes und der ästhetischen
Composition unserer beiden gröfsten epischen National-
dicht nngen, der Nibelungennoth nnd der Gudrun, er-
warten, Ton denen jene mit Recht der Homerischen
Ilias, diese der Odyssee zur Seite gestellt wirdi Was
darüber §. 100 n. 101. rorkommt, ist Terhältpifsmäfsig
zn dürftig ausgefallen. Es kann und soll dabei immer
noch eine gewisse Grenze gezogen nnd namentlich alles
Debermafs subjectiver Reflexionen und kecken Abspre-
efaens, wie es sich nicht selten bei Gervinus findet,
streng vermieden werden. Auch über unser ältestes
poetisches Sprachdenkmal, fiber das HiidebrahdBlied,
dad schon eben wegen seines hohen Altertbums, we^
gen seiner eigenthümlicben Form und seiner epischen
Einfachheit eine umständlichere Charakteristik verdient
hätte, ist §. 34. zu wenig mitgetheiit, wie denn auch
Ar die nähere Betrachtung Waltbers von Aqnitanien
tianmebr durch J. Grimms Untersuchungen ein neues
Lficht aufgegangen ist«
Der Yerf. stellt in der Einleitung zu seiner Litte»
rftturgeschiehte einen Unterschieil zwischen der hiu^
mtur der Deutithen überhaupt -^wnd zwischen der
GcMchichie der deuUchen Nattontdliteratur aufs er-
stere nmfafst die Gesammtheit -der von dem deutschen
Volke in Sprache und Schrifl: niedergelegten Geistes-
erzeugnisse, ohne Rücksicht auf Form und Inhalt der-
selben $ letztere kiur dictjenigen Werke > welche auf
konstleriscbom Wege bervorgebraeht) sowohl ihrer
Form wie ihrem innem Wesen nach ein eigenthümlich
deutsches Gepräge an sich tragen, wodurch sie sich von dei|
litterarischen Erzeugnissen andererNationcn schon an sich
und ohne Rücksicht auf die Sprache unterscheiden. Indem
nun der Vf. hier den zweiten Gesichtspunot festgehalten
wissen will, würde er sich den Vorwurf d^f laconse-»
quena dadurch zuziehen, dafs er aufer Ulfilas eine
Menge althochdeutscher Uebersetzungen sowohl geist«
liehen als weltlichen lohaltes, ja sogar die Glossen-
sammlungen in den Kreis seiner Betrachtungen gezo-
gen hat, wenn er nicht ausdrücklich erklärt hütte,
dafs die genannten Litteraturwerke darum nicht aus-
geschlossen werden dürften, weil sie allein ein Bild
von dem Leben und der Gestalt der Sprache in Zei-
ten zu geben vermöchten, aus d^non si^^ nur wenige
oder gar keine poetischen' Denkmäler erhalten haben.
Das Gesammtgebiet der deutschen Litteraturge-
schiobte ist diesmal in sechs Perioden vertheilt, deren
in der ersten Ausgabe sieben angenommen waren: 1)
Yen den ältesten Zeiten deutscher Geschichte bis^iu
die Mitte des vierten Jahrhunderts; 2) von da bis ge-*
gen die Mitte des 12. Jahrhunderts \ 3) von der Mitte
des 12, bis gegen. die Mitte des 14. Jahrhunderts; 4)
von da bis zum Ende des 16. Jahrhunderts; 5) vom
Anfang des 17. bis zum zweiten Viertel des 18. Jahr-
hunderts; iS) von da bis auf die neueste Zeit. Ich
kann diese Eintheilung nur für eine durchaus willkür-
liche und nicht dem £ntwickelungsgaugc der delitscheu
Sprache analoge ansehen. Erstlich darf von einer
Periode in der Littoraturgeschiohte da flicht die Rede
sein, wo es überhaupt keine Spmebwerke giebt, nach
denen wir den Zustand der Litteratur zu beurtheilen
vermöchten. Ich würde daher den als erMte Periode
bezeichneten Abschnitt nur als einleitend in die Ge-
schichte der Sprache und Poesie hingestellt und darin
jedenfalls den von J. Grimm entdeckten Gesetzen der
Lautverschiebung eine genauere Betrachtung gewidmet
haben: wenigstens ist diese auf einem lebendigen
Sprachorganitmus basirte Erscheinung hier eben se
wichtig, als was f. 2 über die Rnnen gesagt wird.
Dieses, wie alles üebrige, insonderheit auch das f. 5
über die von Tacitus .erwähnten Heldenlieder Vorge-
brachte ist nicht geeignet, ein6 besondere Periode in
der deutschen Litteralurgeschichte zu bilden. Einen
'/:
599
_ s
KoberMtein^ OeschieAie der deuiscAsn ßiattQnal'
3ts, Ausgabe.
. 600
wohl SU unteraobeideih too der spltorn EDtaHimg'un.
ter den Händen der Meietersänger im engeran Sinne
des Wortes. Ferner bedarf die neuhochdeutscbe Spra-
che noch folgender Absobuitte: d) Von Luther bh
Opitz,' b) von Opitz bis Klopstock, e) von Klopstock
bis Goethe und zur neueren Zeit.
Ein wesentliches Verdie|iBt um die Behandlung der
deutschen Litteraturgeschichte auf Gymnasien hat sich
Hr. K. dadurch erworben, dafs er die, einzelnen Schrift-
inrerke überall uifdit blofs nach Poesie ond Pfosa ge-
schieden, sondern auch die Hauptrichtungen der Poe^
,sie (epische, lyrische — > didactische — draniatiacbe)
und Prosa (Roman, Geschichte, Philosophie, Beredt-
samkeit u. s. w.) wieder besonders abgehandelt
hat. Gegen diese ästhetische Auffussungsweise liersc
sich allerdings einwenden, dafs dadurch die Betrach-
tung eines nach verschiedenen Seiten hin sich beve-
genden Schriftstellers nicht nur erschwert, sondern
auch die ursprünglich zu einem Ganzen gehörigeo
Theile ans ihrem lebendigen Zusanimenhange gerissea
würden. Aber man bedenkt nicht, dafs bei jener Me-
thode die scheinbar zerstückelten Bestandtheile der
Littcratur in einer höheren ästhetischen Einheit, wie
die Radien im Centrum- des Kreises, zusammenlaufen,
und dafs es nur auf den rechten Tact des yortrageo-
den Lehrers ankommt, die zerstreuten Erscheinungen
eines Individuums am rechten Orte r<}capitulirend wi&
der zusammenzufassen.
Gehen wir nunmehr zur Erörterung einiger Puncte
im Einzelnen über.
Was f. 26 und 68 über die alt- und mittelbochdent-
sehe Verskunst gelehrt wird, bedarf auf dem gegenwärtig
gen Standpuncte der Wissenschaft einer genauereo und
schärferen Bestimmung. Jacob Grimm hat in der Vorrede
zu den von ihm und Schmeller herausgegebeneu latei-
erste beginnt um 360, die zweite im 8. Jahrhundert . nischen Gedichten des 10. uiid 11. Jahrhunderts mit
festen Anhaltspunct finden wir erst in einem wirklichen
;8prachwerk aus dem vierten Jahrhundert, welches in
den Ueberbleibseln der gothischen Bibelübersetzung
des Ulfilas erhalten ist. Hier also hätte die erste Pe-
riode anheben und in der geschichtlichen Darstellung
des Organismus der gothischen Sprache und dessen,
was uns über gothische Heldenlieder überliefert ist,
abgeschlossen werden sollen. Statt dessen sind äänimt-
liehe gothische und altdeutsche Sprachdenkmäler in
Eine Periode zusammengefafst , wodurch nicht blofs
eine um eine ganze Stufe tiefer stehende Sprache mit
der höher stehenden seltsamer Weise confundirt, son-
dern auch noch ein zweiter Mifsstand erzeugt wird,
indem das älteste Sprachmouument erst §. 49 aufge-
führt ist, nachdem Jbereits §. 34 das seiner Sprache
nach weit später abgefafste Hildebrandslied, f. 35 das
Ludwigslied und der Leich auf Otto den Gröfsen, f.
45 Otfrieds Krist u. s. w. behandelt worden. Auf so
wesentliche Unterscheidungen wie sie die Entwicke-
lung der Sprache augenscheinlich ditrbietet, hätte bei
Feststellung der Perioden am meisten Rücfcsicht ge-
nommen Werden sollen. Nicht weniger tadelnswerth
erscheint es uns, dafs die Zeit von der Mitte des
vierzehnten bis zum Ende des sechszehnten Jalirbun-
derts als eine eigne Periode angenommen worden ist,
weil weder im vierzehnten noch im siebzehnten Jahr-
hundert eine eigentliche Epoche in dem Bildungsgange
unserer Sprache eingetreten ist. Desto entschiedener
stellt sich der niittelhochdeutschen die neuhochdeut-
sche Sprache gegenüber, worauf wir weiter unten zu-
rückkommen werden.
Hiernach bieten sich ganz von selbst vier Hanpt-
Entwickelungsperiodeil in der Geschichte der deutschen
Sprache dar: 1) die gothische, 2) die altdentsche, 3)
die mittelhochdeutsche, 4) die neuhochdeutsche. Die
(Mittelpuuct Karl der Gräfte)^ die dritte im 12. Jahr-
hundert {ffoAenstafifen)^ die vierte im 16. Jahrhun-
dert. Dafs dabei hier und da noch besondere Unter-
abtheilungen erforderlich werden, die ja der Vf. ohne-
hin nicht unterlassen hat,' versteht sich von selbst. So
wäre z. B. der Glanzpunct der mittelhochdeutschen
Poesie unter dem Einflüsse der Fürsten und Ritter
fiberzeugender Gründlichkeit dargethan, däfs wir ii
der ursprünglich auf -blofem Accent beruhenden, aus
acht Hebungen bestehenden Langzeile und nirgend ao*
ders den uralten volksmäfsigen Vers des deutschen
Heldenliedes zu suchen haben, der bis ins ^chte Jall^
hundert seinen Schmuck aus der Allitteration, nachher
aber aus dem Reim entnommen habe.
(Der Beschlufii folgt.)
wissen
^76.
Jahrbücher
für
schaftliche
October 1839.
Kr i t i k.
Grwidrift der Oe$chichte der deutschen National^'
Idtteratur» Zum ' Oehrauch auf Oymnanen
entworfen .von Aug. Koberstein^
(Schlttfg.)
Sowie nno der Reim des Anlauts, der sich Doch
im Hildebrandsiiede findet, schon bei Otfried und im
Lodwigsliede durch den Reim des Auslauts verdrängt
ist, so Monte man in yorhistoriscber Zeit eine Pe-
riode vermutben, wo weder Allittefation noch Endreim
stattgefunden, sondern der heroische Vers sich blofs
rAjftAmücA uinerbalb der ihm gesetzten Schrauken
von acht Hebungen und entsprechenden Seniiungen
bewegt habe. In dieser einfachen Form waren viel-
leicht die von Tacitus erwähntpn Heldenlieder, der Ger-
manea gedichtet, wiewohl es auch nicht unmöglich ist,
dafs in. so firfiber Zeit die germanische Poesie ein
äbnliehes. Gesetz der Quantität , wie die griechische
und römische, beobachtet habe. Mit gröfster Wahr-
acbeinlicbkeit ist der Ursprung -des Endreims aus der
regelmäfsigen Anwendung des sogenannten leoniniscben
Hexameters abzuleiten, welcher sich in lateinischen
Gedichten des Mittelalters häufig findet und so be-
schaffen ist, dafs die letzte SUbe der ersten Hälfte in
der eaesnra pentberoimeris mit der letzten Silbe des
ganzen Hexameters reimt. Die Aehnlichkeit des latei-
nischen Hexameters mit der aus acht Hebungen beste-
henden, deutschen Langzeile lag zu nahe, als dafs nicht
gelehrte Mouche auf den Gedanken hätten verfallen
flollen, gleichwie früher durch die als heidnisches Ele-
ment in Verachtung gesunkene AUitteration , so seit
dem neunten Jahrhundert durch den Reim des Aus-
lauts die beid^in kleineren je aus vier Hebungen beste^
henden Verse zu einer Langzeile zu binden.
^Hiernach verdankte der die poetischen Formen
der neueren, deutschen und romanischen Völker beherr-
schende Endreim seine Entstehung der lateinischen
Jahrb, /• mt$en$ck, Kritik. /. 1839. II. Bd.
Dichtkunst des Mittelalters, welche hinwieder diesen
Schmnck* aus der älteren lateinischen und griechischen
Litteratur überkommen hat, sp dafs uns die Geschichte
des Reims, wenn auch nicht }>is zu den homerischen
Gedichten, worin die hier und da vorkommende An- .
Wendung • dieses Gleichklaogs in der Mitte <und am
Ende der Hexameter mehr zufällig als absichtlich sein
niag, doch unbedenklich bis zu den ältesten Elegikern
zurückführen würde, welche dergleichen Homöoteleuta
mit absichtlicher Vorliebe als kunstvollere, wenngleich
nicht regelmäfsige Bindemittel der beiden Hälften des
Pentameters sich angeeignet zu haben scheinen. Der
Grund hiervon ist natürlich, weil der Pentameter durch
die Cäsur gerade wie die deutsche Laugzeile in zwei
gleiche Hälften zerschnitten, wird; weshalb denn die
lateinischen Elegiker sich auch ii^ diesem Punkte die
Griechen zum Vorbilde dienen liefsen : die einen wie
r
die andern schwerlieh aufs Gerathewohl hin , sondern
unstreitig von eiuem feinen Gefühl geleitet, wie es dem
zarten Hauche elegischer, insonderheit erotischer Lie-
der so natürlich ist. Es ist daher auch eine auffal-
lende Erscheinung, dafs eben die Liebeselegie der Hel-
lenen in ihrer geringen Anzahl auf uns gekommener
Pentameter den Reim verhältnifsmärsig am meisten
liebt. Bei Mimnermos kommt er freilich nur dreimal
im Pentameter vor: Ij 2. iaoi = fiikoi 5, 2. Oavatov —
QQX^Uov 10, 6. XQvoifi^ BS ^aXofiq», desgleichen dreimal
im Hexameter:. 1, 7. xajeai =» lUQiiivat 1, 9. nouaiw ■»
yvvailly 14. äycov = Xnncov^ Desto häufiger bei den alo-
xandrinischen Elegikern Philetas, Hermesianax und
Phanokles, deren Stellen in, meiner Ausgabe S. 27 zu
finden sind, worüber schon W. v. Humboldt zu seiner
Zeit an mich geschrieben hat, dafs diese Zusammen-
stellung sehr wichtig sei für die Behandlung des mu-
sikalischen Wohlklangs und die Geschichte des Reims.
Dafs demnach der Endreim gleich der AUitteration als
ein in der Natur der Sprache selbst tief begründetes
76
603
KoS^tteAty Oe»eJUeAt4 der dmU9kt» Hati^md-Littert^ur. SM Auagmt^
m
Bindemittel in seiner sporadischen Erscheinung nrntt
ist^ liegt klar itm Tdge. Seine regeimitfsige Anwen-
dung hingegen datirt sich erst aus dem christlichen
Mittelalter und greift innntr mächtiger um sich, je mehr
die romanischen Sprachen auf der einen, die deutsehe
auf der andern Seite ihren alterthümlichen Charakter
im Laufe der Zeiten verwischen und mit schwächeren
f^ormationen vertauschen.
Der allmälig immer mehr um sich greifende Ver-
' lust scharf bezeichnender und stark betonter Flexio-
nen, . wie sie noch im Althochdeutschen vorkommen^
hat für dte Bildung des mittelhochdeutschen epischen
Verses eine zwiefache Folge gehabt, Minderung der
Langzeile um zwei Hebungen und Verlegung des Reims
aus der Cäsur, wofür Grimm a. O. S. XXXIX ff. schla-
gende Beweisgründe beigebracht hat. Nnr die Frage
wollen wir bei dieser Gelegenheit erheben, ob sich wohl
nicht unter genauer Berücksichtigung der historischen
Entwickeinng unserer Sprache nnd Poesie ein durch-
aus Nationaler Vers, wie er der neuhochdeutschen Spra-
che' annoch abgeht, für das Epos gewinnen lasse.
Uhland n. a. haben sich allerdings schon in erzählen-
den Gedichten der Nibelungenstrophe mit Glück be-
dient. Allein ich befürchte^ dafs weder der Reim noch
der Strophenbau einer dem Geiste der neueren Zeit
und nenhoohdeutschen Poesie entsprechenden epischen
Composition von grofserem Umfang günstig ist. Für
tlie deutsche Tragödie hat das Vorbild der Hellenen
durch angemessene Modiiicatiofa des iambischen Tri-
roeters längst entschieden. Solltd uns dadurch nicht
ein Wink gegeben sein, den mittelhochdeutschen epi-
schen Vers mit Beseitigung von Reim und Strophen*
bau (wie man ja auch vordem die Fesseln der AUitte-
ration wieder abzustreifen gewufst) für das neuhoch-
deutsche Epos ebenso zu verwenden wie den antiken
Hexameter, dem nun und nimmermehr ein wahrhaft;
nationales Gepräge wird aufgedrückt werden können?
Wir würden uns in diesem Falle der Veränderungen,
welche durch das Abschleifen früherer Sprachformen
schon im Mittelhochdeutschen nothwendig herbeigeführt
worden sind, einerseits nicht entschlagen und statt der
ursprünglichen acht Hebungen nur sechs anbringen dür-
fen, andererseits aber in der freieren Bewegung des
erzählenden Gedichtes bedeutend gefördert werden,
wenn wir zu der uralten blofs rhythmischeti Form im
wesentlichen zurückkehrten und uns dabei den organi-
schen Wechsel ianribisdier und trochftisther, nach Be-
dürfntfs auch wohl daktylischer und anapästischer Füfie
-zn gute kommen liefsen.
Den Glanzpunkt der deutschen Poesie währenddes
Mittelalters erblicken wir im Zeitalter der Minneili.
ger. Um ihr Verhältnifs zh den äufsem und rnnen
Zuständen Deutschlands richtig aufzufassen, wird f
52 — 60. eine gehaltreiche Uebersicht der politischen ml
wissenschaftlichen Einwirkung auf die Blöthe und. da
beginnenden Verfall der Poesie gegeben. Wie dsa Le*
ben des Staates, so erscheint auch die Entfaltusg g«i.
stiger nnd sittlicher Kräfte unter dem ewig denkirfr
digen Scepter der Hohenstaufen in seiner eigeotlidiei
Glorie.' Treiflich gelungen und in kräftigen Zügen zu*
sammengedrängt, ist. die Schilderung der Regierof
Friedrichs I. und Heinrich^ VI., unter welcher Dentiok
land nach manchen Erschütterungen und Schwankiis-
gen in seinem Innern zu einer solchen Festigkeit soi
Ruhe gelangte, dafs es als ein grofsea wohlgegliede^
tes Ganzes erscheinen - konnte. Die Brweiteruog d«
Handels, das Emporkomiiien des Städtewesens, die
Blüthe des deutschen Ritterthums, der Glanz der ff^
fseren und kleineren Hdfe mit ihren, Turnieren und ai-
dem Festlichkeiten, alles dieses mufste den Sinnfir
frohen Lebensgenufs wecken* und einen ZustiM der,
Dinge herbeiführen, in dem sich die Gegenwart .mit bei*
term Behagen bewegte, die Poesie wie tou selbst ei»
stellte, und nach welchem das nächetfbigende ^
schlecht wie nach einer dahing^sebwundenen goldeoei
Zeit sich zurücksehnte. Ungeachtet der unheilvoHei
Spaltung nach Heinrichs VL Tode und der yieles Wi*
derwärtigkeiten , mit denen Friedrich II. zu kämpfeli
hatte, war gleichwohl die Lage und Stimmung Deutsek !
lands hoch immer nicht so trostlos, dafs sie die Freada |
an poetischen Genüssen hätten aus dem Leben Tefr
drängen können. „Vielmehr, sagt unser Vf., ftUt g»
rade in diese Jabrzehnde die eigentliche Wirksamkeit
der meisten ausgezeichneten Dichter (z. B. WaltlieM
Ton der Vogel weide, welcher erst den eigentlicfaeo Cri*^
minationspunkt d6r deutschen Lyrik erreicht bat) di»
ses Zeitraums, deren Jugend und erstes ManneasKer
ja noch jenen bessern Tagen' angehört und sie wii^
nossen hatte. Auch tetrafen die Streitigkeiten, die da*
mals das Reich aufregten, noch nicht so wie späterfaio
blofs persönliche Verhältnisse; die ganze Nation naluB
mehr oder weniger daran Theil, und die Dichter koofi»
M^imräUith GemMekie der Smüseken NmtimM^ Lüier^iur. 9ie JuBgoti^
606
taO) waott iio ilii# StaUung itn4 Umgobung b^griffeB,
in dem was das öffentHcbe Leben ihnen von dieser
Seite darbot, die Mittel finden aof die Meinung des
^Ages Binflofs sa gewianen, sich selbst die Gaset der
Grofsen nnd ihren Djchtnngea schnelle nnd weite Ver^
brcitnng zn verschaffen. Und wirklich bewegen sich
Tiele der schönsten lyrischen Gedichte dieser Zeit ganz
in den Verhältnissen des öffentlichmi Lebens, anf des-
sen Beartheilnng und Erfassung* sie bei den Zeitgenos-
sen nicht ohne Einwirkung gewesen sein können." —
Leider sollte diese köstliche Bliithe des deutschen Gei-
stes nach Friedrichs U. Tode nnr allznsohnell wieder
Tcrwelken«
In dem zweiten Abschnitte bandelt der Verf. über
^radie» Verskunst, Schule, das allgemeine Verhält-
iiira der höfischen Dichtkunst cur Yolkspoesie. In der
lyrischen Poesie hat man wesentlich einen doppelten
Stropbenbau zu beachten r I) den bei Sprüchen und Lie-
deini, 2) den bei Leichen angewendeten. I>er Spruch
besteht seiner Natur nach immer nur aus Einer Stro-
phe, während sich das JLied am häufigsten in zwei und
aehreren Strophen bewegt, die aber alle der ersten
durchaus gleich gebaut sein müssen. Es lassen sich
unterscheiden : a) Strophen voa vier, sechs und mehr
Zeilen, indem je zwei unmittelbar aufeinander folgende
durch den Endreim gebunden sind; A) solche Ton fünf
oder sieben Zeilen, wo auch unvörschränkte Bindung
stattfindet, aber zwischen den Reimen des drittletzten
nnd letzten Verses jbui reimloser (Waise)- eingescho-
ben ist; e) Strophen von acht Zeilen, in denen reim«
lose mit gereimten regelmäfsig wechseln, jene von vier,
diese meist tou drei Hebungen. Davon ist die Form
der Leiche (worin aach Heien und Tänze gedichtet
ifHrden) wesentlich verschieden, indem sie keinen fol-
gerecht durchgeführten Strophenbau, wie in den eigent-
lldien Liedekrn, kennt, sondern aus einem Ton in den
andern fibergegangen werden kann, doch so, dafs wo
der Dichter zu ähnlichen Gefühlen oder Gedanken zu-
rftekkebrt, auch oft dasselbe System wiederholt wirdf
indeui ferner, während im Liede mit der Strophe der
Qedanke abscblieTsen mufs, hier eher das Hinübergrei-
fen des Sinnes aus einem System in das andere ge*
snoht wird. Ihrem Stoffe nach zerf&Ut die lyrische Poe*
sie des deutschen Mittelalters: 1) in eigentliche Min'
$9cliedery entsprungen ans der besondem Scheu und
Ehrfurcht der Deutschen vor dem weiblichen Geschlechte
(cf. Taoiti Germ, c* 18* J. Grimm deutsche Mytho-
logie S. 225>, welche, unter dem Einflüsse des Ritter-
tbums und lies in der heiltflfen Jungfrau von der Kirche
aufgestellten Ifleals der Weiblichkeit einen ctigenthüm-
lich schwärmerischen Charakter annahm; 2) religiöse
hfrisehc Gedichie in kunstmäfsiger Form von Leichen,
Liedern und Sprüchen ; 3) an einzelne Fürsten und Edle
gerichtete Lob - und Strafgedichie^ Kläggeiänge auf
berühmte Verstorbene und die aus jenen entsprungenen
polüiMchen Gedichie \ 4) gnomitehe Ijieder uiidi^frü'
che^ als PaSeluy Gleichnisse und HäthieL
Die vierte Periode erstreckte sich in der ersten
Ausgabe des Grundrisses von der Mitte des 14. bis in
den jin/anß des 16. Jahrhunderts, reicht aber in der
dritten Au^ige bis zum Ende deji 16« Jahrhunderts.
Sicherlich aber ist der Anfang oder das erste Drittel
des 16. Jahrhunderts weit beseichoender für den Be-
ginn einer neuen Periode, als der Anfang des 17. Jahr-
nunderts, welches in der Ausbildung der deutschen
Prosa wenigstens eher einen Schritt rückwärts als vor-
wärts gethan hat. Denn eben der Zeitpunkt ist zur
Feststellung einer neuen Periode am meisten entschei-
dend, wo die Prosa ganz unabhängig von der Poesie
zuerst selbständiger hervortritt in dieser Hinsicht ist
aber Luthers Bibelübersetzung ein um so sicherer An-
haltspunkt, als man von da ab allmälig anfing eine all-
gemem verständliche Schriftsprache einzuführen, wäh-
rend man sich früher bald mehr bald weniger nicht
überall leicht verständlicher Mundarten bedient hatte.
Wir müssen es daher als einen grofsen Gewinn anse-
hen, dafs Luther, an der Grenze von Ober- und Nie-
derdeutschland geboren, erzogen und gebildet, die Ele-
mente dieser beiden Hauptmundarten auf eine äufserst
glückliche Weise zu einer hochdeuischen Schriftspra-
che verschmolz^ die am leichtesten und schnellsten all-
gemeine Geltung erhalten konnte« Nehmen wir dazu,
dafs Luthers Bibelübersetzung aus den bereits vorhan-
denen früheren Uebersetzungen wie ans den im Munde
des Volkes aus undenklicher Zeit fortgepflanzten bibli-
schen Kern- und Kraftausdrücken gerade dasjenige in
sich aufnahm, was die Gemüther am lebhaftesten er*
grifl^en hatte und schon längst ein unveräufserliches
Gemeingut der christlichen Kirche in Deutschland ge-
worden war; so erklart sich am natürlichsten der mäch-
tige Einflurs, den sie auf die ganze deutsche Sprache
(katholische Schriftsteller — wenn 'auch manchmal wi«
der Wissen und Willen — keineswegs ausgenommen)
seit drei Jahrhunderten ausgeübt hat. Wer daran noch
zweifeln sollte, der lese Friedrich Sohlegels geistreiche
Darstellung in seiner Geschichte der Litterat ur.
Je gröfser der Fortschritt war, den die Ausbildung
der deutschen Prosa zu machen anfing, desto tiefer
sank die unter. dem Haodwerkszwange der Meistersän-
5er schon früher entwürdigte Poesie im Laufe des 16.
ahrhunderts herab und war höchstens auf Kirchen«
und einige Völkslieder beschränkt. Die Gelehrten,
wenn sie sich einmal in dieses Feld verstiegen, dich-
teten aus Verachtung gegen ihre Mutterspradie Latei-
nisch; Das in Italien zuerst wieder erwachte Studium
KöberHein^ Guehkhte der Jmdwhen NAtÜmuU * lAüeratur. 3<# AuMgmie.
607
der grieobtsoben und lateinisöhon Litteratiur wirkte xwar
in der R'eformationsxeit auch auf Deutcchland mächtig
ein; allein parteiische Yornrtbeile, wie sie-iD Mouienten
gewaltiger Gührung aufzutauchen pflegeu, wareo wohl
die Hauptursache, dafs man Anstand nahm die vater-
' lündiscfae Poesie, geläutert und belebt tturch das Ele-
ment der classischeii Bildung, nach dem Vorbilde der
mittelhochdeutschen, Muster zu reorganisiren, indem die
Erotestantischen Gelehrten, wie der Verf. sehr richtig
emerkt^ sich immer mehr von dem abwandten,, was
das Mittelalter im Gebiete des Geistes hervorgebracht
hatte, weil es ihnen in Finsternifs uud Aberglauben
gehüllt erschien. Lobenswerth ist die unparteiische
Auffassung aller Verhältnisse, welche auf die Litera-
tur eingewirkt haben ^ und der Rec. glaubt aus inniger'
Ueberzeugung versichern zu dürfen, dafs Hr. K.' weder
den' katholischen' noch den evangelischen Glaubensge-
nossen irgendwie zu nahe -getreten ist: durch solches
leidenschaftslose und zugleich gründliche Streben dürfte
das seit kurzem immer lockerer werdende religiöse
Band der verschiedenen Richtungen der chriätiicheu Ge-
meinschaft am ersten wieder befestigt und zum Heil uud
Frommen der Wissenschaft und Kunst wie des Staates
, und der Kirche um Millionen geschlungen werden. Muis
* ja die christliche Religion, oft genug zergliedert uiid
zörstreut^ sich doch endlich immer wieder am Kreuze
zusammenfinden.
Den Mittelpunkt der von dem Verf. angenomme-
nen fünften Periode, bildet unstreitig die sogcuaniite
Bchlesiscfae Dichterscholo, wenn gleich Opitz^ ihr Mei-^
ster, nichts weniger als eine in lebendiger Fülle und
Kraft strömende poetische Ader bcsafs. Um so weni-
ger berechtigte daher diese Erscheinung zur Annahme
eiuer eignen Periode, die vielmehr lediglich als eine
Fortsetzung des von Luther gebahnten, aber durch un-
' günstige Zeitverhültiiisse theilweise wieder verschütte-
ten Weges anzusehen ist. Als ein Hauptverdienst die-
ses Dichters wird die Eintuhniug der richtigen Silben-
messung in die Poesie bezeichnet, die aber auch aude-
rerseits eine gewisse steife Regelmäi'sigkeit vorbereitet
bat, wie sie später in der Gottschedschen Schule auf
die Spitze getrieben worden ist — ein passendes Ge-
genstück der gleichzeitigen Reifröcke und Alongen-
perücken. Die hervorstechendsten Talente in der er-
sen schlesischen Schule waren unstreitig Paul Fleui-
ming und Andreas Gryphius, was wir namentlich bei
dem ersteren mehr hervorgehoben wünschten. Der we-
sentliche Unterschied zwischen der ersten und zweiten
sohlesischen Schule scheint uns nicht scharf und be-
stimmt genug ins Licht gestellt zu sein, wie de'nn auch
die charakteristischen Meijcmale, wodurch die beiden
Koryphäen dieses modernen Geschmacks; Hofii|iauns-
waldau und Lohenstein, divergirend hervorragen, erst
mit Noth nach den Anmerkungen abstrahirt werden
müssen. Auch ist es ein handgreiflicher Irrthum, wenn
dem schwülstigen Lohenst'ein ein bedeutenderes poeti-
sches Talent beigelegt wird, als dem. sinnlich latciren
Hoffmannswaldau, den man niclit oime Grand für deo
Vorläufer Wielands zu halten pflegt.
Mit der Thropbesteigung Friedrichs des Grofsen
erhielten die gedrückten politischen Verhältnisse Dent^k-
lands urplötzlich eine andre Gestalt und atbmelen eil
frischeres Leben, welches, wie-auf geistige AasbildaDg
überhaupt, so auf die Litteratur insbesondere, vie sie
sich in der angenommenen sechsten Periode zu gestal*
ten anfing, einen bedeutenden Einflufs hatte, so wenig
auch sonst der deutsche Fürst zuV Beförderang vate^
ländischer Poesie, aus einem tief eingewurzelten Vor-
urtheil seiner Zeit, beizutragen sich geneigt fühlen
mochte. Mit desto freierem Geiste trat daher ni
rechten Stunde Klopstook auf, um zunächst das hei*
mische Gebiet von fremden Schlacken zu reini^a nnd
Religion und Vaterlandsliebe und Alles was seine gro-
fse und edle Seele .bejvi'egte zu Trägern seiner Dicb-
ttmgen zu machen. Jetzt erst folgte Schlag. nafSohlng
eine wunderbare Erscheinung in der deutschen Litte»
ratur nach 'der andern^ bis zuletzt Goethe den Höhe-
funkt des deutschen Geistes in sich concentrirend ein
deal aufstellte, tvelches alle früheren Bestrebungen
weit hinter sich liefs. Was in der Rcproduction des
classischen Alterthums durch holländischen Sau)mle^
fleifs, durch englischen Scharfsinn und durch deutsche
Genauigkeit seither geleistet war, das hat Priedridi
August Wolf unter einen höheren Gesichtspunkt n
bringen und mit der Tiefe seines Geistes als selbstäo*
dige Wissenschaft, als das festeste Fundament deot-
scner Jugendbildung, ein für allemal zu begründen ge>
• warst. Nachdem nun später, noch Wilhelm von Hum-
boldt, änfser seinen ' grofsen Verdiensten um die Te^
gleichende Sprachforschung^ dem höheren Unterrichts^
Wesen in Preufsen eine ganz neue Gestalt zu geben
und einen Geist einzuhauchen vermocht^ welcbeF in
unserer Zeit seine Früehte zu tragen beginnt, vurdl
der kräftigste Damm gegen alles ultramontane ood
transrhenane Wesen im Gebiete deutscher Wissen-
Schaft und Kunst errichtet.
Der ganze Zeitraum seit dem zweiten Viertel des
18. Jahrhunderts bis auf die neueste Zeit zerfallt la
drei Unterabtheiluogen^ voj) denen die erstere die Haupt-
momeute in dem Bildungsgange der deutschen Natio*
Hallitteratur bis um das Jiihr 1770,. die zweite bis tm
Jahre 1795, die dritte bis in die ersten Jahre des U
Jahrhunderts darstellt. Dafs die Geschichte der neue-
sten deutschen Litteratur seit den letzten 30 Jabren
fast ganz ausgeschlossen worden, entschuldigt der Tf«
dadurch, dafs diese Entwickelungsstrophe noch zu sehr
in die unmittelbarste Gegenwart herubergreift, zu eu
mit den Interessen des Tages zusammenhängt und nodi
zu wenig zum Abschlufs gekommen ist, als dafs es
sich geziemen möchte, sie in den Kreis des Schnlun-
terriohtes zu ziehen.
Dr. N. Bach.
j a
Jlf 77.
h r bu ch
e r
für
wissenschaftliche Kritik
October 1839*
XXXVIII.
Herbert Qder Papst Sylvester IL find sein Jdhr^
hundert, von Dr. C. F. Hoch. Wien 1837.
IV. u. 239 8. in 8.
Eb werden bald hnndert Jafare, dafs die Beoedio-
tiiier Ton St. Maur mit dem Fleifse und der umfassen»
den Gelehrsamkeit, die ihrer Congregation auTergäng-
li^e Verdienste um die Rirchengesobichte des Mittel-
alters erworben, eine ansfübrltcbe Lebensbeschreibung
Gerlieit's in dem 6ten Bande der histoire litt^raire de
la Franoe lieferten^ Diese Abhandlung galt bisher fär
das Beste über Gerbert. Bei dem erneueten Streben
iailefs, mit welchem seit einigen Jahrzehnden allseitig
an die Erforschung des Mittelalters gegangen wird, war
as SQ erwarten,' dafs eine so bedeutende, in dem Leben
wie in der Wissenschaft sich vor allen Zeitgenossen,
herrorhebende Erscheinnng eine neue, vom Standpunkt
^r faevtigen Wissenschaft unternommene Bearbeitung
.hervorriefe.
Eine solche hat Hr. Hock, schon durch seine kleine '
Schrift über Cartesins bekannt, in dem angezeigten Bu-
^e geliefert. Seine Absicht ging, im Widerspruch mit
den bieherigen Bearbeitern, dahin, Gerbert nicht blofs
nach seinen äufserlichen Beziehungen, sondern ak ein
^itoth wendiges Moment in dem Entwicklungsgänge der
Jüensefaheit'Vanfzufatsen, und zu diesem Zwecke hat er
der eigentlichen Lebensbeschreibung zwei Abhandlun-
f^en über den christlichen Inhalt der. Geschichte und
der Wissenschaft im Mittelalter und über die Entwick-
luDg und Ausbreitung der Wissenschaften bis zu den
-Zeiten Gerbert's vorhergehen lassen.
Von diesem specnlativen Gesichtspunkte ausgehend,
iet der erste Abschnitt von einem gewissen pseudo-phi-
losopbischen Elemente erfüllt, welches den Werken jün-
gerer Gelehrten nur zu häufig eine Uebersohwänglioh-
keit uad Unklarheit der Ideen verleiht, durch welche
Jahrl. / triftenicA. KriOc. J. 1830. II. Bd.
der Sache, die sie fSSrdern wollen, nicht selten der
gröfste Schaden zugefügt wird. Wir verkennen des
Yfs. gute Absicht nficht. Er erachtete es für npthig, -
das geistige Terrain zu gewinnen, auf dem ein solcher
Heros fufste, und glaubte hierbei vorzugsweise „das
specnlative Moment ins Auge fassen zu müssen." Auch
würden wir die Richtigkeit dieser Betrachtungsweise
zugestehen, wenn es sich hier um Reproducirung eines
philosophischen Systems hfmdelte; aber Gerbert war
bei allec seiner Wissenschaftlichkeit eine so reale, dem
Leben und seinen Forderungen hingegebene Existenz,
das philosophische Werk, welches wir von ihm besit-
zen (de rational! et ratione uti) steht dem specnlativen
Inhalt der mittelalterlichen Philosophie so fern^ dafs
wir bezweifeln möchten, ob vom speculativen.Geaichta»
punkte aus sein Wesen sich uns erschliefsen und zum
wissenschaftlichen Bewurstsein gebracht werden könne.
Indem der Vf. dann den geistigen Procefs zu schil-
dern unternimmt, der sich in der Wissenschaft vor
Gerbert vollzog, erweckt er . bei dem Leser die Erwar-
tung, dafs in der eigentlichen Biographie nachgewiesen
werde, wie alle jene geistigen Bewegungen «ich in Ger-
bert gestaltet hätten. Doch dieser Theil der Arbeit des
Hrn« H. hat einen von der Einleitung ganz verschiede-
nen Charakter. Es ist eine fleirsige, nach den geschicht-
lichen Urkunden ziemlich treu bearbeitete Schrift $ jene
oft so störenden Phrasen Verschwinden ganz ; der Styl
•verliert das Geschraubte \ der Ausdruck ist einfaeh, ge-
mäfsigt, ohne doch der gehörigen Fülle zu entbehren«
Diesen Charakter der Einfachheit hat schon der
zweite Theil der Einleitung, der eine dankenswerthe,
klare Uebersicht der Geschichte der Wissenschaften
im Mittelalter bis auf Gerbert giebt, und von bedeu-
tenden Stadien des Yfs. in diesem Fache zeugt; wenn
derselbe auch vielleicht zuviel auf die Autorität MabiU
lon's (Annal. Ord. S. Ben.) und der übrigen Mauriner
fiberhaupt gegeben hat.
77
n
611 BoeJkj Geriert §d0r
Gehn wir nun tnm eigentliölMi Werk telbat fiber»
so ist hier besonders das Verdienst desselben« tin fri-
schejs» ansohanliches Gemälde Gerbert's und seiner Zeit
sn fiew&hren, bervorsubeben. Aber der Biograph eines
Mannes, dessen Leben ebenso sehr der Soge als ^r
absichtlichen Verfälschung anheimgefallen ist, b^^^^
aufserdem noch die Verpflichtung, das rein Thatsäch-
liehe mit allem Fleifse und Scharfsinn zu ergründen.
In dieser Bexiehung hat sieh der Vf. grofse Verdienste
um die Gesohichte Gerbert's und seiner Zeit erworben,
und dies zumeist durch eine genauere und sorgfaltigere
Benutzung der Briefe seines Helden selbst. Insofern
inöchte sein VlTerk mit H|irter*s Inaooenz IIL» den sich
der Vf* auoh sonst zum Muster genommen zu haben
scheint, Aehnlicbkeit haben.
Diese Briefe, von denen der Vf« p. 189 eine ziem-
lich vollständige bibliographische Notiz giebt, sind lei-
der nur nach den höchst mangelhaften Himdschriften
von PapiriuB Massen und Sirmond bekannt, und wir
bedauern dies um so mehr, als si^ mit alleiniger Aus*
Afdune des jetzt wieder aufgefundenen Richer, welchen
wir im nächsten Bande der Monumenta nach seinem
Autographon gedruckt erhalten werden, und aus dem
Hr. Constantin Uöfler in der Receinsion des hier ange-
zeigten Werkes (Miinchener gel. Ans. 1837. 146^152)
nach einem Bamberger Codex wichtige Auszüge mit-
theilt, über die Tbronveränderung in Frankreich ui|s
bei der Dürftigkeit der Chroniken die Stelle aller übri-
gen Nachrichten vertreten müssen. Hr. Uöfler giebt
uns ebendaselbst p. 137 die erfreuliche Nachricht, dafs
im nächsten Bande der Monumenta neu aufgefundene
Briefe Gerbert's mit den verbesserten alten erscheinen
sollen, obwohl sie, wie wenigstens aus dem Archiv VI,
p. 311 erhellt, sich iiicht unter der Zahl der heranszo-
gebenden Briefe ursprünglich befanden, und Pertz auch
nur eine neuere Abschrift des kleinern Sirmond'schen Cob
dex in Italien bat entdecken können. (Ital. Reise p.339.
VgL aber jetzt Arch. VII. p. 98. 116. 129. 137. 871.)
Der Vf. hat nun diese Briefe zu einem Gegenstande
^iner besondem Prüfung gemacht, und darauf wesent- ^
lieh seine Darstellung vom Lieben Gerbert's gegründet.
In dieser Uatittsuchung ist er durchaus auf §^z an-
dere Ansiditen über ihre Ordnung gekommen, als bis-
her nach der Autorität Mabillon's und Bouquet's gal-
ten. Während diese nämliclr die Briefe aus der Reihe-
folge, wie sie im Codex des P. Massen u.Jac. Sil
F/i^ Sylißsster II. 612
>
sieh befanden, risseB und iHUktlliriieh «nstelMse, 6^
klärt der Vf. p. 191, dafs sie, wenn auch nicht dud^ *
gängig, doch wenigstc^na zum grdfsten Theil mitBeaA>
Inag der chronologisohen Ordnung berausgegeben seies. '
Der Ref. hält dier für unbedingt richtig, nsd ftUt
sich um so mehr gedrungen, es init dem gebühreodeD
Lobe hervorzuheben, als eine mehrjährige Besohifii.
gnng mit den Briefen , Gerbert's ihn im Grofsea asd
Ganzen zu demselben Resultate gef&hrt, Hr., CosiL
Böfler aber in der Benrtheilung dieses Werks das gio>
fse Verdienst unseres Autors, dies zuerst gesehen m
haben, mit Stillschweigen übergeht. Wenn aber as-
drerseits der genannte Recens. findet, dafs der Vf. mit
meist lobenswurdigef Genauigkeit gearbeitet kabe, to ,
mufs Ref. ihm auch hierin entgegen sein. Ihm sohebt
vielmehr Hr. H» nicht diejenige Sorgfalt angewandt n
haben, die geeignet gewesen wäre, seinem Weike et
neu dauernden wissensebaftlichen Werth zu^erleUMSS I
und während Hr. Höfler weiter ihm darans nagered^
ter Weise einen Vorwurf macht, dafs er nAgednickte
Quellen nicht benutzt habe, erheben wir -gegen den Vt
den gewifs begründeteren, dafs er längst bekannte snt*
weder gar nicht oder doch nieht gehörig zn Ratk
gezogen«
Dieser Mangel einer strengen, auch das kleissli
Detail ergründenden Untersuchung, möchle indessen an
wenigsten in dem hervortreten, was der Vf* über ik
von Gerbert vor seinem bleibenden Aufenthalt in Firask»
reich geschriebenen Briefe sagt (p. 195). Ans diMi
' selbst, so wie ans dem Diplom hei Mabillon (Annaki
Ben. IV, 35.) weist er hier aufs Udbertengendste nsfl^
dafs erst Otto II. Gerbtnrt zum Abt von Bobbio g^
macht; alla Briefe daher, die ai^s diesem Kloster g^
schrieben, und somit auch alle darin aufbewahrten Nsob
richten sich auf die Regierung und den Hof Otto's IL,
und nicht auf den seines Vätern, wie Mabillon nad
Bouquet annahmen, beziehen.
Der Vf. giebt p. 192 die chronologische Ordanag
an, In welcher er glaubt, dafs dia Biiiefe geschriekaa
wären. Vorläufig genüge die Bemerkung, dafii wir mit
ihm über die Ordnung der Briefe 1—46 im Ganzen eiap
verstanden sind, lieber diese hat er es allein fnr ni*
thig erachtet, einen erläuternden Commentar hiimni*
fägen; was hier gesagt wird, ist zum gröiateD Thal
ebenso neu als wohl begrfindet.
In Betreff der ibrigen Briefe hätte er sich uasfrei»
% Im frgfcte Yewfaait Twor bm» w«iin er die Hanpt-
Aila der poütiecben GeeoUeirte, insofern sie^ ia den
Srieftn erwälmt werden, als Anhaltspunkte ittr die Gmp*
pinmgp.der andern benotxt, and naehdem er merst das
Jafcr bestimmt, welehem Jeder Brief angehört, unter-
ancbt hätte, ob die so häufig yorkommenden Monats-
dateo. erlauben, dnrohgängig eine ohronologisehe Qrd-
■ong der Briefe anzunehmen. Die blofse Angabe aber,
dafs die Briefe so und nichl anders geordnet werden
■ifisseo, kann der Wissenschaft durohaos nicht front»
■len^ eine Monographie, welche den Anforderungen der
historischen Kritik, so wie sie heat zu Tage mit Recht
geltend gemacht werden, entsprechea will, darf sich
darohaas nicht Jener sorgsamen, die Sachen bis in ihr
geringstes Detail yerfelgenden Untersuchung entschlap
gen, die^endlich einmal ins Klare bringen soll, was und
wienel uns Ton den- Ereignissen sicher und unsweifel-
haft flberliefert ist Wäre der Vf. auf diesem Wege,
9
den er einmal und mit so rielem GIftck betreten, ge*
Uirteii ; so würde* der Abschnitt über die Briefe ohne
Zweifel bei weitem umfangsreieher geworden sein \ aber
man hätte ihm dalur gern die Beilagen p. 203 — ^239 er-
lassen, die doch nur die jedem Gelehrten zngängljcheD
Stücke enthalten.
Als em Beleg, wie wenig befriedigend scüne Forschun-
gen smd, heben wir das heraus, was über dieGescinchte
des Bisthnms Verdau gesagt wird. Den hierauf bezügli«
oheo 47. Brief setsen MabiUon und alle andere in das
Jakr 965; Hr. H. p. 192 in die Jahre 984— «6.$ p. 68
aber deutet er an, daTs er auf 984 su* beziehen sei.
IKese Ansieht ist - naaweifelhaft - die richtige; aber er
UUte Tor AUem untersndien müssen, was MabiUon za
dar aeioigen bestimmt haben mochte. Es ist dies die
Enllhlang der Ereignisse in Verdau, so wie sie ans
der Bist. Bpisc. Virdun» (ap. Calmet. h. de Lorrainjb. L
paeares p. 200) in Hago von FhiTigny's Chronik (ap.
Labb. I, 157) und Ton da in unzählige andre Zeitbfi»
«her und ip alle neueren Bearbeitungen übergegangen
ist. Diesen gana falschen Bericht hätte er zuerst mit
Hfilfe der Briefe nnd^der ?ita Adalb« episc Met. (ap.
Liabb. 1, 670) widerlegen, aber die Schwierigkeiten nicht
hAio^ ignorirea müssen« So wie die Sache jetzt steht^
wird jeder, den nicht eigne Forschung zu der riobti-
gaiiy von dem Vf. mit gutem Tacte angenommenen An-
aicht geführt, der Darstellung dieser Verhältnisse bei .
Mkbillon durchaus den Verzug geben müssen.
P0pH SybßesUr H. 614
hk der Geschicfale des Jahvea 984 herrsoht aber
überhaupt bei dem Vf«' eine grofse Verwimmg, und es
fehlen hier nicht die bedeutendsten Widersprüche. So
heirst es p. 09, „dafs Carl von Lothringen, Lothar*s
Bruder, feindlich gms^n diesen denke, und dafs audi
dessen Freunde, Heribert von Troyes und Odo y. , Vor-
aiaadois, die Sache Deiitscbkinds begünstigen, weifs er
(Gerbert) auszumitteln.'* Dieser Ansicht widerspricht
er noch auf derselben Seite: „es ist ihm gewifs, dafs
JMier (Lothar) die Usurpation Heinrich's hasse.** Doch
ist auch die Nachricht von Carl, so wie sie bei Bm.
H. erscheint, durchaus falsch. Denn eben der 60ste
Brief, worauf er sich beruft, sagt grade das Gegea-
theil: Conjuratio in filinm Caesaris ac in tos et acta
est et agitur, neu solum a principibns, imier guos Cara^
h$9 dux jam non in oeeulto ssty sed etiam a militi-
bus etc. Wenn der Vf. aber ans ep. 58. zn erweisen
gedenkt, dafs Heribert und Odo die Sache Dentsdi-
lands begünstigt hätten; so ist dies auch me hdchst
willkühriiche Annahme. In jenem Briefe wird kdn Na-
me genannt, sondern nar Toa einem tjrannns gespro^
eben, den Adalbero von Rheims früher gefürchtet, jetzt
aber als planum fidei et sapientiae bewundere, und mit
dem er durch Ecbert, Erzbiscbof von Trier, an den
der Brief gerichtet ist, in Unterhandlungen stehe. War- .
um hätte sich Adalbero des Ecbert bedient, um mit
Hugo und Odo, seinen Nachbarn, zu unterbandeint Im
Gegeutheil erscheint es höchst wahrscheinlich, dafs da-
mit Heinrich tou Baiem gemeint sri, besonders da es
Ecbert vorzüglich war, der ihn in seiner Usurpation
unterstützte.
Ebenso fiilseh ist es, Venu es p. 69 u. 71 heifst,
Lothar habe nie die Partei Heiurich's ergriffen. Denn
der 39ste Brief erwähnt einer Zusammenkunft des Ktt-
nigs mit ihm, und aus ep. 59. erhellt, dafs em Gesaa#-
ter Heinrich's in Frankreich gewesen, was auch durch
den wiederaufgefnndenen Richer bestätig wird. (Mün*
eben, geleh. Anz. 1837« num* 148. p. 153). In dieser
Beziehnng ist auch der 65ste Brief zu yei^leichen.
Pag. 70 wird die Behauptung angestellt, dafs Gerbeit
durch Notger von Lfittich auf Emma, die Gemahlm
Lothar's,' zu wirken gesucht habe. Der Vfl bemft sich
hierbei auf ep. 30. 35. 39. Abgesehen dayon, dafs der
dmUseke Bischof Notger hierzu die geeigneteste Person
nicht war, steht dies auch nicht einmal m den dtirten
Briefen $ dann ep. 30. schreibt Gerbert un Nanfen Adal*
615
H^ck^ Oerbert oder P^wt SfheMter If.
iMTo'fl 'von Rheims an Notgelf: is quem ndstis,^ nobis
istimus Tobisqoe fidis^iinos, interpres apud Regiain
majeBtatem, ut clecnit, fuit eto. und sagt also weder,
dafs Notger dieser ihterpres genesen, noch dafs bei
der Königin Emma diese Unterhandlungen gepBogen
worden seien. Der 35ste Brief bandelt gar nicht hieru
Ton, und der 398te gar Ton den feindlichen Absichten
Lethar's«
Der Vf. würde in diese Fehler und Widersprüche
-iiicht terfttllen seio, wenn er ein ernsteres und sorgsa-
meres Studium auf die Briefe gewandt, die Ton an-
dern Quellen uns überlieferten Berichte fleifsiger benutiit
und in Verbindung mit diesen die in den Briefen vor-
kommenden Daten zu einer chronologischen Anordnung
derselben gebraucht hätte. So aber erscheint bci> ihm
das in der Zeit getrennte als gleichzeitig nebeneinan-
der, und dies mufs noth wendig die klare Einsicht in
den Fortgang und die allmälige Entwicklung der yon
Gerbert uns so schön überlieferten Ereignisse trüben«
Es wäre vor Allem die Ueberzeugung nöthig gewesen,
dafs die Briefe 20 — 64 genau chronologisch geordnet
nns vorlägen. Hr. H. würde gefunden haben, dafs Lo-
thar und Carl im Anfange des Jahres -984 allerdings
die Sache Otto's III. begünstigten (cf. ep. 22. 30. ^2.
35.), dafs aber mit dem 1. Februar 984, wo Lothar mit
Heinrich in Deutsch - Breisach zusammenkommt, die
Scene sich ändert,, und Gerbert, delr vorher Lothar
nicht genug loben konnte, jetzt Verdacht schöpft ep.
39. 41. $ bis endlich der König seine Pläne offenbart,
den 16. März Verdun einnimmt (ep. 47.), und von die-
sem bis zum 64sten Briefe nur als Feind des juogen
Otto erscheint.
Viel zu wenig aber hat der Verf. die enge Ver-
knüpfung der französischen und deutschen Parteien,
welche beinah allein durch diese Briefe überliefert wird,
beachtet. Er hat nicht bemerkt, wie der Carolinger
Lothar im engsten Verbände mit dem Usurpator,' Hein-
rich von Baiern, steht, Hugo von Pdris (in ^späteren
Chroniken Capet genannt), dagegen die Sache des
unmündigen Königs unterstützt (ep. 59. zum Theil' auch
60.), und wie endlich nur durch Vermittlung seiner
Schwester, Beatrix von Mosellanien (von der es p. 70
-ohne Beweis heifst, dafs' sie '984 Wittwe geworden)
Friede zwischen den streitenden Parteien gemacht wurde.
fUi
Hafte er hierbei die vifa Adälberonis- (ap*Lab. 1,5701)
jnit dem ^n Beatrix gerichteten Briefe vergliohea-, s«
würde er gefiinden haben, dafs der durch die Betrieli-
samkeit dieser ausgezeichnet en Frau bewirkte Fried«
zu Worms geschlossen wurde (ep. 64. duei Beatiki;
Excellentiam acuminis vestri videpr videre, pace ister
Principes stabilita, Republica bene disposlta, ac per
vos in melius commntata« Die vita Ad. nennt sie pro-
pagatrix bujüs pacis und fügt hinzu: acta sunt baee
felicibns auspiciis Wormatiae. Der Friede selbst wird
hier kurz nach dem 16. < Oct. gesetzt $ nach ^ner Ui^
künde bei Hugo An. Praemonstrat. Nanceji 1734 IL
p. 325, in welcher. Otto auf die damaligen ümstSud«
Bezug zu nehmoi scheint ; illis apprime favenduin est,
quoB statum regni nostri diligere cognpscimus, war er
den 20. Oct. 984 in Wenns. Vgl. über diesen Friedes
auch die vita S. Geraldi ap. Calniet I. preuv. p. 146).
Wir sind über diesen Punkt etwas ia's Detail eiih
gegangen, um dem Verf. zu beweisen, wie scböa die
Briefe mit den übrigen geschichtlichen Denkmalen jeaei
Jahrhunderts harmoniren, und wie 'fruchtbringend eio^
Vergleichung beider sowohl für die Geschichte dieser
Zeit, selbst, als auch für die Erkliirung der Briefe ai|»>
gefallen sein würde.
Den so eben erwähnten Frieden, der nur diePa^
teien Deutschlands betraf, kennt der Vf., obwohl die
Gerbertinisohen Briefe seiner so deutlich Erwähnuvt
thun, gar nicht; er geht unmittelbar auf den überi
welcher den Streitigkeiten zwischen Frankreich and
Deutschland ein Ende machte. Ur. IL fällt hier io
einen argen Fehler, indem er diesen in das Jahr 985
setzt (p. 71). Wir wissen sehr wohl, dafs dies diege-
wöbnliche, bis auf den beutigen Tag gültige Annahnii
ist, mufstenaber vor Allem von dem Biographen G«p-
bect's erwarten, dafs er diesen Irrthum endlich aus der
Geschichte ausmerzte. Balderic . ;iämlich in seinen
sonst so guten Chronicon Atrebatense (von dem kürss*
lieh eine neue, von Le Glay besorgte, vorzügliche Aae*
gäbe erschienen ist), sagt c. 104 fin. hi& (Otto 1110
postea tarn virtute quam aetate proßciens adeo vigai^
ut Lotharius urbem Virdunensium. et GodefridiUD
comitem redderet, eine Angabe, die, wrie wir jetit
ersehen, in Richer, diesem auch für seine/ Zeiten
höchst unsichern Geschichtschreiber, ihren Grund bat.
(Die Fortsetzung folgt)
wissen
M 78.
Jahrbuch
für
s c h a f tl i c
October 1839.
e r
h e Kritik.
Gerbert oder Papst Silvester IL und sein Jahr-
hundert, voa Dr. (X F* Hoch.
(FortsttzuDg.)
Aos Balderic nahm Sigebert yon Gemblours beinah
wortlich diese Stelle in sein Chron. auf, und setzte will-
kührlich das Jahr 965 hinzu. Auf seine Autorität hin
ist die Sache bis jetzt allgemein geglaubt worden.
H&tte aber Hr. H. den 72sten Brief, den er doch nach
p. 72 kannte, aufmerksam betrachtet, so würde er die
TÖUkommne Grundlosigkeit dieser Nachricht leicht ha-
ben einsehen können. Aus diesem erhellt nicht nur,
dafs Godfrid yon Lothar seine Freiheit noch nicht er-
hielt, sondern, dafs er selbst bei dessen Tode (f 2.
März 986) seiner Haft noch nicht entlassen war. Ref.
wird in den Excursen zur Geschichte Otto's HI. (Jahr-
bücher des deutschen Reichs unter den- sächsischen
Kaisem, herausg. yon Leop. Ranke) zu beweisen su-
chea« dafs der Friede zwischen Deutschland und Frank-
reich erst im Jahre 987 gegen den 17. Mai, kurz yor
König Lndwig's V. Tode geschlossen, Godfrid in Frei-
heit gesetzt, und Verdnn an Deutschland zurückgege-
ben worden ist (Vgl. ep. 103 so wie auch 100 u. 101).
Er mufste diesen Irrthnm um so mehr rügen, als der
Yf. dabei yon Neuem in einen , seltsamen Widerspruch
mit sieh gerathen ist. Aus ep. 105 entnimmt er näm-
lich die Nachricht, dafs Graf Gotfrid mehre harte Be-
diDgangen sich habe gefallen lassen müssen und setzt
p. 192 diesen Brief auch richtig in die Zeit nach Lo«
thar'8 Tode (f 2. März 966) ; im Texte aber (p. 71)
bleibt er bei der alten Annahme stehen, dafs dieses im
Jahre 985 erfolgt sein. Ein ähnlicher Widerspruch
findet sich p 73. Hier bezieht ei^ den 91sten Brief auf
deo Afpfang des Jahres 987, indem er sagt, dafs der
dert erwähnte Tod des Abts Gerald yon Anrillac in
diese Zeit falTe, p. 192 aber setzt er den Brief yor
den Tod Lothar*« und giebt p. 196 noch an, dafs er mit M a-
Jal^h. /. wuuMch. KriOk. J. 1839. II Bd.
billon diese letztere Ansicht theile. ' Was soll der Le-
ser davon halten? Und doch war es so leicht, hierüber
zu einem höchst wahrscheinlicben Resultate zu gelan-
gen. Wenn er nämlich die Angaben des 91sten Brie-'
fcs über den Zug Otto's gegen die Slaven mit den Aj^-
nales Hildesheim. ad ann. 986 verglichen, dann auf die
ep. 90. ausgesprochene Absicht Adalbero's, Gerberten
der Kaiserin Theophania und ihrem Sohne entgegen-
zuschicken, mehrere Andeutungen des 91sten bezogen,
und hierfür noch die Daten benutzt hätte, welche uns
die Urkunden bei Böhmer No. 647—649 über den Au-
fenthalt des Kön^ darbieten, so würde er gefunden
haben, dafs der 9l8te Brief in die Zeit zwischen den
18. Januar und 20. Mai 987 fällt.
Es würde zu weit führen, wollten wir die Ansicht
des 'Hrn. H. über alle Briefe im Einzelnen dnrcbgc-
hen. Wir bemerken hier nur noch im Allgemeinen,
dafs kein Grund vorhanden ist, um Briefe, wie 45, 46,
70, 82, 89, 92, 93, 104, 106, die an und für sich kei-
nen Haltpunkt^ zu ihrer <ihronologlschen Fixirung dar-
bieten, aus der in den Handschriften herrschenden
Ordnung zu reifsen und willkürlich umzustellen. Wir
unsererseits bekennen, dafs wir die Ordnung, in der
sie uns überliefert sind, im Grofsen und Ganzen für
t
die allein richtige halten, und dies, nur mit wenigen
Ausnahmen, durch alle anderswoher entlehnten Noti-
zen immer bestätigt fanden. Wir erkennen den Un*
tersuchungen des VfB. das ihnen im Vergleich mit Ma-
billon und Bouquet gebührende Lob willig zu, müssen
aber \i'iederbolt bedauern, dafs derselbe die von ihm
glücklich entdeckte chronologische Folge der Briefe
^ nicht mit mehr Gousequenz durchgetührt und durch
ein tüchtiges Studium der übrigen Quellen dieser Zeit
tiefer begründet bat. Möge man uns ^ie etwas weit-
läuftige Ausführung dieses Punktes zu Gute halten.
Es kam uns vorzüglich darauf an,, die Möglichkeit
nachzuweisen, dafs für diese überaus wichtigen, aber
78 - ■
S19 BocJby Gerdert othr
. doob höchst «ohwierigen nnd selbst räthsclhaften Briefe
fester Grund und Boden genug gewonnen werden kenn»
tey von wo ans mit einiger Sicherheit zu ihrer Ericlä-
rung und Benutzung hätte geschritten werden müssen.
Von p. 74^118 behandelt d^r Vf. einen der wich*
figsten Abschnitte in- Gerberts Leben, wo seine Per-
son eine europäische Bedeutung erhält: die Zeit, in
der Hugo Ton Paris den Thron Frankreichs besteigt,
den-Bruder des letzten Karolingers, Arnulf, zum Erz-
bischof von Rheims macht, dieser ihn yerräth, statt
seiner aber Gerb^rt erwählt wird, der gegen die An-
inafsungen Roms sich' nicht halten kann, und am Hofe
seines Schülers Otto UI. Schutz suchen mufs« Auch
hier hätte der Vf. mehr Fleifs und Sorgfalt auf die
Erforschung der Quellen wenden mfis^ea. Aber seine
Arbeit beschränkt sich fast nur darauf, dafs er die
Briefe Gcrberts und die von ihm verfafsten Acten der
Synoden zu St. Basel und Mouzon ezcerpirt und diese
Excerpte nach Gutdünken zusauimenstellt« Und selbst
in' dieser rein äufserlichen Arbeit kommen viele Nach-
lässigkeiten von Warum citirt er p. 75 das Chron.
iVlalleacense (ap. Bouq. X. p. 231 und nicht p. 25) aus
der Mitte des 12. Jahrhunderts, und ' nicht Tielmehr
das gleichzeitige fragm« bist. Aquit. ap. du Chesne U,
635, aus welchem jenes ein Excerpt ist. Der 4te und
5te Brief in der Sammlung, die du Chesne aus dem
Mscpt. von Sirmond herausgegeben, utid der Vf. im-
mer mit einem D bezeichnet,* besagt nicht, dafs Ger-
bert seine Dienste der Theophania angetragen, bevor
' er die Anerbietungen Hugo's annahm. Ep. 114 han-
delt nicht von der Gefangenschaft der Königinn Emmaf
ep. 134 betrifft eine arithmetische Aufgabe und nicht
die Verzweiflung Gerberts an dem glücklichen Aus-
gang der Dinge, eben so wenig wie'ep. 146, der ein
Geschäftsbrief ist, und ep. 10 D, der sich auf ganz
andre Dinge bezieht (p. 77 n. 3). Ibidem n. 4. mag
118 statt 115 Druckfehler sein. Wie kalin aber der
Vf. p* 80 glauben, dafs es in der Tbephania Macht
gestandeil habe, den erzbischöflichen Stuhl von Rheims,
der Metropole Frankreichs, zu besetzen. Auch sagt
ep. 152. gar nicht, dafs man die Theophania darum
angegangen, eben so wenig wie ep. 117 den Namen
des (deutschen) Bisthums angiebt, das durch ihren
Ehiflufs Gerbert übertragen .werden sollte. Aus ep.
8 D, welche Belegstelle Hr. H. dem Leser aufzusu-
chen überläfrt, darf er wohl nicht schliefsen, «dafs
PapH SylveMter IL ^ 820
Rheims im Spätherbst eingenommen worden, wie ei
denn übeifhaupt zweifelhaft erscheinen- möchte, ob
dies schon im Jahre 988 erfolgt ist.
Im Allgemeinen tritt aber in dieser Partie der Dar*
Stellung des Hrm Vfs. die schon obM gerügte Usfo
stimmtbeit in der Chronologie aufs * Störendste uod
Unangenehmste hervor. Obwohl hier ''zu seiner Est-
sohnldigung angeführt werden murs, dafs keine Periode
armer an einigermaisett volisfandigen, genatt ehroM«'
logischen Aufzeichnungen ist; so hätte doch ein ge.
naues Studium der Acten ie9 Baseler Concils und det
Briefes Gerberts an Wilderold von Strafsburg deoi'
Vf. die bedeutendsten Momente zu einer cbronologi-
sphen Fixirnng der Ereignisse an die Hand gegeben.
Vor allen hätte er den trefflichen Pagi ad. b« an. bo*
nutzen sollen. Er würde z. B. gefenden haben, dair
die Briefe an den Papst über den Verrath Aroulfr ior
December 989 abgefafst worden sind, da es in den
Acten des Baseler Concils, gebalten den 17. Juni 991,
heifst (ap* Mansi 19. p. 161) : sed neque primati Ro»
mann injuriam illjitam, cum per 18 menses Utteris et
legatis commonitus respoAdere nobierit, eine Angabe^
die Gerbert auf dem Mouaoner Concil ib. p. 195 wie-
derholt Ebenso hätte er aus der Ep. ad Wüder. Ar.
p. 154 ersehen könne, dafs auch Arnulf 18 Monat laog
ermahnt worden ist, dies aber, da er kurz vor dem
Baseler Concil mit dem Könrge sich versöhnte, gegeo
den 1. Nov. 989 fallen mufs. Hr. H. würde hierbei
ohne Zweifel auf chronologische Schwierigkeiten gs-
stofsen sein, wie ^ die p. 130 von den 11 Monaten.
Aber der Scharfsinn, der ihn nie verläfst, wenn er sidi
einmal zu jenen mikrologischen Forschungen bequemt^
würde sie ihn sicherlich haben lösen lassen« Das \a^
ben eines so ausgezeichneten Mannes war es weU
werth, in solche mühseligen, aber doch nur allehi %viä
Zwecke führenden Untersuchungen einzugehn. In d«
Gestalt aber, in welcher diese Partie A6^ Werks des
Hrn. Vfs. uns vorliegt, ermangelt sio" gänzlich eisee
wissenschaftlichen Charakters. Sie bietet uns w^tar
nichts, als Auszüge aus. den am finde doch sehr si*
gänglicheu GoncilienacteU' nnd Briefen Gerberta.
Und doch sind diese Excerj^te in Betre£f der Vs^
handlnngen auf dem Concil zu Basel niebt einmal rieb»
tig und ganz getreu. Dem Vf. ist hier, wie wir glafr
beji, sein Standpunkt als Katholik an der Erkeftnuag
der Wahrheit hinderlich gewesen itnd \M, sein^ KliA
cai
Hockj G0rUr$ 9der I^H SyU^ter It.
•of Alywege gefiüirt. Dieiet Coacil (welches die oa«
rialistiscbeQ Sebrifteteller und noch nealich Hr. Coaat.
Böfler io der ReceosiOB dieges Werkes nur coBcilia*
briam Bennen, und dessen Acten unser Vf.; nach dem
Torgange du Chesne's, nur unter dem Titel htstoria
depofiilionis Amulfi citirt) ist für die Geschichte des
Papstthums von der höchsten Wichtigkeit. Nachdem
nfimlioh Hugo von Frankreich^ und die Bischöfe seines
Laadtfs 18 Monat Tergebfich beim ll^apst Johann XV.
um Absetzung und Bestrafung des verrätherischen
Arnulf von Rheims angehalten^ wurde den 17. Juni
S81 (nickt den 16.^ wie p. 93 steht) unter dem Vor-
süse des Bisehofs Signin von Sens su St Basol bei
Rbeims eine Synode franzSsischer Bischöfe gehalten,
welche, nach Prüfung der Anklage und dem freiwilli-
gen Geständnisse Arnulfs, diesen seiner VTürde ent-
setzte. Später wurde Gerbert statt seiner erwählt,
kenale sidi aber nicht gegen die Benähungen des Pap-
atee haken und mufste seinen Sitz anheben. Die Ac-
ten dieser Sjnode, von Gerbert selbst verfafst, erreg-
ten von dem Augenblick ihrer Bekanntmachung an den
grofsten Streit. Baronius erklärte sie für eine Erfin-
dung Gerberts, um seine Intrusion zu rechtfertigen j
Neuere, wie Mansi, haben dem mit Reckt Widerspro«
eiien. Hr. U. erkennt an, dafs sie von Gerbert ber-
rahren, hält sie aber fiir späterbin interpolirt und kann
daher jedenCslIs nur die Abkürzung, welche du Chesne
tonn. IV* gegeben, „als den gereinigten und wieder-
hergestellten Urtext ansehn" (p. 188).
Es fragt sich, mit vrelchem Reobtet Wenn da
Cftesne, wie der Verf. selbst eingesteht, nicht erklärt
hat, ob er abgekfirzt oder aus anderen Quellen ge-
schöpft habe; so hätte dies ihn doch etwas stutzig
machen scdfeu, um so mehr, als man in dieser Aus-
gabe an vielen Stellen die Abkürzungszeichen -* :
fiadet, und du Chesne selbst dMi Acten den Titel giebt:
fr^agmenia divers, seript. de rebus llngonis, also klar
lamit anzeigt, dafs er nichts Ganzes geben will. In
leo irollständigen Acten kommen die grofsten Anzüg-
lichkeiten auf Rom vor; als du Chesne seinen vierten
»
Band der Script. >er. Ht. herausgab (1641), stand der
rsMKdsMohe Hof in der firenadsohaftlicbsten Verbiodung
nit dem damaligen Papst Ui^ban VBL Was ist na-
urlidier, als dafs der Herausgeber aus Rücksicht auf
tie Verhältnisse Jene Invectiven aasliefs, ohife dadurch
iber zu erklären, dafs er sie für Interpolationen halte«
thut Hr. H., und während selbst Maust o«
28 die Rede Arnulfs von Orleans, worin gegen die
Anmafsungen Roms gedonnert wird, 'al|i die Vis tetiui
concilü bezeichnet,' ttbergeht unser Verf. sie mit Still*
schweigen. Hr. Const. Höfler kann den Ghrund hier«»
von nicht einsehen, aber es ist unzweifelhaft die^e He«
de, welche Hr. H. als Interpolation, befrachtet. Zwas
hat Arnulf sie grade so nicht gehalten, und Cierbevl
gesteht selbst ein, dafs er verschiedene Aeufsermgea.
Arnulfs zu einer Rede verbunden habe. Aber Niemand^
selbst unter den KathoKken, hat sie je Gerbert abge«
sprechen, und Jeder Unbefangene, der nur einigenna*
fsen mit der Redeweise desselben vertraut ist, wird
ohne Zweifel wegen jener gesuchten Classicität and
jener Reniiuiscenzen aus Cicero sie fnr acht gerberti«
nisch halten. Warum ist also Hr. H. von der bishet
allgemein gültigen Ansiebt abgegangen! Oerbert äo«
fsert sich dort aufs Heftigste gegen die auf die fal^
sehen Deoretalen gestützten Anmafsungen der Päpdte,.
so wie gegen die furchtbare Sittenverderbnifs detseW
ben; er vertheidigt aufs Wärmste die Freiheiten der
Kirche. Der Vf. hält es für unmöglich, dafs selche
Schmähungen von seinem Helden (diese Gestalt hat
Gerbert unter seinen Händen gewonnen) hätten ans*
gehn können. Und doch ist Nichts wahrhafter als die«',
ses. Gerbert selbst, nachdem er sich in jenem Briefe
an Wilderold in ähnlichem Sinne ■ über denselben 6e«
genstand geäufsert hat, fugt znm Ueberflnfs noch hin«
zu:. de quibus omnibus in Remensi concilio plenius ex-
posuimus (Mansi 19 p. 164). Der Verf. kaniite den
Briefs wie soll man es nennen, wenn er dann noch an
Interpolationen glaubt! Es ist wenigstens eine arge-
Selbsttäuschung $ aber dadurch geht ihm grade der
bedeutendste, wahrhaft wehbistorisebe Moment in Ger-
berts Leben verloren. Jener Streit mit dem päpstli-
chen Stuhle entbehrt in des Vfs. Darstellung' seiner
eigentlichen, geistigen Grundlage, der Bedeutung ftlr
die Freiheiten der gallicanischen Kirche. Nur so oben*
hin wird p. 106 aus dem Briefe an Siguin der Mei-
nung Gerberts über die Deoretalen gedacht, sonst er-
scheint dieser Streit bei Hm. H. als ein rein persön-
licher, und doch wie viele Momente würde er in al-
len Schriften Gerberts fiir eine detaillirte Auseinander-
setzung dieser Bestrebungen gefunden haben, wenn er
es der Mühe werth gehalten, darauf einzugehn. Wir
wollen. nur nach dem Vorgange unseres verehrten Ne-
623 Kamenski u» L^owxaWy Verzeichnif» der
ander (Kirch. Gesch. IV) p. 140) daran erinnern, dafa
in Gerberts GlaubeHsbekenntnirs wohl die katholische
Kirche und die Vier allgemeinen Synoden anerkannt,
der römischen Kirche aber, so \7ie der den Nachfol-
gern Petri übetragenen Gewalt gar nicht Erwähnuug
geschieht. Dafs er die^e letztere ganz abzuleugnen
gesonnen, möchte am deutlichsten aus seinem Scrmo
de informatione Episcoporum hervorgehn, in welchem
es Keifst: Repetituni est ei (Petro) a Domino tertio:
Pasce oves meas. Quas oves, quem gregem non so-
him tunc beatus suscepit Apostolus, sed et noffucum
eas aecepit et ct^m illo eae euscepimuM omnei. Unde
regendo Sacerdotibus contraduntur. (Bouquet X, p.'
413. n. c.) Eine Ansicht, die aufs schlagendste von
einer Stelle des von Höfler (Münch. gel. Anz. 1837. p.
175) bekannt gemachten Richer bestätigt wird. In die-
ser wird berichtet, die französischen Bischöfe hätten
unter dem Vorsitze Gerberts zuChela eine Synode ge-
baltep, Ton deren Acten ein Artikel ausdrücklich fest-
setze, dafs das, was von dem römischen Papste gegen
die Decrete der Väter (des Concils zu Kasol) augefuhrt
werde^ als nichtig und ungeschehen zu betrachten sei,
da der Apostel befehle, man solle einen ketzerischen
und mit der Kirche nicht übereinstimmenden Menschen
gänzlich meiden.
Diese freie Stellung Gerbert*s der Kirche gegen-
über, die ihm in diesen Zeiten ganz^ allein cigentbüm-
lich ist, ignorirt der Vf. beinahe ganz. Was p. 157
darüber gesagt wird, bezeichnet sie wenigstens durch-
aus nicht. .Es konnte al&o um so weniger seine Sa-
che sein, die Folgen anzugeben, welche der für Gerbert
unglückliche Ausgang des Btreites dadurch für die
ganze Kirche gehabt, dafs nämlich jene Decretaleit über
Berufung von Provincialconcilien (von der auch Wal-
ter Lehrb. des Kirchenrechts p. 159 eingesteht, dafs
sie im Vergleich mit der Disciplin des nennten Jahr-
hunderts als neues Recht enthaltend zu betrachten sei)
bei dieser Gelegenheit siegreich Tom Papste gegen die
französischen Bischöfe behauptet wurden.
(Der Beschlaft fol^t.)
XXXIX.
KATA.lOr'b KmnaucKHMi» h jinoucKHM'b sjuiraMi» etc*
(Verxeichnifs der ^Chinesuchen und Japanischen
1
Ckineiiichen und Japaniechen Bücher. 624*
BUrheTy welche !fur Bibliothek der kaiserL jfftfi-
siechen Akademie der IVissenechaften gekoren.)
Auf Befehl dee Präeidenten der Akademie und
Ministers der Folks-Avfklärungy Sergei-SemenB» -
feit seh von Uwarott'y neu abgefa/st von Paul Ka>
menski und Stephan Lipoufxow. St. Peierh
bürg. 1839. 57 Seiten.
Die Chinesischen, Mandschuischen und Japanischen Sdi&Us
der auf dem Titel erwähnten Bibliothek, welche bald durch
Ankauf eines Theils der Baron Schilling'schen Sammlung
noch ansehnlich Termehrt werden dürften, sind in rorUegendea
Verzeichnisse unter folgenden Rubriken classilicirt: 1) TAesfs*
gisc/i« Werke, Enthalten das VorsügÜchste, was von kathott*
sehen Mis^ionairen in Chinesischer Sprache geschrieben woirdM.
44 Nummern. 2; Philo*ophuclie Werke, Die kanonischeD B8-
cher in vielen Ausgaben mit und ohne Commentare; die Schrif-
ten des berühmten Erklärers Ticha^hi u. s. w. 2Ü Nummen.
3) Moralische Werke. 17 Nummern. 4) Schulbücher. 20 Nm-
mern; 6) DUhterwtrke. 6 Nummern. Darunter ein stattiidici
Exemplar Yon Kaiser Kian-'lung s Panegyricua auf die Stadt
Mukden. 6) HiUorUcht Werke. Die groCsen Reichs -Anaalci,
die besten und bequemsten Reichsgeschichten in kürzerer Fat*
sung, und mehrere wichtige Special-Historien. 40 Nummern. 7)
Geographüdhe Werke. Darunter die grofse Reichs-Geograpbie ii
23 Europfiischen Bänden. 14 Nummern. 8) Aetronomitke wd
maihematuche Werke. 20 Nummern. 9) Legülative und ttsiult
uhe Werke. Darunter die groiäe Statistik des chinesischen Kei«
ches in 139 chines. Heften 15 Nummern. 10) MedisMiuk
Werke. 19 Nummern. 11) NaturhutortMche Werke. 5 Nummen.
12) Oekonomische Werke, 4 Nummern. 13) MilüairücheWerh.
4Non[imern. 14) Wörierbücher. 13 Nummern. Die besten undbraudi*
barsten lexicalischen Werke für die Kenntnifs des Ckinesischci,
Mandschuischen und Mongolischen. 15) Anekdoient Mikrekut
Mannigfaltigei, Diese. Rubrik enthült Alles, was seinem Inball
zufolge in die übrigen Rubriken nicht passen will, als s. 6*
Betten, Romane, Komödien u. s. w. 27 Nummern. 10) Japsaiicii
Bücher. 29 Nummern. 17) ChincMche Pläne und Karten. \^
Nummern. '.
Zu tadeln ist an diese^i Kataloge, dafii seine Verf. bv
über die fast altbekannten und schon bis zam Ueberdrusse b»'
sprochenen kanonischen Bücher etwas Ausführliches sage», tai
allen übrigen aber beinahe ohne Ausnahme die nackten Titd
angeben, oder den ungefähren Inhalt mit ein Paar Worten aa-
deuten. Aufserdem erhalten wir die chinesischen Büchertitd
nicht einmal in europäischer Umschreibung, geschweige deai
in Original -Cliarakteren, welcher Mangel die nothwendtge fo\l^
hat, dafs die meisten Werke, sofern man sie nur aMS dem Vs^
zeicbnisse kennen lernt, gar nicht recognoscirt werden kiHmcs.
Schott.
wissen
JW 7».
Jahr bttc her
u r
Schaft liehe
October 1839.
Kritik
Qerbert oder Papst Sylvester IL umd sein Jakr^'
kwuhrtj ton Dr^ C. F. Hoch.
r
(Sehluis.)
Et ist wobi hier der Ort^ Eioigea über die Art und
Weite sagen, wie Hr. H. den Charakter Gerbert's auf-
gefafst bat (p. 144 sq.)« Wir untersohreibeo aus toI«
1er UeberzeuguDg das Lob, welches er seinem bren-
nendsD Durst uach Wissensohaft, seiaen für jene Zei-
tsB an Umfang und Tiefe bewundmngswiirdigen Kennt*
Bissen ertbeiitj er ist ein leuobtendes Meteor in der
Nacbt des. Mittelalters, und Jabrbunderte lang erscheint
er den Abendländern im magischen Lichte der Sage
als ein Zauberer, dem der Bund mit ^en unteren Ai äoh-
tso jene Fülle übermenschlichen Wissens Terlieben. Der
Vf. vergleicht ihn daher sehr treffend mit Faust, scheint
aber, was seine sittlichen Eigenschaften betrifft, durch
eine Jange Beschäftigung mit einem so ausgezeichne-
ten Charakter eine Vorliebe für ihn gewonnen su ha-
ben, die ihn dessen schwache Seiten yerkennen läfst.
Gerbert war keineswegs so demfithig, mitleidig, gütig,
Ters({bnlich und nachsichtig, wie der Vf. behauptet; er
seigte sich im Gegentheil auf allen Scliritten seines
Tieibewegten Lebens von unersättlichem Ehrgeiz ge^
trieben und von einer weltlichen Geainnung bewegt, die
ueht dem demttthigen Priester Gottes geziemt. Immer
ist sein Hern von der Sorge um äufsere Dinge erf&Ut,
lud zeigt beinah nie, selbst in den wärmsten Ergie-
fsttttgen der Freundschaft nicht, jene Lebenswärme und
Frische des Gefühls, jene Tiefe der Andacht und jenen
steten .innern Bezug aller Gedanken anf Gott, wie wir
dieses bei Adalbert, Ramuold und andern heiligen Män-
nern seiner Zeit finden*
Hrr H. lobt Gerbert*s Anhänglichkeit und Liebe
ffir das Hans der Ottonen, und mit vollem Rechte*
Aber diese Liebe vrar eioe interessirte ; die Ottonen
wjaren Gebieter der Welt; nur in ihrem Dienste konnte
Jtkrh. /. w%Mni$eK Kriäk. J. 1839. IL Bd.
der ehrgeizige Mönch zu Macht und Würde gelangen.
Es glückte ihm, aber auf seinem vielbewegten Lebena-
pfade verlor er die Unschuld des Herzens, die unwi-
derstehlich gewinnt ; seine Principien waren ihm nicht
innerstes, geistiges Eigenthum, sondern nur Mittel, um
zum Zwecke zu gelangen. Er diente allell Parteien,
und lieh ihnen seine gewandte Feder. Im Namen Carl*«
von Lothringen verfafste er jenen abscheulichen Droh-
brief gegen Theodorich von Metz, unterliefe aber nicht
unmittelbar darauf, in den hohlsten, nichtssagenden
Phrasen ihn* um Verzeihung zu bitten ; jetzt titulirt er
den decQS Romani imperii, welchen er vorher als hj-
pocritarum idea bezeichnet hat ep. 32 u. 33. Er ist fiir
den gefangenen Otto thätig, bleibt aber dennoch in dem
freundschaftlichsten Verkehr mit dem verrätherischen
Ecbert von Trier, ja unterhandelt wahrscheinlich selbst
mit dem Usurpator Heinrich (ep. 38). Lothar heifst
bei ihm in dieser Zeit tjrannus (ep. 49), späterbin aber
Francorum clarissimum sidns (ep. 74). Nach Ludwig's
Tode ist er als Geheimschreiber in den Diensten Uugo's
(ep. 107. 111. 112. 120.), er eifert gegen Carl, der sein
Erbe wiedergewinnen will, und doch schreibt er an des-
sen Neffen : Arnulf (ep. 10 D.) Div. Aug. Lotharii ger-
manne frater heres Regni Regno ezpulsus est. Ejus
aemuli, ut opinio multorum est, inter Reges creati sunt»
QuQ jure legitimus heres ezheredatus est, quo jure
regno privat lis est ! Seine Treue war in diesen Zeiten,
so wie späterhin den Deutschen verdächtig; er brach
mit ihnen, als sich ihm Aussichten auf das Erzbistbum
Rbeims eröffneten ep. 20 D. cf. Ep. ad Wilder, fia.
In dem lOten Briefe dieser Sammlung zeigt er sich
dem Interesse Arnulfs ganz ^geben, er warnt ihn und
fügt hinzu: Inventus est, qui tuas vices sortiatnr. Und
doch war er es sj^lbst, der den Sitz des gestürzten
Freundes einnahm. Diese Duplicität der Gesinnung,
diese sittliche Haltungslosigkeit hätte der Vf. vor Allem
hervorheben müssen. Die Sage hat wenigstens richtig
79
627 Hoeky Gerbet §der
gefühlt, vpon 'sie etwas Dämonisches in diesem Cha-
rakter findet. Wir kehren zur nüheren Beleuchtang
der Forschungen des Hrn. H. zurück. Wenn es ep.
135 beifst: quia etiam obttdio Laudunensis urbis prae-
Jierita pace sequestra inter^lissar est, X CaK Nov. re-
' peteuda, so ist es falsch und flüchtig übersetzt p. 91:
,,Am 1. November 990 hatte diese zweite Belagerung ,
begonnen." Zu der Annahme des Jahres 990 berech-
tigt ihn aufserdcm keine einzige Notiz in den Briefen,
80 wie es auch gänzlich unbegründet ist, dafs Arnulf
ebenfalls in den Mauern der Stadt war. Di^ Nach-
richten, welche Richer (Münchener gel. Anz. 1837. n.
150.) von diesen Vorfallen giebt, würden, wären sie
dem Vf. bekannt gewesen, seine Darstellung wesent*
' lieh modificirt haben. Aus dem fragm. bist. Aq. (du
Chesne II, 635): Episcopus montis Laudunensis As<^*
lious e&domada maj[ors ante Patcha^ in qua est coena
Domini, velut ludas Christum et ipse tradidit Carolum,
hätte er aufserdem den Tag der Einnahme Laou's ge-
nauer bestimmen können. Seltsam ist^ dars er p. 104
-Aea verstümmelten Text ep. 35 D. hunc quoniam fra-
ter • . . sicut per antiquiorem . . • gerulum soripseram
fio übersetzt: „da der Bruder gekommen, wolle er
Nachricht von sich geben." Woher weifs der Verf. p.
113, dafs Gerbert sich itn Spätjahre 994 nach Deutsch-
land begabt Nicht begründet genug scheint uns auch
p. 119 die Annahme^ dafs im Sommer 995 derselbe den
König auf dem Feldzug gegen die Slaven begleitet
habe. Da Otto indefs in diesem Briefe (vor der Ab-
handlung de rationali etc.) schon Imperator heifst, wel-
cher Titel ihm bekanntlich erst nach dem 21. Mai 996
zukam, und Gerbert denselben in itinere Italico im tie-
folge Otto*s geschrieben, den König also nur im Jahre
998 begleitet haben kann; so wird der erwähnte Zug
wohl erst im Jahre 997 stattgefnnden haben, was auch mit
der Angabe des Chron. Qaedlinb. a. h. a. übereinstimmt.
Auffallend war uns, dafs der Vf. p. 130 die an-
gebliche Urkunde Otto's 111. über die Wahl Gerberts
zum Papste, so wie über die ihm geschenkten 8 Graf-
schaften für acht hielt. Sie befindet sich bei Goldast.
Const. Imp. 1,226. und wurde nach Baron ad an. 1191
im Jahre 1339 gefunden, cf. Vitriarins-PfefBnger 1,63.
und 1371. Ihr lohalt ergiebt, däis sie ein und dieselbe
niit der in der bibliotheca Vallicelliana zu Rom befind-
lichen Ottonis IIL improbatio donationum Caroli M. I.
38. fol. 121, von der Pertz Ital. Reise Archiv V, 469
Pap$t Sylvester if. ,628
" i.
berichtet^ ist. Pertz selbst, wie wir ans dem kQrxlich
erscbieneneu 4ten Bande der monumenta (IV, leg. II,
B, 162) ersehen, hält sie für acht, indejn er gich auf
den 158. Brief Gerberts (Duch. II, 826) beruft. Wenn
Otto daselbst bei seiner Abreise aus Italien px jeQcm
Papste sagt: vestroque solatio afqne subsidio primo-
res Italiao relinquimus. Hugoncm Tuscum vobis per
omuia fidum, S. Comitem Spoletinie et Cumerim
praefectum^ cui octo Comüatusy gui eub lue srnt^
veetrum ob amorem contulitnusj noetrumque legatum
eü ad praesene prae/erivtuM^ sq deutetr er damit aoob
nicht im geringsten an, dafs er sie dem päpstlichen
Stuhle geschenkt habe; ganz abgesehen davon, dafs
es keinesweges ausgemacht Ist, dafs die in der Ur-
kunde aufgexä/ilten 8 Grafschaften die in dem Briefe
gemeinten seien. Wir können wenigstens nicht gha-
ben, dafs Otto urkundlich gesagt habe: sicut — do« |
minum nostrum Silvestrum Papam elegimui et Deo
volonte ipsum, serenünmum ordifiokmme et tread-
musj und müssen aufrichtig bekennen, dafs die scharfe
und gründliche Kritik, die Pagi ad Baron, tom. XVI.
p. 391 dieser Urkunde hat zu Theil werden lasseo,
uns vollkommen von ihrer Unäohtheit überzeugt hat.
Schliefslich hätte das für die Litteraturgescbichte
nicht unwichtige Factum, dafs Gerbert noch Cicero^
Schrift de republica gekannt (ep. 87), nicht übers^hea
werden müssen, um so mehr als der von Ang. Mai
gefundene Palimpsest aus dem Kloster Bobbio, dessea
Abt Gerbert bekanntlich war, stammt.
Von p. 166 — 202 folgen Abhandlungen über 6e^
berts Schriften. Wenn hier auch die gelehrten Uote^
Buchungen der Benedictiner (h. litt. d.'l. Fr. VI, p.
577) zur Grundlage gedient haben ; so läfst es der Vf.
docb auch nicht an eigenen Forschungen fehlen. Na-
mentlich mufs die Geschichte der Mathematik für die
gründliche Auseinandersetzung, die hier den Ansichtea
Gerberts geworden, dankbar sein. Im Anhange auid
die vorzüglichsten Briefe, so wie die über ihn spre*
chenden Quellenstcllen abgedruckt«
Bei allen Ausstellungen^ die wir an der Arbeit dei
Hrn.* H. gemacht ^ können wir doch nicht ohne Jen
aufrichtigsten Dank für seine fleifsige and anregeoda
Schrift scheiden, und hegen die Erwartung, ihn recht
bald wieder als einen rüstigen Erforscher des Mittel-
alters willkommen zu heifsen. Roger W i Im ans.
Düntsetf tUt Ihelmoti9» der
XL.
Dte Declination der indogermanischen SprQchen
nach Bedeutung und Form entwickelt von Dr.
H. Dnntxer. Köln^ 1839. hei Eisen.
Die Flexioneo sowohl der Nomina ala der Verba
Biod es haiiptaächlioh, auf die man bei sprachwissen-
sobaftKofaen Untersuchangen immer zurückznkommen
aich genotbigt siebt^ weil sie den festen Boden bilden,
TOD dem aus man über die n&bere oder entferntere
Yerwandtschaft der Sprachen entscheiden kann: diesen
liat man daher in den indogermanischen Sprachen bis«
her vonogsweise seine Aufmerksamkeit zugewendet,
nnd das Resultat davon ist eine ziemlich allgemeine
Oebereinstimmung der Forscher in den yerglichenen
Flexionen gewesen, so dafs zwar im Einzelnen noch
bei den Verschiedenen Abweichungen übrig blieben, das
Gante aber für immer festgestellt und sicher erscheint.
Werfen wir z. B. einen JSlick auf die Dedinationsfor^
jnen der indogermanischen Sprachen, so ist hier die
formelle lüentit&t der yerscbiedenen Flexionen fast durch-
weg anerkannt, wogegen über die Bedeutung derselben
noch sehr anseinanderliogende Ansichten herrschen : die-
se zu beseitigen oder zu reieinigen ist der Vf. der vor-
liegenden Sdirift bemüht gewesen, und wir wollen daher
Im Folgenden prüfen, inwieweit ihm dies gelungen ist.
Hr. D. läfst seine Untersuchung in zwei Theile,
nämlich „über die Beziehungen des Nomens im Allge-
meinen" und „über die Decliiiationsformen der indo-
germanischen Sprachen** zerfallen, und behandelt zu-
nächst im ersten Kapitel des' ersten Theils die Wort*
kategorie des Nomons' als solche. Im zweiten Kapitel
gebt er darauf auf das Geschlecht des Nomens über,
nnd stellt hier als erste Unterscheidung, welche die
Sprache gemacht habe, den Gegensatz zwischen Le-
i^ndem und Leblosem auf, indem er zugleich Pott's
Ansicht (Et. Forsch. II. 405), das Noutrum sei die letzte
AbstractioD, die der Mensch im Geschlecht mache, als
nngegründet abzuweisen sucht. Ref. mufs gestehen,
dafs er durch das hier sowohl als bei der Formbildung
des Geschlechts Gesagte nicht überzeugt ist; Acker,
(, Pflanze, Baum, Wald, Flufs, Strom, See, Bach,
:, Hügel, Stein, alles dies hatte froheren Geschlech-
tern Leben,' was unserer Abstraction al^ todt erscheint,
nnd eine in's Genauere eingebende Zusammenstellung
dürfte durchaus nicht för die von dem Vf. behauptete
indogermanischen Sprachen. 930
Ansicht sprechen. — Das dritte Kapitel haadell; vom
Numerus des Nomens, und im vierten betrachtet Hr«
D. die Casus, von denen er zunächst den Nominativ
und Vocativ ausschliefst, weil die Casus das Verbält^
nifs andrer Nomina entweder zum Verbum oder zum
Hauptnomen darstellen sollen, und weder Nomin* noch
Voc. dies thun. Aber wie die Casus obliqui dazu die«
neu« das besondre örtljche, oder doch so gedachte Ver«
hältnifs, der abhängigen Nomina zum Subject oder Prü«
dicat zu bezeichnen, oder vielmehr wie der Sprechende
dies Verhältnifs anschaut, wie er es sich denkt, so
dient det Nomin« dazu, das Verhältnifs des Subjecis
zum Hedenden zu bezeichnen, indem es als ein aufser*
halb seiner im Räume Befindliches, oder doch so Ge-
dachtes, als ein Dortiges dargestellt wird; nnd somit
wird durch den Nomin. das atlgetneine örtliche Ver-
hältnifs des Subjects angegeben. Der Vocat. aber ist
seiner Beziehung als Casus nach mit dem Nomin. iden-
tisch, nur dafs er' nicht, das, aufser dem Sobjeot befind-
liche oder so gedachte iff^sprochene, sondern jlnge*
sprochene bezeichnet. — Hr. D. geht darauf zu den
über die Casus vorgebrachten Erklärungen über, und
findet sie sämmtlich ungenügend ; dies liege darin, dah
man den Hauptunterschied zwischen zwei parallellau-
fenden Kasusreihen übersehen habe, nämlich den zwi-
schen adverbialen und adnominalen Casibus. von de-
nen jene eine nähere Bestimmung zum Verbum, diese
zum Nomen fügen. Dieser Unterschied findet aller-
dings statt, nur wird es sich schwerlich beweisen las«
sen, dafs die Sprache fiir denselben verschiedene Ca-
susformen hervorgebracht habe, da in den beigebraoh-
ten Fällen zwar die Art der Beziehung verschieden,
das wirkliche oder gedachte Verhältnifo aber immer^as-
selbe ist. Hr. D. fährt nun fort, die nähere Bestim-
mung des Verbi könne nur eine örtliche sein, -* die
modale erwähnt er hier nicht, sondern erst späterhin (pi
46), wo er sie ebenfalls ala eine örtliche fafst, — diese
nähere örtliche Bestimmung ist die Richtung (vgL Pott
Et. Forsch. II. 358), das Woher und das Wohin oder
Wo $ die beiden letzteren, sagt er, seien dieselben, je
/nachdem der Endpunkt noch als ein erstrebter oder
als ein schon erreichter betrachtet werde* ' Auf diese
Weise erhält dann Hr. D. nur zwei adverbiale Casus,
nämlich einen des Wo und einen des Wober, einen
Dativ und einen Genitiv, von denen jener ursprünglich
zugleich als Casus des Wohin gebraucht worden sein
id
l
ßüfUzery (Üe Declmatimi der indogmrmaniidAenSpraekm*
631
soll, denn 'der Aecusativ ist naoh Hrn. D. eigentlich
adnominal und erst später auch adverbial zur Bezeioh-
mwg der Richtung Wobiii gebrau.cht« Dars nun jener
Casus des Wo ursprünglich anch das Wohin tertre*
ten habe, sucht Hr. D. 1) durch häufige Verwechselung
des Wo und Wohin zu beweisen \ diese kann aber, wenn
aie auch wirklich in einzelnen Fällen zugegeben wer-
den mufs, nicht die ursprüngliche Gleichheit der Casus«
formen beweisen, da soweit unsre Denkmäler indoger-
manischer Sprachen hinaufgehn, sich überall ein Accu-
satir der Richtung wohin? findet, und man auf dieselbe
Weise sowohl den Gas. des Woher mit dem des Wo,
als auch den des Woher mit dem des Wohin identifi*
ciren könnte, weil z. B. im Lat. das Wo bei den Städte-
namen der dritten DecL durch denselben Casus ansge*
drückt wird, wie das Woher (vgl. auch im Grieoh. ig)*
innmv oxtiaOai u. A.), und das Wohin im Grieoh. bei
Präpos. häufig mit dem Cas. des Woher ausgedrückt
wird, so z. B. ini ^d^iimp tpiiyuv (Kühner Grr. Gr. 4*
611. vgl Pott II. 614.). Die scheinbare Verwesphslung,
die im Lat. u. Grieche ziemlich selten, wohl am bau*
figsten im Sanskrit ist, erklärt sich zuweilen durch eine.
Attraotion, z. B. Od. tt. 81. ndfiipm d^ onnij fAtv HQCtdiij
0vft6i XI wXiiii^ oft dadurch, dafs die noch währende
Bewegung als eine schon vollendete gedacht wird, dann
aber auch dadurch, dafs der Ort auf welchen sich die
Bewegung richtet, kein einzelner Punkt ist, sondern ein
grofserer Raum, in welchem sich die Bewegung noch
fortsetzt, so Coelö ü elamary das Geschrei dringt zum
Himmel und durch ihn hin, vanisu gagäma er ging in
d^n Wald und, als er dort angelangt, weiter in demselben.
Dafs aber umgekehrt das Wohin zuweilen zur Bezeich-
nung des Wo gebraucht wird, erklärt sich aus der Na-
t^r solcher Verba, die mit dem intransitiven Sinn einen
transitiven verbinden können, dann aber auch oft dar-
aus, dafs bei den verbis die sitzen, stehen, liegen, weh*
neu bedeuten, neben den durch sie ausgedrückten Zu-
ständen zugleidi auch eine denselben vorangegangene
Bewegung ausgedrückt werden soll, wie z. B« in der
von Hm. D. aus Soph. Trach. v. 100. angeführten
Stelle OT^i^* al fih t6vdt tfißo9 al d* äXkov ojfiov^ so
auch im Sanskr. z. B. Mahäbh. 111. Qalyap. v. 2023.
rdhinfm nivasati priyamänö; 2) sucht Hr. D. seine
Ansicht dadurch zu beweisen, dafs manche Sprachen
überhaupt, andre in besondern Fällen keinen Accusa-
(Der Besehlafs folgt)
tiv haben, aber daraus, geht nicht hervor, dars sie
nicht in irgend einer frühem Zeit einen solchen gebakt
haben können, zumal da die Sprachen die Bezeichnung
des Accusativ's am ersten aufgeben^ weil sich das acco.
sative Verhältnifs am leichtesten aus dem Ganzen des »
Satzes ergiebt. In den Fällen, wo gar kein Acc voh
banden ist, mufste Hr. D. nachweisen, dafs das aocn*
sative Verhältnifs nun auch wirklich durch den Dotlr
ausgedrückt werde. Die wenigen Beispiele wo J)at o.
Acc. gleichlautend sind, beruhen entweder aaf allmik
liger Entstellung aus verschiedener Form, wie z. B. ni^
derd. mi (mir und micA)^ oder es sind Urformen, die
noch gar kein besonderes Casusverhältnjfs bezeichnen,
wie ich z, B. - glaube, dafs das m& im Sanskr. und das
alte lat. me für mihi, das Hr. D. p< 43 anfuhrt, das
sich jedoch auch in den angeführten Stellen als Accus,
fassen läfst, solche sind ; den besten Beweis, dafs aot
che Formen sich neben vollständigen Flexionen liem-
lich lange erhalten, hat jetzt Rosen im Rig. V.Ma, An-
not. p. XXVIII; geliefert, wo, er zeigt, dafs asmifiir
alle 7 Casus im Plur. des Pron. der Isten Person ohne
Unterschied gebraucht werde. Müssen wir nach dem
eben Gesagten Hrn. D. die ursprünglich gleiche Be-
zeichnung der Verhältnisse Wo und Wohin bestraten,
so können wir auf der andern Seite auch nicht zoge-
ben, dafs die hier als Genitiv und Dativ gefafsten Ca-
sus nur rein adverbiale seien, da namentlich der Loes-
tiv im Sanskr. häufig als erstes Glied eines Composi*
tums der Tatpuruscba benannten Klasse erscheint^ abe
hier oflFenbar adnominal ist, vgl. Bopp gramm. sanscr.
r. 673 u. Päninis VI. 3. 1—24, wo zugleich auch Bei-
spiele andrer mit flectirten Nominibus componirten Sob-
stantiva gegeben werden. — Die beiden von Hm. D.
adverbial genannten Casus erscheinen ihm nun 1) der
Gas. des Wo als Dat. im Laf.^ Griech., German. (hiei
hat sich dann aus dem Dat. noch ein Instrumentalis
entwickelt), femer als Locativ im Sanskr., Zend, Alt-
slav. n, Litth., von denen dip letzteren den Locat. so-
gleich als Dat. gebrauchen ; 2) der Gas. des Wober ab
Genit. im Lat., Griech,, Genn., Altslav. n.^ Litth. bn
Sanskr. uod Zend hat sich aus dem Genit. ein Instroio.
entwickelt (so auch im Altslav. u. Litth.), und zorGo-
staltung eines eigentlichen Dativs sind. Genitiv, und Lo-
cativ zusammengetreten.
jr 80.
Jahrbücher
für
wissenschaftliche Kritik.
October 1839.
Die DecUnation der mdogermamtchen Sprachen
nach Bedeutung und Form entwickelt von Dr. .
ff. Düntzer.
(Schlnfii.)
Darauf geht der Vf. zu den adnenuDalen Casibus,
über, and sagt wie die ganze Personenwelt in den drei
perafittttohen Pronooiinibiis ihren drtlieh pronominellen
AntdmfTlr erhalten habe» so habe die Sprache zur Be»
seiehnang de« Verhältnisees der Nomina untereinander
drei jenen .Pronominibas parallellaufende Casus gebil*
det' Dean leh als der V(»rbindnng der denkendeü und
gedaobten Person entspricht ihm die Verbindung der
Nomina, wenii zwei wie zu einem Begriffe zusammen»
treten, indem das eine sich in dem andern manifestirf,
«ad das andre in diesem und durch dieses Wirkung
empfangt, so dafs Handelndes und Behandeltes als die
beiden Seiten der Handlung toiit einander zu einem Gän-
sen sieh Tereinigen. Dies sucht der Vf. an dem Satze
^,der Vater schlägt den Sohn'* durchzufuhren, aber hier
wie in allen dem gleidien F&llen ist es ja irgend eine
allgenieine Thätigkeit, welche dadurch, dafs sie sich an
tinem bestimmten Objecto ftnfsert, als eine besondre er-
schein^ und so in diesem Olyecte eine nähere Bestimm
muDg hat; derAcc. gehört demnach als nähere Bestim-
nnng zunächst zum Prädikat, und die Sprachen drficken
dies auweilea sogar, was der deutlichste Beweis für
nnare Ansicht ist, durch Compösitipn des accusatiTea
NoQiens .mit dem Verbum aus, wie z. B»^ im Deutschen
in „rathschlagen*' u. a. und im Sanskr. in Zusammen-
setzungen mit dem Verb. JM (vgU Bopp gramm. sause.
T. 653, Lassen AnthoL p. 201.) ; dafs aber der Acc.
sudrerseits auch adoominal gebraucht werde, zeigen
liüafige Beispiele und am unwiderlegÜchsten indische
Composita wie Pnrandaras, Dhanangayas n. b. . Der Vf.
behauptet aber, * dafs der Accus, eigentlich nur zum
Nomen nicht zum Verb, gehöre, was daraus henrorgeh^
Jdkrh, f.' wuun%€k. Kritik. J. 1830. ü Bd.
dafs z. B. im Lat. alle Bedeutungen so gefafst werden
können, dafs sie zum Nomen gehören, viele dagegen es
müssen. Hier aber yertnifst man eine tiefet Begrün^»
düng, da mit den wenigen Bedeutungen die hier und
im Anhang gegeben werden, die Sache nicht entscbie*
den wird. -— Im Genit. erkennt der Vf. das du als die
Verschiedenheit der denkenden und gedachten Person
mit der Beziehung, dafs der mit Du Angeredete in ei«
ner äufsern Verbindung mit dem Denkenden steht, und
theilt ihm deshalb das Verhältnifs der An- und Abbän*
gigkeit zu. Da sich nun aber nicht alle Fälle, wo der
Genitiv gebraucht wird, so erklären lassen, nimmt Hr.
D. an, dais sich dieser Casus mit dem adverbialen viel-
facli durchkreuzt habe, und sich beide dergestalt ver-
wirrten, dafs sie in den indog. Sprachen sich zu einem
Casus vereinigten, indem bald diese bald jene Endung
in Anspruch genommen wurde. Hier giebt Hr. D. also
selbst die Unmöglichkeit der Scheidung beider Casus
zu. — . Im Ablativ findet der Vf. Verschiedenheit nebst
Trennung ansgedräckt, entsprechend dem Pron. der
dritten Person; auch dieser Casus hat sich aber mit et-
nem andern vermischt, pämlich mit dem des Woher
(p. 48. 49) und somit läfst sich auch hier nicht mehr
genau, scheiden. Der Vf. mufs demnacb die Möglich-
keit ober andern als rein- adnominalen Beziehung bei
allen drei Casibus zugeben, und so wurde es ihm da-
her schwer sein^ selbst wenn die Casusformen keine
andre Erklärung zuliefsen, seine Hypothese mit diesen
Mitteln durchzuführen. Jedenfalls verdient^ aber doch
der hier angeregte Unterschied einer sorgfältigen B^
achtnng, da er fttr die Syntax von nicht unbedeutender
Wichtigkeit ist. •»
Im zweiten Theile sucht nun Hr. D. seine Ansich-
ten durch Zusammenstellung der Deolinationsfonnen an
diesen zu beweisen und handelt hier im ersten Kap.
vom Genus. Er erkennt als Genuszeichen der Masc«
\L Fem. #, als aus dem Pron. der zweiten Person, der
80
635 DüntxeTy Jü Deelmation der
Neutra t^ als aus dem Fron, der 3ten Person genotn-
nueo, an dessen Stelle dann später das accusatire m
getreten sei, das aber nachher bei vielen Stämmen wie-
der Terloron ging ^. Wir . haben obep bereits zn zei-
gen versucht, dafs der Nom* ein Casus, und daher
das Kennzeichen desselben ein Casus- und kein 6e-
schleehtszeichen sei; das letztere scheint uns um so
mehr unmdglich als man nicht einsieht, warum nur der
Nom. nicht auch die übrigen Casus aller Numeri das
Geschlecht bezeichnen sollten. Wenn Hr. D. bei Be*
urtheilung d^r Ansicht des Hrn« Prof. Bopp, daTs dasPron.
der S.Person Nominativzeichen sei, fragt, welchen Grund
die Sprache gehabt habe, das t im Masc. o. Fem. in
# zu verwandeb, so kann man nur antworten, ^densel-
ben, aus welchem im Nom. sing. masc. u. fem. des Pro-
nomens selber s aus t hervorging, ohne dals man an-
zunehmen brauchte, das s sei schon fertig ans dem
Pronomen heriibergenommen worden. Dafs der Nomin.
MOB gegen jene Annahme spräche, können wir nicht fin-
den, er läfst sich auf dieselbe Weise erklären, wie die
griecb. Form der 2. Pers. sing^. auf a^^a u. Aehnliches. —
Im zweiteil Kap. behandelt Hr. D. die Formen des Nu-
merus. Indem er davon aasgeht, es sei sehr wahr^
scheinlich, dafs das Verbum in Bezeichnung des Nume-
rus dieselbe Bildungsart befolge wie das Nomen, geht
er zunächst auf die Betrachtung der Personalendungen
des Verbi ein^ und findet, dafs dieses m zur Kenn-
seichnong des Dual, $ zu der des Plural verwende,
eine Ansicht, gegen welche der gewichtige Umstand
spricht, dafs grade das Präs. des Parasm. im Sanskr.,
das, durchweg ältere und vollere Formen im Gegensatz
zu den historischen Temporibus -zeigt, im Dual das
Kennzeichen # hat, was Hr. D. nicht weiter berfioksich-
tigt hat, und dafs ferner auch die 2te u. 3te pers. du.
im redupl. Prät. # zeigen, wovon Hr. D. den Grund
darin sieht^ dafs die Sprache fär das Prät. eine kräf-
tigere Form haben wollte und dazu das plurale «ge-
wählt habe ; indefs ist nicht gut einzusehen^ warum die in
^ Ref. hfilt dies m für identisch mit t, das nach seiner An-
sicht ursprünglich allen Neutris sukam, dann aber bei den
a-Stäminea in Annsrara überginge, bei den andern abfiel.
Ueber dep Wechsel zwischen diesen beiden Lauten hat er
sich bereits in seiner AbhandL de Conjug. in /i» BeroK ap.
Dummler 1S37. ausgesprochen. Als Rest der neutralen No-
ihinatiTbezeicbnung durch t erscheint ihm ^atat f8r <atam
Rosen R. V. p. 995. 1.
inthgermanuehen Spraeken*
den Personalendungen ausgedrückte Zweiheit grtde im
Prät. stärker. hervorgehoben werden sollte als a&de^
wärts. In dem m des Dual erkennt nun Hr. D. das
Pron. -der Isten, so wie im # das der 2ten Person, in-
dem er annimmt^ dafs diese Nomeralbeseiebnang «ich
suerät am Pronomen der ersteq Person g^ebildet, dies
also den Dual durch ich -H ich, den Plural durch ich -f
du ausgedrückt habe, und tou da auf Nomina nsd
Verba fibergegangen sei ; ferner sacht er dann bei des
einzelnen Casibus nachzuweisen, dafs diese Numarsl-
beseichnung nicht blos dem Nomio., sondeni allen Csp
sibns anhafte^ worüber auch bereits Pott gehandelt (Et>
Forsch. II. S. 628 ff.). Wenn nun auch Ref. in leti*
terer Hinsicht, was das Princip anbetrifft, mit dem Tf.
fibereinstimmt, so kann er doch die hier gebotene Ait
der Beseichnnng nicht billigen; das m ist wie beb
Verbum eben so wenig beim Nomen aussehliefslichei
I)ualkennzeichen, das zeigen die zendisohen Formes
auf Aos der masc, und £s der fem.> die Hn D. nicbt
dadurch abweisen kann, dafs er sagt jene >sei ploni»
weil im Plural auch Formen auf äo' Torkonuaen, ws»
mal da er ja die Richtiglceit der Ableitung des Bn.
Professor Bopp, der te aus ajäos entstehen läfot, ai^
erkennt: denn will Hr. D. ayäos als Plural nebmo^
so geht dies nicht an, da die Fem. auf ä im Sandb
und Zend nur äs. und äo zeigen, will er es als Dual
nehmen, so widerspricht das s dem als ursprünglich sa-
genommenen m. Ferner widerstrf^ht dieser Ansicht
auch das s des Gen. Loc. Du. im Sanskrit, dessen E^
klärung aus mas s uas "^ ds (p. 95) aiok sdiwarlidi
wird begründen lassen (hier dürlBte Hr. D, .die fibrigesi
npch zu bezweifelnde Form des Gen. Du. auf ä will*
konmaen sein, Rosen R V. Annot. p. XXIU. YH, 2.)»
und die neutrale Endung i, in welcher der Vf. das i»
monstrative i sieht, was auch Pott Et. Forsdi. U. p.
629 thot. Endlich findet sich aber grade im P^oa. dei
ersten Person, von dem die Bezeiohnung ausg^angen
sein soll, auch wenn wir vom Gen« Plur. absehen, doch
noch im Dat Abi. Plur. u^fnoByam^ so wie im Nein*
wayam ein m statt #, und dasselbe findet im Pros, d«
2ten Person statt. Demnach müssen wir m als lu^
sprüngliches Dualzeicfaen gänzlich von der Hand «tt"
Ben. — Als allgemeines Pluraizeiehen sucht Hr. D. i
nachzuweisen (vgl. Pott U, 629 ff.), das jedoeh im
Nom. und Accus, in einigen Fällen dem demonstrsti»
?en i gewichen ist \ dies • bleibt aber jedenfalls m ei*
6S7
JHMm$r^ die DeeUnaiion der indogertmmieehen SpraeAen.
Dfgen Owibns^ WU Pott dargethan bat^ sehr fragKcb,
; and dann bat es ' scb verliob den Ursprung, den ibm
Hr. D. zuschreibt f wir erkennen' nftmlicb in ihm mit
Hm. Prof. Bopp das Pron. der 3ten Person, vas uns
aus dem Accus, im Sanskrit am allerdeutlicbsten. her-
Torui'gebn scbemt, denn 1) wird in den Yiden oft swi-
sohen Accusative des Plurals auf n und einem folgen«
den 8 ein t emgesciioben (s. Rosen R. V. p. 13. 6;
22! 6; 152. 2. cf. PAo. VUI. 3. 39), dann auch zuwei-
len ein s oder Visarga (PAn. VHI. 3. 5, 8, 10) vor an-
dern Buchstaben; 2) 6nden sich in den V^den noch
Accusative auf nr yon Wörtern auf i und u vor Vo--
ealea (s. Rosen R. V. Annot XXXIX, 5); 3) findet
sich in den Sobolien zum PAninis (VII, 1. 39) das Bei*
spiel eines alten Accus. Plnr. auf t (na tat brabma-
uAt nindauMi na tAn brAlmiauAn iti IdkA). Die ursprfing-
Uohe Form sdieint mir demiutcb die in dem ersten Falle
eriuiltene, nAmHch nt zu sein ; im nr ist das t schon
in 8 und daraus wegen des yorbergebenden i und u,
dessen Wirkung durch das n nicht geschwächt wurde,
in r Terwandelt; der letzte Fall zeigt eine deuFemini-
nis auf & ganz analoge Bildung, nur ist das t noch
nicht in s verwandelt. Dafs t, s, Visarga im ersten
Falle kein eupl\onischer Einschub sei, geht aus den
in demselben Kapitel des PAninis beigebrachten ana-
logen Beispielen hervor, die alle auf ein ursprfiuglicbes
t aohliefsen lassen. — Im dritten Kapitel gebt Hr. D.
daoB zur Casusbezeichoung über, indem er hier die nach
seiner Meinung zusammengehörigen Casusformen mit- -
dnander v^gleioht. Bei den adverbialen Casibus ist
ihm s Bezeichnung des Wo-, a die des Wober-Casus ; bei
den abdominalen m Bezeichnung des Aoa, s des Genit.,
i des Ablativ. Die Hauptabweichungen der Verglei-
chnng von der gewöhnlichen Ansicht finden sich hier
bei den adverbialen Casus, der Raum verbietet uns in-
defs diese Zusammenstellungen hier n&her zu betrach-
ten* Dafs die locative Endung des Zend sva, hva
dondi ein a erweitert sei (p. 76), was nur gerade kein
bstrumentales in Hrn. D.'s Sinn sein mufs, scheint
letzt auch der Vedadialeet zu bestätigen (Rosen R, V.
Annot. p. LIX. 15)$ ursprüngliche Länge des instru-
mentalen a auch der masculina' (p. 80) beweisen jetzt
Formen wie hm Rosen p. 47. 3«, bakur^na ib. p. 251.
21. ; -dafs Am nicht die ursprünglich ganze Endung des
Benit Plnr., sondern aim oder aam sei, zeigt das Ale-
hnun sehr häufige wahrscheinlich ging ein sAm voran.
638
Der grfech. Gen. auf oio mufs jedeüfans zu asya gi^
stellt bleiben, um so mehr da dies aus metrischen Grün-
den in den VAden häufig als asia genommen werden
mufs, a fiel daher im Griech«, da es zwischen zwei Vo- ^
calen stand, ans, und oio verhält sich zu dem aus oo
Contrahirten ou wie Xaioirpf zu dem AoL Xaiorpr Etym^
M. p. 658. 28.
Als Anbang giebt Hr. D. nodi eine Nachweisung-
der verschiedenen aus der Urbedeutung hervorgegan-
genen Bedeutungen der Casus nach ihrer Entwicklung
in den klassischen Sprachen j die Ref. nach dra bisher
entwickelten Gründen nur zum Theil billigen kann.
Schliefslich empfehlen wir die kleine Schrift dem Pu-
blikum, wenn auch nicht wegen der darin niedergeleg-
ten Resultate, so doch wegen der guten Zusammen-
stellung des Materials und der darüber vorgebrachten
Ansichten bewährter Sprachforscher, und der in gar
mannichfacher Beziehung anregenden Behandlungsweise
des Verfasjsers.
Dr. A. Kuhn.
XLI.
A Criiical Orammar qf the hebrew language by
Isaae Nordheiner, Prof. of arabicy eyriacy
and other Orient, langg^ and aeting Prof. of
hebrew in the univereiiy of the City of New^
York. In tteo Volumee. Fol. 1. {Orthoepie u.
Etymohgie.) JVew-Tor^, 1838. gr. 8. XXXFI
undiSO S.
Eine kritische Grammatik ia Amerika gehört gewifs zu dea
seltensten Erscheinangen. Dort ist man wohl yon England seit
▼jelen Decennien emancipirt, nicht abef ron Deutschland, wel-
ehesy wenn aoch nicht die Staatsangelegenheiten deic Amerika-
■er, doch das ganze Gebiet ihrer Literatur beherrschti rorziig-
lich Theologie und die damit in Verbindung stehende biblische
Sprachkunde. Wir haben, in Betracht dieses Zustandes der
Dinge, daher, als wir das Buch zur Hand nahmen, nichts anders
erwartet, als eine Uebersetzung eines OefenncMchen oder EweH-
sehen Werks, oder einen Gesenius mit etwas Ewald daruntsr,
wie es Jetat alle Ausländer mit der hebr. Grammatik ma6hen.
Allein wir haben uns zu unsrer grolsen Ueberraschung. Tollkom
men getüuscht. Wir haben wirklieh eine kritische Grammatik
und zwar eine Originalarbeit rer uns. Die Glaubwürdigkeit
unsrer Behauptung wird leichter anerkannt werden, wenn wir
dem Leser sagen, da(s der Vf. ein gebmtur Dttuuchtr ist und
dentsche Bildung und Grflndlichkeit in hohem Grade besitzt
Er hat ror wenigen Jahreo, politischer Beschränkung wegen,
639
N^rdheiner^ A Critieai OrammarqftAs keinem bmgyage*
fein Vaterlud Baiern rerluien and in New York einen 1¥ir*
kungskreifl gefunden, in welchem er heilsam - strebt» die Theo-
logie und Philologie in Amerika Mchrifttick^ Theologen und Phi-
lologen aber durdi vffenUichen ünUrrichi ku fordern, lü'ir kön-
nen nicht besser zur Beurtheilung seiner Leistung schreiten, als
wenn wir einige Worte Ton ihm selbst anfuhren, durch welche
er den Standpunkt bezeichnet, auf welchem er steht und von
welchem aus er betrachtet zu werden verlangt Nachdem er
/ in der tiefgedachten und schön geschriebenen l^inleitung erklärt,
dafs die hebrSische Sprache jetzt nicht mehr einseitig vom Um-
fange der Semitischen Dialekte, geschweige denn von ihrem ei
Jenen beschränkten Umfange aus behandelt werden darf, son-
em nur durch das tiefere Eindringen in den Indogermani-
schen (er nennt ihn Indo-European) Sprachstamm gedeutet wer-
den kann, wendet er sieh zu den Trägern der neuern Forschun-
gen auf dem Gebiete der hebr. Philologie, zu Geseniut und
liwüld. Mit Geiet und Sachkenntniis erklärt er sich für 'das
Verdienst beider einereeits, und gegen ihre Mängel andrerseits,
denen er mit Sehonung, wie ein dankbarer Schiller, abzuheilen
strebt Er sagt dann : „Wenn er Cder Verf.) es wagen dürfte,
den Gesichtspunkt anzugeben (the light). aus welchem er' sein
M'erk betracntet zu werden wUnscht in Verhältnifs zu den vor-
mnfgegangenen Arbeiten Jener -beiden ausgezeichneten Philologen
Ge$enni$ und Ewald ; so möchte er bemerken, dals er bei der
, Bildung seiner Ansichten Tollkommen unabhängig: von beiden
geblieben ist. Sein Streben war, sich auf einer, Bahn in der
Mitte der, von jenen Terfolgten Bahnen zu erhalten, eingedenk
dafs*
— „aicnf cerft denigue finet
Quoi ultra eitraque nequU eonsütere rectum.**
. Daher liat der Vf. auf der einen Seite nicht vermieden, die ab-
schreckendsten Gegenstände (the most formidable) der Etymo-
logie selbst bis zii den geringfügigsten Einzelheiten zu verfol-
gen. Er hat sich auch nicht begnügt, zu ihrer Beleuchtung ir-
gend eine gleiche Erscheinung in der aramäischen oder arabi-
schen Sprache als Qrunäform beizubringen. Denn so unerläfs-
lieh die Kenntnifs der Schwesterdialekte auch für das Hebräi-
sche ist, so besteht doch die wahre Anwendung nicht darin, daCi
man blofs parallele Fälle citirt, sondern in der Anwendung der
Grundsätze, welche die Phänomene derselben beherrschen. Gram-
matik ist nicht Lexicon Auf der anderen Seite liefe sich
der Vf. nicht von Neuerungssucbt beherrschen, oder von einem
Verlangen, den Vorgängern au widersprechen. Seine Untersu-
. chung war bestfindig dahin gerichtet, Wahrheit und Einfachheil
zu erreichen." Diesen Grundsätzen e^eniäis bewegen sich nun
wirklich die Bemühnngen des Um N. durch das ganze Buch«
Kr sucht stets die Kegeln und Bildungsgesetze der Grammatik
bis zur möglichsten Einfachheit zurückzuführen, und seine
Leichtigkeit, mancher bisher ungelösten Spracherscheinung einen
hSrbaren Grund abzugewinnen, ist höchst überraschend, und
gleicht nur noch, der Leichtigkeit und Klarheit, mit der er das
Gefundene vorträgt Letzteres ist um so bewundernswerther,
da er, wie er in der Vorrede bescheiden erklärt, sich der engli-
schen Sprache noch nicht für mächtig genug hielt, um in ihr
zn schreiben, und sich daher von Hrn. Wm. W. Turneri einem
Jungen Philologen, unterstützen liefs.
So sehr nun aber auch Hr. N. sich unabhängig diinkt, uhd
80 «ehr er auch von Neuerungssucht frei zu sein vermeint, so
linden wir ihn doch manchmal von letzterer Sünde gelockt, und
^sehr oft abhängig von den beiden deutschen Gelehrten. Die-
ses uäre kein Unrecht, ]a es ist kaum anders möglich; jedoch
Buifs man ehrlich genug sein, es einzugestehen, ohne öffentlich
mit der vermeintUchen Unabhängigkeit zu liebäugeln, Nicht
alle Seiten des Buches haben wir gelesen, ohne auf alte Be-
kannte zu stofsen! Alte Bekannte sind aber hier nur Qe^eniun
und Ewald; von alUm BehannUn^ von Reuthlin bis unt Heizel,
640
haben wir selten einen angetroffen, denn Hr. N« bat «eoirB«>
kanntschaft mit ihnen gemacht- Seine Quellen sind die cram-
matischen Werke des G€9tnüUf aber eine Vorliebe for EwtU
dringt bei der Benutzung des ersteren immer hervor. Kr pflägt '
mit dem Kalbe beider, aber er säet mit Gluck und ehitet mit
Segen. Auf ihren Schultern stehend äi^t er in der Thtt ««•
ter, aber auf das grade Vorl.effende sehn natürlich sie besicr.
Viit leugnen- nicht, dafs er im Vortrage der Regeln und derK^
klärung so vieler Sehwierigkeiten originell ist ; wir beklagen nur,
dafs er inuner originell sein wollte, und daher seinen ScharfBian
oft vor sich hertrieb, bis dieser zu einem Punkte kam, wo
Scharfsinn und Spitzfindigkeit synonym werden.
Ausgezeichnet klar, griindlich und genial finden wir ithr
viele Theile behandelt Wir rechnen dahin die l^ehre von Var
conversivum S. 120, deren Grundlage Michaelis, Hetzel unl Qe-.
senius angehört, dennoch selbst den mit dem Geist der Sprächet
vertrauten Gelehrten in ihrer hier neuen Gestalt ansprechet
niuis. S. 93 if. wird eine Betrachtung angestellt, ob Niphal
ursprünglich passiv von Kai, oder reflexiv sei. Gesenius stiinnt
für die erste Meinung, Ewald für die zweite; Hr. N. vertheidii^
auch ^ie erste, und zwar mit gröfserer Gewandtheit als dura«
gängiger Wahrheit Er hat durchaus vergessen, dafs die rei^
xive Kraft von Niphal immer im Verhältnifs zu Kai steht, wih*
rend die reflexive Kraft des Hiihpael von Fiel bestimmt wiri
Dies kann man an dem von Um. N. selbst angeführten Beispiel
deutiich sehn. Der Erzähler sagt von Adam NSDA^^ er vec-
barg sich ernstftcA, er wollte, im BewuCstsein der Schuld, mckt
gefunden werden. Dagegen sagt Adam selbst NDPNl ichvo^
iUckte michy ich ging nur bei Seite, aus zartem SchaamgefShl,
in dieiem Augenblick ntck$ ge$ehn zu werden.
Nicht ganz glücklich ist Hr. N. in der Angabe der Bedeo-
tungen der Konjugationen. Bei Piel z B. verschweigt er gau,
dafs es eine privative Bedeutung giebt, oder eine solche von 4et
Grammatikern angenommen \iird. Er sagt nur ^07. 4.) „Byüie
iniensitive force of Pi'hel some nouns are a$ ü were antmetti
inlo verbs (,f), whioh designate an action performed witb thit
noun ^P.Q "^ '^^'^^ i"*^^'.» ^flQ ^^ stone." Wo Hr.K.
gefunden hat, dafs yPD Stein heifst, wissen - wir, nämlich ia
Ewald; wo aber dieser es gefunden ^hat, wissen wir nicht
Vortrefflich ist das ganze (Capitel von den Pronominibti»
das Capitel von den Zahlwörtern, und viel Gntea findet sich bo
der Behandlung der unregelmäfsigen Verba.
Die Grammatik gereicht dem Vf. zur Ehfe, und macht tif
die Erscheinung des folgenden Theils gespannt. Sie ins Oetit-
sehe zu übersetzen würde kein überflüssiges Unternehm'eo sein;
nur würde der deutsche Uebersetzer manches noch berichtiget
müssen. Einen groben Fehler wollen wir hier gleich noch b»>
richtigen. \^ir hätten einen solchen nicht erwartet, da er in
totalen Mifsverhältnifs zum Charakter des Buchcfis steht S.22
nämlich heifst es: „Das Zeichen -r vor Sh'wa, obgleich ohne Sie-
theg^ wird wie lang A gelesen, wenn es Kametz war ehe dai
Wort durch Anwa^hs zu dem Sh'wa gekommen ist },e. %^ Akit
er fort, the infii|itives 1 JU; '\DVi 'häbhöd, shämdr, wbich ob
taking the sutfix f\ become rtiajX. TTiO^ 'häbhdha, shin*
ra." Bei dieser Regel ist Hr. N. ganz Original, ohne deutsche
Vorgänger) w'it hoffen auch, er wird darin ohne deutsche Nach-
folger bleiben. In Deutschland liest man Obhda und ^ckomn,
weil man wohl weifs, dafs diese Fönten nicht aus den liifi>>
absol. "^b^J und "läV» sondern dem Inf. constr. ^tlVj *lb9.
hervorgehn,
F. S. Lebrecht
Jl^ 81.
J a h I* b fi c h e
N t
für
wisse nschaftli c h e Kritik.
November 1839.
XLII.
Dialektik. Aus Sckleiermachers handschriftU"
chem Nachlasse herausgegeben von L. Jonas.
(Fr. Schleiermachers literarischer Nachlafs.
Zur Philosophie. Zweiten Bandes zweite Ab-
tkeilungj. Berlin, 1839. bei Reimer. XVIII.
610 8. gr. &
Vott allen Tbeika iea SohM6niiaoli«ndien Nach-
lasses wMPd der vorJSegeode mit besonderer Spannung
^vora wisaenschaftliehen Pnbfioam erwartet, weil man
sich voa ihm den Anfscbhifs dber den inaersten Kern
oadMittelpaneider Philosophie des hocbgefeierfen Man^
aes fersprechen \inffte. Er ist gegenwCrtig erschienen,
and zwar in einer Weise aasgostattet, die wenigstens
über die strengste diplomatisebe VoUst&ndigkelt der
MateriaKea, ans welchen die Kenntnifs von Schleier-
fliaohera dialektischem System sn schöpfen ist, keinen
Zweifel Ulfst. Eine Ausarbeitung dieses Systeme fnr
den Bnaok halte der Verewigte erst knra vor seinem
Tode begonnen; die wenigen Paragraph^ der Einlei-
fang, welche er m diesem Bebnlis niedergeschrieben,
konnten daher gegenwärtigem Werke mir ah Anhang
beigegeben werden. Im (Jebrigen war dasselbe zu-
ttikehsl aus den handsohriftltchen Notizen zusammensu«
Stelleo», welohe der Verf;. sich lilr den mündltcbea Vo»»
trag aufgesetzt; der Hr. Herausgeber, welchem Nie-
flumd die Anetkemmag yersagen wird, den Ton seinem
▼erewig^en Freund ibm gewordenen Auftrag mit muster-
hafter, bis zur Selbstaufopferung fortgehender Gewis-
senhaftigkeit voltzogen zu haben, ist dabei so verfah-
ren, dafs er die ausfährliehate und geordnetste jener
bndaohriften , ans dem Jahre 1814, als Grundtext
gegeben, dieser aber die übrigen, von denen nur die
eine ttech ftiter ist, die andern aber sämmtlioh jfingev
sind uid jene zu oberst gestellte meist ausdrücklieh
ala ibre Grundlege voraussetzen oder sioh auf sie zn-
Jakrb. /. wMtejMcA. Kritik. J. 1839. II. Bd.
rtickbezteheu, zugleich mit dem schon erwähnten An-
fange einer für den Druck bestimmten Einleitung, in
einer Reibe von Beilagen hinzugefugt hat. Gröfsere
und kleinere Stellen ans fremden Nachschriften der
mündlichen Vortrüge sind, allenthalben mit genauer
Angisbe der Zbit, welcher sie angeli((ren, sowohl dem
Haopttexte als den Beilagen in Anmerkungen bei-
gegeben.
Die Form, in welcher das Werk auftritt, ist hier^
nach aller^ngs eine fragmentarische geblieben; bei.
weitem mehr, als sie es hütte werden können, wenn
man, was aber weder in dem WHlen^ des verewigten
Yerfs., noch in dem Interesse des PubHcums lag, eine
Nachschrift der mündlich gehaltenen Vortrüge hätte
zum Grund legen wollen. Auch das Hauptheft vom
Jahre 1814 nämlich bietet nichts weniger als eine aus*
gcftibrte Darstellung von stetigem, gleichmäfsigem
Flusse; es sind kurze Sätze in Paragraphenform mit
beigegebenen aphoristischen Bemerkungen, nicht im-
mer in sehr strengem logischem Zusammenhange, viel-
mehr mit manchen Sprüngen und uttausgeAllten Lücken,
welche dem mündlichen Vortrage ins. Gleiche zu brin-
gen überlassen blieb. Aehnlicbes gHt natürlich in noch
höherem Grade von den' übrigen handschriftlichen J^nt*
Zeichnungen, mit Ausnahme der einen, ftlr Abu Druck
bestimmten, die aber, als ein gar nicht weit fortge-
führter Anfang, fär das Ganze kaum in Betracht kom-
men kann« Auch an vielfadken Wiederholungen fehlt
es bei so gestalteter Zusammensetzung des Werkes
begreifliche Weise nicht ; doch möchten H^ir nicht sa*
gen, dafs das Gmize allzu weitschweifig ausgeftilien
sei. Man kann sich vielmehr auch jene Wiederholun-
gen wohl gefallen lassen, da sie nie leicht ohne Er-
läuterung und VervoHirtändigung des früher Gegebenen
sind', wiewohl sie freilieh nicht eben- ein besonderes
Interesse der geschichtlichen Bntwickehing und orga-
nisohen Fortbildung des in diesen Handschriften nie-
81
643 S^AlöiermaeA
dergelegteD OedaDkeDsjstemes darbieten^ welches eibh
vielmehr seinem wesentlichen Gehalte nach gleich ?on
Torn herein abgeschlossen und vollendet zeigt. Die
nachschriftlichen Bruchstücke der mündlichen Vorle-
, suiigen sind ungemein lesbar, und lassen nirgends jenen
streng geordneten Gedankengang vermissen, welcher
auch den improvisirten mündlichen Vortrag ihres Ur-
hebers au^eichnete. Je näher dieser Vortrag überall
' der strengeren Haltung des schrifth'chen kam, je wo-
liigep er, gleich dem in seiner Art nicht minder vor-
auglichen und vielleicht noch unmittelbarer anfegenden
und belebenden Kathedervortrag anderer ausgezeich-
aeter Docenten,, sich in der freieren Weise des eigent-
liehen Conversationstones gehen liefs, um so mehr
scheint sich derselbe auch zur unmittelbaren Uebertra-
gung in die schriftliche Rede zu eignen. — Im Ganzen
hat gewifs das Werk durch den treuen Fleifs und die
gewissenhafte Sorgfalt des Hm. Herausgebers dieje-
nige Gestalt gewonnen, die es vor allen andern etwa
möglichen am besten dazu eignet, dem Zwecke zu ge-
nügen, dem es zunächst gewidmet ist, uns in die Be-
schafFenheit der philosophischen Gesammtansicht, wel-
che Schleiermachers sänimtlicben wissenschaftlichen
Thaten und Unternehmungen zum Grunde liegt, einen
eben so klaren und vollständigen, als durchaus authen-
tischen .Einblick zu geben.
Dafs nämlich die wissenschaftliche Discipliu, wel-
che Schleiermacher DMektik nannte, nach seiner Ab-
sicht die allgemeine philosophische Grundlage alles
Wissens enthalten, dafs sie in dem Ganzen der Wis-
senschaft die Stelle^ um uns des bekannten Aristoteli-
schen Ausdrucks zu bedienen, einer nQfOTri (fiXoaoqila
\ einnehmen sollte: dies ist aus mannichfachen Andeu-
tungen, welche sich hierüber in des Verfs. frühern
Werken, neuerlich noch in dem ,, Entwurf eines Sy-
stems der Sittenlehre'' finden, hinlänglich bekannt.
Schi, hatte den Ansdruck Dialektik von Piaton ent-
lehnt, bekanntlich demjenigen Philosophen, dem er sich,
was Styl und Methode des Phiiosophireus betrifft, am
liebsten anscblofs; er beabsichtigte, so scheint es, in
seiner Dialektik etwas Entsprechendes zu geben, wie
was Piaton im siebenten Buche der Republik als Wis-
senschaft der Dialektik bezeichnet. Wie^dem Pia-
ton, — diesen wenigstens so verstanden, wie eben Schi,
ihn verstand, — so war auch Ihm die Philosophie zu-
nächst mehr Kunst, als Wissenschaft, und die Dialek-
ertDiatektik. 641
tik sollte nach ihm die Darlegung der Gmndsltse leia,
nach welcher in jener Kunst, •— der Kunst, so fisdes
wir sie in der für den Druck bestimmten EinleitiiBg
(S* 568) bezeichnet, der „Gesprächfuhrnng im Gebiet
des reinen Denkens", — zu verfahren ist. Wens er
zugleich für diese wissenschaftliche BetrachtuDg die
Forderung aufstellt, dafs sie „il*gendwie die Principiea
des Philosophirens enthalten müsse'* (S. 2), und wenn
wir' aus dem Charakter, welchen die vorliegende Ans*
führung trägt, entnehmen dürfen, dafs dieser Aüssprack
in einem realeren Sinne zu verstehen ist, als dabei
mit jener Definition unmittelbar identisch erscheisen
könnte: so werden wir jedoch über das Verhältoib
beider nicht lange im Zweifel gelassen. Die Regeb
äer Verknüpfung des Wissensinhalts, welche die Dia-
lektik als Kunstlehre des wissenschaftlichen Denkesi
aufzustellen hat, sind, so erfahren wir S. 7, nicht ?oo
den innersten Gründen des Wissens zu trennen, und
umgekehrt, die Einsicht in diese Gründe, oder die Ein-
sicht in die Natur des Wissens als auf die Gegen-
stände sich beziehend, kann sich in nichts andenn au*
sprechen und verkörpern, als in den Regeln der Ve^
knüpfung. Die Dialektik in Schleiermacbers SiBite
stellt sich uns hiemach als eine Vereinigung dessen
dar, was man sonst Logik^ mit dem, was man M^^
pAysik nenqt. Für beide Seiten der Betrachtung fia-
den wir hier auch die Ausdrücke: „formale" tmd
„transscendentale Philosophie" gebraucht, wobei zu»
gleich ausdrücklich bemerkt wird, dafa Logik obae
Metaphysik keine Wissenschaft sei, Metaphysik aber
ohne Logik keine Gestalt gewinnen könne, als eiae
willkuhrljche und phantastische.
Die Verbindung dieser zwei Seiten des allgemeia
philosophischen Wissens, der formalen oder logiscbea
und der transscendentalen oder metaphysischen, zu ei-
ner und derselben Disciplih, erinnert jeden mit dea
neuem Gestaltungen der Philosophie Bekannten zu «if«
fallend an das Unternehmen einer ähnlichen Ineiosbit
düng beider Seiten in Hegels „Wissenschaft der iAh
gik," als dafs wir uns eines Hinblicks auf diese leti-
tere und einer vergleichenden Zusammenstellung bei-
der, ihrer Gestalt und ihrem wissenschaftlichen GchaMe
nach nichtsdestoweniger so weit von einander ablte*
genden, Werke enthalten könnten. Solche Verglricbinig
wird noch näher gelegt durch den Umstand, dafe der
Gedanke jener Vereinigung bei beiden Philosophen offen*
8iS S e k l e,i 0 r m a c h
hur «00 derselfceii Quelle fliafaty Dftalieh «v« der Idee der
ats^iuien Identüäi des Seins u^d des H^üeene^ wel«
' ehe im AUgemeiiieo den Staedpiuict sowohl des Schlei-
eröiftdieracb^ii, als des Hegebohea Philosophirens be-
■eiciiBet* Bei demjenigen Philosopheo^ welcher gev'dhn-
lieh, und mit Recht, als der erste Entdecker oder Wie-
derenldecker dieser Idee inmitten der neuem Entwicke-
Iwigsperiode der Philosophie^ die mit Kant ihren An«
fang nimmt, hetrachtet wird, bei Schelling, war dieselbe
bekanntlich nnTcrmittclt durch einen logischen oder
metaphysischen Denkprocefs in einem Acte begeister*
ten Aufschwungs, welchen dieser Denker „intellectoelle
AiMchaanng'^ nannte, gefafst worden. Sie diente dort
nur als Ausgangspnnct der realen Theile des philoso-
pUscben Wissens, der Natura nnd der Geistesphiioso«
phicy ohne für sich, selbst Gegenstand einer abgeson-
derten, im reinen Denken sich vollendenden wissen«
sdiafUichen Betrachtung su sein. Eben darum aber
schien in jener ersten Gestalt der Schellingschen Phi-
losophie sowohl Natur-, als Geistesphilosopbie des si«
obem wissenscbafilichen Grundes zu entbehren und
gkichsam in der Luft oder in einem mystischen Aetber
sn schweben. Man yermifste gerade das bei ihr am
meisten, in dessen Begrändung und Ausführung die
Philosophie seit Kants Vemunftkritik, wo nicht ihre
«insiget, doch ihre erste und nächste Aufgabe gesetzt
hatte, eine ausdrückliche Erkenntnifstheorie, durch wel-
che die Art und Weise, wie sich das Erkennen sum
Sein in ein Verhultniis setzt oder damit identisch weifs,
entwickelt worden wäre. Diesen Maogel suchten so-
wohl Schleiermacher als Hegel zu ergänzen, indem sie,
jeder auf seine Weise, den Anfangspunct der Philoso-
phie weiter zuröckverlegten, und durch eine von jenem
tieferliegenden Punkt ausgehende Betracbung nicht nur
das Dafs, sondern auch das Wie jener Einheit des sub-
jectiven und objectlren Momentes im wissenschaftlichen
Erkennen nachzuweisen strebten. — Wenn nun eher
diese Betrachtung selbst bei beiden Denkern eine ganz
Tarschiedeoe Gestalt gewann; wenn wir die Dialektik
Sohiejermachers und die Logik H^els nicht etwa als
eine und dieselbe Wbsenschaft in yerschiodenartiger
Darstellong und Bearbeitung, sondern in der Tbat als
zwei gänzlich verschiedene, kaum einen oder den an-
derR Satz oder Gegenstand mit einander gemein habende
wissenschaftliche Gebiete sich einander gegenäberste-
er* Dialektik. 646
hen sehen: so ist hiervon der Grund nicht etwa nuf
in ein» zufAlligen Abweichung des subjectiven Verfah-
rens zu suchen, in welchem Beide dem gleichen Ziele
entgegenstrebten. Die Betrachtung jener Verschieden-
heit erhält ihr tieferes Interesse vielmehr eben dadurch,
dafs ihr Grund in der Fassung der Idee selbst liegt,
die bei Beiden eben so sehr das Princip, wie das Ziel
oder den letzten Gegenstand der Wissenschaft, von
der hier die Rede ist, ausmacht. Beide nämlich haben
diese Idee nicht etwa nur äufserlich von Schelling
oder von einem andern, altem oder gleichzeitigen Phi-
losophen aufgenommen nnd eben so äufserlich das dort
Fehlende hinzugefijgt Von Jedem von Beiden ist viel-
mehr die Idee, welche den substantiellen Kern des
beiderseitigen wissenschaftlichen Thuns ausmacht, auf
selbständige Weise im eigenen Geiste producirt, und
durch die Verschiedenheit der Gestalt, welche die Idee
in dieser wiederholten Selbsterzeugung angenommen,
sind' Beide auf wesentlich von einander gegenseitig,
nnd von andern Philosophen, die sich mit ihnen schein-
bar zu einem und demselben Princip bekennen, abwei-
chende wissenschaftliche Standpuncte gestellt worden.
Diese verschiedenen Standpuncte sind es, die sich in
den verschiedenen Disciplinen ausdrücken, durch wel-
che Schleiermacher und durch welche Hegel jenem
Princip eine immanente, im reinen Denken sich vollen-
dende wissenschaftliche Entwickeluog gegeben haben«
Die Schleiermacbersche Auffassung der Idee des
Absoluten unterscheidet sich auf bewufste und ausge-
sprochene Weise von andern gleichzeitigen Auffassun-
gen dieser Idee zuvörderst dadurch, dafs nach ihm die
Realisirung derselben im Wissen in keinem Gegen-
satze gegen das gemeine, sinnliche Erkennen steht,
sondern in ununterbrochener Stetigkeit von jenem An-
fange aus, der . in dem sinnlichen Erkennen gegeben
ist, erfolgen kann. Schleiermacher glaubte, wie uns
der Herausgeber berichtet (S. 25), das nt^wvov yttvögg
der neuesten philosophischen Bestrebungen in der An-
nahme einer absoluten Trennung zwischen gemeinem
und philosophischem Wissen zu erkennen, und stellte
diesem gegenüber (S. 24 ff.) als die erste Vorausset-
zung, ohne welche von einer Wissenschaft der Art,
wie seine Dialektik, nicht die Rede sein könne, eben
diese hin, dafs alles Wissen nicht zwiefach, sondern
einfach, dafs also das Princip des philosophischen Wis-
647 Seilei^rmac
mmß idbon ia dem geoMfaen, wiewobl uabeiriirst ge*
gBDwftrtig sei« -« Was die io diesem Sutse entbaltcoe
Polemik betrifft: so war zauächat wohl die SchelliDg«
•che ^^inlelteetnell^ AASchaming" genieiet ; wie wir dena
auob aaderwftrt« (S. 166, S. 334) dea \t. io ausdrücli:-
Hdb^ Oppositioa gegen den rem Staadpaact dieser
y^Aoscbaaaag'' aufgestellten Satz erbliciLen, dafs das
ebdliebe ^in, die GSegenstAndUctikeit des gemeinen^
similicbett Wissens^ durch einen Abfall von Gott oder
dem Absolttten entstanden sei. Wiefern sieb Schleier*
macher in der sp'&teren Ueberarbeitnug seiner Vorle*
amigeii aaeb den Gegensatz zum Bewafstsein gebracht
faatt^ der zwischen seiner Grundvoraussetzung nnd
dem Princip der Hegebchea Lio^ik obwaltet^ mufs da-
bittgesteltt bleiben^ da er auf letztere nirgends aus*
drfickKcb Bezug nimmt. Dafs aber auch hier eio sei»
der Gegensatz wirklich stattfindet, darüber kann &m
uns kein Zweifel sein. Obgleich nämlich auch diese
Logik,, wie Torbia erwähnt, sich die Aafgabe stellt,
die Idee des Absoluten für das natürliche Bewufstsein
zu Yormilt^ln» so ihut sie es doch auf eine der ScMei-
ermacherschen dired entgegengesetzte Weise. Sie
tbut es durch inwehnende Bntwiekehmg dieser Idee
aaa ihrem eigenen Princip heraus, während die Schiet*
ermaehersclie Dialektik vielmehr nur eine rcflectirende
Bezeiehmiag des Yerhältnisses derselbea zu dem Pro*
GOsse des realen Wissens ist, welches nach Sohl., ob»
gleidi nach der l4lee biustrebend, ja in gewissem Sinne
schon von voni herein durch sie durchdrungen, den*
noch zugleich der Idee inadäquat und also in so fem
ihr ftnfserlich bleibt* Auch von Hegel würde man da*
her in Scbl.s Sinne nicht minder wie von Sehelling ,sa^
gen können^ dafs er die Coutinuität zwischen phiioso»
phlsohem und gemeinem Wissen abbricht. Man würde
es besonders in so fern sagen können, in so fem er,
was Seht, eben für unmöglich erklärt, ein wirkliches,
d« h. ein reales und inhaltvolles phUosophiscfaes Wis*
sen uaabhäagig von der sinnlichen Erfahrang zu be*
gründen unternimmt, welche nach dem letztgenannten
Philosophen nicht blos im Allgemeinen,' sondern attf
Jedem einzelnen Sckrüte des PAüeeopkirens mit
ereDimlektik. Ü8
dem transeendentalca Denken Haad ia Haad gehcs
soll
Es ist nämlich nicht zu verkenaen, dafs jener
Schleiermachersche Satz von der Einheit alles Wi^
aens oder von der Immanenz des philosophischen Wii«
sena in dem gemeinen, und umgekehrt des gemeiBCB
in d^m philosophischen der Betrachtaag eine doppelte
Seite darbietet Jenem Standpuaete gegenüber, vct
eher das Absolute nur in ,|itttellecttteUer Anschanaiig"
zu fassen weifs, ohne der Uee desseUbea eine
und Ausbreitung für das verständige and
Wissea abzugewiaaen, erscheiat die Fassu^; Schleie^
macbers als die positivere^ iadem sie die Aussiebt a
die Möglichkeit eröffaet, die Totalität des smnlichoi
Erkenneas in die Idee aufzunehmen aad dadurch da
letzleren eine concreto Gestalt auch für das meBieh-
liebe Bewulstseia zu geben« Das Absolute ist U
Schi, akht, wie es H^el ia der Vorrede zur Phis^
menologie des Geistes ausdrückt, „die Nacht, in der
alle Kühe schwarz sind,*' sondern es ist der reiok ge-
gliederte- und hell beleaehtete Inbegriff des WirklidM^
so im Denken erüetrst, wie wir unablässig im EiaielBCi
es zu erfassea den Anfang machen, ohne dodi, bei der
Mangelhaftigkeit uaaeres unwissenschafUicbea Veifidi-
rens eben im gemeinen Erkennen, auch nur im Eioid-
nen je zu einem Abscblufs, zum wirktieAen Wissesa
gelangea. Eben darun^, weil es nach diesem Denk«
eine wirkliche Empirie von wissenschafilicber Jfedea
taug, ein im Empirischen sich realisirendes und voll-
ziehendes, wiewohl nie, weder iatensiv noch extesslT)
zur Vollenduag und Abscblufs kommendes Erkenoei
giekt, eben darum giebt es für ihn auch eine DieUk'
tiky d. h. eine wissenschaftliche Betraebtuog, die iick
mit der Idee als solcher beschäftigt, und das Verbtit-
aifs derselben za dem empirischen Erkenntuitetefi
und dessen wissenschaftlicher Verarbeitung zu srai^
teln sucht» — Dies lalsa die positive Seite der SekL*
sehen Fassung: der Idee des Absolnten; eine aegstife
aber hat diese Fassung insofern, als sie die M^liob
keit einer Erkenntnifs des Absoluten im reinen Dei-
ken, unabhängig von der Erfahrung, *ia Absede steVt
()Me FortaetzoDg folgt)
j
•M 82.
Jahrbücher
für
wissenschaftliche
Noveml^er 1839.
Kritik:
Dialekts^. Aus Schieiermachers handschriftlichem
Nachlasse herausgegeben ron L. Jo nas.
(ForUeteoDg.)
Die Idee des Absoluteo, auf franaseendentale Weise
im reieen Denken erfafsty gestaltet sich nach Schi, nicht *
etwa auch zam Princip des empirischen Ericenriens,
sondern sie ist nach ihtn nur als solches Princip;
jedirede coaerete Darstellung^ oder wissenschaftliche
Ansfilhnuig ilieser Idee fällt aber mit dein empirischen
firkenoen als solchem zasammen. Dies ist ausgespro«
tsben in dem Satze, welcher ein Grandaxiom de$ ge-
aaaunten ScbLschen Philosophirens aasmacht: dafs
das Wissen ala gemeinschaftliches Prodnct der ,,Ter-
nuift^' and der ^^Organisation*' (S. 47), wie im Gän-
sen so ancb oberall im Einzelnen, aus zwei Factoren
bestehe (S. 61), dem „eigentlichen Denken" und dem
- j^ Wabiinelnnen," deren Imlifforeuz oder Gleichgewicht
<bw „Ansohaaen" oder eigentliche Wissen gebe. In
Verbindung mit diesem Axiom finden wir (8. 57 f.)
die weiteren Behauptungen aufgestellt, dafs, wie die
Thätigkeit der organischen Function ohne Vernunft« '
thätigkeit noch kein Denken ist, so auch die ThS^tig-
keit der Vernunft, obue alle Thätigkeit der Orgaoisa^
tien (d. h. ohne sinnliche Wahrnehmung) kein Denken
smeAr sei, und daTs nicht blos die realen, sondern auch
die formalen Allgemeinbegriffe nur in dem Maafse, als
Aie durch sinnliche oder organische Elemente belebt
'vrerden, etwas wirklieb Gedachtes, etwas mehr als blö-
fse Zeichen sind. Folgerechter Weise schliefst sich
IftiiMran der Ausspruch (S." 60), „dafs das rein Trans*
flcendentale, die Ideen, wie Schi, sie fafst, der Gottheit
sind der Welt, sich weder zu einem wirklichen Wissen,
sioeb zu einem für sich bestehenden Denken gestalten
iK^nnen, sondern nnr als begleitendes Moment in an«
derein Denken und Wissen gegeuwärtig sind« — Of-
Cenbar verhalten sich diese Sätze uusschliefsend und
Jdkrh. /. vu%€Mch. Kritik. J. 1839. II. Bd.
▼emeinend gegen das Unternehmen einer reinen Fer»
nun/iwi$4en9chqfi^ d. h. gegen eine solche Gestaltung
der Speculation, welche das Absolute an und für sich
oder seinem reinen Wesen nach, getrennt von dem
Empirischen, zum Gegenstand einer* wissenschaftlichen
Betrachtung macht. Wenn die „intellectuelle An-
schauung" der frühern Schelliogscben Philosophie nach
Schleiermacher nur als die unklare Vorausnähme einer
Erkenntnifs erscheint, die sich ihrer Wahrheit nach nur in
allseitig vollendeter Empirie realisiren könnte; so wird
das unternehmen einer „Logik" in Hegels Sinne von
eben diesem Standpunct aus als etwas ganz und gar
Unmögliches erscheinen, weil die reinen Denkbegriffe,
in denen diese Wissenschaft ihr Element hat, nach
Schi., da ihnen das eine unter den zwei nothwendigen
Momenten der realen Begriffsbildung fehlt, weder wirk-
liehe Begriffe noch ein wahrhaftes, inhaltvolles Den-
ken sind.
Es ist ohne Weiteres klar, und wir haben auch
bereits ausdrücklich darauf hingedeutet, wie bei einer
solchen Ansicht des Wissens die Dialektik als ,^Orga-
non'* (S. 22) dieses Wissens sich nur zu einer forma-
len, aurserhalb ' der eigentlich inhultvbilen Wissen-
schaft bleibenden Betrachtung, zu einer Rciexion über
das Wissen vielmehr, als zu einem wirklichen Wissen
gestalten kann. Auch Hegels Logik zwar wird we-
nigstens von «nem Theil der Schule dieses Denkers
als eine wesentlich formale Vl^issenschaft betrachtet,
gegenüber der Natur- und Geistcsphilosopbie als den
eigentlich realen Theilen der philosophischen Wissen-
schaft Aber der Sinn, in welchem sie so bezeichnet
wird, ist ein ganz anderer ; diese Form ist eine absO"
lutSj eine dem Realen schlechthin immanejite Form«
Sie ist das Absolute, die absolute Einheit des Seins
und des Wissens seihst, von der Seite ihrer Form be-
trachtet, so wie sie im reinen Denken und Wissen
iBt. Das logische Wissen in diesem Sinne is^} ob«
82 .
651 Schteiermaeh
gleich ein formales, doch ein objectiyes^ inhaltvolles
Wissen^ denn die Form, welche Gegenstand dieses
Wissens ist, ist etwas an und für sich selbst, unab*
fauDgig von dein wissenden Subjecte und dessen Ver-
hältnisse zn den realen Wissen^gegenständen, Seien-^
des und Wahres. Anders die Dialektik in Schleier-
machers Sinne. Diese hat (vergl. S. 493 die Bezeich-
nung des ,,logischen*' Denkens, welches oflPonbar nitoh
Sohl, mit der Dialektik^ zusammenfällt) zu ihrem Ge-
genstände durchaus nur das subjective Verhältoif? des
denkenden und nach Wissen strebenden Geistes zu
den Objecten seines Erkennen»; und auch dieses Ver-
hältnifs nicht als ein in der\^ahrheit der Sache, d.h.
in der schon vorausgesetzten Wirklichkeit des Wis-
.sens begründetes, sondern als ein vor dem wirklichen
Wissen, zum Behufe einer vorläufigen Orientirung in
dem Wissen, festzustellendes. Allerdings hat die Dia«
lektik neben dem' „formalen oder technischen'* auch
einen „transscendentalen'' Theil, welcher sich mit den
objectiven Grundpriocipien des Wissens beschäftigen
' soll. Allein diese Principien bilden nach lies Verfs«
ausdrücklicher, aus dem Zusammenhang seiner Lehre
folgerecht sich ergebender Erklärung (S. 87, S. 92),
noch kein Wissen im eigentlichen Wortsinne. Sie sind,
so wie .sie Gegenstand der dialektischen Erörterung
sind, nur zum Behuf der formalen Constniction des
Wissens aufgestellte Postulate oder Axiome, die erst
durch das reale, d. h. empirische Denken zum wirkli-
chen Wissen erhoben werden sollen. Darum auch fin:-
den wir in sämmtlichen hier, neben einander gestellten
Entwürfen zur Darstellung dieser Discipliu den trans*
scendüutalen Theil dem technischen vorangescbickt,
weit in dem letzteren, nicht in dem ersteren dem Vf.
der Zweck und Zielpunct seiner Uutersuchung liegt.
— Wenn aber (S. 104) der Satz aufgestellt wird, dafs
„das System aller das Wissen constituirenden Begriffe
in der Allen in wohnenden Vernunft auf eine zeitlose
Weife gegeben sei," wenn im Sinne dieses Satzes an
die Lehre von den „angebornen Begriffen'' (S. 105)
erinnert wird: so ist durch die dort beigefügten Erklä-
rungen hinreichend dafür gesorgt, dafs dieses zeitlose
Gegebensein der Begriffe, auch der ganz empirischen
und sinnlioheii, nicht mit dem Vorfaandeiisein reiner
Vernunftbegriffe, welches der Vf. eben in Abrede stellt,
verwechselt werd^en könne. Es ist nämlich dort nicht'
von einem wirklichen Wissen, sondern nur von dem
er $ Dialektik. föS
der Sinnlichkeit gegenfiherstehendea Faetor des Wi«*
sens die Rede, und es soll also mit jenem* (wie uns
scheint etwas* unbequemem) Ausdrucke nichts, als nur
eben dies gesagt werden, dafs das formale Homeat
der Bogriffsbildung nicht der Sinnlichkeit angehöre
und nicht aus ihr sich erklären lasse«
Was den näheren Inhalt des „transscendentalen
Theiles" betrifft: so wird man nach allem bisher Ge-
sagten nicht anders erwarten, als da^s auch in ihm
die Betrachtung voü dem. subjectiven Momente des
Denkens und Wissens als solchen ausgeht, Schleiev-
macher hat in Folge seiner Auffassung der Idee des-
Absoluten den Vortheil, welchen andere Philosopbeoy
die sich zu dieser Idee bekennen, nicht mit ihm thei*
len, dafs er die Vorstellungen, in welche sich bei ihm
dieselbe als Princip des realen Wissens ausprägt, auf
eine auch dem natürlichen Bewufstsein leicht zugSag*
liehe Weise aus den Prämissen zu entwickeln vemiag)
welche sich in diesem Bewurstsein selbal: über die all-
gemeine Natur des Denkens und Wissens finden* Er
beginnt zu diesem Behufe (S. 43) mit. einer formalea
Definition des Wissens, indem er Wissen als daafe«
.nige Denken bezeichnet, welches eiuestbeils vorgesteltt
wird mit der Nothwendigkeit, dafs es von allea Den-
kensfcübigen auf dieselbe Weise producirt werde; und
welches anderntbeils vorgestellt wird als einem Seia,
dem darin gedachten, entsprechend. Hierauf zur Dn-
terscheiduug jener beiden Functionen übergehend, ia
deren Zusammentreffen er, wie vorhin bemerkt, das
Wissen findet, bedient er sich eben dieser Unterscfaek
düng, um nachzuweisen, wie (S. 53) „Uebereinstimmag
des Gedankens mit dem Sein nicht ein leerer Gedanke,
sondern im Selbst bewufstsein uns gegeben ist, dafs wir
beides sind. Denken und Gedachtes, und unser Lebca
haben im Zusammenstinmien beider.'' Das Correspoa-
diren des Denkens und des Seins nämlich sei (S. 54)
vermittelt durch die reale Beziehung, in welcher die
Totalität des Seins mit \ler Organisation steht. DuitA
das Geöffftetsein (S. 387) des geistigen Lebens nach
aufsen sa Organisation komme also das Denkea n»
Gegenstand oder zu seinejoi Stoff, gleichwie durch eine
ohnerachtet aller Verschiedenheit des Gegensf-andes
sich immer gleiche Thätigkeit » Vernunft zu seioer
Form. -^ Wer mit der Fassung der höchsten Dcak-
probleme,' welche die neueste Entwicklung der pbiloae^
phisohen Speculation uns gebraoiit hat^ vertraut ist.
633
Soklei0r^aehers. Dialektik.
654
irird hier freilioh nicht ^geheD^^ weich ein nn-
Yolliconiaienes Verfuhren es i«!, diese so unermefslieh
wicfat^e nnd- inhaltschwere Vornnssetzung, die ^^reale
Besiebnng der Totalität des Seios auf die Organtsa-
fioii,*' tuid das ,,Gedffnetseiu des geistigen Lebens nach
aufsen mittelst der Organisation" so unerwiesen nnd
onvermittelt als Postulat bioznstellen ; abgesehen noch
davon, dafs die hier gebrauchten Ausdrücke, die auf
gleiche Weise auch die übrigen, welche der Verf. in
den yerschiedenen hier vorliegenden Bruchstücken ih-
aea beigesellt oder an ihre Stelle setzt, siemlich unbe«
stimnt, schwankend nnd vieldeutig sind. Gewifs . ist
diese Voraussetzung, so wie wir sie hier als ein un-
mittelbar Gewisses, im weiteren Denken sich zwar
Bewähren sollendes, aber doch nicht eigentlich erst
au Erweisendes hingestellt finden, wissenschaftlich be-
trachtet eine nicht minder gewaltsame, als die Schek
liogsche „absolute Anschauung," wenn sie auch immer-
hin dem natürlichen Bewufstsein oder gesubden Men-
schenverstaude sich als näher liegend und in so fern
annehmbarer empfehlen mag. Indessen wird man zu-
geben, dafs von dem« einmal genommenen Standpuncte
ans kein anderes Verfahren möglich war. D€^ Wis-
sen, dessen Identität mit dem Sein die Grundanschau-
ong des Schl.*schen Philosophirens ausmacht, ist ein
Ar allemal kein anderes, als das durch Ineinsbildung
der organischen mit der Vemnnftthätigkeit zu Stande
kooimende. Das Umfafstsein der Totalität des Seins
in diesenr Wissen kann daher, so gewifs in diesem
Gegensafoe die organische Thätigkeit die Stelle des
realen, die vernünftige die des formalen Monientes
rertritt, auf keine andere Weise sich ergeben, als
eben durch die Annahme einer universellen Natur je-
ner organischen Thätigkeit, eines Geöffhetseins dersel-
ben gegen die Totalität des Seins. — fVÜMenMchaß*
Uch würde solche Annahme sich nur dadurch recht-
fertigen, und zugleich nur dadurch näher bestimmen
oder auf ihren eigentlich gehörigen begriflFlichen Aus-
druck, den wir bei Schi, vermissen, bringen lassen,
dafa gezeigt würde, wie in reiner Vemunftcrkenntnifs
der Begriff des Organismus «nach seiner mikrokosmi-
acfaen Natur als Spitze und Gipfel des objectiven zur
Vernunft oder znr Idee sich dialektisch heraufbildenden
Seins mit immanenter Nothwendigkeit dargeli^ und
xam Bewufstsein gebracht würde. Diesen Weg aber,
vql der Voraussetzung, die seiner weiteren Betrach-
tnng zum Grdnde liegt, methodisch zu gelangen, hnt ,
.der Verf., wie wir vorhin sahen, sich von vorn herein
selbst versperrt. . *
Der Gang dieser weiteren Betrachtung ist nun in- .
nerhalb des „transscendentalen Theiles" im Allgemei-
nen dieser, dafs die Duplicität, welche im- subjectiven
Wissen nachgewiesen worden war, zu einer Duplicität
transscendentaler Ideen, der Idee der Gottheit und der
Idee der Welt, «als allem realen Wissen zum Grunde
liegender und in allem Wissen gegenwärtiger fortge-
bildet wird. Hier begegnen wir zuerst (S. 63) dem
' Satze, dafs in allem Denken die Vernunftthätigkeit
der Quell der Einheit und Vielheit, die organische
Thätigkeit aber der Quell der Mannichfaltigkeit ist*
Da aber (S. 64) ohne Einheit und Vielheit die Man-
nichfaltigkeit unbestimmt, ohne Mannichfaltigkeit die
bestimmte Einheit und Vielheit leer: so sei. die Ver-
richtung der Vernunft im Denken die Bestimnmngy -
die Verrichtung der Organisation die Belebung. Dafs
„in der Vernunfttbätigiccit unter der Form der Eiuh^t
Dasselbe müsse können gesetzt sein, was in der orga-
nischen Thätigkeit als unbestimmte Mannichfaltigkeit
gesetzt ist*' (S. 74), tritt in diesem Zusammenbang
natürlich wiederum in Gestalt eines Postulates ein,
ohne dafs davon die Rede wäre, solche Identität der .
bestimmten Einheit oder Vielheit mit der unbestimm-
ten Mannichfaltigkeit in der Vernunfterkenntnifs selbst
durch objective, — nicht blos subjectiv construirende «>
Dialektik als nothwendig^ nachzuweisen. Eben so er-
folgt die Uebertragung jenes Gegensatzes vom Wissen
auf das Sein (S. 75 f.) in einer Weise, worin die rein
subjcctive, formale Fassung dieses „höchsten Gegen- '
Satzes'^ auf das Deutlichste sich ausspricht. „Es
gebe^** so heifst es ausdrücklich, „keine andere posi-
tive Erklärung desselben, als dafs das Ideale sei das-
jenige im Sein, was Princip aller Vernunftthätigkeit
ist, das Reale dasjenige, vermöge dessen es Princip
der organischen Thätigkeit.'' Die Anni^hme dieses
höchsten Gegensatzes sei also zuletzt „Sache der Ge-
sinnung," denn sie beruhe lediglieh darauf, dars beide
Elemente im Denken als unabhängig gesetzt werden.
Solle die Vernunftthätigkeit von der organischen ab-
stammen, so seien wir „nur Durcfagangspuncte für
das Spiel des gespaltenen Seins $" solle aber die orga-
nische Thätigkeit von der Vernunftthätigkeit abstam-
men, so „machen wir die organischen Eindrücke selbst
6&5 Schleiermacher* Dialektik*
und haben keine Ursache, ein Sein aufser nne anm«-
nefamen, welches sie machen helfe.'* Ahe ^^mässen
vir jene Duplicität des Idealen und des Realen anneh-
men) so gewifs wir uns selbst halten und festhalten^
und so gewifs wir die Welt im Gegensätze mit dem
loh halten wollen/' Auch dafür aber^ dafs dieser höch-
ste Gegensatz des Realen und^ des Idealen zuletzt in
dem Einem Sein befafst werde unjl auf dieses zurück^
fthre, wird (S. 77) als Grund nur dieser angegeben,
dafs er ^^ein leeres Mysterium wäre, wenn. man bei
ihm stehen bliebe,'' Das Endergebnifs dieser Betracii-
tung wird zuletzt (§. 136.) als ,,die Idee des Seins''
ausgesprochen, „unter zwei entgegengesetzten und sich
auf einander beziehenden Arten oder Formen und Mo«
dis, dem Idealen und Realen, als Bedingung der Rea-
lität des Wissens;" — eine Idee übrigens, die, wie
die mündlich gehaltenen Vorlesungen (S. 78) ausdrück*
lieh hinzufagen, hiermit nur angegeben sein soll, aber
nicht erklärt; weder gedacht, noch wahif;enommen,
am wenigsten also angeschaut, also auch nicht eigent-
lich gewufst, sondern nur yorausgesetzt zum Behufe
des Wissens, geglaubt in dem Sinne des Wprts, in
welchem es auch auf dem religiösen Gebiete yorkommt,
wo es eine Gewifsheit bezeichpet, die der letzte Grund
aller Thätigkeit ist.
Es würde uns zu weit führen, wenn wir mit glei«
eher Ausführlichkeit, wie die yorstehende Gedanken-
reihe, den gesammten übrigen Inhalt des Werkes aus-
ziehen, wollten. Auch bedarf es dessen nicht, om, was
wir hier bezwecken, den Standpunct desselben im All-
gemeinen anzudeuten; dieser wird mit hinlänglicher
Klarheit schon aus dem bisher Gesagten sich ergeben
haben. Wir bemerken daher nur kurz, dafs die ge-
sammte weitere Ausföhrung des transscendentalen Thei-
les an eine Theorie der logischen Functionen des
Begriffi und des ürtheii$ geknüpft wird, welche beide
der Verf. für die alleinige Form des Wissens erklärt.
Beide Functionen setzen sich nach ihm gegenseitig ein-
ander yoraus; man darf nicht sagen (S. 95), alles
Wissen sei nur in der Form des Begriffes gesetzt;
diese Behauptung hängt im Idealismus; eben so wenig
aber darf man sagen (S. 96), alles Wissen sei ujir in
der Form des eigentlichen Urthciis gesetzt, welche Be-
hauptung im Realismus hängt. Das Wissen unter bei-
den Formen geht auf denselben Gegenstand und ist
(Der Beschlnfs folgt.)
K6
sich auch der Form nach nur rdatiy entgegengesetit;
^s . gibt ein Wissen mit dominirender Begriffsfenn,
wobei das ürtheil nur als conditio sine qua non e^
scheint, oder ein speculatiyes Wissen, und ein Wisiei
mit dominirender Urtheilsform, wobei der Begriff mi
als solche Bedingung erscheint, d. h« das empiriaciw
oder historische Wissen (S. 130). — Die nähere Ans»
einandersetzong jener Denkfunctionen, sowohl hier, ak
auch weiterhin im zweiten oder technischen Tbeile, iat
übrigens yoll speculativ^n Gehalts, und verdient bod^
lieh die Beachtung und das aufmerksame Stadium vmf
mentlich solcher, welche es noch, immer nicht voUeo
Verstehen lernen, das überlieferte Material der alten
Logik in Flufs zu bringen und zu einer frochtbareo
Erkenntnifs zu yerarbeiten« Von besonderem IntcresM
aber für den Standpunct, den wir bei unserer kriti-
schen Betrachtung des Werkes genommen habeo, iit
auch hier die Art und Weise, wie aus der snbjectiTea
Beschaffenheit der Begriffs- und Urtheilsbildung ent
auf die objectiye Beschaffenheit des Seins, weichet
darunter begriffen ist, und- sodann weiter auf des b
halt der transscendentalen Voraussetzungen, weiche die
Grenze dieser Denkthätigkeit bilden, geschlossen wird.
Wie im Begriffe, so mufs (S. 111) auch im Seio eia
Gegensatz des Allgemeinen nnd Besondern statt fia*
den; wie (S. 112) der niedere Begriff im hohem aeiaer
Möglichkeit nach gegründet ist, und in der Maosicb-
faltigkeit näherer Bestimmtheit ihn zur Anscbamiog
bringt, der höhere aber ein productives Znsammeabe*
sen einer Mehrheit des Niederen ist : so auch das bo«
here Sein der productiye Grund oder die Kraft zu ein«
Mehrheit der Erscheinungen. Eben so eutspricht (S.
125) das Sein auch der Form des Urtheils. Es ist eiae
Gemeinschaftlichkeit des Seins , oder ein System te
gegenseitigen Einwirkung' der Dinge gesetzt, und (S.
127) dieses System yon Ursachen und Wirkungen, ^el*
ches der Form des Urtheils, ist mit dem System der
substantiellen Formen, welches der Form des Begrib
entspricht, eines und dasselbe; — es ist (S. 129) ebea
so wahr, dafs das ganze Sein steht, als dafs Au
gaqze Sein in beständigem Flufs ist. Dagegen ist auf
dem Wege der Begriffs- und Urtheilsbildung unmittel-'
bar durchaus zu keiner adäquaten Erkenntnifs des
AöeAsteti Seins, d. h. der GottAeit zu geiasgeo*
wissen
Jahr buch er
f ii r
Schaft liehe
November 1839.
Kritik.
DMeittk. Am ScÜeiermachers handschriftlichem
'Nachlasse herausgegeben ton L. Jonas.
(Sehluff.)
Wed«r die hdohste SfcigemDg des Begriffes der
Kiaft (S. 113), noch die VoratdIuDg eines böehsten
Sobjeotee (S. 136) entspricht der Idee der Gottheit;
oiid. eben se aaoh kommt der Vörstellong einer ehao*
fiecAen Materie^ welche die Begrenzung der Begriffs»
«ad Urtheilsbiidnng nach unten beseiehnet (S .116 ff. S.
138)^ keine Realität der Art zu, welche sie znm Gegen«
•tande eines eigentlichen Wissens macht. — Um die
BedeotuDg, welche, jenseit des eigentlichen logischen
Wissens, die Idee der Gottheit Tür uns* hat, in ihr reoh-
tos Licht zu stellen, findet sich SchL yeranlafst (S.
150), die lemmatische Bemerkung biozuzunebmen (oder,
wie es S. 428 heirst , „nachzoboien") , dafs wir eines
transsoendentalen Grundes fiir unsere Gewifsbeit eben
so gut im fFolleny als im fVissen (Rir die moralische
eben so, wie für die theoretische) *) bedürfen; und so
gelangt er denn zu dem berühmten, namentlich für
seinen tbeologiscben Standpnnct so folgenreichen Satze
(S* 151): dafs wir „den transscendentalen Grund nur
lo der relativen Identität des Denkens und Wollens,
n&uilich im 6r^^/ haben.*'
Was Scbiciejrmacber nuter dem ^^GcfühV^ ver-
steht, aof dessen Begriff er bekanntlich sein tbeologi-
sefacs Sjstem begründet bat, und wie er zu dieser An-
siebt gelangt sei; darüber erbalten wir in gegenwärti-
l^eoi Buche Aufschlüsse, welche bei dor Würdigung des
Standpunktes, von welchem jenes System entworfen
*J Ein Versuch, das Hereinziehen des praktischen Momentes
an dieser Stelle der Dialektik niiher zu motiviren, findet
sich noch aus späterer Zeit, in den handschriftliclien Bruch-
aläekea aus dem Jahre 1831 (8. 516 ff.). In Folge dieses
Versachs wird dort Gott näher als ,,ld«Dtität von Gesetz
ond Weltordnung" gefafst.
3akTh. /. miMeiftch. Kritik. J, 1830. II. Bd.
ist, fortan nicht unberücksichtigt werden bleiben dBr>
fen. Wir sehen aus dem Zusammenhange, durch wel«
eben er hier darauf gefuhrt wird, und aus seinen aus-
drücklichen Erklärungen, dafs er wissenschaftlich weit
davoii entfernt bliebe das Religionsgefohl etwa, wie
man ihn häufig verstanden hat, einfach nur als etwas
Gegebenes hinnehmen zu wollen, ohne die philosophische
Einsicht in seine. Nothwcndigkeit oder in die Noth«
wendigkeit seines Inhalts. Dieses Mifsverständnifs ist
verschuldet durch den allerdings etwas unbequemen
Ausdruck „Gerühr*, fiir welchen wir ihn hier in aus«
drücklichem Unterschiede eben so sehr von der Eu»»
pfindung, wie von dem „reflectirten Selbstbewufstsein
oder Ich" den Ausdruck unmütMares SsUstbewufsU
sein substituiren sehen (S. 429, vergl. S. 524). Auch .
erklärt er sich ausdrücklich dagegen (S. 152, vergh
S. 431), die Religion, welche bei dem Gefubl oder un«
mittelbaren Selbstbewufstsein s'tehen bleibt, für "etnas
Höheres ku nehmen, als die philosophische Speculation^
welche auf dem Wege des Denkens und Wissens nach
der AnschauuDg Gottes strebt. Obgleich nämlich diese
Anschauung nie wirklich vollzogen werde, sondern nur
indirecter Schematismus bleibe, so sei sie doch aufser,
dieser Form völlig rein von allem Fremdartigen, wäh-
rend dagegen das religiöse Gefühl zwar eiu wirklieb
vollzogenes, aber nie rein, sondern das Bewufstsein
Gottes darin immer an einem Andern sei^ weshalb es
auch bildlicher, anlbropoeidiscber Vorstellungen nicht
entbehren könoe, von welchen das speculative Denken
sich rein zu halten oder wenigstens der Gränzen ihrer
Geltung sich bewufst zu werden allerdings vermöge* —
Wenn also Schi, auch im speculativen Zusammenhange
vom Religiousgcfiihle spricht und darauf verweist, so
geschieht es, wie wir hier sehen, nicht in der Absicht,
um das Gefühl als eine Autorität hinzustellen, fiir
Wahrheiten, die sich auf andere Weise, als eben aus
dem Gefühle, nicht beweisen lassen. Es geschieht
.83
659 ' ' S e hleisrmaeke
Tielmebr, um för jenen ^^transscendentalen Grund des
WisseoB,** welchen' aufzusuohen uns die Speculation
drängt, wfibrend sie ifau auf adfiqnate Weise im Wis-
sen danustelleD nach dem Vf. nicht vermag;, das Ent<
sprechende im subjectiireo Geiste aufzuzeigen. Die
^Analogie nämlich des Gefühles oder ^^unmittelbaren
Selbsttiewurstseins" zu dem transscendentalen Grunde
besteht nach dem Verf. (S. 429) darin: dafs es „die
aufhebende Verknüpfung d^r relativen Gegensätze, die
Einheit des denkend wollenden und des wollend den- ^
kenden Seins*' ist. Als solche aber ist es nicht etwa
Bur im Uebergang vom Denken zum Wollen oder um-
gekehrt, sondern es ist in jedem Moment des Den-
kens und des Wollens, weder verschwindend in irgend
einem dieser Momente, noch je für sich allein bervor-
tretend. AU unter Bewufstsein zeigt es (S. 430) uns
selbst uns als bedingt und bestimmt, aber nicht durch
iCtwas selbst im Gegensatze Begriffenes, sondern durch
dasjenige, worin allein das denkend Wollende nud
das wollend Denkende mit seiner Beziehung auf alles
Uebrige Eins sein kann, also durch den transscenden-
ten Grund selbst. Solchergestalt also ist in dem reli-
giösen Gefühl das höchste Wesen selbst repräsentirt \
dieses Gefühl, das aUgemeine Abhangigkeittgeßthl^
vermittelst dessen der Urgrund eben so in uns gesetzt ist,
wie fn der WahrL*ehmung die Dinge in uns gesetzt
sind, ist die Ergänzung zu dem, was wir in jeder BXt*
dern Formel, welche die Dialektik für das höchiste
Sein erfinden kann, noch vermissen. Jede dieser For-
meln wird eine Beschreibung des Urgrundes dadurch,
dafs wir sie auf dieses Gefühl beziehen.
Man siebt hieraus, und die weitere Folge bcstä-
ti|rt es auch noch ausdrücklich, wie eng dieses Zurück-
kommen auf das GeftihL oder unmittelbare Selbstbe-
wufstsein mit demjenigen zusammenhängt, was man
als das pantbeistische Element, als den Spinozismus^
in Schleiermachers Lehre bezeichnet bat. Auch, Jacobi '
hat seine ireligiöse Philosophie auf das Gefühl begrün-
den wollen^ aber was dieser Philosoph Gefühl nannte,
ist ganz etwas Anderes, als was wir bei Schi, so ge-
nannt finden. Jacobi^s Gefühl stellt sich dem Spino-
zismus des remen Denkens ausdrücklich entgegen; es
ist das noch nicht zur Klarheit des reinen Denkens ge-
brachte, vielmehr mit den wirklich zur Klarheit ge-
brachten Begriflsbestimmungen dieses Denkens noch
im Widerspruch stehende, aber mit unwiderstehlicher
r $ Dialektik*'
Energie sich hervordrftngende Bewnfstsein oder AHge*
meiugefühl der Persontiefikeit. Das Scbleiermacher-
sehe „Abhängigkeitsgefühl" dagegen ist, wie wir au»
vorliegender dialektischer Ableitung desselben dentlK
eher noch sehen, als ans der Ausführung, die 9« io der
Glaubenslehre dieses Forschers erhalten hat, swar
gleichfalls etwas die abstracten Denkbegriffe, welebe
nach Schleiermachers eigenem Bekenntnifs <S« 113 t)
als Deukbegriffe ein pantheistisches oder spinozisti
«cbes Resultat geben, Ergänzendes, aber in einer
Weise, welche durch diese Begriffe selbst gefordeH
und vermittelt wird, und daher nicht, wie dort, emen
wirkliehen Gegensatz oder Widerspruch gegen sie ein-
schliefst, sie Ergänzendes. Bei Jacobi erscheint es im-
mer als eine Schwäche unsers Erkennens, wenn wir
den Inhalt des Gefühls nicht auch zur Erkenntnifa,
zum Wissen zu bringen vermögen. Allerdings findet
sich auch bei diesem Denker der Satz ausgesprocfceDt
ein Gott, der gewufst wxrden könnte, wäre kein Gelt,
allein nur Schiciermacher hätte diesen Satz in seinem
eigentlichen und strengen Wortsinne ausspredieo kdn*
neu. Denn nur nach itim ist ein Wissen von Gett
an Mich oder in Folge der eigenen Natur Gottee
unmöglich, während es bei Jacobi immer nur in Folge
der Beschränktl|eit unseres Erkennens unmöglich ist.
Gott kann nach^ Schleiermacher nicht gewufst werden,
weil er seinem eigenen Wesen nach das ober alles
Wissen Hinausgehende und ihm Jenseitige, der Gmod
des Wissens vielmehr, als ein Object des Wissens
ist. — Ganz folgerecht schliefst sich daher bei ihm an
die Bestimmung, dafs Gott nur im Gefühl erfafst wer-
de, der Satz (S. 154), dafs wir nur um das Sein Got-
tes in uns und in den Dingen wissen, gar nicht aber
um ein Sein Gottes aufser der Welt oder an sieb.
Dieser Satz hat in dem Zusammenhange, in welcbem
er uns begegnet, zwar nicht den Siuu^ als öei das
Sein Gottes mit unserem Sein und dem Sein der IKoge
eines und dasselbe, wohl aber diesen, dafs nur in m-
serm Sein und dem Sein det Dinge das Sein Gottes
zu einem wifsbaren, nicht blofs f&r uns, sondern über-
haupt wifsbarcn sich gestaltet. Ferner ' reiht ^ich ebeo
daran der weitere Satz (S. 161 ff.), dafs der Idee dto
Gottheit eine zweite Idee „correlaf ist^ die Idee! der
Welt, welche ebenfalls (nicht blofs extensiv, sondern
auch intensiv S. 164) unser reales Wissen iiberaclirei-
tet, und, zwar nicht in demselben Sinne, wie die Idee
SeAledermaoA
te Ctdtttei^ aber auf ihre eigne Weite traasfecenden-
tal ipt Wie die Idee der Gottheit der transseeoden-
tale terininus a quo und das Princip der Möglichkeit
des Wiaseoa an sich, so ist nach unserem Yerf« die
Idee der Welt der transscendentale Terminus ad quem
mid das Princip der Wiriilichkeit dos Wissens in sei-
nem Werden. Wir sind nicht befugt, ein anderes Ver-
haltnifs swisehen Gott und der Welt zu setzen, als
das des Zusammenseins beider; die fVeh , nicht ohne
Geiiy Gott nicht ohne die Welt. *) Dennoch sind
bcÄde Ideen nicht dasselbe, Gott und Welt nicht iden-
tisob. Die Vorstellung, dafs die Idee Gottes rein ge-
halten nur die leere Einheit «i Nichts sein müsse, ist
schielend; Gott ist die volle Einheit, die Welt, die in
sieh eine Vielheit. Die Vorstellung aber, dafs Gott
das Urbild sei und die Welt das Abbild, ist nur in
sofern gültig, als nicht gesetzt wird, das Urbild könne
aueh ohne das Abbild sein. ^ Wenn übrigens auch
von der Idee der Welt ge^isagt vird (S. 165), dafs uns
nicht ihr Sein au sich und ihr Sein im Gegensatz ge-
gen Gott im Wissen gegeben sei, sondern nur ihr
Sein in uns und in den Dingen: so hat auch hier die-
ser Satz denselben Sinn, vie bei der Gottheit, nämlich
nicht, daCs wir die Welt hn Wissen zu fassen nicht
fermögen, sondern dafs sie, als nicht seiende, sondern
werdende, als eben so sehr intensiv, wie extensiv un-
endliche sich dem Wissen überhaupt entzieht oder dar-
übet hinausgreift.
Heber den zweiten oder „technischen'* Theil kön-
nen wir uns kurz fassen, obgleich derselbe vom Verf.
aelbst keineswegs stiefväterlich bebandelt ist, sondern,
formal betrachtet, sich sogar als Zweck und Zielpunct
das Ganzen darstellt Er zerrällt in zwei Abschnitte,
deren erster ?on der „Construction des Wissens an
sich," der zweite von der „Combination des Wissens**
handelt. Im ersten wird ausfuhrlicher die Theorie der
Begriffs- und Urthcilsbildung entwickelt, deren allge-
meine Principien schon im ersten Tbeile gegeben wa-
ren* Wir finden darin, wie schon vorhin angedeutet,
ungemein schätzbare Anregungen und Materialien zur
Darstellung der Logik in einem Sinne, wie wir solche
e r e Dialektik.
662
•-) Dieter Satz steht, wie der Herausgeber S. 168 bemerkt, in
der ersten DarsteUuni^ aus dem Jahre 1811 am meisten in
dem Vorgrundy in den späteren kommt der entgegengesetzte
Ton der Nichtidentität Gottes und der Welt m^hr zu sei-
.nem Rechte and drängt Jenen in dea Hintergrnnd zuiück.
auch nach Hegel noch für eine Forderung halten, wet
che der Wissenschaft demnächst zu erföllen obliegt.^
Begriff mid Urtbeil werden von Scbleiermaeher als sub-
Jective Functionen des Denkens zwar, aber keinesw^a,
wie in der bisherigen formalen Logik, als etwiis schlecht-
hin Gegebenes in Betrachtung gezogen, so dafs die
AufgaKe dieser Betrachtung nur ifi dem Aufzeigen des
äufserlicben Mechanismus der Deitkprocesse, und dann
etwa noch der Species und Varietäten der Begi^iffe^
(Jrtheiie und Schlüsse, gleichwie bei einer Thier- oder
Pflanzengattung, bestände. Der Verf. geht vielmehr
darauf aus, zunächst zwar die Genesis des Begriffs und
Urthcils aus den zwei Haupt» und Grundfactoren alles
Wissens, der, Sinnlichkeit und der' Vernunft, sodann
aber die Fortbildung der unter dieser doppelten Form
gesetzten Deuhninctioncn zum realen Wissen nachzus-
weisen. Der Grund, weshalb er uns in diesem Unter-
nehmen sowohl fibediaupt, als auch an jeder einzelnen
Stelle nicht ganz zu genügen vermag, so sehr wir das
Unternehmen an sich selbst gtitheifeen und für ver-
dienstlich achten, liegt in dem mangelhaften Grundbe*
griffe des Wissens, so wie er sich aus den allgemei-
nen Principien dieses Denkers ergiebt. Alle wirkliche
Begriffs- und UrAeilsbildung kann sich nach Scbl. zu
demjenigen Wissen, welches in der That das absolui-
' te, das eigentlich wissenschaftliche wäre, doch immer
nur, so zu sagen, als Asymptote verhalten. Das abso-
lute Wissen bleibt ein Jenseits, alles wirkliche Denken
ist nur ein relatives Wis8c;n, dem absoluten sich Jns
Unendliche annähernd, aber nie dasselbe'erreichend. Dies
die nothweudige Folge der Verläuffuung eines reinen
Vernunftwissens, eines Wissens, welches keines durch
die Sinnlichkeit herbeizuschaffenden Stoffes bedarf,
sondern dem durch die Vernunft selbst sein Gegen-
stand gegeben ist. Denn nur ein solches Wissen
i^t tbeiis für sich selbst auch im Einzelnen und Beson« ^
dern ein wahrhaftes und vollendetes Wissen, eine Prä-
senz des Absoluten im denkenden und wissenden Geiste,
tbeiis vermag es, durch sein Inwohnen, das sinnliche
und empirische Wissen zu einem solcheif zu erheben^
während ein Wissen, welchem die Immanenz* einer Ge-
genständlichkeit der reinen Vernunfterkenntnifs abgeht,
nur durch das Umfassen der Totalität des sinnlichen
Inhalts sie zu ersetzen vermöchte. So gewifs also diese
Totalität nie eine seiende, sondern immer nur eine wer*
dende ist, so gewifs kann nach Schleiermacher nie ei-
gentlich von emem seienden, sondern immer nur von
einem werdenden Wissen die Rede sein. Man si^ht,
wie hierdurch uothweudig auch seine Theorie von der
Construction des Wissens eine andere Richtung und
Färbung erhalten mufs, als sie in einem solchen Zn-
sammenhange erhalten würde, welcher auf die Aner-
Jcennutag eines reinen Vernonftwissens und apf den Be-
sitz einer absoluten Gegenständlichkeit dieses Wissens
gebaut wäre. Der Gegensatz der Schleiermacherschen
Erkeuntnifstheorie gegen eine solche, wie wir sie hier
*]m Sinne haben, aber freilich noch nicht als vorhanden
aufzeigen können, wüt-de noch gröfser sein, wenn nicht
auch letztere, unserer Ansicht nach, gerade bei dem,
663
SphleiermaeherM Dialektik.
vas ScbL Gonstrnction des Wissens heont, bei der Bot-
Wickelung der DenkConetioDen des BegrifiFs, des Ur«
thcils a. s. w. nicht sowohl von der Voraussetzung ei-
ner reinen Vernunfterkenntnifs auszugehen, als yieloiehr
'nach dem vollständigen Begriff solcher Erkenntnifs und
des Erkennens ujid Wissens überhaupt erst hinzustre-
ben hätte. — In der eben angegebenen Stellung der
Schleiermacherschen Erkenntniistheorie liegt nun auch
der Grund, weshalb der zweite Abschnitt dieses Th'eils,
statt sich^ wie in einer Darstellung der Fall sein würde,
die auf der von uns angedeuteten Grundlage rufato^
mit der Aufsuchung und Darstellung der wahrhaften
wissenschaftlichen Methode zu beschäftigen, derjeni-
gen Methode, die, in der Einheit mit dem absoluten
legenstande des Wissens, ihr Ziel, d. h. die Wahrheit
als Syitem^ als ff^iseeusgimzes nicht nur anstrebt,
sondern wirklich erreicht, nur mit der Combinatiou je-
ner unvollkommenen Wissensformen zu einem der wah-
ren. Wissenschaft nur ins Unendliche sich annähernden
Denkznsammenbange sich beschäftigen kann. Er stellt
in diesem Sinne den Begriff eines doppelten Verfah-
rens auf, des AetiristiscAen, und des arc/ntektonücAeny
über deren Beschaffenheit man sich in der Hauptsache
nach dem bisher Gesagten leicht eine Vorstellung wird
bilden können.
Sollen wir scbliefslich noch ein Urtheil über die
Bedeutung des vorliegenden Werkes im Ganzen aus-
sprachen : so sind wir allerdings geneigt, dieselbe njcbt
gerin^^ anzuschlagen, in sofern das Buch dient, unsere
geschicbiliche Kenntnifs des philosophischen Stand-
puncts, durch welchen die vielseitige und tiefgreifende
Wirksamkeit seines berühmten Urhebers bedingt wird,
zu vervollständigen, und in den eigentlichen Uauptmo-
uienten darüber abzuschliefsen. Diesen Standpunct
selbst kann Ref. freilich nicht für den unserer Zeit
durchaus gemäfsen, ja nicht einmal für einen solchen
erkennen, Ton welchem zu erwarten steht, dafs er
sieh in einem Kreise wirklicher Anhänger noch läu-
gere Zeit hindurch forterhalten und eine Stellung in
der Gegenwart behaupten wird. . Nur in der Theolo-
gie, nicht In der Philosophie hat Schleiermacher wäh-
rend seines Lebens eine Schule gestiftet, und auch in
der Theologie nicht in dem Sinne, dafs diejenigen,
welche diese Schule bilden, sich vollständig oder auch
nur in allen Grundprincipien zu seiner Lehre bekennen *
sollten. W as zwar ihn selbst betrifft, so hängt sein
theologischer Standpunct bei weitem enger, als. man
oft hat finden wollen, mit dem philosophischen zusam-
men, ja er bildet mit demselben in \\ ahrheit Ein un«
trennbares Ganze. ^ Denn das Gefühlsprincip, auf wel-
ches seine Theologie sich begründet, kann in seiner
wahren Bedeutung durchaus nicht verstanden werden
aufserhalb des speculativ^n Zusammenhangs, der ihn
auf den Begriff jenes „Abhängigkeitsgefübis'* gefuhrt
hat, umgekehrt aber führt dieser speculative. Zusam-
menbang mit Nothwendigkeit, nicht nur auf den Begriff
des Gefühls, als Princips der Religion überhaupt, son-
dern auch ausdrücklich darauf, das Absolute, welches
m
sich dein Wissen unmittelbar- gegeDstftadlidi in na*
eben nicht vermag, durch das Medium des Gefnhli
zum Qegenstaud emer mittelbaren, nicht sowohl philo-
sonhischen als theologischen Erkenntnifs zu gestalten.
Allein so sehr eben diese Richtung auf eine das icK»
gidse Gefühl als solches zum Gegenstand nehmeuje
theologische Betrachtung ilas Zeitalter ansprach und,
durch eine geistvollere Behandlung der theologischeo
Studien und Belebung derselben mit dem auf speeala-
tivem Boden gewonnenen Ideenschatze ein Bedörfbili
des Zeitalters erfüllte : so wenig populär ist doch im
Ganzen der Weg geworden, auf welchem Schleienna-
cher für seine Person philosophisch diese Kicbtu»^ zh
motiviren suchte, und es schemt uns auch wenig Am-
sicht, dafs die Veröffentlichnng des vorliegendeu Wer-
kes ihn populärer machen wird. Nicht als ob wir
diesen Weg, nur auf einer subjectiven Grille beruhend
meinten; wir bleiben weit entfernt, in die Beschnldi-
gungen der Sopbistik oder des Eklekticismüs eiozii-
stimmen, die man vielfach gegen Scbleiermacber auch
als Philosophen erhoben hat, und glauben vielmehr in
der Gestaltung seiner philosophischen Lehre, so rein
sich uns dieselbe hier, und noch mehr vielleicht, vie
sie sich in seinen ethischen Arbeiten darstellt, einen
eben so sehr innerlich nothwendigen und aus achtem
Geistestrieb entsprossenen, wie mit schöpferischer Ei«
genthümlichkeit ausgewirkten Seitenschöfsling des ^ro-
fsen Stammes der neueren deutschen Philosophie n
erkennen j eine keineswegs unberechtigte Varatioa des
„Sy Siemes der absoluten Identität," dem in seiner .e^
sten Fassung durch „intellectuelle Anschauung", so-
bald das Unzureichende dieser „Anschauung'* erkaont
ward» der Uebergang in jene dialektische Rcflexioa,
welche sich das Absolute nur im Gefühl wirklich prä-
sent zu haben bewufst ist, in der That nahe gennt
lag. Die Einflüsse anderer Philosophen, unter den A
teren besonders Platon's und Spinoza's, unter den neoe-
ren Fichte's und Schelling's, sind, wie in Schleienn»
chers Lehre überhaupt, so auch in gegen wärtiger Dia*
lektik unverkennbar; allein sie sind durchaus vera^
beitet, und die Selbstständigkeit seiner philosophiscfaea
Weltansicht wird dadurch eben so wenig gefährdet,
wie die jedes andern Phitosophenj welcher das Werk
seiner /Vorgänger nicht ignorirt, sondern darauf fort-
baut. Bei dem allen will es uns scheinen, als ob di^
se philodophjsche Ansicht haarscharf zugespitzt und
auf einen sich selbst überfliegenden Gipfel gestellt,
wie sie ist, schon in der Person 'ihres ifrliehers ihre
Bestimmung erreicht habe, die . Bestimmung, von .den
Standpunkte des Identitätsjstemes, als des dem Zeit-
alter, dem sie angehört, zunächst gemäfsen,' eine ver-
änderte Auff'assung der Theologie und der Ethik ein-
zuleiten, und als ob daher die Bedeutung, die auch
wir ihr zuzugestehen uns nicht, entbrechen können, viel-
mehr in der Geschichte, als in der Gegenwart der
Wissenschaft zu suchen sei.
Weif-se.
, • J^ 84.
Jahrbuch e
u r
wisse nschaftlicheKritikJ
November 1839.
XLHL
Darstellung der ägyptischen Mythologie^ verbun^
den mit einer kritischen Untersuchung der
Ueberbhibsel der ägyptischen Chronologie f)on
J. C. Prichardj M. D. Uebersetzt und mit
Anmerkungen begleitet von L. Baymann. Nebst
einer Vorrede von A. JV. r. Schlegel. Bonnj
1837. bei Eduard JVeber. XLII. X. 491.
Wibrend an den Ufem des GaDges europäischer
Fonchongigeist' eine längst Terscbüttete unennefsliobe
Gdttervelt ans dem Grabe gerufen, während das alte
Hiadoatan mit seinen Epopöen nnd Dramen, semen
Religionsfomien nnd philosophischen Systemen dem
ah en Hellas sein verjährtes Recht anf die Vorliebe der
Nachwelt streitig macht: liegt noch eine ägyptische
FiDstemiTs über das enge Nilthal gebreitet, und jeder
Versuch, das nnheimliche Dnnkel seiner Tempel und
Sagen zn erhellen, endigte mit dem Geständnifs seiner
Vecgeblichkeit. Die Sprache des alten Aegyptens ist
spurlos ausgestorben, die Geschichte erzählt kaum
noch Ton dem Untergang der Nationalität seiner Be*
w<»hner, und die einzigen Dollmetscher, die zu befra*
geo wären, sind selbst upanflösliche Räthsel. Mit ge-
spannter Erwartung nahmen wir daher eine Schrift
über diesen Gegenstand zur Hand, die aus der Mitte
dea Volkes hervorging, dessen wissenschaftlicher Fleifo
imd geistige Regsamkeit nur an dem Ueberflnfs von
Mitteln ein Gegengewicht findet, die ihm zu Bewäh-
rang dieser Eigenschaften dargeboten sind«
Seit dem Werke Jablonski's ist keine grfiadlichere
und detaillirtere Untersuchung über die ägyptische Re>
liicion erschienen, als die Schrift des Hm. Pricbard,
OBd schon um der Bedeutung des Gegenstandes wiU
len radgen wir dem berttbmten Vorredner das empfish«
lende Wort v0rdanken, womit er dieselbe* auf deut-
lokth. / wUmMtk. KrkUt. J. 1830. II. Bd.
seilen Boden emführte. Hr. v. Schlegel beschränkt
sich darauf, über das VerwQndtschaftsverhältnifs zwi«
sehen Indien und Aegypten zu debattiren, nnd die be^
sonneoen und erschöpfenden Aeufserungen Jos beröhm«
ten Mannes hierüber erlassen es uns, dieser Frage
ausschliefsliohes Gewicht zu geben«
Die Aussicht auf eine vollendete Kenntnirs des
alten Aegyptens hängt an der unsicheren Möglichkeit,
dafs jemals neue und originelle Quellen für dieselbe
sieh eröffnen. Da ein solcher Vorschub nur etwa durch
neue Aufschlüsse über die Bildwerke und hieroglyphi»
sehen Denkmale des wunderbaren Landes zu gewinnen
wäre: so ist die Erklärung des Verf«. (S. 15), dafs
er diese nicht unter seine Hülfsmittel zähle, so gut als
eine Verzichtleistung auf da« Verdienst, den Stand der
Untersuchung zum Ziele gefiihrt zu haben. Der Vor*
such, die ägyptische Religion aus der indischen zu er*
läutern, der bei der Unbekanntschaft des Verfs. mit
der deutschen Literatur hierüber, besonders der Schrift
V. Bohlen's, beziehungsweise ein neuer Weg genannt
worden mag, setzt die Frage über den äufseren Ver«
kehr „zwischen den Philosophen des Nils und jenen
des Ganges^' (S. 14) als abgemacht voraus, für deren
Lösung die Geschichte jedes Datu6i verweigert i kann
aber jedenfalls nur mit strengeren Grundsätzen gewagt
werden, als die sind, denen Hr< Pr. huldigt. Dennoch
verkennen wir nicht, dafs in VerarSeituiig der von
Jablonski gesanunelten und benützten Hülfsmittel noch
sehr Viel zu leisten sei, und zumal durch ein umsicb«
tiges britisches Verfahren im Gebrauch derselben nicht
nur über einzelne Theile, sondern übor das Ganze der
Untersuchung ein neues /und helleres Licht sich ver>
breiten lasse, indem unsere ganze KenntniÜB des alten
Aegyptens sieh auf die Berichte gründet, die uns ein
fremdes Volk, dessen lerste, aocli unmündige Jugend
kanm mit dem Verfall des ägyptischen Lebens gleich«
zeitig ist, aus den verschiedeneu Perioden seiner Ge-
84
6$7
^, Darstellung der
Mythologie.
668
schichte hinterliefs. Anstatt dieses kritischen Sinnes
finden wir dagegen bei Hrn. Pr. umgekehrt eine an's
. Naive grenzende Hingebung an die griechischen Be-
richterstatter, und Herodot und Porpbyrius, Plutarch
und Plato, Diddor Und Makrobius^ Jamblicb und Strabo
drängen sich in bunter Verwirrung durch einander, um
am Meisten das Wort zu führen. Selbst wo sich ihn^
eine kritische Einsicht darbietet, 'verscherzt er das Ver-
dienst derselben. Er erkennt die Ünbrauchbarkeit der
Etjmolo{^ieen Jablon8)i;i*8, setzt. selbst die ältesten Spu-
ren des Koptischen über die erste christliche Zeit lierab
(8. 14);^ dennoch mag er Ableitungen von Formen
dieser Art als acht ägyptische billigen, deren auslän-
discher und nichtägyptischer Charakter auf den ersten
JBIick einleuchtet, wie Herakles s» Sem von Jörn, Dsom a
Macht, Kraft u. a. ni. (S. 100), während Herodot gerade
in Herakles ein ägyptisches Stammwort findet (II. 43.).
Zur Zeit des Hekatäus und Herodot war mit der
Nationalität Aegyptcns siclier auch die Reinheit der
alten Sprache und das Verständnifs der alten Mythen
^durch «asyrische, chaldäische, persische, griechische
Elemente verwischt Kein Hellene war wohl jener
Sprache mäbhtig, und wer bürgt uns für die Tüchtig-
keit jener griechisch erzogenen ägyptischen Kna-
ben, von denen Herodot (II. 154.J) als seinen Her-
meäeuten redet f wer für den guten Willen der Prie-
ster, die er befragte? wer, bei der Aehnlichkeit indi-
scher und ägyptischer Verfassung und des dadurch be-
dingten Charakters beider Völker dafür, dafs nicht hin
und wieder Täuschungen statt fanden, wie sie Wilford
von jenem Panditen, Voltaire und seine Zeit durch den
Ezöurveda erfuhren t Dafs aberPlato in Aegypten Viel
gelernt, bezweifelt schon Strabo.
Wie nötbig ist jene kritische Behutsamkeit erst
bei Benutzung jener späteren Auetoren, die ihren Ge-
gens&nd bereits durch das Prisma einer deutenden
Allegorie auifafsten \ und doch findet sich in der Schrift
des Verfs. nicht eine Spur des Bemühens, denselben
durch einen Abzug jenes prismatisehen Einflusses auf
seine ursprüngliche Gestalt zurückzuführen! Ja, was
soll man dazu sagen, dafs gerade diese Quellen es sind,
in denen er den Sinn des ägyptisoheft Mythus am
Wahrsten gegeben findet} was zu dem Luxus, ^en er
mit Plutarch, Diodor, Makrobius, den Neuplalonikern
treibt! Zur Rechtfertigung dieses Verfahrens sucht Hr.
Pr. (S. 6-* 10) zu beweisen, dafs die hermetischen BS-
eher, welche die Quellen jener Schriftsteller gswesen
seien, ursprängUehe Denkmale des alten Aegypteni
waren* Das Dasein derselben setzt er voraus. Pia.
tarch kennt sie vom Hörensagen; Clemens besokreibt
deren schon .44. Das Zeugnifs des viel getäaschten
Vaters ist für Nichts zu achten. Die Bücher handeli
von Institutionen, deren Beechreibung ein Zeiohen ist,
dafs ihr Gebrauch längst aufgehört hatte, die wäbrenl
der ihnen angemessenen Verfassung, zumal unter I^^
Stern, nur durch lebende Tradition sich erhalten konn-
ten. Galen verwirft sie, jedoch nicht ans kritisdieii
Gründen, sondern wegen ihres läppischen Inhalts. Jam-
blicb aber kennt solcher Bücher 36524 und beweist
^ damit aufs Beste, wie die ganze Erscheinung 4rar anf
der Mysterienmanie einer Zeit ruhe, in welcher falsche
Schriften pilzenartig aufschössen, und ein alter Name
genug war, um eine Lüge daran zu knüpfen, die neh
alsbald lavinengleich vergröfserte. Es ist mehr ab
zweifelhaft, ob die alten Aegypter überhaupt eine Buch-
stabenschrift besafscn, da alle Spuren einer solohea,
wie die Mumienscbriften des Grafen Caylns, dielii>
Schrift von Rosette auf phönicischen, persischen, grie>
chiscben Charakter deuten. Das Zeugnifs des Plate^
das sich an die jüngere Figur des Thot und das nach
Strabo erst unter Psammetich erbaute Naukratis lebnt,
kann über das griechisch - ägyptische Alter zoriitk
keine Kraft haben ; während, wenn wirklich der l]nt€^
schied bei Herodot zwischen heiliger und gemeinet
Schrift Grund hätte, man nicht sieht, wie jene noch
zur Zeit der Ptolemäer oder gar ded Jamblichos ve^
ständlich gewesen wäre, da offenbar jener Untersehiel
nur in der Tendenz begründet war, die GeheimoisfiC
der Priester vor dem Volke, wie viel mehr vor Abs*
ländern zu verbergen, die ein Aegypter nach Beredet
nicht einmal küssen, mit denen er nicht einmal esses
durfte. Hr. Pr. bedenkt diese priesterliche Tendeos
ebenfalls; er gesteht sich, dafs kein Grieche die Lan-
dessprache der Aegypter verstand; er kennt die Pro*
duc|ivität des frommen Betrugs; — dennoch setit er
solche ächtägyptiscbe Schriften voraus, lälst sie durch
gräcisirte Aegypter übersetzen, und bedauert nur den
Verlust dieser Versionen, die indessen jene AudoRD
als Quellen benützten. Er beruft sich auf Jamblieb,
der wirklich von solchen Uebersetzungen redet, darob
66»
PrMimrdy DarMtelbmg det &gypH$ckm JUytAoUgie.
670
das Bemübeil aber> den platonisoh^ Anstnoh dersel«
bau nach Sprache nad Gedanken an entscbnldigen, das
Drtbeil über die Zeit ihrer Cooipoaition feststellt
Als Quelle ffir das richtige Ferstäiubit/i der
ftgyptiachcn Mythen beoützt Hr.Pr. femer die griechi-
sehe Philosophie -9 deren ägyptische Abstanunung er
als Etwas an- sich Gewisses betracbtetw Vor Allem
bift er sich an Orphons und die Pjthagorfier, die wahr»
' seiieinlichen Verfasser der. orphisohen Gedichte« Die
•rpbische Kosmogonie bildet den stebendep Ausgangs-
po&kt seiner Untersuchungen (vgl. S. SO ff. 43 ff. 139 ff.).
Dem Orpheus weist indefs der sicher i^^mittelte Ur-
tsproag 'der baecbiscben Mysterien seine Heimath in
Thracien, sdne Lebensaeit lange nach Homer an, als
Um ägyptischen Zustände längst durch fremde Ele-
■lente ihre Reinheit yerloren halten. Die Beziehung
dea Orpheus auf Aegypten hält auch Hr. Pr. nicht ge»
rsde fest (S. 11 A- l-); dennoch ,,enthaltenfliribndie
erpbischen Fragmente die ältesten Gattungen der Sa-
twrdotal- Philosophie der Griechen, oder jener mysti*
uAea Auslegungen des Volksaberglaubens, die unter
den Hieropbanten aufbewahrt wurden, und die den
Caltua der Götter von den Ufern des Nil in die Wei*
1er Ton Arges und Attika hinübertrugen" (S. 30. 31.)«
Und doch, verdient die Sucht der Griechen, ihre belli«
gen Institutionen von Aegypten abauleiten, etwa mehr
R&cksicht, als der Brauch, sie auf Orpheus» Linus, Mu»
e&BS aorückzuführen f Die grofse Bedeutung , welche
die orphischen Mysterien fiir das erwachende Bewufst«
sein der Hellenen 'gewonnen hatten, trug sich in dem
Geiste des Volks auf die Person des mythischen Stif-
ten Aber, dessen Name sofort der belle Punkt war,
-weran sich die Productionen ihres religiösen Lebens
auieetaten ; er war zugleich das Vehikel ihrer eigenen
Attctorität Fand nun die Vorliebe der Griechen fttr
das Fremde, ihre Sucht, die eigenen Zustände durch
dAs Verdienst hoben Alterthnms zu sanctioniren, in
dem längst gräcisirten Aegypten zahllose Aoknüpfungs«
pciiikte, so lag es allzu nahe, den orphischen Namen
mit diesem Wundorlande der Hellenen in Verbindung
KVi setzen, tu den abgeleiteten Formen des griechisch«
ägyptischen Lebens die ursprönglicben Elemente, in
d^r Tochter die Mutter zu sehen. Herodot nennt den
Ovpbeus nicht in Aegypten. Eine, auch in seinen An-
g^n nur halbe, Aehnlichkeit der Dionysien mit den osi-
risohen Ceremonien ist dem befangenen Manne^ Grund
genug,, jene von diesen abzuleiten, und dita Melampus
lind Kadinus als Vermittler zu conjecturiren« Diodor
aber erzählt^ schon tou einer Reise des Orpheus und
Melampus nach Aegypten. Orpheus und Melampus in
Aegypten haben nicht mehr historischen Werth, als
Makedbn, der Sohn des Osiris, der italisch -troische
Aeneas, der phooicjsche Kadmus, der ägyptische Da*'
naus. Man sieht,', wie leicht es ging, das wahre Ver-
bältnifs Ton Hellas zu dem Aegjrpten der Hellenen
umzukehren. Es ist unmöglich, aus den unlantem
Nachrichten über Pytbagoras die Ansichten desselben
selbst zu ermitteln. Wollten wir auch .seine .ägypti-
sehe Reise für mehr, als einen Mythus nehmen, —
die ägyptischen Bestandl heile Jener ausscheiden zu
wollen, ist ungereimt. Pytbagoras ist, wie der Name
des Orpheus, Homer, Hesiod, der Typus für eine Seite
des griechischen Lebens geworden. Die Nachricht tou
seiner Beschneidung> die Sagen bei Clemens über ihn
sind Fictionen einer spätem Zeit. Zudem war Aegyp«
ten um die 60. Ol. nicht mehr dos Land der alten Fa-
bel. Hr. Pr. macht es sich bei alle Dem leicht; die
Pythagoräer behandelt er geradezu, als wären es ägyp-
tische Philosophen. Indessen macht er es mit den ioni-
schen Philosophen, mit den Stoikern, ja mit — Virgil
nicht anders.
Es murs einen tieferen Grund haben, warum^ der
Vf. einen so luftigen Weg geht. — Weit strenger als
selbst für den Historiker gilt für den Mytbographen
die Forderung einer absoluten Freiheit Von Vorurthei«
len, je mehr der^ religiöse Charakter des Mythus ge«
eignet ist, das sobjoctive Denken zu verleiten, an zu-
fällige Seiten desselben Gesichtspunkte anzuknöpfen,
die nur ihm selbst eigen sind. Von jener Unbefangen«
heit, jenem rein historischen Interesse findet sich aber
in dem Buch des Verfs. so wenig eine Spur, als von
jener Quellenkritik, nnd Beides hängt genau zusam«
men* Die ägyptische, wie die indische Religion ist
für ihn nur das Medium, seine eigenen Gedanken über
die ersten religiösen Zustände der Menschheit,, die Hy-
pothese von einer gemieinsamen Urreligion zu bewahr-
heiten. Die* ganze Behandlung seines Gegenstandes
ist auf den Schlufs augelegt, dafs diese Urreligion den
Glauben an die Existenz einer Gottheit im christlichen
Sinne des Wortes, an eine Uiisterblichkeit und Wie-
dervergeltung enthalten habe, dafs jenem „Theismus
der ersten Zeitalter'* besonders das „Dogma einer
671 Priekardy DanteUung der ägyptüek^n Mytikel^gie.
Trias der Personen" der ^Gottheit suzusohreiben, der-
872
selbe auf „äbematfirlichpn Ursprung'' zurückzufahren
sei; woHiif genau zusammenbängf, (}i<i geistige Entwick»
lung der Menschheit als' eine wachsende Corruption
aufzufassen. Das Bemühen zumal, sich' den Inhalt je-
nes Glaubens phüotaphüch zur Anschauung zu brin-
> gen, erzeugte nach Hrn. Pr. zuerst Emanatismus, da^n
Pantheismus, dann jrohen Naturdienst (S. 183 — 216,
242 — 246). Seltsam, vie die doch aus dem unmittel-
baren Quell der Wahrheit selbst fliefsenden Anfänge
der alten Philosophie so roh sein konnten I wie der
Geist, im yoUen Genüsse des wahren Wissens, so Tiel
Drang und Mühe haben moditOi dasselbe auf einem
Wege zu suchen, der geradeaus auf den Verlust des-
selben ausging! Es ist hier nicht der Ort, über die
längst gerichtete, alle menschlichen Entwicklungsge-
setze nicht minder, als alle Zeichen der Geschichte
Biirsachtende Hypothese uns zu äufsem; hier nur toq
dem Binflufs derselben auf des Vfs. Ansicht ron der
Mythologie ^er Aegypter !
Je hdher das Alter eines Mythos genommen wird,
um so mehr wird nach jeuer Hypothese in demselben
religiöse Wahrheit liegen. Die Mytbenbildung ist dem
Vf. der erste Versnob, „jene einfache Form der Theo-
logie mit philosophisehen Fictionen nach dem philoso-
.pbirenden Stiele, der dem „Genius des Zeitalters pas-
send war, auszuschmücken'' (S. 245); eine Beschrei-
bung der „Operationen der Elem«ite,'in einem mysti-
schen und poetischen Stil ' gegeben (S. 29). Der My-
thus wird zur allegorischen Form eines abstracten Ge-
dankens. Was Wunder, wenn Hr. Pr. sich nou fiir
den ägyptischen Mythus vorherrschend an jene Schrift-
steller hält, in denen er seine eigene Anschauung des-
selben wiederfindet!'
Indem wir uns zu der Darstellung wenden, welche
Hr. Pr. von dem Inhalt der ägyptischen Religion giebt^
sollte man, yon der Hypothese jenes „Theismus der
ersten Zeitalter'' aus, tneinen, der Vf* werde sich vor-
erst bemühen, in derselben die Spuren des Glaubens '
an die Existenz ^nes Gottes im ohristlioben Sinne auf-
zusuchen. Die Entwicklung des Buchs leidet jedoch
durchwi^ an einer st(hE«nden Confosion, entbehrt eines
fortlaufenden Zuummenhao^s. Man mufs das Zu*
sainmengehörige meist in zerstreuten Fragmenten, oft
an den ungehörigsten Stellen zusammenlesen ; (x. B.
die orphischen Gedichte, obgleich die Grundlsge des
Ganzen, stellen füglich das Bild ihres zerrissenen lim.
herrn vor, wie sie Hr. Pr. aufiührt ; einen sehr sps»
ciellen Zug fiir die Einheit des Siva und Qsiris findet
man in dem Absdinitt . über die IdentitlLt Typhons and
Siva's u. dgl. Solche ünprdentliehkeiten sind den
Buche habituell.) Auf den Beweis, dafs der ägypti-
schen Religion der Glaube an die ,>Bxistenz dne« no*
sichtbaren Schöpfers" (S. 139) nicht fremde sei, läfst
sich Hr. Pr. nur erst ein, nachdem er die ägyptisohe
Trias und alle Götter abgehandelt hat Zudem wird
dieser Gegenstand in einem ganz andern CapitM, Bach,
ja unter einem ganz anderen Titel als die übrigeo
Mythlen behandelt. Die Frage nach der Kosmogonie
der Aegypter nennt Hr. Pr. nebst ihrer Eschatologie
„die esoterische Philosophie" derselben. Ein UDt6^
schied des Esoterischen und Exoterischen ist anf dos
StandpuBCt des Verfs. nothwendig ; Jenes begreift «üe
Begriffe und Gedanken, Dieses die allegorischen F(n>
neu« Anders Hr. Pr. Der Mythus von Knepb, mit
dem orphischen Wdtei im Munde, von deni Demioig
Phthas ist ihm das Esoterisohe^ das Exoterische aber
ist der Thiercultus des Volks (8. 217). Wohin die
Mythen von Osiris und den anderen Göttern gehdroi}
sieht man nicht Sie stehen zu ihren thieriscben Eft-
Uomen in keinem andern Verhältnifs als Knuphia n
semer Schlange; dennoch werden sie als die „volks-
thümliohen Fabeln" sehr strenge von jener „esoteri*
scheu Philosophie" getrennt (S. 139). — Die ägypti-
sche Trias findet Hr. Pr. in Osiris, Typhon .und B9*
ros (S. 68, 70). Hat man es wobl als eine philoM-
phische Zuthat anzusehen, dafs diese drei Reprasea*
tauten jener Urtrias in Isis, Nephthys, Bubastis je eise
weibliche Geffthrtin haben?? (S. 113, 124, 115.) Dieie
Trias ist eine herbe Fiction. Typhon und Osiris et^
hen sich als durchaus feindselige Prineipien gegennbtf ;
dennoch sollen sie als Personen der Trias neben en^
ander stehen, und diese sogar eine~,,pantbeistiscbe^
sein. Hr. Pr. sucht die indische Trimurti in derselbcSi
(Die Fortsetzung folgt)
* »
wissen
J ahrbfieher
für
Schaft liehe
K r i t i k^
November 1839.
m
Darstellung der ägyptischen Mythologie^ vertun*
den mit einer kritischen Untersuchung der
Ueberbleibsel der ägyptischen Chronologie ton
J. C. Prichard.
(FortietxoDg.)
Allein Siya ist nicht nar der schreeklicbe Gott,
er .'ist kein bösartiges Wesen, wie Typbon; seine
achreckliche Seite ist die Folie seiner wobltbätigen
Wesenheit, wie das Priuoip der Zerstörung im Gebiete
des Naturlebens nur die Kehrseite, ein anderer Aus-
draek ist f&r das der Geburt. Die indische Religion
ist daher Pantheismus; die ägyptische bat in jenen
drei Formen bereits parsisch-dualistiscbe Einflüsse er«
lahren« Hr. Pr. mufs die sehr spröde Form der
Persönlichkeit Jener drei Götter in dem abstracten Be*
griff des Naturlebens absorbiren, um den Schdn des
Partheistiscben xu retten. Wo bleibt femer in dieser
Tjriäs der für Hm. Pr. von Horos, Osiris und Isis un-
trennbare Harpokratesf und was hat man von dem
gebeimnifsvollen Knnphis, dem Demiurgen, was TOti
dem mit Kneph nach dem Yf. fast identischen Jupiter
Ainmon in ihrem Verb<nifs zu dieser Trias zu den-
ken? uind wenn nun nach Herodot gar Pan der älteste
Gott der Aegypter ist (II, 143), wie steht er zu jenem
Theismus, xu dieser Trias! u. s. w. «—
Bei der Entwicklung der einzelnen Götterdeutun-
gV^ oder der Lehren, die ,)im Geheimen den Schülern
des dreimal grofsen Hermes vorgetragen wurden** (S*
30), hält Ur. Pr. fest, dafs dem ganzen Mythensystem
Jener Pantheismus zu Grunde liege, der „das Ganze (0
der Natur als eine beleihende Seele, deren Theile den
JElementen u. s. w. beigelegt wurden, betraebtete," in
^em Pantbeus bald ein Mannweib sab, bald die acti«
wen und passiven Natnrkräfte unter der Form der
bimmlischen und sublunariscfaen Welt trennte u. s. w.
(S. 30^46),.— Alles nach neoplatonisch -orphischen
Jmkrb. f. ^munKh. Kriiik. J. 1839. II. Bd.
und virgilscben Versen! — Die Legende von Osiris
wird nun S. 47 ff. nach Plntarch erzählt und S. 60 ff.
gedeutet. Der Verf. entwic)Lelt zuerst die Beziehung
des Mythus auf den Wechsel der Jahreszeiten und den
jährlichen Sonnenlauf, und sucht besonders die an die
einzelnen. Momente desselben sich kniipfenden Feste
mit diesen ins Gleiche zu bringen. Aber weder die
Deutung des Osiris auf die Sonne, noch die von Plutarch
erwähnte auf den Mond, noch die bei Eusebius auf
den ' Nil ist seiner Anschauung gerecht ; sie sind
sämmtlich nicht abstract genug. Mehr gefällt ihm die
Deutung der „tieferen Gelehrten uliter den Aegyptiern"
(S. 64), die in Osiris den Typus des feuchten Ele-
ments sehen, das sie „als das zeugende Princip der
ganzen Natur" betrachteten^ was ja nicht nur durch
die jonische, ans Aegypten stammende Schule genii-
gend bestätigt wird, sondern schon durch den offen-
bar daher kommenden Vers Homers: 'i^xiayor tc ^hop
ytnoiP noi (Afiuqa Ti^ew^ und Thetis ist dem Vf. Sym-
bol der — ^ Erde ! ! Hierauf zieht Herr Pr., alle diese
Deutungen summirend, das Resultat, Osiris sei die äc-
tive Naturkraft überhaupt, Isis die hervorbringende
Kraft d^r Natur in der sublunarischen Welt. „Vereint
betrachtet aber sind beide da» universelle Wesen, die
Seele der Natur, dem Pantbeus oder dem doppelt ge-
schlachtigen Zeus. der orphischen Verse entsprechend*'
(S. 65), eine Vorstellung, die sich (S. 147) in Phthas
und Neith ganz wiederfindet. In dieser physischen Ab-
straction werden nun alle Gotter aufgelöst. Typhon
ist die „zerstörende Ursache in der Natur," im Gan-
zen identisch' mit — Osiris^ Uoros ist „der Erneue-
rer und Erbalter der Natur," doch ist die Ansicht Plu-
tarchs auch sehr plausibel, dafs „Heros die ganz^
sichtbare Welt begreife," da diese Idee „mit dem Gor
nius der pantbeistischen Mythologie übereinstimmt^' (S,
69). Die „idealiscbe Existenz" des Harpokrates be-
ruht in der das Aufsprossen der zarten Pflanzen be*
85
675
Prichardy Darstellumg der ägyptüeken Mythologie.
fördernden Nafurkraft (8. 73, 74). Serapis wt das
prodnctiTe Leben der Natur ivährend der Periode ,,der
Abnahme, welebe demselben für eine Zeitlang die
Kraft nimmt, es zeugongsunfähig macht^ (S. 76).
•Jupiter Ammon ist der un$ichtbare Gott des Firma-
ments mit Donner und Blitz (S. 99)\ Ueroulea die
Kraft der — Sonnen -Attraction oder Gravitation (S.
100); doch ist Jupiter Ammon auch die das Beseelte
bewegende, Hercules die das Leblose ordnende Macht
(S. 102). Pan „fährt den Vorsitz l>ei dem Processe**
der Fortpflanzung (S. 103); far Papremis giebt es
keine Deutung mehr, er ist eben eine Form des Ty»
phon (S. 106); bei Anubis geht t^enigstens die Ab-
atraction aus; er ist Vorl&nfer des Tags, Fuhrer der
G^tteraufzüge, und Psychagogos (S. 109); Thot Gott
der Gelehrsamkeit. Die Göttinnen verwirren sich ganz
in einander.
Bs liegt ohne Zweifel in der symbolischen Anschau-
ung des Mythus ein tiefer Reiz. Der Gedanke bew&hrt
dadurch seine Macht über die äufsere Erscheinung,
indem er sich als das Wesen derselben begreift; und
in dem poetischen Geiste eines jCreuzer und Baur auf-
gefafst, kann die Symbolik nicht yerfeblen, eine tiefe
Wirkung zu äufgern. Um so widriger erscheint jene
Deutungsart in dem Buche des Verfassers. Hr. Pr.
besitzt Nichts tou jeuer Phantasie und seine Hypothese
quält sich in dürftiger Einförmigkeit von einem Mythus
zum andern. Ein ärmlicher Nothbehelf ist die Vermu-
thung, dafs wahrscheinlich schon vor der Zeit der
Griechen die Auslegung mancher allegorischen Fictio«
Den verloren gegangen sei (S. 30). Besonders unphi-
losophisch aber erscheint diese Deutungsart, wenn sie
den abstracten Gedanken, der nur als substanzielles
Element dem Mythus einwohnt, dem religiösen Snbject
selber ins Bewufstsein schiebt, und die mythische Form
als eine ursprünglich denselben beabsichtigende Er-
findung hinstellt. Das Denken steht gleichsam stille,
wenn man z. B« lesen mufs: „nicht nur zur einfachen
Sonnenscheibe richteten die Aegyptier ihre religiöse
Andacht ; sondern die ganze generative oder prpdnctive
Macht der Natur, welche sich zu gewissen Jahrszeiten
auf eine eigenthümliche Weise in dem Einflufs der
Sonne entfaltet, war Gegenstand derselben^' (S. 67).
Hr. Pr. fafst die ägyptischen Mythen, wie sie jetzt
vor uns liegen, als ein „verbundenes System*' auf.
676
aa kann an ihn gewifs wenigstens sovid forden,
dafs er sich bemühe, jbdor Göttergestalt aus den Foii4a
seiner Abstractionen eine ihrer Erscheinung eotspror
chende, gleich scharf abgegrenzte Bedeutong zu g^
ben. Allein hier laufen Osiris und Typhon, Osirii qqiI
Horos unsicher durch emander; Serapis fällt mit Ty*
phon zusammen nach einer Seite, nach der aadera
mit Osiris; Jupiter Ammon und Knepb sind nur die
etwas abgeblafste Figur des Osiris, den man von den
hier zeugenden Göttern Phthas nnd Hercules mcbt
trennen kann, und wie bei diesem und Zeus Aoibmi,
«9 ist Hr. Pr. besonders bei den Göttinnen in ye^
zweiflung, sie auseinander zu reissen. Alle sind Blond-
symbole; Isis, Bubastis und Eileitbyia sind Geburts-
göttinnen; Titbrambo wie Buto haben die Bcdeutoog
der Hekate u. s. w. Diese Gleichartigkeit, dieser Mao-
gel an individueller Bestimmtheit einzelner Götterfor«
men in Einem Mytheuoyclus ist das sicherste Zeugnift
gegen die symbolische Deutung, und drängt so der
hutorüehen Anschauung der Sache gewaltsam hin,
die zwar an sich durch jene nicht ausgeschlosseo, woU
aber immer gehindert ist, und bei Hrn. Pr. kaum ii
flüchtigen Spuren zu ihrem Rechte kommt. .
Die Mythologie eines Volks ist eine geschiohtliolM
Gröfse, die schon darum,, weil sie auf der mafsloses
Energie der bildenden Pha^ntasie beruht, in unaoflialt*
samem Wachsen begriffen ist. Der Mythus von Kdq-
phis, dem blaugedaohten Agathodämon mit seinem Em«
blem der Boa erinnert zu sehr an den auf derselbes
Schlange ruhenden Wishnus (der als Krisfanas d«
Blaue ist), aus dessen Nabel die den schaffenden Brak
man hervorbringende Lotosblume entspriefst, wie auf
dem Munde des Kncph das den Schöpfer Phthas eot*
brütende orphische Ei (dessen ursprüngliche Identittt
mit dem Lotos Plotarch sehr einfach nahe legt, weui
er die xi;a^oi der Pythagoräer in Eter verwandelt,
Symp. n. 3.), die erst sehr späten Zeugnisse f&r die*
sen Gott, die seinem Mythus so sichtbar anhaftende
Tendenz ergänzender Retiexion deuten zu sehr auf eis
jüngeres Alter desselben, als dafs er fiir eine a/rägyp*
tische Figur gelten könnte. Wie hier indisoh^griechi-
scbe, so mischen sich in Zeus Ammon sichtbar semiti«
sehe und griechische Elemente. Von Serapis ist es
historisch, dafs sein Cultus erat unter den Ptolemfieiii
aufkam, und das zu früh geborene Kind Harpokrates
C77
LüeAj OsmdUokie der MmekdrueJ^&rimn^i im Mskbhkurg hü zttm J. 1540.
678
beweiü tehie spAte Oebvft denfiioh, wenn Herodol ihn
nioht koDDt (was Hr. Pr. schwach genug damit ent-
scbiddigt, dafs der sonst so nmstftndliohe Historiker
ihn oiitHoros identificirt habe (S. 71),aud weil er kein
thieriaobes Emblem hat, Hercnles aber, das Weltei
aeograd und öffnend , ist eine Fignr orphisober My-
steneii«
(Der Besdünfii folgt.)
XLIV.
€h$eAiehte «hr BuekdruekerkwMt in Mekhnburg
Sis »um Jahre 1640 mü O. C. F. LiseA. SeÄuf^
riny 1839. F/il. . 281 S. 8.
Mit Rscfat MMcht mao gsgeDwftrtig sn bibliogrsphbche Ar-
beitern im Allgemeinen ernste wissenschaftliche Ansprüche, man
mifsachtety was in die Kategorie der Büeherliebhaberei und Ca-
liositfttenfreude gehört, man schStit, was das litterargeschicht-
liebo Wisien« als solches» IBrdert. Genau dasselbe gilt von tj-
pografhiseh -geschichtlichen Untersachungen ; wenn derartige
Forschung an sich, wegen der TielAltigen cultur- und liunsthi-
storischen Beziehnag auch Eimigen Gegenstand ernster Bestrs>
buog und Arbeit ist, VieUm kann sie dies nicht sein, Ja es wür-
de eine noch so fleifsige Leistung der Art, beschrSnkte sie sich
inrklich nur auf niichternes Annalenw^en, Icanm auf Beach-
tung ia einem groiseren Kreise Anspruch machen können, son-
4am hier, wie aberail, stellt sich die Frage aach dem wissen*
ackaftli^en Gehalt^ der wissenschaftlichen Ausbeute sofort aufs
antscbledenste (leraus. Kaum bedart es wohl der Verwahrung
gegen den Vorwurf der ImpietSt, als solle durch diese Worte
das unsterbliche Verdienst eines Maittaire, Panser, Hain u. a.
te' mindesten rerkümmert werden, nichts weniger als das; Bck-
krf ist der BegrOnder der alten Numismatik, seit dem AbschlnCi
aeiass Werkes aber, war «s dennoch mb'glich, eiaxelne Partien
des groCMu Gänsen bei grofserer Oetaiikenntniis TollstAndiger
anxnbauen, ohne dols dadurch das Verdienst des Meisters im
satfemtesten geschmälert ist, so hier auf Terwandtem Gebiet;
jene haben den Wald gelichtet, uns litrgt es ob, das gewonnene
-Terrain su mSgliehstem Fruchtertrage su nutsen, jeder an sei-
aeas Theil, am aweckaiifsigstsn gewils durch Loealmonogra-
phiea, und swar durch solche, deren Verfasser die Bedeutung
ilürer Forschung rem richtigen Standpunkt aus erkannt haben,
dafs sie durch die Summe der gewonnenen R<esnltate eben das
litterargeschichtiiche Wissen ipon einem Lande aufhellen und
fördern sollen. Dafa nun das bevorstehende Jubeljahr der gro-
Inea Erfindung der Localbuchdruckergeschichten mehrere ins
lieben rufen wird, llist sich erwarten, und grade derartige
aind freudiger su begrfifsen, als hier und dort, prächtig genug
angekündigte, umfassende Jubeldenkmale, Jubelalbum, Jabeldenk-
ateine and wie die Arbeiten alle heirsen werden, deren wir iu
Jahr und Tag, es läfst sich Toraussehen, einen ganzen Catalog
anfeuwsisea haben werden — freudiger, sagten wir, weil sie
^ wahrscheinlich niitslicher sein werden, als Tiele Jener Pracht-
stücke. Dem Verein fOr Meklenburgische Gesohichto und Alter- .
thumskunde, dessen Bestrebungen Ton anspmchlosem Beginn
ansgehend, nunmehr In Achtung gebietender Weise auftreten uSd
nicht nur der speciellen vatorlSnilischen Geschichte, ^sondern
der allgemeinen deutschen und nordischen in yielfllttger Weise '
▼on anerkanntem Nutsen geworden sind — diesem Verein ver-
danken wir in dem oben genannten Boche die erste Jubelschrift«
Dem Verf. derselben fehlte es fast an aller Vorarbeit, das We-
nige abgerechnet^ was in einer längst vergessenen Zeitschrift
dem Rostocker Etwas su finden; um so anerkennungswürdiger
ist, was er geschaffen, eine Arbeit, welche allen Ansprüchen, die
man biliigerweise an eine erste der Art machen tuiun, genügt;
es wird nicht' fehlen, dais nun, nachdem die Aufmerksamkeit
auf ^ostocker Drucke gelenkt ist, mancher pflichttreue Biblio-
thekar dergleichen nachgehen und dem Vf nachweisen wird —
aber das Bedentendste ist gans gewiis geschehen, die Uauptämte
ist geschnitten, und das Gewonnene ist in wissenschafUieher
Weise aufgestellt, so dafs sich jene Resoltate, auf die es an-
kommt, fast von selbst darbieten. Wie forderlich aber, um
das gleich vorweg sa nehmen, eine Aufmerksamkeit bis ins De*
taii grade bei derartigen Forschungen ist, seigt die grofse Aas-
beute, die aus der Beachtung einzelner Blätter und Fragmente
f ür Geaealogie und Verwandtschaft der Oflicinen gewonnen woi^
den ist Fassen wir diese wissenschaftlichen Resultate zunächst
kurz zusammen, um dann noch eiliger (denn wohl fühlen wir^
dais derartiges kaum vor das Forum der wissenschaftlichea
Kritik gehört) za den typographischen Binzelheiten überzugehea.
Hr. Lisch eröffnet seine Untersuchungen mit einer gedrängten
Darstellung der geschichtlichen und literarischen Bedeutsamkeit
der Brüder vom gemeinsamen Leben und lehnt sich mit Recht
an Delprats vortreffliche Arbeit. Nach dieser Einleitung arbei-
tet er aus dem ganzen, noch nie benutzten Urkundenschatze der ,
Bruderschaft (ein und dreiisig Urkunden sind vollständig mitge-
theilt) die Ckschichte des FraterhaiAes zu St. Michaelis in Ro«
stock, nach seiner MInsterschen Entstehung, päpstlichen Aner-
kennung (ß, d. Bulle T. 25. Aug. 1471), und Erhebung zur
kirchlichen Congregation (31. März 1476), da denn gemeinsa-
mes Leben, ohne Privateigen thum der Einzelnen und Unterhal-
tung durch eigne Arbeit, der wesentliche Inhalt der Ordensre-
gel ist, zufolge deren den Mitgliedern der Congregation die Aus-
übung nicht geringer kirchlicher Beftignisse (Beichtehören,
Messelesen, Saoramentreichen, Glocken und dergl.) zustand*
Die Geschichte der Brüderschaft, von deren Verfassung das
Bedeutendste mitgetheilt ist, schliefst mit dem Jahre 1539 ab,
als die Ausbreitung der Reformation dieser Genossenschaft ein
Ende machte. Wir nehmen nicht Anstand, diesen ersten Theil
der vorliegenden Arbeit mit dem PrSdicat einer überaus gewis-
senhaften und fleifsigen Leistung zu bezeichnen, welche in mehr
als einem Punkte Ober das geistige und kirchliche Leben des
Nordens Licht verbreitet und eminente Persönlichkeiten, wie
Heinrich Arsenius, kennen und hochachten lehrt. —
679
IMchj Oesehiehte der Buehdrtiekerlnimi m BSMenh^g Ue isum J. 1&4(K
680
Die Briider torgtea darch Errichtung einer deutschen Schu-
le, Tor nllem aber durch Verbreitung nutslicher Kenntnisse» na-
mentlich dureh Bücherabsehreiben, fttr Aufklärung, und Steiger-
ten diese ihre Wirksamkeit durch die Errichtung , der ersten
Bachdruckerei im Lande (1476)) mit welcher sie Buchhandel im
ausgedehntesten Sinne' des Worts rerbanden Die Notia (S. 37),
es fehlten aus dem ganzen Zeitraum der Jahre 14S6 bis 1500
durchaus alle Mflnsterischen Omeke, möchte nach Niesert dahin
SU berichtigen sein, dafs Hermanni Buschii fipigranimatam libri
II. im J. 1494 und das Breviarium de tempore im J. 1407 ge-
druckt sind. Die Jederzeit interessante und folgenreiche Fra-
ge, wpktr die Kostocker OfAcin ihren Ursprung nahm, enticheidet
d(^r Vf. wohl mit Recht dahin, dais er, Brüssel abweisend, sich
Lübeck zuwendet, und endlich behufs der zweiten Frage, wom
druckten die Brüder, eine möglichst rolletHndige Liste dieser
Produkte liefert und jedes durch Uinzufügung des nöthigen Ap-
f aratee erläutert. Es sind das nun überwiegend kirchliche Din-
ge, Patres, wie Lactantius und Augustinas, Predigten des Bernhard
von Clairvaux und des Johann Heroldt, denn dieser ist der Vf«
der Sermones de tempore, Plenarien, Breviarien, Horarien, Mis-
salen, Agenden, Ablafsbriefe (1500), ControTersscbriften, Pole-
misches "und ^^9i Oldendorp tractatus de praescriptionibus —
also Gegenstftnde, welche theils durch das asoetische Bedürfnifs
der Bniderschafl, theils durch die Kirche selbst herrorgerufen
waren. Mit Recht macht der \^ti, den Hermann Barckhusen
sum Gegenstand eines zweiten, nicht minder lehrreichen Ab-
aehnittes, er entdeckt in diesem, bisher fast ganz unbekannten
Mann (^seine Thätigkeit für den Donat wird Schwetschke be-
sprechen) einen der ausgezeichnetsten, einsichtsvollsten Prirat-
Imeker, dessen Existenz selbst dem fleifsigen Sammler am En-
de, im Allg. Litt. Anzeiger 1799 flg. röllig entgangen ist. Der
Verf. beweist bis zur Evidenz, dafs Barckhusen kein anderer
ist als der Uemiann von Enibden des Hamburger Missale uod
als der Peter de Wertborgh, da denn glücklich entdeckte Ar-
chivalien und Autographa zu diesen Resultaten führten. Mit
dem Jalure 1531 hört die topographische Wirksamkeit der Mi-
ehaeliftbrQder auf, die des Barckhusen umfafst die Zeit von
1505 bis 1517 und ist dieselbe überwiegend juristischer Ten«
denz, das Lübische Recht, dem Dreyer, Seelen und Westphalen
die verdiente Würdigung haben angtdeiben lassen, und die Bam-
bergische Halsgerichtsordnung (1510), deren Bearbeiter Barck-
husen unzweifelhaft ist (vergl. seinen Brief von St Jacob 1510
an Herzog Heinrich) sind eminente Zeugnisse für die bedeu-
tende Thätigkeit dieser Officin, aus welcher aueh in wiederhol-
ten Auflagen eine Geschichte, wie Israeliten in Stembeig die
Hostie gemishandelt, hervorgegangen ist, welche für uns beson-
ders aus dem Grunde merkwürdig ist, weil genau in dieselbe
Zeit auch ein niKrkisches Produkt desselben Inhalts föllt. Sehr
beachtenswerth sind ferner die Ergebnisse des dritten, dem aus
Rofsla gebürtigen«' daher lliuriaa genannten, Nloolans Mar-
schalck gewidmeten Absdinittes. Die hier gegebene Biographie
des als Staatsmann Und Gelehrter gleich ausgezeichneten Man-
nes, ist ein sehr werthvoHer Beitrag zur Gelehrtengeschichte,
sind doch MarsChalcks Verdienste lediglich schon um Ansbrei*
tung griechisch^ Studien im Norden von unberechenbaren Fol-
gen gewesen* Seine Druckerei umfafst einen Zeitraum von
acht Jahren (1514—1522), sie liefert allerhand classische Auto-
ren, wie das Bedürfniis sie forderte, Dion^sius Periegesis de
situ orbis, Cebes, Virgilcentonen, dann wissenschaftliche DingO}
wie eine wenig bekannte .\usgabe der Anatomie des Mundin,
ein Decretum aureum, die publicistisch und kriegsu issenschaf t-
lich bedeutenden Institutiones relpublicae militaria ac aivllis,
mit werthvollem Uolzschnittschmuck, nicht minder* raich ausge-
stattet als die -Historia ^aquatilium, des Padus Camoenae, die
sieben Bücher der Annales Herulorum und allerhand für dos
kirchliche Bedürfnifs, wie Indulgenzbriefe, Paritoriarmandate und
Erlasse, der sachlich höchst bedeutenden deutschen Meklenbur-
gischen Chronik (1521) nicht zu vergessen. Referent war em-
sig bemüht, die Exemplare der Probe Falconia, des Cebca, der
Institutionum und der Historia Aquatilium, welche die K« Bi-
bliothek zu Berlin bewahrt und nun erst gebührend wordigca
wird, mit des Verfs. Beschreibung zusammen zuhalten, and be-
gegnete Überall der gröfsten Genauigkeit; sonderbar ganug ist
das Vorsetzblätt unteret Cebes von entschieden franz5aischea
Lilien papier. Das Büchlein: Magni Athanasii in Psalmos opuscu-
lum pulcherrimum (^Titel in der Einfassung des Decrets) acht
Bl. 4to mit den Schlufsworten : Talis est igiFstiltts et earader
psalmorum ad hominnm ntilltatem* Impressum Rh«atnclN%
MDXIIII, entschieden Marschaickscher Druck, entdeckt« ReHu;
^rst nach des Verfs. Notaten — es ist eine Paraphrasa» nkbl
Uebersetzung eines Theiles der Psalmen. Das letzte Stadium,
bis zum Jahre 1540 durchlauf^ die Buchdruckerkunst in Mck-
lenburg unter Ludwig Dietz, dessen Lfebensgeschichtc ans
her völlig nnbekannten Archivalien gearbeitet, denfrfihcrg«
ten Abschnitten würctig sich anechliefat; auch die Thfitlgkait
seiner Oflicin, vorwaltead medicinisch- theologisch, wird aua ei-
ner bedeutenden Anzahl gröiserer oder kleinerer Bücher gesdiil«
dert (die Cirurgia des Hieronymus Brunswyk besitzt die Berli«
ner Bibliothek ebenfalls), und endlich bei Gelegenheit der Aus»
gaben des Reineke Vols zu einem Eicurse geschritten, deBaia
Resultat dies ist, dals Nieol. Banmann der Vecf. des niaderdeai»
sehen Reineke Vofs ist ' Die der fleifsigen und unter Terschie*
denem Gesichtspunkt ergebnifsreichen Arbeit beigefügten Schrift-
proben und Signete sind instructiv und 'genügend treu, und ge»
wifs dasselbe kann man von den rein technisch-typographlscben
Bemerkungen des Verfs. sagen, sie zeugen von Sachkenntnila.
Gottlieb Friedlaaod^r.
1
Jahrbücher
für
wissenschaftliche
Kritik.
November 1839.
JHßr$i€Ütmg der agyptitchen MyAologiet verbtith-
dem mü .eimer kritischen Uatersuehung: der
Ueberbieibtel der ägyptischen Chronologie von
J. Ci Prichard.
(Schlafii.)
Wenden wir nun auf die aoeh übrigen Götter und
ihre Mythen eine historische Auslegung an, so kön*
neu wir in der Osirissage viele Momente ni|r auf einen
fwtgehenden Kampf zweier heterogener mythischer EI&
mente besiehen, die wir näher bezeiehnen m^gei^ ak den
persiscfaea Dualismus und die akägyptiscbe Religion»
Entwickeln wir zunächst die ursprMnglieABn Bestand-
Aeile der S^ge durch Ausscheidung der späteren An-
wüchse! — Die Deutung jenes Mythus auf die Erschei-
nni^en des Naturlebens legt eich, sowek wir in dem^
selben eine origmelU Production des ägyptischen
Volkslebens noch erkennen, schon durch die natürlich-
ste Vorstellung über den Procefs der Mythenbildung
Ten selbst nahe* Wenn der Grundsatz gilt, dafs in
einer Reihe historischer Entwicklungen das Gepräge
der Ein&chheit ein Kriterium des Altertbümlioheu is^
so war dem Bewufstsein der Aegypter schon in seinen
ersten Regungen Nichts gegeben, woran es sich hal-
ten konnte, als die durch den Nil so eigentbümlich be-
stimmten Natur?erhältnisse des Landes. Wir 'finden
dahsf ifi des einfachen drei Hauptmomenten jenes My-
th^s^i , in dem Aphanismus^ der Zetesis mid Heuresis
des .Ospris J^ichts einfacher dargestellt^ ids den Wech-
sdy i^im die physischen Verhältnisse Acgyptens durch
4en. NU ^ufigeBetzt sind. Die Deutung der Osirissage
äuC astirwpqiische Vorstellungen dagegen findet an der
TlHitmii4ie|...dftr8 der Tbierkreis den Aegyptem erst
doj^hf^yilO^haldäer engefiibrt wurde, daCs das ursprüng-
lirqlif il^lq^ derselben aar 360 Tage hatte, nniiberwind-
iyi|jnj)B|J||priqrijj;kritrn \ und der Mythus, daTs Hermes
Wl^ Jm ««lÖBde die fünf Tsge , an denen . Rhea die
jMkrh. f. wiM€M$ch. Kriäk. h 1S30. II. Bd.
ßiuf Götter gebäbfen konnte, ablosen mufst^, ist eine
Erfindung, die sich an die Eioführoog der fünf Schalt-
tage zu absichtlich knüpft, npd wie die indische Reise
des Osiris zu deutlich das erst spätere Alter der Be«
Ziehung des Mythus auf den Sonnenlauf anzeigt, als
dafs . nicht dieser Theil nur als eine spätere Episode
des Mythus ausgeschieden werden müfste. Das Ora-
kel des Apollo Clarius, das Jablonski. für seine Hypo-
these anführt,
^gaCto xw nvvtwv vntxioy 9ioy iftfur iam,
X**f4art /i«y r' jfidtjr, Jm t %laqoi aQXOfuyoM,
^JBeltoy dg ^tQoyt, fiironn^y <f * aßqoy '/aa>
weist der Verf. (§• 95) damit ab, dafs ja dasselbe
keine Beziehung auf die ägyptische Mythologie habe.
Dagegen offenbar ist das zweite 'iaoo zu tilgen, nn4
etwa aus dem Orakel des Apollo bei Eus. Fr. Ev. V.
0. 7. zu verbMsem a^Qov Vüiqiv. Wohl aber cbarak-
terisirt das 'laco überhaupt die Verse als eine Poesie
des gnostischen Zeitalters. Die Interpretation des My-
thus auf die Jahreszeiten aus dem ägyptischen Fest-
oyclus, womit Hr. Fr. sich viele Mühe giebt, geht
schon darum nicht an, weil bei der Beschaffenheit des
altägyptisoben Jahrs die Feste durch alle Jahrszeiten
wechseln mufsteq., und die Ordnung der Feste, wie
sie Plntarch angiebt, in dem Monat Athyr erst selbst
corrigirt und dem Mythus angeparst, nämlich der 19te *
Athyr in einen Trauertag yerwandelt und in den An-
fang Januars veriegt werden mufs. Ob die Feste über-
haupt erst aus dem Mythus entsprangen, oder umge-
kehrt, ist eine Frage, die nicht mehr sicher zu beant-'
werten ist. So gewifs indefs die spätere Zeit aa ein
vorhandenes mythisches Element gern einen Ritus
knüpfte, 80 wabrscbeinlieb ist es, dafs der der mensch-
lichen Natur wesentliche Trieb, sich in Zuständen der
Freude und der Trauer selber gegenständlich zu wer-
den, die ursprüngliche Basis der Feste in alten Zeiten
war, die sofort durch die Poesie des Mythusi Ordnung
86
683 . Priohard^ Dantettung der Sgyptüehen *MytJkologie.
und Form erlangten. So, erklärt es sioli auch eiofacfc^ fen Osiriscultiis. fiioe solche Reactton des Ottrisdien-
varmn mitten unter die Tier Trauertage des Monats^ stes ist vieiieicht auch Serapis $ noch wahrscheiDlidier
Atbjr ein Fest der Freude fiel, aus dem natürlichen
Hang der Menschen, Lust und Trauer scenisch tu ver-
binden. Dafs die Beziehung dieser Solennitäten auf
die Osirismythe erst jüngeren Alters war, gebt nicht
nur aus dieser Inconvenienz, sondern noch mehr dar-
aus hervor, dafs dieselbe bereits einjalir von 365 Ta-
gen voraussetzt, weil sonst das auf den Aphanismus
des Osiris bezogn^ Athjrfest nicht zur gehörigen Zeit,
welche diese Beziehung verlangt, zugetroffen wäre.
Diese Beziehung der alten Feste weist, wie das nm
die Zeit des Wintersolstitiums gefeierte Fest der Ze-
tesis und die Geburt des Harpokrates, bereits auf dio
Periode hin, da das Jahr nach festen Verhältnissen
geordnet wurde. Dafs der Zug von dem verlorenen
Zeügungsglied des Osiris dem Mythus erst eingeschal-
tet wurde zur Sanctionirung der Phallephorincn, fühlt
Hr. Fr. seihst (S. 51). Indem wir nun diese fremdar-
tigen, späteren Elemente von dem Mythus ausschei-
den^ und uns an jene ursprünglichen Grundzüge des
Mythus halten; sehen wir in Osiris und Isis die zwei
religiösen Symbole eines ackerbauenden Volkes. In
Typhon dagegen finden wir den Eiofiufs des iranischen
Feuerdienstes ausgedrückt, der sich in dem widerstre-
l>enden Geiste der alten einheimischen Religion unaus-
bleiblich zur Bösartigkeit Ahrimans entwickeln mufste.
Wir finden diese Bedeutung des Typhon noch bei Plu-
tarch deutlich hervorschimmern, wenn er ihn (Is.^ et
Osir. 41.) als Sonnengott im Gegensatz gegen den Mond-
gott Osiris auftreten läfst. Der Mond war in der Vor-
stellung der alten Welt die Grenze der irdischen At-
mosphäre, und besonders der Punkt, in welchem, die
befruchtenden Wirkungen der Sonne auf die Erde sich
conccntriren. Osiris als Mondgott ist, gegenüber dem
Sonnengott, das S>mbol der fruchtbaren Erde; wäh-
rend TyphoD als Sonnengott dem Orirü gegenüber
eine andere Bedeutung haben mufs, als die Erde be-
fruciitende Sonnenwärme; er ist vielmehr Repräsentant
des Feuerdienstes. In dem Sieg des Horos aber über
den Typhon hat die Sage die Anschauung der Reac-
tion der alten Religion sich bewahrt. Horos hat we-
iiler in dem Gyclüs der Jahrszeiten, noch in den beson-
deren Natjurverhältnissen des Landes eine Stelle, die
nicht Osiris selbst schon erfüllt. Seine Bedeutung kann
nur eine historische sein ; er ist Typus des regenerir-
Rnuphis, in welchem ägyptische und indische Elemeiite
sich verbinden zum Kampf gegen den Feuerdieast, was
noch von Suidas durch die Sage ausgedrückt ist, .dii-
ser Gott habe dordi den auch beim Wiahnodieost ge-
brauchten Kanopus den herrschenden Feuefcult besiegt
Die von diesen Reactionen vorausgesetzte Entartvair
des einheimischen Dienstes scheint mehr eine allmih-
lige gewesen zu sein. Doch ist beides, Abartmig mid
Restauration, schön in dem Schlufs des Osirisnydnii
bezeichnet, wenn Isis den gefangenen Typhon frei IHst^
Horos dafür ihr Diadem zerreifst, und Hermes ihr ei-
nen Ochsenkopf aufsetzt« Dafs in jeder Regeneratioii
Osiris in einer höheren Form des Gedankens ersoheiot,
ist dem natürlichen Gesetze gemäfs, dafs jeder Kaa|i{
eine neue Entwicklung ist.
Für die Auffassung der übrigen Götter ist es tss
Interesse, dafs die Geschichtschreiber ükre Verebnif
ifnr als particularistischen, an die einzelnen Städte tml
Nomen geknüpften Cult darstellen. Selbst Tjphoe
scheint ursprünglich eine solch beschränkte Bedeotoog
gehabt zu haben für den ombitisehen Nomos. AomMl
war Gott der Thebais, Fan des mendesischen Nomoi^
Papremia Gott der Stadt Papremis, Annbis von Kyno-
polis, Thot von Hermopolis, Bübastis von Bubastoi^
Buto von Buto. Sie schliefsen sich ohne Zweifel tt
besondere umstände an, die diese Städte specieU k>
treffen. Die allen gemeinsame Jfatur des Landes gik
dem Osiriscult eine Bedeutung für ganz Aegyptes.
Diesen Unterschied zwischen allgemeinen und besoDd»
ren Göttern machen die Schriftsteller selber. Die V»
Schmelzung, derselben und ihre Verwendung zu myet»
riösem Dienst fllllt erst in ^e Zeit des reiigidaen Sy»
eretismus.
Für die OenetU der ägyptischen Odtter habe!
wir in dem Thiercultus einen bedeutenden Erklämigf^
grund. Diese thierischen Embleme stehen den Gütteni
als Bilder der Erinnerung an ihre ursprBiigBohe At>
knnft bedeutsam zur Seite. Die HeiligkeÜ der Kalb
der Stiere Apis und Mnevis im Oult des Osim vaH
der Isis, weisen durchaus auf Viehzucht oad Aekerhn
als die Basis der altägyptischen Religion« Nielit tti»
der die Heiligkeit des Bocks im Cnit des altiS Atti
Die Vorsteflnog einer höheren, wohlthätigen
für das unmündige Denken des menschüelie»
r
666 ^ PrichM^^ Dmr%tMnng der ägyptischen Mythologie^
686
ten Ton den sichtbaren Repräseotuoten ihres Ehifliis-
ses uotrennbar. Das Riodergeschlecbt ersoliien noth*
wendig in einem^ heilige Scheu erregenden Lichte, Alle
LebensbeiKngangen waren filr den Aegypter an dasselbe
gebanden, und die Kraft der Abstraction der urzeitli-
eben Bildung fremd. £a ist ein grofser Schritt, den
das BewoTstsein tbat, indem es su dieser Abstraction
fortging und den Gott von seiner leiblichen Binkerke-
rang befreite. So ist, was Cicero, Philo (Decal. 755^9
Plutarch und Diodor, und nach ihnen Hr. v. Schlegel
(Su XXL) meinen y der Nutzen der Thiere die Basis
ihres Cults: nicht aber eine bewufste Reflexion über
diesen Nutzen I Nicht eine absichtliche, auf den Schqtz
der nützlichen Thiere berechnete Action eignete sie
dem Gott „nach sinnbildlichen Beziehungen*' zu (ibid.),
sondern nur ein noch nicht über die JC^i^i^tnirs der
nächsten sinnlichen Gegenstände erweitertes Bevufst-
nein« ' Jede andere £rkläning ist weniger em^aeh^ und
hängt an späteren Vorstellungen. Noch spät erschei-
nen die Götter in halb tbierischer Gestalt; Osiris mit
dem Habicbtskopf, Typbon mit dem des Crocodils,
^nbia der Hundskdpfige, Isis mit dem Stierbaupt.
Schädliche Thiere, wie das Crocodil, der Hippopota-
auia waren als Gegenstände der Furcht verehrt, die
dadurch die Bösartigkeit der Gattung zu entwaffnen
sachte (S. XXI). — Viele thierische Embleme aber bat
man auch wohl als jünger anzusehen. Das heilige
Thier behauptete noch in semer Trennung ?om Gott
die Qedentnng des charakteristischen Symbols, und das
Symbol durfte auch den jüngeren Göttern nicht fehlen,
weil es zum Begriff eines Gottes zu gehören schien.
Als daa Verständnifs der symbolischen Thiere Tcrlo-
ren gegmigen war, hielt sich die Mysteriensucht, wie
Oberhaupt an die der Gegenwart entfremdeten Reliquien
der Urzeit, so an den Thiercult, in dem Wahne, in
dem sinnlos gewordenen Cultus den tiefsten Sinn zu
finden. Daher die vielen Deutungen dieser Erschei-
•oiig. Lttoian findet in den heiligen Thieren astrono-
■iisohe Figuren, und soviel ist natürlich, dafs naeh Ein*
bfirgemng des Thierkreises in Aegypten einzelne Figu-
fco denselben^ wie der Skarabäus, heilige Bedeutung er*>
Ini^gten. Andere finden in den Thieren göttliche Attri-
bute Tersmnlicht, Porphyrius glaubt mit Hrn. Pr. (S.
274), man habe die in ihnen wohnende Partikel des
emnuifteri Gottes verehrt ; der Art ist auch die Den-
taogy dafs^die ursprüngliche Schonung der Thiere auf
der Ansicht gegründet gewesen sei, sie seien von wai)-
dernden Menschenseelen , bewohnt ; — lauter Versuche^
ein nicht mehr verstandenes, durch das Hetkommen
sanctionirtes Institut der Vernunft späterer Zeiten nahe
zu bringen. Unbefangener, und in seiner Art richtiger
siebt der die griechischen Götter allegorisch deutende
Philo de Decal. 755. im ägyptischen Thiercult nur Unr«
Vernunft. — Die Ableitung der Götter von der Vereb««
rung verdienter Menschen läfst Ur. Pr. nur für die
griechischen Götter gelten, sofern „die ägyptischen
Priester'* wohl die Legenden einzelner Häupter als An«
knüpfungspunkto für ihre Theorieen benutzten, z. Bt .
die* 'Attribute des Bacchus und Osiris einem böoti-
schen, als Anführer festlicher Freude gepriesenen
Fürsten zuschrieben, „einen braven Jäger, den Sohn
der Alkmene, mit dem Helden der 12 mystischen Ar- *
beiteu vermengten, welch letztere die 12 Zeichen des
Thierkreises bedeuten'-!! (S. 40) Wir sehen keinen
Grund, diese Art der Entstehung mythischer Gestalten
der ägyptischen Mythologie zu entziehen. Doch läfst
sich die Ausdehnung derselben nicht näher bestimmen.
Das Gewicht einer heroischen Persönlichkeit möchte '
indessen hin und wieder die Trennung des Gottes von
der thierischen' Form vermittelt haben. Bei den Chi-
nesen fällt der Name der ältesten Könige mit dem
der Gottheit zusammen, und die Ablösung jener ak
Götter wird nur dadurch gehindert, dafs der Kaiser
überhaupt jedesmal die sinnliche Gegenwart des Got-
tes ist. Auch die ägyptische Geschichte beginnt mit
einer Götterdynastie.
Die von Hrn. Pr. auf eine platonische Stelle
hin, und weil sie bei Pythagoras und den Stoikern sich
6ndet, als ägyptisch genommene Lehre von den tVelt*
xerstorungeny entbehrt in der Religion des Ackerbau'«
aller Grundlagen, die sieb ihr im parsischen Dualis-
mus darbietet. Hier ist das Bewufstsein der Geschichte
unter der Vorstellung eines allgemeinen Götterkampfes
aufgegangen, dessen Katastrophen für das Ganze der
Welt der Kataklysmos und die Bkpyrosis sind. In*
dem aber alle einzelnen Wesen unausbleibrich in die-
sen Kampf hineingezogen werden, jedes Individuum io
demselben die Bedeutung seiner Existenz findet, hängt
damit genau zusammen die Lehre von der Seelen'
Wanderung^ die als Reinigungsprocefs aufzufassen- und
die Form ist, in der jener Götterkampf, unmittelbare
Wirklichkeit erhält. Die Lehre Zoroasters von den
Weltaltern, deren Dauer je auf 3000 Jahre komnit^
ist durch die ägyptische Lehre, dafs die Seelenwande»
rung je 3000 Jahre währe, bei Herodot zu ergänzen«
Diese ist ein parsisches Element. Hr. Pr. reuet von
einem Widersfirucb, der in den ägyptischen Vorstel«
lungen über die Dauer der Individualität liege, ohne
ihn klar zu machen (S. 178). Derselbe liegt nicht hierin^
sondern in der Annahme eines Hades und der Metem-
Esycbose. Jene schliefst diese einfach aus, und die
[ypothese von einem nur temporären Aufenthalt der .
Seelen im Hades, um sich die neue Incorporation durch
Drtliel und Recht bestimmen zu lassen, ist ein späte-
rer Vermittlungsversuch, den selbst Herodot nur andeu-
687
tet, spftter eraosDen^ wie die VerbinduBg der Einbalsa^
mirung mit der Metempsychoee, als Reinigungsact «i
Abwendung der Wanderung. Der dunkle Schoofe der
Erde mufs dem Ackerbau treibenden Meusoben als der
orsprünglicbe Heerd «alles Lebens erscheinen, aus dem
die Seele sich wie der Same erbebt, um wieder da-
bin Mfückzuffeben. Die Einbalsamirung war für
die fromme Illusion eia Act, der die liebgewonnene
Existenz dos Todten yerlängern, durch kostbare Aus-
stattung der Gräber dem Bewohner den Genufs seiner
Gfiter fristen sollte. Dieselbe Tendenz, die Todten
Tor der Zerstörung der Elemente zu sichern, ist es,
Trenn man sie in Felsengrotten verbarg. Hru. v. Sohle*
ff eis Neigung, hierin eine Saiiitätsmafsregel zu iiuden,
ist für das Kindesalter der Welt zu raffinirt<S. XXIII).
Der Abschnitt über die hierarchischen und politi«
%<ketk Institute der Ae^pter bedarf einer ähnlichen
Kritik nach den bisberigeu Grundsätzen. Bei Dar-
stellung der Hierarchie legt Hr. Pr. eine Stelle von
Clemens (Strom. VI.) zu Grunde, in der dieselbe in dem
Mmeösen Stil der Hierophauten jener Zeit erscheint.
Hr. Pr. ist hier sehr vollständig, ein Ruhm, mit dem
sich der Tadel der Mengerei heterogener Elemente
gerne yerbiadet Wir enthalten uns weiterer Bemer-
kungen, die sich ans dem Bisherigen ergeben. Die
Menschenopfer (ß. 301), dem milden Sinne der Reli*
gion des Ackerbaus zuwider, haben ihren Grund Yiel-
ieicht nur in einer Ueberreizung reactionärer Tenden-
sen. Die Menschen mit rothen Haaren mochten wohl
als incorporirte Geister des ahrimanischen Typhon,
4es Repräsentanten des Feuerdienstes, erscheinen,^ wes-
halb sie am Grab des Osiris, Busiris genannt, geopfert
wurden. . Die Nachricht des Porphyrius, dafs Aniasis
den menschlichen Opfern wächserne Bilder substituirt
liabe, bezieht sieh wohl nicht auf diese typbcnischen
Opfer, die noch Manetfao bei Piutarch (Is. et Os. 73.),
auch Diodor (1, 88.) noch erwähnt, und von Herodot
nur bezweifelt werden. Vielleicht waren sie nur par-
ticnläres Institut eines einzelnen Nomos, und das Opfer
«uf dem Täfelwerk za Tentyra könnte, wenn man
sich erinnert, dafs eben hier der einfiifsige Stier des
Manu sich findet, auf indischen Einflufs deuten, wo-
von die Thebais noch andere Spuren zeigt.
Dieser indische Binflufs kann nicbt wohl bezwei-
felt werden, obgleich das Alter desselben nicfat zu
hooh zu stellen ist. Bei Hrn. Pr. erscheint alles Ae-
gyptischc, was irgend nahe kommt, als mit ludischem
gleiob^ obgleich er über die Frage, welches das Ur«.
aprüngliche, sich nicht entscheidet. Hrn. v. Scblegers
ausgezeichnete Bemerkuhgen stellen die Coatroverse
nur in ihrer Schwierigkeit dar. Die liösuag wird von
der Aasicfaft ausgehen müssen, dafs die Grundlage
der Mythologie beider Völker reines und^ ursprüHfpi«
ehes &zeugnifs ihres eigenen Geistes sei; ihr GeliiH
PrMmrdy Dm^uUung der SgyptücAen Mytkelegie.
gen hängt ¥on der M5glicbkeit ab, dieses Urq^rSogfi.
che von den späteren Anwüchsen berauszuschäleiu
Hiebei ist die Rücksicht auf das blofs Aebniiche ge-
rade das Täuscheade ; das Differenzielle allein ist Ren»
zeichen des Ursprünglichen und seuies eigenstes Cbi^
rakters. Ist aber das charakteristische Grundprineip
einer Volksreligion gefunden, so ist jener Scheidung».
procefs wenigstens nichts Unmögliches. Orphiscne,
neuplatonische Deutungen, ^echiscbe Philosophie, Sfit
gli^er des Ordens deir bedigen Schreiber, wie der ?,
Hrn. Pr. hochgehaltene Cbftremon, den Strabo far ei-
nen unwissenden Prahler erklärt, sind aus dem Spiel
zu lassen. Selbst Plato, Diodor^ Herodot sind in ih-
ren Darstellungen mit Vorsicht und nicht unkntißcb
zu gebrauchen.
Ueber das Verhältnifs der Juden zu Ae^pten'ao«
fsert sich der Verf., wie ein rechtgläubiger Bndftnder.
Die entschiedensten Züge, der Gleichheit sind bier ssr
zufällige Aehnlichkeiten. In den Gibeoniten eine nie-
derere Kaste, in den Leviten die erbliche PriesteN
käste« in dem Propbetenstande der Aegjpter ein Vor-
bild inr die Propbetensehulen u. s. w. zu sehen, liM
ihm sein Sinn nicht zn. Ebttuo unteraebeidet er die
jüdische Beschneidung von der ägyptischen. Seiner
Ansicht, dafs nur die ägyptischen Priester beschnittei
wurden, wird durch Herodot* nicht gerade und aus-
drücklich, wie. Hr. ▼« Schlegel meint, widersprosbei
(8. 332. 33. coli. XXIU.), aber von Philo ausdrück.
lieh bestätigt de Circuincis. S. 810, der den Braocb
mit dem Scneeren der Haare am ganzen Körper za-
sammennebmend , Beides unter den Begriff der priS'
liehen Reinigung brinct»
Hr. Pr. giebt sich viele Mühe, die ägyptische Chro-
nologie zu ordnen. Man möchte diesen fieifsig geaN
beiteten Abschnitt den verdienstvollsten des Boche
nennen, wenn es Verdienst wäre, sich «n deia Fasse
der Danaiden abzumähen«
Die Uebersetzung prädieirt Hr. y. Schlegel als
treu. Der Ausdruck ist schwerfällig, und nur dard
einzelne Ritzen klingt die ohne Zweifel fliefsende Spn^
che des Originals durch. Von Druokfshlern, falsdics
Citaten wimmelt das Buch. Unverständliche SäUe
sind nicht selten, selbst Uebersetzungsfehler, z. 6«
S. 9 Z. 22 ist statt dennoch zu lesen daher^ (viel»
leicht nrspriinglich demnaeh?)\ S. 8. A. I. kHüp
Schrift, statt Schriften} S. 39. 6. heilet es „viele gri»
cbische Götternamen sind aus einer Mythologie genoiB-
tnen, die sich auf sehr wer^chiedenen Principien pm
der Vergötterung der Menschen gründet, statt« dil
eieh anf Principien gründet, welche von den der Veig.i
M. yerschieden sind u. s. w« Sonst ist das Aeufsen
des Buchs ansprechend.
L. GeorgiL
Jtf 87. ■
Jahrbücher
für
wissenschaftliche
Kritik.
November 1839.
XLY.
Euripidis Andromacha: recensuit Oodqfredus
Hermannus* Lipsiae^ 1838. in libr. Wetd-
manma.
Dam Aespbyli tragoedias oialti a me reqüirant,
Mgt der berfi^mte Hr. Verf!, ego iDterim, majora pro^
/0$M0s extpectanM^ Helenam (resp. Andromacbam) Eu-
ripidis edere iostitoi. Traurig für den Euripides, daf«
aeio Schicksal dcrgleicben vielTerinogende Geister in
mseren Tagen niobt zu rubren vermocbt hat, und wie»
demin desto erfreulicber, dafs diese seine Einsamkeit
einen Hermann zum Beistand vermocbt bat. Denn
4afs dieser das Werk nicht rergeblicb nntemebmen,
dafs sein Talent und sein Fleifs manobe verdorbne
Stelle von Grund aus heilen, manche fiir gesund ge-
haltene als schadhaft nachweisen, vielfach anregen,
und, wo nicht helfen, doch zur Hilfe Veranlassung ge-
ben werde, das erwartet wohl jeder, der ihn zu wür-
digen versteht, schon im Voraus: und es geschiebt
auch nicht in der Absicht, diefs zu erweisen oder zu
bestreiten, dafs Ref. diese Anzeige unternimmt, son-
dern i^m sein Verfahren zu prüfen, ob es wohl das
rechte ist, oder ob vielmehr, falschen Principien zu-
folge, auch Mirsgriffe gemacht, grobe Fehler begangen
und so das Gute durch Schlimmes aufgewogen wor-
den ist. Ref. bekennt frei im Voraus seine Ueberzeu-
l^ng, dafs Letzteres der Fall sei, und will diefs nun
an der znletzt herausgegebenen Tragödie Andromache,
als an einem Beispiele^ zu erweisen soeben.
Fürs Er$te thut Hermann unrecht, dafs er unter
den Urkunden in Bezug auf Abstammung und Verwnndt-
achaft keinen Unterschied macht, und somit die Stim-
men zählt, anstatt sie zu wägen. Und doch ist ihm schon
mehrfach und handgreiflich genug nachgewiesen wor-
den, dafs s. B. der Aldina nicht gleiche Autorität mit
Jahrb. / wwtenfcA. Kritik, h 183& 11. Bd.
den besseren Hdscb. eingeräumt werden darf; und
doch war ihm namentlich bei diesem Drama Lenting
mit einer Classificirnng der Urkunden, vorangegangen,
die im Ganzeji wohl jeder bestätigt finden wird,' der
hierauf sein Augenmerk richten will. Die besten Hdschr.
sind Flor. 15. 10. A., die aus Einer Quelle, aber nicht
unmittelbar von einander stammen: aber 10 und A
sind wieder etwas näher unter sich verwandt, und A
ist ziemlich liederlich geschrieben. Nächst diesen
dreien haben Par. B. und D. den meisten Werth« Wo
diese mit jenen zusammenstimmen, da ist die Lesart
unter zehen Fällen gewifs neunmal die richtige: oft
aber haben diese beiden Florentiner auch ganz allein
das Wahre. Die dritte Stelle nimmt Par. A. ein, uhd
bewahrt gleichfalls öf^er das Richtige auf, s. B. V. 515.
540. 723. 748. 757. 789. 1148. 1241. Der vierte Rang
gebührt den codd. Par. E. Flor. 2., die in den meisten
Fällen zusammenstimmen. Was^ noch übrig ist, näm-
lich Havn. Taur. Guelf. Läse. Vict. Aid. sammt den
auf diese letztere gegründeten Editionen ist theils von
so abgeleiteter Quelle und theils von so bedenklicher
Qualität, dafs es für sich und im Widerspruch mit den
genannten Urkunden nie einen Ausschlag geben darf.
Wohl aber mufs der Scbeliast noch sorgfältiger, als
diefs selbst von Hermann geschehen ist (der übrigens
aus ihm V. 133. emendirt hat), beachtet werden.
In dieser Hinsicht weicht unsere Ansicht z. B. in
folgenden Stellen von der des Verfs. ab. V. 194. folg.
bezeugen die Worte des Scholiasten Tjf tvdaifioviq imt(^
ßiXkti fj OQvymt noXiq t^c Aanaivtiq und wie-
derum ov utaxa noXkmq d6iav ovn xarä ^Imav ovrt
naxä tvxfiv oov ßiXxiiav ovaa, dafs derselbe im Texte
gelesen habe: toq xTjq uiaHaivrjg ^ <Pqvym luCCfion noXi^
tvp] {)•* vniQ^ity näfA* iXtv&i^av ogqg; und diefs
fordert auch die Construction. — V. 286. emendiren
wir am genauesten nach den Hdsch. KvnQtq tDa loyotg
ovliotgf vgl. Soph. Aj. 933. — V. 291. bezeugen die
87
691 Euriptdü Andromaeka.
Worte des Scholiasten ^ rfxovaa %6v IlaQiv, dafs in
der Lesart der Hdsch. a -^tnouaa viv TIoqiv der Name
llaQiv als Glosse^iy und in der Gegenstrophe der Vo-
cativ yivat als melriscbes Flickwort zu streichea sind,
so dafs die trochäiscbea Tetrauieter entstehen:
a Tixovca vtv, nqly ^Idalov xarotxtcat lAnag
dovitoy, cv t' ov Tvqayyay Icj^tC ay \f6fi(oy idga^.
Denn auch ai t' ov für ovu ab lag, wie der Vf. selbst
gesehen hat, dem Schol. yor. — Gleich darauf V. 302.
ist wohl aas dem Schol. sammt den besten Hdsch«
(Aoxd-ovg für novovg aufzunebmen. — V. 319. ist der'
Verf. über eine sinnlose Schreibart, die durch Matthiä's
höchst wunderbare Auslegung nicht gerechtfertigt wird,
stillschweigend hinweggegangen. Des Scholiasts Deu-
tung robg da iptvÖrj exovTag inovoicev ov» dl^iio ivdaifAovag
itaXtla^ai^ rljg Tvxtjg tovto xaQiaofA^vfig läfst vermufhen,
dafs derselbe etwa so gelesen habe : rovg 3* ifno tpiv^
Sviv aoqtovg ovx dl^oiato^ nXrpf rv^jj (p^ovtXv Soxhv. — V.
422. war aus dem Scholiasten und den besten Hdsch.
difwtg für xigag aufzunehmen. — V. 464. bat Seidler
vortrefflich em^idirt tlg {liav fioi axkqyix» nöaig ya^kotg
(vgl. V. 178.); minder gut V. 475., wo ivbg Interpre-
tation Ton /«(a zu sein scheint, indem gesqhrieben war
fcia Si Svvaaig etc. — Durch jene EmenJation ersparen
wir zugleich V« 469. die gewaltsame Aenderung t<(-
.rav für tixt6pav. Aber auch Y. 472 folg. finden wir die
Lesart der besseren Hdsch. und des Scholiasten:
9carä ntidaliu>y didv/xat nganidaty yyeSf4at
cotf'my TB n)Si9^os aS-Qooy dad'tyioTtQoy
tpavXoxi^ tf-qiydg avTOXQOjovC,
(indem in der Gegenstrophe XintQca für A/jj^a gesetzt
wird) in jeder Hinsicht für weit geeigneter und richti-
ger, als des Verfs^ bedenkliche Umstellung und Aen-
derung. — V. Sl5i hat der Verf. nicht einmal erwähnt,
dafs cod. Par. A. und Havn. TdXog bieten, welches doch
offenbar, die richtige Lesart ist: denn dafs die einzige
Zuflucht im Bitten und Flehen bestehe (dahin müsse
man fiHog deuten), wird ja dem Molossus erst nach-
her gesagt. — Mit der nämlichen Unachtsamkeit ist
gleich darauf V. 518. äv^g 0drcixov fn für ^ayaxov iaoi
unberücksichtigt geblieben. Wenn der Tod als Untei>
gang, nicht als Strafe, die man überstehen kann, be-*
trachtet irird, so ist ohne Zweifel jenes das Richti-
gere. -^ V. 526. hätte wohl die Aldina den Hdsch.
nacbgestelltj und die fehlende Sylbe in der Partikel
fuv gefunden werden sollen^ welche der Sinn begehrt:
£!x ree. G. Hermanm. 693
%oXg luy yag ii^tg yiyov* <itp%Xla. -^ V. 535. war abe^
mala kein Grund Torhanden, von den besseren Hdgch.
abzugeben, und wenn ja etwas geändert werden mufstei
so war diefs xdu, welches mit iu in yertanschen sein
dürfte. Das Asyndeton ziemt der Heftigkeit besser
als die vorsichtige Verbindung t€ »al. — Bei V. 580.
war die Spur der Florr. Hdsch. nicht unbeachtet zu
lassen, weil sie die Verderbung im Werden zeigt. Demi
aSov zwischen den Worten aMlfjora inofm^* stehend, Te^
dankt sehr handgreiflich seine Entstehung einer blofseo
Wiederholung der End- und Anfangssjlben dieser bei-
den Wdrter. Nachdem der Auswuchs einmal vorbao-
den war, mufste man ihn doch auch zu deuten sncheD;
und so haben die Einen ihn in qSovy die Andern m
adovXa verwandelt. Der Schaden sitzt aber noch ao
einer anderen Stelle des Verses, nämlicli in dem selt-
samen Ausdrucke doifia&* iariag. Denn, wie der Verll
selbst bemerkt hat, man sagt zwar ganz natürlich sni
gewöhnlich Naus und Herd (z. B. Hec. 353.) 9 aber
nicht richtig des Herdes Baus. Es mufs also in die^
ser Gegend ein anderes Nomen ausgefallen seb, tob
welchem der Genitiv iatlag abhing, und welches mit
diesem eine gewisse Umschreibung des Herdes bUdeo
konnte, kurz der Vers scheint also gelautet zn haben:
Vgl. .Orest. 1441.
Die Verse 680 u. 681. finden sich bei Julian in
den Caesarn in der Art citirt, dafs der eine des aode-
ren Nachsatz ist, welcher Schreibung Lenting mit Recbt
gefolgt ist, indem Plntarch (Alex. c. 51.), der naci
Art der Sprüchw5rter blos den Anfang der Worte ci-
tirt^ keinen Beweis gegen die Echtheit jener Inte^
punction liefert. Daraus l&fst sich nun ferner vermn-
then, dafs die folgenden Verse in den codd. nicht gans
richtig sind : und eine Spur dieser Verderbung bewahit
V. 685. die Lesart ixv ^^ ^^^ ^^^^ Florentiner Hdack.
Sicherlich hatte Euripides also geschrieben:
ov TtSy norovyrtay rovgyoy fyopyra» tüde,
tk, elf fUT^ äXloy fwqiny ndXXtay doq»
»oidiy nXiop d^iSy iyos, ij[ff nltia Xoyoy»
Es finden sich in dieser Gegend noch mehr derglei»
oben Verderbungen, deren zwei der Verf. in den V«
693, 694 u. 698. gehoben hat, eine andere aber oooh
in den V. 688, 669. stecken geblieben ist Denn sdl
ein passender Sinn herauskommen (und diefs ist •ii'
i
dg deirjenige, . dte der Scholiast will)^ bo ^rd wohl
alfo geschriebeD werden müssen:
it Tolfta Tts yiy^no ßovltfCig ^' S/ttä,
Die vierte Corru^tel V. 696. möchten vir mit dem Vf.
weder durch 8 y^ i\ noch durch xai oi%^ sondern durch
no^^ oi% (dieHdscb. geben £9'i{) cn heben suchen. —
V. 772. hat- Matthiä mit Recht an einer Construction
wie oin jiani&aiat KivxavQOi^ OfuXrjaai dogl nhivotditp
'Anstofs genommen, und der Verf. würde die ganze
Epode in Worten und Versen anders hergestellt ha«
heu, wenn et mehr die Handschriften unterschieden
und mehr auf den Soholiasten gemerkt hätte, dercB.
T. 772. oiFeubar mi&oiAai ai las« Nach meiner Mei-
nung hat sie also gelautet:
ntl^ofioi at Mai* Awti^oMti tt xal
MMyiav^uf§y ^^U^cra*
9w do^l xXttyotiir^ x^n"*
*4Qy^» (fo^of äi§yoy vyffwf
ixniQacM noyttuy Sv/Ltnhiyadcty
tdtivay M yavüToliay,
*ikHNf€t T§ noUy St§ na^
%v^oxkfios Jtds lytc
ifiqißtdU ^oy^, noiyay
tmy ivxXiHO^ ^X'*^^ ^^~
fniniaf «(ßixBcd^eu. —
V. 813. durfte nur qrdQva (welches aus dem vorange-
henden Verse herübergekommen ist), mit airj&og ver-
tauscht werden, um in Strophe und Gegenstrophe des
Metrums wegen aller weiteren Aenderungen überhoben
XU sein, nämlich:
r^ di f4S dti MttlvTFwy TtinXotf
a/a/ftftunj mtl iat^tmta di^^MUtfoy ni^^y.
Mar« i»iy omy niyw diäas
riXftiK, iy l^if'
^ Moroifarof fy» xnoQinas iy^ifnCiy. —
VT^em der Hiatus dTjht »al diAq>iq,av^ anstöfsig scheint^
der müfste noch d^)x[ yotg xäfi(puf<xvfj emendiren. —
Den V« 821. hat der Verf., wie noch mehrere andere
Stellen, durch das allerbedenkliohste Mittel, die Um-
Stellung, ZU heilen gesucht. Die Tilgung des *V' war
om 80 erlaubter, weil unwissenden Grammatikern die
daraus hervorgehende Construction ganz natürlich An-
•tofs gegeben hatte, über die man meine Paftikellehre
a[*h. U. p. 133 folg. nachsehen mag. — * V. 836—838.
bat der« Verf. die leichte und treiFliche Emendation
£Mdler8 (ai(f&iiifw für h&* dfpf) sammt dem Zeugnisse
Es ree. O. Bmtumn$. ' . 694
des Scholiastcn verworfen, um' mittelst einer gewalt*
samen Umstellung einen viel schlechteren Gedanken
dem Dichter aufzudrängen/ — V. 89d. ist das wg do-
noval yt der bessern codd. ohne Noth geändert wor-
den. Sollte denn dem Verf. wirklich unbekannt sein,
dars yt hinter ei; eben se gut und in eben dem Sinne,
wie hinter tl^ zu folgen pflege f — V. 94Ö' folgt der Vf.
wieder gegen denSchol. und alle guten Hdsch. der Aldina.
Gegen jueVoiy liefse sich ' wohl viel Gegründeteres ein-
wenden, als gegen oißtov^ z. B. dars das Präsens hier
nicht zu gebraueben wäre. — Das Nämliche ist wie-
derum V. 945. geschehen, wo ywaln ifioi at dov^f vni»
axt&^ vQXhQov ohne allen Tadel war, um so mehr, da
das a' des darauf folgenden Verses im Nothfall gestri-
chen werden konnte. — Vs. 953. ist der Verf. über
eine seltsame Construction und kluifende Verbindung
ganz stillschweigend hinweggegangen. Es mufs ohne '
Zweifel T^; für lU geschrieben werden, indem die En-
dung des Wortes vßQiatfji zum Ausfall dieses Artikels
Anlafs gegeben hat: 6 d' ^v ißgiaii^i, x^g t* iiir^Q (ifj^
XQ^g q,Qyov xa^ ^* alficnconoig ^tug orudi^wv ifAoL — V.
967. hätte abermals die Schreibart aller besseren Hdsch.
^ ngiaßvg der Aldina und ihrer Sippschaft nicht aufge-
opfert werden sollen: noch weniger V. 1041. ^ wo die
Aldina nur eine unerträgliche Tautologie darbietet statt
des Ausrufs aiaP nQOfjiarxig ^vfiig äg xi nqogion^l — ^
In V. 1063. las der Scholiast mal Stixigov naqovx^ iq>*
ohi xal nägog, und auch des ood. Havn. nai xd diuxigop
kann nur aus solchem Ursprünge erklärt werden. Diese
Lesart ist viel passender und gewählter, als die ge-
wöhnliche: vgl. meine Partikellebre I, 127 oben, wo-
selbst man gelegentlich auch lernen kann, dafs die im
V« 1048. vorgenommene Aenderung keine Verbesse-
rung, sondern eine Verderbung ist. Hermann ist ein-
mal entschlossen, in den Partikeln nichts Neues mehr
zu lernen, und das müssen die armen Autoren vielfach
entgelten, wie z. B, gleich V. 1083. ganz natürlich
dy&vcfHax^HH für üq* vcfHaxijxH (mag auch das Letztere
noch 60 vortrefflich für den Sinn passen), geschrieben
stehen mufs, nur damit Hermann seine ganz unlogi-
sche und willkührliche Unterscheidung von äga und
äga nicht zurückzunehmen braucht. — V. 1140, 1141.
zeigen die besseren Hdsch. ganz handgreiflich, dafs
erstlich iiolgag blofses metrisches Flickwort ist, und
zweitens i^xvgaag oder avvixvqoag nur einmal im Text
gestanden hatte, folglich also zu emendiren sei
^
«95
JSur^Mis Andromaeka.
avTos Ti ntatots
icas auch schon die gewohnte Construction des Yerbi
GvytcvgCi uod das Metrum erheischen. Denn man hat
überall Ursache, mifstrauisch zu sein, wo bei Eoripides
ein anapästisches System nicht mit dem Dimeter and
dem Parömiacns schliefst, oder auch der Dimeter mit-
»
ten im Systeme erscheint, wie z. B. Y. 484«, wo die
Verderbnng daher rührt, dafs naTaxtxgiiAivov als eine
Interpretation von avyxQotov eingeschoben worden ist,
und sodann in weiterer Veränderung dieses Ton sei-
nem Platze verdrängt hat, folglich die Worte ur-
sprünglich also gelautet haben müssen:
\ffftff'ffi 9'€tyaTov Todi avyxQaroy.
Weil hier einmal von Metrum und Versabfheilung die
Rede ist, so will ich auch erwähnen, dafs die Strophen
V« 985 folg. auf eine fast unerhörte Weise Tom Verf.
mit lauter getheilten Wörtern angefüllt worden sind.
Nimmermehr kann diefs in Versen, die den Hiatus und
die Anceps in ihrer Endsylbo gestatten, erlaubt sein:
doch bilden Zusammensetzungen, zumal die mit tvy dvg
und Präpositionen, eine Ausnahme. Die genannten
Verse aber theilen sich sehr harmonisch und natürlich
auf folgende Weise ab:
iJ 4>oiß\ o nvQydcttg toy ly^lXltp €v-
Ttixv ^<ityoy, *(ti Hot^n xpayiats
innotf d$f/Qtv<uy aXtoy nikayo^,
Tiyo^ ovyix^ ärtfioy o^yayay jjfs^a nxrocvyas ^SyvaJJ^
io^hfAifitoqh nQos&iyrtS raXatyay, jaXtuyay ftsd-tiTS T^olay,
nlitoTovs d* in^ axraiirty Stftoiyrlaty ti^
irtnovs o/ovf iCtv^ars xai ifoyhug
aydQtSy dfAiXltts ^^«r' acTSffiiyovs ;
and di g^O-ifuyot ßißSc^y ^IX&adat ßafftX^ig, ovd^ It* nvg
intß<6fÄioy ly Tgol^e d-tolay XiXajumy xanyt^ d-uoidtt,
— V. 1153 folg. hat sich der Vf. durch seinen Respect
vor der Aldiua und sein blofses Zählen der Stimmen
verleiten lassen, das Bessere, welches L. Dindorf und
Pfingk erkannt hatten, zu verkennen. Uebrigens ist
die Umstellung, welche derselbe in dem angrenzenilen
Chorgesange mehrmals vorgenommen hat, hier nicht
glücklicher als andei^wärts gewesen : auch konnte leicht
auf andere Weise geholfen werden, z. B. V. 1156. so:
xal noXiy a/uay (SXsüag, ataZ,
Ex ree. O. Bermanm.
und in der Strophe:
696
10» fioi ftok.
Nur V. 1193. scheint dieses Mittel mit Recht ange-
wandt, weil der Grund der Verderbung vor Augen Iieg;t.
Der zweite Punkt, in welchem Ref. nicht mit dem
Verf. übereinstimmen kann, betrifft nicht die Anerken-
nung einzelner Sylben, sondern ganzer Verse. Ich
weifs, dafs diefs bei Vielen ein verrufener Handel ist,
die theils die Sicherheit eines Unternehmens nach dem
Gegenstande, der dabei aufs Spiel gesetzt' wird, b^
messen, und theils der Vernunft überhaupt nur so weit
trauen, als nach ihrem eigenen, sehr natürlicbeD,
Gefühle der ihrigen zu trauen sein würde« Indefi
kann die Sache doch einmal nicht umgangen werden,
zumal wo so viele sprechende Zeugnisse und deutliche
Spuren, wie in dem vorliegenden Fülle, vorhanden sind.
Gleich im Eingange des Stucks läfst der Verf. einen
Vers von den Todten erstehen, der längst von allen
neueren Herausgebern begraben und vergessen worden
war, und zwar tbut er diefs nicht allein mittelst einer
gewaltsamen Aenderung, auf Kosten der besten Hdncb.
und des Scholiasten, sondern auch mittelst eines So-
loecismus: denn es müfste, was auch der Verf. sagen
mag, nothwendig oida y^vi^cnai nott heifsen. Und wel-
chen Vers I — Habeat sibi ! — Sodann läugnet er die
sehr handgreifliche Lücke zwischen V. 146 u. 147. und
meint unter Anderem auch den Ref. (der daraof hin-
gewiesen hatte, dafs nie eine neue Person unang^
kündigt auftrete) durch Citirung des 306. Verses wi-
derlegt zu haben, welcher also beginnt: H%m hißm
abr naXda etc. Heifst das wohl unangekündigt aufin-
ten? Dabei wird uns zugemuthet, zu glauben, dafs die
WortQ iifuaq fjiiy ovp xoTgd* avtafiilßofAa i kiyon; auf
die itumme Anwesenheit oder die blofsen Mienen und
Blicke des Chors zu bezieben seien! Wenn die alten
Schauspieldichter auf ^Bevormundung der Acteurs, wie
die neueren vielfach, gerechnet hätten, und wenn das
Spiel der Alten dergleichen gestattet hätte, so k5BBfe
ein solcher Grund wohl einige Berücksichtigung in An-
spruch nehmen : so aber sieht er einem Söphisma sehr
ähnlich. —
(Der Bescblnis folgt)
.^88.
J a h r b fi c h CT
für'
wisisenschaftliche
November 1S39.
K ri t i k.
Emripidü Andromacha: recensmt Oodofredu$
^ Hermannus.
(Scl»laf0.)
Bei V. 373, 374. irt das Ref. Bemerkung, dafs
diese Worte netbwendig von dec PreundMchafi oder
ianeren Uebereinstimmoog der Seelen Terstanden wer«
den" Dififsten, von dieser aber hier nicht die Rede sein
kSane, keiner Berüoksiq^tigung, ja nicht einmal einer
Brwfthnang gewürdigt /worden. Das ist freilich die
leichteste Art, sidi etwas Unbequemes vom Leibe zu
halten. — Hinsichtlich der V. 391, 395. kann man es
nm bedauem, dafs ein Mann yon Hermanns Verstände
nicht einsehen wiil^ dafs das, was er Z^usammenbang
Deant, eben kein Zusammenbang ist, und dafs wenn V.
396. vom V. 393. gerissen wird, der schönste Gedanke
mid passendste, Uebergang su dem auszusprechenden
Cntschlasse der Andromache zerstört ist. Eben we-
gen dieses nat&rlichen und notbwendigen Ideengangs
können die betreiFenden Verse auch nicht hinter V.
400. angebracht werden, und sind überhaupt ganz stö-
rend und unnütz. — Dafs Euripides keinen Vers, wie
der 429. ist, gemacht haben kann, bat der. Vf. richtig
gefohlt. Die bedenklichen Varianten, die zwecklose
und alles Maafs überschreitende Grausamkeit der Wor-
te, lassen erkennen, dafs dieser überflüfsige Vers das
Maohwerk irgend eines übelgescbäftigen Auslegers ist,
der seine aus dem V. 439. geschöpfte Kenntnifs hier
anbringen wollte. — Wahrscheinlich von demselben
grofsen Geiste rührt auch der 651. V* her, den sammt
der vorangehenden- Partikel d' Lenting'mit Recht zu
tilgen gerathen- hat. Hat etwa Menelaus nicht gewufst,
dafs Andromache schon einen männlichen Spröfsling
am Leben hatte, dafo er sagen konnte ^ xwlnt^i äno
ßJLamäoi naütg^ Wie konnte aber der Verf. vollends
Jmkrh. /. triiienfcA. KriHk. /. 1839. II. Bd.
einen so lumpig zusaimnengeflickten Vers, wie der 633.
ist, unbeachtet lassei;!? Was er aber zqr Läagnun^
der Lücke zwischen V. 634 u. 635. vorbringt, welches
im Wesentlichen mit Leotings Meinung übereinstimmt,
ist bei Weitem nicht so fein, als was Jacobs und An*
dere bei deren Entdeckung bemerkt haben. — y.96I,'
962. dieser Gedanke klingt im Munde des Chors (dem
der Verf. mittelst einer Emendation ihn zugetheilt hat),
noch ungeschickter,' als in dem des Orestes. Denn nur,
konnte hier auf den Gedanken kommen, dafs Pietät und
FerwandtscAq/i die Hülfsleistuog veranlafst haben. Vom
Orestes gesprochen, würde mai) sie doch wenigstens auf
Heuchelei oder Selbsttäuschung deuten können. — Der
V. 1044. fehlt in zwei der besten Hdsch., und mit Recht,
penn es bat 'fMt'^biir'.die nämliche Bewandtnifs, wie
mit dem V. 1120., der ohngeffthr von gleichem Inhalte
mit ihm, aber in anderer Hinsicht noch viel erbärmli-
cher ist. Zudem liegt dem letzteren eine Sage zu
Grunde, von der Euripides ganz und gar abgewichen
ist, nämlicb> dafs nicht die Velksmasse, sondern ein
einzelner Deipbier, Namens Maxcugivgy den Neoptole»
mos'getödtet habe, s. des Verfs. Vorrede p. Xlll. —
Eine solche, dem Inhalte dieser Tragödie widerspre-
chende, Notiz enthält auch V. 1214., welchen der Scho-
liast mit den Worten notirt: iv toXg noXkoXg dvxiyQa<i)9ov
ov {paivtxai 6 läfißoq, ourog. Der nämliche macht uns
auch auf die Unechtheit eines anderen überflüssigen
Verses aufmerksam, nämlich des 1225., wofür er allen
Dank verdient, um so mehr, als' nach dessen Tilgung
im V. 1227. die Lesart der meisten und besten codd.
awotu^oHg ^<$ unangefochten bleiben kmn. *- Die Bin-
schiebung einzelner Worte ist schon bei mehreren Stel-
len von uns nachgewiesen. worden, aber es sind noch
einige übrig. V. 1146. werden die Worte fioi xixva^
welche o£fenbare Interpretation von fto« yivo% sind, in
. 88
t \
699 Euripidü Andromacka.
eiDigeo codd. nicht gefunden, und sind dem Vene
überflüssig. — V. 1174. fehlen die lästigen Interjectio-
nen ioi [aoi iaoi in zwei der besten Hdscb. und die der
Gegensfrophe V. 1187. sogar in allen. Mit Recht bat
man ancb raXainmifov ifid aus V. 1174. allgemein ver-
bannt. Sonach kann man, genau den Hdsch. folgend,
schreiben :
(J qiXoSg d6fi09f HUnts ij^fioy
fi^ovT^ anaida yo<rqi<fas
a/47tTttfitya (f'^Qvdu nawra Xiirat
xoftnaty fASTOQciay nQoata,
ond braucht des Verfs. Aenderungen um so weniger,
da diese Art von Versen (ein Cretious mit einer tro«
chäischen Reibe) sehr gewöhnlich ist — V* 140. findet
sieh <u nur in den schlechteren codd. Diefs mufs als
Fingeraeig dienen, dafs liian die unnützen Fiickwörtef
nicht nooh zu vermehren, sondern vielmehr zu tilgen
hat, nm rhythmische Verse zu erhalten, alsos
nayrnXaiya yvfAiffU
I
fiil naig Jhos xoqag
fi 9v ffQoyovfftty tvQrj,
^ Bei V.' 181. hatte Valkenär ganz Recht, daüa inl-
q>^op6f XI x^^fcff ^j^Xaooy e^t; nicht griechisch sei, und
Beispiele wie V. 933 dienen keineswegs zur ' Bestäti«
gung, weil sie ganz anderer Natur sind. Denn hier
ist der Infinitiv (axoiz&y) Subject, und der Sinn ist: taer
das gelehrt haiy der hat die Menschen etteae Klu-
ges gelehrt. Unsere Stelle dagegen findet im 714. V.
ihre Analogie, und mufs nach diesem auch emendirt
werden, nämlich htlcpOovdv n x^^f^c* ^fjltiSv yivog. Zwar
hat die Vertauschung mit iqtv auch in jenem Verse
(714) -sich eingeschlichen, doch bewahrt Stobüus das
Richtige auf, und hatte ohne Zweifel auch V. 18L
also geschrieben, indem q>ptv6^ blofse Verderbung aus
yAfoq zu seiki scheint. — In V. 648. ist es zu verwun-
dern, wie Brnncks treffliche Aenderuog navuv für die
schwankende Lesart scranSr oder ^avtuf auch von dem
Verf. verkannt werden kowate. — V. 1119. ist die Les-
art der Florentiner Hdsch. dafutq, als die gewähltere,
unbedingt vorzuziehen.
Der drüte Punkt endlich betrifft die Auffassung
des Ganzen und die ästhet^che Beurtheilung. Wenn
JKr ree. O. HemumnL 700
der Verf. mitunter liebanptet hat, dafs ohne Texte^
kritik die Beurtheilung des Ganzen nicht gelingen kdnn«;
'so hat er hier den Beweis geliefert, dafs sie auch mk
jener nicht' sicherer gehe, oder er selbst hat dnreb die
Art, wie er die letztere geübt hat, den Stab über sehie
Texteskritik gebrochen. Der Verf. sollte wohl Anstand
nehmen, ein Urtheii zu &ufsern^ wie dieses (p. XIll u.
XIV): „Euripides habe, weil das eine Tmmm zur Aoi-
füUung einer Tragödie nicht gelangt haben würde, denm
zwei an einander gestückt, und da sei denn freilich At
los verkehrt ausgefallen, die Schuldigen seien beiobiit,
die Unschuldigen bestraft worden.'' Dergleichen .Cr«
theile könnten wir mehrere ausschreiben, wenn sie uns
nicht Und was glaubt der Vf. für ein Recht zu babeo,
um so mit einem Tragiker umzugehen, den das Alter«
thum am höchsten geachtet, wenigstens keinem «sde*
reu mit Entschiedenheit nachgestellt hat? Ebea diese
Celebrität seines NaayMus soll den Beweis abgebeo,
dafs er nichts getaugt habe, indem er der Pabelfiint
gewesen sei. - Fürs Erste kommt beim Alterthnn^ keti
Pöbel nach Art des unsrigen in Betracht, weil die ei-
geatliche Grundsuppe durch den Solavoistand ven
freien Pöbel ausgeschieden war; und fiirs Zweite ver
der Gebranch und die Bestimmung des Theaters dpr
Alten verschieden von deui> unsrigen, so daÜB nicht
wohl ein Kotzebue zur Herrschaft gelangen konntei
Und wenn auch: so sollte man selbst in diesem PaUe
vor dem Urtheii einer Nation einige Achtung hegen,
so wie Goethe geibhan hat, indem er defshalb nocb is
seinen letzten Tagen seinem gebomen Feind und An-
tipoden, dem eben genannten Kotzebue, Gerechtigkeit
widerfahren liefs. ludefs haben wir es mit dem eths'
wischen Volke zu thun, dessen Urtheii selbst eiscft
Horaz in Geschmackssachen als höchste Entscheidssg
galt: und dieses Volk^ hat diesen Dichter nicht aileis
gebilligt, sondern auch geliebt und auswendig gewaM
wie keinen anderen. Oder soUen etwa die Parodies
des Aristophanes (die ihrerseits selbst aicht raögUck
waren, wenn nicht fast jedes VVort unseres Diehteii
der Nation ins Herz geprägt war) als Zengnife des
Gegentheils gelten I Dann gestalte die Geschichte dock
auch den Sokrates nach diesem Zerrbilde I
Wer urtheilen will, ob in einem Kunstwerke Ein-
heit ist, mufs diese Einheit nicht in Aeufserlichkeitä,
in dem Schicksale einer Person u* s. w., soeben« Sonst
701. Euripidu Amhrmmaeha*
wird man an dea bestell Stocken der gefeiertsten Dich-
ter aller Nationen und Zeiten (z. fi. an tShaliespeares
Cäsar) gerade so wie an der Audromache und Hekuba
des Buripides irre werden. Die höhere Einheit liegt
in der Tbat, mit oder aus welcher sich Alles ent-
wickelt. Diese That ist in unserer Tragödie die Ver-
Diählttng des Neoptolemos mit der Herinione^ oder die
Verbindung eines reinen Geschlechts mit einem unrei«
nen, durch welche Vennengung Unheil aus diesem auf
jenes binüberströmt Audromache^ von der das Stück
snfallig den Namen erhalten hat, ist, aufser dafs sie,
wie auch Thetis , den Gegensatz bilden mnfs gegen
die öbelberücbtigten nnd ungetreuen Ehefrauen Her-
mione und Helena, für die Hanpthandlnng unwesent-
lich. Uebrigens wird der Unsegen, welcher aus einer
solchen Mifsheirath, sowohl durch die Frau selbst als
auch durch deren Vater, Scbwäher und Verwandte
über das ganze Geschlecht kommt, und dagegen der
noch in späten Zeiten fortwirkende Segen einer ehren-
Teilen und tugendhaften Verbindung durch Thaten
ond W^orte so deutlich dargelegt, dafs die Absicht
des Euripides kaum irgend jemand Terkenuen kann,.
IKers ist demselben mit den V. 1158— > 1165. be-
gegnet, welche die Tendenz des Stücks mit Eins aus-
sprechen. Uatie doeA (so ruft Polens über der Lei-
ohe seines Enkels) mein Geschleckt ißxseiüe Fami-
lie) nie das Unheil deiner ehelichen Verbindung
üter sieh gen^^mmen auf Kinder und Hmusy dae Ver*
derben (das an) der Uermione {haftete) auf dichy
mein Enkel! -Hier macht Hermann eine Conjectur,
mittelst welcher die Anspielung von der Hermione auf
die Andromacfae übergetragen und deren Umgang mit
Neoptolemos bejammert wird. Scboliast und Zusam-
menhang warnten vergebens I
J. A. Härtung»
XLVL
De' ecclesia Carinthia primaeva factionibüe tur-
bata. • Disquisitio critico " historica ad antiquie-
iitnum ecclesiae chri$t. statum illustrandum
peftinene. Scrtpsit Daniel Schenkely Theol.
Iac. in Acad. Basü. privatim docehs. Inest
escursus de Clementinorum origine argumen-
Sx rec. G* Hermanni. . 702
toque. Bassleae^ 1838. m librenria Schweige
kauseriana. XTI. 162. .
Eine neue Untersuchung und Hypothese über die
in der neuern Zeit so vielfach besprochene korinthi-
sche Christuspartei ! Hr. Lic. Schenket erkennt zwar^
indem er seine Untersuchung mit einer kritischen Ue-
bersicht über die verschiedenen, die korinthischen Par^
teieu betreffenden , Meinungen beginnt , der von dem
Ref. aufgestellten den Vorzug vor den übrigen zu,
glaubt jedoch auch bei ihr nicht stehen^ bleiben zu
köunen. Ref. ist sich , wie er auch schon früher er-
klärt hat (Tüb. Zeitschr. für Theol. 1836. IV« Einige
weitere Bemerkungen über die Christuspartei S. 6)
wohl bewufst, dafs auch seine Ansicht, der Natur der
Sache nach, nichts anders sein kann, als eine Hypo-
these, welche, bei dem durchaus relativen Werth jeder
Hypothese, sich nur so lange geltend machen kann,
bis eine andere wahrscheinlichere aa ihre Stelle tritt.
Aus diesem Grunde will auch Ref. die Einwendungen
des nrn. Vcrfs. gegen seine Ansicht, obgleich hier so-
gleich manches zu berichtigen wäre, zunächst ganz auf
sich beruhen lassen. Gelipgt ea dem Hm. Verf. etwas
Einleuchtenderes und besser Begründetes zu geben, so
wird Ref. gern seine Ansiebt auf sich beruhen lassen;
sollte sich aber ergeben, dafs auch die Ansicht des
Hrn. Verfs. zum wem'gsten nicht minder an den Ge-
brechen einer Hypothese leidet, so wird es auch dem
Ref. erlaubt sein, auf die seinige zurückzukommen,
um sie gegen die Einwürfe des Hrn. Verfs. so viel
möglich in Schutz zu nehmen.
Der neue Weg, auf welchem Hr. Lic. Schenkel
der räthselhaften Christuspartei näher zu Jjcommen
sucht, hat für den Ref. insofern nichts Ueberrasoben-
des gehabt, als er sich noch wohl erinnert, den Brief des
römischen Clemens, von welchem der Hr. \t bei der
Begründung seiner neuen Hypothese ausgebt, gleich-
falls eiumal für denselben Zweck verglichen zu haben.
Da der römische Clemens, wie der Apostel, durch
Parteistreitigkeiten in der korinthischen Gemeinde zu
seinem Schreiben an sie veranlafst worden ist, so liegt
in der That der Gedanke einer auf diesem Wege
möglichen Gombination sehr nahe, allein bei allem Ver-
trauen zu dem Scharfsinn des Hrn. Verfs. kann Ref.
in Ansehung des Resultats sich keine grofse Ho&ung
Schenkel^ de ecelesia CorinMia primamni ete*
I \
703
machen. In der korinthischen Genkeinde gab ea sur
Zeit des röoniscben Clemens einige Unruhestifter, ivcl-
che die Presbyteren Yon ihren Stellen z^u verdrängen
suchten. Da sie, wie der Hr. Verf. schliefsen zu niüs-'
sen glaubt, nicht gerade die Absicht hatten, sich selbst
derselben zu bemächtigen, so mnfs man um so mehr
nach der Veranlassung dieser Bewegung fragen, deren
Tcrwerflicher Charakter und gefahrliche Tendenz Cle-
mens mit sehr starken Ausdrücken bezeichnet. Der
Hr. Verf. findet nun in Hinsicht der fraglichen Chri-
stuspartei schon diefs bemerkeuswerth, dafs Clemens
die Einsetzung der Presbyteren durch die Vermittlung
der Apostel auf Christus zurückführt. Diefs könne,
" schliefst der Hr. Vf., nur aus dem Grunde geschehen
sein, weil es in Corinth solche gab, die den Aposteln
das Recht, Bischöfe in der Kirche aufzustellen, ab-
sprachen« Deswegen also haben sie die Presbyterien
verdrängt, und da sie diers nicht ohne sich auf eine
bestimmte Autorität zu stützen, gethan haben können,
so haben sie sich, um die Apostel herabzusetzen, auf
Christus selbst berufen. Wie denn Clemens so gro-
fses Gewicht darauf legen könne, dafs nur Ein Chri-
> stus sei, und nur Eine n^kTiois h XQigS, wenn es nicht
solche gab, qui Christum peculiari quadam ratione ad
se pertinere volueruntf ^— Igitur duae ei:ant partes
Corinthiorimn, quorum alteri apostolis episcopisque ab
illis constitutis fidcm habebant et addicti erant, alteri
apostolorum et praecipue episcoporum auctoritate re-
jecta sibi ipsis solis sapere volebant, ut Christo soll
addicti (S. 88). Dem Hrn. Verf. scheint das so aus
Clemens erhobene Resultat höchst wichtig zu sein, wie
schwäch sind aber schon diese anknüpfenden Fäden?
Welcher rasche, unnatürliche Schlafs : Weil es in Co-
rinth einige gab, die keine Presbyteren haben wollten,
wollten sie demnach auch die Apostel, und zwar
nicht blos als Anordner der Presbyterien, sondern
schlechthin in jeder Beziehung nicht anerkennen, und
v^il sie die Apostel nicht anerkannten, ohne alle
701
apostolische Vermittlung und zugleich auf eine Ar
alle andere völlig ausschliefsende Weise nui* in ei*
ner unmittelbaren Beziehung zu Christus stehen t Dafs
sie die Presbyteren aus dem von d|>m Hm. Verfasser
angenommenen dogmatischen Grunde nicht haben
wollten, sagt Clemens nioht, und man mnfs vielme&r
aus dem Tone, in welchem er von diesen Unmiiestif*
tern spricht, und aus den Motiven, deren er sich be-
dient, auf etwas ganz anderes schliefsen, dafd nemliob
jene Widersetzlichkeit gegen die Presbyteren nur eine
Widersetzlichkeit gegen die durch die Presbyteren in
ihrer kirchlichen Stellung sich mehr und mehr i)efe>
stigende kirchliche Ordnung und Verfassung war, eine
Annahme, welche der Hr. Vf. in der Folge selbst ttt
der seinigen macht, indem er der Meinung Lisf s bei-
tritt, es seien vorher in Corinth nulla eerea institutS)
nullum ^rnmni eeclesiasticum vinculum gewesen, sia*
gulosque pro singulis studiis singulis in aedibns conv^
nisse, und demgemäfs annimmt, der Apostel habe die
Vorkehrung getroffen, ut ecciesiae episcopis sive r^
ctoribns cum auctoritate nova atque graviori constitu-
tis, optimi cüjusque consilio, . prudentia, auctoritate^
seditionis materia ipsa exstincta, scditiosis anima io-
terduderetur (S. 115). Wie läfst sich demnach hier-
aus schliefsen, jene seditiosi haben nur Christo soll
addicti sein wollen? Dafs auf eine solche Grundlage
nichts Erspriefsliches gebaut wei*den kann, ist klar,
wir wollen aber dem Hrn. Verf. weiter folgen. Er
meint, indem er jenes Resultat an den ersten Brief
des Apostels au die Corinther anknüpft, auf die ii
demselben gegebene Ermahnung haben sich die Paoii'
ner, Petriner und ApoUonier dem Willen des Aposteh
gefügt, nicht aber die Anhänger der Christuspartei.
Diesen gelte die starke Sprache des Apostels im zwei-
ten Briefe, und dieselben seien nun auch die Unruhe-
stifter, welche den römischen Clemens zu seintoi Schrei-
ben an die corinthische Gemeinde veranlafst haben.
(Die Fortsetzung folgt)
J
J a
.Jf 89.
h r b fi c h e r
für
^ I
wissen seh a f 1 1 i c h e Kr i t i k.
November 1839.
Jh eeciesia Cormthio prunaeta factumibtu tur-
battt, Düquisitio crilico<-kitterica ad antiquig-
simum ecclestae christ. statufn illustrandum
^pertinens. Bcripsit Daniel Schenkel.
(Foitietsang.)
lieber den fortgebenden Wtderspmcb der Cbri-
■totpaEtei sagt der Hr. Vf. S. 91: pl-ocul dubio nega-
bant seditiosi apostolo esse aliqnod jns peeuliare eo-.
desiae jDorintbiae regendae (2 Cor. 10, 8), eontende-
baut amoria sui studio atque pecuniae faciendae cnpi-
dbii potioa quam eodesiae aaluti cum hucusque con-
salniMe, poatremo et ry yvioaii ipsi antecellere vole-
bant apostölnm et inxaaiav; Mai mauälvipiaiv. Daß letz-
tere soll daraus gescblossen werden, dafs sich ohne
diese Voraaasetznng nicht begreifen lassen irärde,
warum der Apostel in seinem zweiten Briefe 11, 6.
12) IrfTon seinen omaaUu nnd dnoMaXiiffii^ rede. Wäre
es dem Apostel nur nm die Yertheidigung seiner apo«
atoliscben Anctorität gegen seine Gegner zn tbun ge-
wesen, so würde er sich auf das portentum auf dem
Wege nach Damascns berufen haben, da er diefs nicht
thoe, sondern ron seinen omaoicu und dnonakihfftig re-
de^ und zwar sonst nirgends als gerade nur hier, wie
er selbst sage, durch seine Gegner genötbigt, so müa-
sea seine Gegner sich besonderer Visionen und Offen-
baraogen Christi gerühmt haben/ und weil sie sich
solcher rühmten, haben sie jede apostolische Auotori-
tit rerworfen, woraus demnach, waa selbst dem Scharf-
■inn eines Neander entgangen sei, sonnenklar erhelle,
iais die Christiaer nur deswegen nach Christus nnd
aicht 'mch einem Apostel sidi geilannt haben, weil ih-
aea atte Apostel nichts galten. I>er Ur. Verf. selbst
kann sich nicht genug daoruber wundern, dafa so Tiele
nnd so grofse Gelehrt« nicht sehen vor ihm auf eine
so einfache^ leichte, sich von selbst empfehl<Aide L5-
■ung der sehwierigen Frage gekommen seien, und
/oArft./ iptMejtfcA. KriOk. J. 1839. II. Bd.
glaubt nun nur noch näher entwickeln zu müssen^ wi^
es geschehen sei, dafs man in der ältesten Kirche
mit völliger Verwerfung der apostolischen Auetorität
sich einzig nur an Christus halten wollte. Den Gmdd
hie?on findet er in der B^ebenheit des« Pfiogstfestes.
Da nemlich an demselben der göttliche Geist auf eine
völlig unTcrmittolte Weise vom Himmel herabgekodi-
men sei, so habe „sagacissimua quisque^' hieraus schlie-
fsen müssen, dafs an deni apostolischen Unterricht gar
nichts gelegen sein könne, eine Ueberzeugung, in wei-
cher man durch die. plötzliche Bekehrung des Apostels
Paulus in Folge einer himmlischen Erscheinung noch
mehr habe bestärkt werden müssen, und man könne
sich daher nicht wundem, dafs es seitdem auch' noch
andere gab, welche nur von dem' spiritualis Christus
berufen sein wollten^. Verachtung der apostolischen
Lehre und Auetorität, auch der des Apostels Paulus,
'seien die natürliche Folge dieses in der Kirche^ sich -
verbreitenden Irrthums gewesen, welchen, der Apostel
Paulus schon in seinem ersten Briefe an die Corinth«
sehr ernstlich bekämpfe, indem, was man gewöhnlich
auf die ApoUopartti beziehe, weit treffendc;r gegen die
Christiner, als Anhänger eines spirituellen Christus^
gesagt sei. (Wie treffend der< Apostel diesen Spiritua-
lismus des Tov XQtgöv dvat als die aoqUt rov aiSva^
tovrov bekämpft haben würde, sieht jeder.) Bei die-
sem Gange der Beweisführung sieht pian eigentlich
nicht recht, welches Moment die Beiziehung des Brie-
fes des römischen Clemens noch haben soll. Gleich-
wohl sucht der Hr. Verf. dem aus ihm erhobenen Re-
sult^ durch die nähere Öestimmung des Alters des
Briefs noch gröfsere Wichtigkeit zu geben. Mit jgpn^
fser Zuversicht behauptet er nicht nur, dars der Brief
noch vor der Zerstörung ^rusalems, sondern sogar,
dafs er während der Nerpnischen Christeiiverfolgung
geschrieben Hiei. Da Clemens ain Eingang seines
Briefs die Verzögerung desselben durch oc^Wdioi nai
89
707« . Schenkel^ "de eeeleHa
ImxiXriKoi ytv6^vmi' aviAffOQal lUcl nafifimdon^ entschul^
dige, so könne man dabei an nichts anders' als an die
plötzlieb ausgebrochen'e Neronische Christenverfolgung
denken^ and da Clemens von den in dieser Verfolgung
als Märtyrer gestorbenen beiden Apostehi Petrus und
Paulus als den Syyi^a yivi^uvoi d&Xtital spreche, zu-
gleich aber ben^erke, dafs sie (die römischen Christen)
sich noch jetzt auf demselben Kampfplatze befänden
(was, beiläufig bemerkt, ein sehr unsicherer Schlafs
aus der Stelle: ravxa ov ^6voy viAog vov&novvng ini"
^ß^ppur dlXä nal iavvovg vnoiufivi^ijxovüs ' h yaf %$
avi^ i&lif» intäfifiaxiy xai 6 avrbi ^fiZp dyAv inuuitat ist,
indem wegen der Gegenüberstellung von iffiäg und iau-
tobg unter der Identität des Kampfes in jedem Fall
eben so gut das Gemeinsame desselben für die Römer
und Corinthier verstanden werden kann als die Fort-
dauer desselben ii^ Rom), so haben wir hier den deut-
lichen Beweis davon, epistolam, flagrante persecutione
esse soriptam (S. 110). Dadurch glaubt der Hr. Vf.
einen dopjßelton Vortheil erreicht %u haben: 1) die
schon so laugq obschwebende Frage über eine zweite
Gefauge^schafl des «Apostels scheint ihm jetzt erle-
digt, denn da der .schon zu Anfang der Neronischen
Verfolgung geschriebene Brief des Clemens den Mär-
tyrertod des Apostels als schon geschehen erwähne,
so sei ja nicht möglich, ut apostolus denuo post mar-
lyrium illatum liberatus, in Hispaniam profectus^ ite-
rumque captus sit atque^ductus (S. 113), was gewifs
jeder zdgeben wird ; 2) der Brief des Clemens und der
de& Apostels rücken so nahe zusammen, däfs zwischen
den Streitigkeiten zur Zeit des Apostels und denen"
zur Zeit des Clemens kaum ein Zeitraum Von 5— ^B
Jahren gewesen sei. Dabei nimmt der Hr. Verf. noch
an, dafs der Apostel, während seines letzten Aufent-
halts in Corinth, um der corinthischen Gemeinde eine
bestimmtere Verfassung zu geben, eben jene Presby-
teren aufgestellt habe, welche sodann seine Gegner
auf die Nachricht von seiner Gefangenschaft, dem
Briefe des Clemens zufolge, wieder zu verdrängen ge-
sucht haben. Wie willkürlich auch hier alles ist, darf
im Grunde kaum bemerkt werden. Aus der Stelle der
Ep« Clem. c* 41: oi nawtaxov ngoatpe^otrai ^uaiai dXX*
h ^liifovaaXfffA fiovi^, kann man nicht mit Sicherheit auf
die Abfassung des Briefs vor d^r Zerstörung Jerusa-
lems schliefsen, da diese Worte auch als allgemeiner
Carinthia^ prünaetfa eic. 708
^Satz, als wesentliche Bestimmung der aittestamcntG-
chen Religionsverfassung, wie dieselbe (nach dem Zu-
sammenhang der Stelle) auch jetzt noch, für die christ-
liehe Kirche, ihre Bedeutung haben mufs, genommen
werden können. Noch unrichtiger aber ist der aas dfii
Worten e/yiaxa yivoiiivoi dOXtjral gezogene Schlafs. Neh-
men wir die Worte^ wie sie bei Clemens lauten: äX
Xva rSv aq^attov moduynixmv navüdfAt&a, Ik&mfuif hd
rovg eyyiata ytvofiivovg d^Xtirdq' Xdßcofnv t^$ ytvtag ^fiAr
T«r ytv}*ata vnoddyfAata* — Xdßafiiv ngo 6(püaljtj£9 ^fm
«o^; dyoi^ovg dnogoXovg, so bleibt den alttestamentlk
eben Beispielen gegenüber, welche unter den d^a!a
vnoddyfiata zu verstehen sind, für die Beispiele au
der neuesten Zeit immer noch ein so weiter Spiel-
raum, dafs sich diese Worte keineswegs zu einer lo
speciellen Zeitbestimmung eignen. Auch wenn seit
dem Märtyrertode der beiden Apostel schon 30 -«-40
Jahre verflossen waren, konnte Clemens gar wobi sich
so ausdrücken. Warum soll denn hier gerade an des
Moment des Märtyrertodes selbst, gedacht weritenf
I^t doch an sich schon die Vermuthung, währead die
Neronische Christenverfolgung mit ihren aus der Schil-
derung des Tacitus bekannten Gräueln in Rom wiitha-
te, nachdem unmittelbar zuvor, wie der Hh Vf. oabe-
denklich annimmt, die beiden Apostel als Märtyrer^g^
fallen woren, habe Clemens, welcher in jedem FaK ab
eines der bedeutendsten Mitglieder der Gemeinde des
Gefahren der Verfolgung am meisten ausgesetzt seil
mufste, sich in der Lage und Stimmung befunden^ dci
gerade jetzt in Rom auf eine Antwort harrenden Ab«
geordneten der corintbischen Gemeinde ein solob«
Antwortschreiben mitzugeben, eine sehr unnatfirlioha
Wie ganz imders hätte sich Clemens über die Neroit
sehe Christenverfolgung, den Tod det beiden Aposte!,
und wenn man c. 47. vergleicht, wo er selbst. den
Brief des Apostels und der damaligen Parteinageo c^
wähnt, besonders auch über den Zusamuienhan^ die*
ser Streitigkeiten mit den frühern aussprechen vdüB'
seo, wenn er in allem diesem so frisebe ThatsadieB
vor- sich gehabt hätte! Ueberhanpt aber hat.. der Hr.
Vf. die kritische Frage über den BridT des remischei
Clemens, bei welchem es sich nicht blos um eia Zeil*
datum, sondern vor allem um die in maaoker Betie'
hung zweifelhafte Person des römischen Clemens (mM
vgl. meine Abhandlung über die Christuspartei u« &W.
700 Schenkely de eedesia
Tob. Zeitsohr. fdr Theoi: 1831. IV. S. 198 f.) han-
delt, nicht so Tielsehig erwogen, als fiir dea Zweck
seiner Untersuchöng n5tbig gewesen wfire*
Auf diese Weise steht der spiritnelle Christus,
dessen Anhänger ol rou Xqioxov gewesen sein sollen,
wahrscheinlich in der Luft. Um ihm eine festere und
breitere Basis zu geben, sucht der Hr. Verf. weiter
sn seigen, dafs die Zahl derer, welche nach dem
Pfiogstfest neqna doctrina aliqua o^us . esse dtce-
rent, neque episcoporum institutione ad Christi cogni-
tionem percipiendam ,' gar nicht gering gewesen sei.
Fnr diesen Zweck wird zuerst der Häretiker Cerinth
aufgeführt. Dem yon Ensebius H. E. 111, 28. aus ei-
ner'Schrifl des römischen Presbyters Cajus mitgetheil-
ten Fragment, das zwar etwas dunkel ist, aller Wahr-
sehcittlichkeit nach aber einen ganz andern Sinn hat,
gibt der Hr. Verf. die Deutung, Cerinth habe sich
selbst für einen grofsen Apostel gehalten, und somit
natürKcb die wahren Apostel schlechthin verworfen«
Dabei wird nicht nur dem mit dieser Annahme strei-
tesden Zeugnifs des Epipbanius, dafs Cerinth wenig«:
stens das Evangelium des Matthäus angenommen habe,
einfach die Wahrheit abgesprochen, sondern auch den
Worten des Cajus'scben Fragments, Cerinth habe ge-
lehrt, fuva Tijfy uvaaraatv- iniyuov drai t& ßaaiKtiov tov
X^iattlv, die kaum glaubliche Deutung gegeben, das
PaaÜLHov kniyHov sei regnum a Christo spiritali spiri-
tale in terris constitutum, in welchem Christus quali-
caoque.modo sire visionibus extrinsecus oblatis, siye
revelationibus intus factis bisweilen den Seinigen habe
ersdieineb sollen. Unde, lautet nun der merkwürdige
Sehlnrs, satis perspicuum est^* et apostolos, qui ad
Christum cum Jesu ettam cönjunctum i. e. Christum
corporeum et terrestre (soll wohl terrestrem heifsen),
nt ita dicam, pertinere Tolebant, pro veris apostolis
a Cerinthiaais haberi non potuisse, et unumquemquo
TOV XQtaxov ex eorum opinione fuisse futurum, qui ex
aliqua ratione cum spiritali illo coelestique Christo
(welchen Cerinth yon Jesus unterschied) post resur-
rectionem fuerit coi^unctus (S. 121). Woher weifti
denn aber der Hr. Verf. , um nur diefs Eine zu be-
merken, dafs Cerinth solche Visionen und Offenharun-
gen, gesetzt auch, es habe sich mit ihnen wirklich so
rerhalten, wie der Hr. Verf. annimmt, nur erst nach
der Auferstehung stattfinden liefs, und welcher Grund
ist demnach zu der Annahme vorbanden, dafs er die
CorintAia primaeva etc. . 7 10
Apostel Jesu schlechthin von ihnen ausgeschlossen
faabel . .
' Dasselbe Gewebe von Unwahrscheinlichkeiten fahrt
der Hr. Verf. noch weiter fort, indem er von Cerinth
zu den in den Ignatianischen Briefen bestrittenen Do-
keten, den Marcioniten und Montanisten fortgeht. Al^
lein die Willkür wird immer bodenloser, und es ^wird
dem Ref. immer zweifelhafter, ob eine mit solchem
Material aufgebaute Hypothese auch nur den Reiz ei- •
Der geistreichen Combination haben kann, zumal, da
auch die mit dem lateinischen Ausdruck mühevoll ritt*
gende, zu umständlich weitschweifige, das kaum Ge-
sagte mit der steten Versicherung der Wichtigkeit
des erhobenen Resultats recapitulirende Darstellung
nicht sehr geeignet ist, die Sache für den Leser anzi^
hender zu machen. Aus diesem 6runde glaubt Ref, *
hier nur noch, das Verhältnifs beriibren zu dürfen, in
f.
- welches der Hr. Verf. den Marcion zu seiner bisher
entwickelten Ansicht setzt, da hier hauptsächlich der
Punct ist, auf welchem die kecke Hypothese sich in
sich selbst verrennt. Marcion hat bekanntlich die Au-
torität der s&mmtlichen ApOstel wegen des ihnen noch
anhängenden Judaismus, mit Ausuahe des Apostels
Paulus, verworfen. Es hing diefs mit dem DnaKsmus
theils seiner Weltansicht überhaupt, theils seiner An-
sicht von dem Verhältnifs des A. u. N. T. aufs eng- ..
ste zusammen, und dieser Dualismus selbst war mit
dem für sein System nicht minder charakteristischen
Doketismus so wesentlich verbänden, dafs an seinem
System alles in einander emgriff, und, das Einzelne m
dem Zusammenhang des Ganzen seine hinlängliche
Begründung hatte. Wenn nun aber der Hr. Vf. seine
Zusammeustellong des Marcion mit der korinthischen
Christuspartei nur so zu motiviren wetfs,: In eo igitur
a Christinis (qui apostolis repudiatis, doctrina omni-
neglecta, revelationibus solis' verum apostolum aliquera
fieri, ad Christum pertinere statuebant) stat (Marcion),
ut nullum Christi esse potuisse dicat, quin alia ratione
quam doctrina atque externa ipstitutione apostolus sit
factus, ut neminem npostolum agnoscat, qni cum Chri-
sto populär! terrecitrique nonnisi vinoulo sit oonjunctus
(S. 131), so ist nicht abzusehen, welches hesondere
Moment in dieser Zusammenstellung enthalten sein
soll, wenn wir nicht auch bqi jener Christuspartei den-
selben Zusammenhang der religiösen Ansicht über-
haupt vorauszusetzen berechtigt sind^ welcher bei Mar-
711
Schenkel^ tUi eeelesüi Carinthia prinaeva 0te,
712
cioD stattfand. Aoch }i«i Maroion ist ja diers nicht
die Hauptsache, dafs er Christus nach seiner Entfer-
nung Ton der Erde durch besondere Visionen und Of-
fenbarungen auf Paulus einwirken liefs, sondern, weil
ihm iiur die Lehre des Paulus das Wahre ' und We-
sentliche de« EYangeliums zu enthalten schien, diesel-
ben Grundideen, die ihm nicht anzunehmen gestatte-
ten^ Christus sei als Erlöser mit der Welt des De-
miurg und dem Judentbum so susammengewachsen
gewesen, wie nitch den andern Aposteln angenommen
il^rden nmra, galt ihm nur Paulus ala der wahre Apo-
«tel, und nur aus diesem Grunde uiufste er jenen Er-
scbeiniingen und Offenbarungen eine ganz andere Be-
deutung zuschreiben, als die irdische Verbindung Jesu
mit seinen Jüngern haben konnte. Läfst sich nun nicht
auch bei der korinthischen Christuspartei ein ähnlicher
Zusamcnenhang einer in das Wesen des Christenthums
ti^er eingreifenden Ansicht auf irgend eine Weise
wahrseheinlieb machen, so jst es eine völlig werthlpse
'Hypothese, von dieser Partei zu sagen, sie habe dfe
nAactorität der s&mmtlichen Apostel, die mit Jesus 'wäh-
rend seine« irdischen Lebens zusammen waren, verwor-
fen, und dagegen um so mehr Gewicht auf die dmo-
üiüi und inovtaXixpiui des Christus spiritualis gelegt.
So .unbestimmt und unmotivirt hat niemand je über
die Auctorifät der Apostel abgesprochen, jsondern wo
ein solcher Widerspruch hervortritt, hat er immer auch
emen tiefem Grund, welcher sich auf irgend eine Weise
zu erkennen geben mnfs. Aber das ist es eben, was
^egen die Hypothese des Hrn. Verfs. am meisten gel-
ttod gemächt werden mufs, dafs sie durchaus ^ine rein
abstracto Vorstellung bleibt, welche nirgends eine con-
creto Gestalt zu gewinnen weifs, nirgends in den be-
kannten und nachweisbaren Zusammenbang der in der
Wirklichkeit stattfindenden Lebensverhältnisse auf
eine anschauliche and lebendige Weise eingreifit, was
doch allein einer Hypothese Wahrheit und Bedeutung^
und selbst bei dem Mangel einer bestimmtem bistori-
achen Begriindung ein höheres Interesse geben kann.
Wie viel darauf ankommt, hat der Hr. Verf* so wch
nig '«rwogeB, dafs er selbst den auffallenden Wider-
«pruch, ib welchen seine Hypothese gerade bei Mar-
oion sich mit sich selbst verwickelt, gar zu leicht ge-
nommen hat. Könnte auch der Gedanke, die Christi-
ner haben wie Marcion die Auctorität der Apostel ver-
worfen, und den Grundsatz aufgestellt,- nur dorcli be>
sondere Offenbarungen Christi könne man ein wahrer
Apostel Christi werden , und mit Christus in Verbin-
dung stehen , für sich betrachtet , etwas scheinbares
haben, so mufste' doch der so nahe liegende nichtige
Umstand, dafs derselbe Apostel, dessen Auctorität dem
Marcion als die ansschlicfsliche galt, von der Christus-
pärtei den grörsten Widerspruch, und die feindseligste
Herabsctsung seines Ansehens erfuhr, sogleich gerech-
tes Bedenken erregen, und auf eine Verschiedenheit
des ganzen Standpuncts zurückweisen,- welche das
Sehnliche über dem Unähnlichen beinahe völlig ve^
schwinden läfst. Was weifs nun aber der Hr. Verf.
cur Erklärung dieser so auffallenden Erscheinung tu
sagen! In eo autem, wird S. Yi\ nach den oben aa-,
geführten Worten^ gesagt, ab iis (Christinis) discedit
(Marcion), quod largitur illud ab iisnegatum: Paalum
alia via esse usum, extraordinaria revelatione esse in-
butum, qua pleniorem perceperit veritatis cognitiooenu
Quod JMarcion igitur non omnes apostolos rejedt, sed
Paulum unicum agnovit, ex eo coUigi non potest, aliam
esse ejus quam Christinornm rationem, eadem ratio
est, sed diversa ratiocinatio (welche?). Quam C|ain
solam vefanii Christi cognoscendi rationem Chrietisi
Paulo largiri noluerunt, eam Maroion Paulo largitur
(Ist diefs eine ratiocinatio?). Attamen non ita larg^
tnr, ac si Paulus ex doctrina quadam vera cognoTe-
rit, ex . iis quidem, quae in ecclesia tradebantor ab
omnibusque erant recepta; Christum Bpiritualem po-
tius, quam a Paulo cognitum esse dixit extraordiaari«
revelatione, divinitus semper manifestari voluit, atque
in semet ipso manifestatum .esse dixit revelatioae.
Warum nahmen denn aber nicht auch die mit M8^
cion sosehr stusammenstimmendeu Christiner dasselbe
in Ansehung des Apostels Paulus auf Ist das Gesagte
etwa/i aiiders als eine blofse Wiederholung der Tbat-
Sache, deren Widerspreohendes gerade erklärt werden
soll! Wie viel Unbefriedigendes bleibt demnach hier
imm«r snrück?
(Der Bescblttfs folgt.)
wissen
Jahrbücher
, f ü r
Schaft liehe
November 1839.
Kritik
De eccleiia Corimthia primaeva facHtmibui tuT"
birta. Disquiniio crütco - hütorica ad antiquis-
ihnum eccle^tae christ. statum illustrandum
pertinens. Scnpsit Daniel Schenkel.
(Schlaf!.)
Bei dieser Lage der Sache wird sich Ref. wohl
«rlaoben' dörfeo^ nun doch wieder auf seine eigene An-
sicht Ton der fraglichen Christnspartei xnrückzulcom-
meo, um zu sehen, welches Gewicht die Ton dem Hm.
Vf. gegen sie yorgebrachten Einwendungen habeU) ob
seine Untersuchung. Tielieicht ihre Stärlie um so mdir
in ihrem antithetischen Theile hat Je willkürlicher
nod haltungtloser jedoch die neue Hypothese erscheint,
desto leichter kann sich Ref* darüber beruhigen, dafs
seine Ansicht den geraden Gegensatz gegen si^.]^ildet.
Dens während dem Hrn. Vf. der Christus der Christus«
partei der spirituelle, in Visionen vom Himmel sich
kondgebende, ist, kann dagegen Ref. in demselben Chri-
stas nur den leiblichen, durch die Gemeinschaft des
vdischen Lebens mit seinim Jüdgem verbundenen, su-
chen« Uebergehen wir, was in der Reihe der Einwen-
duDgep des Hrn. Vfs, nur die Form der blofsen Be*
haaptung hat, oder gar zu sehr eine blofse Wiederho-
luDg des längst Gesagte|n ist, wie namentlich, dafs es
schlechterdings ebenso Tiele streng von einander un-
terschiedene selbstständige Parteien sein müssen, als
es Terschiedene Namen in der fraglichen Stelle sind
(worüber Ref. sich längst zur Genüge erklärt zu ha-
ben glaubt), so sind die tJauptmomente kurz folgende :
1. Ein Hauptgewicht legt Ref. auf die Stelle 1.
Cor. 9, 1. Die emphatische Entgegnung des Apostels
in den Worten: ov^i 'Iiiaoup X(fiaviv top xvqiov ^ia£v id^
faxai i*t ihm ein Beweis dafiir, dafs es sich zwischen
dem Apostel Paulus und den Gegnern seiner aposto-
lischen Auctorität (welche er doch unläugbar hier im
Auge hat, wenn er vi 2. fortfährt : h äXXoii ovh üfii
JsAr6. /. wu$€Htch. Kritik. J. 1839. II. Bd..
cindoToXog) um das iwQcixivat xbv Xfiaxov handelte. Was
wendet nun der Hr. Vf. eini Wie man auch das Ico^a-
9ti¥€u verstehe, sei es von der Erscheinung auf dem
Wege nach Damascus, sei es von der fnaraaig Act»
22, 17«, oder von den öirxaaiai und dnoKaXvifHg 2. Cor*
12, L, so habe doch Paulus Christus nicht auf dieselbe
Weise gesehen, wie die übrigen Apostel. Paulos habe
entweder beweisen müssen, dafs auch er in einer äu-
fsern Verbindung mit Jesu stand, oder dafs die äufsere
Verbindung, nichts wesentliches sei. Das Letztere habe
er nicht gethan, also habe er das Erstere thun müs-
sen, diefs habe er aber nicht thun können, da ja die
Worte : kmqa%iv€u ^Itjaovp Xqasxov xhv xvqiov ^fjudv, wie
Ref. selbst zugebe, sich nicht auf eine äufsere. Verbin-
dung mit Christus bezieben. Derisissent sane, neque
iojnria, adversarii illi apostolum nostrum. — Qua de
re, sagt nun der Hr. Vf. in seiner lateinischen Spra-
che, in welcher man es auch sonst mit dem Ausdruck
nicht zu genau nehmen darf, von der Meinung des
Ref., valde perplexa, ut ingenue fatear, mihi V. CL
sententia videtur esse et secum ipsa pcgnare u. s. w.
Unmöglich könne doch der Apostel sosehr pingui Mi-
nerva (ein Lieblingsausdruck des Um. Vfs.) verfahren
sein, dafs er aus einer innem Vision eine äufsere Ver-
bindung mit Christus, wie die' der übrigen Apostel war,
habe beweisen wollen. Allein, wer behauptet denn,
dafs diefs der Apostel beweisen wollte! Es ist nur ein
Mifsverstäudnirs auf Seiten des Hrn. Verfs., wenn er
meint, das sei der Hauptpunct, auf welchen, der An-
sicht des Ref. zufolge, die Argumentation des Apostels
losgehen müsse. Es ist gerade so, wie wenn jemand
behaupten wollte, weil der Apostel Paulus nicht ganz
in demselben Sinne Apostel ist, wie Petrus und die
andern, defswegen kann er gar nicht Apostel sein. Ei-
nem solchen mufste man sagen, dafs ungeachtet dieses
Unterschieds doch noch etwas Gemeinsames bleibt, was
hinreichend ist, um den Apostel Paulus zum Apostel
90
/•
715
Sekenlßely da eeelaim Cm^mikm prmaew» eie.
71«
SU machen. Ebenso mnfs nnn Ref. gegen den Em*
Vf. bemerken, dafs swar allerdings Paulus jenes imga-
uivai niobt in demselben Sinne von sich sagen kounte^
in Welchem« es yon den übrigen Aposteln galt, dafs
aber dessennngeachtet «ein itoqattsfat so gut ein eco^«-
iiivai war, als das der andern, sofern das Gemeinsame
des äufsem und innern iwqaxivai das Unmittelbare ist,
die unmittelbare Gegenwart des Gegenstandes des Ico-
Qäxerai^ und diefs ist es, was nach der Ansicht des Ref.
als das Hanptmoment der Argumentation des Apostels
angesehen werden mufs, dafs er, wenn auch anders,
doch nicht minder unmittelbar als die andern Apostel,
durch eine unmittelbare Anschauung des Herrn tou
ihm cum Apostelamt berufen worden sei. Hätte sich
der Hr. Verf., ehe er die Ansicht des Ref. als eine
ralde perplexa sentcntia bezeichnete, doch nur der
Stelle 1 Cor. 15, 5—9. erinnert, in welcher Paulus die
Erscheinung des auferstandenen Christus, welche er
hatte, Töllig in Eine Reihe mit den Erscheinungen
stellt, die die übrigen Apostel hatten, obgleich der Hr.
Verf. gewifs nicht läugnen wird, dafs zwischen diesen
und jener ein grofser Unterschied gewesen sei, in der
That derselbe, wie in Beziehung auf 9, 1. zwischen
dem ifagaxivai des Paulus und dem iw^axivai der an*
dem Apostel. Allein hier wie dort ist 6s dasselbe In*
teresse des Apostels Paulqs, wahrend seine Gegner
gegen ihn den Unterschied geltend machten, in diesem
Unterschied um so mehr auf das ihn ausgleichende und
aufhebeude Moment der Einheit zu dringen.
2. Eines logischen MifsgrilTs derselben Art be*
schuldigt der Herr Verfasser den Referenten in B»-
ziebung auf die Stelle 2 Cor. II, 5. 12, II. Eo, ruft
er aus, argumentatio, qua utitur V. Cl. ^Tniqhav dno^
orokoi Petrus fuere et Jacobus, ex epistola porro se-
quitur, inter roig {mtqkiav dnoaT6'Kovq pseodoapostolos-
qu^ i. e. Pauli adversarios arctissimam fuisse conjun-
ctionem \ ergo Pauli adversarii a partibus apostolomm
illorum stabant. Das sei doch, meint der Herr Ver*
fasser und kann es nicht vinständiich und emphatisch
genug sagen, ein logischer Cirkel. En nova, en in*
audita argumentandi ratio (wie wenn, wenn es auch
80 wäre, noch niemand einen Cirkel begangen hüttel)!
Der Herr Verfasser ist aber auch hier im Irrthum.
Wer die Abhandlung des Referenten a. a. O. S. 102
vergleicht, wird sogleich sehen, dafs Referent nicht
so sehliefst, wie der Herr Verfasser ihn schliefsen
Itfst» Was, me der Herr Verfasser meint, für
Richtigkeit der Argumentation "des Referenten zoror
sehen bewiesen sein sollte, sucht ja Referent wirklich
zu beweisen. Der Schlafs ist einfach dieser: da aui
1 Cor. 1, 13. zu sehen ist, dafs in jedem Fall sine
der corinthischen Parteien sich auf die Auctorit&t des
Apostdd Petrus stützte, und da Paulus Gal. 2, 9. von
Jacobnsi Petrus und Johannes einen dem Ausdmcke
vnigUav ändaröXov ganz entsprechenden Ausdruck go-
foraucbt, so ist kein Grund vorhanden, warum maa
unter den wnQXicnf djtdaxolo^ nicht die Apostel selbst,
deren Schüler und Emissäre jene ipeudanoßTokM 2a
sein vorgaben, und deren Auctorität sie auf eine so
ausschliefsende Weise gegen Paulus geltend machten,
verstehen soll. . Dafs die Interpreten sonst unter des
vneQXiaw dnoatcXoi die Pseudapostel verstehen, kann
gegen die Erklärung des Referenten nicht mit Recht
geltend gemacht werden, da der Zusammenbang der
Stelle insofern derselbe bleibt, sofern unter deb vm^
XUcv inoavoloi in jedem Fall die wahren Apostel nicbt
an sich, sondern nur nach der subjectiven Vorsteliong
zweier Pseudapostel, nach der fär Paulus so oaclh
tbeiligen Ueberschätzung ihrer Auetorität (was ebeil
durch vm^Xiav dndaroXo$ ausgedrückt ist) zu verstebeü
sind, und der Apostel demnach auch bei den wtifikt
ditSaroloi immer zugleich zwei Pseudapostel selbst vor
Augen hat. Uebrigens ist dieser Ponct für die Erklft-
rung des Referenten im Ganzen unwesentlich; eie
bl6ibt dieselbe, wie man auch den Ausdruck wufliop
dnoatoXoi nehmen mag. — Gleiche Bewandnifs hat e<
mit dem die Stelle 2 Cor. 11, 22. betreffenden Ein^
Wurf, in Beziehung auf weleheu Refer. nur auf seine
Abhandlung S. 103 verweisen kann.
3. In der Stelle 2 Cor. 5, 16. glaubt Referent in
dem Ausdruck XQunhf ttatä ßag^a j^tvciaxup einen Sei-
tenblick auf die Gegner annehmen zu müssen, die
sich als vorzugsweise xovs rov Xqiittov Svrag geltend
machten. Indem der Apostel vou einem /irdaxiiv Math
GaQxaX^Gtiv spricht, stellt er seine Gegner als solcbe
dar, die im Grunde ganz noch anfdem Standpnncte
des Judenthoms und des jadischen Messiasbegriffs ste-
hen, wenn sie ihm selbst den acht apostolischen Cba-
rakter deswegen absprachen, weil er nicht in dersel-
ben unmittelbaren äufsem Verbindung mit Jesu gevt-
sen sei, wie die von Jesu selbst während seines irdi-
schen Lebens zum Apostclamt berufenen Jünger. Anob
717 Sckmdfel^ de ecUgnm
dieM EvkliroBg greift der Herr VetfaiMr sa, iodem
er Miaqilet tmtA nd^ftuc Xjpcmr^r yinieutof sei solriel alfl
imtwoiQ J^, «ad omdn X^mthv navd aJifna pmiantt» so«
fiel als ppdu iavx^l^ Xjifl. „Kmtä oo^sa igttor /ofttmfHP
m%ndhm niiiii aliail est qaaai Christum nondum ut
easi habere oofahuai, oni vitam aaimainqtte totani tra«
das«" Hfitte aber der Apostel nur dielte sagen voU
ka, so hätte er ea ja sehon y. 15. gesagt. Warom
•prieht er denn v. 16* noch besonders von einer Ver»
Mkthtng des tUinu oder r^iimmv. durch die aapSf
Wanun gebraacht er gerade diesen Ansdrook, weU
eher aar Bemeiobnung eines solchen Verhältnisses an
seinen Gegnern^ wie der Herr Verfasser gewifs nicht
liiifgnen kann, üi jedem Fall sehr treffend gewühlt iet,
■ad mit der von dem Herrn Verfasser ganz unbeach-
tet gelassenen Stelle 2 Cor« 7, 10. anfe Beste zusam-
Bieastimmtf Refereat kann daher in der Erklärung dea
Herrn Verfassers mir eine Verflacbung des tiefen in
der genannten Stelle enthaltenen Gedankens sehen«
Dagegen macht freilich gerade der Herr Verfasser der
Erklärung des Refer. den Vorwurf: Ex frigide sane
sententia et quae roiniine ad omnes Coriothios qua«
diaty sed ad pauoissimos tantum eos qpi Jndaei erant
ofiundi« Allein spricht denn nicht der Apostel in dem
ganzen Abschnitt 2 Cor. 5, 11 f. zunächst von seiner
Person f Hat er es nicht, der Voraassetzuag zufolge,
mit jüdischen Gegnern an thon, wie sollte es daher
eine frigida sententia sein, wenn er etwas sie speciell
Betreffendes sagt? Zudem schliefst ja der von dem
i^ostel ge^braucbte Ausdruck neben dem speciellen
Sinn den allgemeinen nicht aus. Ganz verkehrt ist
aber unstreitig, um nur alles so viel möglich zu gene-
ralieiren, die speciellen Beziehungen zu übersehen, an
welcbeii die paulioischen Briefe so reich sied, die aber
freilich der Natur der Sache nach so oft nur geistrei-
ehe^ Ajüdentungeu sind, die nur aus dem Zusanunen«
hange des Gaoaen anf dem Wege einer mehr oder
minder wahrscbeiulichen Combination aofgefafst, nicht
aber iamier jedem in der Form logischer Syllogismen
andemonstrirt werden kdunen.
4. Der Gegner des Apostels in der corintbiscben
GeaMinde geborte der Ansicht des Referenten zufolge
in die Klasse derselben judaisirenden Lehrer, welche
dem Apostel auch im andern Gemeinden entgegentra*
ten, Dttt ist es natürlich, dafs sie nach der Verschie-
denheit der Verhältnisse in ihrer Opposition gegen den
CorhUkim fnimämm etfe« . 718
Apostel bald diefs bald jenes vomaateDtea. Aneh da^
gegen polemisirt der Herr Verfiisser auf eine aiemlich
kleinlichte ynd unerhebliche Weise; nur sofern dem
Refereaten anob hier wieder der Vorwurf emes Wi«
dersprncbs mit sich selbst gemacht wird, mag hier
darauf noch kurz Rücksicht genommen werden. Dar
Herr Verfasser argnmentirt sei Wenn die Gegner
des Apostels in der galatisohen Gemeinde, wie die in
Corinth, denselben Grundsatz gehabt hätten, dafa nur
die wahre Apostel seien, welche mit Jesu während sei*
' nes irdischen Lebens äofserlich verbunden waren,
amentis sane fiusset (von Seiten des Apostels Pau«
Ins) demonstrare, so nuUo modo ad eos apostolos per«
tinere, qui pro solis veris erant habiti. Mit bestem
Recht hätten seine Gegner so gegen ihn argnmentfaren
können: Wer nicht zu den Aposteln Christi gehört,
kann nicht wahrer Apostel sein; nun längnet Paulus,
dais er je zu den Aposteln Christi gehört, also kann
er auch nicht wahrer Apostel sein. Da nun aber Pau-
lus gegen seine galatischen Gegner beweise, dafs er
von den übrigen Aposteln gank unabhängig sei, mid
nichts von ihnen gelernt habe, so können auch diese
galatischen Gegner nicht in dieselbe Classe mit dea
corinthischen gehört haben. Si quidem, sagt def Hr«
Verf. S. 30 von den letztern, eos solos pro veris apo-
stolis habuerunt, qoi a Christo ipso delecti fdernnt et
instituti, quidnam apostolo faciendum erat, nisi ut de*
monstraret, sc ex iis veris nempe apostolis doctrinam
suam repetivisse, eadem so docuisse, sc ex iis solis
pendere^ eorum sola aiti auctoritate. Das hätten die
Gegner des Apostels in Corinth, wie Ref. sie voraus-
setze, nicht tadeln, nur loben können. Allerdiogs, al-
lein es würde damit auch vom Apostel Paolua nichts
anderes verlangt werden, als dals er das Princip sei-
ner apostolischen Auctorität selbst hätte aufgeben sol-
len. Es ist doch von selbst klar, dafs er dasselbe ge-
gen die galatischen Gegner auf dieselbe Weise recht-
fertigt, wie gegen die corinthischen, indem er gegen
beide behauptet, dafs er auf eine von den übrigen
Aposteln unabhängige, aber eben so unmittelbare
Weise, wie sie, Apostel geworden sei. Was soll denn
hier in der Ansicht des Ref. Widerspre^endes seiet
Referent mafs daher gestehen, dafs er sieh die Un-
klarheit, die in dem ganzen Raisonnement des Herrn
Verfiassers S. 30 — 32 herrscht, nur aus dem Bestre-
ben erklären kann, der Ansicht des Referenten mit Ge-
719
De Bostiy /UUoriteAe« ff^8t*erh»ok tkr JOduehen 8ckftfttt«tter.
wdt •iflfen Widerspnioh aii{siidringeD> welchen Aurse^
dem Hrn; Verf. voh) niemand in ihr finden wird. AI-
Itnn die eigene Hypothese desselben wird dadurch um
nichts wahrscheinlicher. Wm hilft es, solche Bin-
lelnheiten aufzugreifen, und über diefs und jenes mit
der hartnäckigsten Snbtilität zu streiten, wenn man
nicht zugleich in den ganzen Geist der ernsten und
grofsartigen Polemik, die sich durch die beiden Briefe
des Apostels hindurchzieht, einzudringen weirs? Ref«
hat sich aufs neue fiberzeugt, dafs diese Polemik nur
vom Standpnnct seiner Ansicht aus in ihrem ganzen
Zasammenhang aufgefafst werden kann, bei der Hj*
pbthese des Hrn. Verfs. weifs man in der That nicht
einmal, um was es sich denn eigentlich zwischen dem
Apostel und seinen Gegnern handelte.
Der Raum gestattet nicht, auch noch den Wider«
sprach des Hm. Verfs. gegen die Ansicht des Refer.
ttber den Ursprung der pseudociementinischen Homi-
lien und ihre historische Bedeutung zu beleuchten. Ref.
begnügt sich daher mit der einfachen Bemerkung, dafs
er in dem diesen Gegenstand betreffenden Abschnitt
S. 33 -7-74 nichts gefunden hat, was ihn bestimmen
könnte, von meiner wiederholt dargelegten und mit ih-
'ren Gründen entwickelten Ansicht in irgend einem
Puncto abzugehen.
D. Banr.^ in Tübmgen.
XLVII.
Historisches Wörterbuch der jüdischen Schrift-
steller und ihrer Werke von Q. B. De JRos-
siy aus dem Ital. übersetzt von Dr. C. H.
Hamberger* Leipzigs 1839. Bei L. Fort.
8. XVI und 336 S.
Der erhöhte Aufdciiwung, dessen sich in neuerer
Zeit die bibJisehe Kritik durch yergleichende Sprach-,
Länder- und Geschichtskunde erfreut, rief das Bedürf-
nifs hervor^ auch die Stimmen derer zu sammeln und
zu prüfen, die durch Herkommen, durch eine fast un-
unterbrochene Kette von Uebertieferungen und meist
durch ihren, semitischen Landesdialekt mit dem Leben
der hebräischen Sprache enger verbunden sind. Als
Wegweiser zu diesen Hülfsquellen findet der Gelehrte
73»
vom Fache mehrere gute NationBbehrilkatellei% deren
Reihe schon Rabbi Scherira Goon im lOteo Jakrh.
eröffnet. Aber die Darstelhmgsweise derselben in der
eigenthttmlioKen rabbinischen Sprache und der Hangel
wissenschaftlicher Anordnung haben wenig Einladendes
für Leser, die nicht früh an diese Sprache gewöhnt
sind. Nächst den jüdischen Liiterärhistorikern ond
zumeist aus ihnen haben wir vortreffliche Abhandlun-
gen von Joh. Morinus und Richard Simon; BotÜB-
ger, Buxtorf u. A. und zwei umfassende Werke, die
Bibliotheca rabbinica von Jul. Bartolocei nud die Bi*
bliotheca hebraea von J. G. Wolf. Das erstere ist
jet^t beinahe nubrauchbar; der sehr gelehrte Römer
bat von dem, was er geufufsi^ überladend viel ge-
schrieben, und von dem, was er nicht gemufst^ g^
nng, um den Leser in stetem Mifstraaen m erhaltcik
Alles in ihm enthaltene Gute aber hat der unvergleich-
liche Fleifs des deutschen Gelehrten Wolf dankbar
benutzt und nach sorgfilltiger Prüfung in seine BibLhebr.
aufgenommen, welche, trotz ihrer Mängel, ein hieben»
des Denkmal deutscher Gründlichkeit, Ausdauer und
Klarheit genannt werden mufs. Für den Handgebrauch
ist das Werk jedoch zu umfassend und die Ben«tznng
ermüdend, weil die vier starken Quartanten nicht als
ein aus dem ersten Plane hervorgegangenes Gamc^
sondern nur durch gegenseitige Ergänzungen zusam*
menhangen, wodurch man gezwungen ist, jeden Arti-
kel öfters zu vergleichen.
Nach Wolf trat ein Stillstand bis auf den berühm-
ten De Rossi ein, der erst 1802 bei der Abfassung
seines Dixionario storico dsgli auiori ebrei e delU
loro opere den Versuch machte, alle Ergebnisse fri-
herer Forschungen mit geschmackvoller Auswahl in
gedrängter Kürze zu vereinigen, ihre Mängel aber be-
hutsam zu vermeiden. Zur Ausführung diesw Absieht
war er nicht nur durch seine tiefe Gelehrsamkeit und
sein gesundes Urtheil berufen, sondern auch durch den
Besitz handschriftlicher Schätze (an 1400 Codices),
wie ihn keine fürstliche Bibliothek in diesem Fache
aufzuweisen hat, reichlich unterstützt. Das Buch eiw
schien in einem Jahre, das, wie noch viele der folgenden,
im Gedränge der gewaltigsten politischen BeweguBgeni
Leistungen didser Art, so grofs ihr Verdienst auch
sein mochte, keine günstige Aufnahme gewahren konnte.
(Die FortsetzuDg folgt)
wissen
J ahrbficher
f ü'r
Schaft liehe
Kritik
November 1839.
■SB
Hitt^riichet Wörterbuch der füdüchen Schrift-
iteUer und ihrer Werke Tim O. B. De JRosgi.
(FortsetzuDg.)
Der Verf. ■cbien dies gefürchtet zu haben, und
liefe deehalb wahrscheinlich so wenig Exemplare ab-
sieben, dafa das Buch, selbst in Italien, selten mehr
xa sehen ist *)• Demnach hat sich Hr. Dr. Hamber-
ger. durch sein Unternehmen einen gerechten Ansprach
auf Dank erworben, indem er ein so gediegenes Werk
eadlich aaC deutschen Boden xu verpflanzen sucht, wäh-
resd man lihigst gewohnt ist, nur die flachsten Mach-
verke des Auslandes mit einem Wetteifer übertragen
SU sehen, der einer besseren Sache würdig wäre.
De Roasi in deutschem Gewände wird gewifs bald
in vielen Händen sein ; auch wird er Vielen bei ihren
Studien als Orakel gelten, indem sie glauben werden,
die naverfttlschte Stimme des berühmten Verfs. zu ver-
aebmen. Leider aber hat Hr. H. das Verdienst eines
gewissenhaften Dolmetschers Terschmäht, dafür aber
Uoiändemngen gewagt, die nur aus einem Verein von
wissensohaftlichem Ernste mit tiefer Kenntnifs der rab«
binischen Litteratur als Verbesserungen hervorgehen
können. Indem aber Hr. H. durch diese Freiheit, die
er sich genommen, aus der Bahn eines blofsen lieber-
Setzers herausgetreten ist, müssen ihm eigentlich auch
die stillsohweigend fortgepflanzten Fehler seines Ori-
ginals zur Last gelegt werden.
Betrachten wir zuvörderst die Lichtseite seiner
Leistungen, so wollen wir mit Freude hervorheben,
dafs er überall, wo er die Treue gegen das Original
nicht verletzte, mit Gewandtheit und Kunstfertigkeit
fibertrug. Der Ausdruck bewegt sich im Ganzen flie-
Dsend und leicht, und der deutsche Leser wird selten
^) In lletrtsdilaDil wird es in mancher grofsen UnireraitSU-
stsdl rermlist ; in Berlin befindet es sich, unseres Wissens,
nur in den Händen eines PriTstgelehrten.
JMkrb. /. wiiunick. KriHk. J. 1839. II. Bd,
die Abhängigkeit eines Uebersetzers gewahr. Bei der
Schreibung der hebräischen Blichertitel mit deutschen
Buchstaben herrscht eine Genauigkeit und Konse-
quenz, die alles Lob verdient, besonders wenn man
ihre Verdrehung im Qriginal betrachtet. Aufserdem
finden wir in der Vorrede als Zugabe eine Skizze der
seit De Rossi gemachten Fortschritte in der jüdisch-
bebr. Litteratur; Notizen über Bartoloccis und Wolfs
Leben, und im Buche selbst hier und da eine Anmer-
kung bibliographischen und litterärischen Inhalts.
Zur Schattenseite des Buches übergehend, mösseo
wir unsere tadelnde Bemerkungen mit einer doppelten
Rüge eröfltien, deren erste den innern, die zweite den
äufsern Werth des Buches betrifil. De Rossi bat näm-
lich 1807 ein ähnliches Werk über die arabischen
Schriftsteller unter dem Titel: yjDixionario Horico.
degli autori arc^bi e delh loro opere^^ herausgegeben,
in welchem fast alle Arabisch schreibende Juden, wie*
Saadia Oaon^ Hai Oaofiy Jona den Oannach^ Sch
lomon ben Oabirol u. a« noch einmal beschrieben wer-
den. Der Zeitraum zwischen der Erscheinung beider
Werke hat bei De Rossi den Schatz seiner Erfahrun-
gen und handschriftlichen Quellen gar sehr bereichert
und dadurch den Verf. in den Stand gesetzt, Vieles
zu berichtigen und zu ergänzen, was in dem ersten
Werke der Berichtigung und Ergänzung bedürftig war.
Dafs einem Bearbeiter des Dizionario degli aut. ehr.
die Vergleichung des Diz. degli aut. arab. unerlärslich
ist, liegt am Tage; bei Hrn. H. indefs ist keine Spur
dieser Vergleichung sichtbar. Dieses Unrecht verliert
freilich von seiner GrSfse, wenn uns das noch gröfsere
entgegentritt, jiämlich, dafs er einer fleifsigen Verglei:
chuog Wolfs entsagt zu haben scheint. Wie viel der
innere Werth manches Artikels hierdurch gelitten hat,
werden wir im Laufe unserer Beurtheilung zu zeigen
Gelegenheit haben.
Die zweite Rüge betrifft den verderblichen Wahn,
91
^
i
1
723
De Ito»$ij AütoriseAes Wörterbuch der /i
ScArf/Uteller.
724
in welchem er mit einer ^^durekgre^nden FertoecJk*
selung der Namen^^ (vergl. S. 91. Dior.) einen gro-
fsen Theil seines Erfolges zerstört hat. Eine seltsame
Grtlle bewog ihn> vielen hebräischen Eigennamen eine
deutsche Uebersetzung und folglich eine andere alpha-
betische Stellung zu geben. Ein einziges Beispiel aber
mag genügen, um das Nacbtheilige dieses vnnderli-
ohen Verfahrens zu zeigen, ^m Rabbi Simcha^ der
keinen Fufs auf deutschen I^oden gesetzt hat, wird in
der alphabetischen Reihe unter F. (S. 107.) mit dem
Namen ^^Fretidman^* (Simcha Ben Gerson Koben) auf-
geführt. Welche Augen würde Hr. Dr. H. aber ma-
chen, wenn er in einer Litteraturgeschichte fände;
^yKicAererbees Briefe an Dummkopf**! *) „der Som-
mernachtetraum von Speer echwingef^^ ••); ^jütf-
ben der grojien franzotischen Tragiker Wurxel
und Kräh e^^\ *^*). Sollte, ernstlich gesprochen, die-
ses Verfahren auch bei den andern Völkern auf die-
sem und anderem Gebiete Platz greifen, wollten aus
dem dem besagten Rabbi Simcha die Franzosen etwa
Rabbi Oaillard und die Engländer etwa Rabbi
Merry machen, so würden wir begreiflicher Weise
mit allem Geschichtlichen bald in eine babylonische
Verwirrung gerathen. Als hätte aber Hr. H. an die-
ser lieber- und Versetzung der Namen nicht genug,
geht er sogar noch weiter und führt viele Schriftstel-
ler nur unter dem Namen des Ortes auf, an welchem
sie sich aufgehalten haben. Man vergl. nur die Arti-
kel Polniy Gneseny Pragy Premelau u. s. w. Hätte
er die betreffenden Männer ihrem herkömmlichen Na-
men nach wenigstens an ihrem Platze aufgeführt und
auf die neue Stelle- hingewiesen, so würde er den Le-
sern das mühselige Aufsuchen der einzelnen Artikel
erspart haben. Denn wer kann z. B. Ahron den üTo-
räer unter Nikomodeo finden f
Zur Probe, wie er das Original behandelt hat,
wählen wir zuerst eine Stelle, die zu den besseren ge-
hört. S. 165 bei David Kimchi heifst es: „Unter
den wenigen uns bekannten Schicksalen seines Lebens
finden wir, dafs er mit Eifer die Partei Maimunie (nach
der neuen Onomatologie des Hrn. H. statt Maimoni'
des) in dessen Streite, mit den Verfolgern seines Bu-
*) Cicerottis Epist. ad Brutum.
**) Shakeip€are.
♦♦*) Bacine und CorneUU.
ehest Jtlere Nebuehim ergriff und Über dieses Bueh
gelehrte Disputationen mit Alfaear hatte, ferner, dafs
er 1232 in einem hinfälligen Alter zum Schiedsrichter
io den ' über. Maimunis Orthodoxie (im Origbal steht
hiervon nichts) zwischen den spaniselien und fransB«-
schen Synagogen entstandenen Zwistigkeiten erwählt
wurde, woraus hervorgeht, dafs er in diesem Jahre
noch gelebt hat Die Worte „in dessen Streit" lassen
glauben, es hätte Maimonides selbst den Streit geführt.
Im Original heifst es aber nur: „egli prese na vivo
impegno a favor del Maimonide contra gli impugsiUori
del suo More.*' Der Streit ist übrigens erst ein Vier^
teljahrh. nach des Maimonides Tod gefuhrt worden.
In demselben Artikel S. 167. 8) heifst es i y^Blieh'
My eine in der That sehr ausführliche und vollstän-
dige hebräische Grammatik. Sie wird vorzugsweise
unter diesem Titel verstanden, den unser Autor auch
seinem Lexikon gegeben hat und hat zwei Theäs^
Dergleichen Unrichtigkeit wird Keiner, der sich irgend
mit der Gesch. der helHr. Gramm., beschäftigt hat, Tor*
bringen, geschweige dafs wir sie dem gelehrten De
Rossi zutraueu sollten. Vernehmen wir diesen, so sagt
er: „Michlol, perfezioncy gramatica ebraica assai dif*
fusa e veramente perfetta. Cosi s'intende ora speciai-
mente sotto quel titolo estesa dalPautore ancb'al les-
B\CQ facendone due parti.** Kimchi nämlich begreift
unter Michlol Grammatik und Lexikon $ nennt aber
zur Unterscheidung die Grammatik den ersten Theil
(auch p^lpin p^n) und das Lexikon den zweiten
Theil (auch y^2VT\ p^Pl) des Michlol; folglich bat
Michlol zwei Theile, nicht aber die Grammatik. Auch
hätte, da perfezione nicht übersetzt ist, Hr. H. eben-
falls veramente pcrfetta unübersetzt lassen sollen. Einen
weit grörseren Fehler begeht der Uebersetzer bei Jos.
Kimchi S. 169. 5). Hier heifst es; „Ein Kommen-
tar zu dem Prediger, Ruth und Esra, handschrifUich
im Escorial, mit InbegriiF der Sprichworter. Wolf
nennt Tbl. III. S. 424, noch eineny hinter einem band-
schriftlichen Katalog dieser Bibliothek u. s. w.** Was
das ^inoch einen^^ heifsen soll, hat sich Hr. H. woU
nicht gefragt; viele seiner Leser werden es auch nicht
wissen, nur mögen sie es nicht dem De Rossi zuschrei-
ben, der kein dergleichen Wort hat. Aber dafs die
Herren im Esoorial einen so seltenen, odw gar einzi-
gen Kodex hiihter den Katalog ihrer BiUiotbek bin*
den sollten, mufs Jedem etwas zu spanisch vorkonameo 1
/ f
7^ ß^
»kl ra (ieA gansen DogUlck dieser Debefsefzaog; Ut
mifflYersf aodeb» W6rlcben dietr^ Schald. 4in Ori-
giaat uftmlich heifst es: ,,5* Comento sepra t^EccIe-
siaste, Rat ed Esra, ms. neu* Escuriale unitjimente ai
proverbi. Lo porta il Wolfio T. 111. p. 424. dietro
a an catalogo ms. di qnelia biblioteca.'* Dietro be-
deutet hier, wie öfter, nict hinter^ post,' sondern nach
als gemä/iy ^ecunduMy telon^ and De Rossi will nur
0ageti, dafs «r diese Angabe Wolf verdankt, der sie
naeA einem baadscbriftl. Katalog der Bibliothek im
EsiBorial in seine Bibl. hebr. aufgenommen hat. Ein
Blick auf des letzteren Worte selbst würde dem Uebers.
keioea' Zweifel Ober den Sinn De Rossis übrig gelas-
sen haben. Wolf sagt nämlich I. c. ,,Commentarios
Aostri Mss. in Ecclesiasten, Ruth, Proverbia et Esram
fn bibliotheca Scorialensi exstttisse didiei ex eata^
iogo Mm. iUiu$ bibttotheeae^ t/uem manu exaratum
Aaieo.**
Whr begnügen nns, nur noch eine Stelle anzufüh-
MD, die wenig TOn der Sorgfalt, sowie von der Sprach-
und Sachkenntnifs des Hm. Uebers. zeugt. • Wir mei-
oen in dem durchaus verunglückten Artikel Dior S.
91 die Worte, welche ein falsches Licht auf das Le-
ben und den Tod dessen werfen, der, als der Patriarch
der jüdischen Litteratnrgeschichte, von einem Bearbei-
ter derselben doch wohl mehr Beachtung verdient hätte.
De Rosai) der sidi gern wörtlich an nnsem Wolf
acbüefst, sagt von jlbraham ben Dior: „finalemente
fe ucoiso in patria. per motivo di religione." (Wolf:
^^Toleti illam denique religionis causa interfectum esse
etc. * ^O Hr. H. giebt ganz Verkehrtes, indem er die
ai^r deutlieben Worte übersetzt: ^^Endlich ver-
liefe. er Mein Vaterland^ um seine Retigion
mu V er ander m^* Er hat onglücklicher Weise ucciso
Ar ttsbito genommen, bei per motivo nur an muovere'
gedacht, in patria übersetzt, als wenn es „e patria"
hiefae^ und so aus dem Märtyrer einen Apostaten
gemacht.
Das sehr kleine DruckfeMerverzeichnifs könnte
noeh un Vieles vermehrt werden; doch wir wollen nur
einige der störeadst^n aafiihren. S. 169. 2) wird ge-
sag^y der Kommentar zum Jcremias läge handschrift-
lich 9,m der BibHoi/iek von KftrlacAer\^ es mufs
beifaen „in der Dorlacher Bibliothek'* (nella biblioteca
di Dorlach). Ebendaselbst 6) ist Adonai statt Adonia
xa lesen. S. 262 wird von der Grammatik Petach De*
\i hietorhtikee PFUrierliueh der jüdiMohe» SeArißstellH^.
72«
bari gesagt, dafs sie von elnigea Bibliographen dem
M. Kimchi zugeachrieben wird. Hierzu findet sich fot
gende Nöte: „So bei Jnsifon und Juchasin. Den Ja-
den wurde er zuerst bekannt durch David Provenzale.^
Rabbi nennt ihn zuerst Juda Muscato. f!** S. 110
bei Oanach ist schön in der Ueberaohrifl; gefehlt;
Hr. H. selbst schreibt an anderen Steilen den Namea
richtiger OannacA^ obgibich er nach der Analogie sei-
ner Schreibung der hebräischen dagessirten Bnchsta-
ben den mit Teschdid versehenen arabischen nicht für
einen doppelten nehmen dürfte. Als Druckfehler wol*
len wir das Wort Mervan in der ersten Zeile dieses
Artikels betrachten. De Rossi sagt Merino und will
damit nur andeuten, dafs ihn die Juden sowohl Rabbi
Merinue^ wie Rabbi Jona ben Gannaeh nennen.
Mervan Abul Walid, sagt De Rossi weiter unten rich-
tig, ist sein Name bei den Arabern. Eben daselbst ist
in Kitab Aa-Ztama das ha unrichtig, da der arabi-
sche Name ja einen arabischen und nicht hebrftischea
Artikel hat. Auf der vorletzten Zeile in Ikkare Mu
lot widerspricht sich die Schreibart; entweder mufs im
zweiten Worte das dagessirte S als ein Doppelbuchr
Stabe genommen werden, wie dies im ersten Worte bei
dem p geschehen ist, oder es haften mit mehr Kon-
sequenz beide Buchstaben einfach genommen werden
sollen. S. 230 schreibt übrigens Hi*. H. wieder Millot
und ebenso S. 145 Megillot für das hebräische Hl^SO.
S. 73 bei CAajug 4) ist einmal RikcAa statt Rikma zu
lesen. S. 79 Z. 3 v. u. ist CAaedai st. CAariei zu lesen.
Von der Uebersetzung wenden wir uns zum Ori-
ginale, dessen grofse Vorzüge im Ganzen anerkannt
sind, dessen einzelne Schwächen aber noch eine Ver-
besserung erwarten.
Der aufserordentliche Dichter Salomon ben Cro-
biroly dessen Leben von der Dunkelheit, dessen Tod
von der Sage umgeben ist, wird S. 108 unter Gabiroi
als im Uten Jahrb. blühend ausführlich besprochen.
S. 284 dagegen wird er unter .dem Namen Salomo
als ein ganz anderer im 12ten Jahrb. lebend aufge-
führt. Der Uebersetzer, — bei dem wir hier Marino
als Druckfehler sX^Xi Morinus^ „bringt" als undeutsoh
und „Anweisung des hebräischen Stjls'' als unge-
schickt rügen müssen, — zeigt in seiner bibliographi>> i
sehen Anmerkung, dafs er ihn als den wahren Salo-
mon ben Gabirol erkennt und läfst ihn dennoch als
Doppelgänger auftreten.
727
De
histarueheM ff^UriueA der judieeken Sehriftet^Ur.
Bei Jos. Kimchi S. 169 heifst es , dafs • berfibtnfe
Mämier) wie Michaelis, Bruns und Aodere gewünscht
hätteo, dafs die Handschriften des J. Kimchi ,,yeni8-
sero ricercati con diligenza, e dissof terati e pubblicati.''
(Br. H. ungenau: ^^sie h&ufiger benutzt und der Oef-
fentlioblceit übergeben 2u sehen." Besser: ^^dafs sie
sorgfältig aufgesucht, beryorgezogen und Teröffentliobt
vürden.'O Und nun zählt De Rossi die einzelnen Kom-
mentare auf und bemerkt bei N. 4.), dafs Bruns den
Kommentar xum Boheti Liede im 12. Th. deM orieu"
taiücAen Repertariume *) lobte^ und wUnMcAte^ dafs
er gedruckt werde. Hören wir aber, wie Bruns da-
selbst S. 283 diesen Kommentar lobt und wie er des*
sen Veröffentlichung wünscht. „Ich habe, sagt er, un-
ter den vielen rabbinischen Manuskripten auf der
Bodiejanischen Bibliothek zu Oxford nur einen Kom-
mentar vdn R. Jos. Kimchi vorfinden können; und
zwar ist dieser über das Hohe Lied Salomonis. Es
ist der Codex Marschalli 73. Ich bin aber gewifs,
4af8, wenn dieser Kommentar ganz oder auszugsweise
herausgegeben würde, er der Erwartung der Oelehr*
ten keineewegee entsprechen würde u. e. w. Der
Verf. allegorisirt von Anfang bis zu Ende u. s. w."
Indefs möge man von J. Kimchi besser denken und
diesen Kommentar seinem Gescbmacke und seiner Kri-
tik nicht aufbürden. In einer von dem Rec. bald zu
vertfffejitJicbcnden Schrift über Jbul fValid^ die drei
Kimchi und andere ältere Grammatiker *"*") hofft er bis
zu einem hohen Grade von Wahrscheinlichkeit zu be-
weisen,' dafs der tüchtige Narbonnenser J. K. nicht der
Urheber eines solchen Kommentars sei. S. 235 lesen
wir: „Mose, ein Grammatiker.. .. Verf. des Horo'
jot ha-Korcy eines alten, von Jehuda ben Bileam ..••
angerührten Buches." Drei Zeilen tiefer heifst es:
9,Nur das erkennt man, dafs er später als Aben Esra
^) De Rbssi meint das Repertorium für bibl. und morgenllin-
dische Litteratur t. Eichhorn, und sein Uebers. behält die
imgenaue Benennung bei.
**) Auch in dem Anhange zu der von demselben in Gemein-
schaft mit Hrn. J. II. K. Biesenthal besorgten kritischen Aus-
gabe des Lexikons ron Dar.. Kimehi wird in der Kürze
darüber gesproehen werden.
• •
728
• gelebt bat** Also T<m Jehuda ben Bileam, der
lange vor Aben Esra lebte, ward unser Mose ange-
führt und soll dennoch später, als Aben Elsra gelebt-
haben !
S. 258, 6) soll Penini Jedc^a ein Mibehar h-
Peninim in arabischer Sprache geschrieben und Je-
kutla Ibn Tibbon es ins Hebräische fibersetzt haben.
Allein J. Ibn Tibbon bat 150 Jahre Yor Penini ge-
blüht, und dieser hat schwerlich arabisch geschrieben.
Indefs begeht selbst Munk in seiner „Notice sur Rabbi
Saadia Gaou** Paris 1838. S. 19. diesen Anachrmüi-
UIUS.
Die von De Rossi S. 73, 5) ausgesprocbene Mei-
nung, dars Jehtsda Chiug auch ein Wörterbuch der
hebr. Sprache geschrieben hab^ ist xwar auf die Aao>
torität des Parchon gestützt \ dennoch bedarf sie ei*
ner genauen Prüfung« Aben Esra säblt die hioteilas-
senen grammatischen Werke J. Chiugs genau auf,
thut aber keines Lexikons Erwähnung; eben so wenig
Dav. Kimchij der die Werke «A CA,% sehr oft Domt
und benotzt \ ja selbst aus ParcAone Vorrede (die vir
nach dem Wiener Codex von - der Hand unseres Freun-
des, Hrn. Dukes, vor uns haben) scheinen Zweifel über
die Existenz desselben hervorzugehen. Wir stdlen
hierüber zwei Vermuthungen auf; entweder haben Ab-
schreiber \0^in p min> (was öfter für Tö^p's'^
vorkommt) mit JVn Tn\Tf^ verwechselt, oder es ist
unter Wörterbuch das alphabetische Wörterveneicb-
nifs zu verstehen, welches in den Grammatiken dd
Alten sowohl beim Verbum als beim Nomen and be-
sonders bei den unregelmäfsigen gewöhnlich ist.
Kifncki hat deren mehrere im Miohlol und citirt
seiner Berufung darauf, als wäre es aus einem Le
kon, indem er sagt: „whr haben schon in der Gra
matik davon gesprochen in seiner fFur%i
(Wntoa). So citirt er auch sehr oft die Worte
nes Vaters, der ebenfalls kein Wörterbuch gesebii
ben bat. Vielleicht könnte durch Vergleichang
bei de Rossi angeführten Stelle in andern Handschrii
ten Parchons etwas unsere Vermuthnng Bestätigenl
oder Widerlegendes gewonnen werden.
(Der Beschlufs folgt.)
J a h T b ü c h er
für
w i s s e n schaftliche Kr i t i k.
November 1839.
Historisches Wörterbuch der judischen Schrift-^
steller und ihrer Werke von O. B. De Rossi.
^ (ScMofii.)
Von J. ChiDg möge un« noch der Ueberganrg %n
seiiiem unnittelbaren Nachfolger in Verbreitung kriti-
scher Sj^rachstudien. gestattet sein. Wir meinen Jona
ben Gannaeh oder Abul fValidy bei dem vir einen
Attgenblick verveilen wollen. Dieses schöne Gestirn
am linguisfiscben Himmel durchsfrdmte mit irohlthäti«
gem. Lichte alle sprach wissenschaftlichen Bestrebungen
des Uten, 12ten und 13ten Jahrhunderts, und wurde
unsichtbar, seitdem seine Trabanten Aben Esra und
Kimchi sich vor dasselbe stellten. Erst Ed^Poeocke
tnnfste ihn wieder entdecken nnd Gesenius der Vereh-i
mog unserer Zeit empfehlen. Uns möge hier nur so-
Tiel fibeV den aufserordentlichen Mann zu sagen ge-
stattet sein, als zur Berichtigung De Rossis nöthig
ist. Unter dem Art. Giona ben Gannaeh wird gesagt,
dafs er im J. 1121 lebte. Diese. Zeitangabe hat sich
4nrdi eine mifsverstandene chronologische Stelle des
Schalseheleth Hakkabala in Wolfs Bibi. hehr, einge-
scblichen und bis auf die Ute Aufl. dei^ Gesenischen
Gramm. (1834) fortgeführt. Schon vor mehreren Jah-
ren hat der von einer bewundernswürdigen Kritik ge?
^äiXeXe^^Rapoport bis zur Unwiderleglicbkeit bewiesen,,
dafs Abni Walid wenigstens um 1050 schon als
Schriftsteller bekannt war. Er benutzte zu seiner Be-
ipreisfiihmng den in der kaiserlichen Bibliothek zu Wien
sich befindenden Kodex des Parcbon'schen Lexikons,
in dessefr Vorrede unwillkürlich das wichtige Faktum,
erzählt wird, dafs Abul Walid eine litterarisohe Fehde
mit Samuel Hannagid bestand, dessen Tod von jalien
HiBtorikern einstimmig in das Jahr 1055 gesetzt wird.
Iljlerkwüritig genug fuhrt De Rossi dieselbe Stelle ans
seinem Kodex des Parchon Muter Giona ben Gannaeh
anwohne zu ahnen, dafs ihr zufolge von der Jahrzahl
Jahrb. f. unuenKk. Kritik. /. 183i). H. Bd.
1121 über ein halbes Jahrhundert abgezogen werden
müsse. Sicherlich aber läfst sich aus Parchon noch
ein höheres Alter fiir Abul Walid gewinnen. Es
heifst nämlich an der angeführten Stelle, dafs jene
litterarische Fehde den Dichter Salomon ben Gabirol
zu seinem grammatischen Versuche in 400 Versen ver-
talafst habe. Sah ben Gabirol aber schrieb sein phi^
losophisches Werkchen, *} wie De Rossi in seinem
Diz. degli aut. arabi durch einen dritten Kodex bestä-
tigt, im Jahre 1045$ seinen grammatischen. Versuch,
der jenem Werkchen ohne Zweifel vorausging, schrieb
er, wie er in depi Versuche selbst sagt, in ein'em Al-
ter, von 19 Jahren. Nehmen wir selbst an, das erstere
sei in seinem 18tea Lebensjahre geschrieben, so müfste
er 1027 geboren sein und dann fiele die Abfassungs-
zeit des grammatischen Gedichtes auf 1046. Daraus
geht nothwendig hervor, dafs die Streitschriften Abul
Walids vor 1046 entstanden sein müssen. Die Folgen
der Annahme eines höheren Zeitalters seiner gelehrten
Thätigkeit sind für die Geschichte der faebräisched
Litteratur überhaupt, für genauere Würdigung seiner
Verdienste insbesondere, so wie für die von ihui an-
geführten Autoren von unbestreitbarer Wichtigkeit. —
Ein anderer seit Pococke fortgepflanzter Fehler ist
die ' Aussprache und Uebersetzung des Namens der
Grammatik n^\ \^^ V^^*^ - ^^ Rossi liest mit sei-
neu Vorgängern ;t»Jüf =9 und übersetzt demgemäfs
libro dello splendore (libcr splendoris); allein diesem
widerspricht schon die Uebersetzung des Wortes in
das Hebräische HSp") opus phrjgionicnm, durch Je^*
huda Ihn Tibbon, der die wörtliche Treue im Ueber-
setzen sich zum strengsten Gesetz gemacht hat. Es
*) In der UeberBetzung des J. ben Tibbon ni*lD pPH
\I)D3n genannt
92
731
De JUttii Aüt0rüeAM ff^rttr&mk der jÜieeAem SeArifteteiler.
mufs Tielmehr ftjüf ^3 gelesed und etwa Mwr po-
riegaiionif fibersetzt werden. So liest Pärchen an der
mehr erwähnten Stelle VOS« und' so will Abul Wa-
lid selbst das Wort erklftrt wiBsen^ indeia er seine
Grammatik mit ihren mannichfachen Kapiteln jenen
bnntblumigen Anen yergleioht, die im Arabischen ft^J
gepanni werden« (Siehe Mupk a. a. 0. S. 12«)
Die Pariser Handschrift der Grammatik ist nicht|
wie man aua De Rossi glauben könnte, in der Origi-
nalspracbe^ Bondern in hebräischer IJebersetzung. , Job.
Morinus sagt, sie sei die Uebersetsung eines Judaeus
quidam. Indessen braucht man nur Ton und Aus-
drucke der Vorrede mit der Vorrede des Jeduha Ihn
•
Tibbon su seiner Uebersetzung des Buches TOyc\
Jn\3SnT\ zu yergleichen, um diesen fleifsigeu üeber*
«etzer sogleich darin wieder zu erkennen.
Bei der Angabe der Schriften Abnl Walids nach
Zahl und Namen ist De Rossi weniger genau, als bei
den unbedeutendsten Schriftstellern. Wolf ist genauer,
aber auch bei ihm sind sie nicht sämmtiich angegeben,
Und die angegebenen nicht nach der muthmafsUcben
Zeit ihrer Abfassung geordnet. Auch sind dort nur
die Titel der hebräischen Uebersetzungen aufgeführt.
Wir fürchfen daher nicht, dafe man es für überflüssig
halten wird, wenn wir in diesem ' Punkte berichtigen
imd ergänzen» Das Iste bekannte Werk ist \^JCKi
nau liier iupplementi sive spieilegif). Es enthält
kritische Bemerkungen und Nachträge zu Jeduha Chiugs
grammatischen Monographien über die Verba quiescen«
tia und geminantia. Es ist handschriftlich zu Oicford
Cod. Pocockel34. Nie. IL cod. XII. Der Name der he-
bräischen, nicht mehr Torbandenen Uebersetzung ist
Das 2te Werk heifst^^yjjcjf ^\j£=> liber pu.
de/hetüfUMy besser wohl conßitationü^ ^^Bueh der
Beeckämmt^g oder eigentlich Zurec/itweuung\'' hehr.
nohsnn "IBO » Original und Uebersetzung sind nicht
ttiehr vorhanden. Es enthielt eine Antikritik gegen
den der afrikanischen Schule J. Cbiug's ergebenen ^a-
mtiel Hannagidy welcher, seinen Lehrer Chiug in
Schutz nehmend, gegen das vJtacxUXAA^ und seinen
Urheber, den Repräsentanten der spanischen Schule,
738
auftrat. Wahrscbeinlieh war die Haltung des gelebr-
ten und reichen Emir etwas Tomebm biUer (wir k^a.
neu dies aus Parohons Worten vielleicht entnehmen),
wodurch Abul WaUd zu einer energischen Enfgqpiiuig
veranlafst wurde«
20[^f LKVV cj^f T}^* Epistobi monitionis, quanl
scripsit Abul Walid MervAn ben Gannach, ad quos-
dam fratres sucsj hebr. mynn*0 handschriftl. za
Oxford Nie. II. Cod. XIII, 2. Es ist ganz kurz mid
gehört noch zur Polemik gegen die afrikanische Schole.
4) ^J^M^df v.^Ax^ Über conciliationis , hand-
schriftlich in Oxford Nie XIII, 3.$ hebräisch "1B0
T(A"\^7{Ti hat abermals die Widerlegung der Ein würfe g»
gen sein OtarüLJCMMO ram Zweck, und ist, wie man sobm
aus dem Titel schliefsen darf, in versahnlicberemTonaii
•'•*- geschrieben.
jA^Mjdfj L^Ä^J^f &JL.J Epistola appropia.
ijuatiouis et complanutionis (infroductionis?) hebräisdi
"^IW^ni SITpn'O« Eis ist gewissermafsen eine gram-
matische Vorschule, in welcher schwierige Stellen, des
J. Chiug den Lernenden zugänglich gemacht werden.
Der Mi. war bei Abfassung dieser Schrift nicht mehr
in Cordova. Es bildet den Uebergang zu
6) ^fi^ oVX^a liber variegationtM und
7j Jlyo^f i^lvf— > liier radicumy seinea Icti-
ten und grtffsten Werken im Fache der Grammatik)
deren nähere Beschreibung jedoch wir ebem aadern
Räume ersparen müssen.
Dafs Abul Wälld auch als medjcinischer Schrift-
steiler auftrat,. erzühlt Jxn^Jbn Oeaiia in seinem, noch
nngedruokten, Werke de Vitis medicomm, wo (fei. 194
im Oxforder Exemplar, im Pariser fol. 92.) das Werl
de medicamentia simplicibtts und sein Verf. (dort JT^yv
van ten GanttaeA) sehr gelobt werden. Wir ghNh
ben dieses Bach auch in J6n Beitmr benutzt zu ae^
hen. Es ist nicht mehr vorhanden. Der bei Css«
P. I. Cod. DCCCLV, 4. mit den Worten anfgefnlirte
TractatUM de eimplieibue medieameHtia auetore ith
eerte ist vielleicht identisch mit dem unsrigen.
Munk theilt a. a. O. S. 13 eine merkwttrdige
Glosse aus einem im 13ten Jahrb. gesdiriebenen Codex
des More Nebuchim mit, woraus hervoriugeben seheint
dafs Abnl Walid auch gegen das System derer» w*
TSrmmiT^ BiMhtkifu^ mmMemike etc.
734
die die BwigkeU der Materie (oh^VTt HIO^p) behanp.
teoy gesohrieben habe, Maimonide«, der, Torgeblieh^
aelbat in dieser OloMe spricht, meint aber wohl kein
bes. Werk, sondern die in Ab. Wal. Sobriften xer-
streuten Gedanken über diesen Punkt, "irie z. B. dent-
iidi in der Wnnel DUO. Dafs Mainronides das Lexi-
ken des Ab. Wal. yerglichen, ist bekannt. 'So nennt
auch Jedaja Happenini in seinem HlhstSm SHS
Ab. Wal. einen Logiker nnd Naturphilosophen, weil
er Tiele philosophische Gedanken in seinem nODl
niedergelegt habe. Hfttt^ Ab. Wal. ein eigenes philo-
sophisches Werk geschrieben^ so wfirde es Jed. Happ.
gekannt und genannt haben.
Bei dieser Gelegenheit machen wir auf noch einen
Fehler De Rossis aufmerksam, welcher behauptet, Ab.
WaL werde yon H. Salomon ben Aderet h in seinen
Reohtsgntaohtcn genannt ; allein es ist der eben genannte
Jed. Uapp,y welcher ihn in seinem, in die Sammlung
jener Recbtsgutachten aufgenommenen, Sendschreiben
anfährt, nicht aber R. Saiomon selbst, welcher über-
haupt auf Philosophen und Grammatiker keine grofsen
Stücke hielt.
Wir wünschen, dafs der Hr. Uebersetzcr , bald eine
zweite Auflage zu veranstalten im Stande sein und dars
es ihm gelingen möge, in dieser seine Ansprüche auf
den Beifall und den Dank des gelehrten Publikums
sa Tormehren, und die Worte ]>e Saoy*s zu rechtfer-
tigen, der das Original nennt: „un ouvrage dont il
snffit de nommer l'auteur pour en garantir l'exacti-
tnde."
F. S. Lebrecht.
XLvin.
BibUotkefue americame Qu catahgu^ des üutra^
g9t relatifs d PAmeriquej qui ont paru depuii
$a deamverie jutqu'd fmn 1700 par H. Ter-
naux. PariSj 1837. 8.
VoyageSj relattom et memoires originaus pour
gervür a Fhistaire dela decouverte de TAme^
riquey publies pour la pr emier e fois enfran-
gaisy par H. Ternaux. Paris, 1837. u. 1838.
IIS 8. bisjetzt 11 Bände.
Diese zwölf Bände machen em fortlaufendes Werk
suia, und hängen nur durch ihren allgemeinen Inhalt
mid deo zweiten der Torstehenden beiden Titel snsam»
men, welcher jedepi Bande Torgedruckt ist. Was der
Herausgeber über Plan und Zweck desselben zu sa-
gen fiir gut gefunden hat, enthält die kurze Vorrede
ztt dem bibliographischen Band« >
Hr. Temaux bemerkt, dafs die Neugierde des Pu-
biicums, welche sich in unsem Tagen allen, über
Amerika erscheinenden, Schriften zugewendet, in der
Zeit der Entdeckung nnd Eroberung weit gröfser ge*
wesen sei. Im l&ten und löten Jahrhundert wäre eine
grofse Reihe wichtigier Werke erschienen, die sieh
durch ihre Genauigkeit auszeichneten, und deren Wertk
die nensten und zuverläfsigsten Berichte immer mehr
nnd mehr bestätigten. Die meisten davon seien ver-
gessen; auch wären sie gröfstentheils in andern Spra-
chen (als der französischen), ersohienen, oder in so
aachläfsig gearbeiteten französischen tlebersetzungen
gedruckt, dafs man das Original oft kaum mehr zn
erkennen vermöge. Ueberdiefs erschwere ihre grofse
Seltenheit die AnschaiTung derselben. Seine Absicht
sei daher, von dieser altem Literatur Alles, was ihm
der Kenntnifs unserer Zeit wurilig schiene, nach und
nach in Uebersetzungen bekannt zu machen. Er glaube
die Reihe dieser Publicationen mit einen ^Verzeichnifs
aller, in seinen Kreis einschlagenden, Werke begin-
nen zu müssen, dasselbe Jedoch nur bis auf das Jahr
1700 fortführen zu dürfen, da die spätere Literatur in
einem ganz verschiedenen Geiste geschrieben sei. Schon
seit Jahren habe er daran gesammelt und iit% Bücher
genauer beschrieben, als die Bibliographen vor ihm«
Inders wären doch manche dieser Werke allen seinen
Nachforschungen entgangen, daßir aber Barbesa, An-
tonio, Leon-Pinelo und Bärcia nur uiA so fleifsiger
von ihm -benutzt worden.
Bs ist nicht zu verhehlen, dafs diese Erklärung
nicht befriedigen kann. Mit Recht erwartet man an
der Spitze einer solohen Saunnluag einen würdigen-
den Ueberblick der vorzüglichsten Werke, die sie bil-
den sollen, und eine Entwicklung der Gmndsätze, die
in ihrer Auswahl bestimmend sind. Diese Einleitung
mufs gleichsam die Beglaubigung enthalten, dafs der.
Verf. seiner Aufgabe gewachsen ist.
Der Unterzeichnete hat sich selber mehrere Jahre
mit dem Gedanken an die Herausgabe einer spanisch-
amerikanischen Bibliothek getragen, welche die wich«
tigsten Quellenschriften für die Entdeckungen und £r-
^
735
oberangen der Spatiier in dem neuea Cootiuönt in
deutschen UeberseUungen umfassen sollte ^ und darf
sich daher erlauben, seine Ansichten in dieser Bezie-
kuag mitzutheilen.
Wenn es auch nicht möglich ist, den historischen
Standpunlit ganz von dem geographisch -ethnographi-
schen zu trennen, so mufs dotoh der erste vorwaltend
bleiben. Es kommt darauf ao, dafs'der Zustand der
Länder des neuen Continents zur Zeit der Entdeckung
und die' Geschichte ihres Uebergangs in das europäi-
sche Colonial- System in den Quellen-Schriften vorge-
legt werde» Alle mitgetheilten Werke müssen daher,
WO möglich, von Augen- und Ohren- Zeugen und so-
gar von Mithandelnden herrühren. Gewährt die spat
iiisobe Literatur in dieser Beziehung auch einen grd-
fsern Reichthum, als die Uuthätigkeit der spätem Zei-
ten dieses Volks glauben läfst, so ist damit doch eine
i^ngemessene räumliche Grenze gesteckt, die überall
~ nöthig erscheint, wo die- Aufmerksamkeit des Publi-
oums in einem bestimmten Kreise gehatten. werden soll,
der die Tbeilnahme nicht ermüden kann.-
Wenn in diesen Mittheilungen die chronologische
Ordnung schon gleichsam tod selbst j^egeben ist, so
mtebt sich auch die geographische Eintheilung geltend.
Und -dann bildet die Quellen -Literatur der Antillen
den ersten, 'und einen überaus reichen Abschnitt. Hier
mufs mit den unschätzbaren Reliquien von Christoph,
Colon begonnen werden, die in den' letzten zwanzig
Jahren durch das Werk von Navarrete, durch den
Cpdice diplomatico-americano'von Genua, und meh-
rere' einzelne, kleinere Publicationen, einen ziemlich
bedeutenden Umfang gewonnen halben. An dieselben
müfste sich das Leben des grofsen Entdeckers an-
' schliefsen, wie es von seinem Sohn und Begleiter,
Don Fernando Colon, geschrieben worden, und nur
noch in der italienischen Uebersetzuug von Alonso
r UUoa auf uns gekommen ist, aus der es in« Barcia's
Sammlung zurück übersetzt wurde. Alsdann dürften
umfassende Auszüge aus Oviedo, so /wie die Haupt-
^ Actenstücke über die. Eroberung und die erste Ver«
waltungs - Periode der Antillen bis auf die Zeit von
Diego Velazquez folgen. Den Schlafs müfsten die be-
treffenden Decaden des Werks von Peter Martyr von
Ternmux^ Bibltotkifue am4ricaihe 4tt,
T»
Angbiera bilden, das wegen desJiiilserlichen Standt
puukt's und der hohen Bildung seines Verfs., beson»
ders aber wegen seiner persSnlicben VerbinduDg mit
Colon und den ersten Entdeckern und Eroberem selbst,
aus deren müudlictien Erzählungen und schrlftUchon
AufzcicknuQgen aller Art er schöpfen durfte, den ent;
schiedeasten Werth als Quellenschrift besitzt, und am
treusten den gewaltigen Eindruck darstellt, welcbeo
die plötzliche Eröffnung einer- ganz neuen Welt auf
das Zeitalter derselben gemacht hat.
Die zweile Abtbeiluug würde Neu -Spanien umfas-
sen müssen. Sie leitete durch die Nachrichten über
die ersten Fahrten von Cordoba und Grijalva naeh
den Küsteu des mexikanischen Meerbusens gleichsam
die Unternehmung von Cortes ein, und begänne solche
mit den wichtigen Berichten, welche 'derselbe an Kai«
ser Carl Y« erstattet hat. Unmittelbar an die officiel*
Icn Darstellungen schlössen sich die Denkwürdigkei-
ten eines der tapfersten Männer des kleineu Grobe-
rungs - Heeres, des Bernal Diaz del Castillo, die, weui
sie auch von der Befangenheit eines ganz subjectiven
Standpunkts und den Eindrücken eines mannichfacb
unbefriedigten Lebensgangs nicht frei sind, doch durch
ihre hohe Naturwahrheit eine Beglaubigung ansprechen,
welche wir seinem glücklichen Anführer nicht immer
zugestehen können. Nach diesem Werk müfste das
von Gomara folgen, welches sich schon durch die Stet
lang des Yerfs., als eines Haosgeistlichen von Cortes,
empfehlen würde, wenn es auch nicht unverkennbar
nach Materialien von dessen eigener Hand, ja Tiel-
leicht gröfstentheils von Cortes selbst gearbeitet wäre.
Diese verschiedenen Werke kfinnten durch die Be-
richte seiner Offiziere und durch die Nachrichten tob
den merkwürdigen Expeditionen, die an der Westkfiste
von Amerika und auf der östlichen nach Florida g»>
macht worden sind, vervollstöndiget werden. Es wurde
aber ein Material von einer- Vollst ändigkcit dargelegt
sein, wie es in grofsen historischen Ereignissen der
Vorzeit nicht wieder zu linden ist, wenn auch ditf
verschiedenen Werke der Eingebornen mitgetheilt
würden, deren Bekanntmachung in spanischen Uebe^
Setzungen Bustamente in Mexiko selbst begonnen bat.
(Die Fortsetzung folgt.)
Jahrbfieher
für
wissenschaftliche Kritik.
November 1839.
Bibliptheqtse americaine ou catalogue des Ofs-
rrages relatifs a FAmeriquej qu$ ont paru
depuis $a decouterte jusqu^a Fan 1700 par H.
Ternaux.
Vayag€$y relations et memoires originaux ponr
Merrir d FAütotre de ia decouterte de FAme^
rique^ publiei pour la premiere fois en fran^
fmn^ par H. Ternaux*
*
(Fortsetzung.)
Man wird Jedoch den Gewinn dieser letzten Werke
als Qaellensohriften nicht sehr hoch anschlagen dürfen.
Alle diese Männer gehörten der Zeit der Bntdecl&nng
md Eroberung nicht mehr selbst an. Sie sind sämmt-
lich schon Zöglinge der Bildungs- Anstalten, welche
die Spanier mit klager Berechnung frühe fiir den jun*
gen Adel des eroberten Landes gegründet hatten« Die
Vergangenheit ihres Vaterlands steht nur in mafsloscn
Dlibertreibnngen vor ihnen nnd das Vorurtbeil gegen
die Eroberer, welches sie mit ihren Lehrern, den Mis-
nctoarien des Dominikaner- und besonders des Fran-
makaner- Ordens theilten, hat ihrer Wahrhaftigkeit ge-
rade in demjenigen Theil der Geschichte, wo die Ge-
rechtfgkeit allerdings sehr schwer, aber auch nur um
so Dothiger war, den gröfsten Eintrag getban.
Die dritte Abtbeilung würde sich mit Peru be-
sehftftigen, und mit den yerschiedenen Unternehmungen
beginnen, welche seit der Entdeckung der Südsee durch
Nunes von Baiboa nach dem reichen Goldlande ge-
Diaobt wurden, von dem man seit einiger Zeit dunkle
Kunde hatte. Die Entdeckung und Eroberung von
Peru selbst müfste xunächst mit deih wichtigen Beriebt
von Pedro Sancho nud dem des anonymen OiTiziers
bei Ramnsio eröffnet werden. Beiden folgten die
Werke von Francisco Xerez und von Augustin Zarate,
und die Chronik von Peru des Piedro Cic^a de Leon«
Jdkrh. /. vfU%tn%tK Kritik. J. 1839. II. Bd.
Das Gänse schlössen umfassende Auszüge aus den
Werken von Garcilasso de la Vega. Auf diese Weise
wftre dem Geschichtsforscher, und auch jedem gebil^
deten Leser, ein umfassendes Material zur Scihstprü-
fung groben. Alle Verf., mit Ausnahme des Letzten,
sind Augen- und Ohren -Zeugen der Ereignisse. Sa t^
oho und Xerez waren Geheim Schreiber bei der Unter-
nehmung selbst, und Zarate'n hatte Kaiser Carl V. in
der Zeit der gefäbrliphsten Bewegungen des Streits
der Eroberer unter sich nach Peru geschickt, um durch
einen, ihren Leidenschaften und Zerwürfnissen frem-
den, Beobachter über den wahren Stand der Dinge
Aufschlufs zu gewinnen. Wie schon bemerkt, so ist
Garcilasso de la Vega zwar nicht selbst Augenzeuge
der Zustände des Lands bei der Entdeckung und sei-
nes Uebergangs unter die spanische Herrschaft gewe-
sen; aber sein Vater hatte eine bedeutende Wirksam-
keit in der Eroberung gehabt, und seine Mutter war
aus dem Königlichen Gesohlechte des Landes eotspros^
sen. Dieser Schriftsteller verdient überhaupt eine hd^
here Würdigung, als sie ihm durch Robertson gewor-
den ist, der sich noch immer nicht von dem alten Geist
der Geschichtschreibung, welcher die Kriegs- Geschich-
ten für die Hauptsache absiebt, loszumachen verstan-
den hat. Bekannt mit der Sprache, mit den Sitten,
mit den Gesetzen und mit der Geschichte des Lan-
des, gibt Garcilasso einen Reichthum von Material für
den Alterthunis- und Geschichtsforscher, welcher erst
in der Zukuuft ganz erkannt werden wird, wenn sich
die Wissenschaft mit dem Ernst, den sie der Vorzeit
des alten Contioents gewidmet, der Geschichte des
neuen zugewendet haben wird. Eine solche Richtung
manuicbfaltig anzuregen, mufs das Hauptziel einer ame-
rikanischen Bibliothek sein, wie sie vorerst zu wün-
schen ist. Je näher die Welt demselben kommt, de-
sto nothwendiger wird die Ruckkehr jlvl den Original-
Werken selbst in ihrer Ursprache sein. Eine gründ-
93
739
Ternaux^ BibH^thSfue amMeaine ete.
740
liehe GescbiehtsbearbeituDg ist niebt möglicby wenn
man die Quellen nur üi Uebersetzungen kennt, und
sollten sie ancb noch so gut gearbeitet sein.
Mit diesen drei Abschnitten scUiefst sieh der
wichtigste Theil der Bibliothek ab. Alles, was von
den Spaniern weiter, besonders im südlichen Amerika,
gewirkt worden ilBt, betrifft Länder, die offenbar auf
einer weit niedrigem Civilisationsstufe gestanden ha-
ben, als die Völker von Neu -Spanien und Perul In-
defs verlangen die Spuren einer früheren und unterge-
gangenen Cultur und die bedeutende Zukunft, welcher
die Columbischen Staaten und die Länder am Rio de
la Plata und in Chili entgegen gehen, dafs die älte-
sten Nachrichten über sie mitgetheilt werden. Hier er-
öffnet dann den Reihen der Deutsche, Ulrich Schmid,
von Straubingen, der ülrioo Fabro, wie ihn die Spa-
nier nennen, mit dem Bericht über die Geschichte der
Expedition, welche 1534 unter Don Pedro von Men-
doxa von Cadiz nach dem Rio de la Plata unter Se-
'gel gegangen ist. An ihn schliefst sich die Erzählung
von Pedro Hemandcz an, welcher den Alvaro Nunes
Cabeza de Vaea begleitete, als er die Statthalter-
schaft der Länder an dem genannten Strome antrat.
Für Chili wird man sich wohl mit zweckmäfsigen Aus-
sügen aus den Werken von P. Alonso de Ovalle be-
gnügen müssen, da dieser Mönch die besten^ Materia-
lien gehabt und sie auch, naöh seinem Standpunkt,
sehr zweckmäfsig benutzt hat. Endlich mag ^ür die
frühsten Zustände der Länder am Amazonen -Strom
das Werk des Paters Cristobal de Acuna genügen,
welches nicht so selten ist, dafs man die Mittbeilung
desselben nicht an ein Werk der Art federn dürfte.
Ich bin weit entfernt, zu glauben, dafs aufser den
rangegebenen oder angedeuteten Werken nichts in eine
solche Bibliothek aufgenommen werden sollte ; vielmehr
ist von Hm. Ternaux, der sich im Besitz einer reichen
Büchersammlung befindet, und, wie man aus seinem
Namen scbliefsen darf, in einer Lage sein mufs, um
durch Reisen in Spanien noch Vieles zusammenzubrin-
gen, das nicht gedruckt ist, zu erwarten, dafs er sich
die Kosten und die' Mühe nicht werde, verdriefsen las-
sen. Es würde schwerlich über seine Kräfte gehen,.
Imd' schon ein bedeutendes Verdienst sein, wenn er
sich diejenigen Scbrifteä des Bischofs von Chiapa und
von Oviedo verschaffen könnte, welche noch nicht ge-
druckt sind, und in mehreren bekannten Bibliotheken
.vorhanden sind. Die Bibliotheken in Madrid, in Es-
Gorial, in Sevilla u. s.w. enthalten höchst wahrsoheiih
lieh Handschriften der Brüder Bernardino ron Saha-.
gun nnd Torribio von Benevente, welche för die Spra-
chen, die Alterthämer und die Geschichte von Neo-
Spanien höchst wichtig sein müssen. Die Fortsefcuag
der Sammlung von Navarrete wird schon Bedeutendes
ans Licht fSrdem. Sollte sie aber unterbleibeD, so
würden die handschriftlichen Materialien, welche Dmi
Juan Baptista Muuoz ans den Archiven für die CSee
schichte von Amerika gesammelt hat, nur um so eh^
zu erwerben sein. Vielleicht liegen noch die Sanufr-
lungen des Raths von Castilien, Don Andr. Gonzalez
Barcia, des Herausgebers der Uistoriadores primitives
de las Indias occidentales, irgendwo verborgen. Ohne
Zweifel sind nun auch die Archive von Siinancas und
die übrigen Reichsarchive zugänglicher geworden, in
welche zu verschiedenen Zeiten die altern Acten, der
höchsten Regieriings- Behörden niedergelegt wurden«
Selbst in Betreff der Archive des Raths von Indien
möchte diese Hoffnung fiir einen Mann von Kenntnis-
sen und guten Verbindungen nicht au kühn sein.
Das Werk von Hrn. Ternaux umfafst zwar
nur die Entdeckungen und Eroberungen der Spu»«».,
sondern dehnt sich auch auf die der übrigen Völker^
und namentlich der Portugiesen aus; dennoch wird
der Mafsstab dessen, was über die Literatur der Er-
sten gesagt worden, ohne Unbilligkeit hier angewen*
det werden dürfen. Und dann ist nicht zu verhehlen,
dafs die bisherigen Bünde nur wenige Hauptwerke
enthalten. Läfst sich dieses nun auch bei Colon eiü»
germafsen dadurch rechtfertigen, dafs die wichtigen
Tagebücher desselben, welche Navarretes Sammloag
enthalt, vor eilf Jahren in einer Uebersetzung von
Chalumeau de Vernevil zu Paris herausgegeben woiu
den sind, und dafs es von Cortes Amtsberichten eine
schon 1779 erschienene Uebersetzung des Grafen von
Flaviguy giebt, so bleibt doch immer auffallend, dalSi
man weder mit Bemal Diaz, welcher doch kürzlich in
spanischer Sprache in Paris gedruckt worden, noch
mit Gomara und ähnlichen Hauptwerken die Samtnlung
eröffnet hat. Es ist schwer zu glauben, dafs die Wer»
ke, die bisher gewählt worden siad, derselben eine
bedeutende Theilnabme gewinnen werden. Bin flüoh-
tiger Blick über dieselben mag die Behauptung reoht»
fertigen.
741
T^rnim»^ jßMietJUfue mmMoaüu etc.
742
Wu sMrt< den UUiogtiq»bis4AeQ Band betrifft^
mlcber die Reihe begiiii(it> so dürfte es nicht leicht
eeio, die Greose des Jahres 1700, welche diesem Bü-
oherFerseidhnifs ' gesteckt ist» su begi^adea. Gerade
u- das ]8te Jahrhundert fiUlt eine ansehnliche Zahl
der viehtigsteB Poblilcationen über die ältesten Zeiten«
ier Entdeckung und Ereberuüg. Von Colon sind die
TagdbAdier^ so wie mehrere Briefe desselben^ die nicht
Bsr einen biographischen» sondern allgemein histort-
acben Werfh haben, erst in nnsem Zeiten erschienen ;
so wie auch die ganze reiche Literatur über den gro*
fsen Entdecker aus den letzten 7ünf und zwanzig Jah-
ren ist. Die Amtsberichte von Cortes, so weit sie
vorbanden sind» wurden im Torigen Jahrhundert
erstenmal vollständig in spanischer. Sprache ge-
draekt^ und ihre durch den Cardinal Lorenzana vei^
aiistaltete Ausgabe fehlt somit gleichfalls in dem Ter*
DMix'schen Verzeiebnirs. Von Herrera^s höchst wich«
tigens Werk gehören der Antwerpener Nachdruck von
1728 und die beste Ausgabe von Barcia dem ISten
Jahrhundert an. Die Monarquia Indiana von Torque-
mada, welche für den Altertbums* und Geschichtsfor-
seber Tielleicbt einen noch hohem Werth hat» ist in
ihrer besten Ausgabe» welche der nämliche Rath von
veranstaltet hat» um dieselbe Zeit erschie»
Aber auch die erste Ausgabe dieses Werks» die
gewöhnlich unter dem Druckjahr 1615 angegeben wird»
Milt in dem vorliegenden Verzeichnifs wenigstens un-
ter dem genannten Jahr. Baodini's Ausgabe der Be-
richte von Amerigo Vespucci» und die Ausgabe dcf
Garotlasso de la Vega von Nie. Kodr. Franco gehö-
ven dem 18ten Jahrhundert an« Ein Gleiches ist mit
den wichtigen Werken von Carli und Ulloa» von den
Missionären Gumilla und Gily und so vielen andern
der Fall» der Werke von Clavigero» von Robertson»
Ton Rüssel u« s« w. gar nicht zu gedenken. Dafür
hätten manche unbedeutende Schriften weggelassen
werden können» oder eine gröfsere Vollständigkeit er^
atrebt werden müssen» welche schon durch eine Ab-
nefarift der Liiteratur» die Leon Pioelo mit so äogstli-
€h«n Fleifte gesammelt bat» zja erreichen gewesen
•ein dürfte.
Die übrigen eilf Bände unterscheiden sich nur
dor^h die Jahrszahlen 1837 und 1838» so.dufs maa
nach Gefallen herauswählen kann* Sonderbarer Weise
gehören von den 7 Bänden von 1837 drei der deut«
sehen Literatur an. Sie haben die bespndem Titel:
Histoire v^ritable d'un voyage curieux fait par Ulrich
Schmidel de Straubing etc.
Belle et agre.able narration du premier voyage de Nie.
Federmann lo jeune^ d'Ulm» aus lodez de la .mer
oo^ane etc.
Viritable histoire et discription d'un pays habit6jpar
des hommes sauväges» nus» f^roces et antbropopha^
ges» situ^ dans le nouveao mpnde» nomine Am^rique
etc. Hans Staden de Homberg en Hesse Ta connu
. par sa propre experience etc.
Das erste dieser Werke ist oben als Quellen-
schrift angeführt worden. Ursprünglich in deutscher
Sprache geschrieben» kam es» wie Hr. Temaux an*
giebt» zuerst 1567 mit einer deutschen Uebersetzung
von Cudamosto heraus. Die Ausgabe» die ich selbsf
gebraucht habe» ist in der Sammlung von De Bry^
Oppenheim 1617. fol. . enthalten^ Wie alle diese frü-
bem Reisenden» so bat auch unser deutscher Lands«
mann es mit den Namen nicht sehr genau genommen«
Er ist schon frühe deshalb getadelt worden; denn
Hulsius rühmte sich in seiner lateinischen Ueberset-
zung» die er 1599 zu Nürnberg drucken liefs» des Ver-
dienstes» ihn in diesem Punkt gebessert zu haben*
Nach dieser lateinischen UebersetzuDg ist die spani-
sche in Barcia's Sammlung und die vorliegende des
Hrn. Temaux gearbeitet» welcher gleichfalls in den
Namen manche schätzbare Aenderung angebracht hat |
wie z. B. S. 105 der Domingo von Ayolas in den Do*
mingo de Irala» oder vollstündiger Domingo -Martinez
de Irala berichtigt ist. Der Verf. war ohne Zweifel
gemeiner Soldat in der Unternehmung» welche 1534
linter Don Pedro von Mendoza mit so vielem Au&
wand und Glänze nach dem Rio de la Plata gemacht
wurde und, gleich manchen andern Unternehmungen
jener Zeit» ein schlechtes Ende genommen hat. Die-*
ser Abenteurer mufs nicht ganz ohne Bildung gewe-
sen ^ein. Er spricht einmal »»von der rohmräthigen
und stolzen Kriegsgurgel Thraso in Terentio»" und
zeichnet sich gegen so manchen andern Reisebeschrei-
her seiner und der spätem Zeit durch eine merkwür-
dige Erhebung über die Volksvorurtbeilc aus. Den-
kiocb enthält sein Buch wenig Gewinn für die Ge-
schichte des Colonialwesens und die Kenntnifs der äl-
743
TwiMMM!', BUfliothiytM amiric»iM ete.
744
testen Zastimle ron Amerika. Selbst als Uofses Da«
terhaltuogsbaeh irird es seine franzdsiscben Leser
scbwerlicb sehr anziehen.
Von gröfserer, jedoch nicht ausgezeichneter Be-
dcutunjg sind die beiden anderen Werke. Für die Er-
ft&hlung des Federmana werden vir Deutsche dem
Hrn. Ternaux in mehr als einer Beziehung danken
dürfen. * Dieser Abenteurer^ von Ulm gebürtig, fehlt
in nnsem gewöhnlichen literarischen Hülfeuiitteln und
Damendieb in Mensel. Hr. Ternaux führt eine Aus-
gabe des Buchs mit dem Druckort Hagenau 1557. an,
die semer Uebersetzang zu Grunde zu liegen scheint.
Es hat das Interesse, dafs es eine Episode aus der
Zeit ist, in welcher sich die reichen Welser von Augs-
burg (die Belgares der Spanier) durch Kaiser Carl Y.
im Besitz des gröfsten Theils von Venezuela befan-
den, und daselbst ihre eigenen, deutschen Statthiüter
hielten. Die Stelle eines solchen hat Federmann eine
Zeit lang bekleidet, und es scheint sogar, dalb er
durch seinen energischen Charakter verdächtig und
lieine Rückkehr nach Amerika verhindert wurde. Auch
die Thätigkeit dieses Mannes theilt das Schicksal der
Expedition, welche Schmid begleitet hatte. Es ist
nichts dadurch begründet worden, was für die Nach-
welt Bedeutung gewonnen hätte.
Ganz unwichtig als historische Quelle ist das
dritte jener Werke. Hans Staden, von Homberg in
Hessen, beschreibt darin seine Schicksale in der Ge-
fangenschaft der Tuppinambas, einer brasilischen Völ-
kerschaft, bei der er über sechs Monate in steter t3e-
fahr lebte, von diesen Anthropophagen aufgezehrt zu
werden. Was er über ihre Sitten und Gewohnheiten
aufgezeichnet bat, geht zwar nicht in die Tiefe, ist
aber doch nicht ohne Werth für die Ethnographie.
Dieser Staden war 1547 in die neue Welt gegangen,
um sein Glück zu suchen. So verführerisch hatten
*
die glänzenden Schicksale der spanischen und portn-
giesiscjien Entdecker bereits auf das übrige Europa
gewirkt I
Die beiden nächsten Bände sind:
Commentaires d*Alvar Nunez Cabetjä de Vaca, redig^s
par Pero Hernandez, notaire et secr^taire de la pro-
vince etc.
Relation et naufrages d'Alvar Nunez Cabe^a de Vaca.
Das erste dieser beiden Werke schliefst ' sich ge-
wissermafsen an den Bericht unseres Landsmanns von
Straubingen an. Nachdem die Unternehmung des Doa
Pedro von Mendoza verunglückt war, schlofs die «{Mi*
nische Regierung mit Cabe^a de Vaca ein Uebereia*
kommen, dafs er auf' seine Kosten eine Ausrfistoog
nach dem I^io de la Plata machen und die Länder
daselbst unterwerfen und colonisirea sollte. Die Be-
dingungen von beiden Seiten werfen ein merkwürdiges
Licht auf die Art und Weise, wie dergleichen Unter»
nebuiuDgen damals angefangen wurden. Gabe^a de
Vaca machte sich verbindlich, eine Ausrüstung mit
dem Aufwand von 8000 Ducatcn zu machen, und der
bedrängten Niederlassung am Rio de la Plata Hülfe
zu bringen. Dafür ertheilte ihm der König die Statt-
halterschaft des Landes mit dem Titel eines Adelan*
tado, und ein ZwölAbeil aller Ein- und Ausfuhrzdile
der Colonie. Für die genannte Summe kaufte Cabe^
de Vaca -vier Schiffe, von denen das gröfste ^ana neu
war und 350 Tonnen Ladungsftlhigkeit hatte. Er ver-
sah dieselben mit der gehörigen Schiffsmannschaft und
mit Lebensmitteln, und bemannte sie mit 400 Soldat
ten, die mit dem nötbigen Geschütz, Munition und
Waffen versehen waren. Alles ilieses wurde vollbracht
vom Mai bis zum September 1540; doch konnte die
Expedition wegen des widrigen Wetters erst am 2ten
November in See gehen.
Indefs fiel die Unternehmung nicht glücklicher ans,
als die von Mendoza; wie denn überhaupt den Spip
niern am Rio de la Plata nie etwas Bedeutendes ge-
lingen wollte. Bald kam Unfrieden in die Niederlas-
sung; Unfälle, ja Elend aller Art vermehrten die Zei^
Würfnisse, und Cabegas Rolle endigte damit, dafs er
von seiner eigenen Mannschaft gefangen und aus den
Lande geschafft wurde. Die Geschichte dieser Unord-
nungen ist nicht ohne Bedeutung ftir die' Geschicfate
des Colonialwesens überhaupt; indefs erscheint die
Quelle insofern verdächtig, als die ganze Erzählung
durchaus im Interesse von Cabega de Vaca abgefafirt
ist. Man wird daher Manöhes, wie z. B. die Angabe»
dafs die Anführer der Empörung^ um die Neigung
der Eingebornen zu gewinnen, ihnen förmlich die
Erlaubnifs gegeben, ihre Feinde zu t5dten, und ihr
Fleisch zu verzehren, nicht unbedingt glauben dürfen.
(Der Bescfalufs folgt.)
Jahrbücher
für
wissenseh aftli che Kritik.
November 1839«
BiUtotheque americume ou catalogue des ou-
rragei relatifs a l'Amerique, qmi ont paru
depuii $a decouterte jusqua Pan 1700 pur H.
Ternaux.
Vo^ageSy relations et memoires origtnaux pour
servir d thistotre de la decouterte de tAme^
riquej publies pour la premiere fois en franr
^üf par JB. Ternaux.
(Schlafs.)
Die Schrift ist offeobar cur Rechtfettigong des
TeroDgliickteo Statthaitors abgefafst, und dessen Lag9
in allen Uebertreibungen dargestellt. Als er aus dem
Lande transportirt wurde, -brachten ihm sei^e Feinde
dreimal Arsenik bei. Er hatte sich jedoch vorgesehen^
und ^eine Flasche Gel und ein Stück von dem Hörn
des Einhorns" mitgenommen, so dafs er jedesmal mit
starken Leibschmerzen davon kam. Auch hatten diese
Vei^ftungen so wenig Folgen für seine Gesundheit,
dafs er, als Mitglied des höchsten Gerichtshofes von
Sevilla, in hohem Alter gestorben ist.
Diesem Manne scheint überhaupt das Mafs von
Geist und Kraft für seine Unternehmung gefehlt xn
haben. An einer guten Schule für dieselbe hatte es
ihm die Vorsehung nicht mangeln lassen. Diefs be-
weist das zweite Werk, welches den unglücklichen Zug
erzählt, den et mit Pamfilo NarvaSz nach der Küste
TOD Florida gemacht. Dieser Narvaez^ ist der nämli-
che, der von Diego Velazquez mit so ansehnlichen
Streitkräften nach Neu- Spanien geschickt worden war,
um dem Cortes das Commando abzupehmen, und bei
dieser Gelegenheit seine völlige Unfähigkeit zu grofsen
Dingen an den Tag gelegt hatte. Auch diese Unter«*
nehmitng lief so noglncklich ab, dafs von den 300
Mann, aus denea sie bestand, wie Cabe^ de Vaca
versichert, auCser ihm nur drei Personen mit dem Le-
Jmhrh. f. wiuemeh. Kritik. J. 1839. II. Bd.
ben. davon gekommen sind. Mit der, in Neu «Spanien
bewiesenen, Unbesonnenheit hatte Narvaez seine Schiffe
verlassen und den Zug an der Küste hin zn Lande
fortgesetzt. Was aus ihm geworden ist, hat man, so
viel mir bekannt ist, nie mit Gewifsheit erfahren;
Cabega de Vaca kam nach einer guten Zahl von Jah-
ren und nach Mühseligkeiten aller Art zu Lande nach
Neu- Spanien. Seine Erzählung ist durch Alles, wan
er ertragen, und durch viele merkwürdigen Züge aus
dem Leben und den Sitten der Landes- Einwohner
merkwürdig, und auch für das grofse Publicum, das
nur seine Unterhaltung sucht, in hohem Grad anzie-
hend. Der wissenschaftliche Gewinn wird schwerlich
hoch anzuschlagen sein.
Histoire de la Provinoe de Santa Cruz etö. par Pero
de Magalhanes de Gandavo etc.
Dieses Werk ist aus dem Portugiesischen über-
setzt und wird in seinem Vaterland und in Spanien sehr
hoch geschätzt. Es betrifft Brasilien, welches im An-
fang unter dem Namen der Provinz von Santa Cruz
bekannt war, und erschien 1576 in 4to zu Lissabon.
Meusel gibt das Jahr 1579 wahrscheinlich nach Anto-
nio an. Hrn. Ternaux Angabe stimmt liiit der von
Leon-Pinelo zusammen; auch hatte er das Original
selbst in Händen. Nach seiner Versicherung sind nur
noch vier Exemplare desselben übrig, und war es in-
sofern schon der Mühe werth, dasselbe dem wissen-
schaftlichen Publicum zugänglicher zu machen. Wel-
chen'Werth es aber auch haben mag; eine Quellen-
schrift ist es nicht, sondern 50 bis 60 Jahre nach der
Entdeckung von Brasilien in Portugal geschrieben wor-
den. Der Verf., ein für seine Zeit sehr gelehrter
Mann, ist ohne Zweifei ein Bekannter von CamoCns
gewesen; wenigstens befinden sich an der Spitze der
Original -Ausgabe etliche dreifsig Terzette des Dich-
ters der Lusiade, von denen man wünschen mdchte, dafs
Hr. Ternaux sie in der Ursprache mitgetbeilt hätte.
94
\.
747
Temaux^ Bibliotheque atnerieaine ete.
748
Relation T^ridique de la conquAte du Perou etc. par
X^res.
Es ist oben scbon bemerkt worden, dafs Xeres
Arbeit eine Qnellensohrifk sei. £r war Geheimsc&rei-
'her im Dienste von Franz Pizarro, und schrieb das
Buish wahrscheinlich auf seinen Befehl, um der öfTent-
lichen Meinung, oder dem Kaiser selbst, die Vorgänge
in Peru in einem, dem Eroberer günstigen, Licht zu
zeigen ; wenigstens erschien es schon 1534 zu Sevilla,
also sieben Jahre vor Pizarro's Ermordung, im Druck.
Dieser Umstand allein beweist, dafs dasselbe mit Vor-
sicht gebraucht werden mufs* Indefs ist diefs bei den
meisten Quellen -Schriften der Fall; da sich diejeni-
gen, welche in den Ereignissen selbst mitwirken, höchst
selten unbefangen zu erhalten yenn5gen.
Die Jahrzahl 1S38 tragen die folgenden dreiWerke :
Cruaut^s horribles commises par les conquSrants du
Mexique etc., memoire de Don Fernando Alra Ix-
tilxochitl etc.
Recneil de pieces relatives ä la conquäte du Mexique.
Relation du Vojage de Cibola entrepris eu 1540. par
Pedro de Castaiieda de Nagera.
Das erste dieser Werke wurde ursprünglich in
mexikanischer Sprache geschrieben, und macht nur ei-
nen kleinen Theii eines grdfsern VVerks aus, den Bu-
stamente 1829 in einer spanischen Uebersetzung zu
Mexico herausgegeben hat. Der Werth dieser Schrif-
ten Von eingebornen Mexikanern ist oben im Allgemei-
nen angegeben worden; der Werth der vorliegenden
stellt sich jedoch in mehreren Beziehuugen höher, als
die übrigen. Der Verf. stammte in gerader Linie aus
dem Geschlecht der Könige von Acolhuacan, und ist
auch durch ein Königliches Decret vom 16ten Mai
1602 dafür anerkannt worden. Er war unter dem Vice-
' König Don Diego Carrillo Mendoza y Pimentcl Dol-
metscher desselben, und hatte diese wichtige Stelle
wegen seiner tiefen Kenntnifs in den hierogljphischen
Mahlereien, den Sprachen, den Alterthümcrn und den
National -Gesängen seines Landes erhalten. Er hatte
die Kenntnisse mehrerer Augenzeugen der Eroberung
benutzen können, namentlich des lOSjäbrigen Don Lu-
cas Cortes Calanca, eines Mannes aus einer der Tor-
nehmsten Familien des Landes. Inzwischen würde
Bustamcnte "die Wissenschaft besser gefordert haben,
wenn er mit denjenigen Theilen der Werke von Don
Fernando angefangen hätte, welche die Geschichte der
Tulteken bis zu ihrem (Jntergang, und die der Chi-
chimeken bis ^ur Ankunft der Spanier zum Gegenstaikl
haben. Die Schranken dieser Anzeige erlauben nicht,
auf die Bedeutung der, im Anhang -von Bustameote
mitgetheilten, Stücke anders, als durch blofse fiinwei-
sung aufmerksam zu machen.
Das zweite Werk: Recneil etc. enthält eine Reihe
kleinerer Schriften, die zum Theil ganz neu, und mit-
unter von hohem Werth für ' die Geschichte siDd.
Gleich das erste Stück ist der wichtige Bericht üher
den zweiten Entdeokungs - Versuch der Länder am
.mexikanischen Golf, welcher 1518 durch Juan von Gri«
jalva von Cuba ausgemacht worden ist, und die gri-
fsere Ausrüstung unter Cortes im Jahr darauf inr
Folge hatte. Der Bericht ist nach der italienischeD
Uebersetzung in des Bolognesers Varthema Reisen m
den Orient (Venedig 1522.) übergetragen, da das Ori-
ginal bisher noch nirgends gedruckt worden. Dann
kommt die Beschreibung des alten Mexico von einem
Hidalgo in Cortes Umgebung, welche kürzlich auch
der deutsche Bernal Diaz del Castillo mifgetheilt hat
Nach den Berichten von Alvaradt) und von Diego voi
Godoy aus Ramusio folgt eine ganze Reihe von Bn^
fcn und Berichten von Missionären, Bischöfen, Vice-
Königen und andern bedeutenden Personen, welche
nach Handschriften aus den Archiven Von Simaocas
übersetzt sein müssen; wenigstens sind sie amScblaBse
ge\(öhnlich mit diesem Wort bezeichnet. Bei meh-
rern ist auch die Uebereinstimmung mit der Urschrift
durch den Namen Munoz bezeugt; so dafs man Te^
mutben darf, dem Hrn. Ternaux seien die reichen
Summlungen dieses zu frühe gestorbenen Gescbicht-
schreibcrs von Amerika zugänglich gewesen. Der
Mangel an Angaben über diese und andre Umstände
gibt dem Werk ein Ansehen von Nichtwissenschaftlich- '
keit, welches man am meisten in den letzten Bäodefi
bedauert, da ihr Gehalt sie so hoch, über die frühem
erhebt. Auch das vorletzte Stück, das eine Angabe
der jährlichen Gold- ^ und Silber -Sendungen, wdche
die Statthalter und Vice - Könige von Neu - Spaniea
jedes Jahr, von 1522 bis 1587, nach dem Mutteriaode
gemacht haben, ist so wichtig, dafs man den Maugel einer
nähern Beglaubigung wahrhaft schmerzlich vermifst.
Dennoch möchte man glauben, dafs die Sammlaog
mit ihrem Vorrücken eine gröfsere Bedeutung gewinne.
Dieser letzte Band ist vielleicht der wichtigste; in-
J
749 V. Hßgel, Füche aus Ka$eAtnir.
dem er nicht nnr alle TefsobiedeneD Berichte, welche
Insher über die, zu Anfsuchnng^ der Stadt Cibola ge-
machten, Untemehmnogen bekannt gewesen, und sainnit-
lieh in Ramusio's Sammlung enthalten sind, sondern
eine gans neue, bisher unbekannte, Schrift mittbeilt,
welche die Beschreibung des Feldzugs enthftlt, den
Francisco Vazquez Coronado, yon Culiacan ans, im
Jahr 1540 zu gleichem Zwecke gemacht hat. Der
Verf. derselben nennt sich Pedro Castaneda de Na*
gera, und war, wie es scheint, Soldat in dem kleinen
Heere jenes Anfährers. Seine Erzählung stimmt im
Wesentlichen mit dem Amtsbericht , von Coronado zu-
sammen, enthält aber viele sehr wesentliche Details,
wdche dieser übersehen, oder für seinen Bericht nicht
passend gefanden haben mag, insbesondere über die
Städte Cibola und Quivira. Durch diese Schrift und
die im Anhang aus Ramusio übersetzten Stücke wer«
den die widersprechenden Nachrichten über die gro*
Tsen und reichen Städte, die man in dem Innern von
Amerika vermuthet hat, so ziemlich ins Klare gesetzt
werden. Man mufs aber noch den Bericht hinzufiigen,
welchen Nunc von Guzmann am 6. Juli 1530 an Kai«
ser Carl V. erstattet hat, und der gleichfalls in Ramu-
sio's Sammlung steht. Diese Schrift von Castaneda
stammt nach Hrn. Temaux Angabe aus der Samm-
lung von Uguina. Es wäre wünschen&werth gewesen,
wenn er über diese etwas Näheres hätte sagen wollen.
Fast möchte man vermuthen, dafs sie die Papiere ent-
halten, welche Munoz für sein wichtiges Werk aus
den Archiven zusammen gebracht hat.
Die Beschränktheit des Raums gestattet nicht, den
Werth der Uebersetzungen näher zu untersuchen. In-
defq ergibt ein flüchtiger Blick auf dieselben, dafs «ie
mit genügender Kenntnifs der Sprache der Originale
nnd des Gegenstands gearbeitet sind , und nach dem
Mafstab, welchen man in Frankreich an solche Arbei-
tei^ zo legen pflegt, nichts zu wünschen übrig lassen.
Zum Schlüsse dieser Anzeige wird es nicht über-
flüssig sein, den Preis der bisher erschienenen Bände
anzugeben. Er beträgt nicht weniger, als 102 Franken.
D^er Druck ist allerdings mit einem gewissen Luxus be-
wirkt, der Preis jedoch immer noch in unbilligem Ver-
iiältuifs. Der erste bibliographische Band, welcher nicht
nehr als 12 Bogen enthält, kostet allein 10 fr. 50 Cent.
V. Rehfues.
J750
XLIX.
Füche aus Kaschmir, gesammelt und herausge^
geben ron Carl Freiherrn ron Hügel y Äe-
schrieben von Joh. Jacob Hechel, Inspector
am K. K. Hof -Naturalien- Kabinetj Mitglied
mehrerer gelehrten Gesellschaften, Mit zwölf
Kupfertafelnj nebst einem Anhange j diß Be-
Schreibung und Abbildung zweier Instrumetrie
zur mathematischen Bestimmung der Fisch*
Profile enthaltend. tVien, 1838. gedruckt bei
den P. P. Mechitaristen. (X u. 112 Seiten
in Qiiartformat y jedoch die Druchkolumnen
hlofs in grofs OctarJ.
Unter den reichen Vorräthen naturhistorfscher Ge-
genstände, welche der, besonders als Botaniker und
Gartenfreund rühmlichst bekannte österreichische Rei-
sende, Freiherr von Hügel, mit rastlosem Eifer in drei
Welttheilen gesammelt hat, befinden sich auch eine
Anzahl in Spiritus- aufbewahrter Süd wasserfische aus .
dem Flusse Tschilum und den mit ihm in Verbindung
stehenden Landseen. Ihre Bekanntmachung ist, we-
nigstens der Ausdehnung nach^ der Hauptgegenstand,
wenn auch sonst nicht der wissenschaftlich bedeutend-
ste Theil des hier anzuzeigenden Werkchens, des-
sen Einleitung zum Theile schon als Beitrag zur Kennt-
nifs von der geographischen Verbreitung der Fische,
ganz besonders aber wegen der wichtigen, von Hrn.
Heckel ausgehenden Umgestaltung der Beschreibungs-
weise von Thieren dieser Klasse, mit Recht einen Platz
in dieser Anzeige verdient. Wir geben sie daher hier
vollständig, gröfstentheils mit den Worten des Verfis.
selbst.
Der Flufs Tschilum, derHjdaspes der Alten, ent*
springt an dem südlichen Abfalle des Himalaja und an
dem nördlicheu Abhänge des Pir Panjahl, und durch-'
zieht ruhig das, nahe an 6000 Fufs über der Meeres-
fläche gelegene, von europäischen Naturforschem noch
wenig besuchte Thal von Kaschmir. Zwischen Ber-
gen eingeengt, stürzt er sich dann, brausend und schäu-
mend, über 30 Meilen weit durch Felden hinab, und
ergiefst sich endlich in der Ebene des Panjabs in den
Indus« Den Ichthyologen sowohl älterer, als neuerer
Zeit blieben tlie beschuppten Bewohner jenes Flusses
vollkommen unbekannt. Dr. Hamilton, welcher die Fi-
751 V. HUgel^ Fücke
8che des Gaoges beschrieb, deren grSrsere Anzahl sich
ohne Zweifel auch im Indus wiederfinden mag, ter*
mntfaete schon, dafs gegen den Ursprung dieses Flus-
ses und seiner Seitengewässer auf den Alpenhdhen an-
dere Arten wohnen möchten. Diese Vermutliung wird
in der Thai durch die Fische des Tschüttm bestätigt^
welche sftmmtlich ausgexeichnete neue Formen dar-
. bfeten.
Die Gewässer unserer mitteleuropfiischen mäfsi-
gen und gröfsten Höhen bewohnen Forellen: Forellen
wohnen auch im ganzen Norden von Europa, Asien
.«und Amerika; allein am Fufse der höchsten Gebirge
der Welt, in einem Lande wie Kaschmir, dessen ganze
Thierwelt sonst so viel Uebereinstimniendes mit der
unsrigen hat, wohnen ke^ne Foreilen. Cyprrnen sind
es, welche hier ihre Stelle vertreten, und, sonderbar
genug, theUwcise auch ihren Habitus annehmen. Un-
streitig schliefst diese Familie sich hinsichts ihres
Wohnorts an die Forellen an. So begleiten z. B. un-
ser'Phoxiuus und Gobio die Foreilen noch auf be-
trächtlichen Höhen; viele Arten der letzteren bewoh-
nen die Flüsse und Landseeu des Nordens, gesellig
mit Cyprinen; der Nil besitzt nur wenige Cjprinen,
die Flüsse Surinams und Brasiliens gar keine. Aber
in den. Flüssen Indiens, wo sie die Stelle der Forel-
len vertreten, wird die Anzahl ihrer Arten so beträcht-
lich, dafs sie allein die Hälfte aller bereits bekannten
ausmacht.
„Nach Aussage der Fischer von Kaschmir leben
„in den verschiedenen Gewässern dieses Hochlandes
„17 verschiedene Arten von Fischen, deren einzelne
„bisweilen ein Gewicht von 24 Pfd. erreichen: und
„obschon (nach der Ansicht des Hrn. Heckel, der sich
bekanntlich auf die Seite einiger Vervielfältiger der
Species hinneigt) „die Untcrscheidungs-Merkmule vieler
„Arten äufserst fein und nur von dem gröfsten Ken-
„nerauge zu entdecken sind ; so trennen doch die Eiur
„gebornen diese Arten genau von einander, und bele-
))gen eine jede mit einem bezeichnenden Proviuzialna-
„men." Nach des Referenten Ucberzcugung darf
man, wenn es sich um die Selbstständigkeit der Arten
handelt, hierauf darum nicht allzu viel Gewicht legen,
weil bekanntlich in fast allen Gegenden der Welt sehr
«itfff KoMckmirm 752
häufig selbst ettscbiedeiie Altera- oder sonstige Ab*
änderungen einer und derselben Art von voraogsveite
nutzbaren Tbiereo, namentlich aber die Varietäten
der Fische bei Fischern von Profession, verscbicdene
Namen zu führen pflegen* '
S^chszehn Arten, also nur Eine weniger, als d^
ren.nach obiger Angabe überhaupt in Kaschmir To^
kommen sollen^ hatte der Verf. in gröfstentheils sehr
gut erhaltenen und einzelne zugleich in mehrfacbei
Exemplaren vor Augen ; die meisten auch mit genaoer
Angabe lies Provinzjalnamons und xles Gewichtes, wel-
ches sie erreichen können. Von diesen sechszehn A^
ten gehört nur eine den Welsen (Silnroidei) an; alle
übrigen sind aus der grofseu natürlichen Familie «ler
Cyprinen, und zwar, aus den Gattungen Cobitis Agass.,
Barbns Cuv., Varieorbintfs ( ! ! ) Rüpp. und Labeobar«
bus Rüpp. *) Die Gattung Cobitis erhält dadurch ei-
nen Zuwachs von einer Art; die übrigen zehn Arten,
obschon durch die Mehrzahl ihrer Charaktere mit Bar*
bus Cuv. verwandt, verdienen dennoch wegen eiuei
gemeinschaftlichen, höchst eigenthümlichen Merkinali,
nämlich wegen einer Spalte ihres Scfauppenpanzfers am
Bauche, ein neues Genus zu bilden, welches Hr. Heckel
nach diesem gemeinschaftlichen Merkmale Schizotbo-
rax nennt. **) Es verdient als eine interessante Er»
Bcheinung i^ Betreff der geographischen Verbreituag
betnerkt zu werden: dafs bisher aus anderen Gewäi*
Bern noch kein Cyprinöid bekannt ist, welcher in Fel-
ge des erwähnten Charakters zu dem neuen, vom Hrn.
U. aufgestellten Genus gezählt werden könnte.
*) Neuer Nachtrag Ton Beachrcibungen und Abbildtti^es newr
Fische, im Nil entdeckt Yon Dr. Bd- Kuppel,, mit drei
Steindrucktafeln. Enthalten in dem Uten Bande de« Mu-
seum Senkenbergianum. Frankfurt a. M. 1835.
*^) „Von cxiQia, spalten und »aqa^, Panzer." Da sich jeie
Art Ton Spalt in dem Schuppenpanzer dieser Fische w
Bauche befindet und ^m^oI nur den Brusthamiaeh, so aii
die Brust selbst bedeutet; so hätte Hr. H. lieber die Be-
nennung SchJzogaster oder noch besser Schistogaster sli
die richtigere wählen sollen. Denn nur letzteres hat su-
schliefslich den hier allein richtigen passiven Sinn: Tentit
fisso ; ersteres kann auch ventrem findens und Schizotlio-
rax gar pectus findens bedeuten.
(Der Beachlnfi folgt.)
J ä h r b fi c h €i r
h
für
wissenschaftliche Kritik.
November 1839.
Füche aus KascAmtry gesammelt und Aerausge^
geben ron Carl Freiherm von Hiigeh
(Schlufs.)
Wollte tnao, so meint er, recht scmpblds zu Werke
gehen, so könnte man sein eben aufgestelltes Genus ohne
Tiele Mühe in drei Gattungen spalten: wenn man näin«
lieh auf die Verschiedenheit Rücksicht nähme, welche
sowohl die Bildung, als die Stellung des Mundes bei
rerschiedenen Arten darbietet. *) Diese Trennung
konnte auch noch manche anderweitige Abweichungen
für sich haben. Herr H. hat sie jedoch der Zukunft
öberla&sen, die bei dem immer steigenden Interesse
für die Naturwissenschaften auch die genauere Kennt-
Difs der Süfs wasserfische fördern und ihre Zahl durch
fernere Entdeckungen vermehren wird.
Bevor der Verf. dann zur eigentlichen Beschrei-
bung der Arten übergeht, erläutert er seine dabei be-
folgte Verfahrungsweise, und die eigenthümlichen von
ihm zu diesem Behufs in Anwendung gebrachten me^
cbanisohen Werkzeuge, deren Nachahmung und Ver<-
breitung allerdings so vortheilhaft und wÜQScbcnswerth
erscheint, dafs, nach des Ref. Ueberzeugung, eigent-
lich auf ibuMi das hauptsächliche, aller Anerkennung
würdige Verdienst der Schrift beruht.
Bei der gröfseren Anzahl von Fischen (nämlich
bei allen jenen, deren Gestalt als eine zusammenge-
drückte ergeheint, und deren Rückenfirste unmittelbar
auf den Apophysen der Wirbelsäule oder auf ihren
Zwischeudornen (ossa interspinosa) ruht, d. h. mit ei-
nem Worte bei den sogenannten regelmäfsigen), giebt
*) Bemerkenswerth findet Hr. H. unter Anderem die eigen-
thümliche, an sehr vielen Cyprinen Indiens vorkommende
Mundbildung, mit knorj^eltchten Flächen, am Rande zuge-
flchürften Lippen, die man nur In Europa und im Nil, bei
der durch Agassiz von Leuciscu« Cuv. getrennten Gattung
Chondrostoma Mieder antrifft.
Jakrb» /. tcu$en$ch, Kritik. J. 1839. II. Bd.
ohne Zweifel der Gesammtumrifs oder das sogenannte
Profil, nebst der ' Lage einzelner Theile, z. B. des Au-
ges, des Mundes ü. s. v., eines der wichtigsten Merk-
male ab, sowohl 1^UT Unterscheidung der Arten (Spe-
cies) als auch bisweilen zur Trennung (?I soll wolJ
heifsen zur Erkennung) der Geschlechter (Sexus).
Auch ist derselbe als ein solches von jeher von den
Ichthyologen anerkannt und bei der Beschreibung der
Arten angewandt worden ; nur bleiben die Ausdrucke,
deren man sich bediente, um, die Terschiedeneii Ab-
weichungen in der Erhöhung der Stirn, h dem Auf-
steigen der Rückenfirste oder in der Luge der Augen
u« 8. w. zu bezeichnen, stets so unbestimmt, dafs mau
bald auch noch ein anderesj nicht minder wichtiges
Kennzeichen in der Anzahl der Flossenstrahlen auf«
suchte^ um hiernach eine vorliegende Art zu charakte-
risiren. Allein bei dem grofsen Zuwachse neu ent-
deckter Fische zeigte es sich sehr bald, dafs nicht
blofs einzelne bestimmt verschiedene Species unter ih-
nen eine gleiche Strahleuanzahl haben, sondern dafs
sogar ganze Qen6ra darin übereinstimmen. Hiernach
sah man sich denn noch mehr als zuvor geuöthigt,
seine Zuflucht zu Angaben von der Gestalt, der Lage
und dem Verhültuisse einzelner Theile zu einander zu
nehmen, deren genügende Beschreibung stets um so
schwieriger wurde, je mehr Arten sich danach an ein«
ander reihten. Hierzu gehört gauz vorzugsweise die
Charakteristik der Gestalt. Keine Terminologie hatte
bisher Mittel an die Hand gegeben, um die feineu Ab-
stuf ungcu der Formumrisse uiit mathematischer Ge-
nauigkeit anzugeben oder festzustellen. Die Begriffe
und Bestimmungen derselben blieben rein relativ. Denn
sie wurden aus der Vergleichung einer Reihe von nahe
verwandten Arten unter einander entlehnt: so, dafs
beim Bestimmen solcher Arten, die sich z. B. einzig
und allein durch eine verschiedene Höhe des Kopfes
von einander unterscheiden, es häufig selbst dem ge-
95
755 . V. HUgelj Fiiche
übtesten Iphthjologcn unmöglich wurde, über eine zu
beatiinnieude Art (Species) aus der blofscn Beschrei-
bung derselben Gewifsheit zu erlangen, wenn ihm nicht
dieselbe Reihe von Ai'ten zu Gebote stand, wie sie
der Bescfareißer beim Entwerfen seiner Beschreib^ung
yor Augen gehabt hatte«
Dafs bei sor schwankenden Angaben über so wich- '
tige Merkmale huch das Unterscheiden dei* Arten sehr
oft schwankend bleiben und diefs einen nachtheiligen
EinflttfS' auf das Portschreiten der Ichthyologie ausü^*
ben mufste, wird vielleicht Jedem, der isich praktisch
mit diesem Zweige der Zoologie beschäftigt hat, eben
80 gut einleuchten, wie dem Verf. unserer Schrift.
Um den Nachtbcilen, welche aus dieser Mangel-
baftfgkeit der Terminologie entspringen, so viel als
möglich zu begegnen, war derselbe bemüht, bei sei-
ner Beschreibung der neuen Cyprinen die Formomrisse
mathematisch zu bestimmen. Diefs schien ihm gerade
hier um so nöthiger^ weil eben auch mehrere Arten
seiner Gattung Schizothorax sich vorzüglich, durch
ihren Umrifs von einander unterscheiden. Sein Ver«
fahren dabei war folgendes:
Er zog eine Achse durch die Länge des Fisches,
nicht in denr allgemeinen Sinne des Wortes mitten
durch den Schwerpunkt desselben, der bei einem und
demselben Individuum zu verschiedenen Perioden leicht
an ziemlich verschiedene Stellen fallen könnte; son«
dern nur durch die Mitte des Kopfes und Schwanzes,
ohne dabei fürs Erste zu berücksichtigen: ob der grö^
fsere Theil des Rumpfes sich über oder unter dieser
Achse befinde. Es versteht sich indcfs von selbst,
dals der Fisch hierbei in seiner gewol^nlicben ruhen-
den Lage sein mufs, ohne gewaltsam ab- oder vor-^
w'ärts gebogen zu sein. Die Mitte des Kopfes nahm
Hr. H. senkrecht über dem unteren Umfange desselben,
Dämlich da, wo die Kiemenstrahlen beider Deckel auf-
hören, sich zu berubren, oder, was einerlei ist, da, wo
der durch den Kiel des Zungenbeines gebildete Isth-
mus mit der Symphyse der Schulterknochen zusam-
menhängt. Die Mitte des Schwanzes ist stets an sei-
nem Ende zu messen, und trifft beinahe immer mit
dem Einfalle der Seitenlinien daselbst überein. Die
auf solche Weise fixirte Achse benutzte Hr. H.* zu-
erst, um die Lage derjenigen Theile zu bestimmen,
welche sich mit ihr auf einerlei Höhe befinden, oder
durch sie berührt werden (z. B. die der Nase, der .
msi Ka$ehmir. 756
Mundspaltie des Auges, den Winkel des Deckek a. s.
w.); dann fällte er an jenen Stellen des Umrisses,
deren genaue Angabe nöthig erschien, senkrecht^ Li-
nien auf die Achse herab« und bezeichnete ^ie Entfer-
uuDg, in welcher jene senkrechten Linien nach den
Anfange der Achse auf dieselbe fielen, durch Angabco
in Bruchtheileu der Körperlänge. Ferner betrachtete
er alsdann diese Achse als Basis des über und unter
ihr befindlichen Umrisses, und den Anfang derselben
als Radiationspunkt oder als das Centrum, von Wel-
chem aus er nun mittelst gewöhnlicher Graduiesanng
(den Zirkel in 360"^ getheilt) die Erhöhung der besag-
ten Stellen des Umrisses (z. B. des Hinterhauptes, der
Rückeofirste, der Rückenflosse u. s. w.) bestimmte^
deren geuaue Entfernung von demselben Punkte er
früher augegeben hatte. Zugleich benutzte er auch
wieder die bei dieser Gradmessung gezogenen Radien,
z. B. den nach dem ersten Strahle der Rückenflosse,
zuvörderst als Sehne von dem darüber stehenden
Theile des Profilbogens, um den Ort seiner gröfsten
Erhebung anzuzeigen, dann als Tangente einzelner in
ihrer Richtung liegender Theile, z. B. des Auges, der
Kiemenspalte u. s. w., indem er bemerkte: ob diese
Theile nur von ihr berührt, oder ob und wie sie von
ihr durchschnitten wurden.
Auf diese Weise glaubt er. Jede bemerkbare Ab-
weichung des Umrisses sowohl, wie der Lage einzel-
ner Theile mit einer Genauigkeit angegeben zu ha--
ben, die keinen Zweifel mehr zuläfst. Ja er hält sieb
überzeugt, dafs diese Messungsweise sich nach Bedarf
und Umständen bis auf einen Punkt, ausdehnen und
vervielfältigen lassen würde, wo dann selbst der Un-
geübteste sich ein getreues Bild von jeder auf diesa
Weise beschriebenen Species selbst zu schaffen im
Stande sein müfste. Ferner dürfte les durch sie jeden-
falls dem Beschreib^r, welcher nicht in der Lage ist^
gute Abbildungen anfertigen lassen zu können, wohl
ziemlich entbehrlich werden, seine Entdeckungen auf
eine so kostbare Weise zu veröifentliqhen. Endlich
kann dieses Verfahren auch den mit bildlichen Dar-
stellungen beauftragten Künstlern, die bekanntlich ge-
wöhnlich keine Naturforscher sind^ die Anfertigung
zuverlässiger Zeichnungen wesentlich erleichtem helfen«
Wegen der Wölb.ung des Körpers kann bei Mes-
sungen von Thieren der Gebrauch gewöhnlicher Li-
neale, Zirkel und Winkelmesser (Transporteure) u. s.
w. in dm meisten F&Ilen nur unaiebere und unzuver*
läfsige Resultate geben. Deshalb war Hr. Heokel auf
die AnfertiguDg zweier, diesem Zwecke entsprechen*
der Insfrainente bedacht.. Das erste derselben ist ein
besooders construirter Zirkel, zur richtigen Best iminung
der Achse; das zweite ein Gonyoineter zur Messung
des Umrisses, Terbnnden mit einer Theilnngsscliiene,
ttm die Achse, sie mag länger oder kurzer sein, so*
l^eioh in jede erforderliche gerade, oder ungerade An*
. sahl Ton Bmchtheilen zu zerlegen. Auf diese Weise
wird bei richtigem Gebrauche der Instrumente nicht
allein bedentend an Zeit erspart, sondern die Uoter«
lehiede yerwandter Arten in Betreff ihrer Gestalt und
die Stellung rfarer einzelnen Theile zu einander wer-
deo auch mit mathematischer Genauigkeit festgestellt.
Eine eehr ausfuhrlicbo Beschreibung und deutliche Ab-
bildung beider Instrumente, zu deren weiterer Schil*
deniDg hier natürlich der Ort nicht ist, nebst Angabe
nehrerer mit ihnen an einigen einheimischen Cjprinen
Torgenommenen Messungen^ folgen in dem, eigeuds
daTon han.ielttden Anhange (S. 87—106). Um dessen-
willea mirfs man das in Rede stehende Werkchen in
des Händen recht vieler Naturforscher ncd namentlich
io denen jedes Ichthyologen wünschen: zumal, da sich
TOD den mechanischen Hnifsmitteln auch in nicht wc-
^gen anderen Fächern der beschreibenden Naturkunde
eise nötzliche Anwendung machen lassen dürfte. Je-
der geübte Mechanikus mufs dieselben nach der, in
dem Werkchen gelieferten, doppelten Darstellung zu
Terfertigen im Stande sein; auch kann der Preis der-
selben eben nicht sonderlich hoch kommen.
Am Schlüsse der Bemerkung über diese neue Me-
thode kann Ref. den Gedanken zu einem naheliegenden
vnd leicht ausführbaren Vorschlage nicht unterdrücken,
aof welchen er so eben yerfallt, und yon welchem nur
za wünschen wäre, dafs ihn Hr. Hechel als Urheber
der Methode bereits selbst auszuführen yersucht ha-
ben möchte : da die Ausführung desselben, wenn auch
vielleicht keine Vervollkommnung des Ganzen an sich,
doch gewifs eine bedeutende Abkürzung für den Aus-
druck der jedesmaligen Resultate sein würde. Wenn
man nämlich Ton den, bei Messungen dieser Art in
Betracht kommenden Punkten des Fischkörpers jeden
eiuzeluen ein für alle Mal mit einem gewissen Buch- ,
Stäben bezeichnete, auf ähnliche Weise wie diefs mit
den Flossen bei der Zählung der Strahlen geschieht;
aus 'ItascAmir. 75ä
so würde z. B. die Angabe der hier TOrkommendea
Winkel, Linien, Bogen u. s. w. und ihrer. Verhältnissi^
zu «einander sich in ganz kurze nnd leicht übersehbare^
nach mathematischen Regeln bestimmte Ausdrücke fas^
sen lassen, die eben so verstündlich sein' würden, wie
z. B. die Bezeichnung' B. 12, A. 17 u. s. w., die sich
Jeder dahin deutet: dafs jede ßauchflosse 12, die Af-
terflosse 17 Strahlen habe u. s. w. Allerdings wird eä
für diesen Zweck überhaupt einer viel umfassenderen
nnd complicirteren Terminologie bedürfen, als in Be«
zng auf die Zahl der Flosseustrahlen $ fadefs dürfte es
trotzdem wohl keinem Zweifel unterliegen, dafs mad
sich bei guter Wahl derselben nnd nach gehöriger Qe*
Wohnung daran mit eben so viel Leichtigkeit und
Sicherheit, als Kürzq in derselben werde bewegen
können. —
Die Beschreibungen des Hrn. Heckel, denen stets
lateinische (sprachlich leider sehr mangelhafte) Gut-
tnngs- und Artskennzeiohen yoransgehn, reichen von
S. 1 — 8Cr. Sie sind sehr ausführlich nnd genau; zu-
gleich sind alle Species abgebildet. Die Bilder, nett
in Kupfer gestochen, haben noch ihre besonderen Er-
läuterungen (S. 107 — 112). Sic sind zwar nicht colo-
rirt, und überhaupt eigentlich nur saubere, halb aus-
geführte Skizzen, lassen aber gerade deshalb alle Cin-
zelnheiten sehr deutlich hervortreten. Daher genügen
sie zu ihrem Zwecke auch so schon hinlänglich; um
80 mehr, weil die Mehrzahl der Arten keine eigentlich
bunte Zeichnung besitzt und mehrere nur eine ganz
einfache Färbung haben. Bei den beiden Cobitis- Ar-
ten, wo die Zeichnung mannigfacher ist, sind die Dar-
stellungen etwas weiter ausgeführt. In allen Füllen
stellen sie aufser dem Körperdurchschnitte auch noch
mehrere wichtigere einzelne Theile sehr gut dar: z. B.
den Kopf der Unterseite, den Mund nnd besondere Kie-
fertheile, oder Schlundknochen u. dgl. mit Zähnen;
femer stets mehrere einzelne Schuppeu von yersphie-
denen Theilen des Körpers in vergrörsertem Maafs-
stabe und weiter ausgezeichnet : darunter beider neuen
Gattung Scbizothorax die Afterflosse mit der spaltcn-
ühnlichen, unbeschuppten, aber von gröfseren Schuppen
umgebenen Stelle und mit den abweichend gebildeten
Schuppen zunächst um sie her. Die Arten derselben
werden nach der BeschaiFenheit ihrer Lippen in drei
Abtbeilungen gebracht. Hr. H. nennt sie Seh. plagio^
stomus, Seh. sinuafuS) Seh. curvifrons. Seh. longipin*
75§
nis, Seh. niger, Soh* nasus, Scb. Högelii, an welchem
sich der Charakter der Gattung, i^ie er durch den Na-
men Schizothorax ausgedrückt werden aoll^ am schärf-
sten ausgepritgt zeigt; Seh. micropogon, Seh. plani-
frons und Seh. esocinns.. Letzterer ist von ziemlich
bechtartiger oder noch mehr der gemeinen Barbe ähn-
lichen Gestalt, und mit eben so langen Bartfaden, wie
diese Tersehen. Die Arten von andern Gattungen sind :
Barbus diplochilus, mit eigenthümlicber Muudbildung
und blos wenig bemerkbaren Bartfaden • Spuren, La*
beobarbus macrolepis, Varicorhinus (1) diplostomns,
ein mehrfach interessanter Fisch **), Cobitis marmo-
rata und C. vittata; endlich Siluras Lamghur, ein klei-
ner Wels, leider nur nach einem Exemplare mit man-
gelhaften stark verletzten Flossen, bekannt und von
dem einheimischen Welse als Typus der Gattung in
mehreren Punkten so abweichend, dafs er wohl gene-
risch getrennt zu werden verdienen dürfte.
Die Schreibart des Verfs. könnte allerdings häufig
etwas sorgfältiger uod gewählter sein; sie würde hier-
durch auch noch an Klarheit gewinnen. Die Ausstat-
tung des Werkes, vorzüglich des Textes, ist ausge-
zeichnet hübsch; namentlich ist das Papier dazu so
blendend weifs, dafs die Kupfer dagegen schon etwas
^u ihrem Nachtbeile abstechen.
Gloger.
L.
Des Propheten Jesaia Weissagungen. Chrono-
logisch geordnet^ übersetzt und erklärt von L.
Z. Hendewerh. Erster Theil, Königsbergs
1838. bei Bornträger. P. CXXXI. 731.
m
Allen denen, welche von der Philosophie nichts
weiter zu sagen wissen, als dafs sie dem Theologen
schädlich sei und dafs sie die sogenannten sittlich-
ffefulewerJky des Propieten Jesaia fFeissagungen*
*) Isi es nicht schon schlimm grenu^, dafs Engländer und Fran-
zosen, denen man bei ihrer so häufig mangelhaften Keont-
Djfs der griechischen und lateinischen Wort -Bildung einen
falsch gebildeten Namen noch eher nachsehen kann, uns
Deutsche immerfort zum Hufmeistern und Nachbessern zwin-
gen? MUssen auch noch Deutsche selbst recht muthyvillig
in dieseibeli argen, schon so häufig gerügten Fehler rerfal-
len, wie Ur. Rüppell mit- dem Bastard- Worte Varicorhinus,
an dessen Statt z. B. die rein griechischen Namen Phaco-
rhiuus oder Adenorhlnos so nahe gelegen hätten? —
(Die Fortsetzung folgt.)
760
religiösen Ideen oder Principien oder wie man das
sonst nennt, iras den Inhalt der heiligen Schrift' bil-
det, yerdrehe, mülste vorliegender Commentar eigept-
lieh ein wahres Labsal sein, eine Oase in den Sand-
steppen, die man sich gewöhnlich als die Wohnstätte
des Begriffs denkt. Der Verf. dieses Commentars be-
kennt sich zwar auch zu einer Philosophie, zu der
Herbart's, und er will ausdrücklich die Richtigkeit der
Sätze derselben ,,8treng exegetisch in der Bibel nach-
weisen.'* Aber wie zahm und unschädlich ist diese
Philosophie. Welcher brave theologische Leser, d(9
pflichtgemäfs bei jenem [philosophischen Anlauf dei
Verfs. stutzig wird und zurückprallt, sollte nicht wie»
der Muth bekommen und wenigstens mit einiger gut-
müthigen Vertraulichkeit wieder näher treten, wenn er
den Verf. versichern hört, dafs er seinen Commentar
um seiner „ethischen Tendenz** willen vorzugsweise
jungen also noch nicht stichfesten Theologen und so-
gar praktischen Geistlichen empfehle, dafs er „den
sittlichen Begriffen, wie sie nun eben (!) in der Bibel
vorkommen, eine ganz besondere Aufmerksamkeit ge*
schenkt habe." AVer die praktische Tendenz der Bi-
belerklärung liebt, wird sich freuen, dafs der Verf. die
praktischen Ideen in der Bibel nachweisen will, wird
darüber hinwegsehen ^ dafs der Verf. die praktiscbeo
Ideen von Herbart entlehnt, uud dafs er noch uebeo-
bei gleichsam als Zugabe aus der Schrjft den Her-
bartschen Satz, dafs, die sittlichen Begriffe ästhetische
sind, begründen will (p. XV). Ja was das Eigenthüin-
liehe an dieser Richtung des Verfs. auf die prakti-
schen Ideen ist, dafs er sich nur selten dieser Lieb-
lingsneigung hingiebt, nur hier und da von den Ideen
spricht und dauu ganz kurz nur darauf aufmerksam
macht, wie also schou der Hebräer Herbart's Anskht
gehabt habe, sonst aber im gewöhnlichen Curialstjl
der Commentare stehen bleibt, diese Genügsamkeit der
Philosophie mufs bestehen. Und welche Bescbeiden-
heit, andere Pbilosopliieen sind bei den Theologen yer^
hafst, weil sie nach ihren Vorstellungen über die Gel-
tung biblischer Vorstellungen entscheiden wollen: bier
kommt eiue Philosophie, welche die Richtigkeit- ihres
Satzes, dafs die sittlichen Begriffe ästhetische sind,
in der Bibel nachweisen, also die Bibel zum Beweis
für ihre Wahrheit macheu will. Rara avis!
wissen
•^96.
Jahrbücher
für
Schaft liehe
November 1839.
Kritik.
JDe« Propheten Jeeoim fPeüeagungen, Chrono^
iogück geordnet j übersetzt und erklärt vom
Ih lu Hendewerh.
(ForUetZDDg.)
Aber dennoch steht zu befurohten, dafs dieser
Commentar^ trotz aller philosophischen Bescheidenheit
und Einschränkung) auch, bei den willfahrrgsten Theo-
logen nicht den rechten Eindruck machen wird. Er
ist nämlich zu genügsam« Ein wenig philosophirt ja
jeder Theologe wäre es auch nur, dafs er manchmal
schlierst, beweist, Tom Wesen, von Möglichkeit u. s. w*
spricht. Soll er aber ein Buch als ein philosophisches
anerkennen, so verlangt er doch mehr, so ist es ihm
nicht genug, dafs hie und da einci philosophische Eti-
kette einem biblischen Spruche angehängt werde; er
wird sonst argwöhnisch und befiirchtet bei seiner Vor^
aossetzung von der Schädlichkeit der Philosophie« dafs
eme so sparsame Verbindung des Philosophischen und
Biblischen doch nur eine falsche sei, dafs im Hinter-
gmnd die gefährlichsten Truppen des Feindes noch
versteckt sind.
Leicht bat es der Hr. Verf. den theologischen Le-
sern gemacht, wenn er BegrifFsbestimmungen giebtj
aber auch das wieder zu leicht, zu bequem, als dafs
er sich bei ihnen einen Erfolg versprechen könnte, zu
kinderleicht, um bei ihnen zu gewinnen. Schwer ma-
chen es sich zwar die Theologen gewöhnlich auch
nicht, mit Voraussetzungen, die sie für einen Satz
brauchen, nehmen sie es nicht besonders streng; aber
sehen sie diese Bequemlichkeit an eidem Gegner, und
der ist für sie bekanntlich der Philosoph, so möchte
sie ihnen schon mehr auffallen, mag es ihnen non als
ein Raub ihrer Prärogative erscheinen oder das Ge-
setz wirken, dafs Gleiches sich nicht immer vi Glei*
chem gesellt, sondern sich auch oft von einander ab-
JMkrb. /. wuuüHh. Krkik. J. 1830. II. Bd.
gestofeen fühlt. So will der Verf. in der Einleitung
den Begriff eines Propheten construiren. Zuerst, sagt
ety gehört dazu das Moment des Sittlichen. Dazu
kommt dann noch eine andere Ingredienz, dekm (p.
^11) „das sittliche Moment steht, wie schon erwähnt
ist, in der innigsten Beziehung und Verbindung mit'
dem religiösen." Und in der That ist das p. XIX mit
denselben Worten bereits erwähnt. Glückliche Zeit
des Friedens, wo man etwas nur zu erwähuen braucht,
um der allgemeinen Zustimmung geirifs zu sein. Der
Verf. ist sich zwar in der inhaltsvollen und in wenige
Zeilen zusammengedrängten Entwicklung dieses Ge-
genstandes nicht recht klar ; bei aller Verbindung sagt
er, hätten die biblischen' Schriftsteller die sittlichen
Ideen von der Idee Gottes sehr wobl zu unterscheiden'
gewufst und nur als Volkslehrer hätten sie beides auf
das Innigste verbinden müssen. Allein dann hätte,
wenn die Momente verschieden sind, ihre Verbindung
statt eine innige nur eine äufserliche sein können.
Aber der Hr. Verf. hat wahrscheinlich auch in diesem
Punkte in der allgemeinen Meinung dieselbe Unklar-
heit vorausgesetzt und Worte, wie Verschiedenheit,
Beziehung, innigste Verbindung u. s. w.. Worte sein
lassen. Zuletzt brauchte es der glückliche Autor auch
nur zu erwähnen, „dafs das Sittliche mit dem Staat-
lichen in der innigsten Verbindung steht** und ein drit-
tes Ingredienz für den Begriff eines Propheten war
gewonnen (p. XXVIII). Nun noch einige divinatori-
sehe Kraft, wie »ie der Verf. in einer Menge von
Männern findet, die z. B. die französische Re^^olution
vorausgesetzt haben (p. LXllI) und der Begriff eines
Propheten ist fertig.
Lassen wir aber den Einklang - des Verfs. mit der
gewöhnlichen theologischen Unbestimmtheit, welche in
der Annahme von der ranigen Verbindung des Sittli-
chen und Religiösen liegt. Bemerken wir auch nur
96 ^
763
B^ndewerk^ des Prof^heten Je%aia Weissagungen.
76f
beiläofij^, veil ea schon oft genug yom philosophi-
schen Standpunkt aus gesagt ist, dafs eine geistige
Erscheinung nicht aus allgemeinen Bemerkungen, dafe
dies und jenes in innigster Verbindung stehe, zu con-
struireo, sondern nur ans ihrem eignep Prinoip xu be-
greifen und "wenn sie als bestimmte Erscheinung im
Verhältnifs zur atlgemeineu Idee gefafst wird, eben
als diese Bestimmtheit der Idee, nicht als blofses
Exemplar eines yagen GattungsbegriiFs zu fassen ist.
Sehen wir statt dessen, wie der Herr Verfasser mit
philosophischen Principien seinen Commentar durch-
zogen bat; wir können kurz sein, da der Heirr Ver-
fasser in dieser Beziehung auch sehr karg gewe-
%fSiiL ist.
Alles läfst sich auf zwei Entdeckungen zurück^
führen, erstlich, dafs dem Hebräer die sittlicben Be-
griffe zugleich ästhetische seien. War aber irgend
etwas dem Hebräer fremd, so war es diese Beziehung
des Sittlichen auf das Gefühl und die Empfindung.
Schon das ist Unrecht, dafs der Vorf. dem Hebräer
sittliche Bestimmungen zuschrieb, da es für dieseh
doch nur Rechtsbestimmungen gab; Und allerdings
eben weil diese Besthnmungea die Substanz waren, in
der der Hebräer ganz und gar lebte, so war Ton
*ihnen auch sein gesammtes Gefühl afficirt. Von jeder
gesetzlichen Bestimmung als göttlichem Gebote iiihlte
sich der Hebräer sa ergriffen, ilafs er in ihr unmittel-
bar sich seinem ganzen Wesen nach affirmirt und er-
halten und im Gegentheil sich persönlich negirt em-
pfand. 'Aber dies Gefühl ist kein ästhetisches, hat
mit dem theoretischen Interesse am Schönen nicht das
Geringste zu. thun, ist im Gegentheil die praktische
Selbstbeziehung des Ich auf sich, ist die Selbstempfin-
dung des Ich, welches in seiner 'rechtlichen Substanz
sich selbst und seine wesentliche Erhaltung erreicht.
Wenn Jesaias 5, 20. die, welche Gutes in Böses und
Eöses in Gutes rerkehren d. h. die rechtlichen Grund-
btstimmungen verkehren , vergleichungsweise solche
nennt, die das Bittre in Süfses verkehren, so ist das
natürlich bildlich gesprochen und der Prophet wollte
damit nicht das Gute und das Böse nach ihrem ästhe-
tischen Charakter bezeichnen. Das ist die erste phi-
losophische Nummer. Nun Nr. 2. ! Wir haben bereits
gesehen, wie der Verf. erwähnte, dafs das Sittliche
und Religiöse in der innigsten Verbindung stehe. Doch
dabei weife der V^rf. noch, dafs die sittlichen Ueea
von der Idee Gottes zu unterscheiden seien, auch die
Propheten hätten diesen Unterschied recht wohl ge-
kannt und nur als Volkslehrer dies bessere Bewufst-
sein zurückdrängen müssen (p. XXII). Der Verf. iit
auch so glücklich, im Commentar selbst p. 144 zeigen
-zu können, wie im Propheten auf einmal sein bessem
Bewufstsein hervorbricht. Jesaias sagt c. 5, 1$: (an
seinem Gerichtstage) ist erhaben Jehova im Geriobt
und heiligt sich der heilige Gott in Gerechtigkeit
„Hier, sagt der Verf., sieht man deutlich, wie bei
Jesaias die sittlicben GrundbegriiFe als das Hdokite
galten, von dem die eigentliche Wurde, jedes WUleu,
des göttlichen wie des menschlichen bestimmt wird."
Diese Behauptung wird zunächst durch die einfoche
Betrachtung des prophetischen Ausspruchs .sich a-
rückweisen lassen: wenn Jehova im Gericht i\nd ifi
Gerechtigkeit sich als erhaben und heilig oiFenbart, lo
wird er nicht von „Grundbegriffen" bestiuimt, die als
das „Höchste" für ihn eine äufserliehe Macht sinil,
sondern das Gericht- ist hier nichts weiter als seine
That, welche die inneren Selbstbestimmungen seines
Willens in der Geschichte ausführt, und die Gerech-
tigkeit ist das Resultat des Gerichts, das ausgefilhite
Gericht, die Erscheinung des göttlichen Willens is
der wirklichen Geschichte, und es bleibt dabei, dafs
dem Hebräer der göttliche Wille und dessen Selbstbe"
Stimmungen das Gesetz und der einzige Grund aller
rechtlichen Bestimmungen ist. Wo ist im Pentafcuch,
im Gesetzescodex auch nur die leiseste Andeutung ds>
von, dafs Jehova seinen Willen durch eine ihm ftii-
fserliche Idee bestimmen lasset Er, das substanzielle
Subjekt, der als solches Nichts aufser ihm bat, wo-
durch er bestimmt werden könnte, soHte den Grood
der wesentlichsten Bestimmungen aufser ihm habenl
Davon weifs das A. T. Nichts. Die Rechtsbestimmoa-
geh gelten dem Hebräer, weil Jehova will, ja we9
3ehova der Herr ist und in dem einfachen Gedanken
seines ewigen Seins auch der Gedanke der ewigen
Gesetze cuthalten ist. Darum ist es für den Hebiüer
genug, dafs Jehova sagt, denn ich bin, ich bin Jehors
oder höchstens denn ich bin heilige ttm dadurch das
Gesetz als ein i^othwendiges, als ein solches, das sidi
von selbst versteht und als ein bewiesenes zu wiaseo.
Es hat eben seinen Grund und Beweis darin,. da&
7i5
Hemkmtttikj des PHtphet^n JeMoia 9Vei99agUHgetK
766
Jebofa das tabttaDsielle, ewig sich selbst uad das
Eadlicke bestiindieade Subjekt sei.
Die philoBopbisobe Klippe des CominDotars kättea
vir also uoisobifft, obne besonderen Schaden zn exlei<*
. den, und vir können uns nun sicherer dem Werke,
wo es dem 'gewdhnUeben Strome folgt, anvertrauen«
Im ▼ofUegenden Tbeile sind die protojesaianiscben Wjßis*
aagangeo erklärt, d. lu diejenigen, die der Hr. Verf.
nocb den Resultaten der neueren Kritik als ficht be-
traehtet, die deut^rojesaiaoischen sollen erst in einem
folgenden Theile erklärt werden mid hier sind auch
0fst die Grande zu erwarten, die den späteren Ursprung
derselbea beweisea sollen. Elinen Grund aber für die
«
Uneofallieit dieser Weissagungen hat der Hr. Verf.
aeboo aus der Ueberscbrift der gansen Sammlung sn
aiehen gewufst: durch die Formel: was Jesaias ge-
nehauit hat über Juda und Jerusalem würden alle deu-
tsrojesaianischen Weissagungen ausgeschlossen , da
aieh diese auf Juda besieheo, als es nicht mehr insol-
aher Einheit mit* Jerusalem stand, wie sie jene
Ueberschrift yoraossetzt (p. 9). Als ob der Hebräer
im wirklichen Erleben des Exils oder in der idealen
Anschauung desselben jemals die Einheit und Zusam-
mengehörigkeit von Juda und Jerusalem hätte verläug-
nen kdnnen« Man h5re nur, wie c. 40, 9. im Heil
der Erlösung Jerusalem nnd ganz Juda als Einheit
eraoheinen.
Die protojesaianiscben Weissagungen ordnet der
Hr.. Yerf. chronologisch und erklärt sie auch in ihrer
lieatimmten Zeitfolge. Der Gedanke ist glücklich, se-
ken wir seine Ausführung. Das fiiufte Capitel, in wel-
diem die Bestrafung des Staats durch ein fremdes
Volk gedroht wird, betrachtet der Hr. Verf. als ein
ttnselbstständiges Stück, welches nothwendtg . eine Er^
giazung haben müsse. Denn während sonst immer
di» Strafe und^ Begnadigung erat in ihrer inneren Ein-
heit das Ganze auch in einzelnen prophetischen Aus-
. Sprüchen bilden, mufs es in jenem Stück mit Recht
auffallen, dafa allein die Strafe gedroht wird. Aber
wfthrend Hitzig dieses Capitel noch als Ergänzung
nämlich als nähere Bestimmung der Strafe. zur Gruppe
der Capitel 2 — 4. zieht, fugt es der Hr. Verf. zu dem
Folgenden und läfst er es seine messianische Ergän-
zung in -o, 7, 7—9« und c. 17. finden. In diesen Aus-
Sprüchen werde nämlich der Untergang der c. 5. ge*
soUlderten Feinde rerheifsen.. Glficklicäi können wir
aber diese Hypothese nicht nennen; denn e. 7, 7r-9.
und Q* 17. wird der Sturz ^ganz bestinunter Feinde vei^
heirsen, nämlieh der Untergang der yerbündeteu 'Syrer
und Ephraimiten, die in Juda eingefallen waren. War»
um sind diese bestimmten Feinde c, 5« anch nicht mit
dem geringsten Zeichen angedeutet! Eine unbestimmte
Strafdrobung und die Verheirsung einer ganz bestimm-
ten Befreiung können doch gewifs nimmermehr zusam*
mengehören* Das lockere Verhäitnifs von c« 5. >und
0. 7 und 17. mufs aber der Hr. Vf. selbst zogestehen,
wenn er sagt, c. 5. sei defshalb ohne Schlufs, d. h.
ohne Aussicht auf den Untergang der Feinde geblie-
ben, weil der Prophet durch den Einfall der Syrer und
Ephraimiten verhindert ^urde, die Weissagnüg- kunst-
gemäfs zu vollenden (p. 159). Das müfste aber niclit .
eine unbequeme Verhinderung genannt werden, son-
dern ein will{Lomtnener Zufall. Denn. hat der t^rophet
o. 5., als er dem Volke mit einer fremden Macht
drohte, nicht gewufst, welche Macht das Volk deinu-
thigen werde, so bieten sich ihm nun anf einmal die
Syrer und Ephraimiten nicht nur dazu^ dar, dafs auf
ihr Haupt der noch fehlende Theil der Weissagung^
mit der . sich gerade der Prophet beschäftigt hatte,
nämlich der Fluch des Untergangs, der das fremde
Strafwerkzeitg treffen sollte, gelegt würde, sondern
sie dienen auch dazu, dafs der Prophet seine unbe-
stimmte Drohung cap. 5, dars Feinde über das Volk
herfallen sollen, auf einmal in der gröfsten Bestimmt-
heit erfüllt sieht. Allein wer sieht hier nicht den Wi-
derspruch zwischen der Anschauung in cap. 5. einer»
seits und dann b c. 7. und 17? Wenn c. 5. die Feinde
ganz unbestimmt geschildert werden und kein Mensch^
weifs, woher sie kommen werden, dagegen c. 7. und
17. plötzlich ganz bestimmte Feinde dastehen, da seit
c. 5. nur zufällig durch den Einfall der Israeliten und
Syrer ohne Schlafs geblieben sein? Müfste picht der
Prophet, wenn der Einfall der Verbündeten so unmit-
telbar auf die Vollendung von e. 5. folgte, schon vor-
her von den Absichten der Feinde gehört haben und
konnte er denn nicht seiner Schilderung der Feinde
in c. 5. die gehörige Bestimmtheit geben? Oder wenn
der Einfall der Feinde nicht so schnell auf die Abfas-
sung von c. 5. folgte, wenn er noch so weit hinauslag,
dafs der Prophet mit der Drohung' in c. 5. beschäftigt.
761
Hendewerk^ des PropAettn Jesaia lVei§9ag9mgen*
idoht eintnal Ton ihren Plänen etwas erfahren kennte^
ao war ea ihm anoh ganz bequem noch mdgliob, die
trVstende Erg&nznng zu e. 5, wenn sie nicht im Ver»
hei^ehenden liegt, hinzusufügen. So viel ijit also ge-
wifs, daffl o. 5. aeine nachträgliche Ergänzung in c 7.
und. 17. nicht haben Icdnne.
Nach o. 7, 8. 9, wo der Untergang der* verbfinde-
ten Syrer und Ephratmiten Terheil^en wird, filgt der
Hr. Vf. c. 17. ein, wo dieser Untergang für die An*
achaunng bestimmter gestaltet wJrd, und mit c. 7, 10«
läfst er ein anderes Oraicel beginnen, das erst nach
einem längeren Zwischenraum gesprochen sei (p. 192).
Welche Gewaltsamkeit! In c. 7. sind die Weissagnn*
gen und die Erzählung des Umstandes , wie der Pro-
phet zu Ahas ging und mit ihm sprach, eingewebt, da-
gegen c. 17. ist eine selbständige, frei für sich ausge-
bildete Anschauung und diese soll nun zwischen c. 7^
0. und V» 10. eingeklemmt,^ die widersprechendsten For-
men sollen in einander gewirrt seint Der Inhalt \h c.
7^ 7-— 9. u* o. 17. ist derselbe, aber er ist auch der-
selbe mit c. 7, 10 flgd. und die Form in c. 17. ist ebenso
tom ganzen c. ?• verschieden, wie die getrennten Theile
von c 7. der Form nach mit einander zusammenhän-
gen« C« 17. ist aus demselben Anlafs hervorgegangen^
wie Ok 7, aber es ist das vollendete Resultat der da-
maligen Collistonen, die ruhige Uebersichi derselben,
nachdem die erste Aufregung, welche sie mit sich fühfw
ten^ c. 7. geschildert ist« Ohnehin ist der Zusammen*
bang von o. 7, 9. und V. 10 flgd. so eng, djafs hier
keine Trennung stattfinden kann. Sprach der Prophet
c; .7, 7—9. vom Untergang Syriens und Samaria's, so
spricht auch noch V. 16. von der Verödung des Lan«-
des, vor de^en beiden Königen es Ahas graute.
Auf seinen Elntdeckungsreisen auf diesem Gebiete
hat daher der Verf. nicht Land gesehen : was er sdi,
Bind nur Einbildungen, und nach diesen beiden Proben,
die wir gegeben haben, wird man uns erlassen, nach-
EU weise») mit welchem Unrecht er die Weissagungen
a 9, 7 — 10, 4, die sich allein mit Israel beschäftigt,
nnd c. 10, 5-^12, 6, die sich allein mit der CoÜision
zwischen Assur und Jnda beschäftigt, als Eine Weis-
sagung betrachtet. Versuchen wir es mit einer an<le-
ren Seite seines Commentars, nänliqh mit der, die tiöh
mit den geistigen Anschauungen des Propheten beicbäf«
tigt. Yom Sprors Jebovas (o. 4, 2.) sagt der Verf^
er müsse collective Bedeutung haben (p. 120)$ baU
darauf (p. 121) kostet es ihm keine Mühe zu behaojk
ten, der Exeget m&sse in jenem Sprofs den Nesiiit
(also nicht ein Collectivum, sondern eine ausschlie>
fsende Persönlichkeit) finden. Den Davididen c IL
nennt der Verf. bald den Messias, dann wieder tagt
er, der Prophet habe in der Scbildemng dieser Pe^
sönlichkeit den Hiskias im Auge, das heifst doch wohi^
er habe seine Anschauung nur auf den Hiskias
tet, dann wieder, der Prophet halte dem
Musterbild vor, das heifst doch wohl nichts aadereS)
als der Prophet unterscheide die geschilderte Peraiifr
lichkeit als Ideal von der empirischen Persöaliobkdt
des Hiskias und von Allem, was er nach mensehiiober
Berechnung von diesem erwarten konnte* Aber dieser
Unterschied wird wieder aufgehoben und das Gerne
auf den Hiskias reducirt, wenn dier Verf. sagt, wie an
diesem die Weissagung erfüllt wurde , ja auffalieod
erfüllt wurde ; denn dafs die Völker nach dem grofiea
Davididen fragen worden, das sei wirklich geschebeO)
als Merodach Baladan sich nach der Gesundheit des
Hiskias erkundigte (p. 333-^^7). Alles Uefaerschweng*
liehe, was der Prophet in die Schilderung Jenes Davi-
diden flicht und an Hiskias nicht so auffallend erfilllt
wurde, mufs er dann entweder bildKch gemeiat oder
sich selbst nicht klar gedacht haben. Wenn Jeeaisi
sagt, dafs unter der Herrschaft des Davididen aach in
der Natur der Gegensatz aushoben werden soUe^ wie
in der Geschichte, dafs die Feindschaft auch der Thiere
aufhören wfirde, so sei das BHd vom Aufhören derFetod-
Schaft unter den Menschen. Als ob nicht derHebrfter
einen wirklichen Parallelismus des Geistigen und Ns-
türlichen annahm, so* dafs der Unfriede und Kampf der
Geschichte auch den Unfrieilen der Natur zur notlh
wendigen Folge und die Beruhigung der gescbichtfi-
chen Kämpfe ihr wirklich erscheineDdes Abbild u der
Natur habe.
(Der Beechlafe folgt.)
Ji 97.
d: a K r b fi c h e r
für
wisse nschaftl iche
Kritik.
November 1839.
De^ Propheten Jesata TVeüsagungen. Chrono^
logüch geordnet y übersetzt und erklärt roft
£• Z. Hendewert*
(Scblufs.)
Wenn der Prophet in den Tagen des Heils unter
der Herrschaft jenes Davidiäen die Versprengten Israels
c. 11, 11. ans mehreren Ländern von Jeho?a zurück-
geführt werden läfst, so soll er sich schwerlich genau
g^efragt hahen, wie sie nach diesen L&Ddem gekommen
seien (p. 360). Ist denn aber nicht die ideale Voraus-
Setzung für die höchste Vollendung der gesetzlichen
Gemeinde bei den vorexilischen Propheten das äufser-
ste Leiden des Staats, sein Untergang und die Weg-
fuhrung , seiner Bürger in das Land der Heiden t Da
wird der Prophet wohl gewufst haben, wie die Ver.
Sprengten Israels in jene Länder gekommen sind.
Wir haben sd eben gesehen, wie der Hr. Vf. einem
prophetischen Ausspruch die Bedeutung einer Weissa-
gung nimmt und doch wieder zuschreibt, wenn er ihn
80 auffallend erfüllt werden läfst. Da kann uns das
Wunderbarste nicht mehr wundem, da ist es vielmehr
in der Ordnung (p. 262), dafs Hiskias auch in der
„Messiasverkündigung" o. 9, 6. „gemeint sei;" der
Prophet habe denselben, sagt der Hr. Verf., schon vor
seiner nahe bevorstehenden Geburt als den Heiland
Israels bezeichnet. Man mufs gestehen, der Prophet
hatte einen glücklichen Treffer.
Läfst uns der Hr. Vf. hier ganz im Stich, wenn
wir uns nicht die unwahrscheinlichsten Dinge aufheften
lassen wollen, so steht es uns noch frei, in grammar
tischen Dingen bei 'Am unser Heil zu versuchen. Mit
nicht geringen Erwartungen sollten wir, uns eigentlich
seiner Belehrung anvjertrauen, da er sowohl in diesem
Coumientar als auch früher in seinem Buch über den
Obadja seine Unzufriedenheit mit dem gegenwärtigen
Jahrb. /. wüientcK Kritik, /. 1830. II. Bd.
Stand der hebräischen Grammatik ausgesprochen hat.
Untersueheu wir nun an einigen Beispielen, ob er we-
nigstens jenes der Exegese nächtheiligste Vorurtheil
abgelegt hat, jenes Vorurtheil, dafs Worte aufser ihrer
ursprunglicheii Bedeutung alles Andere,, auch wohl
das Gegentheil, bedeuten können. 3 heifst bekanntlich
„wie,*' es vergleicht und setzt das Verglichene als ähn-
lich. Oft aber behauptet man, es setze nicht «nur die
Aehnlichkeit , sondern auch die vollkommene Gleich-
heit, die reine Ucbereinstimmung, es sei dann das
Caph veritatjs. So auch unser Exeget zu Jes. 1, 7.
Der Prophet beschreibt hier, wrie zur Strafe für die
äufserste Verderbtheit des Volks Fremde in das Land
fallen, es verwüsten und verderben. Euer Land, sagt
er, ist wie eine Zerstörung durch Fremde* (nSOnOS).
Hier drücke also das 3 das vollkommen Gleiche aus*
Allein wie kann ein Wort, das die Aehnlichkeit aus-
drückt, die vollkommene Gleichheit bezeichnen, die
Aehnlichkeit enthält in sich selbst nicht nur die Gleich«
neit, sondern auch nothwendig die Ungleichheit, und
diese logische Bestimmung wird auch die Sprache als
der angemessenste Ausdruck des Denkens nicht ver-
letzen können. Das „wie'' wird immer entweder durch
den Zusammenhang an sich seine Beschränkung ha-
ben oder sie durch einen ausdrücklichen Zusatz des
Redenden erhalten. So auch hier Tl^SnO, der termi-
nus technicus von der Zerstörung Sodom*s und Gomor-'
rha's bezeichnet die völlige Zerstörung, die nichts unver-
sehrt läfst. Das 3 in der prophetischen Stelle be*
schränkt nun die Uebereinstimmung des Looses von
Juda mit dem Schicksal einer solchen völligen Zer-
störung, es setzt zugleich eine Ungleichheit und diese
Beschränkung giebt der Prophet auch sogleich V. 8.
an, wenn er sagt, dafs Zion übrig bleiben würde, und
um keinen Zweifel über seinen Sinn zu lassen, sagt er
sogar V. 9, dem Schicksal Sodom's und Gomorrha's
97
1
771
Hsndewerkj de§ Prapiei^m J^umia ff^eÜHigumgsn.
772
wfirde das Geschick des Volkes gleicbeO) wenn nidit
Jehova einen Rest übrig liefse.
Viele Qaaal hat anch den Exegeten die Partikel
^P gemacht, auch der Verf. bat sie nicht mit heiler
Hiint davon kommen lassen, er hat wenigstens gewalt*
sam mit ihr verfahren müssen. Von einem Worte,
das „denn'* heifst, also etwas als Wirkung mit seiner
Ursache zusammenschliefst, sagt er öfter, es gebe den
Gegensatz an. So <• B. Jos. 2, 6. Es bleibt hier bei
der Erklärung Hitzig's: Haus Jakob's, Du hast Dein
Volk, ni&mlich Dein Volkswesen, Deine Nationalität
aufgegeben. Denn, fährt der Prophet fort, alles ist
angefüllt mit morgenländisoher Zauberei. Hier geben
die Worte: „Denn, Hans Jakob's, Du hast Dein Volk
verstofsen'* den Grund dazu an, wie der Prophet dar-
auf komme, das Volk dazu aufzufordern, es solle im
Licht Jehovas wandeln. Es thne Noth , es bedürfe
dieser Aufforderung, denn es habe die Würde seines
Volkswesens preisgegeben und mit ausländischem Göt-
zendienst vertauscht. „Doch" fibersetzt der Verf.
9^3 Jes. 5, 7. Aber auch hier ist es „denn." Die
Parabel vom Weinberg, der dem Herrn trotz aller
Pflege nicht seine Früchte brachte, geht vorher. Erst
sprach der Prophet so, wie er in der ParabeF mufste,
als ob der Herr des Weinberges irgend Jemand sei,
der das Volk nichts angehe^ Aber diese Maske fiillt
V. 6, Jehova tritt selbst sprechend ein, er sagt : ich
will zur Strafe vom unnützen Weinberg den Regen ab-
halten und nun erklärt der Prophet V. 7. mit '^D, wie
Jehova auf einmal zu diesen Worten komme, denn er
sei jener Besitzer und das Volk sein Weinberg.
„Einen Gegensatz" soll "^3 auch e. 7, 16. ange-
ben. Der Prophet hatte aber V. 15. am Ge;schick des
Sohnes der Jungfrau, dessen Geburt für seine An-
schauung unmittelbar gegenwärtig ist, das Schicksal
des Volks bestimmt. Ungefähr drei Jahre würde das
Land verödet sein und würde, man keine FeldfrQchte
geniefsen können. Warum so lange 1 ist hier die Frage.
Auf dies Warum antwortet der Prophet: „denn nicht
früher und nicht später werden die feindlichen Könige
gedemiithigt sein'* und nicht früher und nicht später
wird man' das Land wiäder ruhig bebauen können, so
dafs man erst in drei Jahren wieder den Ertrag des
.Landes wird geniefsen können. Also auch hier he«
gründet O.
Noch einen grammatiseben StofsseiifiMr! Der Hr*
Verf. nennt die neuere Einsicht in die Natur des iwsi*
ten Modus des hebräischen Vcrbam, dafs er oft; das
darchgehende, bleibende und aus dem Wesen des Sub-
jekts folgende Verhalten bezeichnet, eben Irrtham.
Wenn zum Beispiel Jes. 11, 6. 6. Jehova Assnr dea
Stab seines Grimmes nennt und diesen Dienst Assar^
näher angiebt, dafs er ihn gegen das Volk seines Un«
willens sendet, so ist doch diese Sendung, der Assot.
dient, das an ihm Wesentliche und mit seiner weltgsi
schichtlichdn Stellung, dafa er der Stab des Grimin'i
Jehova*8 ist, nothwendig Verbundene. Indem der Pi^
phet Assur sagt, reflektirt er auch nicht darauf, oli
die göttliche Sendung durch einen König oder mehrei«
erfüllt wurde, sondern Assur als dieses Reich ist ihm
ein Subjekt, das sich als Eines anch in der Folge der
Könige erhält. Und da ist doch um so mehr der Dieii4
Assurs etwas Dauerndes nicht nur, sondern ein notb*
wendiger, sich beständig gleichbleibender Ausflofs von
der geschichtlichen Stellung des Weltreiches. Falsch
ist es daher, wenn der Hr. Verf. V. 6. übersetzt uod
erklärt : ich will ihn senden, statt ich sende Assur, da
er nämlich mein Stab, mein Mittel zur Ausfuhnmg
meines Rathschlnsses ist. Ebenso bezeichnet V. 7. der
zweite Modus die bleibende, durchgehende Gesinnaog,
welche Assur beständig in seiner weltgeschicbtlichea
Stellung habe.
Endlich bemerkt Ref. noch, dafs vorliegender Com-
mentar auch aicht im entferntesten den Anspruches
genug thue, die man an die Gescbicbtsanschanung ei-
nes Erklärers von der Zeit, in welche der Gegenstand
seiner Erklärung fällt, gegenwärtig stellen mufs« Die
Erläuterung eines schriftstellerischen Werkes soll zwar
die Zeit, der es angehört, selbst erst aufzubellen die-
nen, aber zu ihrer nothwendigen Voraussetzung mufs
sie eine allgemeine Uebersicht und Anschauung der
betreffenden Zeitverhältnisse haben. Die Propheten
wurden durch die äufserste Collision des gesetzlichen
Bewufstseins und des Naturdienstes hervorgerufen oiid
ihre Anschauungen können nur durch die Einsicht in
jene Collision verstanden werden. So lange man aber,
wie der Hr. Verf. z. B. p. 65, voraussetzt, dafs der
Götzendienst -neben dem Jehovadienst bestanden habe,
so lange man nicht die Gefahr erkennt, in welche das
hebräische Princip gerieth, da es nicht nur neben dem
Götzendienst bestand, sondern mit der natfirKchen An*
DirtMmy mmmaU ImtimUMs fmtimm Jurü cü/iiü rwumorum.
778
sdiaiinBg hnig svMrmmeMWQobs» so laoge witd man
weder die allgemeiDe Stellung der Propheten noch die
Tolle BedeafuDg ihrer einzelnen Aassprüche verstehen
lernen. Wie wenig der Hr. Verf. sieb ttberhanpt um
die neuere Bewegung, in welche die Gesohichtsan-
nebauung versetst ist, bekümmert bat, beweist die An>
Bierkung p. 48, in der er die drei Hauptfeste der He-
bräer erklärt,, wie man es früher in Büchern für £le>
nMutarsebuloQ finden konnte. Als erwache er aus ei-
nem Traume, nicht anders bemerkt er am Schlafs
seines Buches, dafs über dergleichen Dinge -doch auch
andere Ansichten vorhanden seien, und erinnert er den
Leser im Yerseichnifs der Druckfehler und Zusütse,
eine neuere kritische Schrift über die Jüdischen Feste
xn vergleichen. Es ist ähnlich, als wenn ein Leser
am Ende zu Calvin's Conunentar in den Evangelien
-die Bemerkung hinschreiben wollte: doch vergleiche
das Leben Jesu Ton Straufs, oder es ist nicht einmal
ftbniicb, da sich doch Calvin schon genug mit den Wi-
dersprüchen der Evangelien beschäftigt bat.
Summa: dieser Commentar hat nicht die gering-
ste Bedeutung für unsere Zeit.. Seine philosophische
Dürftigkeit wollen wir nicht der Herbartschen Pbiloso*
pbie anrechnen, wir wollen es nicht so wie jene ma-
chen, die von einer mifsrathenen theologischen Schrift
auf die Nicbtijgkeit oder Schädlichkeit der Philosophie,
die ihren Hintergrund bildet, scbliefsen, obwohl in der
That der Herbartschen Philosophie auf religionsphilo-
sophischem Gebiete schwerlich Loi^beeren wachsen
möchten. Aber selbst nach der Philosophie, zu der
er sich bekennt, hätte man von dem Hrn. Verf. wenig-
stens feine psychologische Erörterungen erwarten kön-
nen. Doch auch hierin hat er so wenig geleistet wie
in allen anderen Punkten, die bei der Erklärung eines
Propheten wie Jesaias in Betracht kamen. Der Prä-
tension aber, mit der der Verf. sein Werk einfuhrt
und mit der er überhaupt in den einzelnen Erklärun-
gen verfährt, gebührte es, dafs seine Leistung in ihrer
ganzen Oberflächlichkeit, Unklarheit und Nichtigkeit
hingestellt wird.
B. Bauer, Lio.
774
LI.
Manuale latinitatü fontium *iurü civilis rqmano^
rum. Thesauri latinitaiis epitomej in usutn
tironumj Auetore Henrico Eduarde Dirk^
> seny Jurisconsulto. Beroltm, impensis Dun-
cieri et Humblotii. 1837—1839. 4.
So lange die Anzahl alphabetisch geordneter Hülfs-
werke zur Terminologie des römischen Rechts geringe,
nnd von einer Auswahl für die Mehrzahl der Käufer
gar nicht die Rede war, mufste auch bei dem wirk-
lich Vorhandenen weit öfter das Bedürfnifs der Voll*
ständigkeit, als das der Pianmäfsigkeit und Conse-
quenz fiihlbar , werden ; und wer sich durch Neigung
oder inneren Beruf getrieben fand^ an den Arbeiten
eines Vorgängers nachzuhelfen, dem konnte dieses
Geschäft des Ergänzens sogar um so leichter erschei-
nen, je weniger • er dabei des ursprünglichen Planes
gedachte oder bewufst ward. So mufste denn allmäh«
lig der ächte Stamm mit so mannichfacbem Auswuchs
nnd fremdartigem Ansatz überdeckt werden, dafs emer
wirklich planmäfsigen Fortbildung vor Allem die wenig
lohnende und selten gehörig anerkannte Mühe des
Säuberns und Ausscheidens würde vorhergehen müs-
sen. ' Wer aber unter solchen Umständen sich dordi
Kraft und ernsten Willen berufen fühlt, vielmehr ein
neues Werk von Grund aus aufzuführen, der kann
fiir die Selbstständigkeit seiner Arbeit keine andere
Bürgschaft geben, als durch strengbegrenztes Festhal-
ten an dem eigenen, wohlbedachten Plane*
Dies ist im Wesentlichen das Verhältnifs des vor^
liegenden Werkes zu seinem Hauptvorgänger, dem
bekannten Buche des Brissomus de Verborum Signi«
ficatione. Denn nur an dieses haben wir hier zunächst
zu denken, da die älteren Arbeiten des Alexander a6
Alexandre und des Alciaius als unvollständige Vor-/
suche, die des Albericus de Hosate^ des At^tonius
Neirissensssj Jacob Spiegel und Johann Oldendorp
aber wegen ihrer vorherrschenden dogmatischen Rich-
tung weniger in Betracht kommen. Nur in Hetoman^s
Commentarius de .verbis iuris, welcher zuerst (1558)
nur um ein Jahr früher, in der zweiten Ausgabe (1559)
aber gleichzeitig mit der ersten des Brissonius er-
schienen ist, hatte dieser einen würdigen, hin und wie-
der sogar einen überlegenen Rivalen, dem es aber
doch auch an^ gehöriger Sonderung des Terminologi-
775
Diriieti^ mantude tatinitatü /bntmm juris
ronumomm*
77(5
8oheo von einem Real- und Aotiquitätenregister inan-
geltey uod^ dem jedeDfalls die Gunst deB Publikams
viel weniger zu Statten gekommen ist, als dem Werke
des Brissonius. Denn während von Jenem xwar an-
fangs öftere, dann aber bereits im Jahr 1599 der letzte
Abdruck erschienen ist, wurde dieses schon nach der
ersten Ausgabe 1587 in Frankfurt nachgedruckt, und
der zweiten Original -Ausgabe Tom J. 1596 folgten
theiis neue Nachdrücke (zu Genf 1657, zu Frankfurt
1657), theiis vermehrte Ausgaben von Tabor^ liter
und Heineeeiu9 (1683 und 1697 zu Frankfurt, 1721
und 1743 zu Leipzig), denen sich auch neuerdings
noch die Nachträge von Wunderlich (1778) und
Cramer (1813) ausdrücklich als Zugaben angeschlos-
sen haben. Auch lUchter'^s tractatus de signilicatione
adverbiomm in iure (1662) Und Strauches lexicou p.ar-
ticqlarum iuris (1671, 1684, 1719) lassen sich als sol-
che Zugaben betrachten. Dafs aber Pratejus^ Sehardy
CalvinuM und Ftcat durch ihre neueren Compilationen
und Auszüge dem Ausehen des Brissonius keinen Ab-
brach thnn konnten, ist lediglich ihrer eigenen Nach-
lässigkeit zuzuschreiben. Nur Gothofireds glossarium
nomicum zum tbeodosischen Codex bildet eine an
Tüchtigkeit und Selbstständigkeit gleich bedeutende
Ausnahme, die zwar ihres specielleren Gegenstandes
wegen kein allgemeines juristisches Lexikon ersetzen
konnte, aber doch auch bei dieser Gelegenheit auf die
vollste Anerkennung Anspruch machen darf.
Wie nun das Werk des Brittonius^ und die neue-
ren Arbeiten des Hrn. G. J. R. 'DirJksen sich zu ein-
ander verhalten, darüber verdanken wir diesem Letz-
teren .selber die besten Aufschlüsse. Denn nachdem
er schon im J. 1828 eine literarische Uebersicht seiner
Hauptvorgänger und ihrer Schriften (im zweiten Baude
des Rheinischen Museums für Jurisprudenz) gegeben,
hfit er im Jahre 1834 in einer besonderen Schrift:
System der juristischen Leacicographie^
theiis diese uebersicht erweitert, *) theiis seine eigenen
*) Diese Erweitemngen betreffen hauptsSchlich die ersten,
meist ungedruckten Anfänge der juristischen Lexicographie
und deir in Kiel bfelindlichen lexicographischen Nachlafs ron
Cramer, Zu den ersteren gehört u. A. ein durch ScJirader
bekannt gewordener Libellus de verbii legalibui in einer
Uandschrift zu Turin, zu dessen Verständnifs der gelegent-
liche Beitrag hier gestattet sei, dafs die S. 21, 22 erwfibn-
Grundsätze den Juristm und Philologea zur Torlftsfi.
gen Prüfung vorgelegt.- Wir wollen daher versacben,
aus dem kurzgedrängten Inhalt dieses Büchleins ti-
nige dfer entscheidendsten Ansichten hervorzuheben.
„Die scharfe Abgrenzung des von Brissonias col-
tivirten Gebietes, bemerkt unser Verf. (S. 42 ff. die-
ser Schrift), bildet die Lichtseite seiner höchst ve^
dienstlichen Arbeit; und die nicht zu verheimlichende
Schattenseite derselben ist zum grofsen Theil daher
zu erklären, dafs er seinen Plan nicht überall mit der
erforderlichen Consequeuz durchgeführt hat. Er wollte
nur für die Ergründung der Terminologie wirken, nicht
aber fiir ein vergleichendes Sprachstudium zunächst
thätig sein. Das Dogniatische, so wie das Aotiquaii-
scbe, in sofern es jenem Zweck nicht unbedingt dienst«
bar war, sollte mit allen seinen Anhängen ansgeschles-
sen bleiben. Er hatte ja dem AntiquarischeL in dein
gleichzeitig edirten Seleetae AntiyuitateSy der Paläo-
graphie und Orthographie aber in dem seiner Schrift jD<
K S. angehängten Liter singularis I^arergwn Gt-
nüge zu thun gesucht, und mochte hinsichtlich der ro-
mischen Formelkunde schon damals mit dem spater
(1583) bekanut gemachten Werke De Formulis um-
gehen. Diese Begrenzung seines Unternehmens be-
wahrte ihn vor manchen Verirrungen des Hotommim^
und gab seiiv^m Werke eine intensive Tüchtigkeit and
Vollständigkeit, die ungeachtet aller Mängel der Aus-
führung nie genug gerühmt werden kann. Mit richti-
gem Tact ging er darauf aus, den SprachgebrauGii
der römischen Juristen, so wie dieser in Justinianf
PandectelQ vorliegt, nach allen Seiten bin zu erfo^
sehen} die übrigen jurislischen Quellen, der früheren
so wie der späteren Zeit, sind zwar nicht unberück-
sichtigt geblieben, doch hätte in deren Benutzung un-
gleich mehr geleistet werden können. Die Auswahl
der aufgenommenen Eigennamen verdient am wenig-
sten Beistimmung; denn man weifs bei vielen dcrseU
ben nicht, aus welchem Grunde sie berücksichtigt und^
dagegen andere übergangen sind. Auch in der Kritik
des Textes der Quellen und in der Benutzung der Li«
teratur läfst Brissonius Manches zu wünschen übrig.
ten Worte ,yditronnaeio'' für „euictio" und „oriinationi'' für
„über qui fit ab aliquo antequam moriatur," offeDbar in dii'
ralionaiio (Tgl. Ducange s. v. 4iraUonariJ und in oriiM'
iione umzuwandeln sind.
(Die Fortsetzung folgt)
w 1 8 s e n
Jahrbücher
für
Schaft liehe
N,ovember 1839.
Kritik.
ihnmale latimtaüi fantmm iuris civilis romanO"
rum. ^Thesauri latinitatis epiiome^ in usum
tffonum, Auctore Benrico Eduardo Dirksen.
(Fortsetsung.).
Demi obgleich eioer streitigeD Lesart bisweilen ge-
isebt, }9^ wohl . gar ein eigner Yersucb xu deren Be-
tiohtig'/ng. gemacbt wird^ so ist doch Beides auch bei
lehr dringenden Veranlassungen unterblieben^ gleicb*
> wie eine Bezogaahuie auf die reicbe Literatur der da*
maligen Zeit fast absichtlich umgangen zn sein scheint.*'
Diesem auf manche specielle Belege gestützten Ur-
theil hat unser Verf. etwa Folgendes über seinen eige-
nen Plan gegenübergestellt:
Die Lexikographie des classischen Alterthoms
bisse sich überhaupt in eine onafytüeAe und eine syn-
m
ihetiscAe Methode zerlegen. Jene fasse eine jede
Quelle zBDlicbst vereinzelt auf, um aus der Vcrglei-
chaog ihrer Elemente zu den Resultaten aufzusteigen,
sie sei gewrissermarsen die prioritivs Form jeder quel-
lenmäfsigen terminologischen Forschung. Diese hin-
gegen, die synthetische Methode, schalte mit dem be-
reits durch Kritik uud Exegese gewonnenen Material,
osd benutze dasselbe rückwärts zur Berichtigung uud
Erläuterung jedes einzelnen Autors. Demohngeachtet
aber bilde die^ analytische Methode keinesweges blos
eine Vorarbeit für die synthetische $ sie gewähre ihren
eigenthümlichen selbstständigen Vortheil, während an-
' dererseits die synthetische Methode ohne gehörige Vor-
siebt keine sicheren Resultate verbürgen könne. Der
Sjnthetiker, sagt unser Verf., rückt die Beweiskraft
der Quellen -Texte in den Hintergrund, während der
Analytiker uns, aufser dem Resultate selbst, auch das
gesamnite Rüstzeug der Forschung in Kauf giebt. Je-
ner ist, seinem Glaubensbekenntnifs zufolge, mehr
Dogmatiker und Systctnatiker als Kritiker. Er ver-
trauet einer feststehenden Auslegung des Quellentcx-
Jahrb, /. triffeiifcA. Kritik. /. 1830. II. Bd.
tes, und ist biosichtlich der Wort-Kritik selten skep-
tisch, oft sogar indiiferent« Die Nachwirkung verjähr-
ter terminologischer Fehlschlüsse aber dürfte zu allen
Zeiten anhaltender gewesen sein, als die Fortpian-
zungsrähigkeit dogmatischer Fehlgeburten. IHe analy-
tische Methode hingegen nimmt zwar keinesweges
eine Untrüglichkeit ihrer Resultate in Ansprodi, ihr
wesentlicher Vorzug besteht aber darin, dafs die Form
der Begründung ihrer Schlüsse gleichzeitig das Cor-
rectiv für ihre möglichen Jrrthümor darbietet«
Da nun bei jedem bedeutenden Autor -eine gewisse
Eigenthömlichkeit des Ausdruckes sich beinahe von
selbst versteht, so hätte namentlich denen, deren ter»
minologische Studien sich auf die Scbriftea eines ein*
zelnen classischen Autors beschränkten, die analyti-
sche Methode weniger fremd bleiben sollen. Aileia
die Unternehmungen dieser Gattung berühren nur auf
der Oberfläche das Gebiet der Lexicographie, indem
sie sich vorzugsweise als blofse Promtuarien geltend
machen. (Verkennen wir indessen nicht die musterhaf-
ten Ausnahmen, die doch von manchen Philologen, %.
B. von Ernesti im index latioitatis seiner clavis Ci-
ceroniana, aufgestellt worden sind.) Sobald aber über-
dies neben dem allgemeinen classischen Sprachschatz
das Vorhandensein eines mehrfachen Cyklus von Kuosf-
auminickeu für besonders abgegrenzte doctrioaire Ge-
biete nachgewiesen werden könne, erscheine es unzu-
reichend, diese technische Terminologie ausscbliefs-
lieh als eine willkürliche Varietät der allgemeinen Le-
xicographie jener Spruche gelten zu lassen » uud die-
ser Fall sei vor Allem bei dem Formelwesen der r5«
mischen Rechtskunde vorhanden.
Wenn nun die analytische Methode bemuhet sei,
die äufseren Kriterien jeder einzelnen Vt^ortbedeutung
entschieden hervortreten zu lassen, so habe sie dabei
durchweg auf drei Kriterien zu sehen: auf die Syn^
nymetij auf die Gegensätze und auf die eigentbümli«
98
779
iiirkseny manuale latiniiaUs /bnfium jurü oMlis roman^rmn.
780
oheo Formen der Redeverbindung. ^ Diese Elemente
seien es, welche überhaupt das Gerüste für den ge-
sauimten, überreich gegliederten Bau des römischen
jucistischen Sprach-Schatses trügen.
Von den Synonymen ynd den Gegensätzen verde
in den Quellen ein ungleich bedeutenderer Vorrath
dargeboten, als mau nach der bisherigen Nichtbeach-
tung dieses Hülfsmittels vermuthen sollte. Denn zu
den Synonymen seien auch die fUMchreibcfiden Re-
deformen (also namentlich auch die eigentliohim Defi'
nüianen\ die Ausdrucksweisen vene/Uedener Zeital-
ter^ so wie die CoUectiV' oder indirekten Bezeichnun-
gen zu rechnen; wogegen freilich unter den Qeget^
eätxsn nur die directen^ nicht aber die indirecten Ge-
gensätze aufzuführen seien, indem letztere vielmehr in
das Gebiet der Redeverbindungen gehörten. Indirecte
Gegensätze aber seien theils solche, „welche einander
im Allgemeinen nicht nothwendig ausschliefsen, ja die
sogar auf demselben Grundbegriff beruhen können,
und nur in der Anwendung auf einen besonderen Fall
sich nach entgegengesetzten Richtungen zertheilen" (al-
so wohl relative Gegensätze), theils die Zusammen-
stellungen Verachiedener Begriffe, denen eine Und die^
selbe juristische Wirkung beigelegt werde — (also
hauptsächlich wohl solche Fälle, in welchen verschie-
dene Begriffe durch die Partikeln aut^ veiy eive u. s«
w. verbunden erscheinen).
Minder unmittelbar beweisend für einzelne Wort-
bedeutungen seien die, dem Lexikographen sogar durch
ihre Fülle oft peinlich werdenden Hedeverbindunget^ —
das einzige Hülfsmittel, dessen die früheren Lexiko-
graphen sich bedient, dabei aber öfter, theils durch
verfehlte Anwendung allgemeiner grammatischer Ge-
sichtspunkte, theils durch unpassende Einmischung
dogmatischer Resultate geirrt hätten. Alles sei hier
an der richtigen Auswahl gelegen, denn eine Vollständig,
keit an Wortformen von minder unmittelbaretn Interesse
würde trostlos bleiben. Und unerreichbar — setzen
wir hinzu, so sehr wir übrigens auch die gröfetmögli-
che Vollständigkeit in den Registern zu einzelnen Au-
toren (wie in dem Promtuacium von Elvers zum Ga-
jus) oder zu kleineren Rechtssammlungen, als zweck-
mäfsig und verdienstlich anerkennen müssen.
Nicht zur Verkleinerung des dem Verf. gebühren-
den Verdienstes einer grundsätzlichen Sonderung die-
ser drei Elemente, sondern nur zur Entschuldigung
seiner Vorgänger, möge übrigens hiebe! noch der Ein-
wand gestattet solo, dafs doch diese Letzteren des
Vorwurf, die Berücksichtigung der Synonymen and der
Gegensätze durchaus versäumt zu haben, niöbt bo
schlechthin verdienen dürften, da ihnen vielmehr alle
drei Hülfsmittel schon unter dem gemeinsamen Begriff
der Redeverbindungen vereinigt erscheinen konnten.
Denn so wie der Verf. selber anerkennen mufs, dafg
die indirecten Gegensätze, ihrer möglichen uneodlichen
Modificationen wegen, nur so den Redeverbindnnges
zu stellen sind, eben so kann auch in sehr vieien, viel-
leicht in den meisten- PäHeo, ftr die s.g. directen Ge*
geusätze und für die synonymen Wortbedeutungen
der rechte umfang und die nöthige Schärfe erst aua
dem Zusammenhange des Satzes oder der Sätze, wor-
in sie ausgesprochen sind, hervorgehen. Beides, Sjn«^
nyma und directe Gegensätze, sind also im Grunde
nur besonders erhebliche Fälle der RedeverbindungeO)
ZU denen alle übrige Fälle sich als eine dritte meb^
verworrene Classe verhalten« So ist denn anoh diese
dritte Classe die einzige, die bei keinem lexikaliscben
Artikel unserem Verf. fehlt und fehlen konnte, während
das Vorkommen der ersten oder zweiten Classe überaO
etwas Unregelmäfsiges bleibt, alle drei neben einath
der aber in der That nur ausuahmweise zu fio*
den sind.
Uebrigens verdient es noch eine ganz besondere
Anerkennung, dafs der Verf. die grofsen Scbwierigkei»
teu jeder Auswahl aus solchen Redeverbindungen nicbt
blos umfänglich erwogen, sondern ihnen auch durch
Aufstellung allgemeiner* Grundsätze zum Voraus zu
begegnen gesucht hat. Denn so grofs auch die Ve^
suchung zu sein sdieint, sich hierbei hauptsächlicli
durch die besonderen Umstände jedes einzelnen Falles
leiten zu lassen, so wenig würden doch auf diesem
Wege die handgreiflichsten Inconsequenzen zu veruiei*
den gewesen sein.
Nach diesen einleitenden Erörterungen werden in
dem ersten Capitel der obgcdacLten Schrift die Oren*
xen und die Quellen der cimlietieehen Lexikogro*
phie genauer ermittelt. Vor Allem öei dieselbe in die
der lateinischen und die der griecAiscAen Spraclie ta
zerlegen. Letztere blos gelegentlichNZU behandeln, e^
scheine bedenklich, da die griechisch verzeichneten
Quellen des römischen Recbts bedeutend genug seien,
um ein umfassendes sprachliches Studium derselben
781
Birlhmy mamaai^' IkeAtdMiü /bniäum jffm» ^MVt rMmnortsm,
782
gkidi iriDMbeiiswvrA Md Mobnend [t] erMheiDen
ta lassen; wogegen frsüicb die ErforsoboDg der Lati-
niMI der rdmiseheii Reebtsqvellen noch keiiieewegeB
snr Aaescbliefenag aller hier sieb findenden Wörter
liellenisehen oder barbarischen Ursprunges nöthige
(S. 5». 00>
Die juMiinianueiken und ^ie Ueberreste der vor-
fU9timanuek0n Recbtsbflcber seien aber der Mittel-
panct dieses lateiniscben Qaellengelrietes ; alles Uebrige
.lasse sich unter den Begriff Ton Jn(/Srquellen zusam-
menfassen. Weder die Constitutionen der christlichen
Kaiser, nodi die Ueberreste älterer Gesetze oder son*
atiginr Juristischer Urkunden seien unbeachtet zu laa-
aea^ ietsteren aber ihr Platz in einem besonderen
Mterariscben Apparat aofzubewabren. Eben dahm, und
das auch wohl mit gr6fserem Rechte, würde nach des
Verfs. Plane die antiquarische Ausbeute ans den top-
sogsweioe s* g. Classikem, den Grammatikern, dea
Schriften des Festf$*j Cato^ Varto zu Torweiaen sein.
In orthographischen Dingen will unser Verf. —
ttkl warlcdnnte ihm darin widersprechen? — die SchreilK
weise der Juristen, und nicht die der nichtjnrisfisehen
Ciassiker, festgehalten wissen) selbst da, wo erstere
nar ans der Majorität Terscbiedener handschriftlicher
Zeugnisse zu ermitteln wäre« Dafs aber zugleich die
Folge der> Wörter bei zusammengesetzten juristischen
Konstausdrucken als höchst unerheblich bezeichnef,
und deren Berücksichtigung beinahe mehr CDtschuldi»
fS%t als ftr wesentlich erklärt wird (S. 64), das wür-
den wir einem Autor, der sich doch auch die Berück*
sicbtigong der Wartvsrbindungen grundsätzlich ztir
Angabe gemacht hat, als eine Inconsequenz Tdrzu«
rlleken Torsucht sein, wenn uns jene Aeufsemng recht
ernstUch gemeint oder etwa anf einer Verkennung der
bedeutenden Verdienste Bugo^s um diesen Zweig der
jnristischen Sprachkunde zu beruhen schiene.
Nachdem am Schlüsse des ersten Capitels auch
noch für die Auswahl der lexikalischen Artikel^ na-
mentlich in Beziehung auf Partikeln und auf Eigcnna^
meO) die leitenden Grundsätze kurz angedeutet wor-
dca, bat der Verf. in einem xweitef^ Gapitel di6 innere
Oeeonomie der einzelnen Artikel, als den eigentlichen
Mittelpnnct und den Prüfstein ftir sämmtliche Leistun-
gen'der Lexikographie, umständlich erörtert. Die
SonderuDg der Vulgären und der technischen Bedeii-
tuBgen der Wörter sei hierbei unstatthaft, und keiner
consequenten Durch Abrung fÜAg\ es komme Tielmehr
darauf an, bei Jedem einzelnen Ausdruck die wirkfich
selbständigen furiitieehen Bedeutungen scharf zu son*
dern, und in angemessener — ^ nicht et^ca, wie melsl
bei BriseonüiSj in alphabetischer — Folge, sn ordnen.
Wie aber bei Weitem die Mehrzahl der selbständigen
Wortbedeutungen nur durch indirepte Quelienzeugniss^
Erhärtet werde, und wie erst durch umsichtige Somjo-
Tnng dieser Tersohiedenen Bedeutungen auch die Syn^
njmen und directen Gegensätze eine ontrugliche Be-
weiskraft erhielten, . das zu zeigen, sei , eben die Auf-
gabe der analytischen Lexikographie.
Das Gewebe Aeser speciellen Erörterungen ist
aber so fein, dafs wir es zerreifsen mürsten, wollten
wir einzelne Fäden desselben hier aus dem Zusam-
menhange berrorzubeben yersuchen. Es bleibt daher
«ur noch des dritten Capiteh zu gedenken, worin der
Verf. sich schlierslich aber die Auswahl der Beweie*
•etellen^ und über den, in die Noten unter den Text
«n 'Tcrweisenden Apparat erklärt hat. An jene Aus-
wahl — denn absolute Vollständigkeit würde auch hier-
bei nur den Herausgebern einzelner Autoren oder
Rechtsqnellen zu überlassen sein — knüpft der Verf.
zugleich die Frage über die Ferm der Citate, wobei
natürlich jede Raumersparung, die ohne Einbufse an
Deutlichkeit und Bestimmtheit möglich bleibt, durch
sich selbst empfohlen ist. Nur darin können wir dem
Verf. nicht beistimmen, dafs er die namentUche Erwäh-
nung jedes einzelnen Juristen oder Kaisers, Ton denen
eine in den Rechtssammlungen enthaltene Stelle ange-
führt wird, für entbehrlich und selbst für bedenklich
hält. Mag es sein, dafs mitunter eine solche Angabe
irreleiten könnte, weil etwa der erwähnte Ausdruck
Ton dem angeblichen Autor nicht unmittelbar gebraucht,
sondern nur aus älteren Quellen referirt wäre, oder
weil derselbe blos auf einer Interpretation Tribonian's
beruhen möchte ; immer bleiben dies doch nur Ausnah-
men, welche sich sogar durch Fragezeichen oder dergl.
andeuten lassen, während in der Regel der Name des
Autors einem sorgsamen Interpreten wünscbenswerth,
oft selbst unentbehrlich bleiben mufs. *- Den Appa'
rat endlich theilt unser Verf. in den kritischen und
literarischen \ Tielleicht hätte sich noch der antifua^
riechcj den der Verf. als zum literarischen gehörig
betrachtet, besonders nennen lassen, so weit derselbe
überhaupt im Texte entbehrlich wäre $ allein anf eine
783
D^Jitettf manuaU latittiMü ftntiitmJurU oMü* tvmmPi'Wk-
m
^etflUltrte .Cla8i|ificiruDg der Notep kunn 09 ja über-
haupt oioht we^CDtlioh ankomineD. Die Hauptsache
bleibt, dar« der gesammte Apparat boehst zweckmäfai-
ger \yei8e dea fortlaufendea Notea unter dem Text
eiaverleibt werden soll.
So Tiel über das lexikographische System unsres
Verfassers. Um aber dasselbe durch einen genauen
Maafsstab noch anschaulicher zu maoheU) hatte er zu
gleicher Zeit auch schon einige Proben 4e6 uaternom«*
imnen Hauptwerks, unter dem Titel:
Thesauri latinitatis fontium iuris ciTilis romanorum
specimen,
herausgegeben 9 worin an mehreren Artikeln der Ter-
achiedensten Art die Durchführung jenes Systems mit
unverkennbarer Consequenz bewährt worden ist. Wer
es bei diesen Artikeln darauf anlegen wollte, das Ma>
terial durch Nachschaltung einzelner Redeverhindun^
gen oder Quelleucitate zu vennebrcn, würde zwar ei-
. mgf, aber schwerlich za|ilrciche Nachtrüge liefern koür
nen^ allein in beiden Beziehuugen liegt, wie schon
bemerkt, aSsolute Vollständigkeit gar nicht im Plane
des Verfs., und nur das, was nach seinem eigenen
Plane nicht fehlen durfte, würde ihm als ein Mangel
vorzurücken ^sein. Einen solchen habe ich nur etwa
bei -dem besonders schwierigen Probeartikol esse fiu-
den können, . in welchem zum ^. 5,,, wo dieses Wort
in der Bedeutung von competere erläutert wird, auch
die, b^d^n Ausdrücken eigenthümliche, Bedeutung
Ton actio est^ actio cotnpetit (d. h. man kann von
Rechtswegen klagen)^ im Gegensatz des: ac^o datur
(man kann durch Vergünstigung des Prfttors klagen)
wohl auf Erwähnung hätte Anspruch machen kön«
neu. S. Gaius IV, 219. fr. 6. de Rescindenda Vendi-
tiene (18, 5.).
Mit diesem, erst im Druck zu erwartenden The-^
süurus — denn ausgearbeitet ist auch davon wohl
schon das Meiste — ist aber der eigentliche Gegen-
stand dieser Anzeige: das Manuale fontium iuris civi-
lis romanorum, nicht zu verwechseln ; vielmehr bildet
letzteres, wie schon der fernere Titel besagt, nur
eine Epitome des Thesaurus. Auch hat dabei nicht
blos eine bedeutende Kürzung des Textes Statt ge*
fanden, sondern es sinl diti»cbireg die Kote» «efigo-
blieben, indem von dem kritischen und literarischeii
Apparat das Nothwendigote gleich io den Text aii(^
sobaltet worden ist. Dennoch tritt aber auch in die-
sem Werke der ursprüngliobe PJbn des Verfs. ia.fs
scharfen, Linien und mit solcher Klarheit hervor, daff
selbst denen, die mit diesem Plane an sich niobt völ-
lig einverstanden .wären, doch die Sicherheit Über den
Umfang dessen, was sie zu erwarten haben, nnsohält
bar bleiben müfste. Und dieser Uu^taud ist es den»
auch, welcher bei der g^onwärtigen .Anzeige des Ma-
nuale es nnerläfslich machte, vor Allem von dem Syr
Stern der Hexikographie, wie der Verf. solches aufge-
stellt hatte, zu reden. Wenn nun auch durch da«
Manuale vorzüglich nur für den Anfänger im Studittm
des CivUrecht« gesorgt weiden sollte , $0 bleibt doeii
dasselbe auch für die ti<|fere Forschung höehiBt fMe^
iioh und, bis zum Erscheinen des Thesaurus, iweal-
behrlicb, da uns jedenfalls auch hier schon, viel niel»
gegeben wird, als im Brissonius. Dem üufsereu Uoi-
fange n^ch umfaCst freilich das Mamiale nur ttugefahr
drei Viertel von der jüngsten Ausgabe des Brisso-
uius *); allein wenn man die sehr häufig 'vorkommen-
den leeren Zwischenräume, und die weitläufiligen, oft
ganz ungehörigen Zusätze d^s Heimeecisss in dieser
Auj^abe in Abzug bringt, so ist schon jene äufaere
Ungleichheit der Massen nicht sehr erheblich. Dage-
gen hat uns Brissonius nur ein Wörterbuch sor E^
lauterung des Corpus Juris, Dirkse» aber ein Hu)£i>
mittel zum Verstäudoir^ auch der verjustiaianischeD
Rechtsbüchcr und Constitutionensammluogen dargebe-
ten, in welchem zwar die Berücksichtigung grieohisdi
geschriebener Rechtsquellen streng zorückgewieseS)
wohl aber selbst die vou Jnlian^s Novelleuüberaet^ojig
noch nicht ausgeschlossen^ worden ist.
*) BU zum ^'orte ioUiciuUor (weiter hinaus reichte das Ma-
terial zur Vergleichung bisjetzt nicht) hat das Manuale S9^
die letzte Ausgabe des Brissonius 125S Seiten. Da pdeS'
sei) dort gegen '2S67, hier aber nur etwa 277:2 Buchstaben
auf die Spalte oder halbe Seite gehen, so rennindert sich
jene Differenz wieder in so weit, dafs sie dem Verhällaib
TOD Drei zu Vier »ehr nahe kommt
(Der Beschluit folgt.)
■«•«■^
J^ 99.
Jahrbücher
für
wissenschaftliche Kritik.
Noyjember 1839*
Manuale laltnitaiis fontium iuris civilis romano^
, rum. Thesauri latinitatis epitome^ in usum
tironum, Auetore Henrico Eduarde Dirisen.
(Schluft.)
Selbst im Veif^luiob zu den Probeärtikeln des
Tfaesanrüs stellen sich bei dein Manuale einige Vor-
tage beraas, welche tbeils auf nachträgliche Ueberar-
beifoagen des Stoffes, tbeils auf Modificationcn des
urtprüngliehen Planes hindeuten, uns aber durchweg
•ehr dankenswerth erscheinen« 80 finden sich z. B,
bei dem Wort aeeedere im Specimen des Thesaurus
onr sechs, im Manuale aber sieben yerschiedene Haupt-
bedeutdngen; und durchweg sind in diesem Manuale
die unentbehrlichen Abbreviaturen, auch noch aufser
den Quell^icitaten, sehr xweckmursig gekürzt worden.
Namentlich sind an die Stelle des L. (lex) bei den
€itatch.ans den Pandekten und dem Codex die Zei-
oben y^# lind r. getreten, wodurch die fernere Untcp-
tsbeidnng' dieser beiden Sammlungen durch die Buch-
staben D. (Digestonim) und C. (Codicis) als entbehr-
lich gans weggeworfen werden konnte; und wir be-
dauern nur die Ueibehaltuog dieses C. bei dem weit
öfter citirten tAeodosiscAen Codex (denn wo dieser
mit dem justinianischen übereinstimmt, ist die Anfüh-
ruDg des letxteren ganz unterblieben), da schon das
Torangehende TA. eine genügende Bezeichnung für
diese Constitntionensammlung enthält. Andererseits
hat die blofse Verweisung auf eine unmittelbar vorher
dtirte Sammlung durch 16. (ibidem) wenigstens dann
manches Bedenkliche, wenp beide Citate nicht zu dem-
selben lexikalischen Artikel gehören (wie z. B. bei
d<^m Worte Ar$mces)\ t% könnten biedurch künftig,
IUI Falle etwaniger Einschaltungen in späteren Aus-
gaben, manche Verwirrungen verschuldet werden.
Gewifs war es nicht überflüssig, bei einem Werken
ia welchem die Citate eines der wesentlichsten El»*
JaAr6. /. wuhmcK. KriHk. J. 1839. IL Bd«
mente bilden, auch diese scheinbaren Kleinlicljkeiten
näher zu besprechen ; doch müssen wir ein viel grö-
fseres Gewicht auf folgenden, in dem Mannale hervor-
tretenden Umstand zu dessen Gunsten legen. Nach
dem im System der Lexikographie (8. 61) dargelegten
Plane hutton, wie schon oben bemerkt worden, gerade
die ältesten juristischen Sprachdenkmäler von dem
Texte des Thesaurus ausgeschlossen, und in die No-
ten, als Tbeil des literarischen Apparats, verwiesen
werden sollen: ein Plan, gegen den, abgesehen von
anderen Bedenken, vor Allem wohl der Einwand zu
machen war, dafs dadurch Alles dem zufölligen Um-
stände Preis gegeben blieb, ob auch gerade der T6xt
zur Erwähimg eines solchen älteren Ausdrucks in den
Noten eine schickliche Gelegenheit darbiete. Zu un-
serer grofsen Beruhigung finden wir nun aber in dem
Manuale nicht nur solche Quellen^cuguisse aus den
frühesten Zeiten dem Texte einverleibt (wie s. B. bei
dem Worte Agnus)^ sondern es sind auch wenigstens
einige der älteren Ausdrücke (z. B. Siremps) mit in
die Reihe der Artikel selbst aufgenommen worden.
Möchte es doch dem Verf. gefallen, diesen Punkt auch
für seinen Thesaurus noch einmal ernstlich zu erwä-
gen; denn gewifs ist die Anzahl derer, die ihm in je-
nem Plane nicht beistimmen, und die vielmehr kein
einziges altlateinisches Rechtswort und kein erhebli-
ches älteres Qoellenzeugnifs im Texte des Thesaurus
zu vermissen wünschen, viel gröfser, als er erwartet
zu haben scheint. Wird einmal "der Plan des Brisso-
nius, nur ein Lexikon über das Corpus Juris zu lie-
fern, verworfen, so darf man hierin nicht auf halbem
Wege stehen bleiben. * Mit den eigenen Worten nicht-
juristischer Autoren, die ja nicht erläutert, sondern
nur zur Erläuterung benutzt werden sollen, hat >e8 hier-
in eine ganz andere Bewandnifs: sie mögen immerhin
dem Notenapparat im Thesaurus verbleiben.
Noch Eins, was zwar an sich einer Inconsequenz
99
787
Dirksen^ manuale latinüati$ /bntium juris civilis romanorum*
788
nahe kommt, aber doch durch besondere Umstände
hinreichend entschuldigt und selbst geboten wird, hät-
ten wir sowohl in dem Manuale, als künftig im The-
saurus, gewünspht : die vollständige Aufnahme der
einzelnen griechischen Wörter (nicht gerade ganzer
Sätze), welche in dem Context lateioischerRechtsqueU
len sich finden. Der Verf. hat bei der Ton ihm beob-
achteten Einschränkung sich danach richten wollen,
ob solche Wörter das Bürgerrecht in der lateinischen
Sprache gewonnen haben oder nicht; allein theils ist
es schwor, über diesen Umstand mit Sicherheit zu
entscheiden, da dasselbe Wort bald mit griechischen,
bald mit lateinischen Buchstaben geschrieben, auch
bald griechisch, bald lateinisch dedinirt wird; theils
hühgen mit den Verstummelungen solcher Worte öf-
ter auch irrige Lesarten des lateinischen Textes, zu-
mal in der Vulgata, zusammen, die also mit jenen zu-
gleich die Hülfe der Kritik in Anspruch nehmen. Uo-
brigens würde ja die vollständige Aufzählung aller je-
ner Wiorte, wenn auch nur in einem Anhange, weder
sehr schwierig noch irgend umf&nglicb. werden kön-
nen, während andererseits bei eiuer hoffentlich nicht
lange ausbleibenden selbstständigen LexiSgraphie der
griechisch geschriebenen Quellen und Ueberarbeitun-
gen jdes römischen Rechts gerade an jenen wenigen
Wörtern kaum etwas gelegen sein könnte, weil die-
selben meist einer früheren Zeit angehören, als die
hauptsächlich zu erläuternden griechischen Verordnun-
gen oströmischer Kaiser und die Arbeiten byzantini-
scher Juristen.
Am schwersten erweiset sich die Durchfuhrung ei-
nes festen Systems in der Wahl der Eigennamen, zu-
mal bei den Namen von Personen; und um so weni-
ger wird der Leser, wenn er im Buche einen Namen
aufsucht, dieses Systems immer gehörig bewufst blei-
ben. Es wird z. B. Manchen wundern, das Wort uiu^
iusAin Manuale zu vermissen, wo doch Agerius sich
findet; und wiewohl dies allerdings auf guten Gründen
beruhen kann, wird doch das Bedürfuifs eines oder
mehrerer besotiderer Werke über sämmtliche Eigen-
namen, die sich in einzelnen Rcchtsquellen finden, auch
neben unserem Manuale immer gleich fühlbar bleiben.
Wie viel darin namentlich noch zum justinianischen
Codex geleistet werden könnte, ist aus GotAofred^s
l^rosopographia zum theodosischen Codex am be^en
zu ersehen.
Nicht ganz klar ist es mir geworden, aus wekhem
Grunde die yerschiedenen juristischen Bedentnngea ei-
nes Wortes, statt wie gewöhnlich durch fortlaufend
numerirte Paragraphen, mitunter durch die Bezeidi«
nungen A, B, C, unter Wiederholung derselben Par«^
graphenzahl, gesondert worden sind. . Der logische
Standpunkt kann allerdings solche UnterabtheiluDges
rechtfertigen; aber bei einem Werke der vorliegen*
den Art, welches ja nicht eigentlich durchgelesen,
sondern nur nachgeschlagen wird, ist doch auch Alles
zu vermeiden, was in der leichteren Uebersicht des
Ganzen nur aufhält. Einem gründlichen und verstän-
digen Leser wird der innere Zusammenhang verschie-
dener Wortbedeutungen schon durch ihre conseqoente
Heihefolge leicht verständlich werden, während dem
flüchtigen auch durch äiifsere Fingerzeige jener Art
nicht leicht auf die rechte Spur zu helfen ist. Eben
dies lüfst sich denn einigermafscn auch zu Gunsten
des von Brissonius bei den Mealeverbindungen sehr
häufig befolgten Princips der Aufzählung in a/pAaieii'
scAer Folge geltend machen: ,es kann dies das Anf-
auchen einzelner Ausdrücke sehr erleichtern, und darf
daher als sudsidiarisehes Hülfsmittei da wohl gednl*
det werden, wo die innere Verwandtschaft dw Red^
Verbindungen nicht mehr sicher genug hervortritt, am
eine andere Reihefolge zu rechtfertigen.
Ueber einzelne Artikel dieses reichhaltigen We^
kes dürfen wir uns an diesem Orte nicht verbreiten;
nur sehr Weniges und ganz Gelegentliches sei uns u
bemerken gestattet.
Adfinis. Auch hier im §. 3, nicht blos bei dem
nachfolgenden a4finitas hätte die Bezeichnuog der
Ehegatten und Verlobten mit diesen Worten erwähnt
werden können. Fragm. Vatic. §. 302. c. 5 de Hered.
Inst. (6, 25).
Adgnoscere, Der dem Juristen Cassisss Langt-
nus zugeschriebene Ausdruck : „suum qnisque (possea-
Bor) modum (agri) agnosceret,'* in der Agrimensoren-
Schrift des Pseudo^Hygiuus de contro versus jagrorom
§. 3. (Bd. VII. S. 157 des Rhein. Museums für Ju-
risprudenz) scheint mit dem gewöhnlicherem bonoram
possessionem agnoscere, verwandt, jedenfalls aber einer
besonderen Erwähnung werth zu sein.
Competere. Auch hier, wie bei dem schon oben
erwähnten esse^ wünschten wir .den häufig vorkommen-
den Gegensatz von dari^ permittij mehr in seiner
769
iseny manUals latinitaHs fontüun Juri* eivilü romanomm.
790
Schärfe hervorgciiobeii zu sehen, (z. B. Gaius
ly, 112. fr. 26, f. 3. de Pact.- Dot. fr. & de Alimen-
tis leg. fr. 29. ile M. C. Douat. fr. 45. Sol. Matrim.)
Dafs Tribonian's Interpolationen diesen Gegejkeatz
mitunter verwischt haben^ geht zwar aus der c. 3. de
Don. sub modo (8^ 55), yerglichen mit fr. Vat. §. 286,
ganai evident hervor $ allein es sind der Stellen genug
übrig geblieben, in denen er sich völlig klar erhal-
len hat
ßupandiuB. Zur Erläuterung der, zwar den Ju-
.risten, nicht aber den Philologen hinreichend bekann-
ten Stelle im §.2 der Const. Omnem hätten 'die, auch
im F^rceltmi erst neuerdings nachgetragenen Stellen
ans Trimalchio's Gastmahl o. 54. 78: „dopondii non
iftcio roatrem", j^dupoudjarius doipinus'*, „dupondiorius
homo" mit angeführt werden können. Dafs diese Ci-
tate im Thesauras dem Notenapparat zufallen würden^
achliefst sie Ja vom Manuale noch nicht unbedingt aus*
JExtrinsecuM. Der wiederholte Gebrauch dieses
Wortes bei ^ der Bezeichnung des s. g. peculium ad-
ventitium (bona quae extrinsecus adveniunt, perveniunt,
adquiruntur, s. Theod. VIII, 18. c. 10. und c. 6. pr.
^ 1. c. 8. pr. de Bonis quae liberis 6. 61) ist hier
nicht besonders hervorgehoben worden.
SendtuM* Dafs auch die superfictea eiumal eine
Servitut genannt wird (fr. 86. fiu. de legatis 1.) und
dafs die römischen Juristen auch von einer vindicatio
seruüuii» reden (fr. 9. de 0. N. N. 39, 1.) wäre auch
in dem Manuale wohl zu bemerken gewesen.
Auch ein Druckfehler ist uns, bei dem Artikel
JUummeHiumy angesucht in die Hände gelaufen. Wä-
ren ihrer viele in dem Buche, so hätte dieser Fall
üfter eintreten müssen.
Im März 1837 hatte der Druck des Manuale be-
gonnen, und jetzt, im Juni 1839, ist die den Schlufs
bildende nennte Lieferung bereits erschienen, üebri-
^ens gehört auch das stattliche Aeufsere dieses, ge-
gen lOUO Grofsquartseitcn im engsten Drucke füllen-
den Werkes, welches wir fortan in den Häadeu auch
jedes angehenden Juristen zu sehen wünschten, zu
dessen vorzüglichen Eigenschaften. Dem Verf. aber
Wird Jeder nunmehr doppelte Mufse und Aufmunterung
TUT letzten Vollendung seines civilistischen Thesaurus
wänsohen $ denn ein Unternehmen dieser Art kann nur
Dem gelingen, der, wie der Verf., Muth und Ausdauer
genug besitzt, um eine eigentliche Lebensaufgabe
daraus zu machen.
* Blume*
LIL
Versuch einer Geschichte der Oeburtshülfey von
Ed. Casp. Jac. von Siebold j der Philos.^
Medicin und Chirurg. Dr.j Ritter des Kur-
fürstL Hess. Ordens v. gold. Löwen, ordeMh
Professor der Med. und Oeburish. zu Göttin-
gen u. s. w. Erster Band. Berlin^ 1839. 368 JS*
und XVI. gr. 8.
Mit derjenigen Gründlichkeit, die wir an den Göt-
tinger Autoren gewohnt und wegen ihrer reichen Bi;
bliothek von ihnen zu fordern berechtigt sind, (denn
ein Jeder soll nach den Mitteln ^ die ihm zu Gebote
stehen, beurtheilt werden), liefert uns Hr. v. Siebold
in der vorliegenden Schrift eine bis zum Ende des^
15ten Jahrhunderts reichende Geschichte der Geburts-
hülfe, welche er selbst einen Versuch nennet, während
sie von der Kritik als ein gelungenes Werk bezeich-
net werden mufs. Mit Recht sagt der Hr. Verfasser
(pag. IV.), es scheine ihm ein zeitgemäfaes Unterneh-
men zu sein, an eine neue Bearbeitung der Geschichte
einer Wissenschaft zu gehen, did in den letztvörgan-
gencu Decennien so grofse Fortschritte gemacht habe,
dafs der neuere Gescbichtscbrciber von einem ganz an-
dern Standpunkte dieses Feld überblicken könne, oIb
es bei den früheren der Fall gewesen.
Die Geburtshülfe. stehet als der jüngste Zweig
der Gesamuit- Heilkunde da; erst in der neuesten Zeit
hat sie aus ihrer ursprünglichen Barbarei sich heraus-
gearbeitet. Trotz diesem langen Zurückbleiben ist sie
gegenwärtig den beiden anderen Zweigen vorausgeeilt»
und nimmt eine so hohe wissenschaftliche Stellung
ein, dafs sie füglich als Muster für die übrige Heil-
kunde gelten kann. Denn „nicht nur die operative
Seite der Kupst hat sich unauflialtsam ausgebildet,^*
sondern die operativen Entdeckungen wie das thera-
peutische Verfahren überhaupt haben gleichen Schritt
mit der physiologischen und anthropologischen Er-
kenntnifs gehalten. Die Geburtshülfe hat einerseits
an der Physiologie ihre sichere Norm gefunden, mit
deren Hülfe sie zu eini^r genauen Feststellung der Gren-
791
V. Sieboldj Ge$chiekte der GeburUhülfe.
m
zen swisehen der Natur und der Kunst gelangen und
somit als Pbjsiatrik sich constitniren konnte; ande»
rerseits bat sie die tiefen religio^ 'anthropologüehe
Eidsicht von dem unendlichen Werthe des Menschen —
nicht minder des werdenden als des entwickelten Men-
schen — mehr und mehr in sich aufgenommen und
verarbeitet. Auf diese Weise ist sie m einer Stel-
lung gelaugt, welche ebeusoselftr ihre Wurzel und Be-
festigung in der Sphäre der Religion und Sitte hat,
als sie %ur Vollendung empirischer Kunstfertigkeit
sich erhebt. Indem die Kunst ,,die grofseu Kräfte
kennen lernte, welche die Natur bei dem wunderba-
ren 'Hergange der Geburt walten läfst," erwarb sie
die Fähigkeit, der christlich sittlichen Idee von dem
Werthe des kindlichen Lebens eine erfuhrungsgemäfse
und faktische Bewährung zu geben.
Wenn nun überhaupt diese religiöse Weihe und
die phjsiatrische Feslslellung der Grenzen zwischen
der Natur und der Kunst die oberste Aufgabe und das
Ziel aller Heilkunde ist, so niufs es nickt blöfs für
den Geburtshelfer von Fache, sondern für jeden Arzt
von lebendigem Interesse sein, die Wege zu betrach-
ten, auf denen die Geburtsbülfe ihren jetzigen Höhe-
punkt erreicht hat.
Es erweckt aber sogleich eine günstige Meinung
für die vorliegende Schrift, wenn der Hr. Verf. in der
Einleitung erklärt, nicht mit einer blofsen Erzählung
des Geschehenen sich begnügen zu wollen; die Dar-
stellung des Geschehenen müsse vielmehr zur Philo-
Mophie der Geechichie erhoben werden (S. 2). In der
That zeigt sich die Unerlafslichkeit philosophischer Be-
trachtungsweise gerade bei der Geschiebte der Geburts-
hülfe am deutlichsten. Denn hier haben so mannigfa-
ohe allgemeine Umstände concurrirt, die religiösen Vor-
stellungen der Völker, ihre philosophische Erkenntnifs,
ihre politischen und kirchlichen Institutionen, ihre
Rechtsverhältnisse, Gebräuche und Culturzustände ha-
ben einen so unmittelbaren Einflufs auf die Schicksale
dieser Kunst geübt, dafs die Geschichte derselben nur
in beständigem Rückblicke auf den Fortgang der welt-
geschichtlichen Idee aufgefafst werden kann.
Die Philosophie der Weltgeschichte zeigt, wie der
Mensch zum Bewufstsein seiner selbst, zu Freiheit und
Sitte erzogen worden ist. Mit der Eutwickelung, wei-
che der Freiheitsbegriff bei den verschiedenen Völ-.
(Der Beschlnfi folgt.)
kern erlangt bat, stehet die Entwickelnng ihrer Kfiih
ste und Wissenschaften im engsten Zusammenhange.
Die höhere oder niedere Stufe der Heilkunst einek
Volkes hängt von der Bestimmung des Werthes ab,
welcher dem menschlichen Leben beigemessen wird,
und wenn Herad&t sagt, dafs die AegypUr zuerst
eine Unsterblichkeit der Seele angenommen haben, so
ist es eben dieses den Uebergang vom Orient zum Occi»
dent bildende Volk, bei dem wir zuerst eine wirkliche
Heilkunde hervortreten sehen« Ihre glänzendste Ge*
stalt gewann die Kunst bei den Griechen^ in ^enea
das Bewufstsein freier menschlicher Individualität er-
wacht war. Aber die schöne griechische Freiheit war
an das Vorhandensein von Sciaven gebunden ^ nur der
entwickelte und vollendete Mensch, der, den Arbeitea
für die niederen Bedürfnisse des Lebens entrückt, io
der harmonischen Ausbildung seines Körpers und Ga^
st es ein plastisches Kunstwerk darstellte, galt ihuen
als frei und als Abbild des Göttlichen. Den noch uo-
ausgebildeten und werdenden Menschen, das Kind und
vollends den Foctus, wufste die antike Welt nicht u
schätzen. Das kindliche Leben war einer anbeschränk*
tenWillkühr theils der Eltern, theils des Staates öbe^
lassen. Die Pflege der gesunden und die Behandlung
der kranken Kinder hat die antike Medizin kaom ei-
ner Aufmerksamkeit gewürdigt, wie denn u. A. bei Ari»
stoteles (bist. an. VII. 12.) von der enormen Sterblieb-
keit der griechischen Kinder in den ersten sieben L&
benstagen berichtet wird. Die Geburtsbülfe der Altes
wird durch den ungehieuersten Leichtsinn charakterisirt,
„mit dem das Kind im Mutterleibe durch Abortivmittei
und Zerstückolungsmetboden bingcopfert ward.*' lodern
alten (vorhippokratischen) Eide wird zwar dem Artte
die Verpflichtung auferlegt, zur Corruptiou des Foeta«
nicht beizutragen; indessen sehen wir schon inder hip-
pokratischen Zeit — in der Schrift de natura pueri —
Rathschläge zur Abtreibung der Frucht ertheilen (rgL
S. 80). Wenn wir gewohnt sind, unsere cbristlichefl
Begrifl'e von Moralität auf den Sokratee zu Übertrages,
so erstaunen wir über die Unbefangenheit, mit weleb«
dieser Tugend-Heros des Alterthumes in Plnto'sTbea»
tet davon spricht, dafs die legitimen Hebeammen die
Kifust besitzen, den Scbwergebärenden zur Gebüt ta
helfen, oder auch das Kind, wenn die Mutter heschlossea
hat, sich dessen zu entledigen, abzutreiben (vgl. S. 109>
M 100.
J ahrbficlier
für
wissenschaftliche
November 1839.
Kritik
Versuch einer Geschichte der Oeburtshüffe/ von
Ed. Casp. Jac. van Sie bald.
(Schlafs.)
Solclier Rohheit des HeidenthnmeB ist dann das
ChristentbuDn mit seinem Principe eDtgcgeogetreten, dafs '
der Mensch als solcher zur Freiheit geschaffen sei und
die Bestimmung der Unendlichkeit in sich trage, —
der Mensch überhaupt, ohne Unterschied des Standes,
Geschlechtes und Alters, selbst der ungeborene Mensch
Tom ersten Momente der Empfängnifs an. Im Ange-
sichte einer altersgrauen und verzweifelten Welt wurde
jetzt auf die Unschuld lind Frische des kindlichen Le-
bens, ^als auf ein Schattenbild der zu erlangenden Kind-
schaft Gottes Terwiesen, Die Emancipation der Hin"
derwelt ist das IVerk des Christenthumes» In die-
ser Beziehung hat das Wort des Erlösers: Lasset die
Kindleio zu mir kommen ! auch für die Geschichte der
Heilkunde seine hohe Bedeutung. Die Geburtshülfe,
Irie die Diätetik, Pathologie und Therapeutik des Kin-
desalters, konnten erst innerhalb des Cbristenthumes
ihre wissenschaftliche Bearbeitung und Haltung gewin-
DCD, wie denn auch der Aufschwung des kindlichen
Lebens, nach pathologischer Seite hin, durch das Auf-
treten neuer, insbesondere die Kinder befallender Krank-
beitCD, der Pocken und Masern, sich zu erkennen giebt.
Aber mit dem Aufstellen jenes ethischen Grund-
satzes war nicht sofort dessen Verwirklichung und An-
wendung'auf die Torhandenen Weltvcrhältnisse gege-
ben* Das Christenthom, bestimmt das ganze Leben
der Völker von innen heraus umzugestalten, hatte zu-
▼orderst einen harten Kämpf mit der Abgestumpftheit
nnd Versumpfung der alten, und mit der natürlichen
Wildheit neuer Nationen zn bestehen. Es war dann
▼erzugsweise die abendländische Kirche, welche, im
Gegensatze zu der theologischen Speculation der orien-
talischen den praktisch- anthropologischen Erörterun-
Jalirh. /. wu§€iuch. Kritik. /. 1830. 11. Bd. .
gen sich zuwendend, jenis neue Moment, die Achtung
vor dem kindlichen Leben, zu vertreten hatte* So se-
hen wir die Weihnachtsfeier, dieses Fest der- Kinder,
vom Occident seinen Ausgang nehmen. Unter den Kir-
chenvätern eriud es die Lateiner Lactantiut und- 7Vr-
tuUianus (vgl. S. 209), die mit energischer Gelehrsam-
keit die heidnische, hauptsächlich von den Stoikern
vertheidigte Ansicht, dafs der Foetus ohne Seele sei,
bekämpfen und dagegen den Satz behaupten, dafs das
Kind im Mutterleibe durch eine divina necessitas ge- '
bildet werde, und nicht erst nach der Geburt, sonde,rn
unmittelbar nach der Empfäugnirs eine menschliche
Seele und menschliche ^ Würde habe. Es bedurfte fer-
ner der wiederholten Verordnungen der Kirchenver-
sammlungen, um der altrömischen lex regia über das
Ausschneiden der Frucht aus dem Leibe Schwanger-
verstorbener Eingang zu verschaffen (vgl. S. 322). -^
Erst nach funfzehnhundertj übrigem Kampfe war es
dem christlichen Principe gelungen, einen entschiede-
nen Sieg über das Heidenthum zu gewinnen. Jetzt,
im Jahre 1500, tritt eine geburtshülfliche Operation
hervor, welche den Wendepunkt zwischen der alten
und neuen Geschichte, eine Umkehrung dessen bezeich-'
net, was bis dahin gegolten hatte: der KaiserschnitS
an lebenden Schwangeren. Wenn bisher das Streben
der Kunst, mit leichtfertiger Aufopferung des Kindes,
vorzüglich auf Erhaltung des mütterlichen Lebens ge-
richtet war, so ist nun das kindliche Leben so sehr im
Werthe gestiegen, dafs zu seinen Gunsten das mütter-
liche der höchsten Gefahr preisgegeben wird. Ja es
läfst sich nicht verkennen, dafs in der nächstfolgenden
Zeit zum entgegengesetzten Extreme fortgegangen
wurde, indem man sich nicht scheuete, vermittelst jener
Operation leichtfertig das Leben der Mutter zu opfern,
um das des Kindes zu retten.
Eine Ausgleichung dieser Extreme zu finden, war
die Aufgabe des 17ten Jahrhunderts. Um dahin zu ge-
100
795
V. SieiöUj €feseHi0JU0 der Geh$rt9JMf9.
7M
langM, DinMeeiii nenes Moment, die sorgflltige Beo|^
achtiing und Keimtnifs der Natur hinzotreten. Ztt die-
■em Bebofe durfte die Geburtshlilfe nicht länger in
aueechliefalichtn Besitae der Hebammen und Chirurgen
bleiben ; die Wissenschaft durfte sich nicht länger die>
ses Studiums schämen. Die nächste Folge der wis-
senschaftlichen Richtung war die Einftihrung des He-
bels und der unschädlichen 6e6urtsxange zu Ende des
17ten Jahrlu Die Entdeckung dieses Instrumentes, wel-
ches wir in der That ein acht humanes, ja heiliges
nennen mdgen, gehdrt dem Geiste protestantischer Völ-
ker an, uud wenn es räthselhaft scheint, dafs ein so
einfacher Mechanismus, yon welchem bereits in der
bippoki^at. Schrift „de soperfoetatione" eine Andeutung
gefunden werden könnte (vgl. S. 92), Jahrtausende lang
habe auf sich warten lassen, so erklärt sich letzteres
zum Theil daraus, dafs überhaupt das moralische Be-
dfirfnifs nach solchem Instrumente bis dahin nicht ei-
gentlich vorhanden gewesen war. — Mit der Erschei-
nung der Geburtszang-e fällt die Errichtung von Ent-
bindungslehranstalten zusammen. Hierdurch aber war
den Aerzten erst die Gelegenheit gegeben, durch .prak-
tische Anschauung eine gründliche physiologische Kannt-
nifs von dem normalen Hergange der Geburt zu erwer-
ben, die grofsen Kräfte und die Autokratie der Natur
richtig zu würdigen und eine bestimmte Grenzlinie zu
ziehen, wo die Natur sich selbst zu überlassen und
wo durch die Kunst einzugreifen sei. —
Jene beiden Momente, die antbropologische Wür*
digUBg des kindlichen Lebens und die physiologische
Beobachtung der regelmäfsigen Geburt, bilden die Haupt-
gesichtspunkte, unter denen die Geschichte der Geburts-
hfilfe aufgefafst werden mufs. Beide Seiten hängen auPs
innigste zusammen und vervollständigen einander, wäh-
rend sie abgesondert, jede für sich, ohne Wahrheit sind.
Die religiöse Achtung vor dem kindlichen Leben hat
es, so lange ^ sie nicht durch Naturstudium unterstützt
war, in il^rem Kampfe gegen Corruptiou und Zerstücke-
lung des Foetus nur bis zum Kaiserschuitte an Leben-
den, also selbst nur zu einer entgegengesetzt extremen,
blutigsten Operation bringen können. Andererseits führt
die physiologische Beobacbf ung, wenn sie nicht von der
sittlichen Idee getragen wird, zu Vergötterung der Na-
tur, zu Geringschätzung und blutiger Mifshandlung des
Foetus,. im besten Falle zu Vernachlässigung desselben
aus übertriebenem Vertrauen in die Autokratie der Na-
tur. Deuis diese Autokratie, so sfark und mächtig sie
Ist und so wunderbare Hülfe sie auch sn schaiFeo
weifs — wie sich in höchster Potens an dem Akte d«
Scibstwendusg zeigt: — so hat sie doch bei dem Ge-
burtsgeschäfte vorzugaweise nur die ktegtität des wtm-
terliektn Organismus und die Ansscbliefsung der Frucht
ans demselben im Auge; die Erhaltung des kindüobsä
Lebens ist bei ihr eine mehr untergeordnete Rucksiebt,
ja der natürliche Akt ist relativ um sa stärker, js
schwächer und lebensärmer das Kind sich befindet
0
Hier gilt es dann, dafs von humaner Seite her die
Kunst einschreite und dafs das Wort der h. Schrift in
Erfilllung gehe : Nicht die Starken, sondern die Sobwar
eben bedürfen des Arztes«
Die Geburtshülfe unserer Zeit zeichnet sich datsk
ihr naturgemäfses Verfahren aus ; sie hat sich nur d^
vor zu hüten, dafs sie nicht in Vergötterung der N^
tur, in einen heidnischen Naturalismus verfalle. Des-
halb mufs sie immer von Neuem daran erinnert werdesj
dafs die Grundlage, auf der sie den schönen Bau ihres
Systemes errichtet hat, eine sittliche, eine christlioli
humane ist. Wenn es möglich wäre, dafe ihr diese
Basis entrückt würde, dafs sie im stolzen Vertranes
auf ihre physiologische Entwickelung ihrer religiösen
Wurzel vergäfse, so müfste sie nothwcudig in die gras»
enbafte Barbarei eines kaum überwundenen Pagaais»
mus wieder zurücksinken. Den schlagenden Beweis di^
für liefern einzelne Erscheinungen in der neuesten deut-
schen, so wie im Grofsen der eigenthümliche Charak*
ter der englischen Geburtshülfe.
Mit eindringenden Worten erwähnt der Hr. Verf.
(S. 210) der traurigen Vorliebe für die Perforatios
des Foetus und des beschränkten Gehrauches dei
Kopfzange bei den englischen Aerzten. Ao6. CoUm$y
Vorsteher eines grofsen Hospitals zu Dublin, perfoiiit
bei zurückgehaltenem Kopfe nach Fufs - und Steifsge-
burten; er perforirt, wo die Kppfknochen ao däns
sind, dafs die Zange nicht halten wUl$ er hat perfo-
rirt, oder wie Krüger - Hansen sich ausdrückt, Hea-
kersarbeit verrichtet, weil ein auf dem Dauune stehea*
der Kopf nicht fortrückte, nachdem mit dem Hörrehn
kein Herzschlag mehr wahrgenommen wurde; ja ei
hat sogar ein zweites Zwillingskind perforirt, veil
auch hier kein Herzschlag mehr zu veroehnnen wart
„Spurlos sind also an diesem Manne, fährt Hr. v. S.
fort, die Erfahrungen so vieler Jahrhunderte vor&be^
wt
n. 8iet0U, GewUekie der GeiurisAMlfs.
798
g6X(»geBl Ibm bat iie Getobiehto der Gebortriiftlfb
Bicbts gelelirf^ sonst mfifate er schaodern Tor seiner
eigenen Praxis, .wekhe ikn tief anter die Männer der
längst dnbin geschwnndenen Zeiten stellt ^ fie aus
Noth und in Ermangelnng besserer Einsichten and
tiweekmäfsiger Erfindungen zu soloben traurigen Ent*
Uttduagsarten sebrttten» wofilr sie demnaoh wohl tot
ebedi billigen Richter Entschnldigang finden mfissen.*^
^ Worin aber der Grund eines so auffallenden «Zn-
rüelLUeibens der Engländer gegen die Fortschritte der
Zät an suchen sei, gedenkt der Vf. iin weitern Ver-
folge der Geschichte nachzuweisen. Hier finde Ton
Seiten des Ref. die Bemerkung Platx, dafs der tiefere
Grand in dem Widerspruche liegt, der sich bei dem
brkiseben Volke (hireh alle Sphären seiner Nationali-
tät, durch Sprache und Sitte, Staat und Kirche, Wis-
senschaften nnd Känste hindurchzieht Der Geist die-
ne» Volkes ist der gennanisch-protestantisehe, während
die Formen, in denen es sich bewegt, romanische sind.
D^m cbristiicii^ Princip ist hier zu einer dem Inhalte
entsprechenden Form, sonk zu wahrhafter Realisation
Hsid Durchbildung durch die weltKchen Verhältnisse
noch nicht gekommen. So geniefst hier, namentlich
in Bezog auf unsern Gegenstand, das kindliche Leben
noch nicht die ihm gebührende Achtung, wie die em«
pi^rende Mifshandhing der Kinder in den englischen
Fabriken lehrt. Dieser unaufgelöste Widerspruch im
Voikscbarakter giebt sich in der englischen Heilkunde
ab entschiedenster Gegensatz zwischen einer aufge^
klärten, jedoch extremen, physiologischen Theorie,
und der finstersten therapeutischen Praxis kund. Wenn
wir aber in Betracht ziehen, dafs gerade ?on England
uns die naturgemä/se Bearbeitung der Geburtshülfe
sich verbreitet hat, so ist leicht zu ersehen, dafs die
physiologische Beobachtung, Kenntnifs and Nachali-
mung des natürlichen Geburtsherganges für sich al-
lein, und abgelöst von der sittlichen Hochschätzung
den kindlichen Lebens, die Geburtshülfe vor inhuma-
nen Verftthrungsweisen, wenigstens vor Unterlassungs«
nünden gegen den Foetus nicht schützen kann.
Erst dem gemütblichen, eben so sehr der geistig-
sktliehen Welt al^ der empirischen Naturbeobaehtong
nugewandten Sinne der deutschen Aerzte war es vor-
behalten, der geburtshülfiichen Kunst zu Ende des vo-
rigen Jahrhunderts ihre wahrhafte Ausbildung zu ge-
ben. Schmeicheln wir uns aber nicht mit dem Glau-
hra,' ah ob auf diesem ärztlichen GeMele der Kampf
der christlichen Wahrheit gegen das widerstreitende
Heidenthum bereits ein verschollener uAd historisch
abgemachter sei. Mit grofser persdniicher Betrübnilki
aber nm der Sache willen ohne weitere Beschönigung^
mufs hier Ref. der Vertrmng gedenken, in welche ei*
ner seiner verehrtesten Lehrer, ein um die. Zurück-
filhrang der Geburtshülfe auf f$aturgemS/ie Grund»
Sätze hochverdienter deutscher Arzt verfallen ist,, in*
dem derselbe in seiner kürzlich beransgegebeneu
Schrift „über die Zurechnungsfähigkeit der Scbwan»
geren und Göbarenden** aus mtfsverstandetier Bnmani*
tat die alte heidnische Lüge, dafs der Foetus nicht
ttls Mensch zu würdigen pei^ wiederum vertheidigt, das
Verbrechen des vorsatzlichen Abortus, wo nicht recht*
fertigt, doch entschnldtgt, und zu Consequenzen ge*
langt, die vor dem Richterstuhle einer christlichen
Sitte keine Gnade erwarten dürfen. Obschon nun sei«
ehe Ansiebten bei dem demialigen Stande der deut*
sehen Wissenschaft keine Aussicht auf Erfolg haben,
so machen sfie doch auf die Gefahr aufmerksam, wel«
che der Geburtshülfe bevorsteht, wenn dieselbe nicht
fortwfthrend das klare Bewafstsein ihrer sittlichen
Stellung und die geschichtlich begründete Ueberzeu«
gnog festhält, dafs sie ihre grofsen Resultate, theik
direkt, theils indirekt, dem religiösen, auf gewissen-
hafte Achtung des kindlichen Lebens dringenden Prhi-
eipe verdankt, unter dessen Leitung sie sich entwickelt
hat und von dessen immer tieferer Aneignung ihre wei«
teren Fortsehritte gegenwärtig am meisten bedingt sind«
In der verliegenden Schrift ist als hauptsächlicb-
ster Gesichtspunkt für die geschichtliehe Darstellung,
wie S. 189 aaph ausdrücklich erklärt wird, die phj-
siolögische Beobachtung der regelmäfsigen Geburts-
verrichtung hervorgehoben. Hierdurch ist zunächst
so viel gewonnen, dafs überhaupt eine wissenschaftli«
che Ansieht, ein leitender Gedanke für die Behandlung
eines MMeriales aufgestellt ist, walches bisher, seiner
eigentbümliehen Natur nach,, am wenigsten daftir eni-
pftknglich und lediglich einer empirischen, zusammen-
hangslosen I>arstellung anheimgefallen zu sein schien;
Dem Hm. Verf. kommt das Verdienst zu, ftlr die Ge^
schichte der Geburtshülfe jenen Gesieht^unkt aufge-
funden zu haben, dessen Bedeutung jedoch erst bei
Besprechung der neueren Zeit vollständig sich ei^e»
ben kann.
799 cf- SieioUj
Weiterbin aber war es Sacbe des Ref., auf ^ie
Mangelhaftigkeit dieses pbysiologiscben Principes und
die notbwendige Ergänzung desselben durch das rcli-
giös- anthropologische auftnerksain zu machen. Aller-
dings ist dem Urn* Verf. die Bedeutung des letzteren
nicht überall entgangen; er spricht gelegentlich (S.
80) von dem heilsamen Einflüsse^ den das Christen-
thum geltend gemacht, und ivie die antike Ansicht
vom kindlichen Leben aus leicht begreiflichen Grün-
den im christlichen Zeitalter sich verändert habe (S*
141). Indessen sind dies nur sehr beiläufige Bemer-
kungen, und der Hr. Verf. ist nicht dazu gelangt, den
ganzen Umfang dieses Einflusses und den entivickelten
Gang dieser Veränderungen genügend zu verfolgen.
So zeigt sich sogleich (S. 17) an der Periodencintbci-
long, deren er sich bedient, das Unzureichende seines
historischen Standpunktes. Diesem gemäfB läfst er
nl^mlich die mittlere Geschichte der Geburtshülfe nicht
bis zum Anfange des 16ten, sondern bis zum Ende des
17ten Jahrb. reichen» wo die Zange erfunden, und zu-
erst in den Schriften van Devent^^e eine auf Beob-
achtung der normalen Entbindung sich stützende wis-
senschaftliche Bearbeitung des Faches gegeben wor-
den ist. Aber eine^ so weite Ausdehnung der mittelal-
terlichen Periode widerspricht aller sonstigen Ge-
schichtseintbeilung, und es würde als ein schlimmes
Omen für die Wissenschaftlichkeit eines Faches gel-
ten müssen, wenn dasselbe so sehr aus den Fugen
der. Geschichte herausgetreten wäre, dafs es in der
Reformationszeit, wo allen übrigen Zweigen geistiger
Tfaätigkcit eine wesentliche Umgestaltung widerfuhr,
von der Bewegung nicht sollte ergriffen worden sein.
Wirklich aber ist die Geburtshülfe von dem Geiste
des 16ten Jahrb. sehr mächtig berührt worden, und es
bat sich damals in ihr die Umkehruog des bisherigen
sittlichen und künstlerischen Bewufstseins, wie wir
oben sahen, au einer grofsartigen und neuen Opera-
tion, dem Kai^ertdiuitte^ so wie fernerhin an der
Wiederherstellung einer abbänden gekommenen, der
Wendung auf die Füfse^ docuinentirt. Insbesondere
bildet der Kaiserschnitt an Lebenden die natürliche
Gränze zwischen alter und neuer Zeit, indem er einer-
seits den Gipfelpunkt und Schlufs der mechanisch chi-
rurgischen Geburtshülfe der Arabisten, zugleich aber
auch um des Gedankens willen, der ihm inwohnet, den
d^r GebürteMfe. 800
Anfang einer nenen rationellen Epoche bezeichDet l^er
Kaiserschnitt ist vor allen^ anderen Verfabrungsartea
am weitesten von dem Akte der Natur entfernt, er
stützt sich am wenigsten anf Beobachtung mid Nach-
ahmung der regelmäfsigen Geburt; er ist. eine durclw '
aus magistreUe Methode, womit die Kunst ihre Mei-
sterschaft über die kranke und verbildete Natur aus-
sprach, in der jugendlich kräftigen und nbermüthigen
Weise, wie es charakteristisch für die Heilkunde io
der ersten Hälfte des löten Jahrb. war. Eben des- ,
halb ist aber Hr. v. S. seinem historischen GesicLts-
punkte ganz cousequeut geblieben, wenn er jeue Ope-
ration keinen wesentlichen Abschnitt in der Geschichte)
ja nicht einmal eine Unterabtbeilung bilden lafst, ?iel-
mebr zu diesem Behufe das Erscheinen des ersten s^
druckten Buchee über Uebammenkunst im J. 1531
hervorhebt.
Letzteres führt den Hef. auf einen Pnnkt, den er
schliefslich zu berühren sich erlaubL Indem eine kri-
tiklose Abschrcibcrei bisher in der Geschichte der Ge-
burtshülfe an der Tagesordnung war, so mufste es dem
Hrn. Vf. darauf ankommen, überall und bis in's klein-
ste Detail hi^rab auf die ersten Quellen sowohl für
sich selbst zurückzugehen, als den Leser zu verwei-
sen. So mag es geschehen sein, dafs Hr. v. S. sei-
nem Werke, mehr als vielleicht seine eigentliche Ab-
sicht gewesen war, einen literarhistorischen Charakter
gegeben hat. Kef. verkennt die Vortheile nicht, die
eine solche Bearbeitung darbietet; indessen erbellt
leicbt, wie sehr hierdurch die chronologische Folge und
Entwickelung der Thatsachen zerrissen wird, haupt-
sächlich wenn es — wie bei einem grofsen Theile der
älteren Acrzte — der Fall ist, dafs nicht deren ur-
sprüngliche Schriften, sondern nur Auszüge Anderer
vorhanden sind. Am auffälligsten tritt dieser Uebel-
stand bei den Geburtshelfern des Isten und 2ten Jahrb.
n. C, namentlich bei dem höchst bedeutenden Metho-
diker Phüumenoe hervor, welcher erst bei Besprechung
der Schrift des A'^tiu$ im 6ten Jahrhundert vorge-
führt wird.
Ref. hat geglaubt, seinen Dank für die vielfache
Belehrung, die er in Hrn. v. S.'s Werke gefunden,
nicht besser als durch offene Darlegung seiner Ansicht
ausdrücken zu können. Er hofft, dafs seine Bemerkun-
gen bei dem Hrn. Verf. Gehör und Anklang finden we^
den, und glaubte um so weniger damit zurückhalten m
dürfen, als die vorliegende Schrift durch den gefälli-
gen Styl und die üebcrsichtlicbkeit, womit die Resul-
tate umfassend gelehrter Forschungen vorgetragen we^
den, bestimmt zu sein scheint , auf längere Zeit das
Hauptwerk über gehurt shülfliche Geschichte zu werden.
Der Unterzeichnete hat nur den Wunsch hinzuzufügen,
dafs der sehr verdiente Hr. Verf. recht bald die Mofse
zur Vollendung seines die Wissenschaft bereicherndeB
Werkes finden möge.
Dr. Uieronymus Fränkel, in Sandersleben.
M 101.
Jahrbücher
für
wissenschaftliche
Deceiuber 1839-
K r i t i k
LIIL
O. IPI F. HegeV s TVerhe^ neunter Band; Vor-
legungen über die Philosophie der Geschichte^
herausgegeben von D. Eduard Gans. Ber-
lin, 1837. XXII u. 446 iS.
Die Hegel'sche« Philosophie der Gesehicbte, ob-
wohl in ihrer vorliegenden Gestalt die jüngste der von
dem Meister besonders bearbeiteten Witsensobaften,
ist doch bereits die populärste und wirksamste von
uüetk geworden, so dafs eine blofse Relation von dein
Inhalte dieses Buchs eine überflüssige Sache wäre.
Mit Begeistemng ist sie von der frischen Jugend er-
fpriffen worden, aber anch reifere, in der Mitte und auf
der Höhe der Lebensbewegnngen stehende Männer
haben (iir ihre gebildete Erfahrung das absolute Yer-
stindnifs des Gedankens in ihr gefunden, sie ist sel-
ber bereits zur geschichtlichen Macht geworden« Es
leitet sich dieses nicht sow,obI von der minder stren-
gen Form her, welche diese Vorlesungen haben, oder
TOD dem allgemeinen Bekanntsein des StoflV^s, des-
sen Wahrheit sie ezpliciren, als vielmehr mit diesem
Bekanntsein von der concrcfen Geistigkeit des Gegen-
standes und der unmittelbaren practischen Betheiligung
der Gegenwart an demselben. Wie nämlich die Rechts-
philosophie vornehmlich dazu gedient bat, die jetzige
politische Wirklichkeit als die vernünftige zu erwei-
sen^ so ist die Philosophie der Geschichte recht eigent-
lich zu der „Eule der Minerva'' geworden, deren Flug
Terkündigt, dafs über die früheren Weltgestaltea nicht
bloa die Dämmerung, sondern „die Nacht, da sie ver-
ratfaen sind,'' hereingebrochen ist. Ja, die intelligente
Jetztwelt verdankt es diesen Vorlesungen, und wird
es ihrem Geiste immer mehr verdanken, dafs sie über
ihre Stellung zu der Vergangenheit in die rechte Klar-
heit gesetzt ist, und eben weil solche vollkommen ab-
gelegte Rechenschaft zugleich zum frischen Ergreifen
Jahrb. /. tpitiemch. Kriiik. J. 1839.' II. Bd.
der Zukunft berechtigt, haben diese Vorlesungen bei
allen Lebendigen so offenen Eingang gefunden.
Aliein wenn so die Hegel'sche Philosophie, nnÜ
zwar in 'ihrem allgemeinen Character und nicht Mos
wegen ihrer Leistungen in diesem Buche geschichtli-
che Philosophie heifsen darf, weichen Namen ihr der
philosophische Antigonus Dosen unserer Tage nicht
mehr streitig machen wird, so entsteht nun allerdings
die Frage nach dem Ort, welchen dio Philosophie der
Geschichte in dem ganzen Systeme einzunehmen hat,
eine Frage, welche Ref. hier mit Ausschlnfs des Uebri-
^en, was über die Form, die Vollatäudigkeit, die Re-
daction dieser Vorlesungen u. s. w. gesagt werden
könnte, defswegen namentlich zu beleuchten unter-
nimmt, weil über ihre Beantwortung noch nicht völlige
Sicherheit zu herrschen scheint. Hr. Professor Micbe-
let nämlich hat in seiner „Einleitung zu Hegel's phi-
losophischen Abhandlungen" S..iXVL die Ansicht geäu-
fsert, da die Philosophie der Geschichte nicht blos
Darstellung des Rechts und Staats in universalhistori-
scher Beziehung sei, sondern die geschichtliche Ent-
wicklung der besondern Volksgeister abhandle, und
zwar, wie skch deren Principe in der ganzen Breite der
Wirklichkeit als Recht, Sitten, Staat, Kunst, Religion
und Wissenschaft auseinanderlegen und im Verhält-
nisse zu einander stehen, so sei die Philosophie der
Geschichte die Resumtion jles ganzen Systems in sich
und somit das letzte Glied des philosophischen Orga*
nismus. Für diese Ansicht kann unstreitig Inhalt und
Gestalt der vorliegenden Vorlesungen durchaus ange-
führt werden, indem Hegel überall, wo er vollständig
zu Werke geht, wie namentlich in den ersten Tbeilen
des Werks, die Völker in allen Beziehungen ihres na-
türlichen und geistigen Daseins auffafst; und wenn ein-
mal von Philosophie der Universalgeschichte die Rede
sein soll, so müssen freilich alle besondere Totalitär
ten der Wirklichkeit in der Entwicklung der Idee be-
101
803
m
Heget^ Phüoiopkie der GescAicAte^
m
reita herTorgetreten und bekannt gemacht sein; Allein
durch die Annahme dieses Micbelet'schen Vorschlags
i¥ürde die Stellung, welche Hegel selber der Philoso-
phie der Geschichte hinter der Lehre vom Staate an-
gewiesen hat, wesentlich alterirt, und defswegen hat
Hr. Prof. Rosenkranx in den Halle'schen Jahrbüchern
1838 S. 152 ff. für jene ursprüngliche Stellung Partei
genommen, im Ganzen aber über die Sache, wenig-
stens für den Ref., sich nicht völlig deutlich und be-
friedigend erklärt. Denn wenn aurserdem, dafs Hegel
selber in der Einleitung vorzugsweise mit dem Begriffe
des Staats als mit derjenigen Form des Geistes, wel-
che für die Erfassung seiner Geschichte ^ie höchste
Präcision habe, sich beschäftige, vornehmlich darauf
sich berufen «wird, dafs, der Begriff der Geschichte- zuin
ersten Male aus dem Begriffe des Staates hervortrete,
und die besondern Momente im Begriffe des absoluten
Geistes zugleich wesentlich eine geschichtliche Seite
haben: so wird daraus wohl die Folge gezogen wer-
den sollen, dafs also auch die Geschichte dieser Mo-
mente schon in der Geschichte des Staates äbxuhau-
dclp^ sei, wiewohl Hr. Rosenkranz auch sogleich wieder
von der e^-igen Gegenwart redet, welche selbst dein
Geschichtlichen dieser Sphären zukomme. Allein eine
Wissenschaft liehe Nothwendigkeit zu solchem Anticipi-
ren der Geschichte des absoluten Geistes in der Re-
gion des endlichen ergibt sich hieraus noch keineswegs,
und wenn Hegel selber (Encjkl. §. 380. 2te Ausg.)
gewissermafsen über die Schwierigkeit klagt, bei den
niedrigeren Stufen des Geistes schon an seine höheren
und tieferen Gestaltungen erinnern zu müssen: so ist
dieser Schwierigkeit eben nicht zuviel nachzugeben, in- ,
dem jedes Vorwegnehmen zugleich ein Verkürzen und
Verdunkeln ist; und es bleibt nach der obigen Miche-
let'schen Behauptung dabei, dafs jede besondere Mani-
festation des Geistes zuvor in ihrer cigenthümlichen,
ewigen und geschichtlichen Sphäre behandelt sein mufs,
ehe von ihr in der Philosophie der Universalgeschichte
die Rede sein kann. In der Tbat aber kann Ref. auch
der Michelet'scben Ordnung der Philosophie der Ge*
schichte nicht zustimmen: denn was sollte eine solche
„Resumtion des ganzen Systems," das, in allen sei-
nen Theilen bereits bewiesen, keinen noch schlagende-
ren Beweis seiner Wahrheit nöthig und für eine blos
formelle VoUenduog bereits in seiner encyklopädischcn
Darstellung Alles geleistet hätte! wo sollte für die
Philosophie der Girachichte noch ein besonderes Mate-
rial hergeholt werden, nachdem Alles schon früher
seine specielle Erledigung gefunden! und wie schwer
würde, iVenn ilas System mit der ganfcen Masse der
Geschichte «u seinem Schlüsse käme, seine Rückeis*
mündung ip seinen Anfang werden, welche jetzt dnrdi
die vollständige Entwicklung der Geschichte der Phi-
losophie, woraus eben die Nothwendigkeit der gegen-
wärtigen Gestaltung derselben sich ergibt, und wie vir
unten sehen werden, durch das ezplicirte historische
Bewufstsein über jene Entwicklung auf die reinste^
adäquateste Weise sich vollzieht 1
Die ganze Schwierigkeit rührt, wie Ref. zu sebeq
sich getraut, daher, dafs bei Hegel selber der IniaÜ
unserer Wissenschaften nicht am gehörigen Platze
steht, sondern an einen andern hingehört, zu welcher
Correction übrigens Hegel selber alle Anleitung gibt.
Wie nämlich jede geistige Sphüre ihre nothwendigc,
geschichtliche Entwicklung hat, in welcher ihr Begriif
nnclx und nach seine Momente xur Existenz bringt, so
hat auch der Begriff des Staates eine solche Bewe-
gung gehabt, deren Exposition ' aber nicht hinter die
Darstellung des modchien Staates, d. b. nicht an des
Schlufs der Rechtsphilosophie gehört, sondern ab Phä-
nomenologie des Staates auf dieselbe immanent dia«
lectische Weise in die Staafslehre selbst verarbeitet
werden mufs, wie z. B. in der Religionsphilosophie die
besonderen Religionsformen als Manifestationen deir
religiösen Idee erscheinen. • Insbesondere würden die
abstracten, aber höchst vortrefflichen Sätze der Rechts-
philosophie über die Stiftung, BInthe und Untergasg
der Staaten, sowie das, was die populäre Einleitnog
zu unsern Vorlesungen hiezu Erläuterndes und sonst
Eigentbümliches darbietet, mit Ausnahme der Cbdrak-
teristik der Geschichtschreibung, in die Entwicklung
des allgemeinen oder abstracten Begriffs des Staates
zu stehen kommen , der wisseusciiaftliche Abrifs des
modernen Staates aber als des Resultates der geschieht^
liehen Bewegung seines Begriffs bildete erst den drit-
ten Theil der gesammten Staf^tslebre. Hiefoei mag
noch die gelegentliche Bemerkung Statt finden, dafs
selbst dieser dritte Theil, da er doch wiederum osr
den allgemeinen Gedanken des jetzigen Staats eot^
wickelt, der in keinem der wirklichen Staatsindividoea
vollkommen realisirt ist, um nicht anch noch den Vo^
Wurf der Abstraction zu erfahren, sich mit einer Da^
Hegely PAil940pkie dm^ GeMchiehte.
806
•Mlaog dieser letsteren ia ihrer oonereten
iichkeit, gleichsam einer philosophischen Statistik, sn
ergftnsen bat, woxn bereits überall die geistrollsten
Materialien Torhanden sind. Hiedurch würde aber aller-
dioga der bisherigen Philosophie d^r Geschichte der
Staate haben, betrachtet werden müssen^: so kann
Ref., obwohl es sich also auch dann unr um die, und
zwar einseitige Erscheinung des absoluten Geistes im
Gebiete d^es objectiren handelte, diesen Vorbehalt nicht
fär methodisch halten, indem wiederum von der Er-
f^fste Theil ihres Inhalts entzogen und an einem an- scheiouug einer Sache, ehe sie in ihrem Begriffe er*
dem Orte verwendet, während auch das noch Uebrige
IB die Geschichte der andern geistigen Sphären je
Bach seiner Zugehörigkeit zu vertheilen käme, so dafa
die Philosophie der Universalgeschichte so, wie sie
jetzt vorliegt, als besonderes Glied des wissenschäft-
lidien Organismus aufzuhdren und nur je die philoso*
pbiacbe Geschichte einer bestimmten geistigen Tota-
lität einen Anspruch auf eine Stelle im Sj'steme hätte.
Aber man besinne sich nur, wie man bei der bis«,
herigeo Stellung, wenn mali nämlich die Philosophie
der Geschichte in extenso oder nur in dem Umfange,
wie ihn die Rechtsphilosophie darbietet, vor sich hätte,
ans der alle Momente des geistigen Lebens, Religion,
Ksnst nnd Wissenschaft umfassenden Darstellung der
niodemen Welt erst den dialektischen Uebergang in
dUe einfachen Anfänge der absoluten Sphäre machen
wollte, oder wer möchte in ausgeführter Encjklopädie
Bodb Aesthetik und Religionsphilosophie lesen, wenn
er deren Bestes bereits in der Philosophie der Ge»
schichte vorweggenommen hätte f Auch rückwärts
ergicbt sich dieselbe Unbequemlichkeit : denn wenn doch
die Philosophie der Geschichte mit dem Wissenschaft-
licheB Abrifs der jetzigen Welt, insbesondere des ge>
geawärtigen Staates endigt, so ist ja dieser Abrifs in
der Rechtsphilosophie schon gegeben worden und er-
fahre in der Geschichte nur eine unmethodische Wie-
derholung. Die Behauptung aber, es werde ein Staat
nur aus der vollständigen Darlegung aller, auch der
absoluten Momente seiner Wirklichkeit wahrhaft be-
griffen, weswegen in der Geschichte des Staats auch
diese Momente schon vorkommen müssen, wäre nur
dann consequent, wenn auch in der Politik dieselben
schon hätten abgehandelt werden können $ charakteri-
atischer Wsise aber hat Hegel selbst dort f. 270. von
ihnen und der Anwendung des Rechts des Staates auf
sie nur „beiläufig" sprechen zu können erklärt, und
wenn er es einer vollständig concreten Abhandlung
Tom Staate vorbehält, daps in ihr ,Jeoe Sphären, so
wie die Kunst, die natürlichen Verhältnisse u. . s. w.
gleichfalls in der Beziehung und Stellung, die sie im
kannt ist, nur unbefriedigend geredet werden kann,
der Begriff der Kunst, der Religion u. s. w. aber voq
selbst auf ihre Erscheinung im Staate führt, daher dann
das äufsere Kirchenrecht u. s. w», nicht das Staats-
recht der Ort für jene Besprechung ist. Es mnfs
durchaus möglich sein, die Geschichte des Staats auch
ohne Herbeiziehung jener höheren Sphären des Völ-
kerbewufstseins in der reiuen dialektischen Aufeioaur
derfolge der politischen Principion darzustellen: denn
jedes concreto Stoatsprincip erzeugt siph als sich selbst
immanente Entelechio nnd nicht Mos als Aocidens afi
der künstlerischen oder religiösen Substanz, und eben
so gebt es auch durch seineu eigenen Widerspruch zu
Grunde und aber ihm die Form des politischen Be-
wurstseins, die es nicht zu ertragen vermochte, in aller
Frische der Natürlichkeit hervor. So ist die griechi-
sche Demokratie nichts Anderes, als der allgemein
realisirte Gedanke der nach der Anschauung des Ori«
ents nur im Despoten vorhandenen unmittelbaren Be-
rechtigung des Individuums zur Staatsmacht, ohne
dafs zur Erklärung dieser Erscheinung schon auf die
griechische Religion rekurrirt werden müfste, die ab-
stracto römische Persönlichkeit ist die Energie des'
Grundes, in den die griechische Sittlichkeit durch dea
Widerspruch ihrer unmittelbaren Bestimmtheiten zur
ruckgegangen ist, die germanische Treue wiederum
die Entäufserung dieser abstracteu Persönlichkeit an
die in dem Ueerfiirsten objective Stautseinheit und
eben der Lehensataat ein so reines Product dieses
Princips, dafs die altgermaniscbe Religion hiergegen
nur wie ein kaum gestalteter Nebel des Bewufstseins
zurücktritt,' das Christcnthum aber den Lehensstaat
beinahe vollendet antrifft. Zuletzt ist auch der jetzige
constitutionelle Staat durch das Auseinandertreten und
die höhere negative Wiedervereinigung der in dem'
Lehenwesen nur erst auf natürliche Weise verbundjo-
nen Momente der Allgemeiuheit und Besonderheit oder
der Einheit und Freiheit gebildet worden, dafs auch
hier die. Religion nicht unmittelbar betheiligt ist. WUl
man all dieser Bemerkungen ungeachtet auf einer Ge-
607
Begely Philosophie der Oe*chiehte.
806
sebichtsphilosophie in dem Dmfange, me sie vorliegt,
besteheD, so mag dies bei dem Umstände, dafs Uui-
Tersalhistorie als solche fortiväbfend eine akademische
Disciplin bilden wird, unbedenklich eingeräumt, nur
iiird dagegen das Zugeständnifs erwartet werden dür-
fen, dars mab damit nicht eine besondere philosophi-
sche Wissenschaft, sondern eben nur. eine geordnete
Sammlung des Geschichtlichen aus den andern zu ge-
ben meine.
Demungeachtet ist die tiefsinnige Conception, in
welcher Hegel die Philosophie der Geschichte au das
Ende der Lehre Tom Staate gestellt hat, nicht ohne
Weiteres zu verlassen, sondern kann in anderer Wen-
dung zu fruchtbaren Resultaten führen. Hegel erreicht
nämlich durch jene Stellung eine neue Gestalt deft
Begriffs, indem durch die Dialektik der besonderen
Völkergeister, welche die Begebenheiten, der Weltge-
schichte als des Weltgerichts darstellen, „der Geist
sich zum Bewufstsein und damit zur Offenbarung sei-
nes au und für sich seienden W^esens bringe und sich
damit zum allgemeinen, zum Weltgeist'' werde. Das-
selbe Resultat erlangen indessen auch wir, wenn wir
dem gemachten Vorschlage gemäfs die Politik nach
der oben sogenannten philosophischen Statistik mit
dem äufsern Staatsrecht sich schliefsen lassen: denn
schon die unmittelbare Beschränkung, welche die veiv
Bchiedenen Nationen von einander erfahren, die Diffe-
renzen in Sitten, Gesetzen u. s. w., welche sich da
aufthun, erwecken in jedem Volke das Bewufstsein
'seiner Besonderheit und seiner Bedeutung als blofses
Moment in dem allgemeinen Geiste, wozu dann noch
die geschichtliche Erfahrung kommt, welche jedes Volk
von seiner Veränderlichkeit gemacht hat. Es kommt
aber hier im Zusammenhange mit dem Vorigen die
unleugbare Amphibolie in Betracht, welche bei Hegel
in den betreffenden §§ der Encjklopädie und der
Rechtsphilosophie im Gebrauche der beiden Ausdrücke:
„Weltgeist" und „absoluter Geist" herrscht,' indem
beide so wenig genau von einander unterschieden wer-
den, dafs vielmehr ihre Identität deutlich behauptet
^wird. Demi nicht nur wird häufig von dem „höchsten
und ' absoluten Rechte" gesprochen, welches der all-
gemeine oder Weltgeist über die besonderen Vdlker-
individucn übe, sondern er heifst auch ausdrücklich
R. Ph. §. 352. „die absolute Allgemeinheit^,' und seine
Thätigkeit soll sein, „sich absolut zu wissen", woraus
unmittelbar folgte, dafs die Staaten als solche die^ ba-
sonderen Concrete des absoluten Geistes wären, und
die vorhin getadelte Vermischung der Geschichte des
absoluten Geistes mit der des sittlichen und politischen
sich erklärt. So ist denn für Hegel der Ort und die
Gestalt, in welcher der Weltgeist sich zum Bewufst-
sein kommt, nur die Sphäre des absoluten Geistes, die
Religion, öder wenn wir auch von der gedachten Iden-
tification abstrahiren, so ist es nach seiner DarstelLang
doch nur der Philosoph, in welchem der Weltgeist
das Wissen von sich als dem allgemeinen Geiste er-
reicht. Um diese Bemerkung nicht ungegründet .so
finden, sehe man nur zu, wie Uegel sowohl in der
Rechtsphilosophie als in der Encyklopädie (auf unsere
Vorlesungen werden wir sogleich kommen) bei der
weiteren Ausführung durchaus nur auf den Stoff der
Weltgeschichte Rücksicht nimmt, d« h. nur das Aa-
sich der Suche oder das, was für uns geschieht, daraa
explicirt. Allein hier ist das Verfahren unvollständig;
der Weltgeist kommt als solcher in dem eigentlichsteo
Sinne des Worts, als ä^xcov toZ xoa^i; roitov^ sich
solber zum Bewufstseiq, und nur so, dafs er sick io
seiner Allgemeinheit durch das Mittel der Besonderheit
zur Einzeluheit wird, ist er ih seinem Begriffe voUea-
det. Was nämlich die Völker als sittliche und politi-
sche Gemeinwesen gegen das Gefühl der Endlichkeit,
sofern sich ihnen dieses an sich aus der Erinnerung
aufdringt, die sie selbst von ihren) zeitlichen Gewor-
densein besitzen, zunächst aufbieten, das ist nicht die
Religion, sondern ihr gegenwärtiges JLebensgeföhli
die Appellation an ihre fortuna publica, worin si^ Ton
der ewigen Dauer Roms, Alt- Englands u. s. w. weis-
sagen. Dieses Nationalgefühl wird sofort im gegen-
wärtigen Gegensatze zu den andern Nationen factisch
zum Krieg, der ihnen aber niemals eine wirkliche Uni-
versalität verschafft, ideell zum NationaUtolxy der
seinen besonderen Genius als allgemeinen sich einbildet
(Die Fortsetzung folget.)
* •
Jlf 102.
J a h r b fi c h e r
für
wissenschaftliche Kritik.
December 1839*
G.fV.F. HegePsJVerhe, neunter Band; Vor-
lemngen über die Philosophie der Geschichte^
herausgegeben von D. Eduard Gans.
" (Fortsetzong.)
Dieser Natiooalstplz ist nicht dasselbe, was der
Patriotismus, welcher das unbefangen^, unmittelbar
in sich befriedigte Selbst bewufstsein des Volksgeistes
und Yorherrschend practischer Natur ist, während je-
ner eben durch die Vergleichong mit dem Auslande
betlingt und theoretisch ist. Ja auch dieser National-
stolx gicbt in dem gebildeten Völkerverkjehre sich noch
auf und wird zum KoMmopoliti^muSy der den Titel:
Mensch für den höchsten ansieht, wie dier« in Rom
zur Zeit seiner, den eigenthümlichen römischen Volksi
geist mehr und mehr Terwischenden Weltherrschaft
geschah und noch heut zu Tage in Deutschland Mode
18t, ohne dafs damit die Sphäre des endlichen oder
TVeltgeistes überschritten wäre : denn das homo sum
etc. fofst eben nur die menschlichen Besonderheiten
io eine abstracto Allgemeinheit zusammen, und ver-
langt eben so für das Particnlare^ der unmittelbaren
SulijectiTitikt die allgemeine Anerkennung. Bier kommt
das eigentliche Wesen des Weltgeistes vollends zum
Vorschein, und zwar entsprechend der religiösen Vor-
stellung, welche ihm die Bedeutung zuschreibt, dafs
er zwar die Reiche dieser Welt ihrer vergänglichen
Bestimmung gemäfs einzurichten, dagegen« über das
Bewurstseio der Endlichkeit aller seiner Produkte den
Menschen nur mit leerer Einbildung, einem blofsen
Spiegelbilde des Unendlichen zu trösten wisse: denn
was nun der Volksjgeist in jener Apotheose seiner
selber, in jenem unmittelbaren HinaufsQhrauben seiner
Besonderheit zu allgemeiner Dignitat als National-
stolz, und ohnehin was der noch abstractere Kosmopo-
litismus zu erzeugen weifs, das ist keine neue, sub-
stantielle Weltgestalt mehr, sondern ein blos formel-
Jahri.f. wiisentch. Kritik. J. 1839. II. Bd.
les Schildern und Besprechen des Vorhandenen, in
Beziehung auf die eigene und fremde Vergangenheit
aber — die Geschichtsekreibung.
Hegel bat dieser, dem historischen Wissen über-
haupt, keinen Ort im Systeme angewiesen, sondern
nur iii der Einleitung zu unsern Vorlesungen mehr re-
fiectirend, als beweisend von den verschiedenen Arten
der Geschicbtschreibung geredet^ und auch das, was
er in der Aesthctik Tbl. 3 S. 256 ff. über den Unter-
schied derselben von der poetischen Darstellung sagt, .
ist nur gelegentlich zur Briäuterung der letzteren bei-
gebracht, obwohl es, wie unsere Einleitung, die wahr- -,
haftesten Gesichtspuncte zu einer Kritik der gesumm-
ten Historiographie darbietet. Es findet aber über Be-
griff und Zweck der Geschicbtschreibung überhaupt
so lange kein sicheres Verständnifs statte als die rein
formale, ideelle Natur derselben nicht erkannt wird.
Um ihren Leistungen und dem loteresse an ihnen eine
reale, productive Bedeutung zu vindiciren, ist bekannt-
lich viel von dem Nutzen der Geschichte die Rede gewe-
sen, worüber Hegel jedoch die nüchterne Einsicht aus-
spricht, dafs Völker und Regierungen niemals etwas
aus der Geschichte gelernt und nat^h Lehren, die aus.
derselben zu ziehen gewesen, gehandelt haben. ^) Auch
wenn der Satz feiner und ansprechender dahin bestimmt
wird, die richtige Behandlung der Gegenwart sei durch
die Erkenntnifs der Vergangenheit bedingt, ist er nur
halb wahr: denn nur, wie die jetzige Zeit geworden, -
ist auf diesem Wege zu erheben, ihre Weiterbildung^
aber bat sie aus ihrer eigenen Intelligenz und sittlichen
Fähigkeit zu schöpfen. Eben so vergeblich wird durch
Lob und Tadel die gewesene Welt noch zu verän-
—^ — '
•) Es gilt diefs indessen nar von der unmittelbaren Anwen-
dung geschichtlich erhobener Sätze in derselben Sphäre,
ans^ der sie genommen sind ; von einer höheren, idealeren
Verwendung der geschichtlichen Bilder wird noch die Rede
sein.
102
811 Hei^l, PkiUtnpk
derp und in den Kampf der Ge^ifenirart bereincnziehen
yenacht: denn in dem Hades Geschichte y^hören die
Gottlosen auf mit Toben, daselbst ruhen^ die Tiefe
Mühe gehabt haben, da haben mit einander Frieden
die Gefangenen und hi^ren. nicht die Stimme des Dr&n-
gers, da sind beide, Grofs und Klein, Knecht und der
Ton seiliem Herrn freigelassen ist." Nachdem der
Weltgeist sich selbst in seinen Gestalten aufgegeben,
verlangt er Frieden für sein Grab und als einfaches
Denkmal die verständige Erinnerung. Das ist der un-
sterbHcbe Ruhm, „die formelle Allgemeinheit snbjec-
tiver Vorstellung,'* welche Hegel den einzigen Lohn
der welthistorischen Individuen (und Völker) sein läfst,
oder wie er es sehr schön S. 4 unserer Schrift aus-
drückt: „was flüchtig in der Erinnerung aufbewahrt
ist, componirt der Schriftsteller zu einem Ganzen,
stellt es in dem Tempel der Mnemosyne auf und giebt
ihm somit unsterbliche Dauer.** So sagt der Vater
der Geschichte gfmz einfach in dem {Eingänge seiner
„Musen": „Hier giebt Herodot,von Hälikaraafs eine*
Denkschrift seiner gesammelten Kunde, damit nicht
die Handlungen der Menschen durch die Zeit verloren
gingen, noch grofse und wunderbare Werke, wie sie
Hellenen sowohl als Barbaren ausgeführt, des Ruhms
verlustig würden,'* und Thucjdides will sein Werk
„mebl* zum Besitzthum fiir alle Zeiten, als zum Rede-
prunkstück für den Augenblick" zusammengestellt ha-
ben. Hegel rechnet beide zu den von ihm mit beson-
derer Vorliebe angesehenen, sog. „ursprünglichen Ge-
scbicbtschreibem, deren Geist mit dem der Handlun-
gen, von welchen sie erzählen, einer und derselbe ist,"
und die er vornämlich unter den hochgestellten Staats-
männern und Heerfahrern, die selbst an den Begeben-
heiten Theil genommen, oder unter solchen sucht, die
viel gesehen haben. Etliche der hiebei genannten Na-
men, wie eben der des Tbucydides, haben indessen
gemacht, dafs man ihm seine grofsartige Anschauung
dieser Art von Geschichtschreibung und namentlich
den Unterschied derselben von der sog. refiectirten
nicht gelten lassen woUte: denn, konnte man mit
scheinbarem Verständnisse sagen, jede historische
Darstellung ist Resultat eines Processes, in welchem
das Factum sich in die Subjectivität des Erzählers
reflectirt und von dieser eine unvermeidliche Alterna-
tive erfährt. Allein die Einsicht in das Factische die-
ses Verhältnisses hat Niemand besser besessen, als
ie 4er Oesekiehte* 812
;ebeB Hegel selbst, dem sie sogar die ZwiscbeDrediie
zum Theil verdanken mögen, wiewohl es inunerhrn
räthlich sein mag, der daraus sich ergebenden Unm£g«
lichkeit vollkommener historischer Wahrheit eingedenk
zu bleiben. „Ursprüngliche Geschichte" ist also be-
reits die erste Erscheinung der Begebenheiten io dem
gebildeten Bewufstsein des dabei betheiligten Histori-
kers und die Darstellung derselben aus diesem he^
aus, oder das, was man sonst historische Quellen-
schriften in dem gesunden Sinne, dafs die Quelle wah-
rer Historie nicht das unmittelbar Reale, sondern das-
selbe bereits in ideeller Gonception ist, aber auch mit
dem begründeten, kritischen Vorbehalte nennt, anch
deren Glaubwürdigkeit noch zu untersuchen. Will
man also nach dieser Erklärung nicht um Worte strei-
ten, so wird der Hegeische Unterschied zwischen lf^
sprünglicher und reflectirter Geschichte wohl bleiben
dürfen, wornach letztere sofort diejenige ist, „deren
Darstellung nicht (sowohl) in Beziehung auf die Zeit,
sondern (als) rücksichtlich des Geistes über die Gegen-
wart hinaus ist,'' mit andern Worten, sie ist dasjenige
Bild,' welches ein Volk von dem gegenwärtigen Stand>
puncto seiner sittlichen Bildung aus theils von seiner
Vorzelt, theils von der Geschiclite anderer Völker
entwirft. Hier kommt jene . unglückselige Rednefei
herein, jenes politisch^moralische Raisonnireu und Kao>
nengiefsen, welches, nichtig in sich, gleichwohl die
Möglichkeit seiner Bethätigung in der Weichheit und
Idealität des Elementes hat, worin es sich bewegt,
und den Reiz dazu in der Sucht, die gegenwärtige
Bildungsform als die allgemeine zu prociamiren. Fflr
die wissenschaftliche Betrachtung aber haben die on-
eudlich vielen Standpuncte, welche hier sich aufthao,
um ihrer Zufälligkeit willen keinen Werth, sie kann
die reflectirte Historie nur in den Hauptstadien ver-
folgen, wo ein ganzes Volk ein bestimmtes Bewofst«
sein über sich und die andern sich gegeben hat. Auch
Hegel macht nur wenige Arten dieser refiectirten Ge-
schichte namhaft, welche vornümlich der modernen
deutschen Historiographie angehören, die, nachdem
das Mittelalter in seinen Chroniken nur ursprüngliche
Geschichte geschrieben, die Reformation aber zunächst
eine Richtung blos auf die kirchliche Vergangenheit
hervorgerufen hat, erst im Gefolge des neuerwachten
politischen Lebens mit dem Zeitalter der Aufklärung
sich erhob 9 und so vornehmlich eine moralisnreode^
813
•der wie «ie ndi selber gerne nasiite, eine der Hamaaität
"dieneiide wvrde« Man kann diese Form wobi noch
von der „pragmatiecbeo** Gescbichte notemohoiden,
vie ein dein Ref. su Gebote stebendee M aanscript
der Heget'schen Vorlesungen tbot, wäbrend in nnserm
Bnobe beide als Eine Species bebandelt sind; Jene
ttftmliGh .geht von practisoben Voraussetzungen ans
und bearbeitet die Gesebiebte mebr nur als Beispiel-
sammlnng für tbre Satze, aus deren Voilmaoht sie ibr
Urtbeil mit grofser Bmpbase abgibt, diese dagegen
bat Wenigstens eine Ahnung von den Widerspröoben,
in welehe sieb jene Terwiei^elt, und indem sie sieb
delswegen des moraliscben Urtbeils mdgliobst entb<,
snoht sie tbeoretisohe Interessen su befriedigen und
mit empiriscber Payoboiogie die Reibe der Vermittlun-
- gen, die zwischen den bistoriseben Erscheinungen Statt
linden, anfznseigen. Indem aber dieser Pragmatismus,
notbwendig der schlechten Unendltdikeit verfallend,
nnr die unwahren Existenzen des Geistigen, Leiden-
schaften u. s. w. zu besprechen wufste, für das Sub«
stansielle der Volksgeister aber kein Organ hatte, so
erweckte er durch das Geschwätz, womit er jenen Man-
gel sa ersetzen suchte, den Entscblurs, nur erst die
reine Thatsache aus dem unnützen Betwerke wieder-
herzustellen, und rief damit die „kritische** Geschichte
hervor. Auf diese ist bekanntlich Hegel nicht gut za
sprechen (den Ausfall auf Niebuhr, der hier wohl vor-
zakommen pflegte, hat der Herausgeber weggelassen),
sie steht aber und fällt mii ihrer nicht blos Namens-,
sondern Geistesverwandten, der kritischen Philosophie :
denn wie diese die Erfahrung überhaupt nur ein W^erk
der in ihren apriorisclien Anscbauungsformen und Ver-
standesbegriffen thätigen Subjectivität sein läfst: so
ist ffir den kritischen Geschicbtschreiber das bistori-
Bofae Material ursprünglich blos eine rudis iodigesta-
qoe moles, die erst durch sein Sichten und Prüfen zu
Verstand und Ordnung kommt. Gleichwie aber Kant
die Kritik der theoretischen Vernunft nur dazu unter-
Bommen hat, um auf ihren Resultaten das wirkliche
System der Philosophie aufzuführen und ^le er für
dieses das Gröfste durch seine geniale Entdeckung ei-
nes intuitiven Verstandes geleistet hat, so besitzt auch
alle Kritik in der Geschichte von sich das Bewufst-
sein, nur vorarbeitend für die Darstellung der gesobicht-
liohen Welt zu sein, und gewifs sind unsere gröfsten
ELritiker, wie eben Niebuhr, am wenigsten von einem
£f#g#/, PhihMptu der OtsckwAte.
814
Intuitiven Verstände verlassen gewesen. Dieser nun
bat sich in unseren Tagen vornehmliob als gesunde»
eindringende Anschauung der verschiedenen Völkerin-
dividualitäten, als acht politischen Sinn erwiesen, dar,
wie er zu seiner Belebung wesentlich der nninittelb'a-
ren Betheiligung des Autors an einem frischen, regen
Volksleben bedarf, so insbesondere in Preufoen eine
tuc&tige Geschicbtschreibnng wiederum hervorgeru-
fen hat.
So erbaut sich fiir uns die Theorie der politiscbsn
Geschichtscbreibuog in ihrem allgemeinen Begriffe wo*
sentlicb ans dem §. 348. der Recbtsphilos. oder §« 551.
der Encjkl., die Besonderuog ihrer Arten aber als
ursprünglicher, reflectirter und durch Aufhebung der
Reflexion zur Ursprünglich keit zurückgekehrter Ge-
schichte nehmen wir aus der Einleitung zu unseren
Vorlesungen, worauf sodann die geschichtliche Nach-
weisung'zu folgen hätte, wie nun in jedem Volke tbeils
seine eigene unmittelbare Erintierung von sich, tbeils
seine historische Auffassung anderer V6lker sich ge-
staltete, und mit der bestimmten Erörterung der Er-
fahrung, welche der Weltgeist in diesem Geschäfte
über sich selber macht, geschlossen würde. Diese Er^
fahrung ist nun aber eben diese, dafs der Weltgeist
als Volksgeist aus aller Ehre, die er sich selber in
seiner Geschichtscbreibuog erweist, nur eine formelle,
subjective Befriedigung, in Wahrheit nur das Bild sei-
ner Vergänglichkeit zurückerhält, ein Schmerz, der ihm
durch die Besinnung auf seine beschränkte Gegenwart
nnr verstärkt werden kann. . Abstrahirt er aber von
seinen Besonderheiten in den verschiedenen Völkeria?
dividualitäten, so bleibt er sich nur als sittliches We-
sen überhaupt, als Geist der Welt zurück, der aber
nirgends, als eben in jenen Particularitäten existirt.
Es ist darum nicht, wie Hegel EncykL §. 552. sagt,
„die lebendige Sittlichkeit selbst, in deren objectivem
Wissen die Acurserlichkeiten des Weltgeist^s und die
Gegensätze der E^ndlicbkeit, die er enthält, so ucb
abstreifen und aufheben, dafs diefs Wissen sich in
sieh zum Wissen des absoluten Geistes, als der ewig
wirklichen Wahrheit erhebt," wobei Hegel noch in der
Anmerkung die Negation, durch welche diese Erhebung
geschehe, auf die „in der sittlichen Welt wirklich voll-
brachte* Reinigung des Wissens von der snbjectiven
Meipung und Befreiung des Willens von der Selbst-
sucht der Begierde*' beschränkt. Durch diese Nega-
815
JlegeJy Philosophie der Oetchichte*
tion wird die sittliofae Welt erat eneugt, und so gewifs
dieselbe die Voraassetzung der Religion ist, so gewifs
ist es eine andere höhere Negation, durch 'weiche sie
nm ihrer natürlichen Bestimmtbcit willen als justitia
oivilis tum blos endliehen Momente im Selbstbewufst"
sein des absoluten Geistes herabgesetzt wird. Und
Ewar'ist dieses absolute Selbstbewufstsein , das aus
der Dialektik des sittlichen Geistes hervorgeht, nr-
spriinglicb das ganz unbestimmte, inhaltsleere, „das
schlechthinnige Abhängigkeitsgenibl ," die Völker ha-
ben als sittliche Geister nur ein Bewufstsein ihres noth-
wendigen Gesetztseins, oder emes zufälligen Sichset
bersetzens ; oder die Historie darf, wie Schelling mit
Recht sagt, „die Identität der Freiheit und Nothwen-
digkeit nur in dem Sinne darstellen, wie sie vom Ge-
siohtspuncto der Wirklichkeit aus erscheint, nämlich
nur als unbegriffene und ganz objective Identität oder
als Schicksal.^ Es ist sogar dieses schon eine Lehre
der Philosophie, welche Schelling dem Historiker er-
theilt, eine Lehre, die in seiner weiteren Erklärung,
der Geschichtscbreiber solle „das Schicksal nicht im
Munde führen, sondern durch die Objectivität seiner
Darstellung von selbst und ohne sein Zuthun ersobei-
nen lassen," vielmehr zur Analyse des Bewufstseins
wird, jvirelches in dem Geschichtscbreiber selbst als Re-
sultat seiner Arbeit aufsteigt. Nicht minder aber wäre
es eine philosophische Anticipation, wenn behauptet
werden wollte, das unbegriffene Wesen des Schicksals
werde dem Historiker eben in der Anschauung dei:
geschichtlichen Gestalten, die es hervorgerofen , be-
greiflich, sie seien für ihn die immanenten Bestimmun-
gen, die wesentlichen Momente der allmächtigen Pe-
promene selber; bis zu diesem Gedanken einer sich
nur mit sich vermittelnden Negativität dringt er auf sei-
nem eigenen We^e nicht vor, sondern Schicksulsmacht
und Völkerleben sind ihm äufserlicbe gegen einander,
Wie die tragische AYehuiuth grofser Historiker und der
Umstand hinreichend beweist, dafs die Darstellung,
bei dem Ende der GeschicLte eines Volkes angekom-
men, den AuftWtt eines neuen nur als gegeben binneh-
meri, nicht aber als durch den Begriff nothwendig er-
weisen kann. VTollte mnn aber auch diesen Gedan-
ken einer organischen Zusammengehörigkeit der ver-
schiedenen Völkerindividualitäten in dem Bewufstsein
816
des Historikers als soldien zugeben, so käme man
nur auf das Vorige hinaus : denn der Begriff, die leben«
dige Seele dieses Organismus wäre nur wieder der
sittliche Weltgeist überhaupt, dieser aber kommt sich
gegen den absoluten Geist unmittelbar nur als negativ
bestimmt, oder der absolute Geist kommt ihm.usmit-
telbar nur als Schicksal zum Bewufstsein.
Allein, wird jetzt behauptet, wenn nun der abso-
lute Geist in seiner eigenen Sphäre das Reich der
Schönheit, des Glaubens und VV'issens auferbaut hat»
so greift er in die Sphäre des endlichen Geistes xa-
rück, und bringt desäen Geschichte, indem er sie in
sein (absolutes) Licht stellt, erst zu ihrer Wahrheit:
neben ' einer Philosophie der Geschichte ist darum io
neuerer Zeit besonders viel von einer religi5«,eD Be-
trachtung die Rede gewesen. Schelling hat eine a8(h^
tische Behandlung- empfohlen: denn, sagt er, „die
w^bre Historie beruht auf einer Synthesis des Gege-
benen mit dem Idealen, aber nicht durch Philosophie^
da diese vielmehr die Wirklichkeit aufliebt und gani
ideal ist^ Historie aber ganz in jener und doch n-
gleich ideal sein soll. Dieses ist nirgends, als in der
Kubst möglich, — und die ersten Urbilder des histori-
schen Stjls sind das Epos m seiner ursprünglicka
Gestalt und die^ Tragödie \ denn wenn die universelle
Geschichte die epische Form and Fülle lieht, «ill
die besondere dagegen mehr concentrisch um eisen
Mittelpunct gebildet sein, davon zu schweigen, daft
für den Historiker die Tragödie die wahre Quelle gre-
fser Ideen und der erhabenen Denkart ist, zu weicher
er gebildet sein mufs.** Aber wenn es sich um grofis
d. i. wahre Gedanken handelt, so sieht man nicht ei%
warum solche aus der Dichtkunst und nicitt noch bei*
ser aus der Philosophie geholt werden sollen; vM
aber jene Syntbesis des Wirklichen und Idealen
trifft, welche die Historie von der Kunst lernen si
so hat Hegel in dem obengenannten Abschnitt d
Aesthetik mit triftigen Gründen auf deq Unterscbj<
der historiscben von der poetischen Darstellung auf
merksam gemacht, indem er jener das Recht von di
mit dem Stoffe völlig frei zu schalten, nicht zugestek
sondern sie an die gegebene Wirklichkeit in
ganzen prosaischen Bestimmtheit gebunden wissen
worüber Ref. auf die nähere Ausführung K c. verwei
(Der Besclilufs folgt.)
J ahrbfich er
für
wissenschaftliche
Kritik*
December 1839.
BB
SB
G. tV. F. HegeVn Werke^ neunter Band; Vor-
lesungen über die Philosophie der Oeschichte^
herausgegeben ton D. Eduard OanSi
(Sehlafs.)
HegeFg Bemerkungen treffen aber auob die sog«
rdigidse Barateliung der Staate- oder Weltgesobicbte
(deno Ton diesem Objecto bandelt es sieb gegenwärtig
Bocb dnrobaus für uns) in mebr als Einer Hinsicht:
demi erstlich so lange diese Auffassung sieb nur ^^als
den abstraoteiiy unbestimmten Glauben seigt, der nur
»1 dem Allgemeinen, dafs es eine Vorsehung gebe^
fortgeben will, aber nicht an bestimmteren Thaten der-
aeUmi'* S. 17, d. b. so lange sie die Weltgeschichte
■nr in rein affirmati?er Weise bebandelt, ist sie Ton
der weltlichen Historiographie, oder ist ihm Vorsehung
TOD dein Weltgeiste nur dem Namen nach Terschieden.
Richtet sich aber ein religiös gestimmtes Sul^ect mit
dem bestimmten, ihm zustehenden Bewufstsoin von dem
ionem Widerspruche des Staatslebens^ also negatiir auf
die Geschichte des letzteren, so kann es dennoch seine
Darstellung von der Einmischung dieser Erkenntnifs
frei erbalten und nach der obigen Scbelling'schen Lehre
Qtk Aosbbong des Schicksalsbegriffs) verfahrend jenen
Widerspruch sich aus sich selbst entwickeln lassen
d« b. es leistet factiscb nichts Anderes, als was auch
die sittliche Geschichtschreibung in ihrem Geschäfte
x« Stande bringt. Verschmäht es aber diese Abstinenz
und sagt es heraus, dafs die Staaten ibr> Schicksal
ereilt, weil sie nicht die wahre religiöse Gemeinschaft
sind, so bat es damit zwar Recht, aber am unrechten
Orte, indem derlei Sätze ohne Notb der religiösen
£thik, wohin sie gehören, entlehnt oder entrissen sind,
und 'wenn man dieser falschen Stellung durch öftere
^Wiederholung derselben Reflexionen aufhelfen will,
nur jenes nützliche, erbauliche, in Wahrheit aber un-
und unerbauliche Reden herauskommt, welches
J«*r6. /. wiMuntch. KrUik. J. 1830. II. Bd.
Ref. bereits oben und kürzlich an einem berfibmtgewor*
denen Producte dieser Gattung von Historiographie in
diesen Jahrbb. notirt bat. Wahrhaft religiöse Geschichts-
betrachtung aber, die jedoch erst bei ausgebildeter Theo-
logie und namentlich bei entwickeltem Kirchenrechte
bervortritt, sieht die poKtischen Gemeinwesen weder
von jenem rein affirmativen Standpuncte der Vorsehung,
noch von diesem rein negativen des Gerichts, sondern
in ihrer wesentlichen Beziehung auf die Geschichte des
religiösen Selbstbewufstseins an, wie diefs z* B. in der
Kirchengeschichte geschehen mufs; so aber kann sie
eben nur das für sie Wesentliche aus der Staatenge-
schiqhte^ die politischen Prihcipien mit den Haupt Sta-
dien ihrer Bildung festhalten, die ganze Masse des Bei-
läufigen und Zufälligen aber mufs sie dem Weitgeist
als seine Provinz überlassen, worauf dieser aber auch
sein Höchstes d. b. überhaupt die Darstellung seiner
Geschichte für sich in Anspruch nimmt* Dasselbe gilt
endlich auch von der Philosophie der Geschichte, wel-
che „die Vernunft als die Substanz und die unendliche
Macht, als Stoff und Form der Weltgeschichte" auf-
zeigen will ; auch sie darf nicht zur Kleinkrämerei mit
dem Aeufserlichen und Anekdotenhaften werden, son-
dern mufs die Erinnerung daran, das heitere oderweh-
müthige Spiel damit dem endlichen Geiste zugestehen,
selber aber nur die grofsen, allgemeinen Formen zeich-
nen; oder es gibt wohl eine wahre, aber keine voll-
ständige Geschichte, keine eigentliche Historiographie
(der politischen Welt) im Elemente der Philosophie.
Die Wahrheit aber, in welche allerdings in der Re-
gion des absoluten Geistes der politische erhoben wird,^
ist die, dafs er in seiner Wirklichkeit und Geschichte
als wesentliches Substrat für die Manifestation von je-
nem erkannt wird; Religion, Kunst und Wissenschaft
haben den Staat zu ihrer Voraussetzung, aber so, dafs
9,das Spätere vielmehr die Bedeutung hat, das abso-
lute Prius, die Wahrheit dessen zu sein, durch das es
103
819
Hdgel^ GeMckicAte der Philosophie.
820
Terihittelt erscheint/' wie sich auch geschichUich z. B.
darin bewährt, dafs die Religiosität eines Volkes am
lebendigsten dann ist, wann es um seine Existenz ringt,
also in den Anfangen seiner Geschichte, in Zeiten der
Noth und wenn es sich zum Untergange neigt, wo auch
die Philosophie „ihr Grau in Grau malt," während es
auf der Höhe seines welthistorischen Ruhmes sich vor-
zugsweise politisch thätig erweist, oder wenn auch hier
in den höheren Gebieten des Geistes arbeitend, hiezu
nur in Folge gewaltiger, bedeutender Gefahr begegnen*
der Anstrengungen nach Aufsen kommt, wie z« B. die
Bliithe der athenischen Kunst auf die Perserkriege, die
mittelalterliche Herrlichkeit auf die Kreuzzüge, die
jetzige Lebendigkeit der höheren Geistesfnnctionen in
Deutschland auf'die Freiheitskämpfe gefolgt ist. In
dieser seiner Haltung und Verwendung durch die Mächte
des absoluten Seibstbewufstseins kommt also erst der
politische Geist zu seiner Ruhe und wird das tragische
Pathos, in welchem er für sich endigen würde, von
ihm genommen \ in dieser Idealität ist es aber nicht
blos sein gegenwärtiges, sondern auch sein yergange-
ncs Leben, welchem diese Rechtfertigung und dieser
Werth crtheilt wird. Kann ^r seine Erinnerungen für
seine eigenen unmittelbaren Zwecke nicht mehr benut-
zen, so dienen sie um so reichlicher als geschmeidiges
Material für die Kunst, als Exemplificationen für die
religiöso W^ahrheit und als ehrenvolles Object für den
philosophischen Gedanken, ohne dafs defswegen sein
Recht, sein Laben für sich zu haben und in seinem
eigenen demente darzustellen, ihm geschmälert würde.
Ja es liegt eben im Interesse des absdluten Seibstbe-
wufstseins, dafs der sittliche Geist in der Historie zu
Tollkommener Erkenntnifs seiner selber komme, nicht
nur damit er abstracter Weise seiner Endlichkeit inne
werde, sondern Tornehmlich in dieser negativen Be-
schäftigung mit seiner Vergangenheit für die positive
Betrachtung der an und für sich seienden Idee sich
bilde. Das Gedachtnifs ist die Vorschule des Gedan-
kens, die Jugend erhält in der Geschichte ihre haupt-
sächlichste formale Vorbereitung für das Ergreifen der
ewigen, substantiellen Wahrheit, und was ist die ganze
herrliche Lust, die uns bei der Beschäftigung mit der
Vergangenheit der Völker durchdringt, als ein unend-
liches Freiheitsgefühl, das zwar noch abstract, aber die
Basis für jedes höhere Sellistbewurstscin der Wahr-
heit ist?
Ist es uns auf diese Weise gelungen, der politi-
schen Geschichte sowohl nach ihrem objectiven Inhalt,
als nach ihrer subjectiven Form die rechten Oerter
im Systeme anzuweisen, and namentlich tlie letztere
aus der ungeeigneten Stellung in der blofsen Einlei«
tung zu befreien: so verlohnt es sich vielleicht der
Mühe, noch einen Augenblick zuzusehen, wie es sich
in derselben Hinsicht mit der Geschichte des absohi-
ten Seibstbewufstseins verhalte. Was hier die Rdi-
gionsphilosophie betrifft, um an dieser und namentlich
an der theologischen Euoyklopädie als an einem Glie-
de von jener die Sache näher anzudeuten, so kann so
wenig, als oben die Trennung der Geschithte des
Staats von der wissenschaftlichen Darstellung dessel-
ben, die gewöhnliche Abscheiduug der historisebea
Theologie von der systematischen als völlig coordillt^
ter Disciplinen zugegeben werden, sondern als Wis-
senschaft giebt es nur Eine, die systematische Tkes-
logie, und die historische ist als Phänomenologie des
christlichen Geistes ein blofses Moment von jener, so
zwar, dafs nachdem im Verlaufe der Religionsphiloso-
phie die Stelle, wo die christliche Form des absolutes
Selbstbewufstseius erreicht ist, zuerst der allgemeioe
Begriff der christlichen Religion mit seinen besondijiii
Seiten als Dogma, Sitte, Cultus und Recht anzuge-
ben, hierauf sogleich theils im Ganzen, theils von j^
der dor^ besondern theologischen Disciplinen der ge-
schichtliche Proccfs, in weichem jeuer Begriff sich
realisirte, aufzunehmen und zuletzt das gegenwärtige
religiöse Selbstbewufstseiu wissenschaftlich darzustel-
len ist. Diese IMethode ist in sofern bereits als die
richtige anerkannt, als jede der besonderen theologi-
scheu Disciplinen exegetische und historische Elemente
bald in gröfserer, bald in geringerer Menge in sich
aufnimmt, wodurch der Anspruch der historischen Theo-
logie auf gesonderte Existenz im wissenscbaftlicheo
Organismus ein durchaus prekärer wird, oder es eot-
spricht auch unser Schema gewissermafsen der sonsti-
gen Eintheilung der Theologie in exegetische, histori.
sehe und systematische. An sich nun hat das succes-
sive Hervortreten der verschiedenen Kirchenparteiea
und ihrer dogmatischen und ethischen Systeme, so wie
die jetzige mannichfaltige Gestaltung der Cbristeabeit
die wahre Bedeutung der Verwirklichung der im Be-
griffe der christlichen Religion- ursprünglich gesetzten
Momente. Allein es fragt sich: wie erscheint dem re-
821
Begel^ 6eseAie/ite der Philosophie.
822
ligiösen Subjecte Jielbst, wenn es bdd auf die ganze
Gesdiichto des Geistos, in dem es lebt, und auf seine
eigeoe Stellung in der Wirklichkeit desselben zurück-
blickt) nde ersctieint sogar dem Theologen, wenn er
sowohl von der Betrachtung dessen, was Andere vor
ihm geleistet, als nach Vollendung seiner eigenen Ar-
beit Yon derselben zurücktritt, clieser durch Jahrhun-
derte sich dehoendo Verlauf und seine eigene Gegen-
wart? Die christliche Frömmigkeit steht hier nicht
Bit dem Bekenntnisse an, wie ihr allerdings die gött-
liche Wahrheit, indem sie dem geschichtlichen Procefs
•ich überlieferte, neben dem, dufs sie sich darin be-
währte, auch vielfach von ^ich ab- uad in die Endlich-
keit, das Aufscr- und Nebeneinandersein, sogar in Irr-
tknm und Verderbnifs gefallen erscheine, wie dieses
der meoschlicheu Natur nach nicht anders habe sein
kSonenj aber'dais „stat sna cuique dies'^ wird auch
der Theologe, wie stark auch sonst sein Bewurstseiu
von sieb selber sein möge, nicht ganz aus demselben
verdrängen können. Für das Vergangene und Vergäng-
liche aber ist die einzige 'Weise, in welcher es fort-
ezistfreu kann, die Erinnerung, und so ist auch hier
der Ort, den Ursprung und die Bethätigung des bisto-
riscben Interesses und Wissens zu betrachten, wel-
ches zuerst unbefangen als „ursprüngliche Geschichte"
auftritt, im Gegensatze der Parteien unter einander
aber zur „reflectirten*' wird, wobei überdiefs, weil die
Erscheinung des religiösen Geistes in den endlichen
ßllt, auch das nicht ebenbürtige, blos moralisch, poli-
tisch u. s. w. gebildete Bewufstsein sich derselben be-
mächtigt und sie auf seine unwahren Kanones zieht.
Eine mehr als formelle und subjective Befriedigung
kommt auch bei. dieser Beschäftiguug mit der religiö-
sen Geschichte nicht heraus. Deun wie oft z. B. ein
Coov^rtit behauptet haben mag, durch geschichtliche
Anschauungen zu seiner richtigeren Einsicht gebracht
worden zu sein, so ist dieses doch nur einer Selbst»
täaschung zuzprechnen, indem er vielmehr in seinem
bisherigen religiösen BewuCstsciu durch die Dialektik
präsenter Mächte erschüttert worden ist und erst bin-
tennach in den Zeuguissen der Geschichte sich umge-
sehen hat. (instar omninni: Luther). Die Bistorie
weist daher das nach Wahrheit suchende Subject auch
hier von ihrem Gebiete auf sich selbst, zunächst also
auf seine Coufession zurück, in welcher es aber wie-
der nnr etwas erst Gewordenes und in der Gegenwart
Beschränktes, nicht die absolute Allgemeinheit erblickt,
sondern wobei ^chleiennacher Recht hat, wenn er die
Do^matik (über auch die übrigen^ theologischen Disoi-
piinen) als historische Wissenschaft bezeichnet. Al-
lein von diesem Gefühle der Endlichkeit befreit sich
der christlich religiöse Geist selbst, nicht indem er
nnr, wie der sittliche, in den Gedanken des all walten-
den Schicksals oder in das pure Abhängigkeitsgefühl
sich versenkt, sondern zunächst versuchsweise, wie der
Staat factisch im Kriege, so wissenschaftlich in der
Polemik, die aber, indem sie in allen christlichen Con-
fessionen, so wie typisch und prophetisch selbst in den
vorchristlichen Religionen den Einen Glauben an die
ewige Menschtierdung und Offenbarung Gottes, und
somit die wahre Religion findet, zur allseitigen Sym-
bolik oder Statistik oder zur Historie im absoluten
Sinne wird, für welche alle geschichtlicheti Gestalten
des religiösen Geistes die nothweodigen Medien seiner
Erscheinung bilden. — Historie bedeutet uns also auch
bin und wieder nur die Geschichte im Medium des
Selbstbewufstseins, so dafs nicht der Inhalt der Kir-
chengescbichte an sich, dem wir vielmehr als solchem
seinen Platz bereits angewiesen haben, sondern er nur
in seiner subjectiven Form, und zwar Wesen und Ge-
schichte dieser Form, hier unser Gegenstand ist Da*
mit glauben* wir denn wiederum zweierlei erreicht, näm«
lieh theils die Genesis des historischen Wissens auch
auf diesem Gebiete aufgezeigt, theils, wie es den Ue-
bergaog in die höhere Sphäre der Philosophie vermit-
telt, nachgewiesen zu haben: denn nur, wenn nicht juns
allein, sondern dem religiösen Geiste selber seine Pro-
ductionen in einem Gesammt überblick vorliegen, ist er
in seiner Aligemeinheit sich selbst zur Einzelnheit ge-
worden und nunmehr reif dazu, das Unreife der Form,
in welcher er die Wahrheit getragen, 'einzusehen und
der Wissenschaft, welche die absolute Form des ab*
soluten Inhalts besitzt, die Ehre zu geben* Aufser-
dem ergiebt sich hier, wie bei der politischen Histo-
riographie, dafs wenn die Philosophie in ihrem eigeneil
Gedankengange zu der SteHe gelangt, wo des religiö-
sen Geistes Recht erscheint, seinen ganzen geschicht-
lich erworbenen Reicht h um in aller Mannichfaltigkeit
und Fülle auszubreiten, auch ihr Recht dabei offenbar
wird, liach welchem sie schon vorher nur die Haupt-
momente aus seiner Geschichte sich angeeignet, das
Uebrige aber ihm selber zu behandeln überlassen hat;
823 Begely Ge^ehiehU
oder es ergiebt sich wieder^ vie die Pkilosophie swar
das Werden der Geschiobtschreibang begreifen, selbst
aber nicht blofse Historiographie sein kann.
Dafs nun schon früher auch die Aesthetik in dem-
selben geschichtlichen Bewurstsein^ wie hier die Reli«
gionspbilo8o)>hie, sich zu vollenden habe, und nur von
diesem aus dex kiiustlerische Geist sich willig werde
in die reinere Sphäre -der Religion tiberfiihren lassen^
glaubt Ref. nicht weiter auseinandersetzen zu müssen,
wohl aber noch mit weoigen Worten die Behandlung
der Geschichte der Philosophie erwähnen zu dürfen.
Ni^cb der Art, wie bei Hegel die Encjklopädie schliefst,
könnte man zunächst meinen, es falle ihm die Ge-
schichte der Philosophie aufserbalb des Systems, wie
er überhaupt das geschichtliche Material der einzelnen
Wissenschaften nirgends in die Encjklopädie aufge-
nommen hat. Allein diese will auch nur die gegen-
wärtige Welt in ihrer substanziellen Wahrheit wissen-
schaftlich exponiren und hat daher mit jener Aus-
scbliefsung ebenso Recht, als andererseits behauptet
werden kann, die Vergangenhert als Moment der Ge-
genwart sei gleichfalls ein Gegenstand des philosophi-
schen Gedankens. Dieser letzteren Nothwendigkeit bat
Hegel in den Vorlesungen über die einzelnen Discipli-
Ben genug gethan, so dafs sich daraus ergibt, wie er
für das vollständig ausgeführte Sjstem alteVdings auch
die Geschichte des Stoffs derselben fordert und also
die der Philosophie da eintreten mufs, wo sich der Be-
griff der freien, absoluten Wissenschaft aus der Dia«
lektik des künstlerischen ^und religiösen Geistes ergibt,
lieber die Behandlung der Geschichte der Philosophie
aber hat sich Hegel wieder nur eioleitungsweise aus-
gesprochen (Enc. f. 13, Gesch. der Ph. S. 11 — 64),
was indessen auch lyer, wie sonst, das Mifsliche hat,
dafs wesentliche philosophische Sätze nicht in wissen-
schaftlichem Zusammenhange erörtert werden und da-
her nur in dem Werthe von Versicherungen erschei-
nen. Man kann zwar behaupten, der Hauptgedanke
dabei, dafs die Geschichte der Philosophie nur die Eine
Philosophie auf verschiedenen Ausbildungsstufen zeige,
sei da, wo diese Geschichte beginne, insofern bereits
bewiesen, als es in dem Begriffe der sich selber den-
kenden Idee liege, sich successiv nach den verschiede-
nen Momenten ihtes Inhalts zu entfalten. Allein au-
der PAiloiophie*
824
fserdem, dafs dieser Satz selber wieder erst als Resni«
tat der Geschichte der Philosophie seine volle Bewäh»
rung findet und daher am Schlüsse derselben von Neuem
vorkommen mufs, so ist für seine Rechtfertigung gegen
die einseitigen Weisen, jene Geschichte zu behandeln,
der Ort nicht da, wo diese erst im Beginne ist, soiti
dem bei dem Rückblicke auf die ganze \Vclt von Ge-
danken, welche die philosophische Idee aus sich er-
zeugt hat. Hiezu kommt, dafs das Sjstem zwar nicht
während seiuer^Selbstentwicklung, wohl aber nach osd
aufserbalb derselben das Bewufstsein über sich an»*
spricht, dafs sein Urheber, auch nur „ein Sohn seiner
Zeit,*'' es selbst „nur diese Zeit im Gedanken erfafst"
sei, und es sich also fragt, was wir mit solchen Un*
ruhe erregenden, forttreibenden Geständnissen, was
mit dem „heitern Bewufstsein,'' welches, wie man ans
sonst versichert, Ilegcl selbst über 9ie Unvollkommen-
hcit seiner Lehre gehabt und kundgegeben haben soll,
zu begiunen, was dem gesunden und wbhiberechtigtco
Urtheile, dafs auch auf dem Felde der Philosophie
„Einst wird kommen der Tag^ wo die heilige Uioi hin$inki^
Friamoi Belbsl und da% Volk des, lanzenkundigen Königt,'*
ZU erwiedcm haben. Soll etwa auch die Erkenntnifs
der ewigen Wahrheit nur mit der formellen Allgemein*
beit des Ruhms, oder mit dem „Humor davou" eniii*
geul Dieser Schritt des Systems über sich selbst bio-
aus ist nur so in einen Schritt innerhalb seiuer umzu-
biegen, dafs dieses- historische Bewufstsein von sich,
wie es nun nicht nur der jetzigen Wissensdiaft, son«
dern allen früheren Darstellungen derselben eignet, sel-
ber wieder zum Gegenstaude der Betrachtung gemacht,
und das System also da, wo es nach vollbrachter ScbiU
deruug seiner Vorgänger von seiner Arbeit ruhen moch*
te, im Angesichte von diesen noch einmal zpr Selbst-
besinnung aufgerufen wird, welches Schicksal nun aa
ihm selber, wie bereits au jenen, sich vollziehen verde.
Die Antwort darauf wird dann eine eigene Disciptio
von der Btshandlung der Geschichte der Philosophie da-
hin geben, dafs allerdings das erste Loos jedes philo-
sophischen Systems nur dieses sei, iu dem formellen
Gedächtnisse seiner Jünger fortzuleben (die Ursprung-
liehe Gesoh.); dafs sodann die kommenden Phileso-
pbengeschlechter es sich je nach ihrer Bildung zurecht-
und auslegen werden (die reflectirte Geschichte) ; drit-
tens aber der ewige Geist der Philosophie dafür sort^t,
dafs jedes eigenthümliche System neben der ihm an-
haftenden zeitlichen Beschränktheit als sein ürgau usd
als Vermittler der Wahrheit für alle Nachwelt erkannt
wird (die absolute Geschichte). So kommt beides zu
seinem Rechte, der Schmerz des blofsen Geschichtlicb-
seins und das seelige Bewufstsein von der Wahrheit
der erkannten Idee j diese aber als di^s ewig Allgemeine
resultirt ebenso am Schlüsse des Systems, wie sie sein
Anfang und seine Mitte gewesen ist.
Binder.
w^ 104.
J a h r b fi c h e r
für
wissenschaftliche
Kritik
December 1839.
UV.
Bedenken der theologischen Fakultäten der Lan^
desunirersität Jena und der Universitäten zu
Berlin, Göttingen und Heidelberg y über das
Hescript des Herzoglichen Consistoriums zu
Altenburg vom 13. Nov. 1838. (den kirchlichen
Separatismus in der Ephorie Ronneburg be-
treffend) und über zwei verwandte Fragen.
('Nebst einleitender geschichtlicher Darstellung
und Actenstucken). Altenburgy 1839. in Com^
mission der Schnnphase* sehen Buchhandlung.
IV. 174 S. gr. 8. '
Refonnatorische Zeiten sud immer den Zeiten der
CrrundoDg der Kirche in der Welt verwandt. Wie hier
UBchristliGhe Elemente^ weiche mit den ersten Beken-
nem des ETangeliums in die Kirche eingegangen wa-
ren, einseitige Auffassungen desselben yeranlafsten,
«US welchen einseitige nnd verkehrte Richtungen des
cbriatliehen Lebens und der theologischen Forschung
hervoi^ingen ; eben so ist die Kirche nach Lehre, Dis-
ciptiD nnd Verfassung späterhin durch fremdartige Lehr«
eleinente, Grundsätze und Lieb^ensrichtungen entstellt
worden, deren Ansscheidunji; von Deujenigen versucht
wurde, welche die Idee der wahren Kirche im Bewufst«
sein bewahrt oder durch redliches Forschen in den Ur«
koadeo göttlicher Offenbarung oder durch die geheime
uod laute Sprache des nie ganz schweigenden kirchli-
chen Gewissens gewonnen halten und bemüht waren,
sie KU realisiren. Johann von Oochy einer der jüng-
sten Vorläufer der Reformatoren des 16. Jahrhunderts,
glaubte namentlich uod besonders 4 Irrthümer, durch
welche das Christentbum von jeher entstellt worden
sei, bekämpfen zu müssen (de quatuor erroribus circa
legem evaugelicam exortis): ein beschränktes judaisi-
rendes Wesen, einen Glauben ohne entsprechende
Jahrb. /. Mfuunuch. KriÜk. J. 1830. II. Bd.
Früchte, das Selbstvertranen auf eigene Kraft nnd
That» ohne gottliche Gnade, und den Wahn durch bin-
dende Gelübde zur evangelischen Vollkommenheit zu
gelangen. Und wir werden, wenn auch nicht alle Irrun-
gen sich auf diese 4 Arten mochten zurttckf&hren las-
sen, doch gewifs dieselben in jeder Zeit, auch in der
nnsrigen wahrnehmen: den Beisatz einer falschen Ge-
setzlichkeit, Rechtgl&ubigkeit ohne christliche Tngend,
unchristliche Ueberschätzung der Kraft des freien Wil-
lens, wie unevangelische Beschränkung desselben«
Dafs aber unsere Zeit zu den reformatorischen, die
immer zugleich Zeiten des Fortschritts sind, gehöre,
ist eben so unverkennbar, als von Vielen anerkannt,
wenn wir auch bei der noch stattfindenden grofsen Mi-
schung und verhältnifsmäfsigen Macht der kämpfenden
Elemente werden zugeben müssen, dafs wir zur wirk-
lichen Ausführung dessen, was die Kirebe erstrebt,
ungelähr in demselben Verliältnifs stehen mögen, wie
Johann von Ooeh^ Johann iVessel und ihre ver^
wandten Zeitgenossen zum J. 1517. Wir finden die
Kirche im Kampfe mit den uralten nnd immer wieder
neu hervorgetretenen Gegensätzen \ Theil nehmen nicht
blos die Scbultheologen, sondern Christen aller Stände
und Bekenntnisse, an ihrer Spitze die edelsten Fürsten«
Nach langer, weit verbreiteter, fast unbeschränkter
Herrschaft, welche ein von fem her eingedrungener
Deismus in verschiedenen, mehr und weniger christli-
chen, Formen und unter verschiedenen Namen ausge-
übt hatte, trat das kirchliche Bewufstsein des Ursprungs
des Cbristenthums aus göttlicher Offenbarung mit fri-
scher Lebenskraft in verhängnifsvoller Zeit hervor,
obwohl CS sich nach dem Maafse des Yerstäudiiisses
des göttlichen Wortes sehr verschieden aussprach, in-
dem die christliche Erkenntnifs fast alle Stadien der
Entwickeluug i\ieder durchlaufen mufste, auf denen
wir' den menschlichen Geist unter dem Binflufs dof
göttlichen Wahrheit seit den Anfängen der Kirche
104
827 Bedenken tke^hgüeher FäJbuliSten. 828
fioden, Tom christlichen. Ebionitisinos an bis zur rol- Torgetretsn war. Wer irgend seiche Zustftnde, die
lendeten Entwickelung der Theologie für die aposto- nur Aeufserungen der Krankheit, zugleich aber auch
lisch -katholische Kirche durch die grofsen Lehrer des des vorgeschrittenen Ueilungsprooesses der Kirche sn-
4. «nd 5. Jahrhunderts, m deren dkumefiüchen ReaoU serer Zeit sind, genauer kennt, inufs die Weisheit und
taten die Reformatoren des 16. Jahrb. die Grundlage ^' Milde des Consistoriums bei seinen MaafsnehmttDgeu
ihres Bekenntnisses und die Grundsätze für die Er- anerkennen: die Weisheit, welche nicht blos die xeit-
neuerung der Kirche fanden. . Wie ehedem das Hei-
denthum und Judcnthum in und aufser der Krrche durch
die Macht der göttlichen Wahrheit im Umfange des
tdmischen Weltreichs nach und nach überwunden wurde,
so sehen wnr auch jetzt, wie allmähiig die fremdarti-
gen Eliemente, welche sieb m der Kirche geltend ge-
diacbt haben, obwohl sie die geralreichsten Vertreter
gefunden, von dem Geiste der göttlichen Wahrheit
mittelst 'der Waffen der christlichen, in den verschie-
densten Formen hervortretenden , Wissenschaft über-
wunden werden und die evangelische Kirche nach ihrer
Lehre je länger je mehr ihrem Begriff wieder ent-
spreche und so, wenigstens zunächst nach ihrer theo*
retiscben Seite hin, ihrer ursprünglichen Gestalt immer
nieder ähnlicher werde und ihrem wahren Ziele näher
trete« Solche Umgestaltung ist freilieh, wie jeder Hei-
lungsprocefs, niemals ohne mancherlei Wehe erfolgt;
auch die Reorganisation der Kirche in unseren Zeiten
konnte und kann ohne dasselbe nicht erfolgen, so mild
auch die Mittel sein mögen, welche angewendet wer-
den. Schon die Erinnerung der Zeitgenossen an die
Irrung, in der sie vom ursprünglichen Ziel und dem
rechten Wege sich ent'fei^nt haben, thut wehe, weil- sie
kaum anders, als in der Form der Mahnung, wenn
auch nicht des Vorwurfs und der Anklage, gegeben
werden kann. Und wie naturlieh ist die Regung des
Argwohns, wenn von Rückkehr zum Alten die Rede
ist, weil so leicht die Besorgpifs entsteht, als solle auch
das Fehlerhafte der Vorzeit, nicht blos das nnvergänglich
Gute, das sie in sich trug — die verkannte Wahrheit,
Ordnung und Sitte, -r- nicht blos das ewige Wesen
des Christentbums , sondern auch die veralteten For-
men zurückgerufen werden, in welchen es, den Be-
dürfnissen und dem Bilduugsstande früherer Zeit ange-
messen, erschienen war.
Ein recht sprechendes Zeugnifs fiir die Wahrheit
dieser Bemerkungen gibt das Verhalten und die Erfah-
rung des Herzoglich Slichsi^chen Consistoriums zn AI-
fenburg, nachdem im vorigen Jahre der lutherische
Separatismus in mehreren Ephorien des Landes her-
liche Erscheinung, sondern den Grund des hervorge-
tretenen Uebels heben wollte, und die Milde, weicbe
sich in den) beka^mten, auch in vorliegender Schrift,
nach der einleitenden geschichtlichen Darstellung, &
23—27 wieder abgedmokten Rescript v. 13. Nov. v.J.,
80 wie in anderen hier mitgetheiiten Erlassen (aas-
spricht, eine Milde, deren Quelle wahrscheinlich die
wohlbegründete Ueberzeugung ist, dafs die kircblicbea
Uebel der Zeit nicht den Einzelnen, selbst wenn sie
Interpreten der öffentlichen Meinung sind, iasbeson«
dere aufzubürden, sondern Erzeugnisse des Geistes der
Zeit seien, unter dessen Einflufs viele auch der
edelsten Glieder der Kirche, selbst ttubewafst, stdies.
Aber ungeachtet dieser weisen MHde haben mehrere
Geistliche, jedoch, wie es scheint, viel weniger, als
man anfangs annehmen konnte, sich durch jenes Re-
script verletzt gefühlt, als ihre Gewissens- und Leh^
freiheit bedrohend, wie ihre Ehre kränkend, — eise
Gereiztheit, die freilich zum Theil verursacht -wurde
durch unzeitige, unbedachte Anzeigen in kirchlichen
und politischen Zeitschriften.
Behufs der folgenden beurtheilenden Darstellaog
theilen wir zunächst Einiges über die Ausbildung des
kirchlichen Separatismus im Herzogthum ubd über die
von der kirchlichen Behörde dagegen ergriffenen Maafs-
regeln meist aus der in vorliegender Schrift enthalte-
nen geschichtlichen Einleitung (S. 1—22) mit Die
durch den bekannten Pastor Stephan in Dresden ve^
anlafste kirchliche Bewegung, welche leider ! den Frie-
den vieler Familien im Königr. Saebsen 'gesfdrt bat
und zunächst in eine Auswanderung einer nicht uabe»
deutenden Zahl zum Theil anerkannt achtbar» Meo*
sehen nach Nordamerika ausgegangen ist, ergriff aneh
mehrere Familien und Individuen im Herzogt hnm Altea-
burg, so dafs, wie gemeldet worden, aus der Ephorie
Rpnneburg 35, aus der Ephorie Kabia 28 wbA aus der
Ephorie Altenburg 46 Personen ausgewandert sind.
Auch zwei seit längerer Zeit dem Pastor St. naher be*
freundete Geistliche, die Pfarrer Ldier za Blseahng
im Amte Kahia und Gruber zu Reust im Amte Roih
Ä#^^^^W^W^^^^w WwW^^ß9^^^mW^^^w9^^^ ^L ^^^w^^99^^W^^^w
830
neborg, Mitm im Soaii»er Torigen Jabrs deo Eat-
MshIitlS) an der beabsiebtigfea AnswanderuDg Theil tu
aehmeo, iind kamen deshalb bei dem Hersoglieben Con»
sietorinm am ihre Enf iaaaung ein. ^^Beide . Üotten,**
Bach dem eigeuen ürtbeil des Conaietorioms, y,der eine
in 14jibriger, der andere in ISjabriger Amttfiibning,
nick durch die Sebriftmftfsigiceit und Erbaulichkeit ihrer
SffcntKchen Vortrüge, se wie durch Gewiasenbaftigkeit
nnd Pflichttreue, neben einem musterhaften Lebenswan«
del durchaus als wackere Geistliche erwiesen;*' nur
dafs sie in Ihrem Eifer sich auweilen gegen Andersden*
kende etwas nndnidsam geieigt, auch der Pfarrer Gm-
her seine Wirksamkeit unbefogterweise auf eine an*
dere Paroobie ausgedehnt und Pfarrer Ldber in einem
Nachbarstaate eine ihm nicht tou der austäodigen Be-
hörde gestattete Anitshaudlang Terricbtet hatte, was«
halb das CoDsistorium einmal genothigt gewesen war,
Beiden seine- Unnufriedenheit zu bezeugen (S. 37 vgl.
3.), wcgagen ihnen auch noch bis in die letzte Zeit
Beweise der Anerkennung ihrer pflicktmftfsigen Wirk-
aamkeit zu Theil geworden waren. Die das Consisto-
räni sehr ehrenden Versuche, sie durch liebreiche Vor-
atelluttgen von der Ausführung ihres Entschlusses zu-
rdckzuhalten, hatten bei L/Öier nicht den gewfinsehten
Erfolg; „er opferte seinem Vorhaben die Trennung von
swei geliebten Brüdern, ron einer ihm äurserst ergebe-
nen Gemeinde, den Verzicht auf eine Pension für seine
Hinterlassenen, und rertrauete einen swttchlicben Kör-
per einer mfiberollen unsichern Zukunft an. Seine Ab*
reise nach Amerika erfolgte in den ersten Tagen des
October 1838'' (S. 3 u. 8). Der Pfarrer GruSer hatte
nichkorz Tor der Abreise seines Freundes Ldber über
seine Absiebt, im Amte zu bleiben, schwankend erklärt.
Die mit ihm gepflogeneik Veriiandlungen des von dem
Consistorium damit beauftragten Hrn. Consistorialrath
nnd General -Superintendenten Ue9tkiel und des Hrn.
Ephorierikar ReinuehfUMel in Ronneburg hatten den
Erfolg) dafs Gruber sein Entlassungsgesuch an das
Consistorium zurQcknabm und, so lange er durch sein
Gewissen nicht gehindert wOrde, der Kircbe seines Va«
teriandes femer zu dienen versprach, ohne irgendwie,
direct oder indirekt zur Auswanderung aufzureizen,
was er versicherte, auch bis dahin noch nie gethan,
vielmehr Jeden', der ihm in dieser Beziehung seine Ab-
sicht mitgetbeilt, zu gewiaseuhafter Ueberleguog des
Schrittes aufgefordert au haben, wie denn aneb in der
von allen Ausgewanderten nnterscfariebenen „Answao-
demngsordnnng" ein besentkrer Paragraph enthalten
sei, der die freiwillige ßntschltefsnng derselben betza-
treten, bezenge. — • Jedoch hat derselbe später durch
seine donatistiaohen Ansichten von der heillosen Ver-
derbnifs der allgemeinen Kirdie, viellaioht auch durch
Vorwärfe von Seiten der Gleichgesinnten, beuarubigt)
seinen Bntsehlufs nochmals, geändert und im Frühjahr
d. J. um seine Dienstentlassung gebeten, um zu An«
fang des August niU einer zahlreichen Familie sein
früheres Vorhaben zu verwirklichen (S. 8 f. vgl. 53 ff.),'
wenn ihm nicht etwa die in öffentlichen Blattern uns
zugekommenen, mittlerweile 'von den getftusebten An«
hängem Stephans erstatteten, Berichte über die end-
liche Enthüllung seines Cliarakters und die emgetrete*
neu Mifsverhältnisse der Golonie die Augen geöffnet
haben. — Die Auswandenmg der Gemeindeglieder er-
folgte nicht ohne Zevreifsnng der heiligsten Familien-
baude$ Gatten, die in der glücklichsten Ehe gelebt
hatten, denen die Behörden datf Zeugnifs eines mn*
sterhaften Verhaltens gaben, meldeten sich bei dem
Consistorium mit dem Antrag auf Scheidung, weil der
eine Theil nicht mitziehen wollte; und obwohl das
Consistorium Alles versuchte^ um dureh ernste Vorstel-
lungen die Bittenden zum Bleiben im Lande au bewe-
gen, so mnfstc doch auf Grund der Bbeordnung dem
Antrage gewillfahrt werdea So wanderte unter Ande-
ren . auch eine Ehefrau aus der Diöcese Ronneburg aus,
deren Ehemann und Kinder zurückblieben ; s^das jüng-
ste derselben, liefe sie sich noch in Ronneburg auf dem
Marktplatz von ihrem neben dem Auswanderungswa-
gen, wo sie safs, stehenden Mann auf den Wagen
geben, reichte ihm noch einmal die Mutterbrust uud^
fuhr davon. Auch diese Eheleute hattep bis dahin
glücklich gelebt.» (S. 3 f.)
Diese höchst auffallenden Erscheinungen ereigne^
ten sich in einem Lande, dessen milder, frommer Re«
gent die Vollendung seines eigenen Glücks nur in dem
Glücke seiner Untertbanen findet, bei uuverkümmerter
Gewissensfreiheit, bei unberührter Kircbenverfassung-;
die Geistlichen des Horzogthums Altenl^urg überneh-
men, wie vordem, noch beute bei ihrer Anstellung die
Verpflichtung, „die Lebren der göttlichen Wahrheit,
wie sie in der heil. Schrift enthalten sind, den Bekeiint-
831
Bedenk09h theol0gi9cher FaknliSten. '
niftfbficbem der eraDgelisoh* lutherischen Kirche gemäf«,
treU) fleifsig uod nach ihrer besten Einsicht vorzutra-
gen." (S. 1 f.) Es kann demnach nicht behauptet ver«
den, dafs die Kirche und ihre Gemeinden der subjecti-
Ten Willkühr der einzelnen Geistlichen preis gegeben
seien, auch liegt andrerseits kein Beweis vor, dafs ein
Geistlicher um seiqes eyangelisch» kirchlichen Bekennt-
nisses willen Ton den Behörden sei bedrückt, gekränkt
oder zurückgesetzt worden; nur unbefugtes Uebergrei-
fen in fremde Wirkungskreise scheint getadelt und den
bestehenden Gesetzen gemäfs beschränkt worden zu
sein. Die Ursachen des Dranges, der jene Familien
und Individuen aus einem gesegneten Lande in eine
ungekannte Freipde trieb, konnten daher, da sie in der
kirchlich -rechtlichen Verfassung nioht lagen, nur in
den faktischen kirchlich-socialen Verhältnissen und in
der durch -sie bedingten Verstimmung der Gemüther
liegen, die sich leider! deutlich und grell genug
im gewöhnlichen Verkehr, wie in der gemeinen Lite-
ratur ausspricht, in dem fortgehenden Hader der
streitenden Ansichten und Grundsätze, wie er aber
allen Uebergangsperioden gemein ist, wo das werdende
Neue mit dem herrschenden Alten kämpft und nicht
ohne unangenehme Zerwürfnisse zur . Auseinanderset-
zung kommt. Wer in solchen Zeiten, wenn die Ver-
stimmung und das Zerwürfnifs einen religiösen, kirch-
lichen Charakter hat, verlangt, dafs die Behörden das
Wahre und Gute nicht blos in Schutz nehmen und der
gesetzlich bestehenden Ordnung gemäfs fördern, son-
dern plötzlich zur öffentlichen, allgemeinen Anerken-
nung und Geltung bringen sollen, yerlangt etwas Un-
mögliches und hat die eigenen Aussprüche und Weis-
sagungen des Herrn der Kirche (Matth. 13. vgl. ^Joh.
17, 14 ff. u. a.) nicht genug erwogen, hat aucb nicht
bedacht, dafs gewaltsame Eingriffe in das Gebiet des
Glaubens wieder ohne Ungerechtigkeit gegen die Un-
mündigen und in' so fern Schuldlosen in allen Ständen,
noch ohne grofse Gefahr für die Kirche selbst getban
werden können, deren Leben nur wirklich gedeihen,
Gott wohlgefällig und für die Welt wahrhaft heilbrin-
gend sein kann, wo der Glaube frei und unverstellt ist
Wer aber darum, weil meqschliche Behörden nicht so-
fort entfernen können, was Gott selbst nach seiner
832
Weisheit trägt, die Mutterklrcbe verläfst, welche auch
diejenigen ihrer Kinder und Diener, die ihre ansgespr«*
ebenen, nie zurückgenommenen Grundsätze nicht gan
befolgen, nicht verstöfst, sondern so lange noch die
Hoffnung der Besserung genährt werden darf, sie daroh
ernste und milde Mahnung zu gewinnen sucht : der ban-
delt gegen den ausdrücklichen Willen seines Ucrrn,
greift in dessen Regiment ein und verkennt die Auf-
gabe der Kirche, die sie bis zum Tage der Entscbd-
düng im fortgehenden Kampfe lösen soll, und deren
Prädikate der Einheit, Heiligkeit und Allgemeinheit,
eben weil sie dem Begriff der Kirche in ihrer Vollen*
duog entsprechen, jederzeit nur an ihre Bestimmung
erinnerp sollen.
Das Altenbui^er Consistorium hat seine Stelinng
und Aufgabe nicht verkannt. Jene Ereignisse trafen
ziemlich zusammen mit der Generalvisitaiion der Epho-
rie Ronueburg, mit welcher Hr. D. UesekM v^on de«
Consistorium beauftragt wurde. Eben so begreiflich
als seiner Pflicht gemäfs war es, dafs er bei der über-
raschenden Erscheinung > der aus religiösen Gründen
geschehenen Auswanderung auf «^iese seine besondere
Aufmerksamkeit richtete, um ihre Ursachen zu erfor-
schen, zumal in der Ephorie Ronueburg die Gegen-
sätze theologischer Auffassungs- und Verkundigungs-
weise stärker wie irgendwo hervortraten (S. 7 t\
Vor anderen kamen in jener Beziehung drei Parochiea
in Betracht: Paitzdorf, Misch witz und Reust, in wel-^
eben die Visitation am 18., 23. und 25. Ootober v. i%
stattfand, nachdem die Auswanderer bereits das Land
verlassen hatten. Aus Heust selbst, wo Gruber stand,
war Niemand fortgezogen, sondern aus den naiie Yi^
genden Orten, namentlich aus den beiden mitgenaon-
tcn Parochien, aus welchen viele Gemeindeglicder sich
zu dem Pf. Gruber hingezogen gefühlt und daher die
Kirche zu Reust häufig besucht hatten. Die Predigt-
weise der Pfarrer an beiden Orten schien dem Com-
missarius, theils nach dem Inhalte der Vorträge, Iheils
nach ihrer Form, eben so wie ihre seelsorgeriscbe
Stellung zu ihren Gemeinden geeignet zu sein, jene
Erscheinung zu erklären (S. 9 f., 63 f^), und sein L'r-
theil ist auch von den befragten vier theologischen
Fakultäten bestätigt worden (S. 79, 105 ff., 148, 170).
(Die Fortsetzung folgt.)
^ JW 106.
Jahrbücher
für
wis senschaftliche
Kritik.
December 1839.
Beäenken der theologischen Fakultäten der Lan-
desunfrersitäf Jena und der Universitäten zu
Berlin^ Göttingen und Heidelberg, über das
Hescript des Herzoglichen Consistoriums zu
Altenburg rom 13, Nov. 1838. u. s, w.
(ForteetzDDg.)
„Nach der Analogie gleichartiger Brscheinungcfn in
«Bderen Gegenden zu iirtbeilen/* heirst es in dein Gut«
achten der Heidelberger Fakultät (S. 169 f.), 9,80
«ekeiot die Answanderoug der Separatisten wenigstens
tkeUw&ise in einem causalen Znsammenhange' mit dem
kirchlichen Zustande des Landes zu stehen;- denn
schwerlich würden die Altenburgischen Auswanderer
jemals in eine nähere Verbindung mit' Personen von
der Stephanistischeu Richtung, geschweige in eine so
totale geistige Ahhängij^keit von ihuen gerathen sein^
wenn sie bei ihren eigenen Pfarrern yon vornherein
eine ToHständigere Befriedigung für ihr religiöses Be-
dürfbifs gefunden hätten. Von yornherein kann die
Sdiuld auch nicht auf die verkehrte Richtung gescho-
ben werden, welche dieses bei ihnen genommen ; son-
dern aller Erfahrung gemäfs mufs voransgesctzt wer-
den, dafs dasselbe erst durch Andere, die es mifs-
braucbten, diese verkehrte Richtung erhalten hat, un*
ter der Leitung erleuchteter und sorgsamer Seelsor-
ger aber eine gesunde, lebenskröftige Frömmigkeit
hervorgebracht haben würde. Die Akten thun nur zu
augenscheinlich dar, wie sehr manche Pfarrer die Ver-
irrten sich selbst fiberlassen haben. Diese U^abrneh-
maag mulate, aber das Consistoriuin zu den ernstesten
Betrachtungen veranlassen, die der seiner Leitung un-
tergeordneten Landesgeistliehkeit mitzutheilen für das-
selbe eben so sehr eine unzweifelhafte Pflicht, als ein
Datö^Uches Herzensbedürfuifs war. ' Nimmt man dazu,
diifs es, auch abgesehen von der Auswaoderuogssacbe,
Evfabruagen machte, wie sie in der uns mitgetheilten
Jakrh, /. triiienicA. KrUik, J. 1830. II. Bd.
Predigt des Pfarrers K. zu N. vorliegen, Erfahrungen,
dafs manche Geistliche das Evangelium in einer völ-
lig licht- und salzlosen Weise predigten, an der sick
Niemand (welcherlei theologischen Bekenntnisses er
auch sein möge) erbauen kann: so sieht man, wie sich
ihm die Pflicht immer unabweislichcr aufdrängt, die
Landesgeistliehkeit darauf hinzuweisen, dafs zur wirk-
samen Führung des evangelischen Prcdigfamts ein an-
drer Geist erfordert werde — und unter den seh wie*
rigen Verhältnissen der Gegenwart doppelt dringend —
als der, welcher sich aus der amtlichen Thätigkeit
mancher ihrer Glieder kund gebe. Das sehr rübmens-
werthe Institut der Generaivisitation erhält seine volle
Bedeutung gerade erst dadurch, dafs die kirchliche
Oberbehörde auf den sich bei der Visitation ergeben-
den Befund des kirchlichen Zustandes hin sich gegen
die Landesgeistlichkeit über Das, was jedesmal der
Kirche vorzugsweise Noth thtfe, ofl^en und vcrtranlich
aussprechen kann." — Zu solchen Erfahrungen kamen
noch Seitens einiger Geii\eindeglicder, wdlehe der Com-
missarius vernahm, Andeutungen, dafs sie in den Vor-
trägen ihrer Geistlichen „den rechten Grund** vermifst
hätten, und in der ,, Auswanderungsordnung*' (S. 69 f.)
heifst es §. 2: „Nach ruhigster und reiflichster Ue-
berlegung sehen sie (die unterzeichneten Emigranten)
die menschliche Unmöglichkeit vor sich, in ihrer jetzi-
gen Heimath diesen Glauben (den reinen lutherischen) .
nnverfälscht zu behalten, zu bekennen' und auf ihre
Nachkommen fortzupflanzen. Sie sind daher von ih-
rem Gewissen gedrängt, auszuwandern'* (vgl. auch S.
12). Es konnte unter diesen Umständen von einem
evangelischen Consistorium pflichtmärsig nichts ande-
res geschehen, als in möglichst schonender Weise die
betreffenden Geistlichen daran zu erinnern, wnxn sie
sieh bei der Uebernahme ihrer Aemfer selbst foier^^
lieh verpflichtet hatten^ weil doch nur dann, wenn die
lebendigen Glieder der evangelischen Kirche den
105
835
I
Bedenkend the^tögüeAer FakuUäien.
m
GrQitdsätzeii und Lobreo derselben |;einäis uoterridi-
tet und gepflegt iverden^ sie in derselben sich heimiBcb
fühlen können und xu hoffen steht, dafs das Uebel
dds Separatismus in aeiiier letsteii Quelle und zum
Heil der Kirehe selbst werde gehoben werden, wie
denn die Kirchentrennuog gewifs nicht erfolgt sein
wü/de, wenn die römische Kirche die Mahnungen der
Reformatoren und ihrer Vorläufer, den von ihnen fest-
gebalteaeR dcumeniseben Grundsätzen gemäfs Lehre
und Verfassung der Kirehe zu besseHi, beachtet und
nicht auf den unkatholiischen, seit dem 6» Jahrhundert
erst canonisch festgestellten und allmählig herrschend
gewordenen, zum Theil auch zwischen der römischen
und griechischen Kirche streitigen, Dogmen, Sitten
nnd Anstalten beharrlich bestanden und so Diejenigen
sich entfremdet und endlich verstofsen hätte, welche
sich zu dem Lchrbegriff der apostolisch -katholischen
Kirche einuiüthig und feierlich bekannten. — Man
mufs aber die in vorliegender Schrift enthaltenen Ak«
tenstück^ die Schreiben des Commissarius, des her*
zogUchen Consistoriums und die Darstellang des Ge«
beimen Staats -Ministeriums {S. 3^ 7 f., 12 f., 14 f.,
40 f., 44> 45, 56 f., 58, 61 ff., 66 f., 74) selbst lesen,
um sich zu überzengen, wie mild und gerecht das Ur*
theil über die Anhänger und Gegner des Separatis-
mus, wie pflichfuiäfsig ernst nnd liebevoll zugleich,
wib kirchlich weise im Allgemeinen das Verfahren der
Behörden gewesen sei. Das derVisitationsordnuag ge-
mäfs an den einen der betbeiligten Pfarrer von dem
Commissarius unter dem 30. October erlassene, S. 62 f.
mitgetbeilte Schreiben lautet: „An den Herrn Pfarrer
M. Hochehrw. zu P. Bei der am 18. October in P«
statfgefundenen Generalvisitation predigten Sie über
Job. 12, 20 — 26, und Ihr Vortrag enthielt manches
Gute über das thätige Qnd praktische Christentbom,
auch in guter Anordnuog; altein es fehlte an Brschö*
pfuog de» herrlichen Textes,, und in Absicht auf die
Declamation haben Sie manche entstellende, der Wir-
kung Ihrer Lehrvorbr&ge nachtheilige Angewohnheit
ernstlich«! bekämpfen. Da gerade in Ihrer Gemeinde
der Keim zu* dem bedauerUchen .Separatismus dei
r
neuesten Zeit aui verderblichsten gewuchert hat, und
vietleicbti noch nicht gaos erstickt ist, so werden Sie
gewifs Ihrerseits alles Mögliche tbun, um in Ihren öf-
fentlicben Reden sowohl als in der eigentlichen Seelen-
pftvge der Gemeinde und den heikbegierigen HersBen
den gannen Christus in seiner reichen Gnadenf&Ile zn
predigen, damit sie nicht durch das Vermissen positi-
ver Wahrheiten des Glaubens veranlafst werden, ihre
Erbauung anderswo va suchen, und dann in die trau*
rigen Siünpfe des Wahnes und Aberglaubens geratheii.
Hierzu erflehe ich Ihnen mit umtsbrüderlicher' Liebe
den Segen unsers Herrn." -— Ein anderes Schreiben
vom 31. October an den Geistlichen, über dessen Pre-
d^-oben das ganz abfällige Urtheil einer theologischea
Fakultät mitgetheilt werden ist, beweist, wie bemtiit
der Herr Commissarius gewesen ist, die v&terliehen
Ermahnungen, die er tu geben hatte, durch Hervorsn*
eben des Guten, das sich noch auffinden Uefs, zu mit
dern. Es ist (nach S. 66 f.) folgendes: „An den Hrn.
Pfarrer K. Hochebrw. zu N. Obwohl in Ihrer bei der
Generalvisitation zu N« am 23. October gebaltenea
Predigt einzelne zweckmftfsige Erombnungen und Leb*
ren für Eltern vorkamen und sich in den Gebetsst^
len eignes väterliches GeiÜhl aussprach, so lag doch
der ganze- Vortrag zu fem ab von dem unvei^IetcUkA
schönen Texten als dafs er der Bestimmung des Taget
hätte geafigen können. Im ersten Theile kansen dam
nicht-vorsichtige Ausdrucke über die Hauptlebre des
Evangeliums „von dem seligmachenden Glauben an
Christus'* und der zweite Theil zog den Zuhörer all*
zn sehr in das Triviale herab \ auch hatte der äjifsere
Vortrag etwas Eintöniges und Schleppendes. Bei des
in Ihrer Gemeinde vorgekommenen religiösen Bewe-
gungen, denen. Sie nicht zeitig durch seelsorgKche
Tliätigkeit eutgegcogetrelen sind^ haben Sie g^ir be-
sonders darauf zu achten, dafs in Ihren Lehrvertra*
gen das eiapentlicb christliche Lehrelement nicht zurück*
gestellt werde und eben so oft vom Glauben als von
der Tugend, eben so oft ven Christo dem Versöhner
als voa Cbristo dem Lehrer und Vorbilde die Rede
ist; damit der Zuhörer nicht bei Ihnen vevmisse, was
ibtn anderwärts mit begeisterten» Monde ans der Fftlie
des Evangeliums dargeboten wird, oder gar auf des
Abweg der Schwärmerei nml des.Aberglanbens gero-
f he, indem er falschen Propheten folgt. — Mit cllrist*
lieber Fürbitte . . " An den Pfarrer Gruter zn Reust,
dessen Kirche der CoaunisGarioa von ZoMrera aas
der Gemeinde und den umliegenden Ortschaften, aneh
aus Ronnebnrg, aufserordenriich vett und dessen Pm*
digt er textgemäis und durchaus christKdb geAindea
hatte (S. 67 f.), schrieb er unter demselbe» Oatmi»
r
887
B9d$nken iA^lagi§eAer FaJbuüäUmi
8S8
(8. €8 t)t ),Die TOB IbneB bei der G^nenil Visit atton
an 2(^. d. M« gebaltencr Ptedigt hat mir die Ueberxeu^
gneg gegebeD) daft Sie das EvaDgoliuui in seiner
Reinheit nnd Würde, ohne Streitsueht nnd Terdatn-
raeade Urtheile verküadigfea, ond ich kann Sie nnr
freandfieh ermnern^ aof diesem Wege onter dem Wahl-
Sfraoh: Wahrheit in Liebe I ferner fortzugehen, nie*
mals über dem Festhalten an den Bachstaben der
Lehre den Geist derselben zii vergessen, alle Abson«
deraag, welebe Feindseligkeit, gegen Andersdenkende
?err&th, an vermeiden, und insonderheit den in Ihrer
M&be entstandenen/religiösen Bewegungen therls selbst
fem zu bleiben, theils denselben nicht Nahrung zu ge«
beo. Je mehr Sie Ihrer ganzen Gemeinde sich als
Seelsorger hingeben, desto segensreicher wird Ihr Wir*
kea sein, das ja ein^ öffentliches ist nnd sein soll*
M#gea Sie komer mehr die Gnade des Herrn erken»
aeB) welche Sie in dem letzten Jahr wunderbar ge*
filirt und Sie aus einem schweren Irrtbam, in dem
Sie gefangen waren, errettet hati Von ganzem Her*
zea wönsehe ich Ihnen den Frieden , der von - oben
kommt, und emenerte Kraft nnd Gesundheit zur Ar*
bell in dem Weinberge des Herrn, dessen Gnade mit
Ihaen sei allezeit.'^ <— Nach dem Bericht über die in
Reast abgehaltene Visitation an das Consistorium' t«
25. Octobev hatte sieh der Commissarius mit dem
Pfarrer Gruber nach dem Gottesdienste auf dessen
Studierstabe noch TertrauKcb über steine Verhältnisse
unterredet und Hin an die Pflicht erinnert, den Confir*
mandeaanterricht, den er in dem letzten Jahre, „wahr*
seheinlich von seinen Answanderungaplanen zerstreut,"
etwas versäumt hatte, vorschriftsmäftig za ertheilen,
was derselbe auch versprochen. Diesen Memorialen
an die einzelnen Geistliehen entspricht auch der all-
gemebe Bericht des Hrn. D. HeM^kiet vom 2. Novbr.
über den Befund des kirchlichen Zastaodes der Epho-
rie Ronneburg (S. 71 — 74). Wie er früher in seinea
GeneralvisitatioBsberiehträ über die Ephorie Eüeu'
ierg^ KaUa und Rödm den GeistKchen in ihrer über-
wiegenden Mshvzalil hnMichtlicb ihrer biblischen und
erhaalichen Predigtweise nnd ihres Amtseifers, nach
der gesehichtlieken DarsteUung des Geh. Staatsmini-
ateviums (S. 6), ein sehr günstiges Zeugnifs gegeben
faatte;. so bat er auch in gedachtem Conmiissionsbe*
xidbX aeine Zufriedenbeit mit der Mehrzahl der Geist-
lichen auf das Bestimmteste ausgesprochen. „Die von
mir den Pfarrern aufgegebenen Texte,** h^mt es (S.
71), „waren sümmtlidi dem EvaogeKo des Johannes
entnommen mid sO' gewühlt, dafs in den dariiber ge-
haltenen Predigten webl ein Zeugnifs von Christo ab-
gelegt werden konnte. Von den meisten Pfarrern ist
diefs in genügender, von einigefl in hervorsteelieader
Weise geschehen. Man darf auch wohl den sümmtii-
chen Vorträgen den biblischen Charakter zugestehen,
und von ihnen rühmen, dafs sie erbaulieben Inhalts wa»
reu ; nur sind die Kanzelgaben freilieh sehr verschieden,
nnd nicht üb^i^rall trat das Wesentliche des Glaubens an
Christns'mit gleicher 'Lebendigkeit nnd Stärke hervor."
Da bei der Visifation seine Aufmerksamkeit durch
die separatistischen Bewegungen besonders in Anspruch
genommen worden war, so aufsert er sich in dem Ver-
laufe seines Schreibens über diese Erscheinung, ihre
Ursachen und die geeignetsten Gegenmittel , wie es
auch die Wichtigkeit des Gegenstandes erforderte, am
ausfuhrlichsten, und gewifs sehr angemessen. Gegen
den Schinfs des Berichts (S. 74) spricht er nantent-
lich den Wunsch aus, „dars von allen Seiten AHes
geschehe, was weise Vorsicht und Christenpflicht ge-
bieten, um das fiir den AogenWick beschworene . Uebel
nicht von Neuem hervorzurnfen. In diesem Sinne,"
setzt er- hinzu, „müssen die noch vorbandenen separa-
tistischen Keime sorgiUltig beobachtet, Emissaire des
Auslandes so viel als möglich fem gehalten werden.
Die Pfarrer in den netroffencn Gemeinden müafäen: mit
begeisterter Entschiedenheit das ganze Evangelium Ver-
kündigen und in besonderen Unterredungen) di^, Irren-
den sanft nnd nachsichtsvoll führen ; die übrigen Ge-
meindegKeder müssen nicht aufhören, diesefben als
Bruder zu betrachten, und sich hüten, dafs sie nicht
durch Unglauben nnd Leichtsinn ihnen Adstofs geben.
Von dem Pfarrer Gruber ist -zu erwarten, dafs er, nach
seiner dem Herzogl. Consistorio vorgelegten Erklüp*
mng, Alles rermeiden. werde, was neue ßpaltung be-
wirken könnte, namentlich dafs er, seiner ganzen Ge-
meinde seine Thätigkeit zuwendend, an andere Geist-
Kchen sich anscbliefsen werde, um die Einseitigkeit und
Schärfe aus seiner Glaubens- und Lebensansicbt zu
verbannen.** -^ Ans diesem Bericht des Commissarius
und dessen Beilagen wurden nun dem Geschäftsgänge
gemäfs (S. 61) die zur Berathung im Consistorium
geeigneten Punkte durch den Präsidenten ausgezeich-
aet, und das Resultat der darüber von dem Collegitym
Bedenken the^logucher FakuliMen*
839
gepflogenen BerathBQgeii waren, biasiobtlich des frag-
liehen Gegenstandes, zunächst 3 Special -Rescripte
an die Epborie Ronneburg, betreffend die Pfarrer in
Paitzdorf,' Nischwitz und Reust, und dann eine allge-
meine, die persönlichen Leistungen der Eiuzelnen nicht
berührende, Verfügung in dem bekannten Circular-Re-
script y. 13. Nov., worin die Geistlichen und Lehrer,
nach ausdrücklicher Bezeici;ung der Zufriedenheit mit
den Leistungen „mehrerer Pfarrer" und „eines grofsen
Theil? der Sohullehrer,'' ermahnt werden, neben den
allgemeinen religiösen Wahrheiten von den Eigenschaf-
ten Gottes, von der Vorsehung, von dem Beispiel Jesu
Christi , von der Unsterblichkeit der Seele und dem
Wiedersehen nach dem Tode, oder von den einzelnen
Pilichtgeboten €nic/i die -^ dem Christentbum cigen-
tbüinlichen Grund- und Kernlehren — von Vater, Sohn
und Geist, von dem sündlichen Verderben des Men-
schen, von der freien Gnade Gottes in Christo Jesu,
von Jesu göttlicher .Natur und Wirksamkeit, von sei-
uem Mittler- und Versöhnungstode, von der Gerechtig-
keit, die aus dem Glaubten kommt, von der Unzuläng-
lichkeit unserer Werke zur Seligkeit, von der Aufer-
stehung und dem jüngsten Gericht, von Himmel und
Hölle nicht minder mit Nachdruck zu lehren und ans
Herz zu legen, damit die im kirchlichen Glauben erzo-
genen und nach den eigentlichen evungelisqhen Er-
weckungen und Tröstungen, wie sie dieselben in dem
Katechismusunterricht ihrer Jugend kennen gelernt und
in den altern Liedern des Gesadgsbuchs ausgesprochen
finden, verlangenden Gemeindeglieder nicht veranlafst
werden möchten, sich an fremde Geistliche zu wenden,
wenti sie die ihnen theuren Grundlehrcn des Christen-
thums'in den öffentlichen Vortrügen und im Beicht-
stuhl bei ihren Predigern vermifsteu. Das hie und da
bemerkte Vage, - Unbestiqimte, Zerflicrsende in dem
Ausdruck der letztgenannten Hauptlehren, eine unver-
kennbare Frucht der im vorigen Jahrhundert vorzugs-
weise begünstigten, in ihrer Wohlthätigk^it von dem
Consistorium gar nicht verkannten, aber im Uebermafs
leicht zur Unkirchlichkeit führenden Verstandesbildung,
müsse auf allen Kanzeln und Lehrstühlen wieder ei-
nem festern Glauben, einer bewufstvolteren Entschie-
denheit, einer freudigem Begeisterung Raum geben,
wenn nicht ähnliebe Erscheinungen, als die bemerkten,
sich zeigen und die Kirche zerrütten sollten. Dieser
^0
Glaube aber dürfe die Liebe jiioht verleiigneB, X\^w^
Entschiedenheit nicht zur Trennung npd .Absonderung
führen, diese Begeisterung nicht in Schwärmerei aus-
arten, und werde es nicht, wenn eben keinerlei mensch«
liehe Rücksicht obwalte und Cbrii^tas der Herr Allen
Alles sei.'^ — Zur Verhütung einer Mifsdentung. die-
ser väterlich ernsten ErniahDung und zur Milderung .
derselben wird noch ausdrücklich bemerkt: „Wir wol-
len Uns hiebei nicht auf eine Untersuchung einlassen,
inwiefern in dieser Hinsicht von einzelnen Pfarrern (md
Schullehrern des Herzogthums gefehlt worden ist, abef
Wir müssen ea Allen nach den statt gehabten Vo^
gangen für die Zukunft zur eigentlichen Gewissens^
pflicht machen, in ihren amtlichen Vorträgen, ungebun-
den durch irgend einen Geist der. Zeit und uubeherrsobt
durch irgend ein Anschn der Person, das gqnxe^ un-
getheilte Evangelium zu predigen. Es bändelt sich
hier 'gar nicht darum, dafs im populären Vortrag der
Bucbstabe irgend einer menschlichen Dogmatik oder
jene dialektische Schärfe, mit welcher manche theolo-
gische Bestimmungen und Begriffe in den Bekeniatnir«-
Schriften unserer Kirche entwickelt werden« hervor-
trete." •— Zunächst durch die Visitation der Ephorie
Ronaeburg veranlafst, wurde das Rescript auch, wie
es bei allgemeinen Erlassen der weltliehen und geistli*-
oben Behörden sehr gewöhnlich und an sich ganz
zweckmäfsig ist, zunächst an diese gerichtet; da aber
der Inhalt für die Geistlichkeit des ganzen Landes--
und wir dürfen wohl sagen, nicht blos des Herzogthums
Altenburg — beherzigenswerth schien , so wurde es
zugleich in einer hinreichenden Zahl gedruckter Exem-
plare den übrigen Epborien zugefertigt, damit, wie es
die Bestimmung solcher durch specielle Wahrnehmun-
gen veranlafsten Generalien nur sein kann^ ein jeder
das Heilsanie für sich daraus entnehmen möchte. Be-
sorgen durfte die obere Kjrcbenbehörde nicht, mit ei-
nem durch ernste Ereignisse veranlafsten Memeriale
dem Gewissen der Geistlichen und ScbuUehrer oder
ihrer Ehre zu uah^e zu treten, besonders da sie auch aiebt
voraussetzen konnte^ dafs von diesem Rescripte sieb
Fiele getroffen fühlen würden, weil, wie in dem Schrei-
ben des Geheimen Staats-Ministerinms ausdrücklich be-
merkt ist, „die meisten sehr günstige und belobende
Memorialien von allen drei Commissarien des Consislo-
riums bekommen hatten'' (S. 131.).
(Die Fortsetzung, folgt.)
• >
Jff 106.
J ahrbfich
e r
für
wis^ienschaftliche Kritik.
Deceniber 1839.
Bedenken der theologiechen Fakultäten der Lanr
desMweereität Jena und der Unwereitäten zu
Berlin j Oöttingen und Heidelberg y über das
Rescript des Herzoglichen Conmtoriums zu
Altenburg rom 13. Nov. 183S. u. 8. tv.
(ForftetzuDg.)
Gewifs ist diefs auch nicht der Fall gewesen, wie
aus mebrseiHgen Erklärungen hervorgeht, zuletzt noch
aas den ^^Gedanken einet alten Pfarrers über die
Kampfe wider das Herzoglich Saehsen-Altenburgi-
sehe Censisterial ^ Rescript.^* Altenburg, 1839. 8.
Man darf Yielteicbt annehmen, dafs das Resoript mit
einem sdncr Bestimmung ganz eotsprechonden« Sinne
Ton der Mehrzahl der Empfänger, die ja ans Erfah-
rung witeen mufsten, wessen 'sie sich von ihrer Ober-
behdrde zu yersehen hatten, werde aufgenommen wor-
den sein, wie es denn auch jedenfalls bei allen Wohl-
denkenden nach reiflicher Erwägung der Verhältnisse
seinem Zwecke entsprechen wird. Aufser Wenigen,
die sich in ihrem Gewissen getrofl^en fühlen mochten,
konnten sieb» bei etwaiger Unbekanntschaft mit der
Lage der Dinge, nur dann erst die Geistlichen des Uer-
sogthoms verletzt fühlen, als das fiir das Publikum
gar nicht bestimmte Rescript durch Unberufene in po-
litischen und kirchlichen Zeitungen nicht blos bekannt
gemacht, sondern mit Bemerkungen begleitet wurde,
nach denen es als öffentlicher Tadel der bisherigen
Predigtweise der ganzen Geistlichkeit dargestellt und
wodurch der Wahn erzeugt wurde, „als würde etjiras
ganz Neues, verlangt" (S. 14) und die gesetzliehe Glau-
bens« und Lebrfreiheit bedrohet, welche wir der evan-
gelisehen Reformation verdanken.
Jetzt erhoben sich in^ öffentlichen Blättern und
Flngschrifiten laute Klagen über das kränkende und
rerletzende Rescript, über die Gefahren für Gewissens-
und Lebrfreiheit u. dgl. Besondere Aufmerksamkeit
Jahrh, f. vpuuMch. Kritik. , /. 1839/ H. Bd.
fand die zwar in gi^reizter Stimmung, aber doch in
mildem Sinne abgefafste Schrift des Archidiak. Klöt»*
ner in Altenburg: Beitrag zur Ehrenrettung einer
verunglimpftsn ehrisil. Glaubens* und Predigtweise.
Eine offene Erklärung, veraulafst durch einen Artikel
in der (Rheinwald'schen) Berliner allg. Kirchenz. über
ein hohes Rescr. des Herzogl. Consist. zu Altenb. be-
treffend die kirchl. Zustände des Herzogth., von einem
Prediger Altenburg^s^ im Auftrage Mehrerer und im
Sinne Vieler seinem Amtsbrüder. Leipz. 1838. 60 S.
8. — und dann der Brief eines berühmten Veteranen,
worin unbegreiflicher Weise das Rescripf des Landes-
Consistoriums als Erlafs des Commissarius angegriffen
wird: „Au den Hrn« Consistorialrath und Generalsu-
perintendenten Dr. ffesekiel ih Altenburg der Dr. Ja^
näthan Sehuderoffxxi Ronneburg über /das an die ge-
sammte Prediger- und Schullehrerschnft des Uorzog-
thums AKenburg erlassene Consistorial-Resbript vom 13.
Nov. 1838." Leipz. 1839. 44 S. 8. ^ Dazu kamen
einige namenlose BroBcbüren: ^^Sendschreiben und
Trostbritf au die Geistlichkeit der Ephorie Ronne-
burg.'* — Zürich 1839. 32 S. 8. (angeblich von einem
Nachbar) und „ Ueber Altes und Neues in der luthe-
risch-protestantischen Kirche u. s.w. von einem Säch-
sischen Geistlichen." Altenburg, 1839. 8. Schon wie
von der zuerst genannten Schrift ab, die rücksichtlich
des Cottsistoriums durch ihren Ton fast durchgängig
sich rühmlich auszeichnet, so wurde in den übrigen,
wie in zahllosen Zeitungsartikeln, von Glaubenszvang
gesprochen, als Tendenz des Rescripts bezeichnet, „ein
längst verschollenes Glaubens- und Lehrsystem wie-
der geltend machen zu wollen,'' und die Bekenner des
kirchlichen Glaubens wurden genannt : „Pietisten, Gläu-
bige, Heilige, Frömmler, Lanimsbrüder" u. dgl« — Wollte
man von diesen Apologeten der Altenburgschen Geist-
lichkeit auf den kirchlichen Charakter der von ihnen
vertbeidigten Amtsbrüder scbliefsen, so würde nichts
166
843
Bedenken iheelogieeker FahtltSUn.
natörlicber erscheinen^ als die Entfreniflung und Abse»*
deniug einselner Individuen und Familien von ihiien)
ihre Vereinigung xu Privaterbaüungen aus solchen Bfl-
ehern, in ^enen sie Stärkung ihres Glaubens, Trost
and Erhebang fanden 9 ihr Suchen und Fragen nach
solchen Geistlichen, die im Glauben der > evangelischen
Kirche ihr Amt verwalten, und wenn sie solche gefun-
den, ihr Anschliersen an sie und ihre Geneigtheit, ihnen
selbst in eine ferne Fremde zu folgen, wenn diese nach
ihren Schilderungen . volle Befriedigung der beiligsten
und tiefsten Bedürfnisse verbiefs. Wer läfst sich denn
gern von denen, die den Beruf haben zu erbauen, um
seines Glaubens willen, Frötoimler, Pietist u. s. w. schmft-
ben? Nach der Darstellung jener Apologeten, auch des
Archidiak. Klbtxner (8. 3 ff. 11 f. 14. u. ö.) und Dr.
Schuder^jgr (S. 41 f. vgl. 15 f. u. 34 f.), sollen aber
sogar die Geistlichen des Herzbgthums insgesammt,
mit sehr wenigen Ansoabmen^ auf demeetten theologi-
eeben Standpunkte stehen I
Das Consistorium und sein Commissarius hatten
jedoch in ihren Erlassen die Mehrzahl von „einigen
Predigern" ausgenommen, und auch in den Leistnn-
gen dieser das Lobenswerthe hervorgehoben und nur
daran ertanert, was vermifst worden war oder anders
werden sollte, und hatten diefs in einem so milden
Tone getban, wie nur immer Oberbehörden es thun
kllnnen. Dafs ^iese Behörde gegen die öffentlichen
Angriffe, - die' deshalb auf dieselbe . bald in mehreren
rielgelesenen Blättern gemacht wurden, namentlich
jene Beschuldigung, die Grenzen ihrer Befugnifs über*
schritten zu haben und eine unevangelische Repristi«
nation zu erzielen, schwieg, das forderte eben so ihre
Würde, wie sie die Kraft dazu in dem BewuTstsein
ihres guten Rechts finden mufste; nur dafs die Ein-
sendung eines Artikels in Nr. 1. der, Berliner Allg.
Kirchenzeitung d. J., dessen Verf. die Miene annahm^
als stehe er im Vertrauen des Consistoriums, weder
von diesem, noch von einem einzelnen Mitgliede des-
selben veranlafst worden sei, wurde vom Redakteur
(Dr. Rbeinwald) in. einer spätem Nummer seiner Zei-
tung bezeugt, und noch später wurde durch neue Mit-
theilungen in Nr. 35. und 36. derselben Zeitung eine
iPerhorrescenz- Erklärung vom 13. Mai Seitens des
Herrn Consistorial -Präsidenten veranlafst.
Da in mehreren politischen Zeitungen der C&a*
rakter dee CemUtoriumi ieliet angegriffen werden
844
war; so wäUte das Herzog!. Sachs. Geheime Btsats*
Ministerium, mit höchster landesherrlicher Ermäohtt>
gung, sehr weise einen Weg, der zu einem völlig un*
part heiischen Urtheil fuhren möchte, indem es die vier
aaf dem Titel der vorliegenden Schrift genannten
theologischen Fakultäten um pflichtmäfsige Bedenkea
ersuchte und ihnen namentlich drei Fragen vorlegte
(S. 21):
1) Trifft das Consistorialrescript vom 13. November
1838 mit Recht der Tadel, dafs setne Ferderong
dem Gewissen der Landesgeiatlicbkeit au mihe trete!
i\ Ist die Tendenz des Consistoriums, wie sie aoi
den Beilagen dieses Aufsatzes (der geschichtliehea
Darstellung) hervorgeht, eine dem Pflichtenkreise
und der Stellung dieses CoUegiums angemesfieoe
oder nicht!
3) Ist der vom Herrn Arobidiak. Kl6tzner eiageschlap
gene Weg zar vermemtlich notbwoBdigen Abwehr
vorausgesetzter Angriffe gegen die Geistlichkeit as
sich und unter den angegebenen obwaltenden be»
sondern Umständen f&r angemessen zu aebtelif aii4
was ist von der Schrift desselben nach lobalt oad
Form zu ürtheilenl
Die erete dieser Fragen wird von allen Fakaltätea
entschieden yerneint und ausdrücklich erklärt, dafi
von «ner Verletzung des Gewissens der Geistlichkeit
nicht die Rede sein kdnne. -^ Nur die Heidetberget
Fakultät wirft (S. 167) die Frage auf, wie — uoge*
achtet „der unzweideutigsten Sinnes- und Ausdrucks^
weise'' des Rescripts in „der wichtigsten Stelle" de»
selben, wo yon den Grund«- und Kemlebren des Cbri-
stentbums die Rede ist (S. 164) — - doch aueh „bei
ehrenwerthen Männern das Rescript anfänglich des
Eindruck habe machen kdnnen, dafs es die Freiheit
der Gewissen bedrohe,'' und findet die Antwort sa-
nächst in der Schwierigkeit, welche das Consistorinm
bei der Losung seiher Antgabe hatte* „Wie es anek
immer sehie Worte mit Vorbedacht abwägrä inodite^
sobald es doch deutlich sagen wollte, wdMi es Pflieiit
und Gewissen drängten, so konnte immer der Sebeia
entstehen, als wollte es sich der WiedereiafSiirttng e^
nes symbolischen Lehrzwangea wenigstens nahem and
jede mit den Bekenntnifsschriftea der evangeliseh-lo-
therischen Kirche dissonirende Auffassung der oiuisl*
liehen Lehre von den Kanzeln proscribircn. Es hrt
durch die Wahl sdiner Auadrficke siohtlieh jeder 96V
846
Bedenken iheehgimfher Fakuliiten*
846
ehea Dentmig ronvbragea gestrebt ^ eo soi^f&hig,
dafli ee sich dadardi tod einer andern Seite her den
Vorwurf der Unentsohiedenbeit in seinem ebristliehen
Bekenntnirs wird sngezo§;en baben ; allein die Möglieb»
keit stt Betorgttiesen blieb fiir die Aengstlichen jeden-
fldla immer noeb übrig.'* Dann wird an die unbedaobte
Weise erinnert, in weleber das für das Publikum gar
niebt bestimmte Reseript gleicb anfangs durcb einen
ttnbemfenen Zeihrngsrefereaten in ein verkehrtes Licht
gestelk worden ist, und zuletst* (S. 169) noch der
Wunsch ausgesprochen, „dafs dem Terehrlichen Re»>
•eripte eine weniger der Mifsdeotung ausgesetzte Fas-
sung möchte gegeben worden sein: eine solche nftm-
lieh, nach der das helle Licht der freien Grundgesin-
nnng des bochwnrdigen Collegiums nach allen Seiten
hin erleuchtend und verständigend sich rerbreitet hätte.
Dadurch würde von vorn herein der verderblichen Wir-
kung des falschen Interpreten in der Berliner Kirchen-
fteitung vorgebeugt worden sein/* Wir fürchten sehr,
ob unter den obwaltenden, sehr richtig bezeichneten,
schwierigen Verhältnissen irgend eine Fassung würde
haben ausfindig gemacht werden können, nm solche
Mifsdeotnog zu verhüten, und stimmen hier gans mit
den übrigen Fakultäten, zumal, woran namentlich in
dem Berliner Gutachten erinnert wird, die Behörde nicht
im Mindesten etwas Neues von der Geistlichkeit ver-
langt hat, sondern nur da$^ %üO%u eich alle Oeietii^
eJksH des Landes bei der Uebernabme ihrer Aemter
Jreiwillig uud auf das Bestimmteste verpflichtet ha*
§en^ während, wie Hr. Klötzner selbst in seiner Sehr«
(S. 21) zugesteht, die Behörde ^^nur leue andeutet,
dafs sie mit dem Verhalten einzelner Oeistfiehen in
dieser Angelegenheit nicht ganz zufrieden war.**
Damit ist denn nun aber auch schon die zweite
Ton dem H. Geheimen Staats- Ministerium vorgelegte
Frage beantwortet. Auch wird diese Frage, wie sich
erwarten liefe, was das Wesentliche betrilTt, von allen
4 Fakultäten bejahet und von den Berliner Theologen
wird nach einer das Urtbeil gründlich motivirenden,
trelFlichen Darlegung (S. 103 — 114) ditfs Verhalten
des Consistoriums und seines Commissarius in mehr-
facher Beziehung als mutterhaft bezeichnet. Die übri-
gen 3 Fakultäten, welche gegen die Form des Ver-
fahrens überhaupt oder des fraglichen Rescripts insbe«
sondere Einiges ezdpiren, erklären gleichfalls einmü-
thigy „dafs das Herzogliche Consistorium seinen Pflich-
tenkreis nicht nur nicht überschritten, sondern eine
l^en^ens kund gegeben hai>e, die von seiner Stellung
recht eigentlich geboten war.** — Worte des Heidel-
berger Gutachtens (S. 169). — Die Jenaer Fakultät
sagt (S. 80): „DeberhjEiupt machen die vorliegende
Verhandlungen des Consistoriums und seiner einzelnen
Mitglieder den wohlthuenden Eindruck, daCs selbige
Behörde, an die höhere Richtung unsere Zeitalters
angeschlossen, im tbeilweisen Gegensatze der blos ver^
ständigen, von der Vorzeit und von der Kirehe abge-
wandten Auffassung des Christentbums, es sich ange-
legen sein läfat, auch der Fülle des christlichen Ge^
filUs, der Pietät für den Glauben unserer Väter und
dem kirchlichen Gemeinsinne wieder zu ihrem Rechte
zu verhelfen, und zwar durch die allein zuständigen
Mittel der Lichre und Ermahnung^ ohne die theuer
erkauften Rechte der Geiste^freiheü und Wueete-
echaft zu verkennen. Was sodann das Consisterial-
Reseript vom 13. Nov. betrifft, eo stellt ee eich dar
ale aus demselben Geiste hervorgegangen^ und seine
Tendenz verdient die Achtung oller ernsthaft Christ^
lieh Gesinnten.'' — Die Göttinger Fakultät antwor^
tet (S. 154 f.): „Die Thätigkeit, welche ^as Consisto-
rium und dessen Commissarius in Beziehung auf den
hervorgetretenen Separatismus entwickelten, ist, soweit
sie sich aus den uns mitgetbeilten Aktenstüeken erken-
nen läfst, dem P/Uehtenkreise und der Stellung die-
ses Collegii als völlig angemessen zu achten, -*- — >
Auch die Erlassimg einer Instruction an die Prediger,
des Landes, wie das Reseript vom 13. Nov. eine sol-
che sein soll, war durch die Verbältnisse allerdings
räthlicb gemacht und dem Consistorio zuständig: und
wenn diesem Rescripte insbesondere in den laut gewor-
denen Klagen die Tendenz beigelegt wird, eine beson*
dere theologische Richtung aussohliefslicb zu begünstig
gen; so ist diese Tendenz nicht aus den directen
Erklärungen des Bescripts zu entnehmen^ sondern
wird nur durch Cembinationen erschlossen ^ deren
Richtigkeit för erwiesen xu halten^ und darauf hin
ein achtbares Collegmm zu beschuldigen^ wit keine
Veranlassung finden.^ —
Was nun die Erinnerungen dieser 3 Fakultäten
gegen die Form und Ausführung der speeiellen Erlasse
oder des Circular-Rescripts betrifft, so müssen wir auf
die einzelnen Gutachten in vorliegender Schrift selbst
verweisen, weil der Raum eme ausführliche, prüfende
847
Bedenken theologiecher Fakultäten.
848
Darlegung nicht gestattet. Der unterzeichnete, nfiit
der Beortheilung dieser höchst interessanten Erschei-
nang beauftragte Rec, der an der Fonn des fraglichen
^ Circulare und dem durch die Umstände sehr natürlich
yeranlafsten ) wie durch den Usus dargebotenen uad
empfohlenen Modus procedendi — dafs nämlich ein
zunächst an Eine Ephorie erlassenes Rescript auch
allen übrigen mitgetheilt worden ist, wodurch es den
Charakter eines Generale erhalten hat — mit einigen
Fakultäten nichts Wesentliches auszusetzen findet,
würde doch mit der Oöttinger ¥9Lk\j\Vki (S. 155 f.) es
auch für rathsam erachtet haben, an die Geistlichen
und Schullehrer nicht ein und dieselbe y sondern be-
soiidere Rescripte zu erlassen, so wünschenswerth es
auch ist — was wahrscheinlich das Herzogliche Con-
sistorium auch intendirt — dafs die Lehrer in Kirchen
und Schulen wieder mehr in Einem Geiste arbeiten,
als es in neuerer Zeit yieler Orten sich zeigt. Wer
aber den Drang der Umstände aus Erfahrung kennt,
in denen solche Erlasse abgefafst uäd entscheidende
Mafsregeln ergriffen werden müssen, wird die Pflicht
der Billigkeit, im Urtheil fühlen und wohl auch sich
selbst fragen, ob er in ähnlicher Lage es würde bes-
ser gemacht haben, auch bedenken, dafs eine nähere
Kenntnifs der örtliphen Verhältnisse, wie der Perso-
nen, auf die Fassung der Rescripte und den Gang der
Geschäfte natürlich und nothwendig einen bestimmen-
den Einflufs übto So findet Rec. bei seiner Unbekannt-
schaft mit den indiTiiiuellen Verhältnissen das Rescript
T^ 2. Octob. (Beil. Vlll. S. 52 f.), betreffend das form-
lose Schreiben (Beil. VIL) und ordnungswidrige Ver-
halten des Pfarrer K., etwas hart, in Berücksichtigung
der Unbekanntschaft vieler, namentlich jüngerer, evan-
gelischer Geistlichen mit solcheo Verhandlungen, zum
Tbeil in Folge des gänzlichen Mangels an aller Unter-
weisung und Vorübung der studirenden Theologen für
das geistliche Geschäftsleben, so. dafs sie erst im Amte
selbst durch Studium der Akten, die sie oft genug
uicht in Torbildlicher Fassung vorfinden, oder durch
eigene Praxis, und dann natürlich nicht ohne allerlei
Mifsgriffe, einigermafsen damit bekannt werden müs-
sen. Eine kurze Anweisung für das geistliche Ge-
schäftsleben in Verbindung mit einigen Uebuogen, wel-
che mit den academischen Vorträgen über die prakti-
schen theologischen Disciplinen verbunden, oder in den
(Der BeschlafB folgt.)
praktischen Seminarien gegeben werden könnte, dürifte
wohl unsern künftigen Geistlichen seblr nützlich wer-
den, wie sie auch den katholischen Studirenden auf
mehreren Universitäten längst ertheilt wird. — VVas
Rec. hervorgehoben hat, ist aber auch Alles, was' er
in dem preiswürdigen Verfahren des Herzog!. Consisto*
riums, für welchea die vorliegenden Aktenstücke spriv
chende Zeugnisse sind, seiner subjectiven Ansicht und
seinem Gefühl nicht ganz entsprechend gefunden hat.« —
Auch die Jenaer Fakultät, deren allgemeines, aner-
kennendes Urtheil wir bereits mitgetheilt haben, wel-
che aber 1) eine „Aufzählung der einzelnen Grund*
und Kernlehren, die mit nicht minderm Nachdruck als
andere gleichfalls aufgezählte getrieben werden sollen^
nicht durchaus billigt*' (S. 80 f.); 2) einen, von den
Berliner Theologen picht wahrgenommenen, ^ySchein
von Partheilichkeit" gegen die eine der einander bekäm-
pfenden religiösen, Richtniigen bemerklich za machen
sucht (S. 81 f. vgl. auch S. 156. 157 f. u. 172 in den
Bedenken der Göttiuger und Heidelberger Fak.), und
3) den Wunsch äufsert, es möchte das Rescripjt nicht
an die Ephorie Ronneburg erlassen, zugleich aber auch
au sämmtliche Pfarrer und SchuUehrcr des Herzog-
thums in gedruckter Abschrift versandt, sondern so-
gleich als eine allgemeine Betrachtung und Mahnung,
wo möglich in Form eines Hirtenbriefs; an die ge-
sammte Landesgeistlichkeit ergangen sein (S. 89 — 91.
vgl. auch das Göttinger Gutachten S. 155 und das Hei-
delberger S. 171, dagegen aber das Berliner S. 113), —
auch jene Fakultät der Landesuniversität schliefst ihr
Gutachten in Bezug auf die zweite Frage (S. 92);
„Konnten wir hiernach nicht' umhin, gegen ein geehr-
tes und hefreundetes Collegium auch cmige Bedenken
auszusprechen, sb ist doch nicht zu übersehen, dafs
jene Uebelstände erst durch die Mifsdeutung iihd den
Mifsbrauch in den bekannten Zeitungsartikeln zu Tage
gekommen sind, während eine Behörde, welche an eine
väterliche Verwaltung gewöhnt ist, gerade in der Un-
befangenlieit ihres guten Willens leicht einmal gewiEiße
vorsichtige Formen übersieht, deren Wichtigkeit sich
dann erst ^urch zufällig hinzugetretene Umstände für
die spätere .Betrachtung herausstellt." Und ähnlich
urtheilt die GoUinger (S. 158) und die Heidelberger
Fakultät (S. 172 f.
Jl? 167.
Jahrbuch
e r
für
VIT i s 8 e n s c ha ftliche Kritik
December 1839»
Bedenken der, theohgigchen Fakultäten der Lan^
desumverjüät Jena und der Unteenitäten zu
Berlin j Oöttingen und Heidelbergs über das
JRescripi des Herzoglichen Consistoriumi zu
Altenburg vom 13. Nov. 1838. u. s. w.
(Schloff.)
,,Wir dürfen übrigens nicht unterlassen/' beifst es
in dem letzten Gutachten , ^deni Berichte des Herrn
Generalsup. Dr. Heseiiiel über den kirchlichen Zustand
der Ephorie Ronneburg, der durch seine ruhige HaU
tnDg und carte Berücksichtigung der obwaltenden Ver-
baltnisse sich auszeichnet, ein rühmliches Zeugnifs aus»
stt^tellen, wie denn überhaupt genannter Herr Commis-
aarias seine theilweise Unzufriedenheit über vorgefun-
deae mangelhafte Predigtweise und sonstige Mifsstände
der Kirche, nach den uns mitgetheilten Aktenstücken,
aeioem CoUegium mit Schonung und Milde vorgetra^
gen. Nach allem Diesem fühlen wir uns gedrungen,
noch einmal auf das Bestimmteste hervorzuheben, dafs
das hoohwürdige Consistorium die uubezweifelbare Be-
fagnifs und natürliche Pflicht gehabt, die Geistlichkeit
und die Schnllehrerschaft des Landes dringend auf die
N^^thwendigkeit hinzuweisen, mit Ernst, Nachdruck und
treuem Eifer Christum in wahrhaft evangelischem Sinne
in Kirchen und Schulen zu verkündigen.**
Die dritte Frage betrifft zwar nicht das Verbal-
• #
ten des Consistoriums , sondern das Verfahren mehre-
rer Geistlichen des Landes in der Person des Hrn»
Archidiak. Klötxner^ den sie mit ihrer Yertbeidigung
beauftragt haben, ist aber nicht minder wichtig, weil
sie an die für alle socialen, insbesondere auch die kirch-
lichen Verhältnisse nothweüdige Pflicht der Selbstbe-
schr&nkung erinnert, insofern dadurch das Ansebn und
der Einflnfs der rechtmäfsig bestehenden und pflicht-
mäfsig wirkenden Bebürden bedingt ist. — - Darüber
^ nun ist kein Streit unter allen Stimmenden und kann
Jahrb. f. wiuenick. Kritik. J. 1830. II. Bd.
keiner sein, dafs Hr. Klötzner, wie jeder andere Geist-
liche des Landes, berechtigt war, sich und seine Amts-
brüder, in so fern sie sieh eines Bessern be^rufst wa-
ren, gegen den beleidigenden Artikel in Nr. 1. der Ber-
liner Allg. K. Z. zu vertheidigen; auch würden wir es,
mit der Jenaer Fakultät zu reden (S. 94 f.), ,^vor dem
Geiste des Protestantismus nicht verantworjten können,
den Grundsatz im Allgemeinen au&ustellen, dafs ei-
nem Geistlichen in keinem Falle erlaubt sei, eine Mafs«
regel seiner kirchlichen Behörde in offener Druckschrift
einer Kritik zu unterwerfen," wenn jene Mafsregel
wirklidi entweder mit den anerkannten Grundsätzen
der Kirche, oder mit der gesetzlich bestehenden Ord-
nung, oder mit den allgemeinen Gesetzen der Gerech-
tigkeit und Billigkeit unvereinbar wäre. — Aber als
Hr. Klötzeer schrieb^ konnte es nicht mehr zweifelhaft
sein, dafs weder das Consistorium noch ein Mitglied
desselben jenen Artikel abgefafst oder veranlarst habe —
Hr. Klötzner selbst beweist, es S. 8 S. seiner Schrift;
durch das fragliche Hescript war, wie atigönfällig ist|
wenn man ruhig liest, weder die Geistlichkeit des gan-
zen Landes getadelt, noch ihr etwas Neues, wozu sie
sich nicht selbst von Anfang an verpflichtet hätte, za
thun zugemuthet, sondern es war, wie Hr. Kl. selbst
(S. 21 sr. Sehr. vgl. 24.), zugesteht, von der Behördi
mit ^zarter Schonun^^ y^nur leise angedeutet^* wor-
den, „dafs sie mit dem Verhulten einzelner Geistlü
ehcn nicht ganz zufrieden war.?' Es mufs sich jeder
Unbefangene wohl sagen, dafs wenn einer Oberbehörde
auch ein solches Verfahren nicht mehr gestattet sein
sollte, es an der Zeit wäre, das Schiff der Kirche dem
Winde der Zeit ganz preis zu geben. Wenn nun aber
Hr. Klötzner und seine Committenten gegen ihre vor-
gesetzte Behörde so gesinnt waren, wie in dem „Bei?
trage zur Ehrenrettung" so oft versicbei't wird, so wa-
ren sie wohl auch verpflichtet, sich mit ihren Beden-
ken, wenn solche nach Erlassung des Rescripts und
107
851 Bedenken thMlogiseher Fakultäten. 852
dessen unbefugter Publikation in Zeitschriften in ihnen . der Altenburgischcn Geistlichkeit sich bestimmeD liefs."
sich regten, an das Consistorium selbst zu wenden^
i^ie es auch einige ihrer Amtsbrüder gethan haben;
und die Behörde würde sicherlich nicht gesäumt ha-
Jben, durch angemessene Erklärung alle Besorgnisse zu
zerstreuen* Nach den eigenen Erklärungen des Herrn
Klötzner über sein und seiner Amtsbrüder Vertrauen
zu dem Consistorio ist ihre sorgliche Vermuthung nicht
irohl begreiflich, ,,als wolle man einer netien Schule
bei ihnen Eingang zu verschaffen suchen, mit welcher
sie sich nicht befreunden könnten." Das Qonsistorium
erinnerte ja ,,nur leise" und mit „zarter Schonung^
Bn die freiwillig übernommene Pflicht, das ganze Evan-
gelium der heil. Schrift gemäfs nach den Grundsätzen
der evangeliachen Kirche^ also nicht einseitig, nach
den Ansichten einer Sc/iitle zu verkündigen, mit der
(S. 173) — Doch spricht dieselbe Fakultät (S. 174)
„entschieden ihre Mifsbilligung über solche Aearsemn-
gen desselben aus, wie sie S. 16 seiner Schrift zu le-
sen, weil dieselben einer anzüglichen und verletzende»»
Deutung ausgesetzt seien." -— Stärker noch ist der —
wie CS uns scheint, wohl begründete — Tadel in dem
sonst verwandten Gutachten ier Göttinger (S. 158f.),
am entschiedensten in dem der Berliner Fakühät (S.
114 — 136), obwohl beide auch den Wunsch des Hm.
Klötzner natürlich und dos Streben, an sich achtbar
finden, die Ehre des unschuldigen Theils der Altenbur-
gischen Geistlichkeit zu retten, den aber das mahnende
Rescript des Cbnsistoriums nicht verletzt hatte. Rec.
hat hiermit sein eigenes Urtbeil ausgesprocbeii und
bedauert nur, nicht auch aus dem über diesen Punkt
ausdrücklichen Erklärung, „es handle sich gar nicht sehr ausführlichen Gutachten der Berliner Fakultät
• N
i}arum, dufs im populären Vortrage der Buchstabe
irgend einer menscAlicAen Dogmatil oder jene dic^
lektische Schärfe hervortrete, mit welcher manche
theologische Bestimmungen und Begriffe in den Be-
kenntnifsschriften unserer Kirche entwickelt werden." —
Die Vertheidigung des Hrn. Kl. ist auch unleugbar,
wenn gleich zunächst durch jenen Zeitungsartikel ver-
anlafst, doch nicht blos gegen ihn, sondern gegen das
Consistorial-Rescript mit gerichtet, wie schon die oben
mitgetheilten Stellen nicht zweifeln lassen.
Unter den vorliegenden Gutachten findet sich blos
in dem der Jenaischen Fakultät ein wohlwollender
Versuch, das Verfahren des Hrn. Klötzber, obwohl es
durchgängig nicht gelobt wird, doch ganz zu entschul-
digen. Die Heidelberger Theologen leiten die Ver-
anlassung zur Veröffentlichung seiner Schrift ab aus
der natürlichen Reizbarkeit auch der edelsten Gemü-
tber, wenn sie der freien Entwickclung des religiösen
.Lebens nur von weitester Ferne Gewalt angetUan mei-
nen, und erkennen „insofern eine Berechtigung" an,
„als sich der Verf. mit einem grofsen Theile seiner
Collegeu dem, die besonderen kirchlichen Ver-
h.älfnisse Altenburgs nicht hinlänglich kennenden, Aus-
lande gegenüber in ein falsches Licht gestellt glanbte,
und von diesem wohlerklärbaren Gefühle der Krän-
kung, und vielleicht auch einer Besorgnifs, das Rescript
könnte doch vielleicht nur ein Vorbote späterer, die
Gewissen wirklich bedrohender Schritte sein, vorherr-
sehend erfüllt, zur öffentlichen Ehrenrettung eines Theils
einige Mittheilungen machen zu können; er mürste aber
fast Alles mittheilen, so sehr ist es Ausdruck des ei-
genen Urtheils, wie es beim Lesen der diesen Gegen« <
stand betreffenden Literatur sich ihm gebildet hatt^
noch ehe er eins der Gutachten kannte.
Rein unbefangener Leser, der an den ErscheinoB-
gcn auf dem kirchlichen Gebiete Antheil nimmt, wird
übrigens die vorliegende officieile Schrift ohne Befrie-
digung lesen. Abgesehen von den höchst lehrreichen
Gutachten der vier Fakultäten , die , so verschfeden
motivirt sie auch sind, doch darin übereinstimmen, dafa
das Herzogliche Consistorium die Grenzen seiner Be-
fugnisse und Pflichten nicht überschritten und mit dem
Rescript vom 13* Nov. 1838. dem Gewissen der Lan-
desgeistlichkeit keineswegs zu nahe getreten sei, las-
sen die dem mit musterhafter Unpartheilichkeit und
wahrhaft christlicher Milde abgefafsten Schreiben des
Herzogl. Geh. Staatsministeriums beigegebenen Akten-
stücke einen Blick in die Berufsthätigkeit eines JCon-
sistorinms thun, das den Charakter und die Forderung
unserer Zeit und somit die Aufgabe kirchlicher Beh^^
den kennt und redlich beflissen ist, mit evangelischer
Milde sie zu lösen. Jetzt gilt es Entschiedenheit im
Festhalten des Wesens des evangelischen Bekenntnis«
ses, wenn die Kirche sich nicht auflösen und ihre edel-
sten Glieder sich entfremden soll, dabei aber auch zarte
Schonung beim Streben, den schriftgemäfsen Glauben
der evangelischen Kirche geltend zu' machen, in Be-
rücksichtigung der wohl im Geiste der Zeit, nicht ud-
A
85S
Bedef^en tAeologtMeker' Fakultäteni
854
mer aber im inilividiielleii BewvlBtseiti liegenden Unia*
oben der Yertfcbfedenbeit der kämpfenden Glaubeni^
uieiaangen, so wie der Sebwierigkeit odervieknebr Dn-
mdglicbkeit, auf einem an<lern Wege, als dem gründ-
licher Belebrang und Ueberzengnng auf dem Gebiete
des Glaubens wabren Segen zu stiften. Dafs die Kir-
che SU einem neuen Loben erwacht sei und in der
Entwicklung desselben nach allen ihren Tbeilen rasch
Torscbreite^ dafür spricht eben so der Kampf der theo«
logiseben Partheien, der, w^nn er mit wissenschaftli«
ehern Ernst geführt wird, nur segensreich werden kann,
als die Bewegung, welche wir in der Kirche der mei«
sten Länder und zwar in allen Ständen wahrnehmen,
die Theilnabme an Allem, was sie betrifft,^ und das
dringende Verlangen nacb Erbauung, das sich jetzt -r*
wenn wir etwa von den Zeiten der Waldenser und
Albigenser und der zweiten Hälfte des 17. Jahrb. und
den nächsten Jahrzehnten abseben — mehr als je iu
der Bildung besonderer Vereine ausspricht.' Diese Er-
scheinung, weiche in Torliegender Schrift nur einige
Mal beröhrt wird, ist für unsere Zeit besonders bedeut-
sam. Solche Vereinigongein ebne Weiteres verbieten,
aus Besorgnifs,'' dafs sie zu Absonderungen fähren
möchten, würde, nach dem Zeugoifs der Geschichte
und Erfahrung, gerade das herbeiführen, was man ver-
hüten wollte; es würde natürlich und nothwendig Ver-
dacht gegen den christlichen Sinn derer wecken, wel-
che verhinderten oder erschwerten, was weder an sich
betrachtet, noch nach der Lehre der Schrift verwerf-
lich ist, sich gegenseitig zu erbauen. Alle lebendige
Frömmigkeit findet ihre Befriedigung nur in der Aeu-
fseruog, und zwar in Beziehung auf Gott im Gottes-
dienst, in Beziehung auf den Menschen in thätiger,
gegenseitiger Liebe. Gewährt die ailgemeine Kirche
diese Befriedigung nicht, so wird sie in einer Aeson"
deren gesucht, kann jene sich in ihren Dienern nicht
specialisiren und individualistren , so dafs sie im apo-
stoliscben Sinne Allen Alles werde: so trennen sich
die Glieder ab, denen sie sich entzieht, und geleitet
von dem Alien inwobnenden Triebe nach Gemeinsam-
keit bilden sie besondere Vereine, die vielleicht erst
nacii Jahrhunderten dem grorsen Körper sich wieder
einverleiben.^ Wollte oder könnte daher die Kirche,
insbesondere die Geistlichkeit unserer Tage nicht selbst
die Leitung und Pflege solcher Vereine übernehmen,
die meist, wenigstens oft, ohne ihr Zuthun eich bilden;
SO' würde die uhausbkiblicfae Folge eine sehr grofse
Zersplitterung und Zerfallen heit sein, und Erscheinun-
gen der Art, wie wir sie schon gesehen haben und wie
sie in vorliegender Schrift behandelt werden, dürften
sich wohl noch oft erneuern. Eine väterliche, christ-
lich weise Leitung solcher Vereinigungen Seitens der
Kirche ist um so mehr Bedürfnifs, als Viele von Denen,
welche nach besonderer Erbauung und somit nacb Theil-
nabme an aufserkirchlichcn Zusammenkünften verlan-
gen. Solchen gleichen, die aus tiefem Schlafe erwa-
chen und weder das Licht des jungen Tages, der
ihnen im Glauben aufgegangen ist, recht ertragen,
noch der neuen Lebenskraft, die sie mit ihm empfan-
gen haben, sich ermächtigen können, daher sie leicht
von Partheigängern ergriffen und verleitet werden, die
geschickt genug sind, ihnen darzureichen, was sie su-
chen. ^, Alles andere,** sagt einer unserer geachtetsten
Theologen in, seinem Entwurf der practi^chen Theolor
gie, „kann der Mensch eher in sich verschlieCBen und
für sich behalten, als seine Religion ; je mehr sie fttr
ihn das Beste und Edelste, das Höchste und Heiligste
in sich schliefst und ein Gegenstand seiner Liebe ist,
um so mehr drängt sie ihn auch zur Mittheilung. Es
ist die Natur des cbristl. Glaubens, sich nur in seiner
allgemeinsten Verbreitung - zu genügen , weil er die
Vtrabrbeit ist, der es widerstrebt, nur Privateigentbum
zu sein; sd ist es auch die Natur der Liebe, ihr Da-
sein zu erweitern und sich jeden Genufs durch Mitthei-
lung und Gemeinsamkeit zu erhöhen.**
Dr. Aug. Hahn.
LV.
Platonische Studien ron Dr. Eduard Zell er.
Tübingen, 1839. bei a F. Oslander. S. VIII
^nd^W.
Der Hr. Verf. begreift unter diesen Titel drei Ab-
handlungen, die zwar unter einander keinen directeu
Zusammenhang haben, insofern aber doch ein Ganzes
bilden, als die mittlere „Ueber die Composition des
Parmenides und seine Stellung in der Reihe der Plato-
nischen Dialogen" in den innersten Kern und Mittel-
punkt der Platonischen Philosophie fuhrt: die erste
„Ueber den Ursprung der Schrift von den Gesetzen"
an die Ausgicitung der Platonischen Denkweise in. das
Treiben der ältesten Akademiker erinnert: die letzte
855 ' Z eUer, P l at ^n
«ndlich „Die Darstellung der Platraischea PhilosopUe
bei Aristoteles*' uns die Erhebttng des Platoniscben
Standpunkts auf eine gereiftere Stufe deis pfailosophi«
sehen Wissens erblicken Iftfiit.
la der ersten Abhandlung (S. 1 — 156) kommt
der Hr. Verf. auf den etwas kühnen Versuch zurück^
den^ ^#^ zuerst gemacht hat, die „Gesetze*' als ein
dem Plato nicht gehöriges Werk zu ITehaupteU) wie»
wohl ThierMch^ SoeAer und DUthey sich sogleich
gegen eine solche Kritik erhoben hatten, welcher be-
sonders das Zeugnifs des Aristoteles entgegensteht,
indem dieser das Werk beständig dem Plato zuschreibt.
Auf die betreffenden Stellen des Aristoteles wird Re«
ferent später zurückkommen. Indessen auch für des
Hrn. Vcrfs. Hypothese spricht ein directes Zeugnifs
des Alterthuma, welches, von Diogenes Laertius ange-
fahrt (III, ^ 37«)9 doch gewifs altern Quellen entnom-
men ist : tfioi q>aaif ou <Z>Ai7nroc 6 ^Onovmag rovq v6itovg
flrvTou' fthtfyQcnfn» ovraq h xiif^. Dies scheint nämlich
nicht zu bedeuten, dafs dieser Schüler des Plato eine
blofse Copie der Platonischen Gesetze gemacht habe,
indem er sie aus den Wachstafeln des Plato auf ein
' anderes Material übertrug (dazu gab es Schreiber und
Sklayen) : sondern futay^Juptiv kann auch auf eine Um-
änderung, üeberarbettung, Redäction und Eatwicke^
lung eines Platoniscben Conceptes oder Grundrisses
gehen; und was dem zweiten Sinn hier den Vorzug
nnbedenklich verschaffen mufs, ist die Betrachtung,
dafs, — wenn es aneh an sich moglrch und iiblieh ge-
wesen ist, was der Hr. Verf. jedoch bestreitet (S. 130),
längere Werke auf Wachs zu schreiben, nicht blos
etwa Notizbücher und dergleichen aus diesem Stoffe
zu fertigen, — dennoch immer das Vorhandensein der
Platonischen Gesetze auf Wachstafeln aufs^ Zweifel
setzt, dafs sie bei Plato*s Tode nur im Unreinen, im
Entwürfe, oder wie man es sich denken mag, noch nicht
als edirtes Werk existirten. Sobald dies aber zuge-
geben wird, ist nie die Grenze zu finden^ wieviel Phi-
lipp .von Opus, selbst Philosoph und Schriftsteller, vom
Seinigen binzngelhan habe. Diese Notiz aus dem Alter-
thnm stiipmt also unserem Hrn. Verf. wenigstens inso-
fern bei, als sie manches Uoplatonische in den Geset*
i9 e ke S t uäie
856
zea erklären würde; «ad tefii gar nichts PlatonisoUs
darin sei, will er Ja auch nicht bebanpten. . Nur wird dar
Werth dieser Nachricht dadnreh wieder sehr ge*
schwächt, dafs Diogenes Laertius sie nicht als eis
allgemein atigenommenes Pactum^ sondern nur di i\%
Erzäklnng Einiger angibt.
Während also die äufseren Grttade ihr Gevicht
grofsentheils gegen den Hrn. Verf. in die Wagschsils
legen, so bleiben ihm meist nur iimere übrig, die fret
lieh die wichtigsten sind. Za diesen mfissen wir um
nun wenden; und eine ki^rze Aufzählung derselbes
wird uns durch die luoide Darstellung des Hnk. Verfs.
sehr erleichtert werden.
In dem Abschnitt „Resultat der bisherigen Uote^
suchunjK^ letzte Entscheidung'' (S. U7 — 144) fafst et
die Bauptargumente gegen die Aechtlieit der toetis
unter sieben Numn>ern zusaimmea.
Erstens sagt der Hr. Verf. : „Der Groadgedaato
und Zweck unserer Schrift ist theils an sich im Wi-
derspruch mit dem Geiste der Platonischen Fbiloss*.
phie, tbeils beruht er auf einer unrichtigen Ansicht von
der Republik, theils ist er nicht mit vdUiger £!at6cbie>
denheit festgehalten.*' Der Hr. Verf. flihrt in dieser
Riicksicht Felgendes an (S. 16—23) : Die Gesetze be»
haupten , dafs das in der Republik entwickelte Ideal
des Staats unausführbar sei, sie also aum Zweck bat«
ten, einen praktisch ausfiihrbaren, dem Ideal so nah
als möglich kommenden Staat zu beschreiben, welcher
der zweite Staat sei zu jenem ersten. Aber auch die*
ser zweite Staat sei nicht ausfilhrbar, weil nie gescbc^
hen werde^ daCs alle Bedingungei^ welche in der Reds
gefordert werden, sich auch in der WirkUchkeit ta*
sammenfinden \ der einzige mö^iche Staat sei also der
dritte Staat, das mdglicfast ähnliche Abbild der Ge-
setze, die selber ein Abbild jenes ersten Idealatuats
seien. Die Republik läuft nun, nach dem Hrn. Ver£,
einer solchen Auffassung schnurstracks entgegen: Der
Staat der Republik stehe ganz auf dem Boden der G^
genwart, sei durchaus hellenisch. Das fünfte, sechste
und siebente Buch habe gar keinen andern Zweck, ab
die Mittel zur Verwirklichung jenes idealen Staates
anzugeben.
(Die Fortsetzung folgt)
9 •
W 1 8 8
J a h r b ü c h e r
für
en8c haftliche
December 1839.
Kritik.
Platonische Studien von Dr. Eduard Zell er.
(F«Etiets«»gO
Zwar gestehe die Republik aacb, dafs der Toll-
kommene Staat, wie sie ihn darstelle, noch nicht
ezistire ; aber sie sei so weit entfernt, an der M5glicb-
keit seiner ftealisirung za zweifeln, dafs Sokrates die-
selbe Tielmehr in Aussieht stelle, indem er sage, die
Menschen würden nicht eher Ruhe Ton ihren Leiden
haben, als bis entweder die Könige philcsophirten odei*
die Philosophen regierten, weit nämlich erst alsdann
ein Staat, wie der geschildei^te, realisirt werden könnte.
Hiernach cbarakterisirt der Hr. Verf. den Gegensats&
der Republik xu den Gesetzen folgendennafsen : „Wenü
daher die gewöhnliche Meinung ist, Plato habe die
Repahlik mit dem Bewnfstsein geschrieben, dafs sie
da onausf&hrbares Ideal sei, in den Gesetzen dagegen
zeigen wollen, wieviel you diesem Ideale sich ausfüh-
ren lasse, so utellt sich die Sache vielmehr umgekehrt
se,^ dah 'zirar Plato, als er die Republik schrieb, an
der Ausfiihrbarkeit seines Ideals nicht zweifelte, der
Verf. der Gesetze dagegen in die des seinigen kein
rechtes Vertrauen setzt, und ihm vor der Republik nur
darum dea Vorzug gibt, weil ihm jene mit ihren For-
derungen das, was der menschlichea Natur Oberhaupt
möglich tat, zu übersteigen scheint, während er von
den seinigen glaubt, sie würden von Menschen erflillt
werden könneii, wenn, freilich ein unwahrscheinlicher
Fall, die empirischen Bedingungen zu ihrer Realisirung
zusammenträfen/* Auch fügt der Hr. Verf. sehr rieh-
üg hinzu: „Ueberhaupt aber ist zu sagen, dafs die
jlCssicht von der praktischen Unausfuhrbarkeit eines
Ideals, sobatd darunter wirklich, wie beim Platonischen
Staat, eine durch die Idee bestimmte Darstellung ver-
standen wird, in einer Philosophie keine Stelle finden
konnte, welche aufser der Idee gar nichts Reales an-
erkennt.^ Weil die Erscheinung im Gegensatze zur
Jahfrb. f. wu$€MeK KtiOk. J. 1839. 11. Bd.
Idee für Plato gar keine Berechtigung hätte, so konnte
er auch nicht von einem zweiten und dritten Staate
sprechen, obgleich er allerdings einmal in der Repu- .
blik (V, p. 260 ed. Bekk.) hinwirft, es fiege in der
Natur der Sache, dafs durch die Praxis die Wahrheit
nicht so genau getroffen werden könne, als dqrch die'
theoretische Rede; woraus eben diese mifsverstandene
Trilogie von Staaten hervorgegangen zu sein scheint«
Denn Plato selber kennt nur Einen Staat, die Idee de«
Staats, d. h, das wahrhaft Wirkliche ittv allen erschei-
nenden Staaten, sollten auch einige Bestimmungen dee-
selben no6h nicht in die Existenz getreten sein. Ari*
atoteles aber, der eben der Erscheinung einen gN^fsern
Werth -zuschrieb, indem er sie als den wesentlichen
Tr&ger und die einzig^ Verwirklichung der Idee an»
sah, konnte somit wohl (Polit IV, I.) von drei Arten
des Staats sprechen; und ans ähnlicher Reflexion mag
auch in der~ Akademischen Schule diese Annahme 'an£-
gekommen sein.^ Man könnte freilich sagen, Plate
habe im Alter, die Unhaltbarkeit seiner Ideenlehre er-
kennend, der Erscheinung die Wichtigkeit zugestan-
den, einen menscheninöglicben Staat in ihr, im Gegen»
satz zur göttlichen Idee des Staats, zu constrairen;
über eine solche Sinnesänderung Plato's fehlt uns. in-
dessen jede historische Spur, wenn wir sie nteht eben
in dem Vorhandensiein der Gesetze finden wollen. Je-
denfalls aber ist die Dreibeit von Staatsverfassungen^
welche in den Gesetzen vorkommt, von der Aristotell-,
sehen ganz verschieden; und die Vergleichnng Beider
möchte uns auch einen Wink über die vorliegende
Frage zu geben im Stande isein. Während nach der
Akademischen Fassung die zwei ersten Staaten unans»
führbare Ideale sind, und nnr der dritte Staat, der
schlechteste, ein wirklicher ist, was doch ein ganz un-
platonisches Resultat wäre ; so ehrt Aristoteles die
Wirklichkeit genug , nm auch die vernünftigste, d. h*
die beste Staats verGassung in ihr anzutreffen: nolXoii
108
859 Z e 1 1 er. P l a t on
yätQ rljq ^fiaxtjq xvpXv lawq d8uv<noy, wörans hervorgeht,
M
dafs der beste Staat doch manchmal zur Wirkircbkeit
Icouiiut, wovon Aristoteles namentlich in der Monarchie
AlQxanders ei^ Beispiel erblickte. Die Berechtiguag
^ aber, auch die beiden aadern Qt^aten zu< betrachten,
fand er darin, dßfs der Poh'tiker sich um die Verfas-
sung aller Staaten bekümmern müsse. Und wAs nqn
den Charakter dieser beiden aüdern betrifft, so ist er
*
viel tiefer angegeben, ale Ji| den Oesetzen. Neben die
erste Verfassung, als die itQariaxfj anXmf setzt Aristp-
teles nämlich die |» tmv imoxuidvmv dQiGtfj^ und als
dritte die IS vno&dai<og. Je nach dem Lande, der Zeit^
.den Personen und Verhältnissen ist ein Staat besser,
als der andere« Ist nun alles dieses aufs Beste ein«
gerichtet, so haben vir den ßchledithin Besten Staat.
Ist dagegen dad Material minder gutj so kann auch die-
«em zufolge (ex %Sy vnomtfidvcDv) der Staat nicht jene
erste YoUkoimnenheft erreichen^ z. B. unter Barbaren $
der Staat kann aber immer noch der beste sein, der
sich aus diesem Material fertigen «läfst. Der dritte
, Staat endlich ist der, welcher ungeachtet dieser Be-
dingungen nicht das ist, was er durch sie hätte wer-
den können^ das ist irgend ein vorausgeseta^ter (Ig vno^
j^iatmg)j oder, wie Aristot^es sogleich erläutert, irgend
ein gegebener ^taat(ri7y do&iXaav),, Das ist eine ganz
andere Rangordnung, als die absurde Stufenfolge ci;-
aes Staats in der Idee, eines zweiten in der Rede und
eines dritten in der Wirklichkeit. Wenn dann in den
Gesetzen behauptet wird, dafs de|r vollkommene Staat
•nur für Götter oder Göttersöhne realisirbar sei, so
-konnte es scheinen, dafs dies durchaus mit dem Kri-
tias- übereinstimme, worin ein solcher Heroenstaat an
die Spitze der Geschichte gestellt wird. Die Gesetze
aber schneiden vielmehr das Dasein eines solchen
Staats gänzlich ab, während die Republik anf die Rea-
lisirung dieses Götterstaats unter Menschen, als auf
das letzte Ziel der Weltgeschichte hinweist, welches^
obgleich nur der Idee oder der Würde nach das Er-
Bte,.der Kritias zu einer empirischen. Yoraussetzung
macht: so dafs, wenn auch auf umgekehrte Weisen
4er Kritias und die Republik jDi|t den. Gesetzen in di-
recte^tem Wi<Jer^pruch. stehen. _
:i>a« zweite Argument gegen die Aechtheit der Ge-
setze drückt der.IJr. Verf. also aus: „Ihre Methode
ist nicht die Dialektik, ^er es nur um Auffiudung und
fintwickf iung i)er Idee zu thun ist, sondern ein i^i dep
is c A e Sttu d$ e n. \ 860
Wipirischen Stoff «ich verwickelndes Reflectiren.^ In
dieser Hinsicilt bemerkt der Hr. Verf. sehr gut, Fla*'
to's Philosophie stehe in der Mitte zwischen Sokrati*
, scher Mäeutik und Aristotelischer Systematik* Das
.Dritte, bei Pluto ^ was eben diese Iffifte bilde, sei die
Anschauung der Ideen an sich« Eine Abweichung von
F lato sei , entweder entwickeltere systematische Au»-
fdbrung, oder eine mehr blos empirische Auffassung'
des Gegenstandes. Diese letztere walte denn nun aaoh
in unserer Schrift vor, ohne dafs, wie im Timäus, das
Empirische aufs Ganze bezogen werde , ^ und für die
Darstellung der Idee förderlich scheine, da im Gegen-
theil die Einziclnheiten in den Gesetzen gar nicht die
Idee des Staats ausführen, sondern wie ^e positive
Gesetzgebung aussehen^ die hereinkomme» und beson;^
ders in den Einleitungen zu den einzelnen Gesetzen
ganz den Charakter äufserlicher Reflexionen trage (S.
23-24, 26, 28—30). Diesen letzten Punkt» der Moti-
viruug der Gesetze, lobt Cousin gerade {Oetwres de
PlatQH^ T, Vlly p. h-^LII) als einen der tiefsten
Blicke Plato's» der erst in unsern Staaten nach 2000
jfahren praktisch geworden sei.. Freilich ist Verstau-
dcs-Reflexion^ nicht Speculation, für den specielleo In-
halt der Gesetze an der Stelle ; jiur ist dieser in einer
philosophischen Staatslehre nicht am rechten Orte.
Ein dritter Grund ist folgender: „Der labalt der
Gesetze widerspricht dem, was wir aus Flato's übri-
gen Schriften als seine Ansicht kennen^ nicht nur ia
manchen Einzelnhciten, sondern auch iq deu Lehreii)
welche die Grundlage der Ethik und Politik, ja der
ganzen Philosophie, ausmachen.'' Was jene Eiuzelo-
heiten betrifft, so wird vom Hrn. Verf. unter Anderen)
angeführt, dafs die Besonnenheit (paigp^^oavy^) zur all-
gemeinen Tugend geworden sei, w;ährend in der Re-
publik die Gerechtigkeit diese Stelle einnehme (S..34>.
Wogegen Ref. zu erinnern bat, dafs auch in der Re-
publik die Besonnenheit schon sich zu diesem Charak-
ter der Allgemeinheit hinneigt. Bedeutender ist die
Abweichung Von Plato^ wenn' der Hr. Verf. aus dj^Q
.Gesetzen anführt^ die Tapferkeit entstehe ohne £ia?
sjcht und von Natur: „eine Behauptung, welche nicht
jxvx Plato's bestimmtesten Erkiärimge% sondern seibat
der Lehre des Sokrates wi(lerstr.eitet" (S. 35). Auch
wird in den Gesetzen die Besonnenheit^ ganz im Sinne
der Aristoteh'schen fsmc^qoQvpi^ nur voji einer Märsi*»
gun§ jn Lust und Schmerz veratajadeu^ woraus aber^
♦ . V
1^ «Hf einen .4^09 AplfiM^^ »l^r sti^b^q^d^n Plui
tfniker gescblos^^a necdeii Jiöo|itey «der die üjBOkA bei
d9r Abfa^ei^ff 4er jGS^ejtze im Spiele gefaübt h^^
ArätoteM« aber^ Indeui er eo eine fiir platpuitch a!i9r
(pgpbene Sebrift »ich. entg^eokeminea. s^b, mochte
yai «o weniger eip Argea gegen #ie gebebt beben,
|ieeb ihre Antbentici.tät,aD2U)feob^en Teraniafat worden
eein. Ein .da|rehgreife^|ierer ÜBterachied ist es, w^nii
der Hr. Verf. angiebt, : dafs d>e Triohotomie der See-
lenkräfie, welche doch di^ gftnze Grundlage -der Ethik
pei, gänzlich fehle» und eben. damit im Politischen die
Tricbotomie der drei Stände sich andern als in der
Kepnblik gestalte» indem in den Gesetzen die Beuerp
Sklaven, die Handwerker aber Fremde sein, und auch
die Ilegierenden eben nicht sehr durch, philosophische
Bildung charakterisirt .wiirden (S. 36 — 37). Die wich-
tigste Verschiedenheit des Inhalts' bleibt aber diese,
dafs in den Gesetzen die Ideenlebre scheiot »,absicbt-
lieh ignorirt" worden zu sein, obgleich doch j.eder grö-
bere Dialog daran anknüpft oder sie vorbereitet (S*
42). Ja, widerspricht nicht die Annahi^e einer gut^
und einer bösen Weltseele, die einander bekämpfen,
direct der Platonischen Ideenlehre, nach welcher nur
das Gute das Seiende, das Böse das NicbtseieiMl« iat,
jKogiegßn in einer bösen Weltseele das Böse substae-
tiirt worden? CS. 43.) Läfst sich in der That etwas
UDpbtoniscberes denken, als eine Idee des Bösen I
jUnd* eine solche müfste doch nothwendig die- böse
Weltseele sein. Sonst kann man das Ausfallen der Ideeur
jehre wohl aus dem Zweck der Gesetze^ einep ideeu*
losen Staat darzustellen, sattsam erklären^ wenn nur
dieser Zweck sel|)st etwas Platonischer .wäre. . An
die Stelle der Ideeulehre tritt in den Gesetzen, mich
dem äru. Verf.,, ein populär religiöses ^ilement (S. 44
-r45)< Seilte Plato wirklich in seinem hohen Alter
ans seinem Idealismus in eine Popular-Pbilosopbie. her-
abgefallen sein! Unmöglich ist die Sacbe, ungeach*'
tet des Schweigens d^r Alton, durchaus nicht. Der
Standpunkt jugendliche^ Begeii^terivig, wi^ d^ch der
der Ideenlebre ein solcher ist, konnte Plato eben so
gut zu Wasser werden, als wir in unsern Tagen sa-
hen, wie Schilling, dem modernen Plato, de absolute
Vernunft erkennt nifs durch inteliectuelle Ansohaiaimg .
mit zunehmenden Jahren abhanden gekommen ist.
Wenn endlich der Hr. Verf. einen neuen Beneis für
die Unächtheit der Gesfitze darin sieht, dafs in ihnen
i f 0A^ S 4ß^.d)i4 H, 862
1^ die %a{ileöfehvri ein gci^i^ee 'Oewiöht gi)legt
If0r4e, als In den übrigen Sehriften Plato'fe» i(S. 47-^
4$)«,eio.igt es wahr, ^afadie ältere Akademie, namentr
ll^h.Speusipp, den Platänismns in eine - pyfbagor^ai-
rei^e Weise hinübergezogen. Doch ist nicht zu läog^
nei, dafs Plato bereits selber in . seinen mündlichen
Vorträgen, (awovotat äygaqoi) nt^i rdpxOoUf die v.oH
aoiaen.ihm tr^ugebliebenen SebiHern später verzeich-
net, von Aristoteles allein kritisirt wurden (sl die Be«^
lege der Aken in meiner Preisschcift : Examen cri'
iiffue de la MSiaphyßigue d^Arütote p. 56 -«57), in
diese Manier gerathen ist. Dehn weon Aristoteles
auch in sciuer Metaphysik diese akademische Zahlen»
lehre nicht iinmer unter Plato's eigenem Namen an-
gi::eift, so. bezieht er sich doch nicht selten so bestimmt
auf. den Meister selber, dafs. unbedenklich schon auf
diesen jene' VerbilduBg der. reiben Ideenlehre durch die
^alilenlebre, wenigstens theilweise, mufs zucüokgeful^rl
Urerden. Diese Instanz könnte Ref« also dem Hm. VC
vielinehr als einen Grund fttr die Aechtheit der Gen
setze retorquiren. ' . -
Der fierte Punkt ist: „Die dialogiache Form der
.Gesetze entbehrt eip^r historischen Grundlage und ei-
ner lebendigen Mimik, der fliefsenden Entwickelung,
und des anmuthigen Tons, den wir an Plato gewohnt
sind. Die Darstellung leidet an Ungeschmeidigkeit,
freite, Kün3telei und übertriebener Feierlichkeit." Es
ist allerdings bemerkenswerth, dafs man gefunden hat,
die meisten Platonischen Dialoge haben eine in der
{Zeitgeschichte begründete Veranlassung, 'ulle^ seien in
Athen gehalten, Sokrated komme in allen vor, sei
meist der Hauptsprecher, und auch die übrigen Mit*
Unterredner gröfstentbeilB historische Personen (S. 50
— 51). Von allem dem findet sich in den Gesetzen
nichts. Da nun hier der Leiter des Gesprächs, näm-
lieb der Athenische Fremdling, Plato zu sein scbeind,
indem auf «ein Alter, seine Person u. s. f. ausdrück-
lich angespielt werde : so denkt sich der Hn Verf.
die Sadie so, dafs ein Schüler des Plato ihn, wie
dieser den Sokrates, redend eingefiibrt habe, den Na«^
men aber, deshalb unterdrückte^ weil die Schrift ihm
selber beigelegt werdeu sollte (S. 53 — 54). Die wei-
tere Begründung dieses vierten Punktes möge dei: Le-
ser bei dem Hrn. Verf. selber nachschlagen (8. 57 —
84). Geben wir aber auch alle diese Einzelnheiten
zu, und Vieles scheint Ref. ubabwelslich : so ist doch
869 JB 0ller, P l mfn
oiebt'su fibertelieD« dafs scbon b manoheB &oht Pia-
toiiitohen Dialoges die Form vernacbläsoigt eraoboint
und dar Dialog acUeppend wird, wie Sohleiermaelier
(Plato'a Werke, Tk. IL Bd. 3, S. IST) dies a, B«
Tom PiiilebHa nacbgewieseii hat ; was Refer. fröbev in
dieaetr Blättern (Recension ¥on Sefaleiemiaohera Ue-
beraetaung der Republik, 182», October, No, 62, S.
489) als eine Folge der eigenen Eiasioht Piato's in
die UnToUkommenheit der dialogiseken Form erklären
au können glaabte. Kann im Alter nicht, wie die
Energie der Begeisterung, so anch der Wohllaut, die
Elegana nnd Kräftigkeit d^s Styls abgestumpft wor-
den sein!
Fünftens : „]>ie Sprache ist in Vergleichung mit
der der übrigen Platonischen Dialoge anffallend rbeto-
rtsirend nnd schwerfällig, und enthält anch im Euiael*
nen Mandkes, was Plato sonst fremd ist/' Der Herr
Verf. führt hier freilich merkwürdige Ausdrücke, Wort-
bildnngen und dergleichen an, die nicht sonst bei Plato
vorkommen, wie diXodijfiiig^ äntviaurtiingj ^faavl^pimf fic-
^aXipoia u. s. f. (S* 85), naidm InavdTffq OMQiß^ a^Qiff
um ^f^w statt naXSki^ Ixctvol ä^^tvig nal ^J^JUia« n. s. w«
(S. 93). Wenn aber, der Hr. Verf. (8. 88) in der zu
häufigen Wiederholung der ionischen Endformen des
Dativ Plural auf at au grofse Absicbtiicbkeit im Stre-
ben nach Arcaismen siebt, so widerlegt er sich selbst,
indem er hinzusetzt, der Verfasser der Gesetze hab^
wie Cicero in seinem VTerke' gleiches Namens, diese
alten Formen gebraucht, um die Sprache der wirkli^
oben Gesetze nachzuahmen ; was dann auch manchmal
in den Dialog eiDgeschlichen ist. Warum aber eine
solche Absicbtiicbkeit mehr an Plato, wie der Herr
Verf. memt, befremden müfste, als an Cicero, sieht
man nicht ein. Uebrigens will Ref. nicht unberührt
lassen, dafs selbst Cousin {Oeuvres de Ptatoth T.
rily p. CXXIIJ^CXXIX), obgleich er sonst die
Ast'sohe Hjpothese von der Unächtheit der Gesetze
bekämpft, doch nicht umhin kann, den von den übri-
gen Dialogen unterschiedenen Charakter der Gesetze,
hinsichtUch der beiden letzt^i Argumente unseres
Hm. Verfs.; anzuerkennen: Je^convieM done fue la
i $ e k 0 S tu d ien. m
moins /brie ^ue dans les auires dimhgu&s de Phh
i§n. Le etyle pru en dSimt et^ done im dicHen fr^
prement dUe e^t UHk de rappeUr timjotirt t/l^gmh
ee^ Im dSHcmteseey thmrmouiey hßni e€ ee je ne «oA
fuoi dfheureHx et de euave qtien ^eepire dam bi
mUree düdoguee. Düene lez Im dieiwn dee hk
mtmnfue eouvent de tharme^' de eolerie et m^me, i$
netteti* Cousin erklärt dies nun" auf die ganz rioht^
Weiset dafs Plato nicht die letzte Hand an dieie
Schrift gelegt habe, da sie erst nach seinem Tode
aus dessen Papieren (ovtccg h ufj^ von Philipp roi
Opus herausgegeben worden sei, der sie auch, oadi
Suidas, erst Jn zwdif Bücher gefheilt habe.
Sechstens: „Wir bemerken in unserer Schrift
eine sehr beträchtliche Zahl Ton grofsentheils mifi-
lungenen Nachahmungen, und selbst einige Mlfcve^
atändnisse Platonischer Stellen.'' Die erste Hälfte des
Arguments schwächt der Hr. Verf. dadurch, dafs er
selber eingesteht , Plato's Wiederholungen ^ seien bei
der dialogischen Form das einzige Mittel, einen frü-
hem Dialog in einem spätem zu citiren (S. 100^161).
Von Mifsverständnissen wird aber eigentlich nur emei
gerügt, dafs nämlich die Behauptung des Meno, die
Tugend sei durch Mq f^oi^cf erzengt, von dem VeifaS"
ser der Gesetze so verstanden werde, als ob sie
durch gättlicbe Schickung gegeben sei, wogegen* der
wahre Sinn des Meno vielmehr sein soll, „dafs die ge-
wöhnliche Tugend etwas Mos Zufälliges sei, weil Vat
Gute in ihr ohne klares Bewufstsein und feste Grund-
sätze vollbracht wird** (S. 109). Die BereditiguDg ca
dieser Erklärung sieht der Hr. Verf. in dem Zusätze
des Meno: &iiq ^l(}t^ nagaytfvofAivti Sfiv fov (p,389
ed. Bekk.). Diese beiden iftestimmungen kdnnten steh
zu widersprechen scheinen; denn was durch göttBche
Schickung geschieht, ist vernünftig. So k5nnte mui
also verleitet werden, mit dem Hm. Verf. &iia fuSga
und fovg als Zufall und Vernunft ehiander entgegen-
zusetzen, wie Aristoteles in der Metaphysik (Kl, S)
tvxn und vov^ als entgegengesetzte Ursache^ dei^ Welt
ausspricht.
(Die Fortsetzmig folgt)
Jahrbücher
' , f Ü I-
w i s s e n sc h a f 1 1 i c h e Kritik.
December 1839.
4^
Platonische ßtudien von Dr. Eduard Zeller^
(Fortsetzuiig.)
Die Ejutheta ^(/qi fiot^qe und ävw vov entspre-
chen aber genan denen in den Gesetxeii ävtv avi/--
n9}g, avToq^vä^f dXii&äg »ai ovri nKaotS^- Die Tugend^
vfli Plato an beiden Stellen sagen, ist nicht ein durch
ftuGsere Nothwendigkeit ond Einwirkung Anderer auf
den Verstand Mitgetheiltes (cbfiv dvayxfjgf avtv v6v)y sie
ist nicht etwas Angelerntes unid Gemachtes (oihri nla*
#rcitf): sondern ein wahrhaft aus innerer ursprünglicher
Natur Hervorgehendes (avro^uofg, akri^(Bq\ui\WÄik ein gött-
liches Geschenk {fiii<^ C^'^^)* So versteht es auch
Aristoteles, der (JSM. Nieom. /, 9, §• 1) gerade zu
mxiA Ufa i^tiap fwt^w dem dta xi%>iv naifayiyvetai ent*
gegensetzt. Solche Argumente können also wohl die
Aeohtheit der Gesetze nicht anfechten; und Referent
fa&tte gewünscht, dafs der Hr. Verf* sich ihrer enthal-
ten h^ttC) um nicht den starkem, die er hat, Eintrag
zu thun«
Siebentens : 9,Die Einreihung derselben unter die '
Platonischen Dialoge hat hinsichtlich der Abfassungs-
zeit sehr bedeutende Schwierigkeiten.'.' Hier wird be-
sonders vom Hrn. Verf. urgirt, dar» die Gesetze in die
Üetralogie der Republik, des Timaus, des Kritjas und
des unausgeführten Hermokrates nicht hineinpassen,
und doch zugleich nothwendig als eine Fortsetzung
der Republik auftreten, mit der sie den Anfaug einer
Trilogie ausmachen, in welcher wieder der dritte
Staat, von dem wir oben sprachen, unausgeführt ge-
blieben ist (S. 112 — 113). Es. wäre allerdings auffal-
lend, wenn Plato so zwei.einander sich durchkreuzende
Cyeli von Dialogen geschrieben hätte. Auf jeden
Fab stellt der Hr. V^rf. die Gesetze nach dein Tir
mäns, ja selbst dem Kritias, weil in diesen auf die
Gesetze keine. Rücksicht genommen werde, und macht
da9u die Bemerkung; „Dabei hätte mau den Vortheil,
Jahrb. f. viiiftäck. Kritik. J. 1839. H. Bd.
die Verschiedenheit der philosophischen Ansichten in,
den Gesetzen nnd der Republik durch eine in dem
Verfasser selbst vorg^angene Veränderung begrün-
den zu können. Und wer weifs, ob es nicht irgend
ein Scharfsinniger ' noch unternimmt, von hieraus auch
die' fragmentarische Beschaffenheit des Kritias zu er-
klären.^ Plato, 80 müfste dann gesagt werden, hatte
im Sinne, der Darstellung der Republik im Kritias ,
und Hermokrates die Krone aufzusetzen ; während die*-
ser Arbeit aber ham er bei zunehmendem Alter und
vielleicht durch irgend welche Cmstände veranlafst?
(etwa durch seine mifsglückten Versuche bei Diony-
siuB oder sonst Vd), „zur Erkenntnifs über das Un-
fruchtbare seines Idealisirens, und beeilte sich in deü
Gesetzen die Verirruogen der Republik zu verbessern.
Den Zeitpunkt, mit welchem die Zweifel < gegen iaelne
frühere Ansicht bei ihm anfangen, würde dann eben
das Abbrechen des Kritias bezeichnen" (S. 114—115).
In der That, da die Republik zu Plato's Zeiten nicht'
gänzlich verwirklicht war, so mufste er zur Erhärtung
der VTirkliohkeit der Idee einen frübern vollkommenen
Zustand annejimen, um daraus auch die Möglichkeit
seiner dereinstigen Wiederherstellung als Ziel der Ge-
schichte zu beweisen ; und diese Hoffnung ist es, die
allerdings in Plato's Geiste, falls die Gesetze von ihm
sind, untergegangen sein und ihm so die Fortsetzung des
Kritias verleidet haben mufste. Auch scheiot die Klage
der Gesetze,, dafs der Staat der Republik nur für Göt-
ter und Heroen passe, eine ausdrückliche Hinweisung
auf den Kritias zu enthalten. Jener zukünftige Scharf-,
sinnige des Hrn. Verfs. möchte also so ganz Unrecht
nicht haben.
Das Endresultat,^ das der Hr. Verf. nun aus sei-
ner Untersuchung zieht, ist dieses: „dafs die Bücher
von den Gesetzen aller Wahrscheinlichkeit naöh von
einem Schüler Plato's in den nächsten Jahren nach des-
sen Tode, und unter dem Vorgebet, sie haben sich in
109
867 Zell0rjPl0t6n
Beioer Hinterlassenschaft gefunden^ ante/ das Pnblicnin
gebracht wurden" (S. 134). Da nun Philipp der Oputt-
tier^ nach Diogenes Laertius, der Verf. der Epmomis
sei, so müsse, -wegen der Ungleichheit ihrer Schreib-
art mit der der Oesetse, der Urheber dei^ letztem noch
ein Anderer sein (S. 135 — 136) : jedenfalls aber ein
,, unmittelbarer Schüler Platos," welcher ,,durch dies
Werk ein Zeugnifs der in der ältesten Akademie hens
. sehenden Richtung" geliefert habe (S. 143).
Diesen letzten Punkt brauchen wir nicht in Abrede
SU stellen ; ja oben ist schon Manches yorgekommen,
was diesen Charakter der Gesetze bestätigt« Aber
warum kann Plato in dem letzten Stadium seiner Ent-
Wickelung nicht selbst diesen Uebergang zu seiner
Schule angebahnt haben 1 Aristoteles' Zeugnifs für die
Platonische. Autorschaft ist doch gar zu Schlagend»
Man könnte zwar sagen , wenn Aristoteles von Plato
ans den Gesetzen etwas anführt^ z» B. Polü. Ilj 9,
BO meint er gar nicht den Plato selbst, sondern Ter»
stebt^ unter diesem Namen den Hauptunterredner des
Dialogs, der eben Plato sein soll, wie er Ja auch So*
krates zuschreibt, was Plate in seinen Dialogen die»
sem nur in den Mund legt. Nicht einmal die Worte
Jlldvmy di tovg v6novq r^dq>m¥ {Polit* Ify 7.) heifsen noth-
wendig^ dafs Plato den Dialog verfafs't habe, sondern
können sich auf die gesetzgebende Thätigkeit des Spre-
ehers beziehen; denn vaptov ypaqttiw beifst legem ferr^*
Aber diese Interpretation scheint da kaum aaszareichen,
Ifro Aristoteles {Polit. 11^ 5 et 6) die Republik mit
dep Gesetzen vergleicht, und bemerkt, dafs der Verf«
in den Gesetzen nur Einiges anders als in der Repu-
blik gemacht habe. Hier werden beide Dialoge auf
Einen Urheber zurückgeführt, und die Gesetze durch
flen Ausdruck %ov^ wiikqov yQatpiytag bezeichnet. Da
dies indessen wie vorhin verstanden werden kann, und
der beiden Dialogen gemeinschaftliche Urheber Sokra^
tes genannt wird, so wäre eigentlich wiederum nichts
für die Autorschaft des Plato ausgemacht:, sondern un»
ter Sokrates in den Gesetzen nur der athenisclie Kremd-
'ling gemeint, wenn dieser auch an einer andern
Stelle der Politik Plato genannt würde«. Gezwun«*
gen bleibt diese Erklärung immer, besonders wenn
es wahr ist, Was Diogenes von Laerte (V, §. 22.) Be-
richtet, dafs Aristoteles drei Bücher r^t; in xmv vofim^
JlUtavog schrieb. Unser Hr. Verf* will daher über die
Autorität des Aristoteles auf die Weise hinwegkom^
ieehe Studien. 8IB
raeui dafs er ihm swar eine scharfe dogniatiscbe Kii»
tik (doch auch diese bekämpft er, wie wir sehen wö^
deui in der dritten Abhandlung), aber keine histeris^
zugesteht: die Frage über die Autorschaft einer Schrift
habe er sich nitht aufgeworfen, und in Bezug auf lot-
che historische Kritik sei sein Zeitalter weit hinter
dem unsrigen zurück (S. 131). In der That, dafs es
dem Aristoteles nur auf die Sache, nicht auf den Na*
men ankam , beweist er am Besten dadurch , dafs er
seinen Gegqer bald Plato bald Sokrates nennt,
Liefse sich nun hiernach nicht folgender Aasweg
treffen t Da die Platonischen Gesetze auf Wachsta»
fein geschrieben waren, so waren üie gewifs bei Piato's
Tode nicht nur nicht ins Publicum gekommen, soa*
dem nicht einmal fertig noch überall ausgeftihrt. Pbi»
lipp von Opus hat also, ehe er die Epinemne schrie^
jene Bruchstücke Piatonischer Nachlasseoschaft Yei^
bunden, redigirt, stjlisirt, und so viel Zusätze gemaeht^
dafs sich alles UnpTatoniscbe daraus erkiftreo, ebenso
ihr Platonisches aber sich nicht wegläugaen l&fst. Die
Gewissenhaftigkeit modemer Schüler bei der Henuts*
gäbe der Vorträge ihres Lehrers, nichts vom Ihriges
hinzoznthun, hatte im Alterthum noch keinen Werth sod
keine Bedeutung,, wie denn bis zur Erfindung derBuok
druckerkuüst die Vervielfältigung einer Schrift oft,
wenn ,ein Gelehrter sie sich abschrieb oder als ColIe>
gienheft aus d^m mündlichen Vortrags {än^ fcoy^c) nseh*
bildete) eme Entwickelung und Umgestaltung des 0»
ginals war, wie wir es von der Budemischen und Gro*
fsen Ethik des Aristoteles an, durch die Commentato-
ren desselben hindurch, bis tief ins MittelaUer ii
den Schriften der Scholastiker finden können. In ähih
lieber Weise mochte Philipp der Opuntier, indem er
vielleicht theilweise aus der Erinnerung des mündiioben
Vortrags die vorgefundenen AnfzeichnuDgen PIsto's
ergänzte, dabei seine Denkungsweise und einen popa«
laren Charakter des Pfailosophirens unvermerkt hMii*
gebracht haben, vollends die Platonische SchrMbsrt
nur unvollkommen haben nachahmen und dorchfäbreo
können. Was also von mehrern Schriften des Aristo-
teles gilt, das ist Einer Platonischen auch begegnet,
und vielleicbt noch in grOfserem Mafse, doch inmito
nicht so, dafs Aristoteles nicht in seinem Rechte wäre^
wenn er die Schrift auf die Urhebersebaft des Plato
bezieht, besonders ftlr die Pnnkte, die er> seiner Kritik
unterwirft. Wenn .der Hr. Verf. uns asf diese v«
Z 4 t l e r^ P I 0 t o\
Ilwi Torberg^Mbone Hyp^aso eioweadet,^ dars der Bot«
wvrf de0 Meistert dann so eebr bätte -verändert wer*
den intiMeii (S. 184):- ao akitworton vir, einmal dar«
slob gar aiobt bestimmen lafst, wieviel Preibeit Philipp
von Opus sich genommen habe, and dann andererseits,
dafo die AbireicbuDgeii vom urspr&nglicben Piatoni-
sohen Standpunkt eben niebt so ungeheuer sind, fih
der Hr. Verf. es darstellt. Hatte Plato vollends schon
selber, den strengen Idealismus der Republik verlas^
•en, so konnte sem Schüler mit desto mehr. Dreistig-
keit weiter geben, überhaupt aber auch bewufstlös Un-
platoaisehes in die Gesetze hineinbringen durch das
w^ früh eingerissene Mifeverstäadnifs der Republik, als
sei sie ein unerreichbares Ideal, da denn die von Plato
auf Wachs verzeichneten, anfanglich auch vielleicht
gar nicht der Republik widersprechenden Gesetze eud«
Uob zu einem zweiten, minder idealistischen Staate um-
gebildet wurden. Einen solchen ursprünglichen Plan
des Platö (vielleicht als Entwurf zum Gesetzbuche ei-
DOS wirklieben Staats) scheint auch Cicero herausge-
ffifalt zu haben ; wenigstens will er gar nicht, dafs* seine
"Clesetze nicht zu seiner Republik passen sollten : Quo*
ftiam icriptun^ eit a te de optima Reipublicae statUy
eonse^fieno esse vtdetuty tit eeriSae tu idem de legi-
6tf#; eie enim/ecisse video Platonem {De Leg, ly
5). — Quoniam igiiur ejus Teipublieae^ quam opti-'
nusm esse doeuit in iliis sex libris Scipio^ tenen»
due est nobis et servandus statusj omnesque leges
oeeommodondae adillud ctviiatis genus etc. (c. 6.)
In einem jinAange zur ersten Abhandlung spricht
der Hr. Verf. noch mit wenigen Worten von der Aecht-^
heit oder Unächtheit des Menexenus und kleinern Hip-
pias, und entscheidet sich Über beide Gespräche für
die Negative.
Wenn aber den Menexenus der Hr. Vf. (S. 146)
darmn verwirft, weil in demselben keine Andeutung
vorhanden sei, dafs es mit der Prunkrede, die seinen
Inhalt ausmacht, nicht ernstlich gemeint sei: so ist
vielmehr zu entgegnen, dafs überall sich die Spuren
davon zeigen, dafs hier Plato die Pronkrede nur 4iabe
irottisiren wollen. Denn aufser« dem nai^nv (p. 381
Bekk.), was der Hr. Verf. unbegreiflicher Weise nicht
(ilr einen -Beweis gelten lassen will, weil der Ausdruck
auch einmal in der Republik vorkomme, so möchte
Referent wohl wissen, «wie folgender Stelle eine andere
Deutung gegeben werden könne: ati ah n^oanaiCtti, '^
tiseke Studien. 870
£Jtnf(ti%%9f Ysd; ^^ro^ag (p. 379); wozu auch" noch die
Worte auf p. 381 zu rechnen sind, dafs Aspasia eini-
ges von der Standrede des Perikles übrig Gelassene
für die jetzige Leichenrede %usammengeleimi% habe
(av/xo)Ucoaa). Vl^arum sollte sich Plato nicht zu einem
soIc)ien Seherze heruntergelassen haben? Aristoteles
wenigstens dtirt den Menexenus zweimal {Rhet. /, 9;
///, 14), aber freilich nur als die Rede des Solirates ;
was indessen so viel fiir die Aechtheit des Gesprächs
condudirt, als vorhin für die der Gesetze die Stellen
aus der Politik.
Was aber den kleineren Hippias betrifft, so kann
weder unser Hr. Verf., noch sein Vormann im Bezwei-
feb, Soblsiermacher, dem Gesprädi Dnplatoniscbes
nachsagen. Im Gegentheil. Beide müssen gestehen^
dafs acht Platonische Sätze darin ausgeführt werden«
Allein Schleiermacher stellt die Unächtheit theils auf
Einzeinfaeiten^ theils darauf, dafs der Dialog nicht recht
zum Protagoras passe (Plato's Werke, ,Th; I, Bd. I,
S. 295, 293), da es doch nicht nöthig ist, dafs er sich
einer erst von Schieiermachcr gemachten Einreihung
einfägen lasse. Der Hr. Verf. aber meint (S. 153—155),
dafs, wenn der Zweck des Gesprächs . eine persönliche
Verspottung des Sophisten sei, diese ihm dürftig, ver-
fehlt und trocken scheine. Wir wollen uns auch hier
bei der Autorität des Aristoteles beruhigen, der (Met. '
Vy 29) das Gespräch citirt, und zwar, nach Schleier-
macher's Bemerkung j(S. 296), so wie er oft seinen
Lehrer anführt . durch blorse Nennung des Gespräebs.
Hätte es Aristoteles nicht für Platonisch gehalten, so
hätte er den Namen des Autors hinzufugen müssen,
besonders da Plato zwei Dialoge unter diesem Titel
geschrieben hat, die Worte h rm^lnnlq also, wenn
nur das grörsere Gespräch Platonisch wäre, auf die^
ses sich beziehen müfsten.
Am beifallswürdigsten ist die zuleite Abhandlung
unseres Hrn. Ve^fs. über den Platonischen Parmenides
(S. 157-^196) \ weshalb wir darüber kürzer sein können.
Alle Hypothesen über dieses Gespräch, über das,
Verbältnifs der zwei gröfsern Theile, in die es zer-
fällt, über sein blos negatives Resultat und seinen
etwa verloren gegangenen Schiufs schlägt der. Hr. Vf.
siegreich nieder durch eine Auffassung, die, wenn auch
der Hauptsache nach nicht neu, doch durch die Klar-
heit der Exposition und die Schlurfe der Begründung
jeden Zweifel und jede Unbestimmtheit über den ei-
871
Z e 1 1 0 r^ Platonische Studien.
872
(ipgDtliehen Zireck und Gegenstand des Pdrmenides be-
seitigt. Der positive Inhalt dieses Dialogs ist nämlich
nach dem Hrp. Verf. die Ideenlehre, i^ie die alte Ue-
berscbrift und der erste Theil desselben es auch ge^
Vadezu behaupte (S. 163). Und damit ^ist auch sogleich
iler Zweck des zweiten Theils, der vom Einen und
Vielen bandelt, angegebeu. Sind Eins und Vieles,
Sein und Nichtsein, Identität und Unterschied u. s. f.
nicht die ursprünglichsten Ideen? Der „Sophisf we-
nigstens stellt dies ausdrücklich auf. Näher begrün-
det der Hf. Verf. aber dann sehr gut, warum Einheit
und Vielheit hier vorzugsweise vor allen andern Ideen
betrachtet werden: Der Zweck des Parmenidcs sei
dialektische Begründung der Ideenlehre durch Beseitig
gung von Mifsverstflndnissen. Die Erörterung des Be-
griffs dei' Einheit und Vielheit im zweiten Theile sei
nur eine Erläuterung der Ideenlehre im ersten Theile ^
denn alle Idee sei nur eine ideale Einheit in der ma-
teriellen Vielheit« Das Eins, als die Idee im Allge-
meinen, werde aber im Parmenides apagogisch bewie-
"^en. Der erste Theil betrachte nämlich die Schwie-
rigkeiten in der Ideenlchre, um daraus das Resultat
zu ziehen, dafs die Ideen Einheiten im Mannigfaltigen
sind, das Mannigfaltige aber nur die Idee selbst in
Form des Nichtseins. Die alleinige Wirklichkeit der
Ideen habe mm im zweiten Theile daran ihrdn ab-
stracten logfschen Ausdruck, dufs gezeigt werde, wie
das Viele (dem übrigens im Sophisten das oyteoV, im
Timäus das ^axi^ov, und im Philebos das änuQOv ent-
sprechen) phne das Eins nicht gedacht werden könne,
andererseits das Eins ein solches sein müsse, -welches
die Mannigfaltigkeit in sich fasse. Möge man also
den Begri^ (die Idee) als seiend oder als niehtseiend
setzen, so viertle das Denken gleich sehr in Wider-
sprüche verwickelt (S. 182, 167-168,180-181). Hier-
zu macht der Hr. Vf. nun die Bemerkung, dufs die bei-,
den parallel laufenden Beweisführungen, in welche der
zweite Theil zerfallt, eine ganz verschiedene Kraft
haben : ,^Während in den zwei letzten XJnterabtheilun-
gen des zweiten Theils die Unmöglichkeit, sich die
Idee als niehtseiend zu denken, schlechthin bewiesen
ist, .wird in den zwei ersten die Unmöglichkeit, sich
dieselbe als seiend zu denken, nicht ebenso in allge-
mein gültiger Weise dargethan, sondern als undenk-
bar, nur .ein äufsorlich unmittelbares Dasein und ab-
fltiaotes Fürsiebsein der Idee naoligewiegen. Liefsd
sich dagegen noch eine andere Weise des Seins uiil
eine Beschaffenheit des Eins denken, bei der ea di§
Vielheit nicht von sich ausschlösse, so würde die Idee,
so uufgefufst, von jenen Widerspriiehen nicht hiBtiof.
feu. Dieser Umstand, dafs die zwei ersten Abüdo»
mien.für das Sein des Eins,. d. b. der Idee, Booh eines
Ausweg offen lassen, kann schon an sieh nicht flir zu«
fällig gehalten werden \ nimmt man aber hinzu, dab
ohne einen solchen Ausweg sich die ganze Untern^
chung in den Widerspruch eines Tollkommen skeptt
sehen Resultats verlaufen und zur Aufhebung der Ideell
lehre selbst führen würde, so mofs eben di^ als der
eigentliche Zweck derselben erscheinen, durch 2Lersto-
rung der falschen Ansichten über die Ideen die riolk
tige iudirect zu begründen. Diese richtige Ansioht
aber kann nur diejenige sein^ welche zwar die Wiri^«
lichkeit der Ideen anerkennt, aber ihnen weder ein ven
der Erscheinung (dem Vielen) schloobtliin getreimtes,
noch ein äufserlich beschränktes Dasein zssclireibt)
sondern sie als dasjenige erkennt, was, ohne selbst
auf sinnliche Weise zu existiren, doch das Wirkliche
in allen Erscheinungen ausmacht : logisch ausgedrückt)
die Ansicht^ dafs die Einheit des Begriffs in der Viel«
heit der Erscheinungen ist, ohne doch ^selbst eise Viel-
heit zu werden. Nun ist auch- allen sonstigen Da^
Stellungen zufolge das Eigentbümlicbe der Platoni-
schen Ideenlehre,^ wpdurch sie' sich Ton den analogen
Principieu Früherer, von dem ' Eleatischeu Eins und
dem vovi des Anaxugoras, unterscheidet, und, wenn
auch selbst noch mit einer Abstraclion behaftet, T^
sentlich über diese hinau^ischreitet, eben dieses, doff
in ihr das .Geistige nicht mehr in der Fi^rm natürii*
eher Existenz, sondern als schlechthin befreit vob al-
ler zeitlichen und räumlichen Beschränktheit,, und dafs
es «icht unbestimmt als das Eins oder das Denken
überhaupt, sondern als bestimmtes, in sich geglieder-
tes Denken, als Einheit in der Mannigfahigkeit aaf*
gefafst ist'' (S. 178—179). Auch erklärt der Hr. Vf.
hieraus geschickt die scheinbaren Sophismen^ die man
in den zwei ersten Antinomien £nden könnte,* wenn das
Eins als sinnlich Existirendes genoinmea wird; denn
nur die Voraussetzung des Eins als eines sionüch £xi-
stirendjen, nicht des Gedanken^ Eins soll. aU in u<^
widersprechend datgestellt wer4en (S. 174).
(Die Fortsetzung folgt.)
w i SS e n
Jl^ 110.
J a h r b ji c h e r
für
schaftllche
Dccember 1839.
Kritik.
Platonische, Studien pon Dr. Eduard Zell er.
(Fortsetzang.)
Gegen diese AuffassnogBweise wäre mir die« u
eriiinerD^ dafs solches Uiiterscbeiden in der Beband-
Inng der Antinomien gar nicht in Plato's BewufstseJn
gelegen bat, und für ihn sowohl das Eios. als das Viele,
sei es als sinnliche Existenz, sei es als Gedanke,
4nrch die Dialektik zu Grunde geht. Flato bezweckte
«Iso ein durchaus negatives Resultat, wie auch der
Tbefttet in Bezug auf die Lehre Tom Erkennen mit einem
solchen schliefst« Das positive Facit solcher negativen
Dialektik wird dann in andern Dialogen, für den Par-
menides im Sophisten, gezogen. Flato wäre in der
That einseitig, wenn er dem Eins mehr Sein, als dem
Vielen zuschriebe. Jenes ist nicht das Gebiet der
Ideen, dieses das der Erscheinung. Sondern alles
wahrhaft Seiende ist nur durch das ineinander des
Eins und Vielen; und dies drückt der Sophist so ans,
dafs das wahrhaft Seiende die Einheit des Seins und
des Nichtseins sei, wodurch allein Leben und Thätig-
keit, die ohne Negatives nicht möglich sind, ins Uni-
versum kommen. Nicht das Eins ist also die Idee^
sondern die Identität des Einen und Vielen, deren je-
des, weil sie im Parmenides nur auseinander gehalten
werden, durch dieses Ausschliefsen des Andern eben
untergebt. Erst nmfs es in der Dialektik zu diesem
negativen Resultate gekommen sein, bevor die -.positive
Harmonie der Gegensätze kann ausgesprochen werden.
Wer dieselbe inno hat, kann dann auch im, negativen
Resultate schon die positive Wahrheit durchscheinen
sehen, wie dies für den Parmenides die Neuplatoniker
und unser Hr. Verf. gcthan haben ; nach der Meinung
des Pinto aber endet für den Leser der Parmenides
allerdings mit einem Skepticismus, der erst ander-
wärts aufgelöst wird.
Was die Stellung des Parmenides- iirf Kreise der
Jahrh* f, Witten tch, Kritik, J, 1839« H. Bd.
Platonischen Dialoge betrilft, so . hat der Herr Verf«
(S. 183 — 185) sehr Rechte gegen Schleiermacfaer zu
behaupten, dafs er nicht zu den einleitenden und ivoc-
bereitenden Dialogen geh$re^ sondern zu den spätero,
wo die besoudern Wissenschaften sich trennen und der
Vortrag mehr didaktisch und dogmatisch wird.^ Denn
zu Republik und Timäus, als Naturphilosophie und
Philosopljie des Qeistes, gehört nothwendig als erstes
Glied Platonischer Wissenschaft die Dialektik, wel-
che, wie Hegel schon richtig bemerkte (Geschichte der
Philosophie, Tb. II, S. 230), im Parmenides, Sophi-
sten und Philebus erschöpft ist, im letztern aber schon
den üebergang in die Ethik macht. Warum ni^i der
Hr. Vf. den Sophisten vor den Pariponides stellt, ist
nicht abviseben, da jener eine weitere Ausführung
und jedenfalls eine directe, nicht mehr indirecte Be-
weisführung der Identität entgegengesetzter Bestim-
mungen ist. Die Stelle im Sophisten, wo ausdrücklich
auf ein früheres Zusammentreffen des Sokrates mit
Parmenides sich bezogen wird, kanu unser Hr. VCrf.
(S. .191) nur sehr gezwungen erklären. Wäre aber
auch der Sophist der Zeit nach früher, als der Par-
menides geschrieben, so folgt daraas noch nicht, dafs
er auch in der Rangordnung der Platonischen Dialoge
(und um diese allein handelt es sich hier für den Re-
ferenten) früher gestellt werden müsse ^ denn wir kön-
nen uns recht gut denken, dafs eine spätere Schrift
einer frühern Inhaltsstufc angehöre, wiewohl wir diese
Discordanz nie ohne^ die gewichtigsten historischen
Zeugnisse, die dem Hrn. Vf- hier aber gänzlich abge-
ben, Btatuireu dürfen.
Wenn endlich der Herr Verf. an die Stelle der
Schleicrmaclierschen Hypothese, — dafs, zum Politi-
cus und Sophisten, das Gustmal und der Phädo, als
Darstellung des Philosophen sowohl im Leben als im
Tode, das dritte Glied jener Trilogie bilden sollen,
die im Eingang des Sophisten angedeutet wird, — die
110
875 Z e l l er^ Platin
Vermuthang setzt, .dafs d^r Pamenided dies^a dr&le
Glied sei : so sind alle solche BehauptuDgen zu künst-
lich, ond man kann dieses noch auf hundert mehr oder
milder geifitreiche Wehe« arran^ireq^ ohne Air eine
einzige apodiktische Gewifsheit erreichen za können.
Der Philosoph sollte wohl gar nicht in einem besoo^
dorn Dialoge dargestellt werden, und kommt eigent-
lich in allen zur Darstellung: wie denn die einzige
auf den luhalt gegründete Trilogie bei IMato wohl die
der Republik, des Timäus und des Kritias ist.
In dem dritten Aufsatzei. 9,Die Darstellung der
Platonischen Philosophie bei Aristoteles'* (S. 197—300)
ist der Hr. Yerf. nicht frei von der Scfaleiermacher-
schen Ansicht geblieben, dafs Aristoteles den Plato
nicht yerstaoden, oder doch schief und ungenau aufge-
fafst habe. Wir wollen im Allgemeinen zugeben, dafs
der unter die Schere der Aristotelischen Kritik gera-
thene Plato etwas anders aussieht, als der in seinen
Dialogen lebt. Aber erstens ist es ausgemacht, dafs
Aristoteles auch auf die in den Dialogen nicht berühr-
ten a/Qaq>if do/fiara des Plato Rücksicht nimmt, wie
wir oben bereits andeuteten; und dann besteht eben
die ächte Kritik darin, durch Herauskehrurig der Man-
gelhaftigkeit des zu Beurtheilenden es nicht in seiner
unmittelbaren Gestalt zu lassen, sondern den böhern
Forderungen zu unterwerfen und daran tu messen, um
es umzubiegen und zu ihnen heraufzuziehen. Dafs
nun Aristoteles diese ächte Kritik, ohne unhistorisch
zu werden, an Plato geübt hat, sollen 'die folgenden
Worte des Referenten zeigen. Hauptsächlich sind es
aber zwei Punkte, für welche der Hr. Verf. d^m Ari-
stoteles ein Mifsverständnifs des Plato vorwirft, die
Auffassung der Platonischen Mythen und die Kritik
seiner Idecnlehre. Ueber beide haben wir uns also
auszuspr<5chen. Doch müssen wir, um den richtigen
Gesichtspunkt nicht zu verfehlen, vorher noch die all-
gemeine Bemerkung macheu, dafs Aristoteles' Kritik
einer frühern Ansicht immer ein dogmatisches Tnteresse
hat: nie betrachtet er seinen Yorgänger um desselben
willen, sondern lediglich um durch'dialektische Erör-
terung ein Resultat für die wahrbafte Ansicht daraus
%u ziehen und diese somit im Entstehen zu erhaschen.
Was die Platonischen^Mjthen betrifft, so beschul-
digt der Hr. Verf. (S. 207) den Aristoteles, er habe
unter der mythischen Form, den acht speculativen Sinn
nicht herauszufinden vermocht, und gegen diese Form
i$eke Studien. ' 876
»
polwnisirt) als sei sie die eigentliche Lebre des Plato.
Als auffallendstes Beispiel hiervon citirt der Hr. Yeril
die Polemik des Aristoteles in der Meteorobgie (H,2)
gegen den im Phädo angegebenen Lauf der «nterirdi*
sehen Ströme i tb d^ bß x^ Oaüton ytyQafifUvom nt^ t%
%wv noxafiSv aud t^$ ^akixTfi^ ddiforov iaxt». Bei Gele*
heit einer £ntwickelung der Theorie des Meers und
der Flüsse berührt Aristoteles auch die Vorstellun-
gen des Phädo, um aus deren Beseitigung die richtige
Ansicht herauszuziehen. In diesem dogmatisohen In-
teresse ist es für Aristoteles vollkommen gleichgültige
ob Plato hier mythisch spricht oder nicht. Aristoteles
sagt auch gar nicht, ob Plato dergleichen wirklieh
meine oder nur poetisch hinstelle. Dafe es aber im
Phädo geschrieben steht {h xf €>äi9ton ytyqamuvof)^
wird doch Niemand leugnen wollen; Aristoteles scheint
so durch den Absdruck selbst, den er gebraucht^ dem
Einwände des Hrn. Vcrfs, zu begegnen. Auch ein Ta»
del des Mythus kann, wenn ipan will, in Aristoteles'
Worten liegen ; denn selbst fein Mythus müfs nicht eine
innere Unmöglichkeit in sich schliefsen. Dieselbe Recht<>
fertigung müssen wir einer andern Stelle des Aristote-
les (JDe Coelo ITI^ 2.) angedeihen lassen, #o der Hr.
Yerf. (S. 210) meint, Aristoteles habe die unordeutK«
che Bewegung der Elemente in Pläto^s Timäus t^o ver-
standen, als sei sie der Zeit nach der jetzigen Ord*
nung der Welt vorhergegangen. Aristoteles widerlegt
aber an dieser Stelle die zubillige und chaotische Be-
wegung der Atome im System Leucipps und Demo-
krits, indem er die Widersprüche aufzeigt, in 'die eine
solche Annahme verfallen würde; und nun setzt er
hinzu: xh avxh de xovxo avjjißamiv dvayxaZov, %£v A^
xa^aniQ ly, xS Ttfiaico yiyqanxai^ nglf yevia^ai xhr xo-
ofioy, intvtlxo xa oxot^hZa ixaxxxo^. Nicht ohne Absicht
bedient sich Aristoteles wieder desselben Ausdrucks
(/iyQanxat)y als wolle er gleichsam nur den Worten^
nicht dem bessern Sinne des Plato entgegentreten.
Andere vom Hrn. Verf citirte Stellen sind ebensowenig
schlagend. Doch scheint eine es um sb mehr zu sein,
nämlich die, wo Aristoteles (^PhjfM. VIII^ \.) dem
Plato geradezu den Vorwurf macht, dafs er die Zeit
entstehen lasse : HXixtov de aixhv ytvv^ (lovog. Hier
wäre nun zunächst die Antwort der Neuplatoniker an-«
zufuhren. Simplicius zu diesem Orte {Brandts: SckoL
in Aristotelem^ p. 426, b,) sagt in dieser Rücksicht,
ytvi]x6v habe einen doppelten Sinn, indem es sowohl
877 Eeti&r^ Flaton
dem sttkmDnte, was in •tefer VerandeFMg «ei, ato denn
irelcbes in tiiwt fttihem Zeit Dioht imr. Nar io dt»*
tem zweiten Binne widerapreebe noo Acistoieles der
Entstehung des Univerenrns^ nimlieh dafe es einmal
entstanden sei, nieht aber, dafs es stets entstehe* Und
da auch Plato Entstehen in dieser letzten Bedentang
genommen habe, so widerlege Aristoteles eigentlich'
nicht Pinto, sondern die, welohe ihn felsch rerstebeik
Diese Wendung ist bei den Neuplatonilieni gans ültge-
msin, nnd sehen Ammonins Sakicas in seinem Leben
des Aristoteles hat «ich ihrer bedient: ovj atiXStq avxi^
. %i/ii xZ TlXctvmn, äiXot tov<; ft^ roi/aaeri tu toS TlXatafOQ
(Jrut9t. Oper. ed. BuAle, T. /, p. 45). In der That,
Plato hat nicht eine ewige Materie und ein Chaos, eine
seitliche Schöpfung n. s. v. als philosophisches Dogma
aufgestellt. Indem es aber doch wörtlich in seinen
W^ri^en geschrieben steht {yfyQanTai)^ so mufs es Ari-
stoteles widerlegen, besonders da die Verflaefaong der
Piatonischen Philosophie, wo deren Hjthen im eigent-
lichen Sinne genommen wurden, schnell eintrat. Da-
her bedient sich Aristoteles auch hinfig,*wemi er Pla-
tonische Sätze wiflerlegen will, des Plural, ja als von
B^ttschfilem sprechend sogar der ersten Person (z. B;
Uetaph. /, 9i Iv de r^ fPaiSan Xsyoiav)^ zum Beweise^
dafs er nicht sowohl gegen Plato, als gegen seine
Schule kämpft» Nur wollen wir damit freilich nicht
behaupten, dafs Aristoteles den tiefern Sinn des Plato
immer schon, wie die Neuplatoniker, als den Platoni^
sehen anerkannt habe ; aber auch hierin ist Aristoteles
historischer und genauer, als die Neuplatoniker: und
unser Hr. Verf. gesteht selber (S. 207), dafs die ei-
gentliche Meinung Plato's ihrem Urheber selbst nicht
ganz deutlich bewufst gewesen sei.
Dafs Aristoteles aber andererseits die Platonischen
Mytden darum doch mtht forPIato*s eigentliche Ueber-
zeugung hielt, ergibt sich sogar aus seinen eigenen
Worten, die auch unser Hr. Verf. (S. 210) kennt, und
woraus herrorgebt, dafs schon Plato und selbst emige
seiner .Schüler, wie der abermalige Gebrauch des Plu-
ral beweist, das blos Bildliche ihrer Darstellung erkann-
ten: „Wie die, welolie geometrische Figuren zeichnen,
so haben auch m über die Entstehung d^r Vi^elt nicht
in dem Sinne gesprochen, als ob sie je entstanden sei,
sondern nur um den Lernenden die Sache, wie bei
Zeichnung einer geometrischen Figur, anschaulich zu
machen'' {De. jCoelo /, 10). Gegen diese Bildlichkeit .
iecAe Studien. SflH
Ut es aber eben, dafe Arislotdes sieh wttideti indem
er das Uqstatthafte derselben darlogt $ und hier ist die
eig^utliehe Lösung des Knotens zu finden^ den der Hr^
Verf. dazu braucht, ein Mifsve^stdien des Plato bei
Aristoteles anzunehmen. Die Ausrede der Neuplatoaio
kev hi4ft nur, wo Aristoteles gegen die falache Auffna*
snngsweise der Schule petemisiit; wo er aber Plato ia
eigener Person angreift, da will er eben an dem Wi-
derspruch, den der Mythns darbietet, diese Form ab
eine uuphilosopbische, nnd damit die ]Rangelhalt|gkeit
dieses philosophischen Standpunkts selbst nadiweisen*
Das Mythische hat Plato freilich nicht Im buchstäbli-
chen Sinne genommen ; sonst würde er selbst nicht so
oft sagen (z. B. Pkaedrue^ p. 39 Bekk.)^ er wolle
nur menschlich und biMlicb^ nicht auf gl>ttliche Weis»
sprechen. Warum bedient Pinto sieh aber dieser tra-
ben und nebulosen Ausdrucksweise, Ton der Aristoteh
les einmal sagt, dafs sie nichts werth sei {Metaph. III^
4.), nnd ein ander Mal, dafs sie nur der Anfang der
Philosophie sei (Metaph. /, 2.), als weil Plato eben
noch kein volles BewnlMseiii ftber den specnlativeu Ge^
halt des Kerns hatte, den er \inter der mythischen
Hülle bewahrte. Hütte er dies ToUkommen klare Be*
wufstsein gehabt, so würde er es nicht mehr für ndthig
erachtet haben, sich mit dem Mythus zu schleppen^
den er nur, wegen der für ihn ilu grofsen Schwierig*
keit jener göttlichen Untersuchung {yMx^ iivirf\<s9mi)y
noch nicht entbehren konnte. Mit solchem Helldlinkel
aber der Platonischen Anschauung, was sollte ein so
klarer und bestimmter Geist^ wie Aristoteles, anfangen t
Seine eigene Philosophie ist es, welche, die mythische
Schale Plato's durchbrechend, den innersten Kork der«
selben zu Tage gefördert hat, wenn Aristoteles gleich
selbst sich nicht bewufst war, dieses Esoterische Pia«
to's enthüllt zu haben. Gegen dieses Innei^e konnte
seine Kritik am wenigsten sich richten, da er dasselbe
mit Plato gemein hatte, sondern lediglich^ gegen des*
sen bildliche Form der Darstdlnng; und das ist die
tiefere Bedeutung des Neuplatotrtschen Satzes, dafi.
Aristoteles, selbst wenn er ' Plato widerspricht, noch
mit ihm übereinstimme (cl bl xal aivm ti^ nlamvt dv^
riXe/ii^ ovdif ärcmöv * xat ir xoiTot^ yaf rot rou TlXatto*
vog g^ont), obwohl Ammonins selber mit diesen Wor*
ten, wie die Folge zeigt, was Trivialeres hat sagen
wollen. Wer darf es hiernach dem Aristoteles verar-
gen, Plato gewissermafsen beim Worte zu nehmen,
679 Z e H er^ P l at o,n
undl dieses geeehriebene Wort an ihm ficlbelr dialek-
tisch in widerlegen, da Plato selbst yon diesem Kler
ben am Worte noch hicht gans frei gesprochen vei^
den .konnte, da Aristoteles ferner an dieser Dialektik
selbst erst seinen böhern Standpunkt erklommen hatte,
und da endlich dieses Wort in der Akademischen Schule
dem Geiste Bnt>8tituirt worden, war^ den Aristoteles
eben wieder erweckte,- nm Tcrmittelst desselben gegen
den Bncbstabeii zn Felde in liehen*
Ein Beispiel wird genügen, aufser Zweifel zu set- .
sen, dafs dies die richtige Auffassung des Verhältnis*
ses beider M&riner sei. Der Hr. Yf. wundert sich (S.
215), dafs Aristoteles behaupte {^B/ietßph. /, 6), Plato
babo die wirkende Ursache zu betrachten unterlassen,
da doch im Timäos ein Langes und Breites darüber
^ verhandelt worden, wer die Welt geschaiFen habe.
Hier ist nnn aber die Kritik des Aristoteles eben wun-
derbar scharf, und durchaus nicht von der Art, im
Bilde das eigentliche Dogma des Plato finden zu wol-
len. Sondern im ,Gegentbeil weil ihm der bildliche
Ausdruck doch gar zu. sehr naoh eioero blofsen Pro-
ducte der Phantasie schmeckte, so vermifsto er eben
auch bei Plato gänzlich eine philosophische Begrün-
dung der wirkenden Ursache: „Dafs aus den Ideen
die andern Dinge bewirkt werden, ist bei Plato auf
keine irgend ^ie yerständliche Weise angegeben.
Denn zu sagen, sie seien jlie Urbilder und alle Dinge
haben an ihnen Tbeil, ist ein leeres Gerede, das uns
mit poetischen Metaphern abspeisen will. Denn was
ist die wirkend^ Ursache, welche, auf die Ideen schau-
end, die Dinge ihnen geinäfs macht.? '* {Aletaph. /, 9.)
Nun kommt allerdings im Timüus der Otoi ö/j^iovQyog^
ein weifzimmernder Gott^ vor, der, vermittelst seines
Scbauens und des Schauens seiner dienstbaren Unter-
götter nach den Ideen, die einzelnen Dinge diesen ge-
mäfs werden lüfst. Das sind aber eben solche mythi-
sche Gestalten, die Aristoteles iiicbt, wie der Hr. Vf.
will, für baare , Münze nimmt, sondern lieber eine
Lücke in der Platonischen Philosophie vori^ussetzt, die
erst von ihm selber durch sciue Lehre von der Imma-
nenz ,der Formen ausgefüllt worden ist, nach welcher
die Idee, als -an sich seiende im Samen einer Pflanze
z. B. sich erhaltende Form, die wirkende Ursache sei.
t>s c h,0 S t.u dien/ 88Q
» ■
die von innen herana eine natürliche Gestalt zqr^Wirk-
liebkeit bringe, ^tis dem mythischen Oemiurg d<»
Plato ist also bei Aristoteles ein Reich der Fonnes
(roTfos Htwv) geworden, welches nicht äofserltch die
Welt am Finger laufen läfst, sondern deren inwohneads
Substanz ist.
Dies fährt uns auf den andern von Aristoteles bs-
strittenen Punkt der Piatonisehen Philosophie,' die
Ideenlohre, die so sehr die Zielscheibe AristoteliBolier
Polemik ist^ dafs Aristoteles keine Gelegenheit luibe-
nutzt vorübergehen läfst, sie anzugreifen, und seine
ganze Kritik eigentlich auf diesen Mittelpunkt sick
ooncentrirt, wiewohl die Folge davon ^ nur war, dsfi
Ai^istoteles, in seiner Lehre von der Immanenz der
Form als des Denkens, welches Denken des Denkens
ist, sich eben den esoterischen Sinn dieser Platonisclieo
Ideenlehre recht angeeignet bat. Seine Polemik gebt
also auch hier nicht gegen den Geist der Platonisohen I
Ansicht, sondern einerseits wieder gegen die schiefe
Anffas/sung der Platonischen Ideenlehre in der Akade-
mischen Schule, die Plato aber, wenn er sie auob
nicht theilte, doch imu^er durch seine mythische Dar- •
Stellung wenigsteus verschuldete: andererseits gegen
die pylbagQreisireude Verknüpfoug der Ideen mit. der
Zableulehre, — eine Verknüpfung, die Plato* ausdriick;
lieh schon begonnen hatte und,Speuaipp weiter führte.
Was Aristoteles aber an der Ideenlehre huuptsächlick
auszusetzen fand, war dies, dafs Plato, was unser Hr.
Verf. gerade für das Vortrefflichste hielt, die Idee
oder das Allgemeine dergestalt substantürtc, dafs es
als die alleinige Wirklichkeit erschien. Die Abstrao-
tion dieses Idealismus sah Aj»istoteles ein, und er Te^
theidigte die Hechte der imlividuellen Existenzen ge-
gen diesen Despotismus der Ideenwelt. Die Frage
nämlich nach dem Verhältnifs.des Einzelnen zum Al(*
gemeinen mufste sich unahweislich der Platouischeu
Ansicht aufdrängen, wenn sie auch das Einzelne ab
ein Nichtseieudes behauptete, das dann aber doch iitt-
mer den Werth einer ErscheinuugstKelt behielt. Wenn
also die Ideen existiren, schliefst Aristoteles, so mü^
seu sie im Einzelnen existiren; denn die VenvirUi-
chung ist die Vereinzelung und Spaltung des AllgO-
meinen {Metaph. VII^ 13 : ^ ßriiXiiua x<oQiLn).
(Der BeschloTi forgt.)
J^ 111.
Jahrbucher
für
wis sensc ha f 1 1 i c h e
Kritik
December 1639.
iFle iSoclet&t fttr -wissenscbaftllche Kritllc liat nnter den neuerdings eln«e>
tretenen Vmgt&nden bescblossen» Ihre JTalurbfleber aucb fernerhin erischel«
neni aea lassen» and glanbt dieselbe bei dieser Cfelegrenhelt hinsichtlich der
▼on Ihr ZV liefernden Benrthelloni^jen» eine grossere ToUständln^elt der
anenzeifirenden lü^erhe» so iirle eine Tlelseltlgere ITertretang der yerschle«
denen irlssenschaflllchen Rlchtangen^ irerhelssen zn Icönnen»
- ^ - _
Als Verleger dieser Zeitschrift haben ^wir nur hinzuzufügen, dafs von derselben wie bisher
jährlich, ausschliefslich der Anzeigeblätter, 120 Druckbogen in gn Quart herauskommen, und nach
Vwlangen der Abonnenten denselben in wöchentlichen oder monatlichen Lieferungen zugesendet
werden. Der Preis des Jahrgangs bleibt wie bisher 12 Thaler. — Alle Buchhandlungen und Post-
ämter nehmen Bestellungen an.
Berlia, den 6ten December 1839. üiuicker vii4 Humblot« -
Platonische Studien von Dr. Eduard Zeller.
(SchlnfB.)
Aristoteles sagt daher: Die Ideen existiren nicht für
sich als allgemeine, sondern nar im Einzelnen und als ein-
lelne; die Individuen seM9 die ersten Substanzen, die
Gattungen nur die zweiten Substanzen; und wenn wir.
eine einzelne Farbe sehen, so sehen wir beziehungs-
weise auch die allgemeine Farbe: in allen Einzelnbei-
ten reprpducire sich also das Allgemeine, welches
Princip des Einzelnen ist, ohne eine vom Einzelnen.^ ge-
trennte Substanz zu bilden (Categ. /, 5; Metaph.
Xllly 10). Dafs nun Aristoteles die Platonische Idee,
wenn er sie bekämpft, als fürsichfteiende Substanz und
numerische Einheit aufgefafst habe, giebt der Hr.
Verf. als richtiges Fassen des Piatonischen Sinns zu;
,ydagegen," bemerkt er weiter, „scheint Aristoteles
seinem , Lehrer eine grofsere Lostrennung 41er Idee von
der Erscheinungswelt beizulegen, als wirklich in des«
ädirh. /. wuienuK KrUik. J. 1830. II. Bd.
sen System liegt" (S. 257). Wie kann aber, was nu-
merisch Eins ist, anders als g&nzlich getrennt und für
sich seiend gedacht werden! Aristoteles, diese Pla-
tonische Bestimmung tadelnd, sagt eben an der zuletzt
X citirten Stelle: das Allgemeine, die Gattung oder Form,
sei nicht ein numerisches Eins {dgid^iuo eV), sondern
der Art nach Eins (ii9a eV), indem es, in unendlichen
Einzelnheiten sich reproducirend , Eins bleibe (vcrgL
Metaph. ///, 6.). Nur so aber ist das Allgemeine und
Einzelne nicht getrennt; nach der Platonischen Auffas-
sung, wenn man ihr auf den Grund geht, mufs man
sie trennen. Eben weil bei Plato die Erscheinungswelt
nur im Gegeüsatz zu den Ideen alsvdas Negative steht, ,
so haben diese ein äufserliches Verhältnifs zu ihr.
Auch widerlegt Aristoteles nicht blos die Ansicht^ wo-
nach die Ideen aufser den Dingen sein sollen, sondern
auch die, welche sie in den Dingen setzt; so dafs,
wenn jenes nicht die Auffassung Plato's, sondern nur
die seiner Schule gewesen ist, Aristoteles jedenfalls
111
883 Zelle Ty Piaton
iin zweiten Punkt die Meinung des Plato selber ge-
troffen hätte. Gegen diese argumentirt nun Aristoteles,
dafs, wenn die Ideen nicht aulserh^ilh der Einzeluheiten
wären und doch zugleich selbstständige Substanzen
blieben, nothweudig zwei Substanzen in Einem sein
miifstcn, nämlich die allgemeine und die einzelne; was
noch widersprechender wäre, als jene erste Hypothese
Ton der Jenseitigkeit der Ideen (^Metaph. ill^ 2ßn.).
Freilich Plato gab nicht die Substantialität der einzel-
aen Dinge zu ; das ist aber eben die Einseitigkeit und
zugleich Inconsequenz seines Staudpunkts, da diesel-
ben doch, als die Ideen zur Erscheinung bringend, sel-
ber substantiell werden müssen. Diese Schwierigkeit
entschied nun Aristoteles so, dafs er sagte, die Idee
ist qIs Substanz nicht für 6ich, sondern die Substanz
dps Individuunrs ist eben die allgemeine Form oder die
Idee (rd tlöoq) selbst. Das hat Plato nie einsehen kön-
nen, und daher das Unbestimmte, Mythische, wodurch
er die Aristotelische Polemik wohlverdienter Weise
sich zugezogen hat«
Das |}este ist, dafs unser Hr. Verf. sich dann hin-
terher selbst widerlegt, und der Auffassungsweise des
Referenten Recht zu geben gezwungen ist. Denn zu-
nächst sagt er zwar: „Die Weltseele oder die mathe-
matischen Dinge also sind nichts Anderes, als die
Ideenwelt selbst in ihrer Beziehung auf das Nichtsei-
endc, oder, 'was dasselbe besagt, die Ideen als Gesetze
der Sinnenwelt. Von allem diesem wird jedoch bei
Aristoteles gar keine Notiz genommen, sondern der
Idee die Erscheinung mit gleichen Ansprüchen auf
Wirklichkeit der Existenz gegenübergestellt, uud nun
allerdings mit gutein Grunde die Unmöglichkeit, Beide
zu vereinigen, dargefhan" (S. 259). Wogegen zu be-
merken, dafs bei Aristoteles nur die mit der immanen-
ten Form erfüllte Erscheinung die eiuzige und wahre
Wirklichkeit ist, derselben entblöi'st aber für eine leere
Möglichkeit gilt, wie auch die abstracto Form in ihrer
Trennung von der Materie, für nichts Besseres von
jhm gehalten wird. Was dann aber beim Hrn. Verf.
folgt, acceptireu wir gern in Aristoteles^ Namen : „An-
dererseits läfst sich nun freilich auch sagen, dafs
Aristoteles darin im Grunde Hecht habe. Denn
wenn die Erscheinung für sich das reine Nichtseiende
wäre, und alle ihre Wirklichkeit von dem Uereinschei-
nen der Idee borgen müfste, so könnte auch nicht eine
Trübung uud Zersplitterung der Idee in ihr Statt lin-
i $ e h e Studien.
884
den. Aber Aristoteles sagt nirgends, dafs die Selbst-
ständigkeit, welche er bei der Erscheinung, der Idee
gegenüber, voraussetzt, eine von Plato selbst nicht
gezogene Consequenz sei, sondern er verfahrt ganz
als ob er hierbei e concettie argumentirte, womit Plate
ein unverkennbares, wenn auch vom Standpunkt sei-
nes Beurtheilers aus sehr leicht erklärliches Unrecht
angethan wird/^ Wie kann der Hr. Verf. aber dies
behaupten, da er selbst dem Aristoteles das Recht ein*
räumt, diese Consequenz zu ziehen, und die immanente
Widerlegung eines Gegners eben nur darin bestehen
kann, dafs aufgezeigt werde, wie durch innere Ent'
Wickelung seines Standpunkts dessen Consequenzeii
sich in sich widersprechen! Hätte Plato sich also u&<
her einlassen wollen auf die Angabe des Verfaullniases
der Ideen zur Erscheinnngswelt, so hätte er müsseo
auf diese Co^isequenzen stofsen, die ihn dem Urtheil
des Aristoteles biosstellten. Um dieses Labyrinth, aas
dem Pluto keinen Ausgang sab, zu vermeiden, blieb
er im Nebel seiner mythischen Hülle, aus dem ihn Ari«
stoteles in das Feld der Wirklichkeit herauslocken
mufste, um ihn widerlegen zu können. Aristoteles' Po«
lemik gegen die Idceulehre hat also das ganz positive
Resultat, die Idee als die energirende Form der ein-
zelnen Dinge aufzufassen, und darin besteht, beiläufig
gesagt, der ganze Fortschritt, den Aristoteles gegen
Plato gemacht hat. Die Immanenz der Ideen in der
Erscheinungswelt ist nie bei Plato deutlich ausgespro-
chen, eben weil er die Erscheinung verachtete und ver-
warf; und nur gegen diese Nicht -Immanenz oder Trans-
s:cendenz kämpft Aristoteles, so wie auch aus diesem
Gesichtspunkt seine ganze Polemik allein richtig ver-
ständen werden kann.
Dieser Abfall des Aristoteles von Plato scheint
schon bei Lebzeiten des Meisters eingetreten zu sein;
wenigstens sehen wir diesen in der letzten Zeit seines
Lebens, wohl durch diese Polemik gedrängt, eine Umge*
staltung mit seiner Lehre vornehmen, die zwar nicht
mehr in seinen Dialogen, die bereits publicirt waren,
wohl aber in seinen mündlichen Vorträgen h^qI xiya^
fov zum Vorschein kam und auch in den nachgelas«
senen Gesetzen nicht ohne sichtbare Spuren geblieben
ist Einsehend nämlich, dafs die Jenseitigkeit der Ideen
unhaltbar sei, wie sollte er ihnen nun eine Realität in
dieser Welt verschaffen ? Hier bot sich nichts Anderes,
als die mathematischen Wesenheiten des Pytbagoras
885
ArüMelü Poetiea. Edidit Müter.
88S
dar, wie Plato diese denn aaeh als den mediu9 temd-
nus zwiseheo Idee und Sianlichkeit Ton jeher aasab.
'Aaf di^se Weise fafst es aueh unser Hr. Verl'.: ^»Pla*
to's Ideen sind noch ein Jenseitiges.'' (Hat Aristotelee
nieht also Recht, sie dann als losgetreFnut zu nehmen?)
,)lhiien einen rein begrifflicbea Inhalt za geben, war er
durch die abstraete Fassung der Ideen als eines Jen»
seitigen verhindert. Indem Plato in den matheniati^
sehen Gesetzen, und der Zahl, als deren allgemein
gttltigem Ausdruck, den Vereinigungspunkt des Idealen
und Sinnliohen erkannte: konnte er einestbeils das
unrerllnderliehe Wesen alleii Seienden in der Zahl
auszusprechen glaubeii, andererseits die Zahlen selbst
für Ideen, und die höchste Idee für identisch mit der
UrzabI, dem Eins, erklären" (S. 296-.298). Dies un-
ternahm er nun eben Tornebuilich in jenen do/fiaaiv
dyißä<f.oi^, welche XenokrateS, Aristoteles und Andere
aufzeichneten, während der pythagoreisirende Timäus,
der letzte seiner vollständigen Dialogen, schon stark
dahin sich neigte. Kann man aber besser, als Aristo-
teles es im 13. und 14. Buch der Metaphysik thut,
widerlegen, dal's die Zahlen nicht die Principien sein
können, weil Zahlen blofse Relationen und keine Sub-
stanzen seien, die Ideen aber dock vor Allem substan-
ziell. sein müssen, und was für andere Argqmente er
Doeh angibtl Auch hier mufs man also dafür halten,
dafs die Kritik des Aristoteles aus der tiefsten Ein-
stellt in den Geist der Platonischen Lehre und in die
Natur der Zahlen hervorgegangen ist.
Das Endurtheil, welches wir über die Bestrebun-
gen des Hrn. Verfs. fäUen, ist hiernach dieses, dars,
wenn uns auch die Behauptungen der dritten Abhand-
lang unhaltbar scheinen, wir doch mit der zweiten fast
^nzlich übereinstimmen konnten, und in Bezug auf
die erste dem Hrn. Verf. nur entgegenzuhalten brau-
chen, dafs er in seiner kritischen Verwerfung der Ge-
setze zu weit gegangen sei, wiewohl was er über den
lofaalt und die Stellung dieses Gesprächs zur ältesten
Akademie sagt, wenn es auch grofsentheils noch von
Plato selbst verfafst worden, seine vollkommene Gül-
tigkeit bebalten kann. Indem dann Referent auf die
Worte des Hrn. Verßi., dafs ihm der Tadel, wenn er
begründet ist, nicht minder lieb sein wird, als das
Lob (S. IV), sich beruft, schliefst er mit der Hoff-
nung, dafs dieses freimüthige Aussprechen von Beidem
das freundschaftliche Verhültnifs, in welchem er mi(
dem Um. Verf. stobt, unt noch fester begründen werde.
Michelet.
LVL
Ariatotelis Poetica. Ad Codices antiquos recogni"
iam Latine contersam commentario tilustra-
tarn edidit Franciscus Ritter. Colomae^ 1839.
XXX und 300 S. 8.
Ein eigcntliümliches Schicksal hat den Ruhm und
Einflufs des Aristoteles in Zeiten, die seiner Philo-
sophie entfremdet und unempfänglich waren, an ein
kleines, zertrümmertes, räthselhafles Buch geknüpft.
Nachdem die beginnende Bildung des sechszehnten
Jahrhunderts sich von den Fesseln der Scholastik los-
gesagt und deren angeblichen Vertreter Aristoteles ge-
ächtet hatte, blieb die Lesung seiner Schriften dem
Zufall tiberlassen: tlle Schule nutzte seine Formeln
und folgte seinem logischen Schematismus $ die Ge-
lehrten zogen ein und das andere Werk, ani meisten
durch den.Reichthum an historischem Stoff, zuweilen
auch durch den grdfseren Anschein der Lesbarkeit ge-
lockt, aus der Vergessenheit, und doch mochte nie-
mand, wiewohl einige durch treffliche Lateinische üeber-
setznugen und fleifsige Kommentare sich verdient mach-
ten, hier wie auf so vielen ärmlichen Feldern mit einem
Schaustück philologischer Kunst hervortreten; zu den
Männern aber, welche ohne zünftiges Interesse sich
frei in ästhetischer Theorie oder in moderner Littera-
tur beuegten, sprach nur die Poetik. Wer nun die
Macht bewundert, welche die Lehren der Aristoteli-
schen Poetik in den Ansichten vom Epos, besonders
von der Oekonomie des Griechischen, und noch durch-
greifender in der modernen Tragödie, zumal in der
Technik der Franzosen, -.ausgeübt haben, mufs wol
darüber etwas mehr erstaunen, dal^ die meisten dieser
Prinzipien, wodurch der grofse Philosoph ein Gesefz-
geber und im gebildeten Publikum ein hochgefeierter
Namen geworden war, aus Mifsverständnifs hervorgin-
gen, und dafs ein Verständnifs, eine unbefangene Wür-
digung des Büchleins völlig mangelte. ' Selbst fjcs*
Single heller Sinn, der zuerst in die Tiefen der Poetik
einführte und ihren Geist zu deuten begann, wurde
887
ArütoteltM Pwtiea. Edidit Ritter*
Ton der Gewalt des Aberglaubens geblendet : ,,ioh stehe ^
nicht an cn bekennen** ILufsert er einmal, sogar auf die
Gefahr darüber ausgelacht zu werden, «^dafs ich sie
fiir ein ebenso unfehlbares .Werk hatte als die Ele-
mente des Euklides pur immer sind." Nun sind die
Gründe dieser seltsamen Erscheinung nicht fern zu
suchen ; denn sie liegen sowohl im Zxistande der Poe-
tik als in ihren mehr oder minder einseitigen und plan-
losen Bearbeitungen. Es kann paradox scheinen und
ist doch nur zu sicher, dafs bis zur neuesten Zeit die
Verfassung der Schrift und der dichterische Standpunkt
des Aristoteles verkannt oder vielmehr übersehen wa-
ren $ die Anstrengung forner, die man auf den T^xt zu
wenden pflegte, hielt sich immer innerhalb mäfsiger
Grenzen ; und der Mangel einer Ausgabe, ^welche nächst
den positiven Thatsachen den vollen Gehalt der dunk-
len oder vieldeutigen philosophischen Begriffe scharf
entwickelt und in systematischen Zusammenbang ver-
schmolzen hätte, liefs der Willkür der Leser und na-
mentlich der Dilettanten einen weiten Spielraum. Dafs
es nicht anders sich verhalte lehrt ein Ueberblick der
bieher gehörigen Litterargeschichte. Nachdem eine
Reihe von Kommentaren ,den Anfang gemacht hatte,
deren Ursprung auf Vorlesungen an Italienischen Uni-
versitäten zurückgeht, erwarben sich M(ulms und Vtcto^
riusy vermöge besserer Hnlfsmittel und vorsichtiger
Emendation, ein Verdienst um den Text. Auf sie folgt
ßan* HeintifM^ dessen Verfahren zwar grillenhaft und
in vielen Fällen unglücklich war, indessen als der er-
ste Versuch mit einer zerstückelten und verworrenen
Darstellung sich abzufinden ip Betracht kommen darf«
Eine bedeutende Folge von Kompilationen und Ab-
drücken blieb bei der Ueberlieferung stehen. Demnach
ist Tyrwhitt der erste, welcher mit gewohntem Scharf*
blick die Kritik regelte und die rein -philologische
Interpretation mit mehr als gewöhnlicher Gelehrsam-
keit unternahm: ihm verdankt man die Grundlagen und
die Sicherheit jeder späteren Leistung, die auf Belb-
ständigkeit und fruchtbare Resultate Anspruch macht.
In seinem Sinne schritt nicht sowohl Rei% fort, der
wie in einem hinlänglich fixirten Buche des Aristote-
läs zu feilen und für Eleganz der Form zu sorgen dachte,
als der ausgezeichnetste Schüler desselben Hermann^
dessen Ausgabe noch ganz der älteren Periode des
berühmten Kritikers angehört. Einerseits hat ihm' am
Wenigsten eine Menge versteokter Fehler und Schief-
faeitea.im logischen Ausdruck entgehen können, ohne
sogleich mittelst energispher Kor «ir, Ordnung und,
soweit die Mittel reichten, zur Gesundheit gebracht zu
werden \ und was zerrissen und an entlegiene Plätis
verschlagen war, sollte sich zur leidlichen Symmetrie
zusammenfügen, was nicht anders als durch Umstel-
lungen zum Theil gewaltsamer Art sieh bewirken liefs.
Die Erklärung dagegen trat gegen diese vorwiegenden
Bemühungen um den Text zurück, und auch die aus-
führlicheren Noten, besonders die auf Griechische Tra-
gödie bezüglichen, waren hauptsächlich nach Bedarf«
nissen.der Männer vom Fach berechnet; während die
angehängten Abhandlungen zur Aesthetik des Epos qimI
Drama, abgesehen von ihrem subjektiven Standpunkte,
nur allgemein an Aristoteles anknüpften, mehr der
poetischen als historischen Würdigung jener Gattun-
gen dienten« Was nachher geschah und in leicbtg^
bauten oder schwerfälligen Sammlerwerken zu Tage
kam, bildete keinen Fortschritt, sondern eher in anf-
. gefrischten Autoritäten und Räsonnenients auf der be-
liebton Mittelstrafse eine Rückkehr zum bequemen He^
kommen.
In unseren Tagen ist das Studium des Aristote-
les aus langem Schlummer erwachl und mit gesteiger-
tem Ernst nach alleu Seiten hin erneuert worden« Die
spekulative Richtung der letzten zwanzig Jahre, der
man jenen Umschwung verdankt, hat gewisserroarsen
mit dem grofsen Sjstematiker eineu Bund geschlos-
sen und seinen tiefsinnigen Gehalt als ein würdiges
Objekt des sich selbst genügenden methodischen Den-
kens anerkannt; auch mufste er für Plato, dem die
bildungslustige Zeit schon früher und mit Leidenschaft
zu huldigen anfing, aU ein unentbehrliches Gegenge-
wicht und Korrektiv erscheinen. So haben wir, nächst
vielen förderlichen Beiträgen, eine Gesammtausgabe
erworben, welche trotz ihrer kritischen Einseitigkeit
dem dringendsten Bedürfnifs entspricht und auf eines
sicheren Grund zu bauen verstattet. Nur die Poetik
ist gegen andere,, nahrhaftere oder tiefere Aufgaben
der Aristotelischen Litteratur im Nachtheil geblieben,
aber auch ihrerseits, wenngleich die Forschungeo m
sehr sich vereinzelten, in BetreiF erheblicher Schwie-
rigkeiten aufgehellt und von neuen Seiten her betrach-
tet worden.
(Die Fortsetzaog folgt.)
J^ 112.
Jahrbücher
für.
wissen sc haftliche Kritik
Deccmber 1839.
Arütotelü Poetica. Ad Codices antiquos recogni-
tatn Laune conversam commeniario tUustra^
tarn edidit Francfscus Ritter.
(FortaetzttDg.)
Die meist en siod auf der Bahn . des Castelve*
tro und Twiningy deren Meditationen jetzt wider
Gebühr in Vergessenheit geratben, weiter gegangen,
and die Zergliederung von interessanten Kapiteln^ von
Theoremen und wesentlichen KunstbegriflTen, mit be-
sonderem Bezug auf moderne Dramaturgie, hat zu kla-
ren Resultaten geleitet: es genügt hier an die sorgfäl-
tige Abhandlung von Fr, v, Haumery an die Kritiken
beider Sc/ifegel und (wenn wir die chronologische Folge
verlassen) an den Anfheil zu erinnern, den Goetke
und nicht minder lebhaft Scbillcr (im dritten Theile
des Briefwechsels) solchen Erörterungen gewidmet ha-
ben. Einen durchgreifenden Eiuflufs gewann daneben
nnd -gewinnt fortwährend die Untersuchung über Ho-
mer, die Kykliker und die Oekonomie der Tragödie 3
denn insofern die Poetik vorzugsweise das Epos und
die tragische Kunst verhandelt, und darin ihr eigentli-
cher Wcrth liegt, so mufsten die litterar- urtd kuost-
geschicbtlicheu Einsichten der Gegenwart auch den
Standpunkt ermitteln, auf welchem die Empirie und
die Lehren des Aristoteles stehen. Man ist auf die-
sen Wegen endlich zur unbefangenen Schätzung sei-
ner Autorität vorgerückt, und immer sicherer zur
Deberzeugung gekommen, dafs ihm nur in eingescbräuk-
ten Feldern eine bindende Gewalt angehöre: dafs er
das Epos nicht in seinem Werden und seinen- nutürli-
oben Zuständen, sondern in seiner fertigen lesbaren
Abfassung zu würdigen vermag oder den Willen hat,
uod dafs seine Dramaturgie, weit entfernt umfassend
und idealisfisch zu sein, innerhalb der Bühne des Euri-
pides sich bebnuptct.
Am seltensten' aber, wiewohl die angedeuteten Stu-
Jahrb. f» wittentch. Kritik. J, 1839. H. Bd.
dien dahin zu drangen scheinen, sind die Versuche
gewesen, das Büchlein - in seine Stoffe zu scheided,
Ursprüngliches und spätere Elemente zu anaijsiren und
den muthmafslicben Zweck oder Plan zu ergründ^.
Wir können nur die mit kritischer Genauigkeit ange-
stellte Forschung von Spengel in den Abhandlungen
der Münchener Akademie J. 1837. nennen ; woran sich
die Leistung der vprliegenden Arbeit reihen, und zu-
gleich der Bericht von letzterer anknüpfen läfst. Doch
würde dies nicht schicklich geschehen, ohne gleichsam
als Abschlufs dieser vorläufigen Bemerkungen aucb
das Resultat zu erwähnen, welches die Summe der
bisherigen Kunstkritiken enthält ; um so mehr als un-
ser Herausgeber keine Notiz davon genommen hat«
Aber dem Leser einer so dornenvollen Schrift, dessen
Urtheil durch die heterogensten, ohnehin zerstreuten
Hülfsmittel eher gehemmt als geleitet wird, kann es
nicht gleichgültig sein im voraus zu erfuhren, was er
von der roetik zu erwarten habe, wie er jetzt nach
dem Mafse heutiger Bildung ihr gegenüber stehe, und
wieweit hier die hergebrachte Verehrung des Aristote-
les im Rechte sei. Manchen wird nun dieses Resultat
überraschen, welches einer bisher unbedingten Autbri-
' tat das volle Vertrauen entzieht und ihre Worte nicht
durchweg als goldene anerkennt. Immerhin möge man
ihm ein tiefes Gefühl für das was in der Kunst rieh-
tig, schicklich und fein ist, kurz für das BegrifFlicbe,
die logische Zurüstung nnd technische Zweckmäfsig-
keit derselben zugestehen \ man müsse die Liberalität
und Schärfe seines Geistes in Ehren halfen, dem es
mehr auf das Wesen als auf irgend äufsere Formen
ankommt; man solle gleichwohl sieh nicht verhehlen,
dafs ihm das Geheimnifs der Poesie, ihre innerste
Einheit und ihre von jedem untergeordneten Zwecke
unabhängige Dichtung des Schönen, dis anschauende
Begeisterung und die freie Phantasie, schon weil dort
der kritische Sinn überwog, verschlossen waren. Nur die
112
891
ArutoUlü Pü0iica. Edidii Ritter.
892
Arohitektonik der Gedicbtarteii sei das eigeitliobe Feld
des Aristoteles ; ihm gelinge das Abstrahirea der widh-
tigsten Merkmale^ die er in die Gesetze der Nothwen-
digkeit iiad des Zusattmenhanges a«fzul6sea wisse;
der trennende Yerstana erscheine niemals glänzender,
das beifst einseitiger, als wo er der Tragödie, ^ welche
dem spekulativen Denker die reichste Nahrung und
eine Fülle vpn Befriedigung gewährt, den Vorzug vor
dem blofs pragmatisch gefafsten Epos ertfaeile; dafe
-aber bei dem allen sein Urtheil so* sicher und taktfest
bestrebe, verdanke er dem gliickKchea Uinstonde, der
ihn ächte, in der Idee Vollendete oder indtvidoel(-ge-
^gene Kunstwerke vorfinden liefe und anf die brei-
-teste «Basis der Erfahrung stellte. Dieses Räsfenniren
aus den Mustern nud Zerlegen in ihre diarakteristi-
flehen Momente, vomehmlieh -mit dem Blick auf das
was Interessen einsobliefst und der Reflexion zu thua
gibt (weher der /Vorrang des Buripides trotz oft ge-
tilgter Mängel), bestimme den Werth der Poetik;
melnr dürfe man nicht begehren, da die philosophisehe
Theorie der Litteratur und schönen Kunst bei den
Alten als besondere Wissenschaft, vollends als organi-
fiebes Gebäude wenig ausgebildet war. Dies mag un^
gefähr als Summe der neuesten und, wie man bei nä-
tier^r Prüfung einräumen wird, auch der reifsten Be^
nrthetlnngen gelten; eine Sichtung und Zergiiedemng
derselben liegt uns fern; doch kann es niemandem ent^
gehen, wieviel das Studium und die freisinnige Schät-
zung des Buchs gewinnen müfste, wenn eben die empi«-
Tiscbe Stärke desselben in einem Kommentar (den wiir
erst hoffen) zu Tage käme.
Indessen konnte man fragen t sind summarische
Kritiken der Art nicht voreih'g und unberechtigt, so
lange der wabre Zustand und die Integrität der Poe-
tik ein Problem Meibtl Dieses Bedenken führt uns zu
der oben augedeuteten Untersuchung zurück, mit wel-
ober der Herausgeber seine Vorrede eröffnet ; obschon
er ohne Rücksicht auf die Vorgänger nur mit seiner
Egonen Ansicht sich beschäftigt. Ueberhaupt sind bis-
her drei Meinungen vorgetragen "worden; jede dersel-
ben ruht auf 'begründeten Thatsacben ; und wer ohne
Vorurtheil den Eindruck erwägt, den eine wiederholte
Lesung znrückläfst, kann nicht füglich an einem ein-
zelen Gesichtspunkt verweilen, ebne sich auch von
Motiven der übrigen Hypothesen beröhrt zu fühlen^
Den. ersten Herausgebern konnte nicht entgehen, was
sowohl eib allgemeiner UeberUick als die Verweisoa-
gen des Aristoteles selber lehren, daf^ die Poetik ig
lirem heutigen Umfang ein Fragment sei. Sie sollte
aufser Epos und Tragödie noch die lyrische und komi»
sehe Dichtung verhandeln $ im Absobnitt von. der &•
niödie mufsten die Formen und Spielarten des Läche^
lieben {tiSri yfXofMv\ die nach seiner zweimaligen Ver-
sicherung (^RAetor. I, 11. III, 18. mit der Citation h
xotq m()( Uof^/rix^^) ebendaselbst bestimmt wurden, ihren
Platz g^mden haben; femeir versichert sein Konuneiir
tator SimpliemM , dafs. dort von den Synonymes die
Rede sei, und nach ihm las Philopomis in ihr gemse
Erläuterungen des teleologischen Prinzips; sogar b
den sonst ausführlichen Kapiteln der Dramaturgie feUt
die uncntbehrlicbe Definition der xcr^^ai^, die man
hier schon wegen* der ^usdrückUcfaen HinweisMig ii
der Politik VIII, 7. (Jtqovfinv caq^ian^v) erwarten datfie.
VVas man übrigens anfserdem an alten .Citationeo b»
aitzt, taugt zu keiner Entscheidung : TAmnüimu ain*
lieh fuhrt allerdings einiges an, das in der GesebidMe
der Tragödie stehen konnte, der Veirf» p. I|5. tetfaeik
4iber richtig, dafs jene Notiz auf oberflächliehes Biib-
neruDgen beruht ; die Worte des Alea^ander von Jfir^'
düias dagegen {SehoL Aristot. p. 299 extr.) sind so
verworren, dafs sie nicht einmal das an sich glaiUi-
tdie Resultat (praef. p. XV.) bestätigen, nftnüch difi
im 3. Jahrh. n. Chr. nur ein verstümmelter Text der
Poetik bestand. Im Hinblick also «af diese staikei
Defekte nahmen die (rnheren Herduageber an, flaft
. letztere blofs das erst« Buch von zweien sei, die dsM
Diogenes Laertius zufolge unter demselben Titd k^
standen. Aber Diogenes^ dessen Verzeicbnifs Aneli^
telischer Schriften unsicher und tumultAarisck ist, bi^
tet keinen Anhalt dar: die Bücher n^a/nariku tigm;
notritiX9Jg 'd ff. noifjTütd d; mitten unter rhetorifiehe
Werke gestellt, und obeneiu durch den Zusatz tepnn
verdächtig, lassen zweifeln, hi welehem Verhältnifs sie
zu unserer Poetik zu denken seien. Emigen Ersati
gibt indessen die Schrift ntgl noifjtäv m drei Buchen^
Insweilen fehlerhaft (ehemals bei Ihog. II, 46. mid
Anonym, de Vita Uom. 3.) m^i irof^rtK^^* betitelt.
Soweit nnn vier Bruchstücke (denen vielleicht StkA*
de. p. Arch. X, 3. und möglicherweise einiges bei
fVelcker episch. Cjcl. p. 157. anzureihen wäre) ^
Urtheil verstatten, mögen dort die persönlichen Noti-
zen über Dichter in beträchtlichem Detail erzählt wo^
898
JrutttSis Foftiem, EdüN* BUttr.
«94
den MW. Dagegea bewegten eiöh in der änfseren <S^
"tohielite des Dramas I^mai ^lorvatuwai und Xpd^^ vür-
4etk vir sagen) die JkdavwtkXmn s. Meineke Fragm*
€m». L p. ö sq« Diese iScbriftea go^en einander ge-
lialten^ führen mis snr unverkenuliaren Aadkigie su-
tiek, weiehe die gesellschaftUchen Besöge ^ nMhrer«r
Arbeiten des Aristoteles aossprecfaen : Kategerieen snr
Analytik, Polytieen sar Politik, die anatomischen For-
scbongen und kleinen tfatnrbidtorisolien Bäolier nur
Tbiergeschiehte, und, was wol am nächsten liegt, 2i;9-
^ymyfl t*x^^ **^^ Rhetorik. Wie er gewohnt war,
Theorie aud Pram im Oleicbgewächt xn erbaiten, und
INTopAdentisoh in den inneren Baa der Spekulation zu
Jeiten: so bestintimte er die Peettk sum wissensobaft-
lioben Abrife der Glnindbegtvffe, Formen und Analysen,
mittelst deren man in die' Poesie und ihren Betrieb
eindringen könne. Nicht unähnlich yermutbete mit an-
deren IVyUmAaeh {tCp, >ad HeusJ. p. 48.), sie sei
eine Art von Entwinf, der bernoch in d«n Werke Ton'
^n Diobtem ansgefnbrt worden. Fragen wir endlich
nach dem Platz, welchen Aristoteles den an sich fremd-
artigen, philologischen und ästhetischen Erörterungen
über Poesie in seinem System einräumen mochte, so
deutet Um auch bter der Gegensatz zu Plato an, wor-
«rf Speugel p. 229. mit Recht aofmerlcsam macfat.
Wer sollte üiebt sogleich des Krieges sich erinneni,
weldien der Stifter des Ideenstaates der Dichtung und
den Dichtemj' um ihrer unpbilosopbiscben Natur und
ihrer mit gesunder Pädagogik unvereinbaren Mythen
willen, erklärt und bis zur Ausscbliefsung derselben
verfolgt batt Aristoteles also fand in diesem Wider-
spruch^ der die Kreise det* Politik berührte, hinreichen-
den Anlafs um die Elemente der Poesie einer neuen
Prüfung zu unterwerfen, und durch die berühmten An-
richten über den Quell dichterischer Produktion, die
füfi^i«, über den Mythos nnd besonders die Wirkung
der Tragödie das angefochtene Gebiet in eine sichere
Stelhmg zu bringen. Soweit dürfen wir uns der Exi-
stenz und Nothwendigkeit einer Poetik, wenn wir litte*
Tarischen Merkmalen trauen, versichert halten, nnd
cngleieh im voraus gewisse Forderungen an den Geist
nnd die Methodik einer solchen Darstellung entneh-
uen: die früheren Herausgeber (von ihnen ging diese
Digression aus) begnügten sich mit der äufserlichen
Tbataache, th/M die Poetik nicht mehr in der ur-
V^üngücAen Auedeknung vorhanden sei.
Hieranf folgte die Ansiefat , weiche darch die
Trockenheit und Ungleiehheit maDchor Kapitel veraa-
lafst wart man könne im Ganzen nur einen jiusxug
erblicken. Wenn biegegcn auf einzele Paitieen hinge-
wiesen wird, die recht ausführlich sind, so liegt doch
im Hintergvnnde das stillschweigende Geständnifs,^ dafs
die Poetik eine Misdinng aus verarbeiteten und dür-
ren gerippartigen Stücken bilde; wenn ein anderer
Einwand (Speagel p. 220) auf die Bündigkeit und
Kürze des ^ Ausdrucks zurückgebt, die wol eher das
Verlangen nach £rläutemngen und entwickelnden Zu-
sätzen als eine Verkürzung hervorrufen mochte, so darf
man nicht fibersehen, dafs ohne Rücksicht auf die
Form, gleichviel ob sie dem Verständnifs nahe lag
oder mühsame Znrüstungen erforderte, ein grofser
Tbeil von Aristoteles Schriften das ScUdLsal erfahren
hat, durch Zerstörung der ordnungsmärsigen Folge,,
«darch Auszüge und Interpolationen getrübt zu werden.
Indessen beweiat und ifterzeagt jene Hypothese nocb
lange nicht, dafs wir hier das biefse Machwerk eines ^
Epitomators finden- boUten; weshalb der Gedanke von
Caetelvetro^ den iBer$nan9^ als wahr betraditet, weit
mehr Anhänger sich erworben hat. Demgemäfs ist die
Poetik nur ein unvollendeter Entwurf, den der Verf.
zu wiederholten Malen am Rande oder auf beigeßigiten^
Zetteln (wie wenn es tftch um den Buchmacher nnd
das Schreibmaterial neuerer Zeiten bandelte) mit Zu-
9ützen bereicherte; daher das Mangeln dessen, was
cum Anfange verbeifsen wird, daher die Verschie-
bung und Verwirrung in den losen, fast mönhte man
sagen weichen Massen, daher auch die skizzenhafte^
weniges vollendende Sprache. Diese Fassung des
Problems macht all^dings die Ungleichheiten, die frag-
mentarischen Abschnitte, die lockere Komposition des
Ganzen begreiflich \ sie gewährt dem Kritiker eine (nur
zu willküi4ich benutzte) Freiheit einzugreifen nnd eish
zurenken, wiewobl ohne- Zuversicht auf einen glaub-
haften Erfolg^' der uns das Autographum entfernt her-
stellen könnte \ sie setzt aber eine Thatsache, die man
umsonst zu färben sich bemüht, dafs der rohe unvott-
endete Entwurf oder die Adversarien eines angesehe-
nen Autors aus dem Alterthum überliefert sei: ^ne
nach allen Seiten verzweifelte Auskunft, wovon einige
mit gleich geringem Glück an den Vitae decem Ora^
torum Gebrouob machen. Dessenungeachtet besitzt
sie keinen schwachen Rückhalt an der Sprache, nicht
I I
895 Arittoteli» Poetiea
blofs weil der Ausdruck mehr als gewöhnlich trocken
und abgebrochen ist, sondern auch weil häufig die
dürre Notis und der Schattcurifs. eines Gedankens ohne
Fleisch und Nerv statt des ausgeführten und motivi-
rendeu Wortes genügen sollen. Zwar widerspricht
Spengeli die Darstellung (meint er) sei hier so ganz
im Geiste des Verfassers als irgend in seinen andern
Schriften, und vergebens suche man stilistische Diffe-
renzen zinriscben ihnen «und der Poetik auf, sondern
karg in Worten, die sie nur als unentbehrliches Mittel
verwende, wähle sie die kürzesten und besten Wege«
Referent besorgt aber sehr, dafs in dieser beinah ver-
jährten Ansicht, welche dem grofsen Philosophen noch
' das wenige von formalem Ruf entziehen und ihn zur
untersten Stufe der abstrakten Spracbkunst herabdruk-
ken mufs, eine Täuschung ruhe, freilich eine kaum zu
yermeidende, wenn man, wie üblich, nicht, den Kern
der spekulativen und naturhistorischen Bücher zum
Grunde legt. Aristoteles ist keineswegs der summari-
sche wortkarge Sprecher, den* man sich vorzustellen
liebt, mit aphoristischen Winken, mit peinlich abge-
zehrten Surrogaten des voll entwickelten Vortrags;
wenn er vielleicht auf schönen und harmonischen Stil
verzichtet, so wird man doch schwerlich einen Grund
entdecken, der ihn zu solcher Verbissenheit und ein-
sjlbigen Sprödigkcit getrieben, der ihn sogar den ver-
trautesten Schülern zum Geheimnifs gemacht hätte ; im
Gegentbeil müfste sein zwischen Dogmatismus und Po-
Icüijk getheilter Standpunkt ihn bestimmen, dafs er^
um zu erschöpfen, zu widerlegen und planmäfsig zu
gliedern, seine Gedanken in weiten und weiteren Krei*
sen beschrieb. In der Tfaat' wird den unbefangenen
Lesern seiner tiefsinnigsten Schriften nicht entgehen,
dafs Aristoteles darin eher zu viel als zu wenig tbat:
diese Sätze, die sich in langen Bogen und Ellipsen
herumziehen, sind immer woblberecbnete Momente des
schlichten Begriffs^ der syllogistiscben Reihe, die er
bemüht ist, in ihrer ganzen Schärfe zu erläutern^ zi;
folgern, zu vertheiiligen, an Früheres und Späteres
anzuknüpfen, kurz nach allen Seiten aufzurollen \ diese
so mühsam um. das Centrum gelegten Gruppen, dieser
Kampf um' die Fassungskraft und Erhebung der phi-
losophirenden verwickeln ihn in Weitläufigkeit, in Ver-
. Edidit ȟier. 886
handlang von Bedenken (ano^läi\ in. unnötbige' Bei«
werke und Dunkelheit, woran das knappe Mafs der
Worte zum wenigsten schuld ist. Hiernach prüfe man
die Sprache der Poetik: ob sie mindestens in den
Hauptstüoken jenen Reichthum und Ueberblick des re*
iBektirenden Geistes verräth, ob ihr Gedankengang
gleich bedingt und gleich umfassend auf der Höhe der
Definition über Erklärungen, Beweismittel, erhobene
oder mögliche Zweifel und die Einzelheiten des StoiFs
vor- und rückwärts schaut; ob niobt meiatentbeUs die
Darstellung, ohne jedesmal Begriffe und Motive aufs
reine zu bringen, in den Grundlinien und nöthigstea
Lehren stehen bleibt (denn selbst die lichtvollsten Kap
pitel 20 — 22. geben nur ein empirisches Summarium),
und dem Forscher es fiberläfst, die Lücken des inne-
ren und äufseren Zusammenbanges nach Gutdönkea
auszufüllen. An Belegen könnte kein Mangel sein,
wenn für eine solche Beispielsammlung hier der Raum
wäre; man erinnere sich besonders der Mühseligkei?
ten, mit denen die Interpretation unaufhörlich zo rin»
gen hat, um den halben, gezwungenen^ skizzirteu Aus*
druck in Flufs zu versetzen; und diesen Austreugun*
gen fehlt doch der rechte Erfolg, daf^ die Er^enntnifs
von der Symmetrie des Ganzen und vom planmäfsigmi
Fortschreiten im Einzelnen gewonnen werde. Die Uq*
Ordnung hat keinen Tbeil verschont; den im Verbält-
uifs gröfsten Platz nimmt die Theorie der Tragödie
ein, zwar nicht in der besten Verknüpfung (wie dies
z. B. beim Abschnitt von der dvayvwQiOii und bei c.
15. von den ijOri der Fall, welchem letzteren, nach
SpengeN einleuchtender Demonstration, die Stellung
vor c, 19. gebührt), gleichwohl aber • in einiger Fülle
des Materials ; in einen Winkel dagegen ist das Epos,
von dem beiläufig im Parallelismus mit der Trag^ie
einiges vorkam, .während hier in kurzen Strichen blofs
die Homerische Praxis beleuchtet wird, zum Besdilub
der Schrift gewichen, und diese drei Kapitel von wit-
telmäfsigem Werthe sind von der dramaturgischen Ab-
theiluug durch ein ziemlich unerwartetes Episodiuin
von der poetischen Form und ihren Mitteln geschie-
den, sogar die Lehren vom Epos durch Miscellen von
JDubia vexata (kvQkn^ und 7TQoßh]fAara) in sich unter-
brochen.
(Die Fortsetzung folgt.)
wissen
J^ 113.
Jahrbücher
u r
schaftliche
December 1839.
I.
Kritik.
Afüt^elü Poetica. Ad €od$ce$ antiquos recogni-
tarn Latine conversam commentario $tlu8tr€h
tarn edidit Franciscus Rptter.
(Fortsetzung.)
Nicht einmal die AokflDdigaiig des Objekts, vo;
Bit das Bueh aohebt, ist so prftcis uad ddz weiden-
tig als Aristoteles sie sa geben pPegt: von der Dich-
tung nnd ihren Gattungen verhelfst es zu handeln,
dann von den Mythen derselben und der Oekono'mie»
von ihren Tbeilen, endlich auch von allem übrigen,
was sn dieser Forschung gehört, n^^« xm äUoty '609
tfi^ apTijq ioTi lA^odov, das heifst, von nichts geringe-
ren! als erstlich der Charakteristik und dem poeti«
iebeOf mehr oder minder idealen Standpunkt (^'^7)9
dann von c(er Komposition. Statt alles weiteren wird
endlich die behutsame Analyse hinreichen, ipit welcher
der oft erwähnte Mfinchener Forscher (p. 224 ff.) die
Schrift «erlegt: wer ihm aufmerksam folgt, und. die
nachgewiesenen LUcken, die aerworfenen Partieen, die
sttfiUligen und halb gedeuteten Einschiebsel, die Un-
gewifsbeit über den inneren Verband, über die Stel-
long vieler irre laufender Sätze - und den alten Bestand
snmmirt, mufs wohl mit der Ueberzeugnng scheiden,
dafs uns lose Blätter unter erlauchter Autorität, nicht
ein hl ungestörter Tradition gesichertes Denkmal des
Aristoteles vorliege.
Yen ähnlichen Bedenken geleitet hat unser Her-
ausgeber zur Hypothese sich gewandt, dafs die Poe*
tik ein Aggregat von Aristoteles und Nicht «-Aristote*
les- sei pnd von dem. voUständijgen W^rke kaum ein
Drittel oder Viertel enthalte, wenngleich noch aus die« '
ser Verwüstung ihr noschätabar^r Werth hervorleuchte,
Pft $ie mn^4i$ twyMus i$tü lucimU vere imreum
upparH 0i elar$s$imum mmmi mg^mi d^eumemium*
Sendet. Um das unäcbte Gut aussusobeiden, ist er
mit besonderer Sorgfalt auf die hin und wieder ver-
iakrh. f. wiMBtntek. KriÜk. J. 1830. IL Bd.
streuten Interpolationen (p. XVIII sqq.) eingegangen,
woraus sich gar nicht zweifelhafte Resultate bildeh
lassen; und diese Ergebnisse würden noch reiner aus*
l^efallen sein, wenn die Methode strenger wäre. Denn
die blofse Wahrnehmung, dafs gewisse Einschieb*
sei die Rede im geradesten Lauf unterbrechen , dafs
sie mangelhaft 9n Gebalt und fehlerhaft imStile sind,
fährt bei der Zerrüttuug dieses Handbuehs und dem
Zweifel über seineu Ursprung nicht ohne weiteres zur
Sehinfsfolge, dafs dem Aristoteles' gar kein Antheil
daran zukomme, dafs sie mit der ältesten Verfassung
des Werks, in kemem Vernriiroen standen. Um so* «
gleich mit den grammätbohen Interpolationen zu be*
ginnen c so drängt sich sehr zur Unzäit, wo die poeti*
sdie Aede verhandelt werden soll, o. 20. ein, mit
Nachweisung der Elemente jedes Vortrags, vom ato^
%(tXot bis zum ii^oyoq^ welche Demonstration besser f&r
einen Grammatisten als für den tiefen Philosophen zn
passen scheint. Hr. R. macht gegen die Authentie
geltend, dafs anderweitig von Aristoteles berichtet ibt,
er habe drei partes arationie aufgestellt (aber die
hier besprochenen Grundstoffe der Rede betreffen ih#
reu Mechanismus, die Klassifikation nach Redetheilen
dagegen ihre^ Organismus, wofür ein verwandter Be*
leg bei Farro L. L. VUI, 11.)$ femer die Ansetztmg
des aQ&Qov, das von den Stoikern einen eigenen Platz
bekam (offenbar ist das Wort aQ&^ovy .wie es im Fol-
genden erläutert wird, in eigenthümlicher und ganz
verschiedener Bedeutung gefafst, ähnlich wie n%mii)i
wenn nächstdem in Bezug auf Diffelrenz der Laute
nach Organen und auf andere Punkte der sprachlichen
Physiologie eine Verweisung an die Metriker stattfin-
det, nt^ äf nad'' Snaatov h Tofe fuxQtnoiQ (wo h zu
streichen) n^oq^xti ^te^QtVv, so lautet das Uriheil der
Verdammnifs, j^predere haee videntur grammatieum
Alexandrinum : sAristeielie mevo doctrina metrie»
0 grmnmaiica nondmm eeimneia et nonduwi imn^fuem
113
899 ' Arütotelü Pö^iea. Edidit Ritter.
propria et peeuliaria düciplma oomtituta videtur
/uüse etc.'* Das ist eine starke Uebereiluog: in ähn-
licher Forschung merlct Aristoteles selber de- partt.
anün. II) 16. eztr. an, — it% nvY&Apiaüa^ naqa %£p fUr-
jQutw^ fiberdiefs beschäftigte sich Tor den Alexandri-
nern mit solchen Fragen Arütoxenusy den l)ionj8iu8
deshalb citirt ; und weisen nicht die Scherze, die Plato
CratyL p. 426 sqq. sich erlaubt, auf Vorgänger hin,
die wir unter den Pythagoräern wegen Terentian.
Maur. 250: sqq. annehmen durfenl Dennoch ist vie-
ks in diesem Kaf^itel schlecht, so dafs die Spur des
Aristbteles oftmals terloren geht \ ungefähr wie dt^ ia
c. 22, 8. eingeschaltete Notiz von einem Ariphrades
nüfsfällt, der fiber mancherlei Licenzen der Dichter?
900
terläuft, wie c 14, 7. di6niQ ovdilq not^ — 6' Al^v^
c: 24, 10. äXXa (AoUara idv ilq r^r Mvaicnf^^nwp^ ysN
muthlich auch c. 23. extr. einiges im Katalog der aot
dem. Epos gesogenen Tragödien (vgl, ScAöll Att. Te-
tralog, p. 176 fg.), gewifs c. 18, 6. «W^ *u4yd^v Uyn'
ditiq yäf ylvia&cu noiXot nai na^ot t6 <ije<S$, nach dtt
Beobachtung von Gruppe Ariadne p. 554. Dahin ge-
hört auch c. 17, 1. das Abel angebrachte ttal x^ IJ^u
avvQtmQyätita^ai. Wenn solcher Embleme noch weit
mehr zu Tage kämen als bereits gesammelt si9d,.io
lehrten sie nur, was die Erfahrung an anderen Scfarif'
ten des Alterthums fiberall bestätigt, dars unzeitiger
Fleifs und Mifsverstundnifs den Te^t angetastet nnd
fremdiirtig verziert haben. Weiter zu gehen 'sind wir
rede spöttelte, nur ist die Frage ^^^uid atUnebat ob- ^ schwerlich befugt, und des Herausgebers Kritik schlägt
eeuriseimi hominü ineptisMimam repreheMionmn ex öfter in die leidenschaftlichen Angriffe der Hyperkritik
eeereto seeessu exeitareV^ noch etwas anderes als um. Er verdammt ganze Kapitel, die jetzt verscbleu«
eine Widerlegung und Achterklärung; hingegen stim* dert sind und im Inneren Risse haben, wie c. 16* von
men wir bei, dafs c. 21, 12« die Observatiou über das den avayvcnQiOHq und c. 25. die Miseellen fiber Probleme
genus nominum nach Maßgabe der Endungen auszu- 'im poetischen Ausdruck und in der Oekonomie; er
fitofsen und unserem Autor abzusprechen sei, wäre nur verwirft wichtige historische und konstgeschichtlidie
die Poleouk in ihren einzelen Angriffen immer triftig
und behutsam. Indessen liegt die Mehrzahl der an-
stöfsigen Punkte auf Seiten der Aesthetik; evidenter
Trug mischt sich mit Zweifelhaftem ; um so weniger
aber läfst sich alles, wie der Verf. möchte, unter eitlen
Ctesichtskreis befassen und mit solcher Leidenschaft
verfolgen. Er setzt den Stil herab {stiliü in hu ioeis
ubiqtie mmmam infantiam prodit)^ weil er häufig ab«
gerissen uud strukturlos in der Luft schwebe: nicht
-mit Unrecht, da der Grundton des Buches hier merk-
licher gefärbt wird, allein was schroff, ohne den nö<
thigen Zusammenhang und in halben Worten erscheint,
verräth schon darum nicht die Hand des Interpoiators
(der nach gemeiäer , Erfahrung sein Wissen populär
vorgetragen und mit einiger Eitelkeit zur Ausfüllung
oder Verzierung seines Textes verwandt hätte), weil
es beim Leser eine nicht oberflächliche .Kenntnifs der
Sachen voraussetzt (p. XX. „ — tanyiütm eadem /#-
gentibus aegue ae Mi nota etsent^ ideogue saepe
obscura et^ quan oraeula etoquitur^\ und vermöge
der räthselhaften Kürze selber einen Kommefitar ver-
langt Die Bemühung dieses Anonymus ist auf^kür-
Ecre Ifachhülfen gerichtet, um entweder die Theorie
SU Termitteln oder durch Beispielsammlung das Allge-
meine Bäher zu bringen ; wobei manches Versehen un-
Notizen, wie c. 3, 3. die bisher für klassisch gehaltenl
Stelle von den Ursprüngen der Komödie, hauptsädi*
lieh weil ihm Suidas ein besseirer Gewährsmann zu seift
dünkt (wir werden also künftig annehmen, dafs Cbio>
nides und Magnes, angebliche Zeitgenossen des Bpi-
cbarmus, ubter der strengen Demokratie mit Komö-
dien auftraten), ferner die Bemerkungen c. 6, 15— Ift
fiber die Bestandtheile der Tragödie^ c. 12. über die
Gesangweisen desselben, c. 18,1—3. über die Spielfui-
ten uud Kompositionen der Tragiker, worin man ehcü
Ordnung und passende Kombination als sichere Grund*
lagen verniisscu kann. Er bäuft auf ihn Vorwurfe wie^
idem sua inventa adeo amaty t4t eadem bii vel t&r
ingerat \ nou via et rotiohe iustae doetrinae loe09
persequitur\ genuinae dispuiationii ordinem turbef
vit\ er schilt ihii wegen ungerechtta Tadels des Aescbj*'
lus und Sophokles, als ob dieser Tadler einerlei fe^
sou wäre mit dem vermeinten Trugkünstler der übii*
gen Partieen \ er erhitzt ' sich gegen ihn in dem MaCee)
dafs er jenem als Verbrechen deutet, was noch keil
Kritiker ins schwarze Register setzte, aueiores iiU
üttidat et multee et in hie viroe perobeeureM (eift
Autorenverzeichnifs aus Aristoteles ' mag darauf Ant>
wort geben) ; und er lüfst sich sogar das • Heft der
Kritik entfallen, indem er c. 3. wo der seltne Nooe
SOI
Arüt9€el$ß P%eti&a. Edidü JRiiier.
902
CbtonideB in den Sebreibfdileni XiopiSov oder Xmpidov
iieh rerbirgt, eben bieraue <^in Argament eobniiedet,
p0stremo mierpolaior ne namen piidem
teete teri60re potuü! Und die Zeit dieees
delten ,)Tir pusiliui" rüolct er unter Aristareb, weil
e. 24, 9. ein Stack ans dem 19« Buobe der Odjsaee
' ifbnifa citirt wird : mögen andere p. 260 zuseben, wel*
ehe Bewandnifs es mit der subtilen Beweisfiibrung babe.
* Hr. üfV/^r- ertheilt endlich seinem Falsaritia einen
Lan^fs, der ihn in aller Welt ^kenntlich machen
miifste: ^^h^mmem sterili ingenio^ iudieio inepto^ va-
ria 9ed ineondüa leetione^ docirina vuc mediocri^
fa%tu n&n madieOy stiii et orationü ignarumC* im
weiteren beifst er ihm seAolae Per^atetieae alumnu§
fuidam ingenü doitius parum omaius^ in Mierü
müftum 9ed prave v^rtatus^ grammaticü tdx imbu"
tus. Dieser Halbwrisser sei über die yollständige Poe-
' tik gcratben, babe sie für den praktischen Gebrauch
bald SU weitschweifig bald wenig ausreichend befun«
' den^ und solchen Mängeln in einem Kompendium ab«
helfen wollen: das reichhaltige Ganze mufste daher in
die Schranken einer Epitome sich fügen, und nadi.
Yerlust seines Ueberschusses gemodelt und Terwässert
die jetzige Gestalt annehmen« Wenn es sich hiermit
wirklieb so yerhielt/ dann ist derTerf» in seinen iäster-
liehen Prädikaten offenbar noch zu mäfsig gewesenir
Wir besitzen nicht wenige Auszüge Ton alten Prosai-
kern, und die Epitome nahm in den klassischen Zei*
ten, wie die Beispiele des Historikers Theopompus und
des Aristoteles selber zeigen, einen ehrsamen Rang in
Griechischer Schriftstellerci ein; wer kennt aber den
Beleg für eifien Auszug, der vom Original ganze
Stücke ans Anfang, Mitte und Schlofs (sogleich den
Überlangen Anfang, „ex Tori auctoris opere primum
in libellum suum recepi^ c* 1 — 5.^) unversehrt herüber*
nahmt und wer kennt einen dermafsen uDgescbickten
Eypitomator, der so durchaus übel nud schülerhaft wirtb-
scjiaftete, dafs er über der äafsersten Unmethode des
Streichens, Einscbaltens und Ueberarbeitens die kla-
ren Erfordernisse des Auszugs, Ordnung, Plan und
Lesbarkeit, yergafs oder Tcrfehlte? Was hier zu lei-
sten war, beweist unter anderem das von Theophrast
in lichte zusammenhängende Aphorismen gebrachte
Bach, die Aristotelischen Oeeonemica. Bei dieser Hy-
pothese scheint der Verf. auch ein früheres Bedenken
▼ergessen zu haben, worüber er nicht wenig sich ver-
wunderte, (p. Vin. oü primum mirari äime sufieat^
qu9d mltum e$t de hoe AristoieliM opere fuamvie
graviä$ÜM et ex parte puleherrime apud veteree
scriptwre^ plura per eaecula eUentium^te* Wie sol-
len wir also erklären, däfs weder Dionjs noch Quinti«»*
lian oder sonst gelehrte Kunstrichter die Poetik ge-
brauphten, wählend neben dem Auszüge, der doch in
jenen Zeiten noch nicht zum Uebergewicht gelangt
war, das vollständige Werk des Meisters bestehen
mnfstef Hier treffen wir offenbar auf Dinge ohne Schein
und Möglichkeit. ■ Vielmehr bestimmt uns alles, waa
auf dem bisherigen Wege der Forschnng als direktes
und indirektes Resultat ermittelt worden, zu der nicht
zweifelhanen Ueberzeugung, ' dafs Aristoteles die Poe-
tik niemals herausgab oder bis z^r Herausgabe vol*
lendete \ sondern sein Nacblafs blieb in tumnltuarisch^m
Znstande liegen, Jetzt dem Abschlurs nahe> dort ia
vorläufigen, nur dem Urheber verständlichen Bemer-
kungen enthalten, und mehr der iSnfall als die redigi-
rende, vielleicht bewnfst interpolirende Hand der Schü-
ler .hat über den chaotischen Text entschieden *)•
Dafs im Laufe der Zeiten ein so wenig beachtetes
Werk noch ein paar lose Blätter verlor, ist wol mög-
lich; sehen wir ja ' docli einiges eingenfiischt (wie die
gegenwärtig freistehenden Adversarien zur Geschidite
der Komödie c. 3. und 5.), dem man in den unterge-
gangenen Abschnitten seinen Platz zuweist ; aber auch
•dieses leuchtet ein, dafs wir weder den individuell ver-
arbeiteten Stil des Aristoteles^ erwarten, noch auf or-
ganischen Zusammenhang Anspruch machen dürfen,
dafs im Gegentheil bei der Erklärung und Beurthei*
lung es rathsam ist die Notixen oder Theoreme auf*
xutdsän und vereinzelt zu fyeien* ' Im kleinen zeigt
also dieses Problem was im gröfseren Ganzen die halb-
fertigen Metaphyeicai und überhaupt wird eine fort-
gesetzte Zergliederung der Aristotelischen Litteratur
nur zu sehr bestätigen, was über ihre Schicksale Strabo,
in jener von Neueren hart angefochtenen Stelle be-
richtet.
«) Mit mehreren der obigen AnsichteA trifft zusammen Slahr
in den Hallischen Jahrb. d. J. n. 207—310. nur dafs er die
Poetilc als ein Heft betrachtet, das nach Vorträgen des
Aristoteles zusammengeschrieben worden. Wie die jetzt
tief eingewurzelte Verworrenheit mit der simplen Anlage
des Heftes sich rereine» fiir welche die dreifache Ethik ei-
nen Mafsstab darbietet, ist tod ihm nicht erörtert-
909
JrütPtelü F^eUem. E4idif JUü^r.
Wi
IfaoMeni irir so mfibsam eioen festen Standpuakt
tuf die Poetik ermDgen baben^ läfst sich über die Lei>
•toDgen des neaesteo Herausgebers um ßQ kitraer Aus«
kauft geben. Pie äufsere EinriobtuDg betreffend^ so
geben Text, darunter die Lateiüisohe Uebersefzungy
swiscben beiden kritiscbe Angaben in einer Aus^sahl
voran; hierauf ein ansfiibrligher Kpunmentar, mebr als
200 Seitta begreifend* Ob eipe IxUeinüche Ueber*
getiungf in bucbstäblicber Treue ausgeführt (Laiina
Graeeis suäüda^ juae verbum de verbo earpressum
0Xtuli)y flir ein solches Buch Eweckdienlich sei^ darf
man bezweifeln. Dem unkundigen Leser, dem sie vor-
Sttgsweise bestimmt sein mag, wiederholt sie die ganze
Verworrenheit, die in grdrseren und geringeren Mas-
sen ausgestreuten Schwierigkeiten uüd die schroffe
Dunkelheit, woran das Griechische leidet; aufserdem
aber drü9kt sie der eigenthümliche Uebelstand, dafs in
ihr das Begriffliche sammt den feineren Bezügen des
Gedankens halb oder zweideutig erschemt, und, wenn
nicht ein Blick in die Ursprache zu Hülfe kommt, so-
gar Mifsi^erständoissf nähren mufs« Nun verdient zwar
die Rittersche (wie des Verfs. Latinität ttberhaupt|
wenn man von offenbaren Schreibfehlern, wie p« 168b
addendu9 est definitintj und von unnützer Affektation
nach Art des Ipkigeniß Taurieeneü absieht) das Lob
der Klarheit und Korrekthdt; wenngleiiDh Hermamie
Ueberiragupg die Römische Färbung voraus' hat; aber
in einet* Menge von FfiUen vermag sie bei der gemes-
sensten Bündigkeit weder zu erschöpfen und den Kern
bervorzuhebon noch eine lichte Vorstellung zu erwecken.
C, 4, 4. fiav^dmv oi j^ovov folg q^iXoa6(poig tjdtaxov^dXkä
Kai roHg HiXotg o^oitti«- oXV inl ßQaxif uoivanfova^v cnirovi
' „discere neu solum philosophis iucundissimum sed item
oeteris, mü$ ^fuod breve^eiue commercium contü
nuantf^ letzteres klingt steif und ISfst wegen des Sub*
jekts im Zweifel, der bei Berniann*s ceterie eodem
modo^ Med ad breve tempus attendentibus nicht auf-
kommen mag; es wav blofs das Kolon zu tilgen und
aU' restriktiv zu fassen, j^auch allen anderen in ähn-
lichem Mafse, sollten sie noch so flüchtigen Antheil
daran bab^i.'' In der berühmten Definition der Tra-
gödie c. 6. fjdvafjiira X6y(öj xatgig inäorov täv sidwf iw
rolg ^ fAOgioig : condito Sermone^ haud coniunctie ^i-
kuifue fm^mie ia partüue^ wo erstlich armai^ sm^
WMne sich besser schickte) da ifiiny^iotxa die fofpialea
Zuthaten der Rede mittelst Metrum, Meles, Rhythmos
sind, dann unter Voraussetzung einer unmöglioben
Struktur der rätbselhafte Sinn, fiir den nur der Kens*
nyentar einen Aufscbinfs gibt und den iv xolg fio^ioi«
wenig empfiehlt, angedeutet wird, „in der Tragödie
sind nicht beisammen metrisober Vortrag, Melos und
«- Qrchesis." Der Verf. verwechselt unter anderem
tSin des Drama (davon s. o. 18. und von wiii\ überhaupt
Hheier. I, 2« f.) mit dessen iUQfi : sonst hätte er das
Komma Vor %ci>i^ig gestrichen uqd iSdii von den Arten
der Komposition (da des Sophokles Darstellung von
der des Euripides abweicht) verstanden. C. 16, 4. olbir
^OgÜTtlQ Iv rjf *Jq,iytriiq dp%yvmQiaip Sri ^O^iari^q* bt^ivii
ffir yo^ diä rijg inunoXTjg^ bttZwo^ de aixhg XiyH a ßavlt'
ro« 6 noitjtncs aiX* ovx i /iS^o^: so lautet der band-
achriftiiche Text, gereinigt von neueren Interpolatie-
neUi i^ber immer noch räthselhaft genug, selbst wenn
man gutmüthig die Belehrung hinnfthme, j^eeAneetm
noßter dviyvdQtokv Su 'O^Anriq nove dixit pro mani^
/eMlumfecit seeese Oreetem^^^ und bei &£6^>7 fi^',,&tfr*
bum dvtyviOQiat novo eignificatu praedilum ex priori-
^kf# aeeumendumy^^ und Vas wird endlich aus dem kon*
fusen h^vog di avvb^ Uyu a ß.t Ist vollends ans die-
ser Tortur eine klarere richtig zu konstrnirende Ueber-
setzung hervorgegangen 1 , sie Orestes in Ipkigema
notum/ecit se esse Orestem: illa enim per episto-
iamy nie autem ipse didt quae vult poeta ete* Hr.
R. hat'freiiich, wie sein Kommentar zeigt, dem Verf.
von o. 16. jeden Unsinn zugfmutbet. Offenbar muft
hier die Kritik einen Weg zur Verständlichkeit bah-
nen: dvtyvt^Qia&i] rieth Spengel^ welches Tempus doch
in diesen Zusammenhang nicht pafst liod keine zweck-
mäfsige Verbindung mit dem nächsten herstellt ; bes*
ser entfernt man dvtyvmgiaiif Mit ^Q^iGj^^q als loterli-
nearglosse, die sich aus dem folgenden heraufschob,
auch erregt imivTi (19 ^ev yctg mit Ergänzung des oben
gesetzten dviyvmQia^fj sollte man erwarten) ein Bedeir
ken, wiewohl der Sinn nunmehr leidlich von statten
geht. „Ein Fall der Art ist Orestes in der Iphigenie:
sie wird durch den Brief erkannt, Worauf er seinerseits
lauter äurserliches nach Willkür des Dichters erwähnt/*
(Der Bescblafs folgt.)
w 1 j» 8 e n
'JW 114:
Jahrbttche
für
8 c h a f t 1 i c h
e Kritik.
December 1839.
team
AriHotelü Poetica. Ad Codices awüqtiog recogmir
tarn Lattne contersam commentario illustra'-
tarn edidit Franctscus Ritter*
(Scklaft.)
In der Terminologie bleibt der Uebereetser oft m-
rflelc t wenn x. B* o. 9, 3. «j^iXoaotjpoJrc^or uml anovioioti^ov
fiod/^ytff lerüQittg iariv „die Poesie hat mehr als ^ie G^
tohiehtsohreibung philosophisöben Charakter und sittli-
ohen Meftlismus" blofs gegeben wird, magis pkiloto»
pkieum (/) et graeiue e$t p0en$ ^fuam htMtoria. . Kttn-
eteleien wie I, 7* Ou^yitonoioi^ — inonaoh^ eleg^eee —
0p(fiee9 sind nicht gnt angebracht. Kam es daher auf
«ee Lateinische Version an, die dem Texte getreumr
Seite sil&nde, so war wol das rathsamste Hermann*s
Arbeit, mit den hier und dort erforderlichen Aendemn-
gen, sun Grande za legen. Aber ein ungleich gröfse-
res Verdienst hätte sich der Verf. durch eine freie
Paraphrase nnd Comtiination der xersplitterten Massen
•erworben, worin statt weitläufiger Kommentare nicht
anr die irolle Bedeutung der Gedanken und Begriffe,
sondern auch der organische Geist, der diesen Tränv-
■lerhanfen einst beseelte oder beseelen wollte, in einer
sobjektiyen Restanration sich anschauen, liefs.
Auch die Notis des kritiecken Theiles erfüllt nicht
alles, was hier au leisten und ohne im grofse Mühe sn
leisten War. Unser diplomatischer Apparat zur Poetik
ist sehen äufserliob, wenn man seine Zahlen beträch-
tet, eb mittelmäfsiger, sein innerer Werth aber völlig
uater der Erwartung. Man hoffe keine Diskrepanz
oder Variante an findte, woraus irgend ein Sehlufs auf
die ursprüngliche Gestalt des Bncbes und seioe Schick-
sale gesogen w&rde; sondern alles läuft dort ohne
durehgreifenäes Schwanken ^weder auf plumpe Ver-
unstaltung odor auf kleine, sum Theil. unbequeme Ver-
ftilderoDgen der, Lesart hinaus: woraus freilich die
anderweitig begrfindete Tbatsache, dafs die Poetik
2akth. /. wU$€n$ch. Kritik. J. 1830. II. Bd.
stets bei $eite gelegt war, eine neue Bestätigung g^
winnt. Nun reicht das Material dieser in sämmtlichen
Schäden zusammentreffenden Codices (selbst Bekker
gibt aus den paar die er durcbrergUoh nur selten et-
was eigenthämliches) keineswegs bin, um darauf einen
ertrikglich«^ lesbaren Text zu bauen; die Konjektur tbat
ako häufig noth, und AUub hat bereits in der f>ru^
eeps (davon mehrek^s p. XXIV sq.) nicht ohne Glück
und Scharfsinn (z. B. c. 10, 2. 16, & oder in der zu-
letzt angetasteten Stelle 6, 9.), wenn gleich mit gro-
faer Kühnheit nachgebessert. Er ist der Gründer der
Vulgate, welche sich in den wesentlichen Stücken, nur
mit noch mehr Vermuthungen der neueren Kritiker ge-
mischt, erhielt, ungeachtet der später gesammelten Va-
rianten und der gemäfisigten Revision von Tyrwhitt.
Der letzte Herausgeber Bekker bat bei solcher Dürf-
tigkeit der Mittel ebenso wenig geglaubt, von jener
Autorität abweichen zu müssen, und indem er von den
Versuchen der jüngeren Konjekturalkritik völlig ab-
sieht, und die Lesarten seiner MSS. blofs diinn auf-
. zählt, wenn sie mit der UeberlieferuDg nicht stimmen^
so genügt er vielleicht darin weniger, dafs er die Quel-
len des modifizirten Textes im Dunkel läfst, nicht aber
wegen der Methode, weil er die gewöhnliche diploma-
tische Rücksicht geringer anschlägt ^yQliguotiee Aldi
Ittdorumgue interpoiationes senswn tarnen alifuem
pruebente$ quam codieum euorum Mcripturat^ mani'
feste eorruptuM aut ad inierpretandum difficileM ex^
hibere maluiC^ p. XXV. Welchen Gang schlägt aber
Hr. Ritter eini Erstlich ftlhrt er unter dem Text eine
Anzahl Varianten und Emendationen seit Aldus an,
worin offenbar die wichtigsten kritischen Aendcrungen
gleichsam als historia critica des Aristotelischen Bu-
ches sich darstellen sollen; bei schwierigen Punkten
wird man auf den Kommentar verwiesen. Hierbei durfte
der Herausgeber nicht stehen bleiben, Iw'enn anders er
vollständig unterrichten wollte: es war längst zu wün-
114
907
JrUt0t«Ut Ptetiea. BditUt MUtter.
908
aobi^D und nach den Vorarbeiten von BuJUe .leiobtdr
XU bewirken, dafs die handacbriftlioben, in den älteren
Ausgaben serstrenten Lesarten in ein Ganxes vereinigt
wurden (hier fehlen namentlich viele Bekkersohe Va-
rianteiO) dafs ^hia Auswahl der aohtungswertbesten
Konjekturen hinzu kam; und dieses kritische Summa-
rium, das in geringem Zusammenhang mit der Erklfc-
rung steht, verdiente nebst den gehörigen Nachweisen
und Entscheidungen . einen abgesonderten Plats, auf
?dem man allen Apparat rasch fiberblioken konnte. Nicht
einmal die Wiederholung von Tjrwhitt'a Noten y 4i®
> stets ihren Werth behaupten, hfttten wir für fiberflOfsig
gebalten« Zweitens irersicbort Hr. R* dem Aldus da
gefolgt SU sem, wo er nnyerkennbare Fehler gelind
Terbessere, nicht aber in wilikfirliohen und gewaltsam
men Aenderangen. ]>ennoch vermissen wir hierin die
KonsequeuE; aufserdem sollte die Vulgate, die nun
alamal in den gangbarsten Ausgaben besteht, regelmüp
Iktg erwähnt sein \ auch konnte er neue Konjektureäi
Qieht umgehen, und selbst darin ist tur Berichtiguag
nocb nicht genug geschehen. Ref. mufs sich auf einige
Beispiele beschränken. C. 1, 4. map ü ung, ^i^ai xvyp^
fthtoüiv oia€U totaZtcu. rqv Sivafuvi toiovTm wiewohl
von Aldus eingeschoben ist beibehalten, Aristoteles
reicht aber mit dem blofsen Acensativ aus {de fHirtt
tmim. II, 7. ian da na9 fwanlw aür^ ti^ «pvcrir),
„und was es sonst für Künste dieser Klasse gtbt$^*
auch ist unerwähnt geblieben, dafs sein Gebrauch rv/"
lafouwp fordere, was Iteüi gesetst hat. - Beim näch-
nQo^roQiuviov^. Ariif totales meinf, wer in H^caipietem
schreibt ist darum noch .kein Dichter, ebenso wenig
wer als Extrem gleich Chäremon einen Gento von Vers-
mafsen abfafst: Aldus sah filso richtig, dafs eine Ne*
gatton gefordert werde ) ab^r sein o6u ^9tj *al nouit^.
7tQ. hat keine Gewähr, nai nouftifp nQ* dagegen, schon
eine kahle Wendung, mufs trotz der Kombination p.
86. widersprechen, da wenn derjenige, welcher nichts
als Hexameter prodnzht als solcher keinen Anspnmh
auf den Dichterniimen besittt, noch wreniger ein Dich*
ter heifsen wird, wer nichts weiter als verschiedene
Metra aufweist, da folglich die äufsere Form unter,
keinerlei Gestalt den Dichter macht. Wir halten tui
noiijt^ n^. für ein übel versonnenes Glossem r nnge*
fSUir wie sogleidi c. 2. in der merkwürdig abgerisseoen
Rede nach Totovtovs Aldus ein dwiyu9i fUfuS^^m ein*
schob, wie femer c« 4, 9« oSro» xai ovtog nfog tag imfifH
iiag mit Recht die beste Handschrift fibergebt, b
diesem zweiten Kapitel^i wo die Darstellangsweiiien ins
Ideale, in alltäglicher Wahrheit und in Karikatur mit
Beispielen belegt werden, ist die Verwirrung nicbt
klein» zuerst von der Malerei, dann ein allgemeiner
Satz {iijXov d$ Su nai rar Iuji/^hoAp ixaatti lu^i/^tmv s|a
xwkotq %itq dtaffofäg KfL)j hierauf wieder von Künsiten
und Poesie auf einer Linie, Hai yig h^d(fxiaH mi eair
j^an nai m^aqiaH ior« y&ia^€u tautag To^ apo^iAti/t^
nai rngi tovQ koyovg di tnti %^ xpiXofttTQiav, Maüa kmut^
unter Voraussetzung dafs ip und m^fl füglich varüren,
die Schreibart aller MSS. mi w m^i fwt uuerheblicfc
sten avt^ da tto ^^^m fufAouvraet x^^ OQ^AOPiaq ol %ä¥ ^nehmen $ wer aber den Zusammeabaag mit dem ahg^
iQ%f]<jt»¥ ist die Ergänzung ^v&ftol kein geringerer
Zwang als die ältereli Vorschläge (der von Hennann
hat wie öfter nicht einmal in den Noten Platz gefun-
den); sehen wir auf den Sinn, so mag oM^oi oder eiA
äbnliohei: Begri£F ausgefallen sein, zur Beteicbnung des
Telestes und verwandter Meiiter. Auch in f. 7. soll
bleiben ov% co$ %ohq %m%m fäftffmp n<H9itäq — * n^oquyoQiA'^
omg, und mittelst der Erklärung ovx tig.rovg maxit filfiti^
Ottf noifitagj noifixw; n^. fadtem structuram bilden |
nimmt man andere Edd. zu Hülfe, so lesen die besten
MS8. wi xfjy und zwei lassen xohg weg, deuten also
die Unsicherheit des Artikels an, der eben so sehr die
Form als den logischen Gedanken verdirbt. Femer
ist in f. 9. zu viel auf die Codices gegeben, iftoiteq de
xiSp ii xig änarxa ti (UxQm fuyriwp nokoXxo x)jp (UfifjaiP^
9(et&&nfQ XatQifiA09P inoi^jirt KipxcwQOP — ^ nal notffxiip
rissenen, gleiebsam punktirenden Stile der Poetik ab-
schätzt, überzeugt sich bald, dafs mit gedachten Won-
teu ein neuer Satz anhob, und inp früheren die Or&>
nung der Glieder etwa so gestaltet war: xoi h.ofpi-
au — xäg a/poiAOuSvffxag^ dqXop da £ti . . • xjag äuftpo^ä^f
Mui i'axcu ixiqa t$ ext^a fufula^ai.xdinwr xbp.r^6nÖ9^ Ist
hier die Tradition der Uaadsohriflen nicht beachtet^
80 finden wir umgekehrt §. 4. dieselbe zur Unadt h»
hauptet : denn dafs ip avt^ da xi^ dtaqto^ hiit dem ff^^^
atreitet und entweder mit Victorius, was jetst äbeiali
•steht, h %^ wixy Sa dia^. oder mit Casaubonus ^ %wkf
di x^ diaq>Q, zu bessern ist, hätten die Leser wol aiw
-fahren sollen. Kurz vorher klammert Hr. R. (wie er
mit vielen kleineren, schwierigen Bemerkungen ffcot^
selbst mit unschädlichen, z. B. c 3, ügnt^ "Ofui^og
Mcnv) die Worte «09 Hd^ag xai KüAmutg T^dOtog nai
At^üi^tOiM Boetiem. Ediik BÜier.
910
(»a«|cröt ein, llAffai «tinnMO wir ihm bei, daft die
KoDJelitvr Ton Tynrhitt ägntp "J^yS^ (Som^ y^gMSS.)
verfeblt sei, weil Argae sohlecbthin als elender Dich-
ter geetbildert wird; in ttbrigcD Ist alles geeuadi wenn
laaa KUkta/na setzt : des Tidiotbeos Perser warea ideal
gebahen, ein Gegenstück aber der bürp:erlicb staflTirte
Kjklops des Pbiloxenns. ^ C, 3^ 1. ist die ndtbige Be-
riebtigaiig jy it^^w tma (gebilligt ancli Ton Welcker
Rhein. Mns. V. 494») in Stillscbweigen Bbergangen;
e. 4, 1. gleicbfalls die- Lesart der besten Handsobrift
i» TtaiSwWy nvl xoZro (s. Ueuul* in TheaeU 90.) fta-
f4poiioi; ib« 5. nimmt Hr« R. in den abgerissenen Wor-
ten o^i Pft^^o^ itOiinOH %ifß ijdovfjv aXkA diic xtjv dntQya"
alaw eto, uunötbig eine (nicbt einmal folgericbtig p.
105. gedeutete) Lücke an, während der erforderliobe
Sinn berauskonunt, wenn man wie billig ovx äXld
{Piai. EutAyd. p. 277. A. Rep. III. 405. D.) znsam-
jnenfafst: wenn das Objekt einer künstlerischen Dar-
•tellnng unliekannt ist, so fällt ihr. geistiger Reiz (d.
b. die Vcrgleicbung des Objekts mit der knnstleri-
adien Tbat) weg, und man. halt sich an das Kunst-
m€fk ala splcbes^ das nicht weiter erfreuen kann als
dnreh seine Technik und sonstige Bedingungen des
Btndium. Im folgenden werden die weit schwierige-
ren Worte nati q/vaiv di — iymfiQa¥ keineswegs durch
£rkIiLningen gefördert wie i{ »^f^n nfq>v»6ti^ Aemines
putlam ^i int^ primoM mortales Juere*^ wäre dies
auch mit der Gräcität und mit der Verbindung utal
ufodyor%%g %u reimen , so widerstrebte doch der G^
danke, dafs uralte Zeiten aus rohen Yersuchen eine
Poesie gestaltet hätten. Kaum läfst sich an mqfvxo^
sog zweifeln: ^da nun der Trieb nachzubilden ein na-
tttrlicber ist, da Harmonie und Rhythmus mit dem un-
tergeordneten Metrum zu unseren ursprünglichen An-
lagen gehört, so schuf man vorzüglich diesen Normen
nachgebend (xat avta wohl xa%* ayvä zu lesen und mit
•pt. uatoifiiK^^ zu tilgen) eine künstlerische Dichtung.**
Leicbter war es in §. 9. o yag MaQyixtn avoAjoyov ^c»,
wo die MSS. tö yoQ geben, das richtige to yitq dra-
iaycvMa^yir^ ijfjti anfzuüuden. Allein die Grenzen un-
seres Berichts yerstatten nicht des Heransgebers Kri-
tik Kapitelweise zu mustern $ um so weniger als die
mühsamste Sammlung nur das allgemeine Resultat
bestätigen würde, dafs wir noch keine kritische Bear-
beitung der Poetik besitzen, wie sie den heutigen In-
teressen der -Wissenschaft entspräche. Nicht blofs be-
warf man emer TollstilndigeQ Krantnifa dessen 9 was-
Ueberlieferung der Handschriften, was gesunde BaMN»-
dation und Konjektur bemerkenswertbes anpreisen, jetzt
aber in allen Winkeln nnd oft in seltnen Büchern sieb
verbirgt $ wozu noch die unverholene Anzeige von ,
Schwierigkeiten des Textes und von Spuren tiefer
Verderbnifs oder Lücken kommen mufs« Soweit würde
man wenigstois erkennen, was lesbar und zusammen-
hängend, was andernf heils verdächtig und ohne Vem ^
lafs sei ; doch nach allen diesen Stufen wünscht man
in einem rein kritischen Kommentar, der mit objekti-
ver Strenge und ohne Soperstition nicht mit^ skepti-
scheb Pemonstrationen verfährt, endlich die Gewtfih
beit zu haben, .ob jedesmal die Schrift, wabrscheiil-
lieb oder selbst nur leidlich und mdglicb, einen Aus-
druck des Aristotelischen Denkens und Wissens gebe,
ob dieses verzettelt und aus seiner Ordnung geris-.
sen, fenes fälschlich oder durch Betrug eingeschoben
worden.
Zum Bescfalufs einige Worte über den Kommst»'
tar. Nichts ist natürlicher als mit hohen Ansprücheii
an den Ausleger der Poetik zu treten : ein so dunkles
Buch, in welchem die wenigsten Leser mit Sicherheit
vorrücken , dessen Fugen ^ gelöst und dessen Farben
verblafst sind, das einmal oberste Autorität in Diu-
geh der ästhetischen Kritik besafs und in die Theo-
rieen der modernen Dichtung innig verflochten war,^
ein Buch von solcher Gedankenschwere, die sich müh-
sam aus geheimnifsvoUen Aphorismen enträthseln läfst,
seheint vor vielen einen Mjstagogen zu fordern; man
will belehrt, befriedigt und angeregt sein, man ver-
langt nicbt minder nach Aufschlüssen über den yolleh
Gehalt des Griechischen Wortes als nach historischem
Bericht über die Anwendungen, die man demselben
sogar wider Willen auf neuere Litteratur gegeben
bat, und zwischen diesen Blicken auf Antikes und
Modernes soll vermittelt werden, was noch jetzt die
Poetik uns gelten und wirken dürfe. Wünschen und
Fragen der Art wird kein Kommentator entgehen (ihm
sind sie ja selber als denkendem Leser vorgeschwebt
und oft zur Pein geworden) ; aber einer kann so ver-
schiedenen Momenten der Bildung kaum genügen: es
mag hinreichen, wenn der Erklärer sich dieser Forde-
rungen immer bewufst bleibt. Bisher ist das meiste
für den gelehrten Stoff oder die litterarischen That-
sachen, freilich einen untergeordneten Theil> geleistet
\
< »
911
JrüiöiOii PoeÜea. EdäUi Riit^.
91S
vatden; viewobl eine gute Zahl Probleme auf L5-
«nag. wartet; fiir die Erörterungen der Kunetphiloso-*
Shie dageffeo ist nur auf vereinzelten Puniiten, die
em praktischen Interesse näher standen, und inehr
in rftsonnirenden Artikeln erhebliches geschehen, so
itafs der Zusammenhang der Aristotelischen Theorie
und ihre vielfache Gliederung gewissern^afsen über
deu Gesichtskreis der Koinmenlare hinaus zu liegen
scheint. Noch fehlt es ganz an der sprachlichen In-
terpretation, die sich auf jeden Theil der Form, auf
die hftufigeu, selbst bedenklichen Einzelheiten des Aus-
drucks und auf das Begriflliche, erstreckte. Unser
Ücrausgeher nun üufscrt zwar über den Standpunkt
seiner Arbeit nichts, sowie er auch von der higen-
thümlichkeit und, htstorisohen Bedeutung der Poetik
schweigt. Aber man erkennt bald, dai's er einen en-
f^ren philologischeu Zweck und nicht ein allgemeines
ubiikum vor Augen hatte. Ohnehin laufen die Be-
standtbeile des Kommentars, welche doch verschie-
deae Grade des Werths und der Wichtigkeit bilden,
ungesohieden zusammen; auch die kritischen Fragen
und Lesarten nehmen dort ihren Platz ein, von Kici-
nigkeiten wie ilnafitv und ilnofitv bis zu den melancho-
lischen Angriffen auf den vermehiten Pseudo- Aristote-
les herauf, welche gewürzt mit Invektiveu (z. B. Aem
acutum Aomtnem/ mtro acumine et futili %edulitate\
nullius iuMcii sterilisque ingenii Script or\ nebst
anderen Püffen^ die nur Lateinisch gut klingen und
SBweilen in uiedere Regionen herabsteigen) ebenso wi-
drig als zum gröfseren Theiie unfruchtbar sind. Auf
Sprachliches im oben angedeuteten Siune^ ist wenig
und vorübergehend Bedacht genommen; eine* so viel-
verbreitete Phrase wie axijfuna nai yQuofiuta (s. p. 78 fg.,
um sogleich zu nehmen, was zuerst in die Augen
fällt) finden wir trotz mancher Stellen nicht aufs Reine
gebracht. Der Herausgeber zeigt sich hier indifferent
genug, um die härtesten Schreibarten der Codices zu
vertragen, während niemand ihm verargt hätte, wenn
er die Schwierigkeiten angab und ihre Lösung auf bes-
sere Zeiten verschob; aber bei manchen offenbaren
Fehlem befremdet das völlige Stillschweigen. Z. B.
beim Barbarismus o« 17, 1. ijxiara oy hxy^^arotto (Xor-
^avoi), bei deu Solöcismen ib. 3. toJtovq Xoyovg^ oder
19, 3. tI 7<iro äv tifi xov Xi/ovTog ig/ov, d q^avolro rjSia
nai lAt] diä tbv Xöyov; wo die Erwägung des falschen
ifarolto auf die Berichtigung ti tvip^alvot %ä ^dta lei-
ten konnte; c. 7, 4. 5. und 9, IL wären besser inter-
pungirt und aufgelöst, wenn die Beobachtung, dafs
Aristoteles öfter eine lange Kette von Satzgliedern
mit iml beginnt und durch anakoluthischen Nachsatz
mit ä^te bescbliefst, zu Hülfe kam; vielleicht das
ärgste Monstrum aber ist bei c. 21. wo sich als Be-
leff von composita und decomposita die korrupten
Worte finden, olov ra; noXXd rm fnyaXtajtwv, ^E^iiona'C-
NoSay^o^, die ins bhme genaaUa Konjektur tXow xä
^pUMTtXofuydXmnogy ^Eq^i.^ statt in diesen Proben der
- komischen Diktion erstlich das dem Trimeter gerechte
^E^^oy^aino^av^lag (Aristophanes ^ HqaiiiXtio\aYO%a(i)y dann
nach den Spured iles besten MS. t6 ^AnolXoyaXHotfih
herzustellen. Doch die Stärke des Kommentars rubt
in der sachlichen Erklärung. JMan wird überall den,
Fleifs des Verfassers anerkennen, der aus neueren
Hülfsmitteln die , bisherige Notiz, wie sie bei früheren
Interpreten bestand, su ergänzen strebt und von eitler
Kompilation sich frei erhält; • wäre nur diese Betni^
huug stets lieber auf die Tiefe als die Breite gerich-
tet, um auch neue umfassende Resultate zu fördern,
und voti geringerer Zuversieht begleitet, um nicht un-
billige Ansprüche herauszufordern. Als Belege mögen
dienen die Noten über parodus und stasünum p. 168 tl,^
über deu JUargites p. 107 fF. (wo die Worte xa* ja
Toiavra iv olg aal rö dt^fiorrov lafißttov ^X&i fihgov, zu
den überraschenden Konsequenzen benutj&t sind ,,iV«-
frtitf . p9st Uwnerum versiis iamdicos prodisse Arisi0*
teles existimavit : inde conseguitur iambos illosy gui
herois versiöus immixti erant^ ab Aristotele in suö
ßfargitae exeniplari out nöu intfentos aut pro i$^
terpolatis habitos e$ss*^)y über Protagoras, der den
Imperativ äiidi bei Homer zum Scherz oder aus Flun-
kerei tadelte, wie später Zotlus^y p. 221. Mifsverstan-
den ist unter anderem inXoiv fivtyov c. 13, 4. (wober
der Fehlgriff ib. l.^xa& 17 'OivQatta zu verurthek
len) 15, 7. iä h t<S Oldinoii (gemeint war Oed. R«
112 sqq.), die episodische Natur des Epos p.2(^.,. be-
sonders aber vieles die alte Komodio betreifende, wie
0. 5, 3. Kgdirjg n^ätog ^qI^^v ^^ noi^Xv X6yovg xvt iav^-
^ovg diesen fabelhaften Auficblufs erhält „fuarum
alias ex mythorum cyclo (jAv^ovgj FabelfA)j alias ex
vita communi vel ex liAris rahf Xo/onouor {Xoyovgf £r»
xählungen) petivit^'' ferner Cv 9, 5. wo das Verfahren
der Komiker, Charaktere symbolisch und generell ohne
individuelle, oder historische Wahrheit zu staffirenf
ganz unglaublich auf die mittlere Komödie bezogen
wird; welcher Irrtbum unter anderer Gestalt p. 177.
wiederkehrt. Endlich was den ^philosophischen Tbrii
betrifft, so bat ihn der Herausgeber nicht berübrt $ und
über die Begriffe oder Gebiete, die hier überall in den
Wegtreten, z. B. die der fiifArjaig oder des anovdalog^ Hie
Differenzen zwischen philosophischer und historischef
Darstelinng, zwischen Epos und Tragödie u. s. w.
mufs man anderwärts die Auskunft suchen. Was bän*
fig deren Platz einnimmt, Paraphrasen des Gedankens,
die in ihrer populären Haltung an akademische Dik«
täte erinnern -(z. B. in c. 6.), das ist allein auf den Ain
fänger berechnet. Kurz, Hr. Ritter hat für das Sfu-
iliuui der Aristotelischen Poetik einen zwar einseitigen
aber in bediugtcm Sinne nützlichen Beitrag geliefert
Bernbar'dj-.
tF a h r b ü che r
für
w i s s e n s c h a f t 1 ich e
K r i t i k.
December 1839*
mti
9f
LVU.
Orandzng-e der Btstortk ton O, O. Oerrinus.
Leipzigs 1837. Verlag von Wilhelm Engel-
mann. 95 iS.
WeoB Hegel in sekien VorlesoBgen über die Pbi-
loeopliie der GeBcbtcbte ti^f^t: ,,die EogluDder und
FsaBSOBen tfissen im Allgemdoeu^ wie man Gescbicbfe
«duretbeD miisse : eie stehen mehr anf der Stufe allge»
meiner nnd nationeller Btldmig; bei uns klügelt eich
Jeder eine EigenthQmliobkeit ans, und statt Geschichte
m schreiben, bestreben wir uns zu suohen, wie Ge^
•ehidite gescbrieken werden müsse;*' und Schiesser
in der Vorrede zu seinem neusten Buche in ähnlicher
Weise bemerkt: ^^Ueberkaupt glaubt der Verf , dars
man in Deutschland wohl tkun würde» sich in der G^
schichte weniger über Methode, Manier, Ansichten zu
streiten, als man that« Wenn Jeder das ausbebt und
nach seiner Art behaudelt, was ihm anziehend scheint,
nkNlmanam wenigsten Fabrikarbeit erhalten ;" so kern«
flMn beide, der Philosoph und der Historiker in einem
Vorwarf überein, der hauptsächlich den Verf. einer
Historik zn treffen scheint. Der Historiker aber macht
diesen Vorwurf^ weil es ihm ?or Allem um reelle Go-
ssbichtscbreibuog zu than ist, nicht um vieles Räaon-
äement vor und anfserhalb derselben; der Philosoph,
doch webl nur darum, weil er deif;leicben Untersuchung
Bebw glebh auf sein eignes Gebiet herüberziehen
mochte, als zuzuseheu, wie viel Halbes, Unkhires und
Vareum^ltes darüber ven den Historikern selbst vor-
gebracht wird. Wenn jedoch solche Uutersachnngen
in umfassender und abscbliefsender Weise durchgeführt
und zu einer eignen Wissenschaft erhoben werden, wie
es hier mit einer Historik .geschiebt, so werden sie
'^n Geschichtsobreiber nicht mehr in der Geschichte
selbst geniren und der Philosoph nwifs sie sogar mit
dem höchsten Interesse aufnehmen. Soll aber jener
Jahrh. f. wuwiick. JKritik. J. 1839. II. Bd.
Vorwurf uns Deutsche insbesondre treffen, so bebt er
sich von selbst auf, wemi wir ihn auf unsren Charak-
ter überhaupt ausdehnend allgemeiner machen. Wenn
es nämlich wahr ist, dafs wir überall durch Kntik
«id Einsiebt zu unsrein Thun vorbereitet nnd. darin
geleitet sein wollen, so beweisen wir nns dadurch ver-
zugsweise als philosophisches Vo|k, und als ein sei»-
ebes, das nach umfassender und allgemeiner Bildung
strebt, im Gegensatz zur nationeilen der Engländer
und Franzosen. Und ist es femer der Fall, dafs was
wir Ausgezeichnetes zu Stande gebracht haben, mr mti
diese Weise geworden ist, wie, wir denn ebenso erst
lange gefeagt und untersucht habsn, w»s eigentlich
Poesie, was Epos, was Drama ti. s. f. sei, ehe .wir
sie erhielten, wie ebenso erst., durch £ant's Kritik
des menscblicben Erkenntnirsvermögens, Jer Weg zu
den folgenden philosophischen Systemen gebahnt wmw
de^ so dürfen wir auch eine gründliche .Untersnchnng
über das Wesen und die Arten der Gescbiohtschrei-
bung als die Vorbereitung und das Mittel zu einer
ächten Gescbicbtschreibung betrachten«
Gervinns hat durch seine bistoriscAien Arbeiten,
denen Jedermann Gründlichkeit m der Untersuchung
und Geist -in> der Bdiandlung zngeste^n wird, eine
angesehene Stelle unter unsren ersten Historikern er-
worben. Mit der Historik tritt er auf das pbilosophfr-
scfae Gebiet über, denn diese neue Wisseneobaft, wei-
cherer begründet, steht der Geschichtscbreibsiiig ebenso
gegoiüber, wie die Poetik der Poesie. Wir finden
ferner, dafs -«r im Verlauf seines Ueinon, inhaltsvollen
Werks sich entschieden der Philosophie sH nühem «ind
einer philosophischen Behandluog der Geschichte das
Woet an raden scbcinft. Bean er ^orlaagt <veii dem
wahrhaften Gescbiehtsohfeiber ehenso>wohl poc^isohe«
als philosophischen €M#, weichmr in dos Gescbidit»-
^eerk in gehörigem Mnafse mit einfliefsen solle, und
erkennt den w^abrhaften Gesehiobtscbroiber daran, daft
115
915
Gervittu*, Grundxitge der BütoriJb.
»16
er den Ideen in der Geschidite nachgehe, und sie zum
Mittelpunkt seioer DarBtellqiig sd^ist mache; aDdrer«
seits aber geht er auf eine Kritilc der philosophischen
Behandlung der Geschichte ein, welche ihm eine Ne-
•If^Dgattudg zu den Hauptgattüngen der Geschichtsohrei-
bung ist^ und tritt so auf doppelte Weise in ein Yer-
liältnifs zur Phiiosphie, welches näher zu besprechen
und zu wördigen, hier des Ref« Absicht ist.
Es ist zuerst eine Ucbersicht des Inhalts der vor-
liegenden Abhandlung, worin der Verf. paragraphen-
weise die Grundziige der Historik für seine Vorlesun-
gen darüber zusammenfafst , zu geben. Dabei sieht
gich Referent in der Verlegenheit den Reichthuih des
Inhalte, der hier in möglichster Kürze zusammenge-
drängt ist, noch kürzer zusammenzufassen, und
kann daher nur die Hauptpunkte bezeichnen, indem er
die Loser, auf das interessante Büchlein selbst verweiset«
Es ist dem Ve^f« zunächst um die Stellung der
Geschichte zu andern Auffassungs- und Darstellungs-
weisen des menschlichen Handelns zu thnn ; es werden
ihr also Poesie und Philosophie zur Seite gestellt, und
diese drei dann unter die logischen Kategorieen der
Mögliobkeit, Wirklichkeit und Nothwendigkeit gebracht«
Diese abstrakten Kategorien wollen hier nichts weiter
besagen, als dafs sie einen vorläufigen Schematismus
Anfuhren ; es wird auch nichts weiter daraus entwickelt
oder darauf begründet, sondern der Verf. stellt ihnen
lieber gleich die bedeutungsvolleren Kategorien mensch-
licher Kräfte, die da sind, Einbildungskraft, Verstand,
Vernunft, gegenüber« Der Einbildungskraft wird die
Poesie, dem Verstand die Geschichte, der Vernunft die
Philosophie zugewiesen;, doch so zwar, dafs sie in
jeder dieser geistigen Productioosweisen gewisserma«
fsen nur die anführenden Thätigkeiten sein sollen, bei
welchen die je zwei andern als untergeordnete mitzu*
:i^irken haben»^ Sehr richtig wird gesagt, dafs keine
von diesen Kräften trennbar sei in der Seele, dafs
daher auch keine abgesondert von den andern thätig
aein könne. Will sich aber eine ansscbliefslich oder
Mr überwiegend hervorthun, so kommen Verkehrtheiten
und Ausartungen a^m Vorschein. Es kommt also auf
die richtige lieber- und Unterordnung ia der Ditrchdrin-
gung derselben an ; und da ee hier um die Geschieht*
Schreibung zu thun ist, so ist su bestimmen, in wie weit
das Pcetische und Pbilosophisdie in die ächte Ge*
•diicbtsehreibudg mit emgehn müsse«
Wenn nun der Verf. vom rohsten Anfang der Ge-
schichte, welche die Genealogie ist, alle Arten dersel-
ben durchgeht, bis er zu deijenigen kommt, wdche er
als die vollkommene und ächte* bezeichnet; sp ist der
Gang der Untersuchung liier nidit in solcher Weise
fortschreitend, dafs aus dem Einfachsten und Ersten
durch eine allmälige Stufenleiter das Vollkommenste
entwickelt würde ; sondern es wird von dem Gmndim»
terschied historischer Auffassungsweben ausgegangen,
welcher sich in dem Gegensatz der Chronik nnd des
Memoire darstellt, und welchen Ref. sogleidi mit be>
quemem, philosophischem Ausdruck als den der obgeo-
tiven und subjectiven Gechichtschreibung bezeiehnen
will. Wie Gcrvinus oben logische und psjchologisobe
Kategorien herbeizog zur Stellung der drei Produdtioos*
weisen des Geistes, gegeneinander, so lehnt er aneh
diese Unterscheidung an die Poetik des Aristoteles,
denn er hat gleich anfangs bemerkt, dafs die
Gattungen, welche Aristoteles in der Dichtkunst
terscheidet, in ähnlicher Weise in der Gesehiohtsebni*
bung wieder erwartet werden dürfen, da diese mit der
Poesie das Darstellen mensoUiober Handlnngea §s*
mein habe.
Diese Analogie mit den poetiiscben Gattungen fohlt
er dann weiter durch, indem sie ibm gleich die tief-
fendste Vergleichung der Chronik mit dem Epos dei^
bietet. Dioi Chronik in ihrer reinsten Gestalt sind die
Annalen. Diese vergleicht der Verf. mit den Rbapso*
dien; sie smd die Keime einer volksthümlicben Ge-
schichte. Daraus bildet sich die hdhere Art von Ge*
schichtschreibung in dieser Gattung der Chronik —
nämlick die Nationalgeschichte, wie die eines Uvias,
eines Joh. v. Müller. Sie sind Chronisten imbökefen
Sinn, die eich wie Ordner der epischen VoJksgediebte
zu den Rhapsoden verhalten. . Der Verf. bemerkt ge-
gen sie, dafs sie nur patriotische Zwecke verfolgen,
dafs für sie Alles wichtig ibt, insofern es vaterländislih
ist, dars sie nur von Theil zu Theil fortschreiten,
nicht ans dem Ganzen und einer totalen Wettauieht
heraus darstellen — kurz, dafs ihnen fehlt, was dce
künstlerisch darstellenden und was den denkenden Hi«
storiker ausmacht, oder das poetisohe und pbilesephi*
sehe Element«
Des Verf.> Kritik ist so vortrefflich nnd riehf%^
als seine Charakteristik der eMIselnen Aken der CSe»
schicbtsebreibnng. — Das Mem^ire^ die andre Gr«nd>
»17
Genfinusy Orundzüge der Historük*
918
ifatih der Ge^eiiichtei ht der Ge|[eo8ats xnr Chronik«
Es ist filr die Beörtbeiliiag der Dinge so wichtig) wie
die Qironilc fUr das Material; die Chroniken geben
Handlungen ohne Motive, die Memoiren oft nur Mo-
' ttY0 n» ■• f* Der Pragmatiker ist ein Memoirist in
grSfseren Umfange» Vortrefflich oharakterisirt G. diese
Galtung) er fafst sie sohftrfer und bestimmter , als
irgendwo bisher geschebn ist. Weiter vergleicht er
•ie inil dem Drama* Doch darauf ist später zurück-
ankommen.
Der Pragmatiker will die Einheit des Geschieht-
werkesy-als nur ftiifsere Einheit. Dies führt auf die
Biographie, welche solche Einheit leicht an die Hand
bietet — wobei der Verf. den richtigen Begriff einer
ftebten lUbgraphie aufstellt — ^ dann auf die Geschichte
eiBes eiaselnen Factum, Kriegs ü. s. f. Aeursere Ein-
iieit hat der pragmatische Geschichtschreiber, aber es
feklt ihm die ehibeitliche Handlung des wahrhaften
Epos, (Be innere Einheit, die, welche durch die zu
Grunde liegende Idee, von welcher der Pragmatiker
^bts weifs und nichts wissen will , bestimmt wird«
Gewisse Zeiten aber und Verhältnisse wollen so be-
bandelt sein, wie der Pragmatiker die Geschichte an«
' «iebt und bebandelt --*- writlaufige Verhältnisse , die
•ioh aus mensehlicben und offenkundig daliegenden
Anläsaen erklären lassen, so die Geschichte des Han-
dein, der Scbifffahrt, der Colonien u. s. f.
Hat G* so die beiden Hauptstämme der Historio-
^gmphie eharakterisirt und beurtheilt, so nimmt er, ehe
w die ächte Geschichtschreibung schildert, noch einige
Nebengattnngen mit, die sich zu den Hauptgattungen
der Geschichte verhalten, wie die Lyrik und die di-
iakfiscke Poösie als Nebeogattongen zoro Epos und
Drama — nämlich die Sagengesc/ne/ite und die pAi-
t0S0pküeAe GeseAieAtc. Ich bemerke hier gleich vor-
län6g, dars die weitere Analogie . dieser Nebengattun-
gen miteinander von selbst Wegflillt, denn wenn auch
Hie didaktische Poisie sich sehr gut der philosophi-
gehen Geschichte zur Seite stellt, so hat doch die Ly-
rik mit der Sagengeschiohte nichts gemein.
In wenigen Worten wird das Wesen und der Werth
der Sagengesehichto sehr gut angegeben. Man könne
dem Gesehicb|/&r#ri^ nicht veratgen, wenn er den
gutm Crlaaben fui die Sage zerstöre: der Gescbickt-
seAreUer mfisse sieh davor hfiten. „Diese Sagen,
Abrt der Verf. fort, smd nicht selten aus df r wirkli-
chen gesdiichtlichen Erfahrung znrückconstruirt^ sind
ein Complex des ganzen geistigen Gehalts einer Gie-
schichte,' eine ganz unmittelbar poötische Philosophie
der Nationalhistorie.'* Und ferner: „Was eine solche
volkssinnige Nation als Geschichte geglaubt, verdient
nicht als Geschichte wieder Glauben, aber als Glau*
ben, einen Platz in der Geschichte.^'' Hiermit ist der
einzig richtige Standpunkt angegeben, den der Histo-
riker jeder religiösen Ueberlieferung gegenüber einzn^'
nehmen hat. Es folgt dann die Kritik einer philoso«
pbischen Geschichte, ober welche Ref. unten weitläufiger
sprechen will, um bier in derluhaltsanzeige fortzufahren»
Denn nun kommt der Verf.. zuletzt auf die ächte
Geschichtschreibung, wie er sie will. Diese stellt er
nicht gerade als eine dritte Gattung hin, welche die
beiden andren aufnehme und in sich vereinige, sondern
er bleibt bei den zwei Hauptformen der reinen Ge*
sckichtschreibung, deren einer mehr oder weniger jeder
bedeutendste Historiker huldigen mfisse. In der Tbat
aber ist diese dritte Gattung dem Wesen nach eine
neue und höhere, als jene. Ea soll nämlich der Hi-
storiker „die reine Gestalt des Geschehenden erken«
neu lernen, um aus den anhängenden ZuftUigkei^
ten das wahrhaft Wichtige kühn und sicher berauszu-
beben. JVicAiig aber üi in der OeeeAiekie^ wae
$4eA einer Aitiori$cAen Idee anecAliefet!^
Idee ist ein verfängliches Wort für einen Histori-
ker. Der Verf. braucht es ganz unbefangen und gibt
weiter an, was er unter historischer Idee versteht. Er
sagt, dafs „für den, welcher die Plane der Vorsehung
ahnen lernt, ohne die die Weltgeschichte nicht Ter-
standen werden kann, sich die chaotische Masse in
gewisse Gruppen mit bestiuunten Anfangs- uud End-
punkten ordne, die von historischen Ideen zusammen«
gehalten werden, an denen sich die Vorsehung gleich«,
sam offenbare." (Warum dieses zaghafte „Gleich-
sam T) Er bezieht sich fär diese Behauptung auf W.
T« Humboldt und beschreibt dann weiter jene Ideen
also*: „diese Ideen begleiten unsiclftbar die Begeben-
heiten und äufsercn Erscheinungen, durchdringen und
gestalten innerlich die ganze Geschichte und. welcher
Geschichtschreiber ihrem Wesen und Wirken nach-
spürt, ihr Hervorgehn und erstes Erscheinen, ihr Be-
atreben nach Sieg und Herrschaft und ihr Verschwin*
den und Weichen vor andren neuern« die an ihre.Stelle
treten^ uns darstellt, der übt sein eigentliches Geschäft
91^
£WtWi»v#, Grund%Mg4 der BiUürUb*
V»
mit Meistecliand.'^' S^ebr vahr imd tief gegriffen ist,
was GT fertrer über das Verfafiltnifb dieser Ideen za
den lodiTiduen nnd zu den Zeitomstäaded bemerkt*
Dafs er aber trotz dieser Ideen Historiker sei und
tilieibe, gibt er damit zu irerstefan, dafs er sagt ,,da6
Forsclicn nach ihrem Herkommen ist för uns vergeb-
lich/' ^jl^r Gescbidhtsobreiber hat es immer nur mit
deih zu thun, was Bewegung, Leben, Fortgang zeigte
ihm darf es scheinen, als solle Anfang und Ende den
Menschen verbergen liegen/* Ferner faeifst es: ,,An
solchen Ideen ist dem CSeschichtschrciber die scliönste
fiinhcit für sein Werk gegeben." „Er trägt .diese
nicht in den Stoff hinein, sondern, indem er sich un-
befangen in die Natur seines Gegenstandes yerKert,
ihn mit rein historischem Sinn betrachtet, geht sie aus
diesem selbst hervor und trügt sich in seinen befräch*
tenden Geist «her.*'
DeT Ycrfasser versucht dann eine sehr iiiferefi-»
saute Eintheilnng der Weltgeschichte nach' histori*
sehen Ideen. Er kommt auf den Stoff, den der Go-
schichtscbreiber zu wählen habe, äufsert sich iibe>
die Schwierigkeit der Aufgabe einer Zeitgeschichte,
einer Weltgeschichte, einer Nationnigeschichte, insbe-
sondre ^r Deutschen. Das führt ihn auf die Apologie
der Geschichte iibcrhaupt, von welcher er durchaus die
bpchsten unJ würdigsten Begriffe hat, die er mit Wärme
und Beredsamkeit vorträgt. Er schildert die intellec-
tuelle und moraiisohe Bildung, welche die Geschichte
dem gebe, der sich jnit ihr auf wahrhafte Weise be-^
dcfaäfrige. Von der moralischen Bildung sagt er vor*
trefflich: „Die Geschichte richtet ihren Jünger auf das
GroCste, daher hat er leicht ruhig und besonnen eu
sein; er kann nicht schnell sein zu bewundern, wei)
ihm in jedem Augenblicke das Beste, was die Welt
bat, zu Gebote stebt ; das Ephemere kann den nicht
reizen, der in ilen Jahrhunderten des Yölkerlebens lebt.
Wer aber niebt schnell zum Bewundern ist, der ist
auch nicht schnell zum Verwerfen. Mit dem Werth
und Unwerth des Lebens bekannt, wird er leicfatsinni-
gen Lebensgenufs nicht theiicn, %o wenig wie den
Üeberdrufs am Leben und die Modemisanthrppie. In
niobts wird er ^ich mit rauschendem Eifer stürzen,
denn eein Feuer kann sich nur an dem Sebensten und
Höchsten entzünden, da ihn die Lehrerin Qberall an
grofsartige Rlaafsstabe gewöhnt/* Daraus folgt von
aelbsty dafs umgekehrt, wer in sieb selbst noeb nnfer*
tig ist, wer Leidenschaft metbringt an dieGesdiiebte"-*
dafs der niclitzu ihrer Darstellung berufen 4Bein kann.-
So macht er audi an den Gescbicbtsebreiber die
böcbsteh Forderungen: „er tirofs ein Meister dea Wi»^
Ben% und des Lebens 'sein,^ und die einfacbsten : „das
Urbikl des Menschlichen soll' er reia ia seinem Bomb
tragen, und er kann nur die schlichtere Einfalt iler
Sitte seinen moralischen, den gesunden MenscbeDver-
stand und Mutterwitz allein seinen intellectuellen Stande
punkt neunen." Es thut Notb, dafs man diesen einfa-
ehen Menschenverstand, welcher oiehta anders sagen
will, als die rein menschliche und nnverkümmcrte A»-
sii^bt der Dinge, wieder zu Ebreo bringt, nachdem mu
ihn so lange gesehmuht und verachtet, bis man Um
endlich fast ausgetrieben hat. Man ist lieber auf die
wunderlichste Manier genial nnd original, als auf die
einfachste verständig, und bat damit die Gescbicbte
schmäblicb mifshandelt.
Der Verf. sehliefst acia reichhaltiges BüobMa da»
mit, dafs er die widcrspreebendea Forderungen, weicbe
man mit Hecht an den Historiker mnoht, nebeneiaali^
der stellt nnd so die ganze Schwierigkeit der Ctescbiclit»
schroihnng dem^ der eich an sie wagen tiill, eolsegen»
hält. Möge das zur Abschreokang und Warnung gegen
jegliche Stümperei in der Geschichte dienen I —
Ret ist dem Gang des Verfs. in der Hauplaacba
gefolgt, um die Grund ansiohtea dessdben beronazih
stellen, bemerkt aber, dars in demBüeblein seibat, wo
jedes Wort seine Stelle und jeder Sats seine Bedeik
tung hat, noch eine Menge von irrenden Bemerkna>
gen und' ürtbeilen über Geschichte überhaupt und Hi-
storiker eingestreut sind , welche die lebrrcicbdtCB
Winke für einen angebenden Historiker abgeben kön-
nen. Es ist mit nmsterbafier Präcision und Klarbeit|
und wo es der Gegenstand zuliefe., mit begeisterter
Wärme geschrieben \ und wenn der Vf, verlangt^ dais
in einem historischen Werk anch ^e pbiloaopbiaebe
und poetische Gabe mitwirken solle, so kann man van
diesen Grundzugen selber sagen^ daCs wenn das Didak^
tische im Alig^cmeinen darin vorberraobe, ea loineB phi-
losophischen Anfang nehme, eine biatorisehe Mitte
habe tmd ein poetisches Ende. Doch in der Beband*
lang seiner Materie bleibt der Historiker sieh eeibet
getreu, denn sie ist überall bisUmach.
(Die Fonsetzung fiHgt.)
Jahrbücher
./ für
w i s gl e n s c h a f 1 1 i c h e Kritik.
Dccember 1839.
Qrundzüge der Historik ton G. <?• Oervinus.
(Fortseitzapg.)
• * •
Zwar scheint er Anfangi ganz ptulosophisch von
^ kigisch^a. Kateg^rieo- au8y§;ehen «u wollen, doch, wie
benerkt) wird aus ihnen niohta weiter entwickelt; sie
und selbst nur historisch aufgienommeni wie auch die
dra Tbätigkeiten des menschlichen Geistes. Die Gat-
tungen und Arten der Geschichtschreibung werden ebenso
ab vorhandene aufgeführt, doch der Zusammenhang
der vollendeteren Gestalt mit der anfönglicben nach-
gewiesen. Der Eintheiliingsgrund derselben wird eben-
falls nicht aus der Natur der Geschichtschreibung selbst
abgeleitet, sondern lehnt sich an die Analogie mit der
P^kätik, und in dieser bat Aristoteles schon die Eioi
theilang gegeben. Der l^ortsehritt yon einer Art der
Geschichtschreibung zur andern wird allerdings durch
üt Kritik gemacht, doch ist diese nicht dialektisch,
so daTs die Art jielbst ihre Mängel i|n ihrem Prinzip
aufwiese, sondern der Verf. wird bei derselben durch
^ die Forderungen geleitet^ welche er, aus seiner schon
gewoqiilenen und im Allgemeinen Torher festgestellten
Ansicht von der ächten Geschichtschreibung, an die
untergeordneten Arten bringt Kein Siitz, kerne Be-
haupttog wird au^estellt, die nicht auf einer histori-
sehmi Anschauung beruhte. Der Verf. ist , durchaus
Historiker ^ncfa, da, wo er zu phUosophiren scheint —
Die Bfaterie aber, die er behandelt, ist auch schon
foa Philosophen besprochen worden , und es ist za
sehn, wie er sich zu diesen verhält, um so mehr, als
er selbst keine Rücksicht aiif sie nimmt
Seh0Umg in der zehnlOB^ seiner Vorlesungen über
das akademische Studium untersckeidet dreierlei Stand-
punkte^ fiir die Geschiebte.: zuerst den empirischen,,
welcbeo er angibt als die reine Aufnahme und Aus-
mittluBg des Gescheheneii, welche die Sache des Ge-
schichtsforschers sei, der aber von dem Historiker als
Jakrh. /. wiMmtch. Kritik. J. 1839. II. ßd.
solchen nur eine Seite repräsentire j dann den prag-
matischen, auf welchem der empirische Stoff nach ei-
nei^ Verstandesidentitat oder nach eipem durch das
Subject eptworfenen Zweck, der insofern didaktisch
oder politisch ist, angeordnet werde (Polybius, Taci-
tus); endlich den dritten und absoluten, welcher der
der AütörücAen Kunst sei. Denn ,,die Kunst ist es,
wodurch die Historie, indem sie Wissenschaft des
Wirklichen als solchen ist, zugleich über dasselbe auf
das höhere Gebiet des Idealen erhoben wird, auf dem
die Wissenschaft steht." „Erst dann erhält die Ge-'
schichte ihre Vollendung für die Vernunft, wenn die
empirisdten Ursachen, indem sie den Verstand befrie-
digen, als Werkzeuge und Mittel der Erscheinung ei-
ner höhern Nothwendigkeit gebraucht werden. Iq sol-
cher Darstellung kann die Geschichte die Wirkung des
gröfsten und erstaunenswürdigen Drama nicht verfeh-
len, das nur in einem unendlichen Geist gedichtet sein
kann.** ' - .
Man sieht, in diesem höchsten Standpunkt kommt
Gervinus mit Schelling überein ; nur mit etwas andern
Worten sagt, er es auch so, und hat dabei den Vor-
zug, dafs er nicht bei diesem Allgemeinsten stehn bleibt,
sondern seine Ansicht ausführlicher entwickelt und be-
gründet Indessen ist Schellings Eintheilung nicht nur
sehr allgemein, sondern auch ungenügend, denn der
erste Standpunkt für die Geschichte ist eigenflich gar
keiner für die Geschichtschreibung, denn er geht ihr
nur vorher, und der zweite ist nur oberflächlich cha-
rakterlsirt.
Von diesem Entwurf hätte Gervinus nichts brau-
chen können, als nur die Vergleichung der höchsten
Gattung mit dem Drama, welche für seine Analogie
mit den poötiscben Gattungen einen bedeutenden Wink
abgeben konnte.
HegeN Eintheilung in unmittelbare, reflectirende
und philosophische Gesobichtsbehandlung (im Anfang
116
923
Gervinusy Grufui»Ug0 der Hütorik.
924
seiner Vorle^suogen) ist durchaus nur «u nebonen als ^
eine Zusammenstellung oder Anordnung der yerscbied-
nen Arten der Gescbicbtschreibung unter einen pbilo«
sopbischen Gesicbtspunkt in Bezi^bung auf die Philo-
sophie der Geschichte. Denn sonst wäre gar nicht xu
verstehn, wie Herodot und ,Thucydides auf die etate
Stufe und die Chronisten mit den Membirenschreibern
eben daselbst zusammen kommen. Man wird aber
finden, dafs bior nur das Verbäituifs des Subjects zum
Gegenstand als Gesichtspunkt gebraucht ist, nnd zwar
^ies auch nur insofern, als das Subject entweder eins
ist mit seineni Gegenstande oder aufserhalb desselben
steht ^. So ist denn Memoirenschreiber, wie Chronist
und jeder Zeitgeschichtsohreiber, bis zu einem Tht|cy-
dides, auf derselben und ersten Stufe, obgleich sie auf
sehr verscbietlene Weise eins sind mit ihrem Gegen-
gabe, der Gescbicbtschreibung) wie sie oben im Allge-
meinen angegeben ist, selber nachgekommen sei; und
ob er aucb das gröfsere Verdienst babe^ diese ächlea
Prinzipien nicht nur anerkannt , sondern auch in Aji-
Wendung gebracht zu haben. Ref. Uätte Lust darauf
zu antworten, wenn es hier am Orte wäre, und zwar
bauptsächUch darum, weil er nicht gefunden, dafs Ger-
vinus irgendwo dio .Genugthuung einer Beurtheilung
aus jenen Prinzipien zu Theil geworden*. Doch ich
bleibe hier bei der Historik.
Wenn Ref. nun auch mit dem Ganzen und der
Hauptsache durchweg einverstanden ist, und nament-
lich die Anordnung und Charakteristik der Arten der
GeschicBtschrelbung für vortrelTlich hält, so will er
doch nicht unterlassen, im Einzelnen seine abweichende
Ansicht geltend . zu machen. Und dies wäre zuerst in
stände, denn der Memoirenschreiber ist dabei ebenso' Betreff der Analogie, Welche der Verf. mit den poSti^
subjectiv, als der Chronist objectiv ist Es war hier nur sehen Gattungen auGstellt.
darum zu than, in der Einleitung der Philosophie der Ge-
schichte oder der philosophischen Geschichte eine Stelle
neben den andern Geschichtsbehandlongen anzuweisen,
Gervinus aber hat dieselben nach ihrem Grundobarak-
ter unterschieden und benrtbeilt.
In einem sehr nahen und innigen Venialtnifs steht
aber der Verf. in dieser S^chrift zu fV. v. Humboidfs
AbhandloDg: Ucber die Aufgabe des Geschichtschrei-
bers, auf welcbe er selbst zwei Mal hinweist; und man
kann wohl sagen, dafs er den Kern dessen, was er
über die ächte Gcschichtschreibung . sagt, aus dieser
meisterhaften, ebenso tief gedachten, als klar geschrie-
benen Abhandlung geschöpft hat. Sein Verdienst bleibt
aber noch, die herrlichen Gedanken über die Geschicht-
schreiBung daraus sich zu eigen und aufs Neue vor das
Publikum gebracht zu haben ; und darauf bezieht sich'
wohl, 'was er in der Vorrede sägt, dafs, wenn etwa
auch, wks er über die künstlerische Behandlung der
Geschrchte sage^ nicht neu (erfunden werden möchte,
es doch dem jetzigen Geschlechte nicht sehr gegen-
wärtig sein müsse, weil in der Anwendung wenig davon
siebtbar werde. — Es wäre nun die Frage, in wie weit
Gervinus da, wo er als Historiker auftritt, dieser Auf-
*) Mit dieser Einschränkung ist die allgemeine Bezeichnung,
reflectirende Geschichte für die zweite Stufe, zu nehmen;
denn sunst würde das Memoir hierher gehören, während es
•doch auf die erste Stufe gesetzt ist.
Er äufsert sich nämlich ^. 24. dahin : wie es in
der Poesie (nach Aristoteles) eigentlich nur zwei Gat^
tungen gebe, die epische und dramatische, die eine
mehr volksthümlicb und objectiv,- die andre mehr künst-
l'erisch upd subjectiv ' — so auch in der Gescbiobt«
Schreibung die chronistische und die vom Memoir ausge-
bende^ „Doctt gibt es in derPoösie, heifst es werter,
noch zwei Nebengattungen, ttbefr die man sich erklären
mufs. Dies ist die Ijriscbe und didaktische Poesie.
In der lyrischen Poesie nun mufs Jeder, der* die Ge-
schichte der Dichtung kennt, Rhapsodie und Romanze'
als die historischen Anfange und Wurzeln von Epos
und Drama ausscheiden. Dann bleibt nichts Wesent-
ficbes übrig, als die musikalische Lyrik, die in allett
einfachen, nngekünsteltea, Zeiten . mehr der Musik zu-
getbeilt wird als der Poesie, weil jene die Hauptsache
darin ist."
' Ich will mich hier auf diese gewagte Behacptnng,
die der Verf. selbst erst w^eitläufiger ausfuhren mfifste
gegen die Instanzen, die sich aus der Geschiebte msd
Aestbetik dagegen aufdrängen, nicht weiter einlassen^
um nicht auf das Gebiet deir Aestbetik zu geratben,
will also nicht darüber streiten, ob die Lyrik Haupt-
gattung sei oder Nebengattung, sondern hier nnr be^
merken, dafs der gr&fsere Schaden für den Verf. der
ist,\ dafs er darüber seinen treffenden Parall^smus,
von nun an zum Tbeil verfehlt, zum Theil aufgeb«
925
OervintUf OrutUbiäge der '-Hittnrik.
92&
mafs. Denn freilieb, da 6r die Lyrik zuriiekgestofsen
haf) . BO bleibt ihfai . fdr die ganze Richtnng der Ge-
sobfobtBcbreibnDg, die im Sfemoiro wurzelt, nur das
Drama zur Vergleichuog fibrig. Nun bebt zwar der
Terf. mit Oeschick am Drama gerade diejenigen sab-
jecfiven Seiten hcrans, welche sich noch vergleicfaen
bissen; diese Seiten sind aber gerade, was das Drama
Lyrisches an sich hat, und nicht die wesentlichen des
Drama. Man müfs aber beim Vergleich anf das We-
sen und den Grundcharakter sehn. Was der Verf.
sagt: „Seine (des Memoirenschreibers) Darsteilnngsart,
wie die des Drama, Tergegen>p^ärtigt ; wie auf dem
alten Theater liegt die epische Handlung hinter der
Scene, die Intrigue und die psychologische Katastrophe
erscheint auf der Bühne; wie ehemals der Theater-
dichter, so spieft hier der Geschichtschreiber mit," das
pafst Alles viel besser mit der Lyrik ; denn diese (man
denke an Pindar) vergegenwärtigt des Dichters Empfin-
dung und Reflexionsweise auf eine Weise, di€t uns mit
hineinreifst, sie setzt ebenso eine Handlung oder Vor^
gang yoraus, welche des Dichters Seele in Bewegung
und Schwung rersetzt hat, und der Dichter selbst
macht die Hauptperson im lyriBcfaen- Qedicht. Das
Memoire mufs, scheint mir, also als Mittelgattung zwi-
schen der Chronik und einer solchen Geschichtschrei-
bung,'welche diese beiden in einer höheren Art.verei*
fligt, mit der Lyrik in Parallele gesetzt werden. Der
Gmndzug in beiden ist das Subjective. Wie nämlich
im Memoire der Verf. die Begebenheiten immer auf
iich bezieht, sich in den Yörgrnnd stellt, weniger Pakta'
als die. Beurtheilung. derselben gibt, voll von Leiden-
achaft und Mitgef&hl ist, Parthei nimmt f&r Personen
und Handlungen, auf die Motive und die verborgenen
Quellen der menschlichen Handlungen zurückgeht, den
Neigungen, Absichten und Leidenschaften der Men-
«eben auf den Grund gebt; so spiegelt der Lyriker
die Welt in sieh und seiuem Gemfith, so braucht er
Ges^^hichte und Mythologie nur um seine Empfindun-
gen darin wiederzuspiegeln , seine Gedanken dadurch
zu beweisen, so rubt er weniger in der Anschauung,
als in der Leidenschaft; und nur so viel freier die
Pofisie ist, und so viel gebundener die Geschichtschrei-
boDg an. daß' Faktische, so viel wird in.dieseir mehr
das Faktische überwiegen und dem Memoirenschreiber
nnr die Veranlassung geben, sich als mitspielende,
mitempfindende Person zu zeigen, und so viel mehr
wird der lyrische Dichter frei mit der Wirklichkeit odei^
Gelegenheit, welche ihn zum Gedicht veraialafst hat^
schalten,' upd sie nur brauchen, um seine Empfindun-
gen daran anzuknüpfen.
Nocb iii andrer Weise aber rächt sich die Lyrik
„am Terf. für ihre Zurücksetzung, denn fär die äcbte
Gescfaichtschreibnng bleibt ihm nun kein Analogen un-
ter den poStfscben Gattungen, weil er das Drama schon
am upgebdrigen Ort verbraucht hat., Das Drama ver-
einigt aber das Epische und Lyrische zur höheren Gat-
tung, gerade wie die ächte Geschichtschreibung über
der blofsen Chronik und dem blofsen Memoire steht.
Das Drama stellt eine Handlung vor, welche selbst
wieder auf einem Comp.lex von Handlungen und Vor-
gängigen Begebenheiten ruht, wie der Gescbichtschrel-
her deu Theil, welchen er behandelt, als Theil im Gan«
zen aufzufassen hat. Die Handlung des Drama mufs
eine bedeutende, auf dem Wesen der' Menschheit be-.
mfaende, eine Handlung von allgemeinem Interesse sein;
wie ^der Stoff der Geschichtschreibung ein Inhalt, an
welchem sich das Wesen der Menschheit selbst in An-
schauung bringt. Das Drama stellt eine Coltiöion von
Mikohten oder Pflichten dar; wie die Geschichte den
Kampf der Ideen , ihr Auftreten, Mächtig werden, und
Schwinden vor neuen und daruur mächtigeren. Wie
im Drama die Individuen ihre Berechtigung nur durcb
die Ideen, welche sie durchdringen, erhalten, und mit
ihnen siegen oder ftnieu ; so stehn in der Geschichte
die Repräsentanten der Zeitideen oben an, diejenigen,
von denen W. v. Humboldt sagt, dafs in ihnen die hi-
storische Ideeso strahlend hervorleuchte, dafs sie dib
Form des Individuums nur angenommen zu haben
seheine, um in ihr sich selbst zu offenbaren. 'Von die-
sem substanziellen Inhalt des Drama hat der Pragma-
tismus uichts« Es ist wahr, dafs im Drama die auf-
tretenden Personen ihre Empfindungen und Gedanken
aussprecbeu, und daran hat sich der Verf. wohl' haupt-
sächlich gebalten bei seioer Vergleichung mit dem
Pragmatism, aber erstens ist dies gerade die lyrische
Seite am Drama, und dann ist eben das Falsche beim
Pragmatiker, dafs er seinen Persoqen oft nur seine
eignen Empfindungen und Beflexionen unterschiebt,
während beim guten Dramatiker, wie beim guten Histo-
riker die Individuen nur aus der ihnen zugetheilten
Rolle denken, sprechen oder bandeln, und diese Rollen
belbst nur ihren Werth erhalten in den allgemein
«27
Qrundnüge «br Hütarih%
928
inen^oblielieD IdiBf»D^ v0lohe die Indi?idaeii in vertre-
ten haben \ da hingegen der Pragmatiker Iceine höhere
Macht anerkennt^ welche die Individuen .durchdringe
und beseele •). —
Eb ist oben der Ort angegeben worden, wo der
Verf. auf eine Philosophie der Geschichte als Neben«
gattüng der GeschichtschreibuDg zu sprechen kommt.
Seine Kritik derselben ist folgende: die Philoso«
phi?^ sagt er^ könne die Geschieht sclyreibuag su ihrem
Gegenstande u^hmen und eine Historik entwerfen, fer-
ner könne sie den. Staat, die Dichtung und Alles, was
die Geschichte in seinen Veränderungen zeigt, in sei-
nem ruhenden Zustande betrachten; und veiter setzt
er hinzu: „sobald sie aber hiervon abweicht, würde
^e die Form der Ge$ehichte barßeuy und müfste zur
Geschichte des Staats u. s. f. werden. Es wäre aber
irrig zu sagen, dafs dies dann nicht Werk des Histo«
rikers wäre/' Man sieht^ dafs Geryinus eine philoso«
phische Behandlung der Geschichte so wenig zurück«
weist, dafs er sie vielmehr dem Historiker selbst zu
eigen machen will. Man hat alsc hier nicht erst, wie
bei vielen Historikern, sich's fcur Gunst auszubitten,
^berhaupt philqsophiren zu dürfen in der Geschichte,
vielmehr wird ausdrücklich vom ächten Historiker er-
wartet, dafs er Ideen nachgehe* Wenn aber der Verf.
der Weltgeschichte entfaltet» lebt in der Entwicklung :
aurserhalb des Werdens ist er nicht zu begreifen, denn
er üt nicht aufser demselben* Die Philosophie nmfs
sich daher auf die- Geschichte einlassen, sie geb6rt
mit in das Bereich ihrer Qbjccte, denn in ihr entwick*elf;
sich der Geist reell. — Was meint aber Gervinus mit
der. Form, die die Philosophie von der Geschichte
borge! Die Form ^der Gescbichtschreibung Jst die Er^
Zählung der Thaten und Begebenheiten, denen sie in
der Zeitfolge, wie sie sich ereigneten, nachgeht. Er-
zählen darf nun die Philosophie der Geschichte freilicli
nicht, wenn sie sich als etwas Eigenes behaupten ^dll|
aber nachgehn mufs. sie doch den Ereig^issen| denn
die Entwicklung des Geistes geschieht in der Zeit«
Aber sie wird sich von der Geschicbtsohreibnng so
unterscheiden, dafs sie die Ereignisse, nnr andeutet,
indem sie die Bekanntschaft mit denselben voranssetat.
^^Denn was sie zu berichten hat, sagt Hegel, sind
die Thaten des Geistes der Völker. Die individuellea
Gestaltungen, welche derselbe auf dem äufserlicben
Boden der Wirklichkeit angezogen, könnten der eigent'-
U^Aen Gescbichtschreibung überlassen ' werden.** Se
trennt sich denn von dieser die Philosophie der Ge>
schichte als eigene Disciplin ab, zu welcher die Phi-
lesophie durch die Erkenntnifs des Geistes gel&hrt
behauptet, die Philosophie habe die Objecto nnr in ' wird, Sie ist und bleibt eine philosophische und darf
Ihrem ruhenden Zustande zu betrachten, so stiebt er
ihr zu enge Grenzen. Denn wie? wenn es Objecto
"gibt^ die ihrer Natur und Wesen nach nur in Bewe-
gung, Veränderung und Entwickluiig sind, entzielien
sie sich darum der philosophischen Betrachtung? Hat
nicht der Philosoph die Gesetze solcher Veränderung^
zu ergründen? Der Meoschengeist aber,^ der sich in
*) Aristoteles in der Poetik bestimmt den Begriff der TrsgU-
die also: oyxovy, Snms rti 9^ ^t/^iaatyrat, n^Arroychy, aXXa
Ta jjS-fj cvftTKQikccfißdyovfft cTmy rctS nga^tts ' t5<ni rd ngayfiara
xid 6 iiAV&oQ riXos j^s TQaytfidiag, Dann : oQj^ij fiiy- ovy nul
otoy t/fvxi 6 fjivS'OS T^ rgayt^dlai, dtvngcy ri rd $^. Das
ist %ber gerade umgekehrt beim Pragmatiker, • bei ihm sind
die 9^ das Erste uod die ngt^tf oder der /aB^vs das Zweite.
Von den Subjecten uod ihres Leidesschnften gehen die hi-
storisohsn Bewegungen bei ihm aus.
ihre Stelle nicht in der Geschichtsohreibung suchea
vollen; denn wenn diese die Richtung nähme» das
Material und den Stoff so fallen su lassen, und nur
auf den Gedanken und Prinzipien lossttstenem» ao
würde sie eine Ausartung werden nnd yon achter
Kunst der Gescbichtschreibung so wenig übrig behal-
ten, als die didaktische Poesie von der ächten. —
Doch es scheint nöthig, das Verhältnifs des Phi-
losophen gegen den Historiker noch genauer n fixi-
ren, nm jenen vor einer unpassenden Yermisobmig
der Philosophie und Geschichte, diesen yor einer fal-
schen Kritik gegen die ^philosophische GescUcfate sa
bewahren, und so will ich denn noch Einiges über den
Standpunkt und Zweck beider bei Behandlung der Ge-
schichte sagen, und zeigen, in wiefern sie eins und
worin sie terschiedeii sind.
(Der Beschlufs folgt)
JW 117.
Jahrbücher
für
wis 8eii8chaftli€h e
.
Kritik.
December.1839*
Orundzuge der Hütorik ran O. O. OerrinuB.
(Schlaft.)
Die Pliiloflophie der Gescbiehte hat tod den
•toriken den Vorwarf einer Constraotion a priori und
der Sjrteinniaclierei su erfahren. Dieser Vorwurf, mag
ihn der Philoaoph anch den Historikern wieder zurfick
gpeben (s. Hegels Einleitung zur Philosophie der Gesch.),
'wird darum nicht gehoben. In der That, nehmen wir
die eben aogeffthrte Einleitung ror, so finden wir, dafs
dei^ Philosoph de^ Geschichte mit allgemeinen Katego»
lien entgegentritt, er firagt nach ihrem Endzweck, nach
den Mitteln, wodurch, und nach dem Material, worin
aioh derselbe verwirkliche, und stellt dann gradehin
das Postulat, dafs die Vernunft die Welt regiere i
„Wenn man nicht den Gedanken^ die Erkenntnifs der
Vernunft, sagt Hegel, schon mit zur Weltgeschichte
bringt, mnfs .man wenigstens den festen, uottberwindli*
eben Glauben mitbringen, dafs Vernunft in derselben
ist, nnd wenigstens den, dafs die Welt der Intelligenz
und des selhatbtwufsten Wollene nicht dem ZMßÜligen
aalieinigegehen sei» sondern in dem Lichte der sich
wlasenden Idee sieh zeigen mfisse.** Wer wirä sich
aber dieses Glaubens weigern t Der denkende Historie
ker doch nicht? Er muft ihn vielmehr haben; denn^
ohne ihn würde iiua die Weltgeschichte immer nur
eine verworrene und anfällige «Masse sein nnd bleiben,
ohne ihn wurde er nicht auf Ideen kommen , welche
die Weltgeschichte im Innern susanrnienhatteü und die
■
bewegende Ursache derselben sbd. So sagt denn auch
Gerfians, dafs an ihnen die Vorsehung sich gleichsam
offenbare, und W« v. Humboldt: „die Weltgeschichte
ist nicht ohne eine Weltregierung verständlich.'*
Dea Glauben an die Vernunft im Allgemeinen theilt
also der denkende Historiker mit dem Philosophen.
Dieser aber hat dann noch einen bestimmteren Glau«
beuy und dieser freilich ist der an sein System. Sehen
. Jdkr6. / wttieiticA. Kritik, J. 1839. IL Bd.
wir aber, was näher in diesem Glauben enthalten ist,
so werden wir finden, dafs der Historiker auch diesen,
80 weit er sich auf die C^sohichte bezieht, in den
Hauptpunkten theilt. Hegel behauptet (p. 64) i um die
Prinzipien der Völker und den GaiTg der JBntwicklong
derselben zu erkennen, werde nicht nur eine genbfe
Abstractioii) sondern auch schon eine vertraute B^
kanntschaft mit den Ideen erfordert $ * geradeso, wie
Keppler, um die Gesetze des Planetenlanfs zu finden,
mit den mathematischen Verhältnissen der Ellipsen u«
s. f. schon a priori bekannt sein mnfste. Was ftlr
Ideen sind aber diese, welche der Philosoph mitbringt!
Es sind die Formen des BewuTtseins, welche er in der
Entwicklung des Geistes -nach seinem Wesen findet.
Der Philosoph nämlich räsonnirt also : die Geschichte
ist die des Menschen, und also des Geistes, denn die
Natur hat wohl Ordnungen und Gesetze und eineEnt*
Wicklung innerhalb derselben, aber keine Entwicklung
dieser Gesetze selbst -i-* also keine Geschichte. Der
Geist aber ist seinem Vliesen nach Entwicklung zu
seiner Bestimmung, welche die Freiheit ist. Diese Ent«
Wicklung geschieht in einem Stufengang, welohcn der
Philosoph in den verschiBdenen Formen des Bewurst>-
seins, die der Geist annimmt, oder vielmehr, zu denen
er sich bestimmt, erkannt hat. Da die Geschichte nun
die reals Entwicklung des Geistes ist, so müsseu'diese
Formen des Bewufstseias, wenn anders der Philosoph
das Wesen des Geistes wahrhaft gefafst hat, inner*
halb derselben in dem Bewufstsein nnd geistigen Prin*
zip der Völker wiederkehren und nach einander aufr
treten. Der Philosoph will seine Erkenntnifs vom We«
sen des Geistes dadurch nicht sowohl beweisen als
bestätigen, er will das Ideale un Realen aufzeigen.
Der Historiker dagegen, nämlich der denkende,
will die Geschichte zu Ideen hinauiführen ) er hat sie
. aber nicht schon im Voraus, sondern er witt sie linden.
Er stellt sich die Aufgabe^ das ganze Material der
117
,
931
Oertdnus^ GrundxUge der Hütorik.
932
Nationalgesohichten und der Weltgeschichte zu ,durob-
forschen und, auf der vollständigen Kjennfnifs dersel-»
ben begründet, zu denjenigen Ideen zu gelangen, wet-.
che die ganze Existenz und Thätigkeit einer Nation
durchdringen und beherrschen., Dafs ein Historiker dies
vill, ist in der That etwas Ausgezeichnetes und von
Seiten der Philosophen hatte dies längst anerkannt
Verden sollen. Wenn nun aber der Historiker sich
dem Philosophen gegenüberstellt und ihm sein System
zum Vorwurf macht, so ahnet er wohl nicht, wie nahe
er demselben steht. Denn wenn der dcjukende Histo-
riker sich fragen wollte, wodurch er sich von den blo-
fsen Sammlern, von den kritischen Gompilatoren u. s. f.
onterscbeidet, so ist es doch nur dadurch, dafs er der
Denkende ist. Das Denken ist aber nicht blofs etwas
Foirmelles, oder nur wie die Handhabe am Topfe, son-
Uern enthält bestimmte Gedanken, und nur durch diese
auch kann der sich „denkend" nennende Historiker
vor solchen, denen er die Ehre dieses Prädikats nicht
einräumt, auszeichnen. Also t^ird er in der That be-
stimmte Gedanken haben, uud vorher, d. h. Gedanken,
die ihm durch seine Bildung geworden sind. Daher
der Verf. auch an den Histm*iker den Anspruch macht,
dafs er eine Weltansicht gewonnen haben solle und
eine rein menschliche Bildung besitzen müsse. Der
Historiker soll sein Auge auf das rein Menschliche gei-
.richtet haben. Was ist aber dieses rein Menschliche,
trenn es nicht das eigne Wesen des Menschen ist oder
das Wesen seines Geistes d. i. die Freiheit? Wenn
also auch der Historiker die fortschreitende Ejntwick«
lun^ der Menschbeit nicht von vorn herein zugeben
würde, so kommt er doch mit dem Philosophen im
Standpunkt der Beurtheilung, welcher zugleich das Ziel
ist, überetn, und in dieser Beziehung würde ich den
Unterschied zwischen beiden nur so feststellen, dafs
der Philosoph seine Gedanken bestimmter im Inhalt
und abstracter in der Form gefafst und ein ausdrück«
Hohes Bewttfstsein darüber hat — denn sein Wissen
geht auf den Gedanken aus --, dafs der Historiker
aber nicht so sehr seine Gedanken selbst zum Gegen*
stand der Betrachtung macht, als er sie vielmehr im
Hintergrunde behält und im Reichthum der Geschiebte,
welche er darstellt, für das Auge des Kenners durch-
scheinen läfst.
Denn tbeilen auch beidct den Standpunkt der Be-
urtheilung und das Ziel im Allgemeinen, so sind sie
doch iu d^r Art des Urtheils, wie in der Darstellung
und dem Zweck derselben, verschieden. In der Art
der Beurtheilung: denn der Philosoph beurtheilt die
Thaten und Zustände der Nationen nach der allgemei-
nen Idee der Freiheit, der Historiker nach der Yorttel-
luog und Anschauung des rein Menschlichen, wofür er
einerseits einen gewissen Takt von Natur besitzen und
im Leben ausgebildet haben murs, andrerseits sich auf
gewisse historische Zustände, als normale, wie etwa
die griechischen, begründet. Der Philosoph nimmt also
die Idee, welche den Maafsstabdes Urtheils abgibt, aus
dem Gedanken, der Historiker hat sie selbst als eine
historische, und vergleicht nur die historischen Gestal-
tongen miteinander. Kurz der Philosoph nimmt seinen
Standpunkt aufserhalb der Geschichte, der Historiker
nimmt ihn in ihr selbst; jener führt die Geschlobte auf
die Philosophie zurück, dieser will nur sie und sie um
ihrer selbst willen.
Nach diesdm verschiedenen Geschäft ergibt sieh
auch in der Darstellung der Unterschied : der Philo-
soph stellt die Prinzipien der Nationen in. Form von
Gedanken auf, denn er hat das Wesen des Geistes in
der Geschichte nachzuweisen; er subtilisirt die coo-
oreten Gegenstände, Anschauungen und Zustände bis
zu den Kategorien; und nicht genug, er demonstrirt
auch ihre Entwicklung, den Uebergang von der ^inen
ia der andern; und dies bringt die Fonm der Noth-
wendigkoit bei ihm hervor. Der Historiker spricht
seine Ideen in concreter Weise* aus, und das Allge-
meine, was er als Resultat aufstellt, ist selbst ein histo«»
risches. Der Philosoph nimmt sich den Gedankoi.iiaokt
heraus, wie eine Essenz, der Geschichtschreiber gibt
ihn im Kleide der Wirklichkeit. Dean dieser geht
den politischen Gestaltungen , den Beg;ebenheiten nod
Individuen, den geistigen und Kunst- Richtungen nach
bis' auf ihre Anfange, so weit sie sichtbar und erkenn«»
bar werden, sucht ihr Fortschreiten zu verstehn and
zu erklären; was aber diesen sichtbaren Anfängen vor*
ausgeht oder ihnen zum Grunde liegt, das zu erkeniiea
überläfst er dem Philosophen. Kurz er will dea^ Cha-
rakter der Nation erfassen, ihn nach allen thatsäcfali*-
eben Richtungen verfolgen und^arstellen und will diese
Richtungen wieder in den Einen Grundcharakter iku«
sammennehmen.
Dies ist in der That die höchste Aufgabe, welche
er leisten kann, wenä er dazu den Geist, den hisIcHrt**
SM
«•heo t»k% 'Ond die r«a nwaMbiiehe Bildaag lwt.< E»
ist fticht nahfi was Maacbe, die sich dadurch ak sehr
atarke 'Pbttoaopben beweiaan wollen, behaopten, daf«
dar Historiker aiob iDsoferii odi die PhiloBopbie bekiiirt-
Imero müsse, als er die GedankeD aus ihr zu eDtaeh-
men habe. Es wäre jäunmerlieb um iho bestellt, wenn
er niebt durah eignen - Geist und Forschung au den
K^ahrhaft historischen Gedanken küme, und um seine
Geschiobtschretbung, wenn sie dergleichen nicht ent-
hielte* Wohl aber bat der Philosoph den Historiker
nothig, mid je wahrhafter der Letztere seine Aufgabe
begriffen und acht historische Werke* bervorgebraoht
bat, desto leichter wird ^a dem Philosophen werden,
die Gedanken aufzufinden, denn er braucht nur die
historischen Ideen in die abstraoten Founen der Kate-
jgorlen zu übersetzen» Damm sagt Geryinus richtig,
dafs für die philosophische Coustruction von Geschichte
und Natur das Beste erst von der Geschicbtsohreibuog
und Naturwissenschaft geschehen müsse. Wenn er
aber nach Herder*» und Kanfis Leistungen im Gebiete
der Philosophie der Geschichte wenig Hoffnung gefafst
hat %u dem , was die philosophischen Ansichten der
Geschichte vorläufig einbringen möchten, so ist zu er-
warten, dafs diese seine Hoffnung, seit der Heraus-
gabe von Hegel's Vorlesungen, wieder einen neuen
Schwung bekommen habe.
Der Philosoph setzt den Grund und Beweis sei-
nee Glaubens an die fortschreitende Entwicklung der
Mensichheit zur Freiheit in die philosophische Erkennt-
nifs Ton der Natur des Geistes und die i&ufsere Be-
trlkfarung desselben in die Geschichte* Auf jene kann
und will der Historiker sich nicht einlassen, diese aber
iat sein eigeutlicbes Gebiet. Hier also kommt es dar-
auf an, in wiefern sie übereinstimmen und sie müssen
übereinstimmen, wenn einerseits wirklich der Philosoph,
wie er erklärt, die Geschickte treu aufi'afst und durch
das System nicht verkehrt — den Glanben daran wird
ibin der Historiker gern lassen^ und der Historiker
andrerseits unbefangen, doch mit Geist -« wenn er ihn
bat, wird ihn der Philosoph- ihm auch zugestehu — die
Ideen der Geschichte aufzufinden sucht. Nun aber
ontemimmt es Gerrinus wirklich (§• 29.) mit ein paar
Zügen wenigstens die Weltgeschichte nach historischen
Ideen zu skizaircn; und wer mit Hegel's Philosophie
der Gcschicbte vertcaat ist und nicht am pbilosophi»
sehen Ausdruck klebt, der wird schon an dieser Skizze
Gervifmsy Grundtüge der Hüt^rik.
OäA
eine merkwürdige Uebereinstimmung zwischen beiden
in den Uauptzügen erkennen. Gervinus verwirft vou
vom herein alle äufserlicben Abschnitte und von aulseli
angebrachten Gesichtspunkte bei der Bintheilung der
Weltgeschichte : „wenn wir z. B., sagt'er, (fie Scheide
der alten und neuen Welt bei Christus Geburt oder
bei dem Untergang Roms tnach^n, so ist dies vielleicht
fromm oder bequem, aber nicht streng richtig in
sich.** Dann glebt er den Unterschied der alten und
neuen Welt im Prinzip so an: „was die reiq griechi-
sche und rein römische Zeit ^ so lange sie nicht voa
Fremdem infizirt ist, von der neuen Zeit unterscheidet,
ist die Aufklarung der innem Welt des Gemüths und
Geistes und die Aufdeckung der üuiüsern Welträume ^^
er findet, dafs „dies Aufgeben der Ideen der alten
Welt zum ersten Mal sichtbarer wurde im Sokratcs,
der die Philesophie auf den Innern Menschen bezog,
in Alexander, der die Welt öffnete und die Ranghe«
griffe zwischen Mensch und Mensch zu brechen anfing,
in Aristoteles, der alle Wissenschaft begründete/*
Von da au bis zur Refonnationszeit will er nur Eine
Uebergangsperiode sehen und diese als Mittelalter be-
zeichnen. Ist hier nicht in Kurzem dasselbe Resultat
ausgesprochen, was Hegel in seiner Philosophie der
Geschichte ausführt? Auch er erkennt das Prinzip der
modernen Welt, «als das der sich wissenden Freiheit,
denn die alte Welt wufste nur, dafs Einige frei seien,
die neue, christlich -germanische, dafs Alle d. h. der
Mensch frei sei ; auch er sieht im Sokratea das begin*
nende Prinzip der Subjectivität, welche nur das weifs^
wovon sie sich .überzeugt, welche, was uns als Glau-
ben und als Sitte überkommen ist, auch zum Wissen
bringen will, auch er findet darin, wie den Anfang des
Neuen, so den Untergang des Alten \ auch er setzt
die Reformatiou als den Hauptabschnitt der neuen
Welt, wo die sich wissende Freiheit sich erst als sol-
che im Geiste constituirt und beginnt, sich nach allen
Richtungen hin im Leben auszuführen und zu gestalten»
Ich finde demnach, was Gervinus hier historisch
skizzirt, in Hegel's Vorlesungen philosophisch ausge-
führt. Es käme nun drauf an, ob es bei dem heuti-
gen Stande der historischen Wissenschaft möglich
wäre, zu einer historischen Durchführung der Weltge*
schichte in der Art, wie der Verf. den Weg dazu
weist, zu gelangen 1 Oder viehnehr, wenn es möglich
wäre, oder auch damit es möglich wäre^ käme es auf
033
Starke mllgitmieins PaiAohgie. Zwei Bände.
'den Mann an, der, wie Gervfaiua tqbi Ctoaohiobtschret
ber iagt, mit rasehem Flqg der Weltordnung nacli-
forachond, in den Jabrtanaenden der Welt vebte und aich
angleicb mit dem ganzen Ballast schleppte, den Dich»
ter nnd Philosophen erleichternd abwerfen, nnd der mit
den geniabten Combinationen sugleich 'den bedächtig*
Step Pleifs verbände.
Ob ich übrigens dem Verf. einen Dienftt mit der
Nachweisung d^s Philosophischen in seiner Arbeit nnd
in sriner Teudenz erwiesen, das weifs ich nicht. Es
war mir aber darum zu tbun, überhaupt zu zeigen, was
eine ächte Geschiobtschreibung Philosophisches ent-
halte, und wie sie darum doch keine Philosophie der
Geschichte zu sein habe ) und andrerseits den Verf. zu
fübmen, dafs er, selbst einer der ächten Historiker,
auch gezeigt habe, dafs er Philosophie genug besitzt,
om an wissen, was das heifsen will, und Talent ge«
nugy um es vortrefRich auseinanderzusetzen. •—
Carl Hegel.
LVIII.
Aligemeine Pathohgte oder allgemeine Natur*
lehre der Krankheit von Dr. Karl Wilh.
[Stark, Grofsherz. ,S. W. Oeheimenhofrathcy
Ritter der Orojsh. 8. Falkenordens , wirkt. Leib-
arzte, o. 6. Prof. u. s. tr. u. $. w. 2 Bde. Leip^
zig, 1838. bei Breitkopf u. Hiirtel. 1406 S. 8.
Der Baum der medizinischen VFissenscbaft wächst
wie der Organismus des Thier- und Pflanzenreichs in
periodischen Absätzen, die durch Ruhepunkte geschie-
den sind. Damit aber kein Stillstand des Ganzen ein*
trete, wechseln, hier wie dort, die einzelnen organi^
sehen Glieder in ihren Perioden tou Ruhe and Bewe-
gung unter einander ab, nnd man siebt bald in dieser
bald in jener Richtung zu verschiedenen Zeitperioden
die Zweige üppiger hervorsprossen, so dafs jeder Zeit-
aucb eine Wachsthnms-periode eines Zweiges an dem
Organismus der Wissenschaft entspricht. Es sind nicht
zugleich alle Glieder des grofsen zusammengesetzten
Ganzen die gleiehzeitig zu derselben Hdhe der £ot-
^ickelttog iMiraufwachsen« Den Grund hiervon müssen
wir darin suchen, dafs der historische Geist als der
Boden in dem die Keime des Wissens sich entwickeln
nnd zur Frucht reifen, ebenftills der Ruheperioden W
darf, um sieh zu ernenertar Tnätigkeit z« eiliolen, und
^afs er dann bald nach dieser bald nach jener Seite
eine gr8fsere Empfänglichkeit nur Befraeirtung dnreb
die verschiedenen Glieder des Wissens zeigt Es ist
daher der Charakter des Zeit- Geistes^ dafs er nickt
alles, was ihm .dargeboten wird^ concipirt; nnd dafs er
nach . der Coneeptioa ausschliefslich nur den einen Keim
brütet, den er aufgenommen und mit diesem seine
Scbwanjgersobaftsperiode durchlebt, selbst in dem Fall»
dafs dieser Keim von Ursprung an so b^schafFen war^
dafs er sich nicht zu vollendeter Gestaltung entwicke»
len konnte« Wie der befruchtete Organismus nur mit
der Entwickelung seiner Keime beschäftigt ist und alle
seine Kräfte dieser Lebensrichtung aufopfert, so däfs ea
unmöglich wäre, ihm gleichzeitig eine andere Richtung
tu geben, so sieht man, dafs trotz aller Freiheit, trete
aller Erhebung über die Natamothwendigkeit der Gieiat
der Zeiten dennoch- bis auf einen gewissen Punkt an
dieses Generationsgesetz gebunden bleibt und dafs er
sich ausschliefslich oder doch überwiegend nur für eine
gewisse Richtung der Wissenschaft empfaDglich und
so von dieser begeistert, wie der Organismus fär eine
Lebensrichtung befruchtet zeigt.
Es kann hiernach iticht befremden, wie die ent»
scbiedene Hinneigung des Zeitgeistes nach ctiaer be-
stimmten wissenschaftlichen Richtung nothweudig eine
einseitige sein mufs^ eben weil jeder Zweig der VFia-
senschaft seine Entwickelungsperiode hat, welche nur
ih^ Produktionen zur Reife bringt« Die Einseitigkeit
in diesem Sinne ist also nothwendige Folge eines i|U»
gemeinen Eutwickeluogsgesetzes, und es ist nur mög*
lieh, innerhalb dieser Einseitigkeit eine fruchtbare
Thätigkeit grorsartig zu entwickeln. Man mufs f&r
diese Einseitigkeit begeistert sein und bleiben, und io
ihr die Entwickelungsperiode durchmachen. Furchtet
man sich' hier vor dem Tadel der Ebseitigkeit, bo
kann das Streben nach Vielseitigkeit aus der Tiefe der
Begeisterung zu unfruchtbarer Oberfläcblidikeit führen»
indem der geistige Bildungstrieb von dem einen Punkt»
dessen Ausbildung seine ganze Kraft in Ansprach
nimmt, nach so- vielen Seiten abfliefst, dafs seine Strö*
me sänuntlicb versiegen. Dagegen werden sich die
begeisterten Einseitigkeiten aller Jahrhunderte ergiui-
zen, und am Ende zu einem in allen GUedern darch«
gebildeten Organismus veremigen.
(Die Fortsetzsng folgt)
wissen
J a h r b tt c h
für
schaftlic
Dcccmber 1839.
e r
he Kritik
AUgem0me PtOhologie oder allgemeine Natur-
lehre der Krankheit von Dr. Carl Wilh. Stark.
(Fortsetzang.)
In das BewafstBeio dieser Verhältnisse bistori-
scher Entwickelaog der Wissenschaft müssen wir den
gediegenen Inhalt des obigen Werkes aufnehmen, weil
eine bestimmte Richtung der Wissenschaft unserer
Zeit darin durchgeführt wird, welche das allgemeine
Interesse in hohem Grade in Anspruch nimmt; so dafs
fast ihr allein die Aufmerksamkeit zugewendet wird:
Der Verf.- desselben ist längst rühmlich bekannt durcl^
seine Bemühungen, die Krankheit als eine naturhisto-
rische Erscheinung aufzufassen, und hat schon in sei-
nen im Jahr 1824 erschienenen pathologischen Frag-
menten, nebst Jahn, vorzüglich dazu beigetragen, die
naturhistorische Richtung der Pathologie, wie sie zu-
erst durch Sydenham begründet worden, auszubilden.
In Torli^endem Werk erscheint nun der ganze Kör-
per der pathologischen Wissenschaft in diesvm Geiste
durchgearbeitet Um uns eine richtige Vorstellung
yon der Bedeutung und dem Ziel der neueren natur-
bistorischen Pathologie z|i verschaffen, müssen wir die-
selbe im Gegensatz' der übrigen Richtungen dieser
Wissenschaft . betrachten. Wir haben di^ Pathologie
der Alten mit dem. Namen der „kosmischen" am ge-
nauesten zu bezeichnen geglaubt, weil die Krankheit
hier als ebe kosmische, in den Körper gedrungene
Elementarqpalität geschildert wird, wobei die vier kos-
mischen Elemente als Krankheitsursachen mit der
Krankheit selbst identifizirt werden, und die ganze
Pathologie sich eigentlich auf ' Aetiologie oder Ge-
schichte der äufseren Ursachen reduzirt. Im Gegen-
satz dieser tritt mit der Erkenntnifs des Untdrschiedes
zwischen Chemismus und Lebensprocefs in der mo-
dernen Medizin der allgemeine Begriff der Krankheit
als einer organischen Lebenstbätigkeit auf. Dieser
Jahrb. f. wüienick. Kritik, J. 1830. II. BcL
Begriff bildete sich aus den Anschauungen der begeistern-
den^ magischen Wirkungen der Zaubertränke bei den
Arabern, weil solche Wirkungen mit der Qualitätenlehre
der Alten nicht wohl in Einklang zu bringen waren.
Von hier war es nur ein Schritt, auch den Krankbeits-
procefs als eine organische Entwickelung und Zeu-
' gung darzustellen, wie es vonParacehus geschah, und
wenn in dieser Darstellung der Procefs personifizirt
und unter dein Bilde von Dämonen, Archäus, Beses-
sensein zu begreifen versucht wurde, so war diese
Richtung nur aus der geistigen Auffassung des Lebens
überhaupt hervorgegangen. Wir wollen dieses im gu-*
ten Sinne die mystische Pathologie nennen, welche
der allgemeine Keim einer weiteren organischen An-
sicht der Krankheit überhaupt wurde. Die Kenntnifs
der äufseren Ursachen ward in dieser Pathologie ver-
nachlässigt, weil alle Krankheitszeugung sich von In-
nen heraus entwickelen sollte. Dies ist die Patholo«
gie in dem allgemeinen Elemente der Physiologie. '
'Von ihr aus ging der Weg zur neueren Humoralpch
thologiey in welcher anfangs der Krankheitsprocefs
alchimistisch unter dem Bilde des Gährungs* oder Zer<
sctzungsprocesses aufgefafst wurde, auch im Sinne
des organischen Reifungsprocesses, wobei der Quell
des Lebens (wie ja noch häufig jetzt) im Chemismus
selbst gesucht wurde. Von diesem Gebiet der Alchy- ,
mie aus entstand dann erst die rein chemische Humo-
rallehre, welche für die Wissenschaft doch den Nutzen
gehabt hat, die chemischen- Veränderungen beim Uo-
bergahge des Lebens zum Tode nisht zu vergessen.
. Hierbei war freilich nicht zu verkennen, dafs der reine
Chemismus im Körper der Tod selbst sei, und dafs
die Krankheit doch immer noch vom Tode unterschie-
den werden müsse, und dieses Bewufstseln führte wei-
ter zur SolidarpatHologie^ in welcher man wieder dar-
in zu der mystischen Ansicht zurückkehrte, dafs die
Krankheit ein organisches Lebensphänomen sei, nur
118
909
Stark y aUgmn0ii90 Paikohgie. Zn^ei Binde,
940
mit der fam einzelnen fortschreitenden Brkenntntf«,
dafs das Leben auch durch die Aufsenwelt erregt
werde. In dieser Beauehnug ist nur ein unwesentlicher
Unterschied swischen der dynamischen Solidarpath#lo-
gie und der sogeDannten Erregongatlieorie, da beide
die Lebenserregun^ Ton dem Muskel- und Nerfeasy-
stem ausgehen lassen, nnd nur bald mehr auf die Iku«
fseren Reize, bald mehr auf die inneren Erregungs-
zustande hinsehen, um die Krank|ieiten zu erklären.
Alle diese verschiedenen Richtungen der Pathologie
haben die Krankheit vorzugsweise als einen inneren
physiologischen Procefs zum Gegenstande und legen
wenig Gewicht auf die Einheit der äufseren Erschei-
nungen.
Hier nun tritt die Eigenthiimlichkeit der naturhi-
storischen Pathologie hervor, welche zwar auch im
Geiäte der modernen Medizin überhaupt die Krankheit
al^ organischen Lebensprocefs auffafst,, aber nicht so-
wohl im Gebiete der Physiologie als vielmehr im Ge-
biete der Naturgeschichte, indem nämlich' die Krank-
heit vorzugsweise als organische Form und Gestaltung
in der Einheit ihrer äufseren Erscheinung aufgefafst,
und wie die Species der organischen Formen des Pflan-
zen- und Thierreicbs beschrieben werden soll. Zu die-
sem bestimmten Charakter der naturhistorischen Pa-
thologie hat Sydenham das grofse Vorbild gegeben.
Obgleich nun die naturhistorische Pathologie durchaus
auf dem Gebiete des modernen Begriffs vom Organis-
mus sich bewegt, und also die mystisch-organische Pa-
thologie des Paracelsus zu ihrer notbwendigen Voraus-
"setzunghat, so ist sie mit dieser doch nicht zu identifizi-
ren, vielmehr ist die mystische Pathologie die Urge-
stalt, aus welcher alle verschiedenen Richtungen der
modernen Pathologie: die Humorallchre, die Solidar-
pathologie mit den beiden Modificationen des Dyna-
mismus und der Erregungstheorie, und endlich die na-
turhistorische Pathologie als Seiten und Zweige eines
gröfseren Ganzen sich hervo'rgebildet haben.
Indem wir nun näher darzustellen versuchen, was
für die Pathologie als Naturlehre der Krankheit in
obiger Schrift geleistet worden, unterscheiden Wir. vor-
erst das Material von dem wissenschaftlichen Princip.
Das Material anlangend, so mufs man den rühmlichen
Fleifs anerkennen, mit welchem ein grofser Reichthum
vonThatsachen voadem Vf. zusammengestellt ist, wie er
ist besonders die Literatur retohlich bedaoht, nnd
allen Abschnitten findet man die umfassendsten Hio-
weisungen auf die Quellen. Der erste Band enthält
unter der Ueberschrift „allgemeine Natnrlehre der
Krankheit'' die gesammte Aetiologie, Symptomatologie
oad Phänomenologie, aufserdem noch ein besondere«
Kapitel über den Tod der Krankheit (Thanatologia
morbi) und über geographisohe Verbreitung derselben.
Im zweiten Bande ist' unter der Ueberschrift „Beson-
dere Naturlehre der Krankheit" von den einzelnen Pnnk;-
tionen des Krankheitsprooesaes oder dm Gmndkrankhei-
ten (Anomalieendes Bildungslebens, Anomalieen der thie-
riscbeniiewegung, Anomalieen der Empfindung, der psy*
chiscfaen Verrichtungen und der animaien Lebenssphäre
überhaupt), danu von den allgemeinen Verschiedenheiten,
den Formen der Krankheiten und ihrer Bintheilung die Re-
de. Ueberall finden wir hier die bekannten und neue Erschei-
nungen undThatsachen mit grofserBelesenheit, Umsicht
und Urtheil am gehörigen Orte zusammengestellt und
finden "zur Bequemlichkeit des Aufsncfaens am Schlnfa
ein reichhaltiges Sach- und Namenregister, das nicht
' leicht einen pathologischen Gegenstand vermissen läfst,
über den man Auskunft wünschen konnte. In Betreff
des Materials und der Literatur also wird dieses Werk
sicher den bedeutendsten Anforderuugen Genüge leistMi.
Das leitende Princip ist nun das zeitgemäfse,' na»
turhistorische. Ein umfassendes nach gleichem Prin-
cip im Allgemeinen bearbeitetes Werk besitzen wir in
dem System der Pbysiatrik von Jahn; aber dasge*
geuwärtige ist bis in die kieinsteii Einzelnheiten durch-
geführt, wobei es zugleich Absicht des Herrn Verfs.
war, besondere Rücksicht auf den Mutterorganismna^
worin die Krankheit lebt, zu nehmen. Bevor wir nun
näher in dieses naturbistorische Princip eingehen, ' er-
lauben wir uns die Bemerkung, dafs dieses Princip
selbst noch. in zwei ganz verschiedene Modificationen
sich entwickelt hat, von welcher unser gelehrte Verf.
nur die eine* repräsentirt, so dafs zuerst noch eine
Darstellung dieser beiden verschiedenen Seiten und
Richtungen der natnrhistorischen Pathologie zu geben
ist. Nach der einen dieser Modificationen, welcher
der Verf. besonders zugethan ist, wird die Krankheit
als ein . individueller Organismus angesehen, der wi^
ein Parasit in dem kranken Körper als einem
fremden Grund und Boden wurzelt und aus diesem
nicht leicht in diesem Umfang sich vereinigt findet. Dabei lebt. Die andere Modification der natnrhistorischen
Ml
Pfttbologie ist durah die Ansteht • begründet, dafs die
EfSDkheiten als BttokfäMe des menscbliehen Lebens
stlbst auf tiefere normale Lebesttstnfen m betrachten
seien. Beide Ansiehton kommen darin üb^rein. die
Krankheit als jiaturhtstorisefae iadiridnelle Lebensform
sn betrachten, deren Botwiekelungsgesofaichte verglei-
ehead mit den Organisnien des Thier- und Pflanzei^
reicbs darzustellen und überhaupt die Pathologie we-
sentlich auf dem Gebiet der Naturgeschichte und a|t
gemeinen Physiologie sn begründen. Folgendes sind
aber die unterschiede dieser beiden Ansichten.
1; Die Ansicht, dars die Krankheiten Parasiten,
gleich dep parasitischen Thier« und Pflanzenformen
seien, ist eigentlich die ursprünglich Paracelsiscbe,
vorauf auch Sydenbam sein naturhistorisches System be»
gründete. Die Krankheit und der kranke Kdrper sind
hier zwei verschiedene Dinge, jedes von selbstständi-
ger individueller Natur, die einander feindselig 'gegen-
überstehen; es. ist ein Mikrokosmos im Mikrokosmus.
Die Krankheit ist hier selbst ein Organismus niederer
Stufe, der die sämmtltchen Haapterscheinungen des
ittdividnellen organischen Lebens darbietet. Zuerst
findet sich in ihr die organische Gestaltung, die Er-
zeugung ans einem Keime, die neue Keimbildung und
Fortpflanzung durch die Keime in Form der Anstek-
kang durch Contagien ; dann die periodische Entwicke-
Ittttg, die Ausbildung zur Blütheu- und Fruchtzeuguug,
endlich ein Absterben und der Tod der Kraukheit.
Dies sind die Hauptbestimmungen der Krankheit. Unser
Vert fugt noch hinzu, dafs die Ejrankbeit' nicht blofs
eine Negation der Gesundheit, sondern weseotlich ein
positiver Vorgang sei) der nicht etwa der Gesundheit
entgegengesetzt, sondern «ein der Gesundheit verwand-
ter, ja gleicher Zustand sei, der nur in zeitlicher Hin-
sicht oder durch Steigerung bis zum Extrem sich als
abnormer darstelle. Daher sei die Krankheit nicht
widernatürlich, sondern gehorche denselben Lebensge-
setzen wie die übrigen organischen Körper. Deshalb
habe denn auch die Krankheit als selbststündige Le-
bensform wieder ihre eigenen Krankheiten, wie z. E*
die Yerschwürnng und Entzündung als Krankheiten
von Skirrhen gefunden würden, so dafs sie damn ster-
ben können. Jede Krankheit vcranlafst zwar eine se-
cundäre Störung in dem gesunden Körper, allein diese
gehört nach unserm Verf. nicht zn ihrer Integrität,
ist für die Krankheit nur zufällig, für sich selbst nicht.
Stergt, MgemeiM Puihalogie. Zwei, Binde.
94S
Krankheit, obgleich sie zur Krankheit werden könne«
Hiernach wäre also der leidende Zustand des gesnu-
den Körpers (das Kranksein) untergeordnet Aci Indi-
vidualität der Krankheit, und diese bliebe doch das
Hauptziel der Pathologie. Daher habe denn auch die
Kraukheit ihren Zweck in sich, den Zweck der Selbst-
erhaltung; für das kranke Indivkluum sei freilich die
Krankheit nicht zweckmäfsig, könne aber doch für
dasselbe zweckmäfsig und zum Heilmittel werden«
Aber auf das ganze Naturleben bezogen, erscheine die
Krankheit in ihrer höchsten Zweckmäfsigkeit, wie die
normalen Parasiten/ und fiir die gesummte Natur höre
der Unterschied zwischen gesundem nnd krankem Lo-
ben ganz auf. Auf diese Art gelangt der Verf« zu
einem ähnlichen Resultat der allgemeinen Harmonie
alles Lebens in der Natur, worin kein Tod v<Mrbanden
sei, wie die Alten nach der Lehre von den Elementen
sich bildeten.
2. Die andere naturhistorische Ansicht der Pathor
logie betrachtet die Krankheit nicht als ein von dem
kranken Körper verschiedenes Wesen, sondern als
einen Zustand und eine Veränderung des gesunden
Lebens selbst, und zwar als ein Herabsinken des ge-^
Sunden Lebens zu einer iiiederea normalen Lebens-
stufe des organischen Reichs. Diese Idee wurde zu-
erst von jyieckel in der pathologischen Anatomie so
geistreich ,du^cfageführt, indem M. zeigte, dafs die
Mifsgeburteu und die Fehler der ursprünglichen Bil-
düng überhaupt durch ein Stehenbleiben der Entwiche-
lung des Embryo auf einer niederen nornialcn Bit
dungsstufe, oder durch eine Bildungshemmung entstän*
den. Die ältere Ansicht von dem Durchlaufen der
niederen Tfaierstufen in den Entwiokelungsperloden
der höheren hat sich vergleichungsweise hierdureh be-
festigt, und der <3esicht8punkt, unter denen die Ver-
gleiche nur geschehen dürfen, ist genauer bestimmt
worden. In diesem Sinne sucht nun ein neuerer ta-
lentvoller Schriftsteller (Dr. Karl Richard Hoffmann,
Medizinalrath der K. B. Regierung des Unterdonaa-
kreises in Passao, vergleichende Idealpathologie. Ein
Versuch, die Krankheiten als Rückfälle der Idee des
Lebens auf tiefere normale Lebensstufen darzustel-
len. Stuttgart 1834.) zu zeigen, dafs die Krankheits-
processe 'auch im ausgebildeten Körper überhaupt
nicht sowohl ein Stehenbleiben als^vielmehr ein Rück-
fall des schon entwickelten gesunden Lebens zu einer nie-
943
Starke allgemeine Pathologie* Zwei Bände.
944
deren Lebensstufe betrachtet 'Verden nifissen. Diese
Aosicbt ist 80 sehr verwandt und doch wieder so ganx
TOrscbieden tod der Idee der paraBÜiscben Natur der
Krankheit, dafs wir glanbeu, es werde eine Verglei-
chungim allgemeinen Interesse sein. Nach der Ideai-
pathologie hat jede Krankheit ihr Vorbild, ihren Pro^
totyp in irgend einem Lebensyerhältnisse der Natur
unter dem Menschen and das Reich der Krankheiten
Ist ebenso grofs als das Reich der Natur. Die Krank-
heiten ^ sind Nachahmungen anderer Lebensformen,
Nadischopfungen oder Afterschöpfungen, und die hö-
here vergleichende Krankheitslehrb mufs für eine jede
Krankheit das entsprechende Naturwes^n nachweisen,
und den Parallelismus zwischen dein Vorbilde und dem
Abbilde zeigen. Höber ist dann noch die Idealpatho-
logie> ' welche nachzuweisen hat, welches die gemein-
same Idee oder der Lebenstypus sei, der sowohl dem
durch die Krankheit nachgebildeten Naturwesen, als
dem Krankbeitsprocesse zum Grnndeliegt. Der Gang,
den Hr. H. bei seinen Darstellungen nimmt, ist ein
ganz concreter spezieller^ indem derselbe direkt ein-
zelne Krankheiten, vornimmt und diese auf «eine Weise
vergleicht, denn es gelten hier ni(ht allgemeine Ver-
gleichungen aller, sondern nnr spezielle Vergleiobnn-
gen einzelner Krankheiten. Die Vergleichungen sind
nicht iur alle^ sondern nur für einzelne Krankheiten
durchgeführt.
Darnach besteht z. B. die Scrophelkrankheit darin^
dafs sich' dte normale Entwickelungsreihe des Men-
schen ii| diejenige verwandelt, welche man Metamol^
phose bei den Insekten nennt, wobei nicht die gleich-
zeitige,- sqndern eine aufeinanderfolgende Ausbildung
des Individuums und der Geuerationsorgape sich fin-
det, so dafs die geschlechtliche Seite der Entwiche-
lung im Scrophiilöseu zurücktritt und^aiif die Bildung
von Dotter oder Eistoff reduzirt wird, welches eben
der Scrophelstoif ist. Unterdessen vergröfsert sich
durch den Ernäfarungsprocefs das Individuum, wie sich
der Fettkörper in der Insektenmetamorphose entwickelt
findet. Die Naturheilung der Scropheln geschieht nun
durch die Puberf&tsentwickelung, indem der Larven-
xustand als die überwiegende individuelle Entwickeluug
zurücktritt oder doch- nhr im Gleidi^wicht' mit der
Ent Wickelung der Generationsorgane sich hält. Die-
sen Naturheilprocefs hat man bei der Behandlung duroh
die Kunst nachzuahmen, indem man zuerst den indivi*
duellen Ernährungaprozefs durch Verminderung der ^
Nährnngsmasse hemmt , und anstatt dessen eine Aet
Entwickelung des Geschlecht^t^iiers günstige Lebens-
art einfuhrt« Denn sind auch die Arzneien gegen die
Scrophelkrankheit theils die Vegetation beschränkend :
Antimonialia, Mercurialia, theils die Irritabilität stei-
gernd: Auiara u« s. w« . Hieran erkennt man nun die
allgetneine Idee, welche der Darstellung von dem Zu-
rück^ken der Krankheiten «uf niedere. LebensstnfeB
zum Grunde liegt. Beispielsweise fähren wir nur an»
dafs hiernach die Rhaobitis als eine Hautskelettbildung
und Molluskennatur $ die Tuberkelkrankheit als eine
der Keim- und ^nollenbiidung bei Pflanzen fihnliclu
Metamorphose ; die Cholera als ein Zustand des Wi^
terschlafs betrachtet' werden. Man könnte diese Aa-
sieht im, allgemeinen eine Lebonsmetamorphose de»
Körpers in der Krankheit nennen.
Vergleicht man nun die beiden pathologische*"
Theorien, nämlich die Parasiten- und die Metatnor-
phosentheorie, so sieht man, däfs ungeachtet beide
naturbistorische Theorieen sind, sie sich doch ganz
und gar und vorzüglich in ihren Grundsätzen bezv'
lieh auf die Therapie von einander unterscheiden. Na^
der Parasiteutheorie ist die Krankheit ein vom krr^
ken Menschen verschiedenes, diesem nur inwobnemf^
fremdes Individuum; der kranke Körper ist eigentlich
nicht selbst krank, sondern Jbat und trägt nur eir"
Krankheit^ diese -ist selbst eine der Gesundheit pu-
rallel gehende Lebensform^ welche in sich ihre Zwecke
hat. Demgemüfs beruht die Heilung darauf, den Krank-
heitsparasiten aus dem Körper zu entfernen, oder
ihn zu tödten, zu vergiften; mit anderen Vl^qrteii
ihn lebendig oder todt aus dem Leibe zu schaf-
fen. Die ganze Theorie ist weniger gegen den kran-
ken Körper, als gegen seinen lebendigen Gast gerieb-
tet. . Die Arzneien sind wesentlich nur Gifte der Krank-
heit, haben keine nothwendige Beziehung zum kranken
Menschen,
(Der Beschlofs folgt.)
JIP 119.
Jahrbuch
für
e r
wissenschaftliche K r i t i k.
December 1839«
AUgememe^ Pathologie oder allgemeine Natur'
iekre der Krankheit von Dr. Carl Wilh. Stark.
(Schlafs.)
Gi^iz andere ist es in der Metankorphostotheorie.
Nach dieser ist die Krankheit nicht eine dem Körper
fremde, änfsere, eingedrungene oder erst erzeugte In-
^iridualität, sondern die Krankheit ist eine der Ge-
^amintidee . des Menschen selbst angehörige, ihr schon
UKTolTirte, die statt, dafs sie von aufsen hereindr&nge,
vielmebr von Innen sich herausschliogt. (Hoffmann
Idealpath. 116.) Hiernach ist also die Krankheit nur
fune Verftndemng des erkrankten Lebensprocessc^s selbst,
' der Kdrper hat nicht eine Krankheit, sondern ist krank ;
Krankheit ist eine Veränderung der Gesundheit selbst.
Die Therapie mufs hier nach ganx anderen Grundsätr
sen XU Werke geben, nicht etwas Fremdes aus dem
dU^rfef entfernen, sondern die Metamorphose des kran-
icen Lebens selbst auf ihre normale Stufe zurückfüh-
ben, nicht eine KKankheit Tergiften, sondern das ge- ,
«und0 Leben selbüt hemmen oder steigern. Nach der
Parasitentheorie kann die Gesundheit neben der Krank-
heit bestehen; diefs ist nach der Metamorpbo^entheo»
rie unmöglich, da das Leben selbsti durch und durch
entweder gesund oder krank sein mufs.
Auf diese grofse Verschiedenheit beider Theorien
acbetttt man bisher nicht aufmerksam geworden zu sein,
und Jahn, ja selbst Stark scboinen sie vielmehr iden«
tifizirt zu Jiaben ; denn Stark selbst hatte schon jn
den pathologischen Fragmenten früher die Scropheln
mit dem Lebenszustand der Knorpelfische verglichen
und auch Jahn vergleicht die Cholera dem Zustand
der Wintererstarrung der Thiere; so dafs diese Prin*
sipien der Metamorphosentheorie beinahe zur Unter-
stützung der Parasitentheorie angedeutet worden sind.
Allein beide Theorien sind vollkommen unvert;räglich
init einander, widersprechen einander gänzlich und
Jahrb. /. wuentcK Kritik. J, 1830. II. Bd.
schlie&en sich geradezu aus, nicht nur inIBeziehung -
auf Pathogenie, sondern vorzfiglicb in Ansehung der
Therapie. ; Es mufs uns diefs aufmerksam machen, in
der sogenannten vergleichenden naturhistorischen.Be*
arbeitung auch natürlich unterscheidend zu Werke zo
gehen, damit nicht durch eine und dieselbe Behand-
lungsart die entgegengesetztesten Resultate erlangt
werden, und das eine Resultat das andere zu widerlt*
gen scheint. Inzwischen ist es jetzt einmal zeitmäfsig ^
die Pathologie naturhistorisch zu behandeln und ange»
achtet aller Widersprüche in den Resultaten ist doch
nicht zu verkennen, dafs die Wissenschaft, gegenüber
den Principien der Humoral-, Solidar- und Erregungs-
pathologie, manche bessere Anschauung durch sie ge»
Wonnen hat; doch dürfen wir dabei nicht vergessen^
uns die Widersprüche dieser Methode. und das was sie
zu wünschen übrig läfst, deutlich zum Bewnfstsein za
bringen, und wir glauben unsere Achtung vor dem vor-
liegenden yerdienstvolleni Werk nicht besser ausspre-
chen zu können, als indem wir die Ilauptresultate der
naturhistorischeik Behandlung an dem Maafsstab der
Natur der Krankheit selbst praktisch prüfen, wobei
'uns jedoch der Raum nur gestattet, vergleichungs weise
zu verfahren, ohne auf weitere positive Entwickelun-
gen eingehen zu können, die wir an anderen Orten be-
reits versucht haben und npch weiter auszuführen ver-
suchen werden. Wir gehen hierbei von der naturhi-
storischen Pathologie überhaupt aus, unterscheiden
dabei aber die beiden Richtungen der parasitlscheik
und der Metamorphosentheorie ganz ihrer Natur gemäfs«
' Beide Theorieen haben das Gemeinsame, dafs sie
uns den Tod des Organismus entweder überhaupt un-
begreiflich machen oder doch Üas Sterben durch die
Krankheit nicht recht erkennen lassen. Denn nach bei-
den Theorieen ist die Krankheit selbst ein Lebenspro-
cefs, nur in dem einen Fall individuell selbstständig, in
dem andern eine Metamorphose in einem anderen eben-
119
\ /
947
Starke allgemeine: P^hoU^. Zwei Binde.
948
fall» gesunden Lebenssostand. Obgleiob dieie LebeOi-
zustände in beiden Fällen als* tiefere Stufen organi-
«eher Entwickelung betrachtet werden, so ^ fuhrt dock
kein Utber||;an0 ton ibnes zum Tode, -denn beide ha-
ben ihre Ltbenszwetke in sich, usd wie tief auch die
^ Lebensstufe stehen mag, so bleibt von ihr aus zuln
Tode immer dieselbe Kltift. In der Parasitentheorie
ist zwar vom Tode der Krankheit die Rede, dieser
aber führt zur Gesundheit des Kranken. Wie aber
bei immer hdherer Lefoefisentwiokelung der parasiti-
•<^eQ Krankheit dadurch der Tod des Kranken her-
beigeführt werden könne, bleibt unerklärt. Die Theo-
rie des absoluten Lebens ist hier durchaus unpraktisch,
denn es haadelt sich in der Medizin nicht um das ab-
solute 'Leben, sondern um die Erhaltung des organi-
schen Lebens^ und sein^ Rettung vom Tode. Auch
dringt, sich uns unabwendbar überall der Gang der
Krankheit oder des kranken Lebens zum Tode auf,
die Möglichkeit des Sterbens ist der erste Gedankcy
4er den Arzt und den Kranken ergreift, und dieser bil-
det den Mittelpunkt, um den sich alle unsere erken-
nenden und bändelnden Bestrebungen drehen. Eine
pBthologische Theorie aber, die vom Tode nicht» wis* (Archäus) herausbildeten. ^ Allein in dieser
Aranken Ulid des gisnnden Lebens von i^fo hoher prak*
tischer ^Wichtigkeit ist. , Man siebt das Leiden des Kör-
pers >nur über die Schultern des Lebens der Krankheit
an, weil eben das Leiden aufserhalb des Begtiffs deip
Krankheit liegt, während n^an praiftisch dat Lebep
der Krankheit lieber aufserhalb des Leidens der Kran*
ken sehen möchte. Die naturhistorische Pathclogie ist
in diesem Betracht eigentlich gar keine Pathologie, d,
h. keine 'Leidenilehre\ vielmehr ist sie nur eine Bio^
logie oder Lebenslehre und zwar vorzfiglioh der Lö«
bensformen. Gehen wir nun näher auf die beiden: B|o-
difikationen der naturhistorischen Pathologie ein,^ so
findet sich, dafs zunächst die Parasitentheorie durch.
die Erscheinungen der parasitischen Afterpvodaktio-
nen, in denen sich ein individneller Procefs verkör-
pert hat, unmittelbar ansohaulich wird. Wie diean
.nun eine von einem Keim ausgehende in mancbee*
lei Formen sich entwickelnde Vegetation oder Zonplijü
tenbildung darstellen, so war es der Gedanke der mnu
bisch -paracelsischen Medizin, dafs die mannichfältigcn
Symptome aller Krankheiten sich ab ein orgatSbchei
System von Phänomenen von einem inueren Urkemi
ward
Ben will, wie tief sie auch durchgeführt werden mag,
wird uns praktisch nie ganz befriedigen. Ob neben«
her und änfserlieh neben einer solchen Theorie zu-
gleich vom Sterben gesprochen wird, ist im Ganzen
nicht von Belang, denn hier kommt es auf den Zu-
eammenhang des Todes mit dem Begriff der Krank-
heit an. Mit diesen Verhältnissen hängt es zusammen,
dafs man die ganze chemische Seite der Pathologie^
Vioch kein bestimmter Unterschied gemacht zwiaoben
einer für sich bestehenden Krankheit und den nomiaim
und abnormen Reaktionen 'des Körpers dagegen, sen^
dorn beide vielmehr als ein zu einem Ganzen griifek
ger Verein von Wirkungen der Krankheit betrachl6l||
wobei das Verhältnifs def Gesundheit und KrankJi«it
nnr ganz allgemein in dunklen Bildern auf mystiadie
Weise dargestellt ^urde. Die bestimmte Sonderang
die Stoffverändemngen nnd Zei^etzungen, Fäulnifs nnd* der Gesundbeitsreaktion von einer Krankbeitslndividiia«
Brand in der naturhistorischen Pathologie nirgends
recht unterbringen kann, weji kein Zusammenhang zwi-
schen dem Lebensprocefs der Krankheit und den Er-
scheinungen der chemischen Auflösung vorhanden ist.
Die naturhistorische Behandlung tafst vorzfiglioh nur
die Krankheit als Form eines Naturprodukts auf; die
fbrmeUe^fMe hat, wie in der Naturgeschichte über*
haupt das üebcrgewicht^ es ist höchstens eine verglei-
chende Entwickelungsgeschichte derErscheinungen mög«
lidh, wpbei der wesentliche innere Zusammenhang dar
verglichenen Phänomene dahingestellt bleiben müfs. Die
Entwickelang der Krankheit aus ihrem eigenen FVocefs
fehlt entweder oder ist untergeordnet, und wird dann
rein phystologiscb, während uns der UnterscUed des
lität, die eine in sich abgeschlossene Totalität bilde^
gehört eirst der modernen naturhistorischen Pathologie
an, die den Procefs mehr in seine Binzelnheiten ver-
folgt hat. In jener mystischen Ununterschiedenheit War
es nun leicht von alleth KTonkheitea anzunehmen, dafi
sie aus einem Keim erzeugte organische Individaalitik^
ten seien ; allein in der heutigen bestimtoiten Sonderung
von Krankheit und Reaktion scheint man in den Ver^
gleichungen zu weit zu gehen, wenn man allen Krank*
heiten eine organische von den Reaktionen selbststäiK
dig verschiedene Individualität unterlegt, obgleich sie
bei einigen Krankheiten nicht zweifelhaft zu, sein seheint»
Der Begriff von Krankheit mfifste aufserordentlieh be-
schränkt werden, wenn man dieses Crindp streng durdi»
SM
SA0r4 mUf^meiM F^akohgm. Zw§i ^»mk.
«M
Mireo wdlta. AHa direkl Awnk ttnfsei» SchKiUiehkei^
ten hervorgerufenen Krankheiten: Erstickungen, Ver«
gifioBgeiiy Djspnoe, Husten ans anfseren bejUAidern
iMcbaoiacbeii iiaiil pbjsikaUachen Urtachen wären gaiT
heioa Kninkheiteif nach diesen Prineip. Welche The-
rapie sollte man nach denäselben Prineip dagegen an-
wenden t Wir haben bereits in f)er Schrift: die homöo«
Uslkobe Mediaia des Paeacelsus und in einem Auf-
satze über die natürlichen Verwandtschaften der Krank-
heiten in diesem Jahrgang des Hufelandschen Journals
aveftthrUcber su seigen gebucht, dafs der Begriff der
lÜMUiklieit als parasitische IndiTidualität, wenn gleich er
ftr einige Krankheiten anwendbar ist, doch durchaus
nidit auf alle Krankheiten (»afst, nnd dafs es Tiele
(fankbeiten giebt, in denen sich eine parasitische In^
iKvidnalitat nicht nachweisen lafst, die aber dennoQh
wirklich zu den Krankheiten gerechnet werden müssen.
Wir haben sie mit dem allgemeinen Namen der Hern*
anogskrankheiten belegt, ohne damit andeuten m wol-
len, dafs sie in sich natürlich verwandte Gruppen bil-
den« ^ijense, dafs selbst in denjenigen Fällen, wo wirk-
Uob sich eine parasitische Individualität in der Krank-
heit bildet, doch das parasitische Leben dann nur einen
Tbeii der Krankheitstotalität in ihrer natürlichen Ein-
heit ausmacht^ so dafs abo die Kraukheitsindividualität
tum ailgemeinen Prineip der Pathologie kaum möchte
erhoben werden können. Dabei gestehen wir aber gern
XU, dafs durch die talentvolle Entwickelong dieser Ver-
hiltnisfle, welche die Wissenschaft wie durch den Hm«
Vetf. überhaept, so besonders in dem vorliegenden*
Werke erhalten hat, ein grofses Licht über die or-
ganischen Verbältnisse der Krankheit überhaupt ver-
breitet worden ist, so dafs wir auch diese Bemühungen
als dankenswerth' anerkennen.
Die andere Seite der naturhistorischen Patholo-
gie, welche die ' Krankheiten ds Rücklalle des Lebens
la niederen normalen Bildungsstufen betrachtet, giebt
die individuelle Seite der Krankheitsnatur gäoslich auf,
und hier könnte man sogleich sagen, dafs dies in Be-
sag' auf die JkeimbiMenden, sich durch Ansteckung
fortpflanzenden Krankheiten und andere organisch -pa-
rasitische Formen eine Lücke in der Erkenntnifs der-
selben lasse. Dennoch aber ist anzuerkennen nnd
iwar besonders wenn man von den Hemmuogsbildun-
gen der ersten Entwickelung ausgeht, dafs eine grofse
Reihe von Erscheinungen bei vielen Krankheiten, wenn
MO sieh anoh nicht gaaa als niedere Entwickeluags^
stufen darstellen, doch mancherlei Charactere dar^
bietet, die auf ein Stehenbleiben und einen Rück*
fchritt za niederen Lebensformen hindeuten, worüber
besonders Hoffmann Beispiele gesammelt und oft überv
raschend sinnreich verglerchend zusammengestellt hat.
So reichhaltig nnd vielfach aber auch diese Vergleiche
angestellt werden mögen, so werden sie doch nich^
die Totalität aller Bestimmungen einer Krankheit nm-
fassen, und ein erschöpfendes, vollständiges Bild a?
1er ihrer Verbältnisse geben können, weil noch maa-
ches andere zur Krankheit gehöit, was aufser dem
Bereich der naturhistorischen Vergleichung liegt« Eine
Pathologie, die sich allein auf diese Vergleiche be-
schränkte, würde eher einem Werke über Naturge-
schichte als über Pathologie ähnlich sehen, und in der
Tbat müssen wir darauf bedacht sein, die Pathologie
nicht ganz euf das Gebiet der Naturgeschichte hiur
fiberzuziehen, so bedeutungsvoll auch einzelne natura
geschichtliche Yergleiche sind« In Betreff dieser Ter^
gleiche möchten wir auch noch erinnern ^ dafs die
Krankheitsznstände nicht überall als ein Rücksehrei-
ten zu niederer Ausbildungsstufe, sondern zuweilen
auch als ein Vorschreiten zu einer höheren Entwicke-
lung, die sich ids excesöives Hervortreten bei Thieren
findet, betrachtet werden müssen. So haben wir in
der Schrift: „de alimentorum concoctione experimenta
nova" ausfuhrlicher zu zeigen uns bemüht, dafs bei Krank-
heiten der Blinddarmdigestion der menschliche Blind*
darm sich zu einer höheren Stufe der Ausbildung ent«
wickeln kann, die er normal nur bei pflanzenfireasen-
den Thieren hat, wie umgekehrt der Mügen häufig
eine ganz camivore Natur beim Menschen annimmt.
Aehnliche Verhältnisse zeigen' sich in der Entwicke-
lungsgeschichte der Blutbläschen, deren vergleichende
Darstellung wir zuerst in dem System der Cirkolation
mit Rücksicht auf Pathologie glauben gegeben zu
haben.
Eine andere Schwierigkeit dieses Princips der na-
tnrhistorischen Pathologie scheint uns darin zu begeg«
nen, dafs nach demselben der Krankbeitszustand alle >
Glieder der ganzen Orgauisatioa durchdringen soll und
die Totalität des ganzen Körpers und aller seiner Or*
gane kratikhaft affizirt angesehen wird, weil die Idee
der niederen Thierstufe dem ganzen kranken Leben
seinen eigenthümlichen Typus aufdrückt oder aufdrük-
SUirk^ Mgememe PM^hgis. Zm» Bäntk.
951
ken seil. Himiaoh wfirda keio Theil der Geeundbeit
im kranken Mensoben übrig bleiben und der Begriff
der Heilkraft d^r Natur als Rcaktipn und Selbstbülfe
der im kranken Körper noch übrigen Gesundheit, wäre
nicht mddich. Aocb wurde es nur allgemeine, nicht
drtliche Krankb/ßiten geben k^nen, während doch ^o
viele Erscheinungen dafür sprechen, dafs die meisten
Krankheiten örtlich oder in einzelnen organischen Sy-
stemen wenigstens entspringen. Nicbt minder kann
man auch hier die Krankheit nicht als einen Leidens-
sustand begreifen, denn die niedere normale Lebens-
^tufe, welche die Krankheit repräsentirt, ist immer
eine ihren Zwecken gemäfa wirksame Thiktigkeit, wo-
bei eine Kränkung der Gesundheit wenigstens gar
nicht nothwendig ist 'Die Krankheit bleibt hiernach
immer ein rein physiologischer Procefs oder eine nor-
male naturhistoriscbe Erscbeinuug, und man sieht nicht«
wie diese niedere Lebensstufe zum Tod übergehen
könnte, denn auch das^niedere Xeben bleibt immer
ein Leben. Auf der anderen Seite lassen sich die pa-
rasitischen Wucherungen und Neubildungen der After-
organisationen nicht iliglich als blofse Rückfälle der
Lebensthätigkeit gesunder Organe selbst betrachten;
denn man sieht hier wirklich neue Produktionen und
nicht JbJofse Metamorphosen der schon vorhandenen. .
Fassen wir .also die Bedeutung der naturhistori-
scben Pathologie im Grofsen und G^an^en auf, so müs-
sen, wir sagen, dafs sie dem jetzigen Zeitgeist ange-
hört und ducch die' vergleichende Bearbeitung der Na-
turwissenschaften überhaupt herTorgerufen oder doch
begünstigt worden ist; es ist eine allgemeine wissen-
schaftliche Richtung, ein Typus, der sich auch der
Pathologie aufgedrückt hat, und für eine Seite dersel-
ben ffute Früchte trSgt. Pafs diese Richtung nicht
Ton Innen aus der Pathologie heraus, sondern von
aufsen in sie hinein gekommen ist, giebt ^ibr freilich
im Ganzen ein mehr formelles Gepräge, und ein gro-
fser Theil patholo^scher Phänomene findet sich indem
naturbistorischen Rahmen mehr äui^erlich eingefafst
und nicht in der wünschenswerthen inneren Durch-
dringung; allein man sieht doch, i^as die Naturge-
schichte für die Pathologie leisten kann und was zu
wünschen übrig bleibt. Da das pathologische Leben
bis zum Tode immer noch sich im Gebiete der orga-
nischen Natur bewegt, so ist es natürlich, dafs auch
die pathologische Wissenschaft in mancherlei Bezie-
liung von der Naturgeschichte berührt und selbst um-
fafst wird; allein em freierer Blick zeigt uns bald,
dafs darum nicht alle Formen der Naturgeschichte
der PatlK>logte aufgedrückt und diese selbst «u -einer
Naturgeschichte gemacht werden, oder das innere Wo*
sen des 'kranken Körpers von der Naturgeschichte aus
verstanden werden kann. Der besondere Nutzen, wel-
chen die naturhistoriscbe Bearbeitung für die Patholo-
gie überhaupt gehabt Jiat und noch weiter haben kann,
msofern die Richtung des Zeitgeistes der Medizin da-
bei beharrt, auf diesem Wege fortzugehen^ besteht
vonllglioli in 4er Bildung natfirlteher Groppea nnd Fa*
milien und deren geographische und klimatische Ver*
hältniss^ wie sie zuerst von Sydenham erstrebt wur-
den. Hierzu fQhrt das AufTassen des Habitus nnd der
ftufseren Form der Krankheiten im Ganzen, ^wie anoli
in der Naturgeschichte der Thiere und. Pflanzen die
Familienähnlichkeiten durch dieselben typischen Ver*
bültnisse bedingt sind. Das innere Wesen und den
organischen Procefs der Krankheit zn erfassen, ist
die naturgeschichtliche Behandlung in der Richtung
nnsrer Zeit weniger geeignet, denn hierbei kommt es
nicht sowohl ,auf den äufseren Habitus der Erscheinun-
gen, als auf den inneren Verlauf der Thätigkeiten an,
wodurch die ättfsereForm 4«r Krankheit erzengt whd.
Durch tiefere Rücksicht auf diese Verhältnisse wird
man nothwendig wieder pach anderen pathologischea
Kichtungen hingeführt, und so wird man in Darstellung
der Totalitüt aller Bestimmungen der Einheit des
Krankheitsprooesses weder die grofsartiffe Aetiologia
der kosmischen Pathologie der Alten, noch die ideelle^
mystische Generationslehre der Araber und des Para-
celsus, noch den brausenden und gährenden Chemis-
mus der Humoral-, noch die Physiologie der Solidar-
pathologie ganz entbehren können; wie denn atfoh diu
wichtigeren Resultate aus diesen verschiedenen Rich-
tungen von udserem Verf., wenn auch nur nach sei-
nem synkretistischen Princip sorgfaltig aufgenommen
worden sind. 3ei solcher Verschiedenheit der pntho«
logischen Elemente «empfindet man freilich wieder das
Bedürfnifs, die Pathologie zu einer Totalität zu brin-
gen und die verschiedenen Bestandtheile sich von In-
nen heraus zusammenhängend entwickeln zu lassen*
Wir haben schon anderswo unsere Zweifel darüber
ausgedrückt, dafs eine solche orffanische Herausbil-
dung der Wissenschaft weder elementar kosmiscb,
noch physikalisch oder chemisch, noch rein, physiolo-
gisch oder naturhistorisch wird geseheben können;
. sondern dafa nur ein selbstständiges patAologü^Ae^
Princip uns das gewünschte Ziel wird erreichen las-
sen. Wir müssen nicht eine chemische, physiologi«
scIie, natnrhrstorische, sondern allein eine patßiologi^
ecke Pathologie erstreben. Wie der Organisrons ei*
ner solchen \V iss'enschaft zu bilden sein möchte, dar-
über würden uns hier die Verhandlungen zu weit fuh-
ren. Winke dazu haben wir schon in, der Homöobio-
tik und dem Aufsatz über natürliche' Verwandschaft
der Krankheit zu geben versucht; aber die AusfiUi-
rüng wird einer andern Zeit vorbehalten bleiben müssen«
Diese Andeutungen mögen genügen, um zu zei-
gen, mit welchem lebhaften Interesse dip Wissenschaft'
liehe Richtung des Hrn. Verfs. uns angesprpchea hat.
Man mufs gestehen, dafs der Verf. mit Begeisterung
fiir seine Richtung in dieser auch Tüchtiges geleistet
hat. Das Werk wird daher immer Original für diese
Richtung der Wissenschaft bleiben.
C. H. Schultz. '
J^ 120.
J a h r b fl e h e r
f.. • • -
u r
w i s s e n s c h a f 1 1 i *c h e Kr i t i k.
December 1839*
. UX.
OescUchie lUüngter's nach den Quellen gearbei-
tet von Reinf*. Aug. Erhard. Munster y 1837.
VL und 637 8. 8.
BekaDDtlich bildet die Geschichte der geistlichea
Stifte in Deatschland, uod zvar nicht blos der Erzstifte'
und der BiBthlUnery sondem auch vieler AbteieO) eia
wichtiges Moment in der allgemeinen politischen G&-
«qliißhte wie in der Geschichte der Kultur ansejrs deut-
aghen Vaterlandes. Nichts desto weniger hat man bis
anf die neueate Zeit fast aller Bearbeitungen dieses
hiatorischen Gebietes entbehren müssen, und der Man-
§fl an Werken dieser Art ist für alle Bearbeiter der
deotachea Gesdiichte immer fühlbar genug gewesen.
Crat die Tielfachen Behandlungen der deutschen Sp^
oialgeschichten in unserer Zeit scheinen auch darauf
.Emflala gehabt au haben, dafs man dies bisher so sehr
TemaoUässigte Gebiet gleichfalls berücksichtigte und die
Tersehiedenen Arbeiten, welche jetzt über mehrere
lioohstifte ans Licht getreten sind, zeigen am besten,
wie sehr das Verlangen g^echtfertigt ist, wenigstens
über jedes det deutschen ErzbiiBtbümer.und Bisthümer
eine Bearbeitung zu besitzen, welche den ForderuDgea
der heutigen Wissenschaft entspricht und ihrem Um-
lange nach der politischen' Bedeutsamkeit der einzel«
neu Hochstifte angemessen ist. Denn an eine allge-
joein^ Jdrchlicbe Statistik Deutschlands im Mittelalter
mScbte,. so wichtig diese Sache für die vaterländische
Geachiohte auch ist, doch sobald noch nicht zu denken
aein» da die damit zusammenbängepden Arbeiten in
der Ualoriscben Geographie Deutschlands in jener Zeit
noch nicht so weit gediehen sind, um die Erscheinung
eines solchen \yerkes hoffen zu lassen.
Daa Bisthum Münster, welohea ilie grofse Kata-
atrophe der Sekularisation der norddeutschen geistli-
chen Stifte im westphälischen Frieden noch überlebt
JMhrh. /. wiiMAtcA. KriHk. J. 1839. 11. Bd.
hat und erst der Umgestaltung Europas durch die fran-
zösische Revolution zum Opfer ward^ Yerdiente gewifs
in ?ielfacher Beziehung eine neuere liistorische Beasp
beitung, wie sie demselben in Folge der preiswürdigen
Verfügung der preufsischen Regierang, die Provinziat
Archive zum Nutzen der Wissenschaft durchforschen
zu lassen, jiun auch zu Theil geworden ist, und dem
Verf. mufs man auf jeden Fall Dank wissen, dafs er
seine Stellung bei dem westphälischen Provinzial-Ar-
diiv zu Münster sogleich benutzte, um eine wichtige
Lücke in dem Gebiet der Geschichte auszufüllen.
Schon lange war für denselbenji wie er io der Vorrede
bemerkt, die Geschichte Westphalens ein Gegenstand
von gvofsem Interesse gewesen, und cla ihn seine Be-
schäftigung mit den Quellen der westphälischen und
insbesondre der münsterländischen Geschichte tiefer in
ihre Kenntnifs einführte, zeigte 9ioh ihm zugleich der
Mangel einer zusammenhängenden übersichtlichen und
dabei lesbar geschriebenen Geschichte dieses Hochstif-
t^ so dafs er sich berufen fühlte, diesem Bedürfuifs
abzuhelfen. Zwar sollte anfangs diese Arbeit nicht
eine ganz neue Forschung aus noch unbenutzten Quel-
len geben, sondern nur eine übersichtliche Zusammen-
stellung des nach sorgfältiger Prüfung bereits Erniit<^
telten, um dem gebildeten Freunde der Ttttertändischen
Geschichte ein ansprechendes Gemälde und dem ei-
gentlichen Kenner einen Torläufigen Leitfaden darzu-
bieten, woran sich neue Untersuchungen ansohliefiBen
könnten, . aber der bisherige Zustand der münsterschen
Geschichte nöthigte den Verf. bald sich ein weiteres
Ziel zu stecken. Er mufste hei vielen einzelnen Ge-
genständen eipe ganz tieue Quellenforschung anstellen
und erhielt dfidnrch auch Veranlassung manches Neue
zur Erweiterung dieser Geschichte aufzunehnii^n , so
dafs sich diese Arbeit nicht nur durch die Zusammen^
Stellung djos Ganzen, sondern auch durch die Mitthei-
Jung mancher ^vorher unbekannter und durch- äie Be-
120
956 E r h a r d^ 6 0 M € hi
ricbtigmig vieler irrtliämlicfa aDgeBommenen Tbateacfceti
vor alleo frühem der Gescbiohte Alunsters gewidmeten
Schriften vDrtheilhaft anszeichnet. Aach ist der Verf. *
bei jeder hier neu aufgestellten oder von frübeni Schrift-
stellern abweichend* berichteten Thatsache, den Origi-
nal - Urkunden oder andern glaubwürdigen bandscfarift-
fichen Nachrichten gefolgt und hat dies immer gehöri-
gen Ortes bemerkt.
Ueberhaupt empfiehlt sich dies fleifsig gearbeitete
"Werk durch eidc einfache, ruhige^ klare und schöne
Darstellungsweise und kann in dieser Beziehung bei
dem Zweck des Buches, nicht blos den Gelehrten, son-
dern auch dem gröfscm gebildeten Publikum zu die-
nen, manchen ähnlichen Arbeiten wohl als Muster auf-
gestellt werden. So viel wie möglich hat der Vf. alle
Riehtungen des Staats- und Volkslebens verfolgt, und
hat zugleich durch Berücksichtigung der bedeutendsten
allgemeineren Verhältnisse den organischen Zusammen-
hang der örtlichen mit der allgemeinen Geschichte an-
schaulich zu machen gesucht. Denn bei einer solchen
Arbeit über die Geschichte einea geistlichen Fursten-
thumes mufsten auf gleiche Weise die kirchlichen wie
die politischen' Verhältnisse bebandelt werden, und es
tnufste dabei nachgewiesen werden, wie dieses Glied
des gröfsem politischen Ganzen von Deutschland sein
ihm eigcnthümlrches Leben entfaltet habe, und wie die-
ses letztere wiederum durch sein Verhältnifs zu dem
allgemeinen öffentlichen Leb^ bedingt wonlen sei. Sehr
gilt bat der Verf. dabei eine nuiL zu häufig vorkom-
mende Klippe zu vermeiden gcwurst, indem er bei sei-
nen Lesern die Kenntnifs des allgemeinen kirchlichen
nnd politischen Lebens Deutsclilands voraussetzend
nicht .unnützer s Weise das schon längst Bekannte und
va. eine Specialgeschichte nicht Hingehörige aufgenom-
men, sondern nur so viel in seiner Darstellung davon
berührt hat, als zum Verständnifs der jedesmaligen
Zeitverhältnisse oder der besondem p^oliliscben Ein-
richtungen nottmendig war. Auch mufs man es als
einen Vorzog dieser Arbeit anerkennen, dafs auf die
neuem Forschungen über mancherlei Verhältnisse jenes
^Gebietes immer die gebührende Rücksicht genommen
worden Jst, wie sich dies sogleich in der Einleitung zeigt»
Die gesammte Geschichte des'Hochstiftes ist in
vierzehn Kapiteln behandelt, von denen das erste die
Vorgeschichte des Mtinsterlandes vor der Begründung
dfes Bisthnms berührt , die sieben folgenden aber die
e k t e Münster * #•
956
Zeiten des Mittelalters des Bisthmns und Landes Mün-
ster von Karl deip Gröfsen bis zur Reformation um-
Aissen. Indem der erste Abschnitt' den ältesten Za«
stand Westphalens und das Leben der dortigen dmt-
sehen Stämme schildert, aus denen zunächst der Yer^
ein der Franken hervorging und etwas später der Bund
der Sachsen sich gestaltete, wird hier das treffliche
Buch Ledebur's über die Brukterer zu Grande gelegt,
durch welches in der That die historisch -ethnographi-
schen Verhältnisse jenes Gebietes zum ersten Male
so genau und sicher begründet 'worden sind, dafs man
nur ungern ähnliche Arbeiten über andere Theile Gerw
maniens vermifst. Auch bemerkt der Verf. ansdrüok-
Ijch, dafs er aus begründeter Ueberzeugung' den dort
gefundenen Resultaten habe folgen können. Die Zeit
des Mittelalters ist folgendermafsen gruppirt. Das
zweite Kapitel schildert Mimigardevord als bischöfli-
chen Sitz in Westphalen und .den Ludger als ersten
Bischof daselbst durch Karl den Grofsen. Das dritte
behandelt Ludgers Nachfolger in Mimigardevord bia
cur Entstehung des Klosters Ueberwasser gegen die
Mitte des eilften Jahrhunderts. Das vierte stellt da«
nun schon beginnende Münster dar bis zur vöMigeii
Ausbildung der Stadt dieses Namens unter Bischof Heiv
mann II. Das fünfte umfafst die letzten Zeiten der
Hobenstaufen im dreizehnten Jahrhundert. Das sech-
ste begreift das Jahrhundert von dem Antritt des Bi-
schofs Eberhard bis zur Errichtung des grofeen weat-
phälrschen Landfrioilens im Jahre 1372, woran sieh das
siebente Kapitel anschliefst al9 bis zum Tode des Bi-
schofs Otto IV. in der ersten Hälfte des funfzebnteli
Jahrhunderts reichend. Das achte umfafst sodann^die
letzten Zeiten des Mittelalters bis zum Anfange der
Religionsunrubeii'in Deutschland im Jahre 1522.'
Einfach und klar sehen wir hier aasetttandergesetat^
iras es mit dem Doppelnamen der bischöflichen Stadt
eigentlich für eine Bewandnifs habe» Denn die 4>ok»'
lität des heutigen Münster führte ursprünglich den Na-
men Mimigardevord^ welches auf dem rechten Ufer der
Aa, eines Zuflusses zur Ems^ liegend wahrscheinlich die
Malstätte von dem umherliegenden grofsen tfächsischen
Drein - Gau -bildetcf, und eben dort fiand auch die An-
läge des bischöflichen Sitzes statt, welcher sich da-
selbst immer erbalten hat. Damm nannten sieh' auch
die Vorsteher der dortigen Kirche an der Fürth .Um
den Flnfs lange Zeit nur Bischöfe von Mimigerdetord^
907 Erhan^dy G » » e A
bis der smieiifiieiida' Anbau der jenseit desFlufset lie^
" ^nden Oegeod hieriii eine AeDdeteng berrorbraolite.
Die EittstebuDg zuaammeDbftDgeiider fester AoBiedlttn*
^11 in dein «ogenaimten Ueberwaeser (frans aquani) und
4iö Erriobtang einer eigenen Pfarrkirobe f&r die dor<-
tige BeTdilcening ddrcb den Bisebof Hermann L gegen
die Mitte des eilften Jabrbnnderts ist für die Ausbii-
dnng der Stadt Munster und färdie bisterisch-topogra-^
pbisehe Kenntnirs derselben ton Entscbeidnng. Denn
das mit jener Kircbe zngleicb gestiftete Nonnenkloster
oder Münster (monasterium)^ welebes gleicbsaui den
Kern der neuen Stadt bildete, gab anch Veranlassung
za einem neuen Namen -für dieselbe.^ Man nannte sie
die Stadt „bei dem Munster" und so wurde Münster
allmählig Eigenname .der Stadt. Als dann später auf
dem rechten Ufer der Aa sich die städtiscben Ans'ied-
Jungen mehrten, wurde der Name Münster auch auf
diese übertragen und wenn die bischöfliche Burg auch
noch lange Zeit den Namen Mimigardevord behielt, so
nahmen doch selbst die geistlichdn Oberhirten bald ge-
nug den Namen als Bischöfe^Yon Münster .an, der seit
dein zwölften Jahrhundert die ältere Bezeichnung gant
Terdräugt hkt. Bei der topographischen Geschichte der
^tadt bat der Verf, oft Gelegenheit gefunden, die An-
^ben in dem- bekannton Wetke Ton Wilkens über die-
aon Gegenstand zu berichtigen« Wir erbalten aber auch
tttgleieh in dem folgenden Abschnitt eine Geschichte
der Verfassung der Stadt, soweit es die dürftigen Nach-
richten darüber zulassen, und da nun bei der Gestal-
tung eines gefstlieheo Gebietes seit der Zeit der säob-
•iscben Kaiser und bei der Entstehung von Territorial-
4errsehaften in Deutschland im dreizehnten Jahrhundert
sich ein eigenes Fürstenthnm Münster bildete, dess'en
Prälaten unter dei^ norddeutschen Fürsten keine un-
wichtige Stelle einnahmen, so ist dabei nicht minder
auf die Entwickelung der laudständischen Verfassung
flberall genügend Rücksicht genommen. Ganz beson-
ders aber mag darauf hingewiesen werden, was der Vf.
fiber die RechtsTerfassuqg in diesem Theile von West*
phalen beibringt, wie auf S. 1Q2 u. 172 u. flgg* Denn
, aus der ^flösnng der alten Gauverfassung ergab' sich
die Bildung von Freigrafschaften und Gografachaften,
und daran scblpfs sich wieder die Ausbildung der be-
kannten Febmgerichte, welche hier ihre wahre Heimath
. haben, sich durch die Errichtung des grofsen westphlU
tischen LandAriedens in der zweiten Hälfte des vier-
Mhsten Jahrbunderls über eiilen grofsen Tbeil von Nord»
dentschland verbreitetea and sieh in tkrea^ letzten Spo*
ren in Westpbalen bis auf die neuere ^eit erhalten
haben. Die dahin gebdrigen Arbeiten von Wigand,
Ledebur und andern finden sich überall benutzt*
Gleich allen Jibrigen bbehöflichen Städten Deutsoh-
lands erlangte Münster zwar von seinen geistlichen Fäi>
sten mancherlei Vorrechte, doch ist es dieser .Stadt pie
gelungen 9 sich zur völligen Reicbsfreibeit emporzu-
schwingen. An Streitigkeiten aber der Bischöfe mit der
Stadt und mit den Landständen überhaupt hat es nicht
gefehlt, und diese so wie alle andern Fehden der Bi»
schöfe mit den bcäacbbarten geistlichen und weltlichen
Fürsten sind, so weit. sie das allgemeinere Interesse in
Anspruch nehmeil und auf die Entwickelung des bür^.
gerlichen und politischen Lebens von Einfiufs waren,
dem Umfange des Werkes angemessen bel^ndelt wojr-
.den. Dem Zustande der wisseoschaftlicben Bildung
und der' allgemeinen Kultur jenes Theiles von Deutsch-
land mit steter Rücksicht auf das Münsterland in den
letzten Zeiten des Mittelalters ist am Schlüsse des
achten Abschnittes noch besondere Beachtung geschenkt
worden.
Von den noch sechs übrigen, der neuem Zeit dir
münsterscfaen Geschichte gewidmeten Kapiteln um-
fafst das neunte zwar nur die kurze Zeit von dreizehn
Jahren von 1522 bis 1535, bis zum Umsturz der Wia-
dertäufer-Herrsehaft, er schildert aber grade die Zei^
in welcher. Münster in dem Zeitalter der ReformatiO|i
auf eine beklagenswerthe Weise sich eine welthistpri-
sehe .Bedeutsamkeit zu erringen vermocht bat, und
die dadurch hervorgerufene. Reaktion im geistigen Le-
ben bat sich leider in ihren traurigen Folgen noch
bis jetzt erbalten. Auf jeden Fall gehört dieser Ab-
schnitt über die Ausbreitung und Herrschaft der Wie-
dertäufer in Münster zu den tretflichsten und lehrreich-
sten Partbien in diesem Buche. Auch hat der Verf»
mit Recht darauf hingewiesen, wie ein Oppositions-
geist gegen die geistliche und weltliche Herrschaft
schon in der Zeit des Mittelalters sich von Italien aus .
nach Deutschland verpflanzte, und nun ^dort in der
Verbindung mit der grorsen religiösen Bewegung die
eigenthfimliche Erscheinung jener fanatischen Sekte
hervorgehen liefe. Wie die Stadt Münster dadurch
nach dem gewfiltsamen Sturze jeuer Sekte an ihren
Rechten im Verhältnifs zum Bischöfe verlor, und wie
»59 ,
E p imr dy O m M c A i
trotK Oiet i Wirnftmkdt der Jesniteo, die hier eiafa
ihrer ersten Sif^e la Norddeatsohland fanden^ deoh
üiaBoherlei NacbwirkuDgen jeDes sohw&rmeriscbeD Gei^
fites erfolgten, xeigt das zehote Kapitel, das die Zeit
der Mitte des secfazehnten Jahrhunderts umfaftt. lo-
dessen die Stadt blübete wieder anf und wnfste auch
Ton ihren irühern Rechten manches wieder zu gewin-
nen, so .dars sie noch später einen Kampf um ihre
Selbstständigkeit mit ihrem geistlichen Oberherm un-
ternehmen konnte« Und doch waren die nächst folgen-
den Zeiten vom Jahre 1585 bis 1630, welche das eilfte
Kapitel behandelt^ yegen der allgemeinen Gtibrung in
Deutschland und wegen der sich aus ihnen entwickeln-
den blutigen Kriege keineswegs gttnstlg fiir die Ge-
staltung eines frischen und selbstständigen Lebens«
Die Herrschaft der baierschen Fürsten daselbst als
Bischöfe, wie des Herzogs Ernst und dann des Hod-
sogs Ferdinand- in jener Zeit trug dazu bei, den stren-
gen Katholieismus zu befestigen, während in allen um-
liegenden Gebieten -die evangelische Lehre sich befe-
stigte und bei der Lage des' miinsterschen Ciebietes
auf der Grenzmark Von Deutschland und den Nieder-
landen hatt^ die Stadt von den Yerbeerungen des
dreifsig ährigen. Krieges und des niederländischen Frei-
heitskrieges auf gleiche Weise zu leiden, bis ihr der
günstige Umstand, einer der Sitze des grofsen Frie-
denscengrssses zu werden, eher eine Erholung als man-
chen andern Städten und Landschaften Deutschlands
■
gewährte.
Von ganz besonderem Interesse ist sodann der
zwSlfte Abschnitt, welcher uns in der zweiten Hälfte
des siebzehnten Jahrhunderts die merkwürdige Regie-
rang des Bischofs Christoph Bernhard yoti Galen vor-
fuhrt. Zwar erreichte das Münsterland unter diesem
tüchtigen aber auch von manchen Leidenschaften be-
eAt^Jfünstsr's. 960
berrechten Mann einen Gi|lel von poUtischer GrSte
mid Ansehn, wie es kaum eiaem andern geistlichen Ter-
Titorium Deutschlands gelungen ^sd, aber es vajrd dies
auch durch tb/sure Opfer erkauft. Die Stadt selbst ver-
mochte gegen den kriegerischen Prälaten niioht die von
ihr erstrebte Reicbsfretheit zn erringen und die Einmi-
schung desselben in die damaligen Weltbändel und.
seine Eroberungsplane im Bande mit Frankreich gegen
die Republik Holland schlugen dem Lande tiefe Wnn-
den, die nur erst spät gebeilt «ind. Es enthält dieser
Abschnitt die wichtigsten Beiträge zur nähern Kennt-
nifs der deutschen, französischen und hoiläadischen
Händel zur Zeit Ludwig's XIV. und des grofsen Kur«»
fürsten von .Braadedburg, so weit Münster an den-
selben Antheil nahm. Je mehr aber das Münsterland
in der letzten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts
in der allgemeinen Geschichte sich bemerkbar macbt^
um so mehr tritt es auch seitdem zurück und ver-
schirindet gleichsam für dieselbe. Denn während der
Zeit des achten Jahrhunderts hörte es auf einen ei-
genen deutschen Staat zu, bilden und stand bis zn sei-
ner Säkularisation vom Jahre 1719 bis 1802 unter der
Herrschaft der drei letzten Kurfürsten von Köln,
worüber der dreizehnte Abschnitt handelt. Aber was
das Land an äufterer Selbstständigkeit verloren hatte»
das gewann es an innerer Ordnung und Bluthe unter
der Verwaltung des ausgezeichneten Domherrn. von
Fürstenberg, dessen Thätigkeit für .die innere und
äufsere Wohlfahrt des Landes den Gegenstand emer
der interessantesten Farthien in diesenii Buche a^
giebt. Eine kurze Schilderung von dem Zustande und
den Schickaalen des Landes in Folge sdner Säkular^
sation bildet das Scblufakapitel dieses Werkes«
Ferdmand Hüll
A n 2 ei § e b 1 a t t
2 u d e n
dchern für wissenschaftliche Kritik.
^
M»fVfwtf>*^»*<*i^i%m»»w>wA»»
(Zweites Semester.)
J^ 1.
' »«1
.Im:.fwli|[e TOD Dancker and -Hnmblot In Berlin ist
iK|tw fMbiencn nnd doroh alle ßuchhandlimgen su bezieben:
j^M^t^jp^ische und theologische Vor-
t:^*Ä^ lesungen.
: f.* ^« ** ' V'lr ; Heranngegeben von
Dritter Bnnd.
^fUiMn vnter dem besonderen Titel:
^/ij^i^ Vorlesungen
fii^^S^^jjralegoi^ ziir theologischen Moral
i* ^v« J'^-wSMwer die Priiicipien der Ethik.
- %
^AiflM^^AeiHS^s und Diitenberger.
ptionspreis bei Abnahme den Ganzen
SThlr. Einzeln V/^ Thir.
S
•• •
t^^m eben erschienen und durch alle
^ bestehen': f
ichte
ühriindT der Reformation
in': die
C. W. ^pieker,
nnd Tbeolpgie.
Preis V« Tblr.
: rX* •^^^^^j'^ "^^ demselben Verlage ^erschienen:
4V i''*^ Deutsche Geschichte
r''*Viik'S^italter der Reformation.
Fyjp^^j.W'. Von
H * i V Leopold Bunke.
^T \. '^ Tb«l 1 wA ». f. ö» P«^i» 5Vi Thlr.
I
r
1
Deutsches Wörterbuch
Ton
den
Grimm,
Durch häufige Anfragen Teranlafst^ halten wir es für Pflicht^
über den Stand des im vorigen Jahre vorläufig angekündigten
Unternehmens einige Nacluricht zu geben.
Der gänzlich neue Aafbau des Wörterbuches und die aufser-»
ordentliche Mense von Vorarbeiten, die dazu erforderlich sind,
machen es unmodich,^ so bald durch Ausgabe eines Bandes oder
einer Läeferung Beweis von der Thätigkeit zu geben, mit wel-
cher Herr Uofrath Jacob Grimm~ und Herr Prof. Wilhelm
Grimm' die Förderung des grofsen Werkes betreiben. Gegen
fünfzig Mitarbeiter haben sie mit dem Sammeln des Stoffes aus
allen Hauptwerken der deutschen Literatur von Lutner bis Goe-
the beschkftifft, und der gröfiste Theil wird bis Ende dieses Jah-
res in ihren Händen sein. Wenn erst alles Material beisammen
isty. und die Bearbeitung für den Druck begonnen hat> so wird
auch mit diesem der Anrauff gemacht werden, und er wird dann
ohne Unterbrechung rasch fortschreiten,
. Wir hoffen bara eine nähere Nachricht Über das Wörterbuch
Sehen zu können. Aus gegenwärtiger wird man sehn, dafs die
LUitfohrung ,des Unternehmens unzweifelhaft ist, und so rasch
betrieben wird, als die Gröfse desselben zuläfst
Leipzig im Jtani 1839»
Weidmann^ MC Jie BucAAandlung.
K. F. Becker's Weltgeschichte*
Siebente, verbesserte und vermehrte Ausgabe«
Zweiter Abdruck.
Herausgegeben
J. W. LoeöelL
Mit den Fortsetsnngen
von 'J. O. WoUmmnn und K. A» MenxeL
14 Theile. gr. 8. Ladenpreis 12 ThIr.
Berlin, bei Duncker und Humblot.
Wir zeigen dem )PubKknm hiermit an, dafs,^ wie friiberhin
von uns bekannt gemacht Worden ist, der Snbscriptionspreis fttr.
' Becker's Weltgeschichte seit dem 1. Juni aufkehört und der im-
* mer noch sehr wohlfeile Ladenpreis von 12 Ktblr. fdr das Ganze
von 350 Bog. eingetreten isti Ucber Werth u. Inhalt des Wer-
kes bringen wir Folgendes in Erinnerung. Die ganze Literatur
hat kein Werk aufzuweisen, dessen Zweck es wäre das Ganze
der historischen Entwickelung, die Ausbildnni^ des Menschem-
schlecfats in allen Sphären, vorsugsw^eise aber im Leben der Völ-
ker und Staaten, auf bequeme und übersehbare Weise zu leben-
diger Anschaaung lu bringen. Aus diesem Gesichtspunkt haben
Becicer und die neuem Bearbeiter ihre Aufgabe anfgefefst. Sie
halten sich gleich weit entfernt von der langweiligen unüberseh-
baren Breite der ftlteren Weltgeschichten wie Ton dem dUrren
Vortrag« der Compendien, sie sind entfernt, die Ereignisse und
die Thaten so sie die, welche dieselben ausgeführt, meistern zu
wollen, sie lassen eben die Thaten geschehen und die Individuen
handelif; sie nehmen keine Partei, sondern stellen Absichten und
Zwecke der Parteien im Interesse der Wahrheit heraus und su-
chen den Leser mitten in die Ereie:nis8e zu führen, den Gang
der Entwickelung deutlich zu machen. Wie bedeutende Fort-
schritte in dieser neuen 'Ausgabe zur Yollendune der schweren
Au^be, ein treues und lebendiges Bild der Weltgeschichte zu
geben, |;emacht sind, wie viel aieselbe in Hinsicht auf histori-
sche Genauigkeit, Vollständigkeit und tiefere Auffassung der
Charaktere und Zeiten gewonnen habe, ist von der Kritik durch
ihr Urtheil, vom Publikum durch seine Theilnahme an den Tag
gelegt worden, und wenn das Becker^sche Werk einer Seits als
historische Encjclopadie benutzt werden kann^ so hat es andrer
S^its vor jedem Lexikon den Vorzug, dafs es die Ereignisse und
Personen ihrem Zusammenhange nicht entreifst, vielmehr diesel-
ben im Lichte der ganzen Entwickelung zeigt. Ueberall sind zu
diesem Zwecke die neuesten Forschungen sowohl über kleinere
als grofisere Theile des historischen Gebietes benutzt und in das
Ganze verwebt worden, so dafs fiich die Biscker'sche Weltge-
schichte durchaus auf dem Niveau des wissenschaftticben Stand-
punktes befindet, welcher somit durch die ansprechende und le-
bendige Form der Darstellung auch deni gröiseren Publikum, sa
wie 3er sich lieranbildenden Jugend zu Gute kommt, und ans
dem engeren Kreise der gelehrten Forschung heraustretend all-
Eemeines Besitzthum wird. — Diese Weltgeschichte, deren äu-
rere Ausstattung gewifs jeder Anforderung entspricht, ist zu
dem oben angegebnen Ladenpreise in allen Buchhandlungen
zu baben.
Duncker und HtanNot.
Bei Gerhard Fleischer in Dresden ist erschienen ond
in allen Buchhandlungen zn. haben:
Dr. C. O. CaruM^
System der Physiologie.
% TheU. gr. 8. 3 Thlr. 12 Gr.
' Dr. H. Häsery
histarisch- pathologische
Untiers uehungeiL
Als Beitrag zur Geschichte der Volkskrankheiten,
1. Theil. gr. a 2 Thlr.
Dr. Karl Sneilj
philosophische BetrachtUDgen
der Natur.
8. 18 Gr.
■ -
Bei J. E. Seh au b in Düsseldorf ist so eben erschkneii «nd
in* allen Buchhandlungen zu haben:
Münchhausen. :'^* .•
Eline Geschichte in Arabesken^ ./ .;t;
Ton
Karl Immermann.
1. Theil. 458 Seiten in 8. auf feinem Maschinen-VAte»
elegantem Umschlag geheftet. 2 Thbr. 10 %f «i >, *
2. Theil. 352 Seiten upd XI. Preis 2 Thlr.
.*'•••
••••/j
Auch unter dem Titel:
Karl Immermanrii ScArf^fefvT^'j ' .' '{•
8r. »: 9r, Band. .'!»V*:'!.'.-r
Der Nachkomtne des bekannten Erzähler«,^ vetch^^i' dßj
sem neuesten Werke Immernmnn's auftritt, nimmt s'mb mit'l
lungen nicht, wie sein Ahnherr, hauptsächlich aus' 'dem JA
der Jagd- und Reiseabenteuer, sondern mehr iiu^^denf G^it<
der moralischen Welt „In diesem ErzwindbeuCel«*n9^t€|]i*
„Herr einmal alle Winde des Zeitalters, den Spet^^mMi;
„nung, die kalte Ironie, die gemUthlose Phantasterelj^'^^^'^
„menden Verstand einfangen wollen, um sie eine L,
cemacht zu haben.^^ Indessen versteht sich für dijB|.
Verfasser der Epigonen näher kennen, von selbsi|*Jam/<
neinenden Tendenzen gegenüber auch das BlelU|mymd'
hafte der Zeit, und zwar um so deutlicher, je W^fp^]
gezeichnet sind, in diesem Werke seines Stelle fiiVfwL*^ -
■ • fc • ^
Im Verlage der B u c h h a n d 1 n n g des W 9i\%4igk%\
Halle sind im Laufe des Jahres 18(S ersehienei^/qiJL M „
Buchhandlungen d^s In- und Auslandes sn bestf&ttll^/T
Bibliotheca Scriptor« Lat
cnris Tiroram doctoran- emendai« ei c
stracta, consil. G. Bernhard/ ins
Mard Tullii Ciccronis libri. Tom L Bi:i
Mey-er contin. 8 maj.
Ist • V >i<^
Horatius ein kleiner Dicli|ifei"V '
Ein Beitrag jsnr CharaVteriaiik des
Von
Dr. R. Hanßw.
4. 10 Sg*. (8 Gr.)
Des
güldenen Scha t zk äst'.M-fn^ft
erster und zweiter Theil in eins geh^ht,^*^
ond zvL einem -biblischen Gebeibnche über alle.iOTiii
findliche Sprüche der heiligen Schrift ^gerl^uy^t,
es auf alle Morgen und Abend des ganseii^.Jsfuft. WÄ
gebrauchen^ Ton H. v. Bogatck;^. gr. 8. . i?i5f'^^*Vf
nptions-Pn)is 1 Thlr. 5 Sgr. (1 Thlr. ^'JS^ ^ ;? \
Sobscripti«
^mm
• • ■
5 • ■ - -
»
DeMelbm Ver&ssera
■
Tägliches
£bus-Bach der li[inder Gottes^
bttif^eni. in erbanlichen Betrachiani^a und Gebeten aaf
:ntt#*7^^ ^^* g9Uen Jahres,, aber die im güldenen
!S^tai](]kSetlein befindlichen biblischen Sprüche, in 2
9«n4ea'.* . 4.
it. Bf&i: Subscr.-Plrei3 ^ Thir. 7'/» Sgr. (2 Thir. 6 Gr.)
t •
; •;: Beiträge
zulr EHüleitung in die biblischen Schriften.
• V-*, Von
» • ♦
%a ' Dr. JT. Jt. Credner.
1 i . 2r. Band.
, - ^ • ♦ • ••
||^^. ;>1(9aa aliieetameniliche UreTangeliam.) ,
^ ^'* \ ipr- * * Thir. 20 Sgr. (1 Thir. 16 Gr.) .
'tMe Band (Die ETBDcelien der Petriner oder Joden-
i/^ ^M^lea 1832, aad kostet 2 Thir. 7% Sgr. (2 Tblr.6Gr.)
r V^* dq^lben Verfasser erschien ebenfiüls in ansenn
*\7.'?^ Der Prophet Joel,
_ *,4 1*4 ' I "til^wetzt und erklärt
% • •
*
I . ^ f--* Hülfsbuch
l* j ' r IHr den
'^At^esdienst der Gymnasien^
f.
; '1^1^' einer einleitenden Abhandlung.
, Von
Dr. A ji. Damel,
(Uhrtr tm KlaigL PMagtgiuB sa H^O
gr. a i TUr. 20 Sgr. (1 Thir. 16 9r.)
Inhalt: \
1^ P^eti*scher Theil. Geistliche Lieder und Dichtonren.
'Seit^ 1-^138. II. Prosaischer Theil. Erster Ab-
:»^aUt< Schalgebete. Seite 141^282. Zweiter Ah •
s^hpitt- Lungere und künere religiSse Vortrüge für höhere
aeholea. Seite 283—528. 1) Ohne nähere nnd spedelle Be-
siehang aaf Veihältnisse dea Natar-^ Kirchen- oder Schn^ahn.
2) VortrSce für besondere Zeiten des Natnnahrs. 3) Vov»
träge für besondere Zeiten d^ Kirchenjahrs. 4) Vorträge' ffir
besondere Verhältnisse des SchaüeheDs/ .
Gebete
für christliche Volksschulen,
nebst einem Anhange
Ton
(Schnllelirer in Hdbn bei Eifleben)«
Mit einem Vorworte
vom
Consiatorialratb Prof. Dr« Tholuck.
8. 11 «A Sgr. (0 Gr.)
Inhalt: 1) Gebete bei dem Anfange der Schule. 2^ Gebete zam
BeschlnCi der Schale. 3) Gebete bei öffentlichen Schalprfifan-
gen. 4) Festgebete. Anhang: 1) Morgengebete. 2) Tisch-
Sebete. 3) Abendgebete. . 4) l^ige Lieder bei dem Tode and
legräbnisse.
Geschichte
der evangelischen Missions - Anstalten
nn Bekehrang der Heiden in Ostindien.
Herausgegeben Ton -
Dr. EL A. JVümeyef»
83. and 84stes oder 7ten Bandes Utes und 12tea Stack. 4.
1 Thir. 12V, Sgr. (1 Thir. 10 Gr.)
Lehrgang des Unterrichts
im deutschen Styl
f&r Lehrer an mittleren nnd höheren Bildnngaan-
ataiten der weiblichen Jagend,
Ton
JT. Günther*
. gr. 8. 1 Thir. 15 Sgr. (1 Thfar. 12 Gr.)
Junker^s Exempeltafeliif
das ist:
144 Tafeln mit beinahe 2000 abgesondert atis-
gerechneten zweckmäfsigen Exempeln.
Ein nnentbehrlichea Hülfsmittel beim Reehennnter* ,
rieht in Vollcsschulen. '
6te Teibesserte Auflage. 8. 20 Sgr. (16 Gr.)
8
Dieselben Tiieln *
für die Preufsi^chen Staaten»
2te TerbeMerte Auflege. 8. 20 Sgr. (16 Gr.) ,
Du Junius JuTenalis Satiren.
Uebereetst uud erläutert
Toa
Dr. W. E. ¥Vebery
(Professor and Director der Gelehrtenaclmle za BremeD).
^. 8. 2 Thlr. 10 Sgr. (2 Thlr. 8 Gr.)
' Gesangbuch
für höhere Schulen und Erziehungsanstalten,
von
Dr. A. H. Niemeyer.
Zwölfte (von Dr. H. A. Damd) nmgearbeitete Auflage*
8. 12V, Sgr. (10 Gr.)
Anleitung für Volksschullehrer
sum richtigen Gebrauch der
Geschichten und Lehren der heiligen Schrift
alteii und neuen Teetaments.
Von
Fr. Kohirau^eh.
Mii einer Vorrede
von
Dn Aug. Herrn. Niemeyer.,
Vierte Terbesserte Auflage, gr. 8. 227« Sgr. (18 Gr.)
Lucian's Traum ^ Anacharsis^ Demonax^
Timon^ Doppelte Anklage und Wahre
Geschichte.
Für den Sehulgebrauch init Einleiinngen und erkUrepden
Anmerkungen rersehen
von
Dr. iP. Cr. Sehoene.
(Oberlehrer am Domgymnasinm tu Halberstadt)
Mit 1 Kopfertafel. gr. a 1 Thlr.
Lehrbuch der Mathematik
für Gymnasien und Realschulen,
nebst Tiden Uebungsau^abei» imd Exeorscn,
von
J. H. T. MMer.
Erster Tbeil, die gesummte Ariibmetik enthaltend«^
gr. a 1 Thlr. 20 Sgr. (1 Thlr. 16 Gr.) *. * 4
«
Kommentar über die Genesis«' *
•• • .
Von
Dr. Vr. Tueh.
gr. a 3 Thlr. 7'/, Sgr. (3 Thlr. 6 Gr.) ^ ' \
Im Verlage von G. P. Aderholt in Breslaa ist so%^en
erschienen : . ^ * * ' ** *
• ft.
Bellmann, Dr. C« Fr. A.. de Aeschyli temidne
metheo libri duo, quomm iino vinötuu A«
. Prometfieum e temione fragmentum esse.^emqn
tur, altero 'ejusdem Promethei cum igni^m ^c
Into plurimis indiciis certiorfbus compositio ittitil
tur adjectis Praefationibua fragmentis. 8 01*1^/ .I^T
Frejtag, Dr. 6., de Hrosuifha Po^tria 8criW«j1
Comoediam Abrabaih inscriptjim adjecit.^ 8 Biä{# &
Hempricb, Dr. C, die Eisen^ellen »a tfifkPftsi
der Grafschaft Glatz^ iii iilij 1 ili nlim lii>|fifct iniyr
nischer Hinsicht dargestellt. Zpweite umgetf^beif
Auflage. Mit einer Ansicht gr. 8. gMR; 1^ Gj
Schneider, Dr. K. F. H., der preufsisch^ Staat
geographischer, statistischer, topographbcl
militainscher Hinsicht. Ein Handbuch fät
ein Hülfsbttch' fiir jeden Stand. Dritte unigi
Auflage, gr. 8. 1^ Thlr.
I •
a
Bei F. Schuster in Hevsfeld sind erschienen wd
alle Buchhandlungen zu haben: 7
Fflrstenau, Dr« G«, de camiinum aliquot Hdrafilai|
rum chrodologia. Diasertatio. gr. 8. -^ Iw. *.
Piderit) Dr. C. G., de Hermagora rhetore. Dinsel^
tatio inauguralis. gr. 4. | l!'nlr. ' f
Vt>lkmar, Dr. G., de verbi leModi natura atqne pr^
^enie^ prae^iipua yerbonun relegeodi et religendi rs-
üone habita commentatio kxiiogica. gr. 8. | Thlr.
i*»Ai
A n z e i g e b 1 a 1 1
z 11 d e n
Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik.
1839.
^^^i»#<»*\^H<^^i»iJ^MWO^^P#
(Zweites Semester.)
Ji^%
m
Im yerhi|;e tob Dnncker und Hamblot in Bertin ist
so ebeB eiacbieBen bb4 durck «lio BuehhsBdlnBgeB sn erbaltea :
ApfiorisBien aas Theodor Parow*s Nachlafs* Heraus-
gegeben von £. Mätzner. gr. 8. f Tblr«
Borinann, über orthographischen Unterricht, gr. 8.
geb. i TUr-
Heussi, Jac, <ye Experimental-Physik, methodisch
dargestellt. Ir Cursnf, 2te rerbesscrte Aufl. Mit
88 eingedmckten Holzschnitten, gr. 8. | Thlr.
JaibfBiicher des deutschen Reichs unter dem Säcbsi-
' sehen Hause. Herausgegeben von Leop. Ranke«
. I. 3. Abtb. Konig und Kaiser Otto der Erste, 951
I bis 973 von W. Dönniges. 1 Thlr.
»ihT^in, J., Beispi elsammluog EU der Lehre von den
r Figuren und Tropen in Tb. Ueinsius Teat. 8. ^ Tbl.
4ftti^itei«ieke, Dr. Pb., Predigt am hundertjährigen
« ICirchweibfest der Dreifaltigkeitskirche zu Berlin,
'^«b« h äept. 1839. I Thlr.
rrenTlB, J. D. E«, Friedrichs des Grofsen Jugend u.
. f) TJironbeateiguDg. Eine Jubelschrift, gr. 8. 2^ Tbl.
»
♦
Tto Ferlnffe von DoBcker Bsd Hnmblot ib BerliB IsCvor
uiiEem eracbienen uDd durch alle Buchhandlungea za bezieheB:
• Dr. Karl DauA's
^flosophische und theologische Vor-
lesungen.
HeransgegebeB tob
' JUarAemeJke pnd Dütenberger.
Dritter Band.
Auch eiDzela unter dem besonderoB Titel :
Vorlesungen
■
iiber die Prolegomena zur theologischen Moral
und über die Principien der Ethik.
HeransgegebeB vob
Marheineke und Diitenberger.
CT. 6. Sttbf criptionspreis bei Abnahme des Oanzea
2Tiilr. EiBselB ^V« Tlilr.
In demselben Verlage ist so eben erschienen ond durch alle
Buchhandlungen zo beziehen:
Geschichte
der Einfährung der Reformation
in die
Mark Brandenburg.
Zur dritten Säkularfeier
am 1. November 1839
von
C. W. Spieker,
Dr. der Pbilosopfaie and Theologie.
gr. 8. geh. Preis »/« Thlr.
Die anterzeidinete Buchhandlung erlaubt sich auf folgende
in ihrem Verlage erschienene
Vnterrlehtsbftcher
aufmerksam za machen, welche bereits wef^n ihrer Brauchbar,
keit in viele hiesige und auswärtige G^'mnasien und Schulen ein-
geführt worden sind:
Dielitz, Tb., Grundrifs der Weltgeschichte fiir Real-
schulen und die mittlem Gjmnasialklassen. 2te ver-
besserte Auflage. ^ Thlr.
Pisobon, F. A., Leitfaden zur atlgem. Geschichte
der Völker und Staaten. Ister Tneil. Geschichte
des Altert bums. 2te verbesserte Auflage. ^ Thlr.
Dasselbe Zweiter Theil. Geschichte des Mittel-
alters. 2te verbesserte Auflbge. ^ Thlr;
— — Dasselbe Dritter TbeiL Geschichte der neuem
Zeit I Tblr.
Als llandbuch fHr Lehrer, welche den Leitftiden beim Un-
terrieht zum Crfunde legen, erschien vob demselbeB Ver-
fasser:
Lehrbuch der allgem. Geschichte der Vcflker und StaatoB.
ister Theil. Geschichte des Alterthnms. ly, Thlr.
Roon, Albr. v., Grundzöge der Erd», Völker- und
Staatenkunde^ ein Leitfaden fiir höhere Schulen, zu-
nächst fiir die Köoigl. Preufsischen Cadetten-Anstal-
ten bestimmt. Mit einem Vorwort von E. Ritter.
In 3 Abtbeilungen. 2te ganz umgearbeite Auflage.
Erste Abtiieilong: Topische Geographie, l'/i Thlr.
Zweite Abtheilung: Pliysische^ Geographie, i*/^ Thlr.
(Die dritte Abtbeilang : Politische Geographie, wird in Kor-^
zem erscheinen.)
Heinsitis, Dr. Tb., kleine theoretisch-praktisobe deut-
sche Sprachlehre fiir Schulen und Gymnasien. 13te
yerbe^serte Ausgabe. 4 Thir.
— — Der Redner und Dichter; oder Anleitung zur
* Rede- und Dichtkunst. 6te verbesserte Ausgabe.
I Thlr.
Kehrein, Jac, Beispielsaminlung zu der Lehre yon
den Fiiraren und Tropen in Th. Heinsius Teut.
iThlr. ^ *
Kaiisch, E. W., deutsches Lesebuch. Erste Ab-
theilung. 2te Aufl. 4 Thlr. Dasselbe. Zweite Ab-
theilung, f Thlr.
Waokernagel, Dr. K. E. P., Auswahl deutscher
Gedichte für höhere Schulen. 3to vermehrte Aus-
gabe. 1^ Thlr.
Pischon, F. A., Leitfaden zur Geschichte der deut-
schen Literatur. 5te verbesserte Ausgabe. ^ Thlr.
Frings, AT. J. kleine theoretisch-praktische Gramma-
tik für Schulen und Gymnasien, f Thlr.
Herrmann, F., Lehrbuch der französischen Sprache
fdr.deU Schul- und Privat- Unterricht. Enthaltend:
1) Eine französisch-deutsche Grammatik der franzö-
schen Sprache, mit Uebungen zum Uebersetzen in's
Deutsche und in's Französche. 2) Ein französisches
Lesebuch mit Hinweisungen auf die Grammatik und
Wörterverzeichnissen. 4te verb. Aufl. | Thlr.
— — neues französisches Lesebuch; oder Auswahl
unterhaltender und belehrender Erzählungen aus
den neueren französchen Schriftstelloru, mit biogra-
phischen und literarischen Notizen über die Verfas-
ser und erläuternden Anmerkungen. 2te verbesserte
Auflage. ^ Thlr.
Büchner, K., und F. Herrmann, Handbuch der
neueren französis^chen Sprache und Literatur, oder
' Auswahl interessanter, chronologisch geordneter Stü-
cke ^us den besten neuereu französischen Prosaisten
und Dichtern, nebst Nachrichten von den Verfassern
und ihren Werken. Prosaischer Theil. 2te durch-
weg verbesserte und vermehrte Ausgabe. 1^ Thlr.
— — Dasselbe. Poetischer Theil. 1| Thlr.
Beauvais, L. A., Etudes fran^aises de Littdrature
militaire, extraitcs des ouvrages de Fr^d^ric U., de
Dumouriez, de Jomini, de Gouvion Saint Cjr, de
la Rochejaquelin, de Dedon Tatn^, de Mathien Du-
mas, de Chambraj, de P. Ph. Sdgur, de Koch, de
Pelet, de Foy et de Gourgaud, dddiees k toos
ceox qui se vouent ä carriere des armes. | Thlr.
Herrmann, F., und L. A. Beauvais, Neues fran-
zösisches Elcmentarbucb, enthaltend: 1) Eine sy-
stematische Sammhing solcher Wörter^ die in der
Sprache des Umgangs am häufigsten vorkommen.
2) Kleine Gespräche über allerliand Gegenstände.
3) Eine Auswahl von Galiicismen und Sprichwörtern
in aiphabet. Ordnung. 4) Erzählungen für Kinder.
5) Der heilige Dreiköuigstag, Schauspiel in einem
Act, I Thlr.
Heussi, Jac, neues englisches Ledebuch, oder Samm-
lung prosaischer u. poetischer Aufsätze von den vor-
züglichsten neueren englischen Schriftstellern, nebst
einem Wörterverzeichnisse. Zum Gebrauch in Schu-
len und beim Privatunterrichte. | Thlr.
Heussi, Jac, die Experimental- Physik, methodisch
dargestellt. Ister Cursus. 2te - verbesserte Auflage.
Mit 38 eingedruckten Holzschnitten. | Thlr.
-— — Dasselbe. 2ter Cursus : Von den physikalischen
Gesetzen. Mit 5 Kupfertafeln. I^ Thlr.
Lehrbuch der Arithmetik für Schulen, Gymna-
sien und den Selbstunterricht. Enthaltend i eine
S rundliche und leicht fafslicbe, den Erfordernissen
er neueren Pädagoä;ik angdhiessene Darstellung des
Kopf- und ZifFcrrechnens, und deren Anwendung auf
das bürgerliche Leben und auf besondere Geschäfts-
zweige 4 Theilc 1^ Thlr.
Der dritte Theil auch mit dem besonderen Titel : Samm-
lung arithmetiBcher Aai^aben. Yi, Thlr. j
Lacroix, S. F., Anfangsgründe der Arithmetik. Nitcfi
der 17ten Originalaußgabe aus dem Französischen
übersetzt, und mit einigen Anmerkungen versebeiL
fThlr. ^ • .^
Lehrbuch der Elementar-Geometrie. Ne^^üBe»^
setzt und mit Anmerkungen versehen von L. Id^
1er. Mit 7 Kupfertafeln. 1| Thlr. ' ,,
Wilde, E. , Geometrie für Bürgerschulen und ß
untern Klasse9 der Gymnasien. Mit 9
fein. 1^ Thlr.
und fim
Kfpfer^fi
Hirsch', Meier, Sammlung yon Beispielen, Fonncla
und Aufgaben aus der Buchstabenrechnunxc und
gebra. 5te dorcligesebene Ausgabe. 1^ Thl^.
(Das Egen''8che Handbiu;h zu dieser Aufgaben-Saiiim6ii|
welches eine Zeitlang nicht vollstündi^ zu haben \rar, ij
jetzt in 2ter verb. Auflage -wieder zu bekommt. "
beider Bände 4% Thlr.)
l
Wöhler, Dr. F., Grundrifs der Chemie. Unorgani-
sche Chemie. 5te verbesserte Auflage. | Thlr. *
Heinsius, Dr. Th., Vorbereitung zu philosophischen
Studien. Für höhere Schulen und den Selbstunter-
richt
fThlr.
Schuldirectoren und Lehrern, welche eines oder das andere
der vorstehenden Biieher, Behufs der Einführung, näher prüfen
wollen, sind wir sehr gern erbötig, ein Exemplar zur Ansteht
zu überlassen. — Die Preise, welche zwar bereits sehr niedrig
gestellt sind, sollen bei Abnahme einer Partie Exemplare noch
ermäfsigt, auch für arme Schiller Frei-Exemplare beigegeben werden.
Dunerer und Humbtot.
Nr. 20. a. ist so eben erschieDoii und durch alle Bachbandlungen
ZQ tiezieheu:
Jahrbüchor des deatdchen Reichs unter dein Sächsi-
schen Haose. Herausgegeben ¥on Leop. llanke«
Dritten Bandes erste Abtheilong.
Aach aater dem Titel:
Kritische Prüfnnff der Echtheit nnd des historischen
Werthes des Chronioon Corbojense» Eme von der
historisch-philologischen Klasse der Königl. Sooietät
der Wissenschanen xu Göttingen im December ISSd
gekrönte Preisschrift von Siegfried Hirsch und
Georg Waitz. gr. 8. geh. | Thhr.
Bei Ernst Maaritiaa in Greiftwalde ist erschienen and
in allen Buchbandlungen za haben :
Plutarchi
Agis et Cleonnieues.
Recensnit annotationem criticam prolegomena et commentarios
adjecit
Georg. PrieiL Sc/ioemann»
8 nug. Preis V/^ Thlr.
B rann seh IV ei g bei G. Westermann ist erschienen:
Christenthum, das, des 19. Jahrhunderts. Zum Ver-
ständnifs der Straura'scben Griindansicbten. In Brie-
fen .an eine Dame. 8. in Umschlag geh. Preis IfThLr.
Die Tendenz dieser geistreichen Schrift, welche tief in die
Zustände unserer Zeit eingreift, bezeichnet der Verfasser selbst
Bo: „Es mögen diese Briefe, welche beabsichtigen, die Frauen
Ufff eine« bestimmten Standpunkt religiüser Erkenntnife zu stel-
kn und ihrem anbewufsten Umbertappen in dunkeln Ahnungen
«ti Ende zu machen, als ein Beitrag zur wahren Eman-
cipation der Frauen gelten etc. — Mögen Sie, schliefst er,
die tiefe Bedeutung erkennen, die^ gerade sie in der Geschichte
der Religion und des Menscliengeistes haben; mögen sie nie
vergessen, dafs diese Briefe ihren üäuden Gewalt
flbe.r die Zukunft anvertrauen!
Bei Oerhard Fleischer in Dresden ist erschienen und
in allen Buchhandlungen zu haben:
JV. N. W. Meißner y
Geschichte und Beschreibung
der
Dampfboote^ Dampfschiffe
und
Eisenbahnen.
Mit 10 Steindmcktafeln.
Preis IV, Thlr.
6
Bei den Unterseich neten ist sa eben ersclueneii) nnd ja allen
Bachhandlungen vorrUthig: ^
sive
Coulpendiuni Doctrinae Ethicae^
auctore AI-Gaxali Tusenai^
philosopho Arabam clarissimo^
de arablco hebraice conTersum
ab
Abrataamo bar-Cliasdai Baretnoneiiai, .
liber argumento lucalentissimus et oratione dulcissimus,
nunc primum ex tribns codicibus vetustis
Bibliothecae Senatus Amplissimi Lipsiensis
editus hebraicisque prolegotnenis instractus
a
•7. Ooldenthal^
Phiiosophiae Doctore AA. LL. Magistro Rabinatusque Candidato
Auch unter dem Titel:
Preis IV, Thaler.
Leipzig, im August 1839.
Gebhardt cf« Retsland.
Beim Beginn des neuen Semestern der Gymnasien sind nach-
stehende philologische Werke zu empfehlen, welche bei K. F.
Kohl er in Leipzig erschienen und in alfcn Buchhandlungen
«u haben sind.
An do cid 18 orationes quatuor, receosuit et lectiomim
var. inatr. Dr. C. Schiller. 1836. ^ Thb-.
Aristophanis comoediae. Emendavit et luterpre-
tatus est Fr. V. Pritsche, Prof. Tom. I. Thesmo-
phoriazusas continens. Adiecta est commentatio
de Thesmoph. comici poBterioribus. gr. 8. 41 Bog.
1838. 3^ Thlr. (Tom. ll. unter der Presse.)
Caesar! s, C. Jul., Commentariorum de hello Gallico
libri VIII. Grammatisch -historisch erklärt Ton Dr.
Ch. G. Herzog. 2te Aufl. ffr- 8. mit einer Chatte
von Gallien Von Reichard. 1831. 3 Thlr.
— — Commentariorum de hello civili libri III. Gram-
matisch, kritisch und histor* erklärt tob Dr. Ch. G.
Herzog.' gr. 8- 2^ T^lr-
Cioeronis, M. T., orationes selectae. Vol. I. contin.
orationes pro Q. Ligario, pro rege Deiotare,^ pro
Archia poSta. Mit kritischen und herichti^enüeniAn«
u^erkungen von Dr. ۥ Benecke, gr. 8. 1836. |Thl,
CieeroBi«, M. T., oratio de inporio Cn. Potn-
" peil. Ad o^tomorum Godionm fideui einend, et ii>-
terpretat. alionim et suis esuilaoavit Dr. C. Be;ie«
cke. gr. 8. 1834. 1^ Thlr.
de oratore libri tres ad Quintam fratrem.
Kritisch bericlitigt und mit Comtnentar beransgegeb.
von Dr. K. G. Kuniss. gr. 8. 1837, 3 Thlr.
Lucianus, ex recenaioBe Dr. C. Jacobitz. Acce-
dont 8cfaolia auctiora et emendatiora. III. Vol. 1837
— 38.gr. 8. 9 Thlr. Charta velina. 11 Thlr.
Luciani scripta selecta in usum scholaniin ed. C.
Jacöbitzius. Toi. 1. insunt: Somnium, Nigrinus,
Timon, Prometheus, Deorum dialogi, Mortuorom
dialogi, Charon, Yitarum auctio, Piscator, Cataplus,
de mercede conductis, pro mercede conductis, Her-
motimus. 1836. gr. 8. | Thlr.
— — Cataplus, Jupiter confutatus, Jupiter tragoedus,
Alexander. Recens. et illustr. C. Jacöbitzius. gr. 8.
1835. 1^ Thlr.
P^utarchi vitae parallelae ex recensione C. Sinte-
nis. Vol. 1. gr. 8. 1839. 3 Thlr.
»-^ — vit. par. selectae, in usum scholarum rccognitao
a C. Sintenis. Pars 1. Tbemistocies et Camillus,
Pericles et Fabius Maximus, Alcibiadcs et Coriola-
nus, Timoleon et Aemilius Paulus. 16 Bogen, gr. 8.
f Thlr.
Quintiliani, M. Fabil, Institutionum oratoriarum li-
ber X, denuo recoguovit et annotat. oritic. et gram,
instruxit Ch. G.Herzog. Edit. II. gr.8. 1833. | Tbl.
— - — zehntes Buch, übers, nebst krit. u. gramm. An-
merk. von Prof. Ch. G. Herzog, gr.8. 1827. IThl.
Jleichard, geographische Nachweisungen der Kriegs-
Torfälle Cäsars und seiner Truppen in Gallien, nebst
Hannibals Zug über die Alpen (nebst eifier illum.
Charte von Gallien in Fol.) gr. 8. 1832. \ Thlr.
R ei n , Dr. W., das römische Privatreoht und der Ci-
vilprocess bis in das erste Jahrhundert der Kaiser-
zeit Ein Hülfsbuch zur Erklärung der alten Ciassi-
ker, vorzüglich für Philologen nach den Quellen
bearbeitet, gr. 8. 2| Thlr.
Sallustii, C. C, de coniarationeCatilinae liber, erklärt
mit Anfügung einer deutschen Uebersetzung von Dr.
Ch. G. Herzog, gr. 8. 1828. 1^ Thlr.
Xenophontis Anabasis. Mit erklärenden Anmerkun-
gen herausgegeben von F.W.Krüger, gr.8. 1830.
1 Thlr.
-*- — Text ohne Anmerkungen von F.W. Krüger. |Thl.
Te'B tarnen tum, novum graece, nova versione latina
donatnm ad optimas recenstones ex'pressum seleetii^
varits lectionibus perpetuo^iue singol. libror. argu-
8
mentö iMtnietnm (aMita lil. Pavli C^ritttliioa epis-
fda) edtd.Dr. Fr. A. Ad. Na ehe. 8. («HBog.) ISih
Charta vclin. i»/, Thlr.
Charta ünpc. i tUr.
Testamentum, novum graeee. Textum ad fidem co-
dicum vcrsionum et natrum recensuit, et leetionis vsr
rietatem adiecit.Dr. Job. Jac. Griesbach. Yol. L
Quatuor evangelia oomplectens. EUitionem tertiam
emendatam et auotam Dr. Dav. Schnla. gr.8* 1827.
(53^ Bog.) 3i Thlr.
— — Vol. II. Acta et epistolas apostolorum cum apo-
caljpst comniectens. Bditio secunda emendatior. mul-
taque locupletior. gr. 8. 1806. (48 Bogen.) 3 Thlr.
Auf Abnahme von 10 Exemphireii erfolgt 1 Freiexemplar.
Bei George Westermann in Braunsch weig erschien :
nAPAJOZOrPAQOI
SCRIPTORES
RERÜM MIRABILIÜM
€RAECI
Insnnt [Aristotklisj mirabiles auscaltationes Antiooni, Apol-
Loxu, PHLEOOKiTls histofiae mirabiles, Michaelis Pselxj lectfo-
nes mirabiles, rellquorum einsdem generis scri^tornm deperdito*
ram fragmeota. Accedant Phlegontis Macrobii et Ol^nnpiadinn
rcliqoae et Anonjmi tractatus de mulieribiiB etc.^
EDIDIT
ANTONIUS WESTERMANN
PB. B. Lll'T. €R. ET ROM. 118 imiT. LIPS. P. P. O.
gr. 8. Veiinp. geb. Preis & 1*/« Thlr.
Die nnterseiehnete Teriagsbandlong empfing so eben die ecsteii,
sehr gelungenen Abdrücke von dem wohlgetrofifenen. Bildnisse des
Professors der Natan^issenschaften
Dr. Chr. G. Ehrenberg,
gestochen iron C. E. Weber, '/« Bogen. Imp. Chines. Velin-
papier, mit einem Fac-SimUe fibrenbergs. Snbscnptionspr. '/, TU.
Die zabireichen Verehrer des berShmten Natnrforscbers üm-
chen wir auf diesen schonen und ersten wahrhaft ähnlichoB Stich
desselben mit dem Bemerken anftnerksam, dhis der aafserst bil-
lige Subscriptionspreis mit Ende dieses Monates erlisciit und spi-
ter ein erhdheter Ladenpreis eintritt. Alle gute fionst- und
Buchhandlungen nehmen Bestellungen darauf an.
Berlin, den %• August 1839.
RtchterMche BuchhandluDg.
Bei der Arnoldischen Buchhandlung in Dresden und
Leipzig ist erschienen und fn allen Buchhandlungen zn haben:
die zweite^ snm Theii umgearbeitete Auflage tod '
Dr. 6. H. T. Schubert, (Prof. in Manchen) die Ur-
welt und die Fixsterne, gr. 8. broch. If Thlr.
1
A n z e i g e b 1 a t t
s 11 d e n
Jahrbtichem für wissenschaftliche Kritik.
1839.
wi0iim0»f<»^^mm»*0is^^0'ßit^^»
(Zweites Semester.)
^3.
So eben bt im Verlage voa Duncker nnd Humblot in
Berlin erschienen nnd durch alle Buchhandlungen xu beziehen:
Kirchen- und Reformationsgeschichte
der
Mark Brandenburg
TOD
C. W. Spieker,
Dr. der Theologie nnd Philosophie.
Erster Theil. gr. 8. Sabecriptionspreis ü% Thir.
Ladenpreis 3'/, Thlr.
Der rühmlichen Bestrebungen nngMchteC, welche anf dem
Gmnde allgemeinster Theilnahme der vaterlUndischen Geschichte
sngewendet worden sind, ist dennoch ein für die Entwickelung
derselben höchst wichtiger Kreis, die Geschielite der Kirche in
der Hark unbeachtet geblieben, obschon der Eiuflnfs derselben
auf die Gestaltung des Staats, anf die Forderung und Hemmung
seiner Kräfte, auf die Erhebung nnd Herabwürdigung des Volks,
kaum irgendwo deutlicher hervortritt als in diesem, den Slaven
durch Waffengewalt entrissenen Lande, nnd die nkttrkische Kir-
che, durch die religidse Gesinnung der Fürsten nnd deren tlia-
tige Freigebigkeit, an geistlichen Anstalten und frommen Stiftun-
fen ebenso reich gewesen ist, als die südwestlichen Gegenden
Deutschlands. r • •
Unser Vaterland hat seinen Wohlstand, seine Kultur, sein
reges und freies Leben, seine Intelligenz and Tüchtigkeit, sei-
nen Ruhm und seine Groise der Reformation zn danken.
Ungere Zeit nun mit der Erforschung dieser Verhältnisse
besehäftigt, bewog den Verfasser die Feier der dreihundertjähri-
gen Grandung der evangelischen Kirche 'in der Mark Branden-
barg, gerade letzt mit einer Arbeit hervorzutreten» deren Gegen-
stand die vollständige Kirchen - und ReformatioMgeichiclUe der
Mark bildet.
Der reiche Stoff soll in drei mäfsigen Bänden verarbeitet
werden. Der erste jetzt erschienene Hand führt die Geschichte
der Kirche von der Einführung des Christenthums bis zum Er-
löschen der askanischen Linfe (1320), der zweite Band bis zum
Tode Joachims I. (1^35) und der dritte Band, der die eigentli-
che Reformationsgeschichte umfuAen soll, bis zum Tode Joa-
chims U. und seines Bruders Johann von COstrin, 1571.
Nicht zu verwechseln mit diesem Werke ist ^ die von dem-
selben Verfasser ebendaselbst erschienene Schrift:
Geschichte
der Einführung der Reformation
# in die
Mark Brandenburg.
Zar dritten Säkolarfeier am 1. Novbr. 1839.
gr. 8. Preis V, Thlr.
Femer erschien daselbst:
Philipp MarAeineke»
der t^ucschen Reformation^
Zweite Yerbesnerte und yerniehrte Auflage. ^
4 Theile. 8. 6'/, Thlr.
Dieses Werk hat durch die darin versuchte eigenthümUehe
Darstellung der Reformation in dem nrsprüngKchen Lichte uird
der alterthdmlichen Denk- und Redeweise, mit Verläugnung al*
les eigenen vorgreifenden Urtheils räsonnirender Klugheit, —
wodurch die Wahrheit nnd Lauterkeit der Geitehichte dieser
denkwürdigen Begebenheit nur zu oft und zn sehr entstellt ist,
— eine solche Theilnahme bei christlich gesinnten Gemüthem
gefunden, dafii die. erste (nur 2 Bände umfassende) Auflage sehr
schneir vergriffen wurde.
Die gegenwärtige zweite Auflage ist nicht nur durchgängig
▼erbessert und mit. iKusätzen bereicnert, sondern in ihr ist auch
die Geschichte bis zu Luthers Tode und dem Rellgionsfrieden
herabaefObrt, nnd damit zugleich das Werk beendigt. — Die
jetzt ninzugekommenen neuen Bände sind für die Besitzer der
ersten Auflage des Werkes auch einzeln, zu 4 Rthlr., zu haben,
J. D. E. Preufo^
Friedrichs des Grofsen
■
Jugend und Thronbesteigung.
Eine Jubelscbrift.
* •
gr. 8. Preis 37« Thaler.
Der Herr Verfasser wollte in diesem Boche eine vollstän-
dige Jugend- nnd Bildungsgeschichte des grofsen Kd^igs" geben
nnd den Moment der Thronbesteigung, dessen Jubiläum uns be-
vorsteht, bis zum Einzug' in die Hauptstadt Schlesiens urkund-
lich und^so umfassend, ala die Quellen es gestatten^ schildern.
Dadurch' ist ein so lebendiges und so ausgeführtes Bild der 2eit
entstanden, dafs die gesammten äufseren und inneren Verhält-
nisse des Vaterlandes zur interessantesten Vergleich ung mit der
Gegenwart uns vor Augen treten. Was politiscn, kirchlich, sitt«
fich und kulturgeschichtlich irgend wichtic ist, das geht wie zur
Erinnerung an unserer Väter Zeiten, in frischen Farben wie in
Spiegelbilder, uns vorüber, nnd erfreut uns durch den müehtigen
Fortschritt, der nicht zu verkennen ist, und der uns unwillkür-
lich anf ein späteres Jahrhundert ahnend blicken läfst. Frie-
drich Anden wir durchweg im Vordergrunde nnd die 218 ersten
Tage aus seinem Köniesleben, die uns liier gegeben werden, zei-
gen klar, dafs sein Jahrhundert würdigst eingeleitet ist. — Bei-
gegeben ist als Einleitung zur festlichen Gelegenheit gewisser-
maisen: „Das Jubeljahr 1840 in der preafsischen Alpnarchis,
eine historische Erinnerung.^ Aus dem Anhange heben wir als
vorzüglich interessant hervor Friedrichs Gedient an den Male^
* I
Antoiae Pesne/als derselbe des Kronprinzen Mutter, die Ktini-'
gin Sophie, im November 1737 ita Lebensgröfse treu und scböu
Seinalt, im Orijpnal und in poetischer Uebersetzun^ von J. G.
acobi. Auch der vom Geh. Ruth Schlosser in Heidelberc aus
den Pariser Archiven mitgetheilte Brief von Voltaire 1753 aus
Fratikfprt a. IVL, wo er auf preufsische Veranlassung fiesltgehal-
ten ward, an den Kaiser um Beschutzung diivfte Auszeichnung
verdienen, nicht weniger des feinen Taktes, als des Inhalts sel-
ber wegen. — Schon das Aeufsere dieses Buches verkündet,
dafs der Herr Verf. es auf anmuthige Erzählung abgese-
hen, da& ErgOlzen und Belehren diesmal seine Hanptteudenz
gewesen.
Leopold Rantej
Färsteil und Völker von Süd-Europa
im
I6ten und ITten Tahrhundert
Vornehmlich ans uogedmckten GesanjiQchaftsbericbten.
Erster'Band. Zweite Auflage.
Gr. 8. Preis 2»/, Thlr.
Desselben Werkes zweiter bis vierter Band. Auch u. d. Titel:
Die
Römischen Päpste, ihre Kirche
untl ihr
Staat
im
16ten und 17ten Jahrhundert.
3 Bände. Zweite Auflage.
Gr. 8. Preis Sy, Thlr.
Bei Joh. Ambr. Barth in Leipzig sind erschienen and
in allen Buchhandlungen zu haben:
Bretsehneider, Dr. CG., Lexicon manualo graeco-
latinum in libros Novi Testuiiienti. Editio III. emend.
et aucta. 4 maj. cart. 5 Thlr.
De.8 8en Handbach der Do^tnatik der evangelisch -lu-
therischen Kirche, oder "Versuch einer beurtheilen-
den Darstellung der Grundsätze, \velcho diese Kir-
che in ihren symbolischen Schriften über die christ-
liche Glaubenslehre ausgesprochen hat, mit Verglei-
chung der Glaubenslehre in den Bekenntnifsschriften
der reforihirten Kirche. 2 Bände. 4te vcrb. und
verni. Aufl. gr. 8. 5 Thlr.
Goulianof, J. A.. de, Archeologie Egynticnne, ou
Recherches sur l'expresfiiou des signes bierogljphi-
2ue» et sur les öl^mens de la laiiftue sacr^c des
Igyptiens. 3 Tel. gr. in 8. br. ll^ Thlr.
adiecit Priäericui Lindemannui. Tomas IV. Fla-
vium BOäipatrum, charisluui et diomedem coDtinens«
Faseiculus I. Cbarisius. 18ia ^^ Bogen. 4. 2 Thlr.
Druck-Papier. 3 Thlr. Velin-Papiär.
Je liiiuHg;er and dringender die Anfragen gewesen aiod, wel-
che von verschiedenen Seiten her über das längere AoableibeB
der Fortsetzung des Corpus Grammaticorum Latinorum an mich
gerichtet wurden, um so mehr hoffe ich dem gelehrten Publicom
mit dieser neuerscheioenden Ahtheilung des Ganzen ein willkpm-,
menes Werk zu bieten, und darf zugleich versprechen, AvSb
nicht nur die beiden andern zum vierten Bande getiorigen Gram-
matiker bald nach folgen $ sondern auch die folgenden Bande ohne
weitere längere Uiiterbrechungeii in , fortlautender Reihenfolge
erscheinen werden. Die äufsere Ausstattung ist eben so sorg-
fältig und entsprechend, wie in den frühem Bänden, und der
Druck rein und scharf, aber compresser und gedrängter, als in
den früheren Bänden, um dadurch der ausgesprochenen Klage,
dafs das Werk zu weitläufig j^jedruckt sei und dadurch zti tbeaer
werde, in entsprechender Weise zu begegnen, und bei möglich-
ster Raumersparnifs doch aach eine zweckmäßige und gefällige
typographische Ausstattung zu erzielen.
B. G. Teubner in Leipzig.
Bei K. F. Köhler in * L e i p z ig ist so eben erschienen nnd
durch alle Buchhandlungen zu haben; '
B 0 d e, G. 11. Dr., Geschichte der dramatischen Dicht-
kunst der Uellcuon bis auf Alexander den Grofsen.
I. Theil: Tragödien und Satyrspielo. (Auch unter
dem Titel : Geschichte d. bell, üichtkmist HI. Bd.
1. Abth.) gr. 8. 36 Bogen. 2^ Thlr.
Den Verehrern und Kenuern der griechischen Dichtkunst
wird diese Abtheilung des Bode*8chen Werkes eine sehr will-
kommene Gabe sein. Der gelehrte Herr Verfasser giebt die ge-
summte dramatische Dichtkunst in einem Bande, wovon die er-
ste gröfsere Abtheilung so eben erschien und die zweite, . als
schliefsende Abtheilung, im nächsten Jahre erscheinen wird.
Diese schwierige Arbeit ist mit eben soviel Flcifse als €re-
nnuigkeit ausseführt, und den Verehrern und Studierenden der
griechischer Dramatik ein höchst brauchbares Handbuch dadurch
gegeben worden. -
Vollständiges Inhaltsrerzcichnifii nnd Register ist dem Wer-
ke beigegeben.
Bis jetzt erschien von diesem Werke:
Geschichte der lielleuischeu Dichtkunst: I. Bd. Geschichte der
epischen Dichtkunst (1838). 337, Bogen. 2'^ Thlr. -
11. Bd. 1. Abth. : Jonische LjTik, nebst Abhandl. iiber äl-
testen Kultus in Volksliedeni und Tonkunst der Hellenen, gr.
8. (1838) 35 Bogen. 2 Thlr.
11. Bd, H. Abtti. : Dorische und Aeoiische Lyrik. . (18381
gr. 8. 31V, Bogen. 2'/, Thlr.
In meinem Verlage ist so eben erschienen und an alle Buch-
handlungen versendet worden :
Corpus Grammaticorum Latinorutn Veteruin, collegit,
atixit^ recensuit -ac potiorein Icctioiiis varietatcm
In der Arnoldischen^BnchhUndlnng in Dresden und
Leipzig sind so eben erschienen und in allen Buchhaudlnngen
zu bekommen:
Ein Handbuch für Gebildete alier Stände.
A. Müller, allgemeine« Wörterbuch der Aassprache
ausländischer Jbiigennaineu, und zwar griech., latein.^
hebr.9 portug., span., franz., engl., ital., sohwed.,
däfi.) niederl., ungar.,.poln., Juihm., russ., pars., ara-;
bische Personen-, Länder-, ^ädte- und andere Na-
men aus allen Theilen'der Wissenschaft und Kunst;
nebst einer allgemeinen Aussprachlehre, mit deren
Hülfe mau auch andere, im Buche nicht Torkom-
mende Frerndnamen aossprechen kann* Zweite^
gänzlich nmgearb. und sehr Term, Aafl.
Du canse W«rk besteht ans Tier Hefte«, jedeis zu 9 Gr.,
go «lafs das Ganze im Prän.-Prei8e nicht höher als 1'/, Thaler
zo stehen kommt. Anf 10 Exemplare wird ein Freiexemplar ge-
^^eben. Der spätere Ladenpreis wird 3 Thlr. betragen. Alle
jiamhafte Bnchhandlangen nehmen Bestellung auf daa Ganze an.
Dos erste Heft ist bereits erschienen.
Neue Reiscbeschreibung.
Dr. 6. Klemm (K. S. Bibliothekar)^ Reise durch Ita-
Ueib Erster Theil: Bericht über eme, im Jahr 1838
im Gefolge Sr. K. H. dos Prinzen Johann. Herzogs
zu Sachsen, unternommene Reise nach Itauen. gr. 8.
broch. 21 Thlr.
Die Fortsetzung eines wichtigen Werks:
Dr. J. O. TA. Gritßey
Lehrbuch einer allgemeinen Literärge-
schichte
aller bekannten Völker der Welt von der ältesten bis
auf die neueste Zeit. Zweiten Bandes 1. Abtheil.^
die Geschichte der Literatur der Araber, Perser,
Türken, Syrer, Juden, Chinesen, Griechen, Italiener,
Engländer, Franzosen, Dentscben, Spanier u. s. w.
Tom Untergange des weströmischen Keicbs bis zur
Zerstörung des oströmischen Kaiserthums. gr. 8.
2^ Thlr.
Der erste Band in 2 Abtheifungen kostet 7 Thlr.
Neue schöogeisüge Schriften.
Danti Alighieri's göttliche Comöüie. Metrisch über-
tragen und mit kritischen und historischen Erläute-
• mngen verseilen von Phiialethos (von Sr. K. H. dem
Prinzen Jobann, Herzog zn Sachsen). Erster Theil,
die Hölle. Zweite vermehrte Aufluge mit Kupfern
und Karten, gr. 4. cart. Prän.-Prcis 6^ Thlr. bia
Ende d. J.
C. Weisflog, Phanfasiestücke und Historien. Neue
durchgesehene Taschenausgabe. 12 Theile. broch.
5 Thlr. Pran. -Preis bis Ende d. J. Ladenpreis ,
7 Thlr.
G. Schilling, slimmtliche Schriften, Taschenaus- ^
gäbe. 71—80. Theil. Prän.-Preis 3J Thlr., La-
denpreis 5 Thlr. — womit die ganze Sammlung ge-
schlossen ist.
Alle 80 B&Ddcben kosten 40 Thhr.
Fr. Bert hold, König Sebastian, oder wunderbare
Rettung und Untergang. 2 Theilo. Herausgegeben
von L. Tieck. broch. 3^ Thlr.
B, F. Manns te in, die Mystiker, Novelle, und der
Arzt als Scharfrichter. 8. broch. ^ Thlr.
C. V. Stein> Gedichte, gr. 8. broch. | Thlr.
6
JSo «ben ist enchienea und durch alle soliden Bnchkaadlnn-
gen za haben :
Dio
englischeu Universitäten»
Eine Vorarbeit
zur .
englischen Literaturgeschichte.
Von
f^. A* Huber^
Doctor snd ord. Prof. der abendl. Literatur za Marburg.
Zweiter Band.
gr.a 1840.
In J. C. Krieger's Verlagshandlung in CaseeL
37 Va Bogen.
Preis 3 Thaler..
Im Verlag von J.C. B. Mohr in Heidelberg ist in die-
sem Jahre neu erschiehen :
Acta Seminarii philologici Heidelbergen-
sis. Fase. L Sophociis Ajax, Electra, Oodipus
Rex emiendatae et illustratae ex codicibus Palatinis
XL et CCCLVI. Edidit C. L. Kayser, Fb. Dr.
8. maj. I Thlr.
Annalen, medioiniscbe, herausgegeben von der grofs-
herzogl. bad. Sanitäts-Commission - und den Vorste-
hern der medicinischen und geburtshülflichen Anstal-
ten in Heidelberg. V. Band Is und 2s Hett. Mit
Abbildungen, gr. 8. geh. iir. X Hofta 4 Tlilr. «
Archiv für die civilistische Praxis. XXII. Band, la
2s Heft. gr. 8. geh. pr. 3 Hefte 2 Thlr.
Bahr, Symbolik des Mosaischen üultus, in 2 Bän-
den. 11. Bund. gr. 8^ 3^ Thlr.
Beide BUiide 67, Thlr.
Dragendorff, Dr. Ludw. Friedr., zur Methodik der
Operationen mit besonderer Berücksichtigung der
geburtshütlichen. gr. 8. geh* \ Thlr*
Hänsser, Dr. Ludw., über die Deutschen Geschieht-
.Schreiber vom Anfange des Frankenreiehs bis auf
dio Hohenstaufen. gr. 8. geh. | Thlr.
Mittermaier, Geh. Rath, das Deutsche Strafverfah-
ren in der Fortbildung durch Gerichtsgebrauch und
Farticular-Gesetzbücher und in genauer Vergleichung
mit dem ,£nglisoben ui^d Französischen Straf-Proces-
se. Dritte, gänzlich umg'earbeitete und viel ver-
mehrte Auflage. In II Theilen. I. Theil. gr. 8.
Der II. Theil unter der Presse, pr. 2 Theile \k
Thlr.
Muncke, Dr., Anmerkungen zp Zacharia's französi-
schem Civilrecht (vierte Ausgabe). Ein Nachtrag
T^
SU Treforto badiBohem Ci?ilrecht fpf. 8. 1 Tha-
ler.
Nage 1^9 Geh. R^tfa, Lehrbuch der GebnrtshOIfe Pdr
die Hebammea im Ororsherzogthum Baden. Vierte
. Terbesserte Auflage, gr. 8. 2 Thlr.
— - — Kateohisinns der Hebafumenkunst, als Anhang
cur vierten Auflage seines Lehrbuchs der Geburts-
biilfe für die Hebammen im Grofsherzogthum Baden,
fär Lehrende und Lernende, gr. 8. (Unter der
Presse.) f. Thlr.
Schrift, die heilige, Alten und Neuen Testaments.
fJebersetzt von -Dr. W* M. L. de Wette. In drei
Bänden. Dritte Terbesserte Auflage, gir. Med.
^Preisi Auf veifsem Druckpapier 4 Thlr. AufVeiin-
Papier 6 Thlr.
Staiger, F. X. L., (Jeher die Hauptmittel zur Grttn-
dung besserer Zeiten, oder wodurch hauptsächlich
mtd die Wohlfahrt der Familien, Völker und Staa-
ten befördert. Ein Buch für Alle. Zweite verbes-
serte und viel vermehrte Auflage, gr. 8. 1^ Thlr.
Zeitschrift, kritische, für Rechtswissenschaft und
Gesetzgebung des Auslandes. Herausgegeben von
Mittermaier und Zachariä. XI. Band 2s und
38 Heft. gr. 8. (XII. I« unter der Presse.) pr. 3
Hefte 2f Thlr.
8
Bei ET L. Bronner in Frankfart a. SL ist erschienen
and in allen Bachhandlungen za haben:
Europa im sechszehnteh Jahrhunderte,
oder Materialien zum mttndlichen Uebersetzen ans der
deutschen in die lateinische Spraehe, nebst einer
Methodik dieses Unterrichts von Dr. H. W. Ben-
sen. 19^ Bog. 8. 1839. 1 Thlr.
Von der Ansicht ausgehend» dafs dem SchOler weder eine
spielende noch na trockne Unterricfatsweise fromme^ und dafs
mündlicher Sprachanterricht die Aufmerksamkeit lebendiger an-
rege, als blofs schriftlicher, iibergieht hier der Verf. der Schule
ein Buch, dessen Inhalt sehr belehrend und. anziehend ist, and
das sich seiner Sprache nach Über alle LebensTerhältnisse und
Zweige des ^V^is'^ens erstreckt. Es enthä'lt zugleich eine solciie
FiMle von sprachlichen Anmerknneen, dafs der Schiller mit gehS-
• riger Anwendang der gegebenen Methodik in kurier 2^it gewUh
bedeutende Fortschritte in der lateinischen Sprache- machen wird.
Bei J. E. Schanb in Düsseldorf ist so eben erschienen
und in aHen Buchhandlungen zu liaben:
Die. chronischeii Krankheiten,
ihre eigenth um liehe Natur und homöopathische
Heilung.
Von Dr. Sam» Hahnemann.
Ster und Icizter Theil. Antipsorische Arzneien.
Zweite, yiel yermehrte und verbesserte Auflage.
35 Bogen in grofs 8. auf Vetinpopier. '
Sabseriptions-Preis 2*7t, Thir.
- Mit diesem Bande ist das groikartige Werk nun geschlossen.
Ea enthält alle sogenannten antinaorischen Arzneien, mit be-
wundemswürdiffem Fleifse und Scharfsinn {geprüft und mit Vor-
wörtern als praktischen Einleitungen zur leichteren Handhabung
und zum Verständuifs der Prüfungssjmtome versehen. Der %vis-
senschaftliche Arzt, dem es darum zu thun ist, die reinm Wir-
kvhgen der Mittel kennen zu lernen, die er bei der Wahl in ge-
fahrdrohenden Krankheiten oft haorscbarf za unterscheiden hat,
wird, welcher Schale er auch angehören mag, ein solches Werk
gewifs willkommen lieifsen. Grouere und werthvollere Beitrage
zu den jetzt von alUn Seiten ah noHiwendif; anerkannten Prü-
fungen der Arzneimittel, hat keiner noch geliefert, als der hoch-
betagte und erfahrene Verfasser.
In der Yosa'' sehen Buchhandlung in Berlin ist so eben
erschienen :
Beiträge zur Etymologie
und
vergleichenden Grammatik
der
Hanpisprachen
des indogermanisclien Stammes
von
Dr. Albert Hoefer.
Docenten a. d. K. Pr. Friedrich-Wilheuns-Üniversitilt in Berlin.
Band L Zur Lautiekre. gr, 8. 32 Bogtn. geh, Freie 27, Thir.
Diese Forschungen sollen dazu dienen, theils die Sprachwis«
senschaft als solche, theils daa VerstSndniib der einzelnen Spra-
che zu fördern. In Utoterer Beziehuog sind namentlich das
Sanskrit, Griechische, Lateinische nnd Deutache beriickaichtigt«
Band I. enthält eine allgemeine Einleitung, die Lehire Ton &n
Vokalen mit Untersuchungen über Gana and über die OecKo»-
tionsformen der Sanskritsprache, nnd die Geschichte der Liquida.
Der 2te Band briogt nene wichtige Untersuchungen zur Lautleh-
re, und der dritte nehandelt, als Vorläufer eines et^^mologischen
\lörterbach8 dir lateinischen Sprache, die lateinische Wort-
bildung. _«__«_^
Bei K. F. Köhler in Leipzig ist so eben erschienen und
in allen Buehhaadlangen zu haben:
Redslob, Prof., der Begriff des Nabi oder des soge-
nannten Propheten bei den Hebräern, broch. |Thlr.
Der Hr. Verf. giebt in diesem Werkchen eine Untersuchung
Über die Prophetenerscheinung bei den^Hebrfiern, die zu den er-
schienenen grofKeren Werken aber alttestamentliche Forschnngen
eine ^willkommene Zugabe sein ^ wird.
Redslob, Prof., über die angeblich relative Grundbe-
deutung der faebräiseben Partikel (^3). gr. 8. | Thlr.
Diese gründliche Abhandlung der Partikel ^3 reihet sich
an die frühem gelehrten Untersuchungen des V-erfttssei^ fiber
die hebräische Sprache, — nnd wird für alle Kenner ^' —
Sprache Ton Interesse sein.
t
\.
/
THB NEW YORK PUBLIC LIBRARY
BBPBRBNCE DEPARTMENT
Tili« book it under no oiroumttanoet to bo
staken from the Bttfldini
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